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F ALZKLEBUNGEN IM AUTOMOBILBAU Falznähte blasenfrei und wirtschaftlich abdichten Innen- und Außenteile automobiler Türen, Klappen und Hauben werden durch Falzkleben gefügt. Um einen zuverlässigen Schutz vor Korrosion zu gewährleisten, erfolgt anschließend die Abdichtung der Falznaht mithilfe von PVC-Plastisol. Dabei entstehen im Fertigungsprozess teilweise blasenförmige Fehlstellen, die für viele Anwender ein bisher ungelöstes Problem darstellen. Ivo Neumann, Sandra Menzel W ährend des Falzklebens von automobilen Anbauteilen ent- stehen luftgefüllte Kavitäten innerhalb der Falzklebnaht, die im wei- teren Herstellungsprozess zur Bildung blasenförmiger Fehlstellen in der PVC- Nahtabdichtung führen. Die Nahtab- dichtung befindet sich im Sichtbereich des Kunden, sodass die Blasen ein op- tisches Qualitätsproblem darstellen. Zu- sätzlich besteht die Gefahr, dass Fehl- stellen im Laufe des Fahrzeuglebens durch mechanische Einflüsse zerstört werden. Hierdurch würde ein direkter Zugang von Elektrolyten in den Falz er- möglicht und es wäre kein zuverlässiger Korrosionsschutz für die Falznahtkle- bung gewährleistet. Daher müssen im Produktionsprozess entstandene Fehl- stellen in der Nahtabdichtung aufwän- dig nachgearbeitet und beseitigt wer- den. Um die Kosten für die Ausbesse- rungsarbeiten, die erhöhten Aufwen- dungen in der Qualitätssicherung sowie einen potentiellen Imageverlust im Fal- le eines schwerwiegenden Korrosions- problems zu vermeiden, sind die Mecha- nismen der Fehlstellenentstehung und Maßnahmen zu deren Reduktion sowie die Erarbeitung einer blasenfreien Naht- abdichtung Forschungsgegenstand. In diesem Beitrag werden Ergebnis- se des Fraunhofer IFAM und Fraunho- fer IWU zum Fosta-Forschungsvorhaben P909 vorgestellt, dessen Ziel die Ausar- beitung technologischer Grundlagen zur industriellen Produktion blasenfreier Nahtabdichtungen auf Falzklebungen ist. Das Vorhaben beruht auf zwei kom- Bild 1: Zur Entstehung einer blasenförmigen Fehlstelle in der Nahtabdichtung müssen drei Bedingungen erfüllt sein (Schädigungspotential): Es liegt eine luftgefüllte Kavität vor, diese hat eine lokale Austrittsöffnung im Falzspalt und eine Temperaturerhöhung führt nach dem idealen Gasgesetz zu einer Druckerhöhung in der Kavität. AUS FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG adhäsion 7-8/2014 42

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Page 1: Falznähte blasenfrei und wirtschaftlich abdichten

FALZKLEBUNGEN IM AUTOMOBILBAU

Falznähte blasenfrei und wirtschaftlich abdichtenInnen- und Außenteile automobiler Türen, Klappen und Hauben werden durch Falzkleben gefügt. Um einen zuverlässigen Schutz vor Korrosion zu gewährleisten, erfolgt anschließend die Abdichtung der Falznaht mithilfe von PVC-Plastisol. Dabei entstehen im Fertigungsprozess teilweise blasenförmige Fehlstellen, die für viele Anwender ein bisher ungelöstes Problem darstellen.

Ivo Neumann, Sandra Menzel

Während des Falzklebens von automobilen Anbauteilen ent-stehen luftgefüllte Kavitäten

innerhalb der Falzklebnaht, die im wei-teren Herstellungsprozess zur Bildung blasenförmiger Fehlstellen in der PVC-Nahtabdichtung führen. Die Nahtab-dichtung befindet sich im Sichtbereich

des Kunden, sodass die Blasen ein op-tisches Qualitätsproblem darstellen. Zu-sätzlich besteht die Gefahr, dass Fehl-stellen im Laufe des Fahrzeuglebens durch mechanische Einflüsse zerstört werden. Hierdurch würde ein direkter Zugang von Elektrolyten in den Falz er-möglicht und es wäre kein zuverlässiger Korrosionsschutz für die Falznahtkle-bung gewährleistet. Daher müssen im Produktionsprozess entstandene Fehl-stellen in der Nahtabdichtung aufwän-dig nachgearbeitet und beseitigt wer-den.

