gerd propach medizin - willkommen - welcome · system. die patienten und deren angehörige sahen...

26
Medizin unter Halbmond und Kreuz Gerd Propach Ärztliche Mission im Kontext der islamischen Medizin E-Ausgabe 2009 © Medizinische Missionshilfe - Medical Mission Support Christian Intercultural Health Ministries www.mmh-mms.com

Upload: vanthuan

Post on 26-Aug-2019

215 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

Medizinunter Halbmond und Kreuz

Gerd Propach

Ärztliche Mission im Kontext der islamischen Medizin

E-Ausgabe 2009© Medizinische Missionshilfe - Medical Mission Support

Christian Intercultural Health Ministrieswww.mmh-mms.com

Page 2: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

Mit dem Untertitel „Kulturelle Grundlagen medizinischen Handelns“1993 als Porta-Studie 19 erschienen.ISSN 0177-8056Herausgeber:Studentenmission in Deutschland,Postfach 554,D -35017 Marburg

Überarbeitet und mit Bildern versehen für die E-Ausgabe 2009Gestaltung, Prepress: H. Pfindel© Medizinische Missionshilfe - Medical Mission SupportChristian Intercultural Health MinistriesBerliner Straße 5735435 Wettenbergwww.mmh-mms.com

Abbildung Titelseite: Buch der Medizin von Rhazes (865 - 925)

I n h a l t

I. Medizin und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Traditionelle Heilungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Westliche Heilungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Transfer und Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Medizin und Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Die Religion des Islam, ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Die wissenschaftliche Medizin im Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Die Blütezeit der arabischen Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Rhazes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Avicenna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Die medizinischen Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Die Ärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Das Krankenhauswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Der Verfall der Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Die Prophetenmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Die Volksmedizin im Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Die Reislamisierung der Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Die drei Pfeiler der islamischen Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Die Kuwaiter Deklaration (1981) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Der Weg zwischen gestern und morgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Ursachen der Reislamisierung der Medizin – ein Versuch der Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Geburtenregelung und Familienplanung im Islam . . . . . . . . . . . . . . . 33 Menschenbild im Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Leiden aus islamischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Die Ursache des Leidens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Der Sinn des Leidens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Die Überwindung des Leidens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Missionsmedizin im Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

III. Medizin unter dem Zeichen des Kreuzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Über die Fragwürdigkeit der missionsärztlichen Arbeit . . . . . . . . . . 38 „Jesus ist Sieger“ – Begründung des heilenden Handelns . . . . . . . . 41 Der heilende Auftrag der christlichen Gemeinde im Islam . . . . . . . . 42 Diakonie der leeren Hände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Unser Ziel reicht weiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

IV. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Bildnachweise und -erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Page 3: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

I. Medizin und Kultur

Diesem Beitrag liegt ein Vortrag mit dem Thema „Medizin im Islam“ aus dem Jahr 1987 zugrunde. Er wurde für diese Veröffentlichung überarbeitet und an einigen Stellen erweitert.

Wegen der ursprünglich mündlichen Form des Beitrags wurde weitgehend auf Literaturhinweise im Text verzichtet. Am Schluss des Heftes

findet sich ein Verzeichnis der benutzten Schriften.Herrn Pfr. Eberhard Troeger danke ich für die kritische Durchsicht des Manuskripts.

Gerd PropachWettenberg 1993 / 2009

„Allah ist groß, Khomeini ist unser Führer, nieder mit den USA, nieder mit Israel.“ Es waren keine jungen Revolutionäre, die dies aus vollen Kehlen intonierten,sondern gesetzte Männer aller Altersstufen. Es war das Bekenntnis der Teilnehmer eines medizinischen Kongresses, der 1983 in Teheran stattfand. Die Tagung stand unter dem Zeichen des großen arabischen Medizingelehrten AVICENNA, der im zehnten Jahrhundert in Persien lebte.Was den Beobachter dabei verwundern mag, sind nicht die lautstarken Parolenaus Teheran – daran hat man sich gewöhnt –, sondern die Tatsache, daß eineMedizin im Mittelpunkt steht, die ihre Begründung und Kraft aus der Religiondes Islams bezieht. Es geht um die islamische Medizin.

I. Medizin und Kultur

Manche Menschen vertreten die Ansicht, Kulturen früherer Zeiten hätten nichts von Liebe und Barmherzigkeit gewusst. Erst die Liebeswerke der Christenheit hät-ten Licht in diese finstere Welt gebracht. ERICH BEYREUTHER weist in seinem Standardwerk Geschichte der Diakonie und Inneren Mission in der Neuzeit darauf hin, dass die Welt vor und außer Christus so dunkel nicht war und nicht ist. Schon im alten Ägypten gab es sieben Werke leiblicher Barmherzigkeit, nämlich Hung-rige speisen, Durstige tränken, Nackte bekleiden, Fremde beherbergen, Gefangene befreien, Kranke pflegen und Tote begraben. Die Berichte und Zeugnisse über den Kampf gegen Leiden und Schmerzen aus den frühen Hochkulturen in Indien, Chi-na und Südamerika sind mannigfaltig und beeindruckend. Wir denken an die Le-bensgeschichte des historischen Buddha SAKYAMUNI (6. Jh. a. Chr.). Der Über-lieferung nach war es gerade der Anblick eines Kranken, der dem jungen Prinzen das Problem der Leiderfahrung der menschlichen Existenz vor Augen stellte und ihn zu seiner geistigen Suche veranlasste. Der zentrale Punkt der buddhistischen Heilslehre ist der Prozess der Gesundung des Menschen als eines ganzheitlichen - Seele und Leib umfassenden - Geschehens. Reichhaltig sind die vorgeschlagenen geistig-meditativen Heilsweisen ebenso wie aktive medizinische und chirurgische Hilfen. Zahlreich auch die Hospitäler und Ambulanzen für Menschen und Tiere, die besonders unter dem buddhistischen Kaiser ASO KA (304 - 232 a. Chr.) im asiatischen Raum errichtet wurden.

Im alten Indien entwickelte sich die Ayurveda-Medizin als Teil eines umfassenden religiösen Systems. Die Neuauflagen alter ayurveda-medizinischer Handbücher in Indien zeigen die zunehmende Bedeutung der Ayurveda-Medizin als ganzheit-lichem Heilsystem gerade auch im Rahmen der so genannten alternativen Heil-kunde.

5

Dem Andenken von

Dr. Ursula Schmitz (1952 - 2009)

Missionsärztin in Pakistan 1988 - 2009

Page 4: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

I. Medizin und Kultur

Wir denken an die traditionelle chinesische Medizin, mit der auch heute noch mehr als ein Drittel der Bevölkerung Chinas behandelt wird. Physiologie, Patho-physiologie, Diagnose und Therapie stellen ein eigenes, von der westlichen Medizin völlig unab-hängiges System dar. Die einzelnen Teilbereiche dieses chinesischen Heilsystems sind untereinander folgerichtig miteinander verbunden. Gesundheit im taoistisch-chine-sischen Sinne bedeutet ein harmonisches Gleichgewicht aller Kräfte und Beziehungen; ein Ungleichgewicht führt zu Krankheit.

Auch bei uns in Deutschland gewinnt die traditionelle chinesische Medizin an Be-deutung. Hingewiesen sei auf die Akupunktur, die besonders im Zusammenhang mit chronischen Schmerzzuständen aller Art - aber auch für andere Bereiche – sich einen festen Platz im therapeutischen Konzept westlich geschulter Mediziner erobert hat. In jüngster Zeit wurde in Deutschland die erste Klinik eröffnet, in der die traditionelle chinesische Medizin angewendet wird.

Traditionelle Heilungskonzepte

Die Sorgen um Kranke und Verwundete, um die leiblichen Nöte und Bedürfnisse der Menschen gab und gibt es in allen Kulturen und Religionen, wobei auf unter-schiedliche Weisen auf die Leiden und Krankheiten eingegangen wird. Viele dieser alten Heilungskonzepte nehmen als Ursache für eine Krankheit nicht eine bloße kör-perliche Störung des Organismus an. Vielmehr werden auch übernatürliche Mäch-te, Dämonen, Ahnen, aber auch das soziale Umfeld, gestörte zwischenmenschliche Beziehungen und auch unheilsames Tun für die Entstehung mancher Erkrankungen verantwortlich gemacht. So interessieren sich zum Beispiel Heilkundige von Naturre-ligionen bei ihrer Diagnosestellung weniger für irgendwelche sichtbaren krankhaften Veränderungen des Organismus, sondern wichtiger ist das Verhalten oder Fehlverhal-ten des Kranken gegenüber Naturgeistern, Göttern, Dämonen und auch der Sippe und dem Stamm. In Ostafrika kommt zum Beispiel in den ländlichen Regionen noch heute auf fünfzehn bis zwanzig Haushalte ein traditioneller Heilkundiger (= Mganga), der bevorzugt bei allen möglichen Erkrankungen in Anspruch genommen wird. Zunächst ist es seine Aufgabe, die Ursachen der Krankheit zu erforschen. Dabei bedient er sich oft eines in Trance geratenen „Mediums“, um den Willen der Ahnen und Geister zu erfahren. Auch wendet er seine naturheilkundlichen Erfahrungen und Kenntnisse an. In den therapeutischen Systemen spielen bestimmte Kräuter, Wurzeln, Insekten, Mineralien und auch psychologische Aspekte eine große Rolle. Der Kranke wird als Mensch in seinem sozialen Umfeld behandelt. Der Heilkundige ist Priester, Psychiater und Arzt der traditionellen Gesellschaft.

Sprache ist im weitesten Sinne sowohl das Produkt als auch der Ausdruck einer Kul-tur (MAX-NEEF). In der Zulu-Sprache gibt es den Begriff Ukuzilungisa, was soviel

wie Gesundheit bedeutet. Allerdings umfasst dieses Wort viel mehr als unser Wort Gesundheit. Ukuzilungisa bedeutet, dass ein Mensch und ein Volk in Harmonie mit seiner Umwelt lebt. Der Mensch ist nur dann gesund, wenn nicht nur der Körper regelrecht funktioniert, sondern auch der menschliche Lebensraum und die sozialen Kontakte und Verbindungen in Ordnung sind.

Gesundheit und Wohlbefinden werden als harmonisches Gleichgewicht zwischen In-dividualismus, Gesellschaft und Umwelt beschrieben. Krankheit ist nicht einfach ein Defekt der „Maschine Mensch“, sondern eine Störung des umfassenden „Ukuzilungisa-Gleichgewichts“. Ähnliches ließe sich aus anderen Ethnien und Sprachen berichten.

Die Ursachen dieser Beziehungsstörungen gilt es herauszufinden und zu benennen und dann durch besondere Rituale und spezifische Heilmaßnah-men zu beseitigen. Dabei beschränken sich die Heilungsangebote nicht nur auf den Körper des Menschen, sondern sie regeln darüber hinaus das Verhältnis des Kranken zu übernatürlichen Mächten und Gottheiten, aber auch das soziale Gefüge von Familie und Sippe.

Die Heilungsangebote sind immer auch umfas-sende Heilsangebote, und der Heilkundige ist immer auch eine Art Heilsvermittler. Die Hei-lungs- und Heilsangebote treffen den ganzen Menschen in seiner seelisch-körperlichen-geisti-gen Einheit, und zwar nicht nur als ein isoliertes Individuum, sondern als Glied eines Sozial- und Gemeinwesens. Krankheit und Heilung weisen gleichermaßen einen persönlichen und einen ge-meinschaftlichen Charakter auf. Die Heils- und Heilungsmaßnahmen sollen zu einer Harmoni-sierung des Menschen mit sich und der Umge-bung führen.

Die Inhalte der Heilsysteme sind in den einzelnen Kulturen unterschiedlich, wie be-sonders ERWIN ACKERKNECHT nachgewiesen hat. Sie entsprechen dem jewei-ligen Weltbild, den Vorstellungen von Kosmos und Mikrokosmos. Gesundheit und Krankheit unterliegen kulturspezifischen Grundlagenvorstellungen. Abenteuerlich anmutende Spekulationen sind verbunden mit erstaunlichen medizinischen Beob-achtungen und Erfahrungen.

6 7

Heilungskonzepte

Abb. 1: Afrikanischer Heiler

Page 5: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

I. Medizin und Kultur

Westliche Heilungskonzepte

Einer kulturbedingten Auffassung von Krankheit und Gesundheit ganz anderer Art wie der oben kurz skizzierten begegnen wir in unserem westlichen, naturwissenschaftlich ausgerichteten Gesundheitssystem. Wie wir oben schon gesehen haben, drückt sich die Vorstellung von Krankheit und Gesundheit in dem Gebrauch unserer Sprache aus. Denn unsere Sprache spiegelt unser Bewusstsein wider, und unser Bewusstsein prägt unsere Sprache. Fast täglich kommen zum Beispiel Patienten in einer allgemeinmedi-zinischen Praxis in Deutschland zu ihrem „check up“, oder es heißt: „Herr Doktor, ich möchte mich durchchecken lassen“, oder es erfolgt „die jährliche medizinische TÜV-Abnahme“, wie man formuliert. Eine der größten Krankenkassen Deutschlands wirbt bei ihren Mitgliedern für einen „Gesundheits-Check up“ mit dem direkten Vergleich: „Für Autofahrer ist die regelmäßige Inspektion ihres Fahrzeugs zur selbstverständli-chen Routine geworden. Mit unserem Angebot, Gesundheits-check-up bekommen Sie die Chance, sich auf ,Herz und Nieren‘ untersuchen zu lassen.“

Unsere Worte entlarven mehr, als wir wissen und wahrhaben wollen, nämlich genau die technisierte, entpersonalisierte und materialistische Sicht und Einstellungsweise unseres Lebens. Patienten und Ärzte sprechen von Gesundheit, wenn einzelne medizi-nisch-technische Parameter in Ordnung, im „Normalbereich“ sind. Der Mensch wird so zur Maschine, die funktionieren muß, der Arzt zum Reparateur und Mechaniker, der die Schäden ausbessert. Das Bild des Arztes wird degradiert zum bloßen Befund-verwalter, der seine medizinische Apparatur virtuos beherrscht, der aber nicht mehr in der Lage ist, dem Menschen in seiner Einheit von Leib, Seele, Geist und sozialem Wesen zu begegnen. Erst langsam scheinen wir in unserem westlichen Gesundheits-system zu erkennen, dass unsere bisherige Begrifflichkeit von Gesundheit und Krank-heit unsere gesamte Wirklichkeit nicht ganz erschließt.

Transfer und Konflikt

Treffen zwei so unterschiedliche Heil- und Wertsysteme, wie wir sie zuvor gegenüber-gestellt haben, aufeinander, bleiben Konflikte nicht aus. P. UNSCHULD hat auf die konzeptionellen und strukturellen Differenzen und Probleme hingewiesen, die sich beim Transfer westlich medizinischer Gesundheitsvorstellungen und Heilsysteme auf andere Kulturen ergeben.