Um die Kosten für die Ausbesse-rungsarbeiten, die erhöhten Aufwen-dungen in der Qualitätssicherung sowie einen potentiellen Imageverlust im Fal-le eines schwerwiegenden Korrosions-problems zu vermeiden, sind die Mecha-nismen der Fehlstellenentstehung und Maßnahmen zu deren Reduktion sowie die Erarbeitung einer blasenfreien Naht-abdichtung Forschungsgegenstand.

In diesem Beitrag werden Ergebnis-se des Fraunhofer IFAM und Fraunho-fer IWU zum Fosta-Forschungsvorhaben P909 vorgestellt, dessen Ziel die Ausar-beitung technologischer Grundlagen zur industriellen Produktion blasenfreier Nahtabdichtungen auf Falzklebungen ist. Das Vorhaben beruht auf zwei kom-

Bild 1: Zur Entstehung einer blasenförmigen Fehlstelle in der Nahtabdichtung müssen drei Bedingungen erfüllt sein (Schädigungspotential): Es liegt eine luftgefüllte Kavität vor, diese hat eine lokale Austrittsöffnung im Falzspalt und eine Temperaturerhöhung führt nach dem idealen Gasgesetz zu einer Druckerhöhung in der Kavität.

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plementären Lösungsansätzen: der Re-duzierung von Kavitäten innerhalb der Falznahtklebung auf dem Prozesspfad (Minimierung des Schädigungspoten-tials) sowie der Substitution des fehl-stellenanfälligen PVC-Plastisols durch ein blasenfreies Nahtabdichtungs-Ma-terial auf dem Materialpfad (Erhöhung der Schädigungstoleranz). Der gesam-te Falzkleb- und Nahtabdichtungspro-zess wurde experimentell und in wei-ten Teilen simulativ nachvollzogen. Die prozessrelevanten Parameter sowie zu-gehörige Fertigungstoleranzen wurden bei den Anwendern ermittelt. Die Arbei-ten orientieren sich am Status-Quo der gegenwärtigen Fertigung.

Im Folgenden wird zunächst der Mechanismus der Fehlstellenentste-hung in der Nahtabdichtung dargestellt. Anschließend werden die Erkenntnisse zu den zugrundeliegenden Ursachen der Schädigungspotentiale der Falznaht-klebung beschrieben. Den Abschluss bilden Ergebnisse zur Ermittlung und Bewertung eines potentiellen fehlerto-leranten Nahtabdichtungssubstitutes.

Wie entstehen Fehlstellen?Eine wie in Bild 1 dargestellte blasen-förmige Fehlstelle in der Nahtabdich-tung entsteht während des Verfesti-gungsprozesses des physikalisch abbin-denden PVC-Plastisols. Das Abbinden erfolgt thermisch initiiert während des Trocknerdurchlaufes bei einer Tem-peratur von ca. 150 °C (Bild 2). Die Tem-peraturerhöhung bewirkt eine Druck-erhöhung der in einer Kavität einge-schlossenen Luft. Luftvolumen können nur in Bereichen des Falzes auftreten, in denen der Falzklebstoff den Spalt nicht vollständig ausfüllt. Für luft-gefüllte Kavitäten im Falz bedarf es somit eines geringen Füllgrades bzw. einer lokalen Füllgradschwankung oder einer Fehlstelle innerhalb der Klebschicht (Bild 3). Von besonderer Bedeutung ist die Austrittsöffnung der Kavität in Richtung der Nahtab-