Welche praktischen Auswirkungen die medizinische Transfersituation für die Men-schen haben kann, berichtet PAUL-GERHARD KALTHOFF, der viele Jahre als Lepro-loge in einem Leprakontrollprogramm in Nepal gearbeitet hat. Schwerkranke Nepalis, die tagelang auf schwierigen und langen Gebirgspfaden zum Hospital westlicher Prä-gung unterwegs waren, blieben sterbend vor den Toren des Krankenhauses liegen. Sie

8 9

hatten Angst vor dem Weg in das andere, ihnen unbekannte und fremde medizinische System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon-fliktsituation gestellt. Auf der einen Seite hatten sie das Versagen der traditionellen Stammes- und Volksmedizin erfahren, auf der anderen Seite standen sie der west-lichen Schulmedizin zwar erwartungsvoll, aber doch hilflos gegenüber. Selbst unter dem Leidensdruck des nahen Todes vermochten sie keine Entscheidung zu treffen. Sie lösten den Kon-flikt im schicksalsergebenen Erleiden und Erdulden von Krankheit und Tod, so wie sie es eben von ihrer Kultur her zu tun gewohnt waren. Die Schwellen-ängste vor der ihnen unbekannten Kultur waren größer als die Angst vor dem Tod. Mittlerweile hat sich in den Entwicklungsländern neben den tradi-tionellen, religiös bedingten und geprägten Heil-systemen die westliche Schulmedizin als Erbe der Kolonialmedizin und der missionsärztlichen Arbeit des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts etabliert und die Gesundheitspolitik entscheidend beeinflusst und verändert. Wider Erwarten konnte die westliche Medizin jedoch die traditionelle Heil-kunde nicht verdrängen, geschweige denn ablösen. Es zeigte sich, dass die Menschen den traditionellen Heilmethoden und Heilsystemen ihrer eigenen Re-ligion und Kultur viel näher standen und stehen und ihr mehr Vertrauen schenken als der aus Europa und Amerika eingeführten Me-dizin. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nahmen Mitte der siebziger Jahre achtzig Prozent der Bevölkerung Afrikas traditionelle Heilsysteme in Anspruch.

IMPERATO unterscheidet Spezialisten für natürliche und für übernatürlich verurs-achte Krankheiten. Zu der ersten Gruppierung zählt er Herbalisten, traditionelle Heb-ammen, Knochenrichter; zur zweiten: Divinatoren, Orakelsteller, Geistheiler, Gegen-zauberer. Daneben gibt es noch die Gruppe der islamischen Heiler und die moderne westliche Schulmedizin.

Beide medizinischen Systeme, die westlich orientierte Schulmedizin und die traditio-nelle, in die jeweilige Kultur eingebettete Heilkunde, bleiben nebeneinander bestehen und werden je nach Bedarf beide von der Bevölkerung in Anspruch genommen. Für die akuten Erkrankungen bevorzugt man die westliche Medizin, den einheimischen traditionellen Heiler sucht man dagegen bei chronisch verlaufenden Krankheiten auf. Dabei machen sich der westlich geschulte und orientierte Arzt und die Kranken-schwester zu wenig bewusst, wie sehr ihr Handeln die jeweilige einheimische Kultur

Konflikt und Kritik

Abb. 2: Anatomische Tafel in Sanskrit, Ayurveda-Heilkunde

Page 6: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

I. Medizin und Kultur

heute Extrakte aus Blättern der Uruti-Pflanze als Wehenbeschleuniger benutzt. Der Erfolg ist dem Syntocin der westlichen Medizin vergleichbar. Die Masai behandeln wirkungsvoll den raschen Gewichtsverlust von konsumierenden Erkrankungen, zum Beispiel Krebs, mit Extrakten aus der Knolle der Ngilingai-Pflanze. Andere äußerst wirksame Mittel aus der traditionellen Medizin werden bei hohem Blutdruck oder auch bei bakteriellen Infektionen angewendet. Das Institut für traditionelle Medizin an der Universität Daressalam hat eine naturheilkundliche Substanz analysiert, die wie ein Antibiotikum wirkt. Dies sind nur einige wenige Beispiele aus dem reichen Schatz der afrikanischen traditionellen Heilkunde. Gerade in unseren Tagen beginnt sich die Pharmaindustrie, die mit neuen Entwicklungen zunehmend an ihre Grenzen stößt, für die Bergung der naturheilkundlichen Schätze auf allen Kontinenten zu interessie-ren.* Die medizinhistorischen Kenntnisse der Heilkunde in Asien, Südamerika und vor allem in Afrika sind zwar nur sehr bruchstückhaft, doch soviel kann gesagt wer-den: Erst der Beginn der Kolonialepoche, die Erschließung ganzer Länder und ihre Inbesitznahme durch die Europäer brachte besonders in Afrika große Krankheitsnot über die Menschen, so dass JANZEN die Zeit von 1890 bis 1930 als die „schlimmste Krankheitsära in der großen Geschichte Afrikas“ bezeichnet. Ob die Krankheitsnöte der damaligen Zeit nicht noch von denen unserer Tage übertroffen werden, bleibt ab-zuwarten. Die Schreckensmeldungen über die Zunahme von Malaria, Aids, Bilharzio-se und so weiter zeigen, daß wir uns auf dem besten Wege dorthin befinden.

Kritik

Auf Seiten der Mission war sicher die Angst vor dem Einfluss magischer Mächte - das Verwobensein von erstaunlichen medizinischen Kenntnissen und Erfahrungen mit handfesten okkulten Praktiken - die Triebfeder, die traditionelle Heilkunde als Ganzes abzulehnen und zu verwerfen. Man sah oftmals als selbstverständlich an, dass mit der Bekehrung zum christlichen Glauben auch eine Bekehrung zur westlichen Me-dizin des Missionars verbunden war, wobei übersehen wurde, dass unsere westliche Medizin ebenso wenig christlich ist wie die der traditionellen Heilkunde der Asiaten, Afrikaner und Südamerikaner. Beklagen wir dort magische und okkulte Reflektionen und Vorstellungen, die Einbeziehungen von Ahnen und Gottheiten, so müssen wir hier die zum Götzen erhobenen medizinischen Apparate und Arzneien erkennen, die einen wesentlichen Teil unseres Gesundheitssystems ausmachen. Oft genug wird so afrikanischer medizinischer Götzendienst durch einen neuheidnischen Glauben an die westliche Medizin und an die Allmacht westlicher Missionskrankenhäuser und Ärzte gefördert und ersetzt. Der „alte Glaube wird lediglich durch neues Wissen er-setzt“ (UNSCHULD), und Missionshospitäler westlicher Prägung werden zum Hoff-nungsträger neuer und vollkommener Gesundheit.

* Vgl. „Größte Apotheke der Welt“. Der Spiegel, 29/199110 11

Konflikt und Kritik

verändert oder sogar zerstört. Denn wegen der engen Verbindung von einheimischer Heilkunde und Religion greift der Arzt mit seiner naturwissenschaftlichen Medizin direkt in den Bereich des traditionellen Religionsgefüges ein und bringt es aus dem Gleichgewicht. Die Einheimischen trifft dieses Vorgehen in der Regel vollkommen unvorbereitet. LOTHAR KÄSER hat auf die Folgen hingewiesen, die sich dann er-geben, wenn wissenschaftliche Medizin ohne Rücksicht auf den Zusammenhang zwischen Heilkunde und Religion angewendet wird. Man nimmt, so KÄSER, einer Kultur früher oder später eine ihrer tragenden Säulen. Das Verhältnis zwischen tra-ditioneller Heilkunde auf der einen Seite, westlicher Kolonial- und Missions-Medizin auf der anderen Seite ist historisch gesehen immer problematisch und schwierig gewe-sen. Der Fortschrittsglaube und der wissenschaftliche Optimismus des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts gingen Hand in Hand mit einer Ablehnung und Be-

kämpfung der nicht-naturwissenschaftlich begründeten Medizin, wie man sie auf dem Missionsfeld vorfand. So begnügten sich Ärzte und Krankenschwestern oftmals damit, im Namen der Mission die Bemühungen der ein-heimischen Heilkonzepte und Krankheitsvorstellungen vorschnell als rückständig, schädlich und okkult belastet gänzlich abzulehnen und zu bekämpfen.

Nach R. E. DODGE, der als Missionar in Südwestafri-ka (heute: Namibia) tätig war, führte dieses Verhalten schließlich zu einer fast völligen Ausrottung der afrika-nischen Naturheilkunde. „Es ist tragisch“, so formulierte er schon 1965, „daß ihr Wissen [der Herbalisten] weit-gehend mißachtet oder vergessen wurde.“ Man habe versäumt, die großen Schätze der naturheilkundlichen Erfahrungen zu erforschen.

Durch den anfänglichen Siegeszug der westlichen Medizin, durch die Vorstellung, die Gesundheitsprobleme in unserer Welt seien allein mit den Methoden des wissen-schaftlichen Fortschrittes in den Griff zu bekommen, wurde der Blick auf einige we-sentliche Punkte verstellt; es wurden die Erfolge der nichtabendländischen Heilkunde übersehen. Denn schließlich hatte die traditionelle Medizin und Hygiene jahrhunder-telang ganzen Stämmen und Volksgruppen zu einer gewissen Stabilität verholfen und das Überleben gesichert, zu einer Zeit, als verheerende Seuchenzüge ganze Landstri-che Europas zu entvölkern drohten.

So kannte man zum Beispiel in Afrika auch schon vor der Ankunft der Europäer die Pockenimpfung. Die sich in einer Pockenpustel sammelnde Flüssigkeit wurde ge-sunden Männern und Frauen in einem kleinen Schnitt am Oberarm, an der Nasen-wurzel oder auch am Handgelenk eingerieben. In Kenia und Tansania werden noch

Abb. 3: Trad. Chinesische Heil-kunde Akupunktur-Tafel

Page 7: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

I. Medizin und Kultur

12

Der Glaube an die moderne Medizin, an die medizinische Machbarkeit weicht gerade in unseren Tagen der zunehmenden Ernüchterung: Nicht alles, was machbar ist, ist finanzierbar; nicht alles, was möglich ist, ist auch gut und heilsam für uns. Trotz aller Bemühungen und Erfolge sind wir an ethische, finanzielle und technische Grenzen ge-stoßen. Wir beginnen, uns damit vertraut zu machen, auch im nichtchristlichen und säkularen Bereich, dass Krankheit und Leiden sehr wohl Bestandteil unserer mensch-lichen Existenz sind. Gesundheit und Krankheit sind nicht allein abhängig von na-turwissenschaftlich fassbaren Kriterien und Meßgrößen, sondern vielmehr Folge von Verhaltensnormen, von überlieferten oder neuerworbenen Lebensstilen, die nur im Kontext der jeweiligen Kultur zu verstehen, zu deuten und zu beeinflussen sind. Das so genannte „moderne“ naturwissenschaftliche Weltbild und seine Medizin ist e i n e Sichtweise, die vielleicht im Rahmen der abendländischen Denk- und Erfahrenswelt und unter den Voraussetzungen des Wohlstands eine gewisse Berechtigung haben mag. Problematisch ist der kulturübergreifende Wirkungsanspruch der abendländischen Heilkunde, denn für Menschen in der „Dritten“ Welt „resultieren hieraus oft Schwie-rigkeiten [...]; da sie nicht in der, westlichen’ Gedankenwelt sozialisiert wurden.“ *

Medizin und Islam

Ein Schwerpunkt der christlichen Islammission ist die medizinische Missionsarbeit. In manchen islamischen Ländern erhält man nur als Arzt oder als Krankenschwes-ter eine Arbeitserlaubnis, geistlichen Berufen wird diese verwehrt, so zum Beispiel in Nordafrika, den arabischen Ölstaaten, Nordsudan, Afghanistan. In anderen isla-mischen Staaten wie Ägypten und Pakistan sind die Voraussetzungen für eine offizi-elle medizinische Missionsarbeit günstiger, doch auch hier muss immer wieder mit Einschränkungen gerechnet werden. Ärztliche Mission trifft auch im Islam nicht auf ein medizinisches Vakuum. Es gibt, wie der eingangs erwähnte medizinische Kongress in Teheran zeigt, eine religionsbezogene „islamische Medizin“. Der Islam reguliert das ganze Leben seiner Gläubigen. Alle Lebensbereiche sind von Anweisungen, Regeln, Ge- und Verboten begleitet.

„Der Islam hat für alles, was den Menschen und die Gesellschaft betrifft, Lehren. Diese kommen vom Allmächtigen und sind den Menschen durch seinen Propheten und Boten überliefert. Man ist überrascht von der Größe dieser Gebote, die alle Aspekte des Lebens abdecken, von der Empfängnis bis zur Bestattung. Es gibt nichts, wor-über der Islam nicht sein Urteil gefällt hat“, proklamierte Ajatollah Khomeini*. So sind auch Aussagen und Regulierungen zu Gesundheitsvorsorge und -fürsorge, zu Krankenbehandlungen und zum Ärztestand zu erwarten. Gerade in den islamischen Ländern beobachten wir ein Erstarken der traditionellen Kultur, einschließlich der is-lamischen Medizin. Die Auseinandersetzung mit beiden ist notwendig, damit wir die tiefen menschlichen Vorstellungsschichten und Erlebnisweisen im islamischen Kon-

* SICH / DIESFELD, S.5

text erfassen, verstehen und auszulegen lernen. Hierzu bedarf es umfassender Ana-lysen, Forschungen und Studien. Erst dann können wir die Botschaft von Christus glaubwürdig vermitteln und den Moslems das christliche Verständnis von Heil und Heilung aufschließen und nahe bringen.

Wir sind Botschafter Christi und nicht Abge-sandte irgendeines zweifelhaften medizinisch-technischen Fortschrittes. Das macht uns frei, nach dem zu fragen, was für die Menschen wirklich wichtig und lebensnotwendig ist. Dabei mögen wir vor Überheblichkeit be-wahrt bleiben. Wir setzen oft genug voraus, unsere westliche wissenschaftliche Medizin sei anderen Heilsystemen und Auffassungen überlegen. Dies mag auch auf viele Bereiche zutreffen. Doch dürfen wir die Verwurzelung der Menschen in ihre traditionellen Heilsyste-me nicht unterschätzen. Es gibt die islamische Medizin ebenso wie die Ayurveda-Medizin im hinduistischen Indien und die Heilkunde der Medizinmänner in Afrika. Diese traditio-nellen Heilsysteme gewinnen an Einfluss und Bedeutung. Es ist wohl an der Zeit, dass tra-ditionelle Heilkunde und westliche Medizin voneinander lernen.

Möglicherweise liegt in der Zusammenarbeit eine Möglichkeit, die dringendsten Ge-sundheitsprobleme der ländlichen Bevölkerung in Afrika anzugehen. Gute Erfolge gibt es zum Beispiel, indem man traditionelle Hebammen mit Grundbegriffen der Hygiene vertraut macht und sie dann im öffentlichen Gesundheitsdienst einsetzt. Die Mütter- und Kindersterblichkeit ließe sich dadurch vielerorts beträchtlich senken.Der westlich ausgebildete christliche Arzt kann anderen Heilsystemen gelassen und ohne Vorurteile begegnen. Das Gute und Nutzbringende darf er getrost übernehmen: „Alles prüfet, das Gute behaltet“ (l. Thess 5,21) in dem Wissen: „Alles ist euer, ihr aber seid Christi“ (l. Kor 3,22f). Darauf kommt es entscheidend an.

* Khomeini, S.19 13

Auseinandersetzung und Begegnung

Abb. 4: Ausreitender Buddha, der einem Leichnam, einem Fieberkranken, einem Greis und einem Mönch begegnet.