dichtung – ein eingeschlossenes Luft-volumen allein ist kein hinreichendes Merkmal eines Schädigungspotenti-als für die Nahtabdichtung. Vielmehr ist die Kavitätsöffnung am Falzspalt, also die Wirkfläche der eingeschlos-senen Luft gegenüber der Nahtabdich-tung, ein essentielles Schädigungs-kennzeichen. Hier kann der erhöhte Druck der eingeschlossenen Luft lokal auf die nicht abgebundene Nahtabdich-tung wirken. Bei einem Druckausgleich über eine kleine Wirkfläche kommt es zur Deformation der Nahtabdichtung in Form einer blasenförmigen Fehlstel-le. Je größer das Kavitätsvolumen und desto kleiner die Wirkfläche der Aus-trittsöffnung ist, desto stärker ist das Maß der Deformation und desto größer die Blase.

Welche Faktoren sind verantwortlich?Welche Vorgänge in der Fertigungspro-zesskette von Falzklebungen führen zu den beschriebenen Schädigungspotenti-alen? Um diese Frage zu beantworten, wurden im Rahmen des Prozesspfades verschiedene experimentelle, analyti-sche und simulative Untersuchungen durchgeführt. Es wurden die folgenden drei Hauptfaktoren ermittelt (Bild 3):

● Der Klebstofffüllgrad innerhalb der Falznahtklebung und Füllgrad-schwankungen

● Die Entstehung von Fehlstellen in-nerhalb der Klebschicht des Falz-klebstoffes

● Die Verteilung von KTL-Lack inner-halb der Falzklebung und an der Falzspitze

Bild 2: Industrielle Prozesskette des Falzklebens

Bild 3: Begrenzung von Kavitäten im Falz. Links dargestellt ist ein Querschnitt einer Falzklebverbindung, rechts ein Längsschnitt durch die oberseitige Klebschicht des Falzes. Im Längsschnitt links: ein geringer Füllgrad und KTL-Rückstände. Mitte: eine lokale Füllgradschwankung. Rechts: Fehlstellen im Falzklebstoff

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Der Klebstofffüllgrad ist ein wesent-liches Merkmal einer Falzklebung. Er gibt an, wie weit der Falzklebstoff un-ter dem umgefalzten Flansch des Au-ßenbleches in Richtung dessen Spitze fließt. Eine Definition der unterschied-lichen Füllgrade sowie weitere für die nachfolgenden Ausführungen notwen-

dige Begrifflichkeiten sind dem Bild 4 zu entnehmen.

Applikationsfehler beim Auftrag des Falzklebstoffes (Raupenunterbrechung, Über-/Unterdosierung), aber auch tole-rierte fertigungsbedingte Schwankun-gen der Prozessparameter wie Kleb-stoffmenge und Raupenlage, Einzel-

teileigenschaften (Beölung, Beschnitt, Flanschparallelität, Grat) und Parameter des Falzprozesses (Innenteillage, Pack-maß) führen zu Abweichungen vom vor-gegebenen Soll-Füllgrad. Diese Faktoren überlagern und bedingen sich zudem teilweise gegenseitig und können so-mit beispielsweise zu lokalen Füllgrad-schwankungen führen, die im Fortgang der Prozesskette ein Schädigungspo-tential für die Nahtabdichtung darstel-len können.

Die Auswirkungen folgender bei-spielhafter Fertigungsaspekte zeigen zusätzlich die Sensitivität des Falzkleb-prozesses auf. Die Untersuchungen dazu wurden an einem Versuchsaufbau zum werkzeuggebundenen Falzen mit auto-matisierter Klebstoffapplikation durch-geführt. Dieser ermöglicht eine genaue und reproduzierbare Steuerung aller Prozessschritte entsprechend der in-dustriellen Vorgaben zu Kräften, Ma-ßen und Zeiten:

● Der Füllgrad steigt mit kleinerem Packmaß: Von einer idealen Falz-geometrie mit einem Füllgrad von 130 Prozent ausgehend bewirkt ei-ne Variation des Packmaßes um +/- 0,1 mm eine Verringerung des Füll-

Bild 4: Begriffsdefinitionen an einer Falzklebverbindung

Bild 5: Die Hauptfaktoren für die Entstehung von Kavitäten mit Schädigungs-potential in der Falzklebnaht und Prozessparameter, die diese beeinflussen.