Page 8: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds

Die Periode, mit der wir uns in diesem geschichtlichen Abschnitt über die Medizin im Islam zu beschäftigen haben, ist die Zeit von 500 bis 1400 nach Christi Geburt. Bei die-ser Darstellung von neunhundert Jahren Medizingeschichte des islamisch-arabischen Kulturraums kann es sich nur um eine grobe Einführung handeln.In diesen Jahrhunderten befand sich das christliche Abendland kulturell gesehen auf keinem hohen Entwicklungsstand. Besonders auf den Gebieten der Naturwissen-schaften, der Philosophie, der Malerei, der Musik und der Architektur glänzte es kaum durch eigene Entwicklungen und Entdeckungen. Das kontinentale Europa jener Zeit war nach den Worten von LlCHTENTHAELER ein „Entwicklungsland“, das den Zu-gang zu den geistigen Quellen Griechenlands und Roms entweder nie besessen hat oder dort, wo er wirklich bestand, verloren hat. In der medizinischen Wissenschaft befand sich manches im Argen. Die Heilkunst lag in den Händen der Mönche, die in ihren Klöstern, dem christlichen Liebesgebot fol-gend, Kranke betreuten. Diese Mönchs-Ärzte hatten sich ihr medizinisches Wissen aus Büchern erarbeitet und praktizierten oft gegen den Willen ihrer Kirche (Ecdesia abhorret a sanguine, Die Kirche verabscheut Blut hinter ihren Klostermauern). Im eigenen Kräutergarten wurden Heilkräuter angepflanzt und zur Therapie verwendet. Während die Zivilisation in Westeuropa sich wenig weiterentwickelte, erreichten die Wissenschaften und besonders die Heilkünste im islamischen Orient eine vorher kaum gekannte Größe.

Die Religion des Islam, ein Überblick

Islam heißt Ergebung, Unterwerfung, Hingabe (an Allah). Der Mensch, der sich dem Willen Allahs unterwirft, ist Muslim. Charakteristisch für die Glaubenshaltung des Muslims ist seine völlige Ergebenheit und Ohnmacht dem unnahbaren und allumfas-senden und allmächtigen Willen Allahs gegenüber. Nur in tiefster Ergebung wagt der gläubige Muslim, Allah gegenüberzutreten. Diese Ergebenheit kommt deutlich in der Gebetshaltung des Muslims zum Ausdruck: Der Gläubige wirft sich wie ein Sklave vor seinem Herrn zu Boden.Seinem Selbstverständnis nach ist der Islam eine geoffenbarte Religion und gründet sich nicht auf einen Religionsstifter. MOHAMMED (* um 570 in Mekka; + 632 in Medina) gilt als der Prophet Allahs. Der Muslim beruft sich auf den Koran, das heili-ge Buch. Er wird als die irdische Ausgabe des himmlischen Urbuchs angesehen. Der Islam bekennt sich zum Monotheismus. Die christliche Lehre der Dreieinigkeit wird als Polytheismus entschieden abgelehnt und bekämpft. Das Christenzeugnis wird ge-leugnet (Sure 9,20).

Religion des IslamsII. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds

Die wichtigsten Stücke der kultischen Pflichten sind die so genannten Fünf Säulen des Islams.Das Glaubensbekenntnis, die shahada, ist der erste Pfeiler: „Ich bezeuge, dass es kei-nen Gott außer Allah gibt, und ich bezeuge, dass Mohammed der Gesandte Gottes ist.“ Dieser kurze und einfache Satz ist auch die Übertrittsformel zum Islam. Die weiteren Säulen sind das tägliche fünfmalige Pflichtgebet zu bestimmten Tageszeiten (salat), die Almosensteuer (zakat), das Fasten (saum) im Monat Ramadan und die Wallfahrt (hadj) nach Mekka.

Im Jahre 622 siedelte MOHAMMED nach Medina über; die Übersiedlung ist der Be-ginn der islamischen Zeitrechnung. 630 besetzten seine Truppen Mekka; er starb 630 in Medina. MOHAMMED`S Nachfolger besetzten Syrien, Persien, Nordafrika und Spanien, fast den gesamten arabischen Kulturraum. Diese Zeit der Eroberung (bis etwa 800) be-zeichnet man in der Geschichte des Islams als die heroische oder kämpferische Phase.Es folgte die Blütezeit, das goldene Zeitalter (800 - 1000). Drei Kalifate teilten sich die Macht in dem gewaltigen islamischen Reich: die Dynastie der Omayaden in Spanien/Cordoba (756 - 1031), die Abbasiden in Persien/Bagdad (750 - 1258) und die Fatimiden in Ägypten/Kairo (909 - 1171). Alle drei Kalifate waren Zentren des geistigen und kulturellen Lebens der damaligen Welt, in denen Bildung und Wissenschaft gefördert wurden.Im 13. Jahrhundert signalisierte der Mongoleneinfall in Bagdad den politischen und kulturellen Verfall des islamischen Großreiches. Die arabischen Staaten versanken in Tiefschlaf und wurden für die Weltgeschichte bedeutungslos. Erst im neunzehnten Jahrhundert nach Christus kam es zu einem Erwachen der arabischen Welt.

Die wissenschaftliche Medizin im Islam

Die verstreuten Beduinenstämme in den Wüstengebieten der arabischen Halbinsel vorislamischer Zeit praktizierten eine Volksmedizin. Einen ausgebildeten Ärztestand oder eine Zunft der Heilkundigen gab es nicht. Ebenso wenig kannte man ein wissen-schaftliches medizinisches System. Es waren besonders die Frauen, die Kranke und Verletzte mit ihrem von den Müttern und Schwiegermüttern vermittelten Wissen pflegten und behandelten. Magische Praktiken waren üblich, auch das Besprechen von Krankheiten.MOHAMMED war diese Volksmedizin geläufig, ja er wandte sie auch an. Das erfah-ren wir aus den sogenannten Hadithen (Überlieferungen). Diese Überlieferungen sind echte und erfundene Aussprüche und Handlungen des Propheten zu den unterschied-lichsten Lebensbereichen. Sie dienten und dienen dem Moslem als Orientierungshilfe neben dem Koran. Auch über Krankheit, Medizin und Heilung äußerte sich MOHAMMED. So finden

14 15

Page 9: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

sich in den Hadithen Anweisungen zu einer gesunden Lebensführung, Therapieemp-fehlungen und anderes. Diese Richtlinien und Empfehlungen basieren auf den da-maligen Praktiken und Kenntnissen der altarabischen Volksmedizin und gehen über diese nicht hinaus.

Wie wir noch sehen werden (S. 24), spielen die medizinischen Hadithe von MOHAM-MED in der so genannten Prophetenmedizin eine große Rolle. Der Islam breitete sich aus. Die Truppen MOHAMMEDS standen 630 vor den Toren Mekkas. Im Todesjahr des Propheten war fast die gesamte arabische Halbinsel erobert. Wie ein entfesselter Sturm brach die neue Religion aus der Wüste über die damaligen Länder hinweg. Bald waren Syrien und Persien erobert. Die Heere drangen nach Osten vor, über Afgha-nistan bis tief hinein nach Indien; im Westen erreichen sie Marokko. 711 überquerten sie Gibraltar und betraten in Spanien das christliche Abendland.In den eroberten Gebieten trafen die Araber, die bisher mehr am Rande der Zivili-sation lebten, auf die Kulturgüter der antiken Welt des Mittelmeerraums. Der klas-sischen griechischen Bildung hatte der Islam nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Und auch auf dem Gebiet der Medizin trafen zwei Welten aufeinander: auf der einen Seite die arabische primitive Volksmedizin, auf der anderen Seite wissenschaftlich ausgebildete Ärzte, meist syrische und ägyptische Christen, die der hoch stehenden griechischen Heilkunde verpflichtet waren. In großer Aufgeschlossenheit und in tiefer Ehrfurcht vor den Gedanken des antiken Griechentums bemächtigten sich die Araber der für sie neuen und hoch stehenden Kultur, indem sie die antiken Texte übersetzten beziehungsweise übersetzen ließen. Besonders taten sich so als Vermittler des grie-chischen Wissens an die Araber nestorianische Christen (Ostsyrer), aber auch Juden hervor. (Hingewiesen werden muss auch darauf, dass im Laufe der Jahrhunderte stän-dig Christen im Orient zum Islam übertraten und dadurch eine arabischsprachige Mischbevölkerung entstand. Der völkische Anteil der Araber an der Bevölkerung des Orients ist relativ klein, und viele Gelehrte, die die Araber für sich beanspruchen, sind eigentlich Konvertiten.)

In Damaskus, Bagdad und Antiochia entstanden Übersetzungszentren und Schulen, die nur damit beschäftigt waren, die antiken Werke ins Arabische zu übersetzen. Arabisch entwickelte sich zur Gelehrtensprache. Mittelpunkt dieser Übersetzungs-schulen und Zentren der geistigen Auseinandersetzung waren die Schulen der Nes-torianer von Edessa, Nisibis, Selenkia und Gondishapur. Schon in vorislamischer Zeit übersetzten sie hier griechische Texte ins Syrische. Nach der Eroberung durch den Is-lam erfolgte zum Teil die Übertragung vom Syrischen ins Arabische. Die griechischen Originaltexte gingen bald verloren. (Wir haben heute die Texte griechischer Literatur weitgehend aus dem Arabischen). Die persische Stadt Gondishapur muß besonders erwähnt werden. Unter den Nestorianern war hier eine medizinische Hochschule ent-standen, die die Verbindung von Praxis und Theorie pflegte. Der klinische Unterricht und die theoretische Ausbildung an diesem Krankenhaus wurden zum Vorbild für

II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds

die islamischen Krankenhäuser. Die Abbasidenkalifen bezogen von Gondishapur ihre Leibärzte.Vorwiegend diese Kalifen waren es auch, die die Übersetzungsarbeit syrischer Chris-ten förderten. Namentlich muss die Übersetzungsschule des Nestorianers HUNAIN IBN ISHAQ genannt werden (809 - 873), der Hunderte von medizinischen Schriften übertragen hat. So lernten die Muslime die Schriften GALENs, die gesamte hippokra-tische Literatur, die Schriften des RUFUS VON EPHESOS, die Chirurgie des ANTYLLOS und die Pathologie des PHILAGRIOS kennen. Bis 900 ist die wesentliche Übersetzungsarbeit abgeschlossen.Diese erste Phase der islamischen Medizin hat CHEHADE das „Übersetzungsfieber“ genannt. Es war die Zeit der Rezeption und der Assimilation, besonders des Griechen-tums und der griechischen Heilkunde ins Arabische.

Die Blütezeit der arabischen Medizin

Ihre Blüte erreichte die arabische Medizin bis etwa 1150 nach Christi Geburt. Die Sprache der Wissenschaft war das Arabische. Aber die großen Ärzte dieser Epoche waren nicht Araber, sondern Perser, oder sie kamen aus Ägypten, Syrien oder Spanien. Die Zeit der Übersetzung war vorüber. Alle Werke von HIPPOKRATES, von GA-LEN und die der byzantinischen Medizin lagen in arabischer Sprache vor. Man kannte HIPPOKRATES und GALEN in- und auswendig. Es war die Zeit der Verarbeitung, des kritischen Sichtens, des Annehmens und Abwehrens, des eigenen schöpferischen Forschens und Beobachtens. Es erscheinen wichtige medizinische Originalwerke, so das Firdaws al-Hikmah (Paradies der Weisheit) des AL IBN SAHL AL-TABARI (833 - 923), welches neben griechischen auch indische Quellen berücksichtigt.

Rhazes

Bedeutsamer als AL-TABARI war AL-RAZI (865 - 925; latinisiert RHAZES), der als einer der größten und ei-gen-ständigsten islamischen Ärzte gilt. RHAZES war Alchimist, Philosoph und Arzt. Seine Schriften fan-den in lateinischer Sprache im Europa des Mittelal-ters weite Verbreitung und hohes Ansehen. Studenten und Ärzte drängten in seine Vorlesungen. Wegen sei-ner Gelehrsamkeit und seines umfangreichen medizi-nischen Wissens wurde er verehrt.Der Ruhm RHAZES‘ gründete sich auf seine geniale Beobachtungsgabe und Beschreibungen von Krank-heitsbildern.

Wissenschaftliche Medizin

Abb 5: Rhazes (865-925)

16 17

Page 10: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds

Berühmt wurden seine Abhandlungen über die Pocken und Masern. Ihm gelang eine Zusammenfassung des gesamten medizinischen Wissens seiner Zeit. Seine Exzerpten-sammlung wurde das Standardwerk der lateinischen Medizin des Mittelalters (Con-tinenz des RHAZES).

Avicenna

Den größten Einfluß auf die arabisch-islamische Medizin hatte AVICENNA (ABU ALI AL-HUSAIN IBN SINA; 980 - 1038), der als Sohn eines Beamten in Balkh in der Nähe von Buchara (im nördlichen Teil des heutigen Afghanistan) geboren wurde. Im Alter von zehn Jahren beherrschte er den Koran auswendig, studierte als Kna-be ARISTOTELES, widmete sich der Philosophie, der Mathematik, Geometrie und Astronomie, der Musik und der Jurisprudenz, ehe er im Alter von sechzehn Jahren das Studium der Heilkunde begann. Insbesondere galt sein Interesse der Anatomie, Physiologie, Chirurgie und der Krankheitslehre. – Er soll die gesamte damalige Wis-senschaft überblickt haben.

Mit einundzwanzig Jahren schrieb er seine erste wis-senschaftliche Enzyklopädie. Das Hauptwerk der über hundert von ihm verfassten Bücher war der Al-Quanun (Kanon) oder canon medicinae, eine Kanonisierung der Medizin - ein Werk, das jahrhundertelang vielen Ärzten und Medizinstudenten als Grundlage diente. Es war der Höhepunkt der scholastischen Medizin und gleichsam die Pflichtlektüre aller Mediziner. Nach der Erfindung des Buchdrucks war es nächst der Bibel das am häufigs-ten gedruckte Buch; es erlebte dreizehn Auflagen; die letzte lateinische Gesamtausgabe erschien 1688. Bis in die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts beruhten die Lehrpläne christlicher Universitäten, selbst im britischen Inselreich, auf den Schriften AVICENNAs. Sein Name übertraf den der alten griechischen Urväter der Medizin, HlPPOKRATES und GALEN: Eine mittelalterliche Darstellung zeigt AVICENNA auf einem Thron sitzend, mit einem Lorbeerkranz geschmückt. Links und rechts von ihm erkennt man GALEN und HlPPOKRATES, doch als Held und Fürst übertrifft er sie beide.

Im Mittelalter waren Avicenna und Medizin gleichbedeutend. Neben seiner gedank-lichen Schärfe und Logik, dem umfangreichen Wissen und seinem medizinischen Weitblick trug er durch eigene Beobachtungen und Erfahrungen wesentlich zu ei-ner Weiterentwicklung der Medizin bei. So beschrieb er als erster die Anatomie der menschlichen Augenmuskeln richtig, erklärte das System der Herzkammern und

Herzklappen, beschäftigte sich mit Krankheiten wie Windpocken und Masern. Auch entwickelte er neue Methoden der Diagnostik. So wird zum Beispiel die Methode der Perkussion (Beklopfen einer Körperwand zur Identifizierung innerer Organstruktu-ren) auf ihn zurückgeführt, lange bevor sie von LEOPOLD AUENBRUGGER (1722 - 1809) wiederentdeckt wurde. Befasst sich AVICENNAs Al-Quanun mit der Heilung im körperlichen Bereich, so behandelt sein zweites enzyklopädisches Werk, das Kitab al-Schita, die Heilung der Seele. In ihm wird beschrieben, wie der Mensch stark und edel werden kann.AVICENNA unterscheidet eine theoretische Medizin von einer praktischen. Die prak-tische Medizin wird nochmals unterteilt in eine vorbeugende und eine heilende.

Die medizinischen Leistungen

Der oben erwähnte RHAZES beschrieb als erster zwei neue Krankheitsbilder, die Ma-sern und die Pocken. Augenkrankheiten waren wegen der mangelhaften Hygiene weit verbreitet. So war gerade das Gebiet der Ophthalmologie der Bereich, auf dem man neue physiologische, diagnostische und therapeutische Erkenntnisse erlangte. Wieder war es RHAZES, der als erster die Lichtreaktion der Pupille beobachtete, und IBN AL-HAITAN erfasste das Sehen als einen mit der Lichtbrechung zusammenhängenden Vorgang. Er begründete damit die physiologische Optik. - Im Jahre 1000 wurde bei der Staroperation erstmals die getrübte Linse herausgezogen, ein revolutionärer Fortschritt gegenüber dem Starstich, bei dem die trübe Masse nur nach hinten gedrückt wird. Auch die Pharmakologie erlebte ihren Aufschwung. Kampfer und Mutterkorn sind ara-bische Heilmittel. Es wurden Verfahren der Destillation, Sublimation und Kristallisa-tion entwickelt. Das Gummi Arabicum hat aus dieser Zeit seinen Namen. Die Geisteskranken werden in besonderen Abteilungen der Krankenhäuser gut versorgt; sie wurden nicht mehr als Verbrecher einge-stuft. Es gab sogar Ansätze von psychotherapeutischen Maßnahmen. Die psychisch Kranken versuchte man durch Tanz, Musik und Theater abzulenken.

Wissenschaftliche Medizin

18 19

Abb 7: Besuch des Arztes am Krankenbett, Avicenna canon medicinae. bpk / Scala

Abb 6: Avicenna als Princeps Abinsceni mit Krone und Zepter.

Page 11: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds

Allein die Chirurgie war und blieb rückständig. Das Schneiden, Bandagieren, Ader-lassen und Schröpfen wurde von nicht ausgebildeten Heilern aus dem Volk, von Laien und Bruchschneidern ausgeübt. Das einzige chirurgische Werk stammt von dem Arzt ABULKASIM, ein Werk, das nach 1300 in Europa mehr gelesen wurde als bei den Arabern. Die am meisten geübte chirurgische Tätigkeit der wissenschaftlich ausgebil-deten Ärzte war das Kauterisieren (= Brennen) sowohl für innere als auch für äußere Erkrankungen. Man führte eine Narkose durch, indem man einen mit dem Narkoti-kum getränkten Schwamm über Mund und Nase hielt.

Die Ärzte

Die medizinische Ausbildung geschah in einem Lehrzentrum oder in einem Kran-kenhaus, auch in privaten Räumen der Lehrer. Überall in der Welt des Islams gab es Akademien, Schulen, Bibliotheken als selbständige Einrichtungen oder angegliedert an Moscheen und Krankenhäuser. Am Anfang stand ein grundlegendes Literaturstu-dium. Dann erfolgte die klinische Ausbildung. Nach erfolgreich beendetem Studium erhielt man ein Zertifikat.Die arabischen Ärzte scheuten sich, in die Intimsphäre der Frau einzudringen. Die Hauptarbeit der Gynäkologie und der geburtshilflichen Praxis geschah deshalb durch Hebammen.

Das Krankenhauswesen

Vorbildlich war die Entwicklung des Krankenhauswesens im Islam dieser Zeit. Es übertraf den Standard der christlichen Hospitäler des Mittelalters bei weitem. Das Vorbild des medizinischen Zentrums der Stadt Gondishapur beschrieb ich bereits (S. 16). Zur wahren Größe ist Gondishapur erst in islamischer Zeit herangewachsen. Bekannte Hospitäler befanden sich auch in Bagdad, Damaskus und Kairo. Der Arzt war nicht Nebenfigur wie in den Krankenhäusern des Mittelalters in Europa, sondern mitverantwortlicher Leiter. Wir hören von Chefärzten. Es fanden regelmäßige Unter-suchungen und Visiten der Patienten statt. In Spezialabteilungen wurden die Geistes-kranken behandelt.Lange bevor im achtzehnten Jahrhundert BOERHAAVE (1668 - 1738) seinen kli-nischen Unterricht in Leyden begann, wurden die Studenten in den Krankenhäusern unterrichtet. In manchen islamischen Hospitälern waren sogar besondere Räume für die Vorlesungen eingerichtet. Den Spitälern waren umfangreiche Apotheken und her-vorragende Bibliotheken angegliedert. Nach den Grundsätzen RHAZES‘ wurde eine ausgiebige Kasuistik für Forschungszwecke betrieben. Die äußere Versorgung muss hervorragend gewesen sein. In Damaskus sollen die Zimmer elegant ausgestattet gewe-sen sein. Es wird überliefert, dass Gesunde sich krank stellten, nur um in den Genuss

20 21

der guten Krankenhausküche zu gelangen. Die Dauer des Krankenhausaufenthaltes war unbegrenzt. Das wohl größte und hervorragendste Hospital war das Mansur-Hospital in Kairo. In separaten Stationen lagen die Patienten mit den verschiedenen Krankheiten. Es gab Säle für Fieberkranke, für Augenleiden, eine besondere Frauen-station, eine Abteilung für Durchfall-Kranke und auch für chirurgische Patienten. Bei der Entlassung erhielt jeder Patient fünf Goldstücke, um seinen Lebensunterhalt bis zum Wiedereintritt in den Arbeitsprozess zu bestreiten.

Der Verfall der Medizin

Ein Ereignis zeigte den langsamen Verfall der islamischen Macht an – die Eroberung Bagdads durch die Mongolen 1258. Der politische und kulturelle Niedergang des islamisch-arabischen Weltreichs führte auch zum Verfall der vormals blühenden islamischen Medizin. Die medizinische Wissenschaft verlor mit den Jahrzehnten und Jahrhunderten ihren Schwung. Den bewährten Werken der Alten fügte man nichts Neues mehr hinzu. Wissenschaft-liche Neugier, Entdeckung und Erobe-rungsdrang standen still. Autoritäten wie AVICENNA werden unverändert immer wieder abgeschrieben. Im Gegenteil, man bemühte sich sogar, die medizinische Wis-senschaft immer handlicher werden zu lassen. Ganze Kapitel und Abschnitte der medi-zinischen Lehre wurden weggelassen. Zwar gab es noch große Namen wie AVERROES aus der Kalifenstadt Cordoba (1126 - 1198), Philosoph, Theologe und Arzt, berühmt geworden durch seine ARlSTOTELES-Kommentare. Auch sein jüdischer Schüler MAIMONIDES (1139 -1204) wurde als Mediziner bekannt und berühmt. Er verfasste Schriften über Diät, Hygiene, Erste Hilfe und übersetzte den Kanon AVICENNAS ins Hebräische. Sein populäres Buch der Verordnungen ist eine Sammlung von Briefen an SALADIN, dessen Leibarzt er war. Auch das Morgengebet des Arztes wird MAIMO-NIDES zugeschrieben, ein Zeugnis einer hohen medizinischen Ethik:

„O Gott, lass meinen Geist immer klar und erleuchtet sein. Lass keinen fremden Gedanken am Krankenbett mich ablenken. Was Ausbildung und Erfahrung gelehrt haben, soll stets im Denken präsent sein und nicht bei der gelassenen Arbeit stören. Denn groß und edel sind die wissenschaftlichen Erwägungen, die der Erhaltung der Gesundheit und des Lebens deiner Geschöpfe dienen.Halte den Gedanken fern, dass ich derjenige bin, der all dieses vollbringt. Gib mir die

Wissenschaftliche Medizin

Abb 8: Averroes (1126 - 1198)

Page 12: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

Kraft, den Willen und die Gelegenheit, mein Wissen immer mehr zu erweitern. Heute entdecke ich Dinge, von denen ich gestern noch nicht geträumt hatte, denn die Kunst ist groß, aber der menschliche Geist strebt unermüdlich weiter.Lass mich im Patienten stets nur den Menschen sehen. In deiner Großmut hast du mich erwählt, über Leben und Tod deiner Geschöpfe zu wachen. Ich bereite mich auf diese Berufung vor. Steh du mir bei in dieser großen Aufgabe, so dass sie gelingen möge. Denn ohne deine Hilfe gelingt dem Menschen auch nicht das kleinste Ding.“

Genannt werden muss auch noch IBN AN-NAFIS (1210 - 1288), in Damaskus geboren, der als erster den Lungen-kreislauf beschrieb. Er stellte fest, dass die Herzscheide-wand undurchlässig ist und widerlegte damit die Theorie GALENs, der behauptete, ein Teil des Blutes gelange von der rechten in die linke Herzkammer. Weiter überlegte IBN AN-NAFIS, dass das Blut aus der rechten Herzkam-mer in die Lunge gelange, dort mit Luft vermischt werde und dann wieder in die linke Kammer geleitet werde. Er beschrieb damit den Lungenkreislauf rund dreihundert Jahre, bevor WLLIAM HARVEY (1578 - 1657) seine Theorie des Blutkreislaufs verfasste.Trotz dieser Höhepunkte kam es zum Stillstand in der islamisch-arabischen Medizin, ja, zum Rückschritt.

Woher rührte dieser langsame und doch unaufhaltsame Verfall der Medizin? Der Ein-druck einer blühenden medizinischen Wissenschaft, die souverän das Feld behauptet, täuscht. Folgende Ereignisse zeigen anschaulich den Konflikt: Da wird berichtet, der Übersetzer und Gelehrte HUNAIN IBN ISHAQ sei vom Volksmob belästigt und ge-prügelt worden. Man hört, der große Gelehrte RHAZES sei in seinen letzten Lebens-jahren erblindet als Folge der Schläge, die der Kalif in Bagdad ihm verordnete. Und AVERROES musste auf Befehl des Kalifen von Cordoba im Exil leben. Vom Pöbel wurde AVERROES fortgejagt, seine Studenten ächteten ihn.Was war hier geschehen? Der einfache Islam prägte vorwiegend die Volksmassen. Durch die Begegnung mit dem Gedankengut der antiken Philosophie flossen zwar liberale Ideen in das Denken, ja, man kann sogar von einer gewissen Aufklärung sprechen, doch die Orthodoxie ließ sich nicht aufhalten. Sie wuchs zu einer mäch-tigen selbstbewussten und eigenständigen Kraft. Besonders ab dem elften Jahrhun-dert triumphierte sie mit dem Erstarken der Turkvölker des Mittleren Ostens, die zum Bannerträger der Orthodoxie heranwuchsen. Der Konflikt mit der wissenschaftlichen Medizin trat nun offen zutage.Sie hatte nicht mehr eine Sonderstellung, sie wurde suspekt. Orthodoxe muslimische Kreise erwuchsen zu einer stabilen religiösen Opposition gegen die ursprünglich heid-nische Medizin. Denn die Quellen dieser arabischen Medizin lagen im heidnischen

II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds

22 23

Griechenland. Für die islamische Orthodoxie war die Beschäftigung mit der säkularen Wissenschaft, die Medizin eingeschlossen, besonders wenn sie am Koran vorbei oder gar unabhängig von ihm betrieben wurde, unmöglich und trieb sie zum Widerstand.Hier lag die Spannung: Auf der einen Seite die arabische Medizin mit ihrer Orientie-rung an der rationalen griechischen Philosophie, auf der anderen Seite die islamische Religion. Man erwartete von den arabischen Ärzten, den Islam in ihr medizinisches Denken und in ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse ein-zubeziehen. Nicht umsonst beginnt die große Schrift des IBN AN-NAFIS Über den Lungenkreislauf mit der An-rufung Allahs und MOHAMMEDS. Wurde die Religion nicht beachtet, erging es den Ärzten wie RHAZES und AVERROES. Selbst liberale Fürsten ließen gelegentlich ihre wissenschaftlich orientierten Ärzte und Philosophen zum Schein züchtigen, um nicht Opfer der religiösen Ei-ferer zu werden. Für das Volk und für die gläubigen Mos-lems aber waren die philosophisch gebildeten Ärzte, bei denen es sich zum Teil ja auch um Christen und Juden handelte, Ketzer, die es zu bekämpfen galt.

LICHTENTHAELER führt den Grund dieser Spannungen an: „Dem islamischen Os-ten fehlte ein THOMAS VON AQUIN (1225 [1226?] - 1274), der die aristotelisch-neuplatonische Wissenschaft mit der religiösen Orthodoxie hätte versöhnen können.“ Wissenschaft und Glauben standen einander unversöhnlich gegenüber. Der Islam hat-te zwar die griechische Medizin und Wissenschaft übersetzt und in sich aufgenommen, nicht aber die griechische Philosophie. Die religiösen Gegenkräfte der einflussreichen muslimischen Orthodoxie führten schließlich zu einem anderen medizinischen Sys-tem, welches uns im nächsten Abschnitt beschäftigen soll. Dieses medizinische Sys-tem entstand als Gegenpol zur wissenschaftlich orientierten Heilkunde. Es ist die so genannte Prophetenmedizin.

Zusammenfassung

Schon vor MOHAMMED übersetzten Christen und Juden, besonders Nestorianer, die griechische antike medizinische Literatur ins Syrische und auch ins Hebräische. Der sich ausbreitende Islam bemächtigte sich der jeweiligen Gebiete und Länder und auch der Kulturen. In Übersetzungszentren wurden die antiken Texte des Griechentums in die arabische Sprache übertragen. Die sprachliche Reise der antiken Texte ist: grie-chisch-syrisch-hebräisch-arabisch, dann später in Europa lateinisch. Wir haben die antiken Texte auf diesem Weg erhalten. Nach diesem „Übersetzungsfieber“ (CHEHA-

Wissenschaftliche Medizin

Abb 9: Maimonides (1139 -1204)

Abb 10: Anrufung Allahs in einer Abschrift des canon medicinae, 1597/98

Page 13: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

DE) folgte die Zeit der islamischen Herrschaft, die Zeit der eigenen produktiven For-schung. Es war die arabische Phase, die Blütezeit der Medizin mit dem hohen Standard im Krankenhauswesen. Der Arzt besaß eine besondere Stellung in der Gesellschaft. Es war die Zeit von RHAZES und AVICENNA.Die dritte Phase war der Niedergang der wissenschaftlichen Medizin, zeitgleich mit dem politischen Verfall. Ein Grund war das Erstarken der islamischen Orthodoxie mit der Prophetenmedizin im Gefolge.

Daneben führten andere, bisher noch nicht erwähnte Umstände zum Niedergang: So die zunehmende Verquickung von Astrologie und Magie mit der Medizin. Ein äußerer Grund bestand in der Zerstörung der medizinischen Zentren durch die Mongolen. Auch begnügte man sich, das Erreichte zu bewahren und meinte, in den Enzyklopä-dien sei schon alles medizinische Wissen enthalten. Schöpferisches Handeln und Denken fehlten. So wurde es zum erklärten Ziel, die me-dizinische Literatur immer handlicher und bequemer zu gestalten: je weniger, desto besser. Als Gegenbewegung zu dieser erstarrten wissenschaftlichen Medizin prägte die Prophetenmedizin die folgenden Jahrhunderte.