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grades auf unter 100 Prozent bzw. ei-ne Vergrößerung des Füllgrades auf über 200 Prozent. Letzteres führt zu einem Klebstoffaustritt und kann Werkzeug- und Bauteilverschmut-zungen verursachen.

● Der Füllgrad steigt durch Beölung: Auch die Beölung der Bleche hat ei-nen Einfluss auf den Füllgrad. Die Untersuchungen zeigen, dass eine lokale Ölanhäufung im Falzbereich zu einer Füllgraderhöhung von 30 Prozentpunkten führt.

● Der Füllgrad sinkt bei nichtparalle-len Flanschen: Betrachtet man die Vorgänge während des Schachtelns der Bauteile, so bewirkt eine Winkel-abweichung des Innenteilflansches um -1°, dass bei einem sonst zu 100 Prozent gefüllten Falz die Falzwur-zel nicht mehr ausgefüllt wird. Dies

stellt auch aus Korrosionsgründen ein Problem dar. Bei einer Winkel-abweichung von -3° kommt es zu ei-ner Füllgradabweichung von 60 Pro-zentpunkten.

Die aufgeführten Beispiele verdeutli-chen den engen Toleranzbereich, bzw. die großen Auswirkungen minimaler Schwankungen im Parameterfeld des Falzklebprozesses. Eine Vielzahl von weiteren Untersuchungen und Parame-tervariationen wurde im Rahmen des hier vorgestellten Projektes durchge-führt.

Fehlstellen innerhalb der Kleb-schicht des Falzklebstoffes (auch Bor-kenkäfer oder Mäander genannt) entste-hen aufgrund von Applikationsfehlern (Raupenunterbrechung, Lufteinschluss), hohen Krafteinwirkungen auf die Kleb-schicht im Falzprozess und Relativbewe-

gungen zwischen Innen- und Außenteil ab dem Zeitpunkt des Schachtelns bis zur Klebstoffaushärtung im KTL-Trock-ner. Sie werden zusätzlich beeinflusst durch Faktoren wie Beölung der Bleche oder Feuchtigkeitsaufnahme des Kleb-stoffes. Diese und weitere mikroskalige Effekte waren Bestandteil der umfang-reichen Untersuchungen zur Entste-hung und Ausprägung der Klebschicht-fehlstellen.

Als dritter einflussreicher Haupt-faktor für Schädigungspotentiale wur-de die Verteilung des KTL-Lackes in-nerhalb der Falzklebung beziehungs-weise im unmittelbaren Bereich des Falzspaltes untersucht. Wie bereits in Bild 5 ersichtlich, ist der KTL-Lack in nicht unerheblichem Maße an der Aus-gestaltung einer Kavität beteiligt. In Abhängigkeit von der Falzspaltöffnung

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kann die nicht koagulierte KTL-Flüs-sigkeit in den Spalt eindringen und das Volumen der Kavität ändern oder zu-sätzliche abgeschlossene Bereiche ge-nerieren. Insbesondere im Bereich des Falzspaltes kann bei einem hinreichend geschlossenen Falz der aufkoagulierte und anschließend eingebrannte KTL-Lack einen Meniskus bilden und so ein im Falz vorliegendes Luftvolumen ge-genüber der Nahtabdichtung verschlie-ßen. Treten nun kleine Imperfektionen in Form von Öffnungen in diesem Be-reich auf, wird eine Wirkfläche und so-mit ein Schädigungspotential geschaf-fen. Typische KTL-Lackschichten wei-sen eine Dicke von 20 bis 30 µm auf, dementsprechend finden die zuvor be-schriebenen Effekte in diesen mikros-kaligen Größenordnungen statt.