Die Prophetenmedizin

Aus verstreuten, MOHAMMED zugeschriebenen Bemerkungen über Krankheits-ursachen und Heilmethoden entwickelte sich die so genannte Prophetenmedizin, die auch heute noch, besonders in den ländlichen Gebieten der islamischen Länder, an-gewendet wird. Grundlage dieser Medizin ist die Volksmedizin der Beduinen, die um die medizinischen Aussprüche und Kommentare des Propheten (die sogenannten Ha-dithe) erweitert wurde. Die Zahl der medizinischen Hadithe war begrenzt. Deshalb fanden zahlreiche gefälschte Hadithe Eingang in die Traditionssammlungen. ULL-MANN bemerkt hierzu: „Auf diese Weise wurden alter medizinischer Volksbrauch, Aberglaube und Amulettzauber religiös geweiht und übertüncht und mühsam in den Rang einer `Wissenschaft` erhoben.“

Gefördert wurde die Prophetenmedizin von der islamischen Orthodoxie als Abwehr gegen das heidnisch-griechische Medizinsystem GALENs. Noch ein weiterer Grund muss genannt werden. Viele führende Ärzte an den Kalifenhöfen und manche her-ausragenden Gelehrten und Vertreter dieser wissenschaftlich-hellenistischen Medizin waren Christen oder Juden, ein Grund mehr, ihnen mit Ablehnung und Feindschaft zu begegnen. Die Prophetenmedizin sollte diese nicht-islamische, heidnische und fremde Heilkunst abwehren. Medizinisches Handeln musste nun nicht mehr begrün-det werden. Der Heilende, ein Laie, ein Rechtsgelehrter oder Theologe, orientierte sich an keinem medizinischen System, sondern war, wie BÜRGEL formuliert, nur

II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds

24 25

einem Prinzip verpflichtet: Der Prophet hat in jedem Fall die Wahrheit gesprochen. Entscheidend für eine Behandlung oder ein medizinisches Problem war, ob man ein entsprechendes Hadith des Propheten anführen konnte. Die Richtigkeit der wissen-schaftlichen Medizin sollte und musste mit Hilfe der Hadithe bewiesen werden und nicht umgekehrt. In seiner Verteidigung der Prophetenmedizin formuliert MOHAM-MED AS-SURRAMARRI charakteristisch: „Ich bin bei der Abfassung dieses Werkes wie die Rechtsgelehrten (fuqaha) verfahren, indem ich eine Frage aufgeworfen und anhand des Textes (hadith) Beweise aufgeführt habe. So nenne ich etwa ein Heilmittel und gebe zunächst an, was die Ärzte darüber gesagt haben, dann gebe ich Beweise anhand von Aussprüchen und Handlungen des Propheten. Ebenso erwähne ich eine Krankheit und was über ihre Behandlung bei den Ärzten gesagt ist, danach, was im Hadith darüber vorkommt“ (DIETRICH).Im Koran selbst ist wenig von Medizin die Rede. Nicht enthalten sind Wörter wie Arzt oder Medizin. Im Arabischen unterscheidet man zwischen dem Arzt im engeren Sinne, dem tabib, und dem hakim, dem Weisen, Arzt, Philosophen und Lebensberater. Das Wort Krankheit findet man häufig im Koran, allerdings im übertragenen Sinne, als Metapher. Krankheit ist Bezeichnung für Unglaube, Heidentum und Misstrauen dem Islam gegenüber (Sure 2,10/9; 5,52/47). Begriffe der Kranke, die Kranken, krank kommen achtmal im Koran vor, immer im Zusammenhang mit rituellen Vorschriften: Ein Kranker braucht dies oder jenes nicht zu tun (z. B. Sure 2,184/180 und 196/192). Das Wort heilen finden wir einmal, den Begriff Heilung dreimal (17,82/84), auch hier als Metapher: „Wenn ich krank bin, so heilt er mich.“ Von Heilung im medizinisch-therapeutischen Sinne lesen wir einmal in Sure 16,69/71.

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Heilungswunder Jesu besondere Bedeu-tung finden, obwohl sonst Wunder kaum eine Bedeutung haben. Berichtet wird über die Heilung der Blinden und Aussätzigen und über die Auferweckung von Toten (5,109/110). Über Wunder MOHAMMED´S hören wir im Koran nichts. Für sich selbst hat er Wunder abgelehnt. Damit wird Jesus eine Schöpferkraft und eine Macht beigemessen, wie sie sonst niemandem - auch nicht MOHAMMED -, außer Allah selbst zugesprochen wird, urteilt BOUMAN.

Sucht man nach einem Grund für die Krankheiten, so findet man in der berühmten Hadith-Sammlung des BUCHARI hierzu: „Mit jeder kleinsten Verletzung, sei es auch nur durch einen Splitter, sühnt der Gläubige eine seiner Sünden.“ Krankheit wird durchaus positiv gesehen, gleichsam als Verdienst. Krankheit und Leiden sind gött-liche Auszeichnung. Die Ursache der Krankheit kommt von Allah selbst. Dies hat in der islamischen Mystik (Sufismus) dazu geführt, dass man auf Heilbehandlungen verzichtete. Nach dem berühmten Mystiker und Philosophen AL-GHAZALI (1058 - 1111) ist die Krankheit eine Erfahrung, „durch die den Menschen das Wissen um Allah zuteil wird, denn Er sagte: „Krankheiten sind meine Diener, die ich auserwähl-ten Freunden schenke.“

Propheten- und Volksmedizin

Page 14: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

Im Schrifttum des Sufismus werden Empfehlungen zur rechten Ernährung und zum Fasten als Konzept der Gesundheitsvorsorge weitergegeben. Danach gibt es Traditi-onsrichtungen, die die Schöpfung in verschiedene Entwicklungsstufen einteilen, be-ginnend mit der untersten Entwicklungsstufe, dem menschlichen Egoismus, bis hin zur höchsten, der Vereinigung mit Allah. Der Mensch soll sich vom Zeitpunkt der Geburt an bemühen, die Seele fortzuentwickeln, wobei nicht der Körper als solcher es sei, der diese Stationen durchlaufe, sondern die Seele. Allerdings durchläuft nicht jeder Mensch alle Stufen; mancher bleibt wie ein kleines Kind auf der ersten Stufe der Eigenliebe, des Eigendünkels stehen. Den einzelnen Stationen werden bestimmte Krankheiten zugeordnet. Furcht, Angst, Selbstzweifel, Eigensucht, Depression, aber auch Alkoholismus, Fettleibigkeit, Blindheit, erhöhter Blutzuckerspiegel, Krebs und so weiter werden nach diesen Vorstellungen darauf zurückgeführt, dass die Menschen noch auf der ersten Stufe der Entwicklung der Seele stehen geblieben seien.

Wenn man sich auf der zweiten Stufe, der Station des Herzens, befindet, äußert sich dies an anderen Erkrankungen, zum Beispiel in so genannten geistigen Leiden wie Depression, starkem Ärger, Arroganz, Vergesslichkeit. Als körperliche Krankheiten können auftreten: Kopfschmerzen (besonders Migräne), Durchfall, Erbrechen, Fieber und so weiter.

Sobald man die sechste Stufe erreicht hat, die Stufe der Vereinigung mit Allah, gibt es keine physischen Leiden mehr. Es geht in diesem Zustand nur noch um die Bestim-mung der Todesart. Diese wahren Sufis sterben, ihrer Überzeugung nach, an keiner Krankheit, sondern werden vom Todesengel über den genauen Todeszeitpunkt infor-miert und können sich entsprechend vorbereiten. MOHAMMED selbst ist diese pas-sive Haltung wohl nicht zuzuschreiben. Ein Hadith lautet: „Gott schickt keine Krank-heit, ohne auch die Arznei dafür herbeizusenden.“ Um auch ganz sicherzustellen, dass man nicht abwarten muss, bis Allah nun auch die Medizin schickt, sondern aktiv den Heilungsprozess fördern kann, wurde das Hadith später erweitert: „Ein Gefährte des Propheten erkrankte während der Schlacht von Uhud. Da ließ der Prophet zwei in Medina anwesende Ärzte zu ihm kommen und bat sie, ihn zu behandeln. Sie sagten: ,O Gesandter Gottes, in der Djahiliya [Zeit vor dem Islam] pflegten wir zu behan-deln und allerlei Praktiken anzuwenden. Seit aber der Islam kam, gibt es doch nur noch Gottvertrauen.‘ Er aber sprach: ,Behandelt ihn; denn Er, der die Krankheiten herschickt, schickt auch die Arznei herab und legt dann die Heilung herein!‘ So be-handelten sie ihn, und er genas.“

Kranke zu besuchen ist eine Pflicht. „Speist den Hungrigen, besucht den Kranken, steht dem Geplagten bei.“ Auch Heiden können besucht werden. Man fordert sie dann aber auf, den Islam anzunehmen. MOHAMMED vollzog bei Kranken häufig rituelle Waschungen und gab dann das Waschwasser als Heilzauber zu trinken. Der Kernsatz der Prophetenmedizin findet sich in Sure 7,31: „Esst und trinkt und schweift nicht aus.“

II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds

26 27

Propheten- und Volksmedizin

Alle Erkrankungen werden auf eine falsche Ernährung zurückgeführt. Folglich spielt die Diät eine entscheidende Rolle. Durch Beachtung dieses Gebotes erübrige sich die ganze wissenschaftliche Medizin. Auch andere volkstümliche Ratschläge sind bezeich-nend: „Reiset, und ihr bleibt gesund.“

Die Volksmedizin im Islam

Jede Religion hat kultur- und ortsspezifische Lebensäußerungen in sich verarbeitet. Dabei handelt es sich um die vom Volk gelebte Religion; denken wir etwa an die Hei-ligenkulte im Raum der römisch-katholischen Kirche. Ebenso lassen sich solche Äu-ßerungen des religiösen Lebens im protestantischen, orthodoxen oder koptischen Be-reich finden. Besonders stark finden sich Elemente der Volksfrömmigkeit im Islam.Die Beduinen der vorislamischen Zeit glaubten an die Nymphen und Satyrn, jene Geister der Wüste. Das Ägypten des Altertums, der Pyramiden und Pharaonen war das Land der Amulette. Im Babylonien und Assyrien der Vorzeit spielten Beschwörungs-formeln und -rituale, Zauber- und Segenssprüche eine besondere Rolle. Ein Volk, in dem seit Jahrtausenden solche Praktiken und Lebensäußerungen fest verankern sind, wird diese nicht ohne weiteres ablegen und preisgeben können und wollen.

Die Anhänger des Islams übernahmen die vorgefundenen Beschwörungsformeln, die Amulette unterschiedlichster Art, den Glauben an die vielen Geister. Kurz, das magische Weltbild jener Zeit fand ungehinderten Eingang in die offiziellen Lehren des Islams. Das erleichterte auch vielen Menschen den Übertritt von ihrer alten Re-ligion in die neue Glaubensgemeinschaft des Propheten. So ist der islamische Volks-glaube geprägt von babylonischen, assyrischen, altsemitischen, hellenistischen, auch indischen und christlichen Einflüssen. Wallfahrtswesen, Heiligenverehrungen, heilige Bäume und Wälder, Höhlen und Gräber, kunstvolle Amulette und so weiter sind als religiöse Ausdrucksformen des Volkes stark entwickelt und auch heute, gerade in den ländlichen Gegenden aller islamischer Staaten und Ethnien, weit verbreitet.

Manchmal ist dieser Volksglaube auch ein verbindendes Element bei Angehörigen der verschiedenen Religionen. KRISS weist darauf hin, dass das Amulettwesen über die koptische Kirche in den Islam geflossen sei, und von BLISS erfahren wir, dass auch heute noch muslimische Würdenträger Amulette für Christen und koptische Priester solche für Muslime schreiben. Beide Gruppen ließen sich auch kaum unterscheiden, wenn es um die Anwendung magischer Praktiken bei der Bestellung der Äcker gehe.Es sollen hier nur ganz kurz einige Gebräuche erwähnt werden*: Heilzauber und Magie sind in der medizinischen Gedankenwelt MOHAMMEDS von einer gewissen Bedeutung, wenngleich der Prophet eine schwankende Meinung vertrat. Seine Äu-ßerungen und Ansichten waren wechselweise von den vorislamischen verschiedenen Vorstellungen geprägt. Amulette und Zauberformeln dienen als Schutzmittel gegen

* Eine unerschöpfliche Quelle ist immer noch die Darstellung von KRISS / KRISS-HEINRICH.

Page 15: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

den bösen Blick, gegen Schlangen, Skorpione, als Abwehr von Krankheiten und Dä-monen. Die Amulette haben die unterschiedlichsten Formen. Es gibt Exemplare, die handwerklich kunstvoll aus Edelmetall verarbeitet sind, verziert mit Gravuren; ande-re sind aus Holz, Stoff, Knochen oder Leder. Auch Steine, Speckstein, Hämatit oder Alaun werden verwendet, ebenso wie Getreidekörner, Goldmünzen und Glasperlen.Der Beschreibung von KRISS entnehme ich ein Beispiel für ein Amulett, das kleine Kinder vor der Qarina, einer im gesamten islamischen Bereich gefürchteten Dämo-nin, die für den Tod von kleinen Kindern und für die Unfruchtbarkeit ihrer Mutter verantwortlich gemacht wird, schützen soll.**

Auch viele Krankheiten der Kinder wie Brechdurchfall, Keuchhusten, Krämpfe, Hirn-hautentzündung, unaufhörliches Schreien schreibt man der Dämonin zu, die für die Kinder bis zum siebenten Lebensjahr gefährlich bleiben kann. Das Amulett, das man dem neugeborenen Säugling zum Schutz umhängt, befindet sich in einem kleinen Säckchen und enthält zum Beispiel Anis, Koriander, Nigella, Bohnen, Erbsen und Ge-treide sowie die getrocknete Nabelschnur des Kindes, ein Stück arabisches Brot und einige Körner Salz. Auch können ein Stück der Kerze, die bei der Feier der Namens-gebung verwendet wurde, und eine kleine Münze enthalten sein. Der Heilzauber wird zum Beispiel im Aufsagen von Schutzgebeten (Suren 113 und 114), eventuell verbun-den mit magischen Praktiken, etwa dem Blasen in die vier Himmelsrichtungen, be-stehen.

Handfeste magische Rituale sind auch in den Hadithen und im Fiqh (religiöses Recht) verankert. Der böse Blick und der Neid spielen eine ganz besondere Rolle. Nach allge-meinem Volksglauben - nicht nur im Vorderen Orient, sondern in Afrika überhaupt - sterben zwei Drittel der Menschen an den Folgen des bösen Blicks (KRISS). Der Mensch stirbt nicht etwa an den Folgen irgendeiner naturwissenschaftlich erklärbaren Erkran-kung, wie zum Beispiel Malaria oder Mangelernährung, sondern am bösen Blick. Man kann sich vorstellen, wie schwierig präventive und promotive Gesundheitsarbeit vor diesem Hintergrund werden kann.