Welches Material eignet sich als NAD-Substitut?Die Vielschichtigkeit der Ursachen für die Fehlstellenentstehung in der Naht-abdichtung ist hinlänglich bekannt und ausführlich beschrieben. Die Tatsache, dass ein Schädigungspotential inner-

halb der Falznahtklebung auf Effek-ten im mikroskaligen Bereich basiert, erschwert das Etablieren eines robus-ten industriellen Falzklebprozesses. Im Rahmen des hier vorgestellten komple-mentären Projektansatzes wurde im Ma-terialpfad ein Nahtabdichtungssubsti-tut gesucht, welches trotz verbleibender Schädigungspotentiale innerhalb der Falznahtklebung eine fehlstellenfreie Nahtabdichtung gewährleistet. Als ei-ne besondere Herausforderung ist hier-bei zu beachten, dass der bereits einge-führte Herstellungsprozess (Bild 2) in weitreichenden Umfängen beibehalten werden soll. Hieraus ergeben sich spe-zielle Randbedingungen, wie zum Bei-spiel eine erforderliche Temperierung der Karosserie, um das in den Nicht-Feinnahtbereichen aufgetragene PVC-Nahtabdichtungsmaterial abzubinden. D.h. das Nahtabdichtungssubstitut muss den PVC-Trockner durchlaufen und da-bei dem weiterhin in der Kavität der Falznahtklebung entstehenden (ther-misch-initiierten) Druck von rund 0,5 bar unbeschadet standhalten. Zusätz-lich müssen weitere Eigenschaften wie

Standfestigkeit, Verstreichbarkeit, Über-lackierbarkeit und Temperaturbestän-digkeit im automobilen Einsatzbereich sichergestellt werden.

Im Rahmen des hier vorgestellten Projektes wurden insgesamt zehn ver-schiedene Polymersysteme hinsichtlich ihrer Tauglichkeit als Nahtabdichtungs-substitut betrachtet. Allen Systemen ist gemeinsam, dass sie über einen nicht-thermischen Reaktionsmechanismus verfügen. Hierdurch kann die Schwie-rigkeit der Luftausdehnung und somit der Fehlstellenentstehung durch Tempe-rierung umgangen werden. Betrachtet wurden zweikomponentige und feuch-tigkeitsvernetzende Systeme sowie Lö-sungen auf Basis von Klebebändern. Zu beachten ist, dass die gegenwärtige Pro-zessgestaltung lediglich ein Zeitfenster von 30 Minuten eröffnet, um die benö-tigte Druckfestigkeit von 0,5 bar des potentiellen Nahtabdichtungssubstitu-tes herbeizuführen. Zudem muss eine schadhafte Veränderung des Polymer-systems im anschließenden Trockner-durchlauf unterbunden werden.

Die Untersuchungen ergaben, dass beispielsweise zweikomponentige Sys-teme zwar in der erforderlichen Kür-ze eine mehr als ausreichende Druck-festigkeit generieren können, jedoch sowohl hinsichtlich der erforderlichen Anlagen umgestaltung als auch der be-nötigten Verstreichbarkeit nach der Ap-plikation als unvorteilhaft zu bewerten sind. Vergleichbares gilt für die auf Kle-bebändern basierenden Lösungen. Unter diesen Aspekten bieten die verbleiben-den feuchtigkeitsvernetzenden Systeme das größte Potential. Die Hälfte der im Projekt betrachteten potentiellen Naht-abdichtungssubstitute wurde daher aus dieser Gruppe gewählt.

Um die zunächst wichtigste Eigen-schaft der Druckfestigkeit experimen-tell bestimmen zu können, wurde ei-ne Versuchsvorrichtung entwickelt, die es ermöglicht, den erforderlichen Druck bis zur Fehlstellenentstehung zu ermit-

Bild 6: Druckfestigkeiten verschiedener Nahtabdichtungssubstitute nach 30, 45 und 60 Minuten Wartezeit (oben) und Versuchsvorrichtung zur Bestimmung der Druckfestigkeiten (unten)

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teln. Hierbei werden Temperierungspro-zesse vernachlässigt und der erforderli-che Druck mittels eines Pneumatikzy-linders erzeugt (Bild 6 unten). Das zu testende Nahtabdichtungssubstitut wird entsprechend der aktuellen industri-ellen Geometrievorgaben (Querschnitt 2*10 mm²) auf ein KTL-Blech appliziert. Dies ist insbesondere für den Feuchtig-keitszutritt und somit die Bewertung des Vernetzungsfortschritts im Anwen-dungskontext erforderlich. Das KTL-Blech ist mit 0,3 mm Bohrungen verse-hen, welche nach der Applikation durch die Nahtabdichtung verdeckt werden. Das beschichtete Blech wird in die Ver-suchsvorrichtung eingelegt, sodass sich unter einer dieser Bohrungen eine Ka-vität befindet. Der Druck in der Kavität wird über die Kompression des Pneu-matikzylinders eingestellt und mittels eines Manometers gemessen. Die Mes-sung der Druckfestigkeit erfolgt nach 30, 45 und 60 Minuten Wartezeit.

Aus den Ergebnissen (Bild 6 oben) ist ersichtlich, dass die getesteten zwei-komponentigen Systeme bereits nach 30 Minuten eine hohe Druckfestigkeit (> 0,5 bar) aufweisen. Bei den feuchtig-keitsvernetzenden Systemen erweisen sich die auf Polyurethanen basierenden

Substitute als zu langsam. Nach verstri-chener Wartezeit von 60 Minuten kön-nen hier maximale Druckfestigkeiten von 0,25 bar ermittelt werden. Das in diesem Experiment getestete silanmo-difizierte Polymersystem (MS-Polymer) hingegen zeigt nach 45 Minuten eine Druckfestigkeit von 0,8 bar. Nach einer Wartezeit von 30 Minuten lässt sich den-noch ein unterschwelliger Wert von 0,35 bar für das Material ermitteln.

In weiteren Experimenten wurde die für die verbleibenden PVC-Plasti-sol-Umfänge erforderliche Temperie-rung nachgestellt. Hierbei zeigt sich auf-grund verbleibender Reaktionsprodukte innerhalb der Polymersysteme ein Auf-schäumen der Nahtabdichtung. Für das schnell reagierende MS-Polymer konn-te unter Anpassung der Wartezeit und der Schichtdicke eine zufriedenstellen-de Nahtabdichtung hergestellt werden. Auch durchgeführte Alterungsversuche verliefen positiv.

FazitUnter Berücksichtigung des gegenwärti-gen Prozessablaufs erscheint ein Naht-abdichtungssubtitut auf Basis eines schnell reagierenden MS-Polymers als eine den größten Erfolg versprechende

Variante (Bild 7). Es ist davon auszuge-hen, dass sich durch eine weiterreichen-de Prozessumgestaltung weitere Ver-besserungen hinsichtlich Qualität und Wirtschaftlichkeit generieren lassen.

DankDas IGF-Vorhaben 17266 BG „Komple-mentäres Konzept zur blasenfreien Naht-abdichtung von Falzklebungen“ der For-schungsvereinigung Stahlanwendung e. V. (Fosta) wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Indus-triellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Be-sonderer Dank geht an alle Projektpart-ner aus der Industrie.

Die Autoren

Ivo Neumann (Tel.:+49 421

2246-436, ivo.fabian.neumann@

ifam.fraunhofer.de) ist am Fraun-

hofer-Institut für Fertigungstech-

nik und Angewandte Materialfor-

schung IFAM wissenschaftlicher

Mitarbeiter der Abteilung Kleb-

technische Fertigung.

Sandra Menzel (Tel.:+49 351 4772-

2411, [email protected]

hofer.de) ist am Fraunhofer-Insti-

tut für Werkzeugmaschinen und

Umformtechnik IWU als wissen-

schaftliche Mitarbeiterin der Ab-

teilung Mechanisches Fügen tätig.

Bild 7: Auf eine Falzprobe applizierte und verstrichene Nahtabdichtung aus MS-Polymer nach Temperierung

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