Wir müssen auch den Schriftzauber erwähnen. Koranverse oder Prophetenworte wur-den auf ein abwaschbares Material geschrieben, eventuell einen Teller. Die Schrift wird abgespült und das Spülwasser als Heiltrank verabreicht. Diese Praktiken haben sich im Laufe der Jahrhunderte nahezu unverändert gehalten. Magie und Aberglaube gesche-hen nicht im Verborgenen, sondern werden religiös gerechtfertigt und sind fester Be-standteil der offiziellen volksmedizinischen Praxis im Islam oder der Prophetenmedizin. Der eben zitierte Brauch, die mit Tinte niedergeschriebenen Koranverse abzuwaschen und das Waschwasser als Heiltrank zu sich zu nehmen, wurde von AHMAD IBN HAN-BAL, dem Begründer der strengsten der vier islamischen Rechtsschulen, ausdrücklich gebilligt. Die Medizin wurde so auf die Ebene der Magie herabgezogen. SUYUTI for-mulierte: „Das Rezitieren von Beschwörungsformeln und das Tragen von Amuletten

II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds Reislamisierung der Medizin

28 29

ist ebenso eine Form zur Sicherung der Gesundheit wie die medizinische Therapie.“ Es muss aber auch hervorgehoben werden, dass der Anspruch der Prophetenmedizin kritisiert und bezweifelt wurde, so durch IBN CHALDUN (+ 1406) und auch IBN AL-CHATIB. Aber den Einfluss der Prophetenmedizin konnten sie nicht aufhalten.Es ist nicht verwunderlich: Wenn eine solche Volksmedizin Einfluss auf die wissen-schaftliche Medizin gewinnen kann, ist deren Verfall eine Frage der Zeit. Die Islamisierung der Medizin hatte begonnen – Aufbruch in die Vergangenheit?

Die Reislamisierung der Medizin

Der allgemeine Aufbruch des Islams unserer Tage hat auch die Medizin erfasst. Im Januar 1981 fand in Kuwait die Erste internationale Konferenz für islamische Medizin statt. Bereits ein Jahr später, im März 1982, wurde ein zweiter Kongress abgehalten, ebenfalls in Kuwait. Die Ergebnisse der ersten Tagung schlagen sich in dem Islamic Code of Medical Ethics nieder. Diese so genannte Kuwaiter Deklaration ist eine zwan-zigseitige Erläuterung der Prinzipien und Inhalte einer islamischen Medizin. Veröf-fentlicht wurde die Deklaration weltweit, unter anderem im World Medical Journal und in Auszügen auch im Deutschen Ärzteblatt, dem Standesorgan aller bundesre-publikanischen Humanmediziner (s. S. 30). Die Konferenz zur islamischen Medizin, 1983 in Teheran unter dem Zeichen AVICENNAS abgehalten, wurde bereits erwähnt (s. S. 5; 12).Hinter den Verlautbarungen, Konferenzen und Tagungen steht die erklärte Absicht, das eigene medizinische Erbe wiederzubeleben. Koran und Moschee, Imam und Mul-lah sollen wieder mit in das Gesundheitskonzept und in die Heilmethoden einbezogen werden. Man wird an die Zeit erinnert, als eine misstrauische orthodoxe Geistlichkeit die wissenschaftliche Medizin der griechischen Heilkunde mit Erfolg zurückdrängte. War es damals die heidnische Medizin GALENs, auf die man Einfluss nahm, so ist es heute die westliche Schulmedizin, deren Quellen und Grundlagen im so genannten christlichen Abendland liegen.

Die drei Pfeiler der islamischen MedizinAnsatzpunkt der islamischen Medizin der Neuzeit ist die bewußte Einbeziehung des Glaubens in die Heilkunde. Man kann dies als den ersten Pfeiler der islamischen Medizin bezeichnen. So erklärte 1982 Dr. ABDUL RAHMAN AL-AWADI, kuwai-tischer Gesundheitsminister, die islamische Medizin sei der modernen Medizin ge-genüber im Vorteil, „als sie geistliche und religiöse Aspekte mit einbezieht.“ Durch den Koran werde die Seele des Menschen bereichert, der Mensch erhalte eine geis-tige Führung.Der zweite Pfeiler der heutigen islamischen Heilkunde orientiert sich an der Ganzheit des Menschen. Der Mensch soll als ein Ganzes, als eine Einheit angesehen werden;

** KRISS/ KRISS-HEINRICH, Bd. 2, S. 22f

Page 16: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

es soll nicht nur das erkrankte Herz oder die erkrankte Lunge behandelt werden. Der westlichen Medizin wird vorgeworfen, sie befasse sich nur mit den einzelnen Symptomen und lasse die geistig-seelisch-körperliche Ganzheit des Menschen au-ßer Acht.Die dritte Säule ist die Verwendung von Heilkräutern. Man will an die lange Tradi-tion der Erforschung von Heilpflanzen anknüpfen. Überall in der islamischen Welt werden Forschungsinstitute geplant und gebaut, in denen einheimische Pflanzen auf ihre pharmakologische Wirksamkeit hin untersucht werden sollen. Die führenden Forschungseinrichtungen stehen heute im indisch-pakistanischen Raum. So ist das Research Institute of Chemistry in Karachi unter der Leitung von SALIMUZZAMAN SIDDIQUI, dem Entdecker der Rauwolfia-Alkaloide, zu nennen.

Die Kuwaiter Deklaration (1981)*Einige Schwerpunkte der Erklärung von Kuwait sollen erwähnt werden.

Definition des ärztlichen BerufsDas medizinische Wissen kommt von Allah. Das Studium der Medizin offenbart die Zeichen Allahs in seiner Schöpfung, und die Ausübung der Medizin, welche die Gnade Allahs über seine Geschöpfe bringt, ist ein Akt der Anbetung und der Nächstenliebe. Die Beschäftigung mit medizinischen Fragen ist Dienst für Allah. Der Arztberuf stellt so hohe ethische Anforderungen, dass er sich nicht persönlichen, sozialen, politischen und militärischen Verhältnissen unterordnen darf. Der Arzt darf sich über bestehen-de Einschränkungen des islamischen Rechtes hinwegsetzen. Es ist keine Sünde, den menschlichen Körper, ob tot oder lebendig, anzusehen und zu untersuchen, sofern dabei der ihm gebührende Respekt gewahrt bleibt. Auch darf sich der Arzt über das Verbot hinwegsetzen, den Intimbereich des menschlichen Körpers zu untersuchen. Wenn kein muslimischer Arzt zu erreichen ist und wenn es der Zustand des Patienten verlangt, kann auch ein nicht-muslimischer Arzt konsultiert werden. In der Recht-sprechung gibt es eine Regel, nach der Notwendigkeit über Verbot geht.

Die Eigenschaft des ArztesAllah hält durch den Arzt Leben und Gesundheit aufrecht. Der Arzt muss deshalb an Allah glauben und seine Gebote einhalten. Er soll keinen Unterschied zwischen Armen und Reichen machen. Eine kostenlose Krankenbehandlung kann als Pflicht-abgabe verstanden werden. Der Arzt soll ein Instrument der Gnade Allahs sein. Um sich wissenschaftlich auf dem Laufenden zu halten, besteht für ihn die Verpflichtung, fortwährend sein Wissen und seine Fähigkeiten zu verbessern.

Die Heiligkeit des menschlichen LebensDer Islam untersagt Abtreibung (S. 33) und Sterbehilfe aus Mitleid. Der Arzt soll jedoch seine Grenzen kennen und keine heroischen Maßnahmen zur künstlichen Verlänge-rung des Lebens unternehmen, wenn der Mensch nicht mehr gerettet werden kann.

30 31

II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds

Über den medizinischen FortschrittEs gilt das Prinzip, dass eine Maßnahme, die dem Wohl des Menschen dient, auch die Zustimmung Allahs finden wird. Wissenschaftliche Forschung, Bluttransfusion, Organverpflanzung sind erlaubt, nicht jedoch grausame Tierversuche.

Arzt und GesellschaftDer Arzt besitzt eine erzieherische Aufgabe zum Wohle des Volkes.

Erneuerung der ProphetenmedizinDoch auch die Prophetenmedizin soll wiederbelebt werden.Diese Bestrebungen treten heute besonders in der islamischen Mystik [Sufismus] zu-tage, ebenso im Fundamentalismus. Wenn man die Literatur zum Thema Islamische Medizin durchsieht, gewinnt man den Eindruck, dass die praktische Ausübung der re-ligiösen Erneuerung der Medizin erst in Ansätzen vorhanden ist, vieles ist noch bloße Theorie. Im Iran KHOMEINIs scheint sich die Wiederbelebung der Prophetenheilkun-de und die Abkehr von der westlichen Schulmedizin am deutlichsten zu vollziehen. „Diese verdammten Ärzte sollen zur Hölle gehen. Wir haben begabte Theologiestu-denten in Feysi Yeh [eine theologische Schule in Ghom]. In vier Monaten werden sie zu guten Ärzten erzogen sein“, sagte KHOMEINI in einer im Jahre 1979 gehaltenen Rede. Den Gläubigen wurde von KHOMEINI eine Reihe von Büchern als Lektüre dringend empfohlen. Die dort enthaltenen Praktiken seien Richtschnur für das medi-zinische Handeln. Unter anderem ist dort zu lesen: „Das Schneiden der Fingernägel an Feiertagen beugt Lepra und Blindheit vor“, oder „Trage keine schwarzen Schuhe, sie schwächen Sehkraft und Potenz, gelbe Schuhe fördern Sehkraft und Potenz.“ Der Rat bei Hämorrhoidenbeschwerden: „Schreibe Ya-sin sura [ein Teil aus dem Koran] auf ein Blatt Papier, wasche dieses Papier und trinke anschließend das Wasser.“

Der Weg zwischen gestern und morgen

Die gemäßigten und liberalen Kräfte der Reislamisierung suchen eine Synthese zwi-schen der Schulmedizin des Westens und den islamischen Werten. Negative Auswir-kungen unseres westlichen medizinischen Systems will man nicht übernehmen. Die islamischen Staaten haben sehr genau erkannt, dass mit der zunehmenden technisch-wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Länder auch alle Nachteile der westlichen Gesell-schaft und vor allem auch der westlichen Medizin eingeschleppt werden, einschließ-lich der so genannten Zivilisationserkrankungen. Deshalb gilt für die studentische Jugend das Motto: „Lernt vom Westen, lernt Sprachen, Wissenschaft, Technik, aber achtet auf eure islamische Identität.“ Westliches Know how soll den Standard der isla-mischen Medizin heben. Mit Hilfe führender Fachleute aus Europa und Amerika sol-len hochqualifizierte Forschungsstätten eingerichtet werden, in denen die islamische traditionelle Medizin und Arzneikunde durch islamische Wissenschaftler erforscht

Reislamisierung der Medizin

*s. I.it.-Verz.

Page 17: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

werden soll. Wo möglich und nötig sollen modernste Kliniken entstehen und die neu-esten Techniken angewandt werden, so zum Beispiel in Saudi-Arabien und Kuwait. Aber überall wird Wert auf den sichtbaren Bezug zum Koran gelegt. Mittelpunkt der Laboratorien und Kliniken sind die Moschee und der islamische Tagesablauf mit den Gebetszeiten. Stütze aller therapeutischen Bemühungen ist das Gebet. Denn „Medizin ist Anbetung“, so heißt es in der Kuwaiter Deklaration. Die neuere islamische Medizin legt ihr Hauptgewicht auf die präventive Medizin. Eigentliche Aufgabe des Arztes sei es, Menschen durch vorbeugende Maßnahmen gesund zu erhalten. Der Arzt müsse Lebensführer und -berater sein. Hier versage die westliche Heilkunde, indem sie aus-schließlich kurativ orientiert sei.

Praktische Auswirkungen dieser modernen Richtung der islamischen Medizin be-kommen wir gelegentlich in unseren medizinisch-wissenschaftlichen Zeitschriften zu sehen. So erschien ein Artikel über das Fasten als vorbeugende Gesundheitsmaß-nahme im Deutschen Ärzteblatt von einem im Westen ausgebildeten pakistanischen Psychiater. Es war ein Versuch, mit modernen schulmedizinischen Methoden die al-ten Erfahrungsregeln und Gesundheitsvorschriften des Propheten zu belegen, immer mit Bezug auf den Koran.

Ursachen der Reislamisierung der Medizin – ein Versuch der Erklärung

Die Bemühungen der Reislamisierung der Medizin haben mehrere Ursachen. Zum einen mag die Sehnsucht nach einer erneuten großen arabischen Epoche in den Wis-senschaften, und besonders in der Heilkunde, eine Rolle spielen. Man möchte an die glorreichen Zeiten eines RHAZES und eines AVICENNA anknüpfen. Auch sind in den letzten Jahren die Grenzen der westlichen Medizin zunehmend deutlich hervor-getreten. Die immer rasanter sich entwickelnde Technisierung und Spezialisierung der medizinischen Wissenschaften bringt nicht nur Segen, sondern stellt die Gesell-schaft vor neue ethische Probleme und finanzielle Belastungen. Dabei droht der kran-ke Mensch das Opfer einer fragwürdigen Apparatemedizin und Hochleistungsphar-mazie zu werden. Für den Islam stammt diese Medizin des Abendlandes aber aus dem „christlichen“ Europa und Amerika: eine Medizin, die Abtreibung nicht nur toleriert, sondern aktiv betreibt, die den Bezug zur Religion verloren hat und die den Kranken nicht mehr als eine funktionale Einheit sieht. So ist es nicht verwunderlich, wenn es zu einer Umorientierung und Rückbesinnung auf eigene islamische Werte kommt. Der Dreiklang der islamischen Medizin Glaube, Ganzheit und Naturheilkunde ist die isla-mische Antwort auf die Schwachstellen unserer westlichen Hochleistungsmedizin.Die Abkehr von der westlichen Medizin mag auch in der Erkenntnis begründet sein, dass die abendländische Heilkunde nicht in der Lage ist, die dringendsten Probleme der Gesundheitsversorgung in den Entwicklungsländern zu lösen. Viele islamische Staaten zählen zu den so genannten LLDC (least developed countries = die am we-

II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds Reislamisierung der Medizin

nigsten entwickelten Staaten).* In der von der UN-Vollversammlung 1978 festgesetz-ten Liste der achtundzwanzig ärmsten Länder dieser Erde befinden sich immerhin ein Drittel islamische Staaten, zum Beispiel Mali, Niger, Burkina Faso, Tschad, Sudan, Bangladesh, VR Jemen, die Malediven. Andere islamische Staaten mit nicht minder großen wirtschaftlichen Problemen sind nicht aufgeführt, wie Mauretanien, Ägypten, Pakistan. In den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit von den Kolonialstaaten war das Gesundheitssystem dieser Länder nach westlichen Maßstäben ausgerichtet: eine arzt-orientierte, kurative Medizin, die besonders die Städte versorgte. Dieses System war von den jungen Nationalstaaten übernommen worden. Die westliche Schulmedi-zin konnte wegen der immer höher werdenden Verschuldung der Länder der „Drit-ten“ Welt und wegen der Bevölkerungsexplosion die medizinischen Grundbedürfnisse der Menschen nicht sichern. Als Ausweg hat die WHO besonders auf der Konferenz von Alma Ata 1978 empfohlen, in der Gesundheitsversorgung das Schwergewicht auf präventive Maßnahmen und auf Förderung und Erforschung der traditionellen Heil-kunde zu legen. Aufgrund dieser Beschlüsse dürfte die islamische Heilkunde kräfti-gen Aufwind und Rückendeckung erhalten haben, die präventive Medizin zu fördern, ebenso für die Einbeziehung der Hakims, der traditionellen islamischen Heiler. Es gibt wohl kaum ein islamisches Dorf, das nicht seinen Hakim hat. Was liegt näher, als diese in die Konzepte der neuen Entwicklungsmedizin hineinzunehmen. Eine breite Ein-führung des westlichen medizinischen Systems kommt in den islamischen „Drittwelt-ländern“ - von den religiösen Fragen einmal abgesehen -allein schon aus finanziellen Gründen nicht in Frage. Man hat auf islamischer Seite errechnet, dass man für das Konzept der traditionellen Heilkunde nur zehn Prozent der Kosten aufbringen muss, die ein Gesundheitssystem nach westlichen Vorstellungen erfordern würde. So hofft man durch die Einführung der traditionellen islamischen Heilkunde und durch die offizielle Beteiligung der Hakims, die Gesundheitsprobleme dieser Länder besser lö-sen zu können. Saudi-Arabien unterstützt mit großem finanziellem Aufwand solche Basisgesundheitsprogramme.

Geburtenregelung und Familienplanung im IslamAuch in den islamischen Ländern Afrikas und Asiens spielt die Bevölkerungszu-wachsrate (durchschnittlich 2,3 - 2,8% im Jahr) eine immer wichtigere Rolle. Die Einwohnerzahl Ägyptens zum Beispiel steigt alle zehn Monate um eine Million Men-schen. Das enorme Anwachsen der Bevölkerung stellt die Staaten vor wirtschaftlich, gesundheits- und bevölkerungspolitisch bedeutsame Fragen und Probleme, bei denen Lösungen nicht in Sicht sind.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Stellungnahme zur Geburtenkontrol-le und Abtreibung im Islam.** Einheitliche Verlautbarungen gibt es nicht, wohl aber eine offizielle Forderung der Islamic Conference Organization (ICO). Man fordert die

* Als Schwellenwerte für die Einordnung in ein LLDC-Land gelten ein Pro-Kopf-Jahresein-kommen von 100 US-Dollar, 10% BIP-Anteil der industriellen Produktion und 20% Alphabeti-sierungsquote der Altersgruppe über 15 Jahre.

32 33**Vgl. KHOURY, Abtreibung, S. 241, und Gräf, S. 209-232

Page 18: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

Rückkehr zu den strengen islamischen Lehren, die eine Abtreibung verbieten, und die Änderung bestehender liberaler Gesetze, die die Abtreibung tolerieren. Bemer-kenswert ist die Stellungnahme der modernen Rechtsgelehrten, die sich gegenüber den klassischen Rechtsschulen konservativer gibt. Die Angehörigen der klassischen Rechtsschulen lassen durchaus eine Abtreibung vor dem vierten Monat zu. Dagegen wird heute gefordert, die Abtreibung auch schon vorher grundsätzlich zu verbieten. Man argumentiert, der Mensch sei von Beginn der Zeugung ein Geschöpf Allahs und als solches vom Zeitpunkt der Zeugung schutzwürdig und schutzbedürftig. In keinem Stadium seiner Entwicklung, auch nicht unmittelbar nach der Zeugung, könne über das menschliche Leben verfügt werden. Zu jeder Zeit sei der Mensch Sklave, Diener und Eigentum Allahs. Daher habe niemand das Recht, auch die Eltern nicht, mensch-liches Leben zu töten.

Die Entwicklung geht immer mehr dahin, diese Position als rechtsverbindlich anzu-nehmen. Eine Schwangerschaftsunterbrechung ist nur dann zulässig, wenn mit Sicher-heit feststeht, dass Leib und Leben der Mutter in Gefahr sind und wenn das Leben der Mutter nicht anders als durch Abtötung des Kindes gerettet werden kann. Nach dem Prinzip, dass man von zwei Übeln (Tod des Kindes oder Tod der Mutter) das geringere zu wählen hat, muss auch der Arzt vom Erfolg des Eingriffs überzeugt sein.

Der Grund für die liberalere Position der klassischen Rechtsschulen mit ihrer diffe-renzierten Haltung zum Thema Abtreibung liegt an dem so genannten Einhauchungs-prinzip der Seele. Eine Abtreibung ist demnach nur bis zur Einhauchung der Seele (nach islamischer Vorstellung gewöhnlich im vierten Monat nach der Empfängnis) erlaubt. Tunesien und Marokko haben eine weniger streng ausgelegte Gesetzgebung bei der Abtreibungspraxis, verglichen mit den übrigen islamischen Staaten. Durch be-sondere Verfügungen wird aber die unkontrollierte und willkürliche Abtreibung ver-hindert. Tunesien sieht seine Abtreibungspraxis als ein Mittel der Bevölkerungspolitik und zur Eindämmung der Bevölkerungsexplosion.

Menschenbild im Islam

Das Menschenbild im Islam, wie es uns im Koran entgegentritt, ist einfach struktu-riert. Der Mensch ist weder ganz gut, noch ist er ganz schlecht. Er hat die Freiheit, das Gute oder das Böse zu wählen. Auf der einen Seite ist der Mensch das hervorragendste und beste Wesen der Schöpfung. Er gilt als Statthalter des Schöpfers auf der Erde und steht im Rang über den Engeln. Diese hohe Stellung innerhalb der Schöpfung wur-de auch durch den Sündenfall im Paradies nicht getrübt. Der Islam anerkennt zwar den Verlust des Paradieses, kennt aber keine Grundsünde, nach der das Verhältnis zwischen Allah und Mensch zutiefst zerbrochen und gestört ist. Insgesamt wird der Mensch durchaus positiv gesehen. Der Mensch hat gute Seiten, er neigt aber auch zum

II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds Menschenbild und Medizin

34 35

*ANTES, S. 37**Vgl. KHOURY, Der Islam, S. 8-11, und ders.: Einführung, S. 226-236

Bösen. Wenn es ihm gut geht, vergisst er die Wohltaten Allahs und Allah selbst. Er wird ungeduldig, undankbar, streitsüchtig und verfällt in ein sündhaftes Leben. Zwi-schen diesen beiden Polen verläuft das menschliche Leben. Trotz der hohen Würde, die der Islam dem Menschen zugesteht, besteht eine nicht zu überbrückende Distanz zwischen Allah und seinem Geschöpf. „Gott ist Gott, und Theologie ist die Lehre von Gott allein. Der Mensch ist daher kein Thema für islamische Theologie. [...] Die isla-mische Anthropologie gehört vielmehr in den Bereich des islamischen Rechts (fiqh). Gut und Böse ist inhaltlich durch göttliche Setzung in der Offenbarung festgelegt, und es liegt am Menschen, an seinem guten Willen, sich daran zu halten.“*

Leiden aus islamischer Sicht

Man findet nur wenige Äußerungen zum Thema Leiden im Islam.** Das erscheint erklärlich angesichts des Menschenbildes im Koran. Denn das Leiden des Menschen ist keine Angelegenheit Allahs. Es berührt ihn in keiner Weise, ob ein Mensch lei-det. Es gibt somit keinen Grund für die islamische Theologie, sich mit den Leiden der Menschen zu beschäftigen. Die Distanz zwischen Allah und den Menschen ist zu groß, als dass Allah mit irgendeinem Menschen mitfühlen und mitleiden könnte. Zwar gibt es Interpretationsversuche, Leiden und Krankheit irgendwie erklärbar und tragbar werden zu lassen. Doch ist der Mensch in seinem Fragen und Suchen auf sich allein gestellt. Der Gläubige bleibt einsam (s. a. S. 43 f).

Die Ursache des LeidensDie Ursache vom Leiden wird unterschiedlich gedeutet:

• Leiden ist die Folge des Bösen in der Welt. Das Böse kommt vom Teufel, der als Feind der Menschen auftritt. Er widerspricht den göttlichen Befehlen. Von Gott aus dem Paradies vertrieben, will der Teufel den Menschen fortwährend zu Fall bringen. Der Mensch wird ins Unglück und ins Leiden gestürzt.• Aber auch der Mensch selbst ist mit seinen schlechten Eigenschaften Ursprung und Ursache des Leidens. Die Menschen sind unbeständig, unzuverlässig, schwanken zwischen Freude und Hoffnungslosigkeit, sie sind ungerecht und rechthaberisch, streitsüchtig, sie betrügen und sind unehrlich. Das alles führt zu Leiden und stört den Frieden einer Gemeinschaft.• Über dem Satan steht Allah, ohne dessen Willen nichts geschieht. Allah bestimmt alles im Leben der Menschen, das Gute und Schöne, aber ebenso das Leiden, die Krankheiten, Unglücke und schwere Schicksalsschläge. Die Antwort des Gläubigen ist dann stille Ergebung in den absoluten unwandelbaren Entschluss und Willen Allahs.

Page 19: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

Der Sinn des LeidensDer gläubige Muslim sieht in seinem Leiden einen doppelten Sinn:• Das Leiden kann eine verdiente Strafe für das sündige Vergehen eines Menschen sein.• Leiden, Krankheit und Unglück haben den Sinn der Prüfung. Allah stellt Glauben, Frömmigkeit und Treue ihm gegenüber auf die Probe.Die Überwindung des Leidens• Wird das Leiden als eine Strafe für sündhaftes Verhalten gewertet, dann wird der Muslim zur Umkehr zu Allah angehalten. Er strebt ein tugendhaftes und sündloses Leben an, um der verdienten Strafe zu entrinnen.• Wird das Leiden als eine Bewährungsprobe gedeutet, so führt dieses den Gläubigen zur Geduld, der Haupttugend im Islam. „Übt Geduld und bemüht euch, standhaft und fest zu bleiben! Und fürchtet Allah! Vielleicht wird es euch wohl ergehen“ (Sure 2,200). Vielleicht! Der Gläubige bleibt bei all seinen Bemühungen im Ungewissen.

Missionsmedizin im Islam

Fast ist man geneigt, ein Fragezeichen zu setzen: Missionsmedizin im Islam? Denn was können wir dem Islam als christliche Ärzte oder Schwestern noch bringen oder beibringen? Bei dieser reichen Tradition! Bei den neuen präventiv ausgerichteten Konzepten der Medizin! Bei diesen hohen ethischen Anforderungen! Dass im Alltag vieles anders aussieht - wer will das bestreiten!

Eins ist aber vielleicht deutlich geworden: Wir haben keinen Grund, die Bemühungen der islamischen Medizin in all ihren Bereichen herablassend abzutun.

II. Medizin unter dem Zeichen des Halbmonds Menschenbild und Medizin

36 37

Die eingangs zitierte Haltung, als ob nur wir Christen uns um Not und Krankheit kümmerten, als ob nur durch uns eine gute Medizin gewährleistet wäre, steht uns gewiss nicht zu. Die Leistungen der islamischen Medizin sind beachtlich. Zu Recht legt der Islam den Finger auf die Schwachstellen unserer abendländischen Medizin. Als Christen teilen wir manches Anliegen, wie die Ganzheit der Person, die hohe me-dizinische Ethik, das Gespräch zwischen Theologie und Medizin, wenn wir auch in-haltlich diese Anliegen anders füllen. Wir müssen demütig bekennen, dass auch wir Christen in unserem medizinischen Alltag, im Gewirr der Infusionsschläuche und der Daten aus den Laborcomputern oft den Patienten nicht als leidendes Geschöpf Got-tes sehen, sondern als einen medizinischen Fall. Vielleicht wären manche Auswüchse unserer Hochleistungsmedizin verhindert worden, wenn wir frühzeitig und entschie-dener unsere Stimmen erhoben hätten.

So aber müssen wir uns sagen lassen, dass wir oft lieblos, weil gedankenlos, unsere westlichen Vorstellungen von Medizin ohne kulturelle Anpassung in die Länder der „Dritten“ Welt gebracht haben und noch bringen, ohne zu fragen, wo denn die wirk-lichen Probleme und Nöte der Menschen liegen.

Wir müssen uns eingestehen, dass wir oft überheblich meinten und auch noch mei-nen, nur die Medizin, die wir als Missionare in die „Dritte“ Welt bringen, sei gut. Wir haben uns zu wenig bewusst gemacht, dass unsere Medizin nicht deshalb gut ist, weil wir Christen sind, sondern weil wir materiell reich sind. Und schließlich müssen wir bekennen, dass wir oft auf dem Rücken einer fortschrittlich westlichen Medizin das Zeugnis von der Liebe Christi transportiert haben, so als gehörte beides unbedingt zusammen.Abb 11: Apotheke im staatlichen

Krankenhaus Kigoma, Tanzania

Abb 12: Apotheke in einer Missionseinrichtung

Page 20: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

Man mag nun einwenden: Wird nicht aber gerade durch die missionsärztliche Arbeit die hingebende Liebe und Fürsorge Jesu handgreiflich und ganz praktisch vor Augen geführt? Ein Beamter im Gesundheitswesen eines afrikanischen Staates – ein Muslim – sagte mir einmal sinngemäß: „Eigentlich ist es ungerecht. Ihr habt immer alles, Me-dikamente, Instrumente. Unsere afrikanischen Ärzte haben nichts. Kein Wunder, dass ihr immer besser seid und alle Leute in eure Missionshospitäler kommen. Es wäre doch nur gerecht, wenn ihr auch mit so wenig Mitteln auskommen müsstet wie wir. So aber könnt ihr leicht von der Liebe reden“

III. Medizin unter dem Zeichen des Kreuzes

Über die Fragwürdigkeit der missionsärztlichen Arbeit

Unsere medizinische Missionsarbeit, die Missionskrankenhäuser, die vollen Apothe-kenregale und der gut funktionierende Nachschub aus Europa und Amerika sind zu-nächst einmal Ausdruck unseres materiellen Reichtums und nicht so sehr ein Zeugnis der Liebe Christi. Wir leben - gerade in der ärztlichen Mission – vom Haben und vom Geben. Und wer gibt, bestimmt. Geben macht den Empfänger abhängig und demütigt ihn, macht ihn unselbständig und weckt Bedürfnisse und Ansprüche, die langfris-tig nicht gestillt werden können. Wie weit wir durch vorschnelles und übermäßiges Geben die Entwicklung eines eigenen, der Kultur und der Situation angemessenen biblisch-diakonischen Bewusstseins bei den christlichen Gemeinden in Übersee ver-hindert haben und verhindern, ist eine weitere Frage, der wir uns stellen müssen.

Jedenfalls fällt angesichts der beträchtlichen Nöte und Probleme in den Ländern der „Dritten“ Welt die zum Teil nur gering entwickelte eigene diakonische Verantwortung und Bewusstseinsbildung ins Auge. „Warum sollen wir uns um Gesundheitsfragen Gedanken machen? Das machen doch die Europäer. Dafür ist die Mission zuständig. Die können das viel besser als wir“, sind die nahe liegenden Gedanken einheimischer Gemeinden und Kirchenführer. Einen Hinweis mag vielleicht GOTTFRIED OSEI-MENSAH, ein gewiss unverdächtiger Zeuge, geben, der den Teilnehmern auf dem Kongreß für christliche Führungskräfte (PACLA) in Nairobi zurief: „Wir drücken den größten Teil unseres Glaubens und unserer Anbetung in einer geliehenen auslän-dischen Kultur aus.“* Dies schließt auch die Diakonie als eine der Lebensäußerungen der christlichen Gemeinden in der „Dritten“ Welt ein. Deshalb fragt ANSELME T. SALOM SANON, Bischof von Bobo-Dioulasso/Burkina Faso, im afrikanisch-isla-mischen Kontext wohl zu Recht, ob im Rahmen der christlichen Mission nicht die Be-

III. Mission unter dem Zeichen des Kreuzes Fragwürdigkeit der missionsärztlichen Arbeit

reiche Gesundheit und Heilung an den Erwartungen und Bedürfnissen der Menschen vorbeigegangen seien. „Diese Völker pflegten ihre Gesundheit, heilten ihre Krank-heiten und erhielten sich am Leben auch vor der Ankunft der Missionare. Was haben wir aus ihren Heilpraktiken gemacht?“

Wir haben als christliche Mission zu wenig auf eine eigenständige Entwicklung einer Diakonie der neuentstandenen Kirchen und Gemeinden geachtet. Was an christlicher Sozialhilfe und diakonischer Verantwortung im Rahmen der Gemeinden geschah, wurde seit Jahrzehnten weithin von außen bestimmt und von Christen aus dem Wes-ten finanziert.Die Gründe sind vielschichtig. Einmal erliegen wir in unserem falschen Überlegen-heitsgefühl nur allzu leicht einem gewissen Technik- und Machbarkeitsglauben. Wir sind fasziniert von den Fortschritten unserer westlichen Medizin, und wir meinen, was für uns in Europa gut und nützlich sei, müsse auch dem Rest der Welt helfen. In dieser Haltung wurden und werden die alten Traditionen und heilkundlichen Systeme ignoriert oder gar bekämpft (S.10). Fälschlicherweise wird gerade die moderne Medi-zin in ihrer einseitig kurativen Ausrichtung oft als heilendes Handeln der Gemeinde schlechthin missverstanden. Auch beschränken sich Diakonie und christliche Sozi-alarbeit bisweilen auf bestimmte projekt- und programmbezogene Aktivitäten, die durch ausländische Organisationen an den Basisgemeinden vorbei initiiert werden. Hinzu kommt der Druck des Helfenwollens und Helfenmüssens westlicher Christen angesichts ihres wachsenden Reichtums und angesichts der zunehmenden Armut auch der christlichen Gemeinden in der „Dritten“ Welt. Die Christen und Gemeinden aus dem Westen sehen dann die „Dritte“ Welt als ihr diakonisches Arbeitsfeld an, auf dem man sich frei betätigen kann.ELA bemerkt deshalb, die Versuchung in der Gesundheitsarbeit der Missionen und der Kirchen sei groß, „sich in der Pflege der abstoßendsten Krankheiten zu gefallen und in Werken des Mitleids und der Barmherzigkeit ihre ganzen Kräfte der Selbsthingabe zu erschöpfen, [...] man kümmert sich um sie [= die Kranken] als Pflege-Objekte‘.“Die Menschen werden zu Objekten unserer Hilfen und unserer Diakonie degradiert. Wir machen sie zu Almosenempfängern. Sie werden aber nicht als Subjekte akzeptiert, denen wir eine selbständige diakonische Verantwortung entsprechend ihrer Kultur, ihrer Geschichte, ihrer Frömmigkeit und ihrem Menschenbild zutrauen.

Ein Blick in unsere Diakoniegeschichte zeigt, dass sich in Deutschland sehr wohl eine eigenständige Diakonie entwickeln konnte, gerade unter schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und ohne Einfluss und Unterstützung von außen. Die Christen anderer Länder und Kulturen sind nicht weniger phantasiebegabt und nicht weniger vom Heiligen Geist geleitet als wir im Westen. Von außen veranlasste und von oben geleitete Gesundheitsarbeit lähmt jegliche Eigeninitiative; die Annahme fremder Hilfe ist eben bequemer. Je mehr wir westliche Christen uns mit unseren Diakonieprogram-men und -projekten, mit unseren Vorstellungen und Finanzen entfalten, desto mehr

* OSEI-MENSAH, S.2138 39

Page 21: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

decken wir eigenständiges und eigenverantwortliches Handeln in Afrika zu, und desto mehr verkümmert die Identität der Gemeinden. Hilfeleistungen jeder Art, ob Geld, Nahrungsmittel oder Geräte, mindern den Zwang zur Eigeninitiative und ver ringern die Chance von eigenen schöpferischen Ideen und Gedanken zur Problemlösung.Man spricht nicht ohne Grund von einem „Samariter-Dilemma“, weil oft die gewährte Unterstützung die Hilfsbedürftigkeit nicht verringert, sondern vergrößert. Die Geber stehen dann vor der Alternative, die Gelder einzustellen oder wenigstens keine neuen Verpflichtungen mehr zu übernehmen oder aber die Hilfe endlos weiter zu gewäh-ren.*

Unsere missionsärztliche Arbeit ist durchaus fragwürdig, ja, sie stößt bisweilen auf Unverständnis oder sogar auf Ablehnung. Wir sind überrascht, wenn Menschen nicht immer nur positiv über unsere Handlungen urteilen, wo wir doch meinen, man solle schließlich froh über die gewährte Hilfe sein. Aber vielfach geben uns kritische Fragen auch Hinweise auf Fehler in unserem Verhalten und Denken. Es werden Stellen aufge-deckt, an denen wir die Realitäten vielleicht zu einseitig oder gar falsch wahrnehmen. ELA kritisiert zum Beispiel am sozialen und diakonischen „Eifer“ der Missionen eine gewisse Ignoranz. Bei allem Engagement, die „Unglücklichen, über die man sich wie ein guter Samariter beugt, zu pflegen“, sei auffallend, dass so häufig die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten, die nun gerade die Ursache der Krankheiten seien, nicht zur Sprache kämen. Sie würden schlichtweg ignoriert oder verschwiegen. Damit aber drohe die christliche Gesundheitsarbeit an Glaubwürdigkeit zu verlieren. So vermuten denn auch manche Kreise in Afrika und Europa, dass etliche westliche Missionen mit Unrechtsstrukturen wenn nicht paktieren, sie zumindest akzeptieren, weil von ihrer Seite Stellungnahmen und Verlautbarungen zu den wirtschaftlichen und sozialen Ver-hältnissen fehlen. EBERHARD TROEGER nennt eine Kritik ganz anderer Art. Be-sonders aus dem Bereich des Islams meinen „Kritiker der Christen [...], der Dienst an den schwachen [= kranken] Muslimen [sei] nur ein Mittel zum Zweck [...], nämlich sie dem Islam zu entfremden.“ Ebenfalls aus dem Umfeld des Islams zitiert wieder-um ELA eine weitere Stimme aus dem kritischen Chor: Die christliche Mission wolle durch die hohe Qualität ihres medizinischen Standards dem Islam imponieren, um so die Überlegenheit des christlichen Glaubens unter Beweis zu stellen.

Kritik, Fehlurteile, Missverständnisse, Unterstellungen sind gewiß nicht leicht zu er-tragen. Sie verletzen, demütigen und schmerzen. Aber es ergibt sich auch die Chance, das eigene Handeln zu überprüfen und zu korrigieren. Wenn wir uns mit solchen Re-aktionen auseinandersetzen müssen, bleiben wir eventuell auch bewahrt vor Selbstü-berschätzung, Überheblichkeit und Blindheit und werden gezwungen, unseren Stand-punkt zu überprüfen und uns fortwährend neu zu orientieren, um in den dringendsten Gegebenheiten dieser Welt das Evangelium glaubhaft bezeugen zu können.

III. Mission unter dem Zeichen des Kreuzes Begründung der missionsärztlichen Arbeit

40 41

„Jesus ist Sieger“ - Begründung des heilenden Handelns

Aber Orientierung worauf? Auf den Kern der biblischen Botschaft vom heilenden Handeln Jesu. Die neutestament-liche Schau stellt Jesu heilendes Wirken dar als seine siegreiche Auseinandersetzung im Kampf mit den bösen Mächten und Gewalten, die diese Welt beherrschen wollen. Auch in Krankheit und Tod zeigt sich die Macht dieser widernatürlichen Mächte. In Krankheit und Tod konkretisieren sich die ganze Verlorenheit, die Sündhaftigkeit des Menschen als ein tiefes, seine ganze Existenz durchschneidendes Zeichen seines Un-heils und seiner Zielverfehlung.

Aber nicht in einem Kausalzusammenhang, Krankheit als Strafe einer Einzelverfeh-lung wie im Islam (s. S. 35 ff) dies weist Jesus ja ausdrücklich zurück (Joh 9,l ff). Krank-heit ist Unnatur; sie widerspricht dem guten Willen Gottes für den Menschen und für die Welt. Die Heilungen Jesu bedeuten den zeichenhaften Erweis seiner Messianität, seiner Souveränität und sei-ner Herrschaft auch über die Dämonien, die bösen Ge-walten und Mächte. Er hat nicht nur Symptome kuriert, er hat sich nicht damit be-gnügt, einzelne Kranke von ihren körperlichen Gebre-chen zu befreien. Bisweilen hat man den Eindruck, als ob die Heilungen als thera-peutische Aktion überhaupt keine Rolle spielen.*

Vielmehr zielt alles darauf ab, die Autorität Jesu und seinen Herrschaftsanspruch unter Beweis zu stellen und die Lösung des betroffenen Kranken aus dem Herr-schaftsbereich des Bösen aufzuzeigen. Das Heilwerden wird von Jesus als ein ganzheitliches Geschehen gesehen. Er trifft immer den Kern der Person, er legt den Finger auf die wunde Stelle. Er spricht im Kranksein des Menschen dessen Verlorenheit an, sein Getrenntsein von Gott, der der Ursprung des Lebens ist. Deshalb verbindet Jesus mit dem äußeren Behandeln den Ruf zu Umkehr und Sinnesänderung, daher gehört zur christlichen Krankenarbeit immer auch der Ruf zur Umkehr, die Einladung zur Versöhnung mit Gott und den

*Z. B. Luk 5,17ff; Joh 5,ff; dagegen Joh 9,6; vgl. auch MAYER-SCHEU, S. 140* KROMKA/KREUL, S.125

Abb. 13: „Christus heilt die Kanken“ – Ausschnitt aus dem Hundert-guldenblatt von Rembrandt.

Page 22: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

Menschen; sie ist Einladung zu einem Leben in Einklang mit dem Schöpfer und der Schöpfung. Das Geschehen von Krankheit und Heilung ereignet sich auf der indivi-duellen Ebene des einzelnen. Aber es hieße wohl, dieses Geschehen verkürzt darzu-stellen und damit auch die Autorität Jesu zu beschneiden, würden wir nicht auch auf die gesellschaftliche Dimension von Gesundheit und Krankheit hinweisen. Gesundheit und Krankheit tragen auch gesellschaftlichen Charakter. Die gottfeindlichen Mächte und Gewalten drücken sich auch in der zunehmenden Verelendung und Verarmung der Menschen aus und in der Dämonie der Ungerechtigkeit, der Unterdrückung und der Abhängigkeiten. Wir sprechen ja nicht umsonst vom „Teufelskreis“ der Armut und Krankheit. Kein Zweifel, Krankheit ist auch Ausdruck, ja, Sprache der Armut; es gibt krankmachende Faktoren der Gesellschaft: wachsende Hoffnungslosigkeiten der Staa-ten der „Dritten“ Welt, Ausbeutung von Natur und Menschen, Resignation, Hunger, Dürre, Korruption, Hass der Armen auf die Reichen, umgekehrt die Ängste der Rei-chen vor den Armen - hier verdichten sich auf einer ganz anderen Ebene das Böse im Menschen und die Dämonien dieser Welt.Aber nicht nur der „Dritten“ Welt, sondern auch uns drücken diese Mächte ihren Stempel auf, so in der Dämonie des Materialismus mit dem Konsumdenken und der Gewinnmaximierung, dem auch wir Christen im Westen uns so schwer entziehen können. Es sind Mächte, die bewirken, dass Gott an den Rand gedrängt wird, weil vieles andere wichtiger wird als er. „Der Reichtum, der heute zum so genannten Le-bensstandard gehört, und äußerlich gesicherte Lebensverhältnisse [stellen deshalb] eine geistliche Gefährdung dar“ (MANFRED SEITZ). Dies geschieht weitgehend unbemerkt, schleichend. Wir können uns diesen Zwängen kaum entziehen. Darin liegt das Dämonische. Es sind dieselben Mächte, die am Werk sind, hier wie dort, im Großen wie im Kleinen, im persönlichen wie im gesellschaftlichen Rahmen, in Europa wie in Afrika. Diesen Mächten hat sich Jesus entgegengestellt, ihnen hat er Einhalt geboten, sie hat er besiegt. Die Gemeinde Jesu ist gerufen, sich durch ihr Zeugnis von Heil und Heilung diesen Gewalten entgegenzustellen - in aller Vorläufigkeit, in aller Bruchstückhaftigkeit -, um Zeichen der Hoffnung, des Lebens und der Gewissheit des Sieges Christi aufzurichten.

Der heilende Auftrag der christlichen Gemeinde im Islam

BOUMAN stellt zur Charakterisierung des Islams und des christlichen Glaubens zwei geographische Namen gegenüber: Badr und Golgatha. In der Schlacht von Badr siegt MOHAMMED mit einer kleinen Schar von Gläubigen über die große Armee der Mek-ka-Bewohner. Hier wird die Grundlage für das islamische Imperium gelegt. Badr als Zeichen des allmächtigen Allahs! Der Islam lebt vom Sieg. Allah lebt vom Sieg, von der Macht. Darum wäre es eine Gotteslästerung ohnegleichen, Allah in Verbindung mit Lei-den, mit Krankheit, mit Tod zu bringen. Erst recht ist es für den Muslim unvorstellbar, dass Allah selbst Leiden und Krankheit erdulden müsste: Macht ja, aber nicht die Ohn-

III. Mission unter dem Zeichen des Kreuzes Der heilende Auftrag der christlichen Gemeinde

42 43

macht des Leidens; Sieg ja, aber nicht die Schwäche der Krankheit; All-Erhabenheit ja, aber nicht die Niederlage des Todes.

Anders Golgatha, der zweite Ort, der Tiefpunkt im Leben Jesu. Er steht für die Nieder-lage, für die Niederlage Gottes am Kreuz. Auf Golgatha begegnet uns in dem gekreuzi-gten Christus der Gott der Bibel. „Fürwahr, er trug unsere Krankheit“, er starb unseren Tod mit seinem Leib, in unserer Körperlichkeit, nicht nur geistig. „Die Ohnmacht der gekreuzigten Liebe ist die Rettung der Welt“ (JOHANNES BOUS): für einen Muslim ein unfassbarer Tatbestand. Heil bedeutet im Islam Einordnung in das von Allah geord-nete, von seiner Allmacht durchwaltete All, „letztlich Teilhabe an der Allmacht Gottes“ (BÜRGEL).

Diese Teilhabe am Heil geschieht durch Unterwerfung (Islam) der Gläubigen unter die Macht eines Gottes, der dem Leiden und Sterben seiner Geschöpfe verständnislos und ohne Anteilnahme gegenübersteht.

„Über allem Nachsinnen gräbt sich das Bewusstsein ein, dass etwas wirklich fehlt“ (HAUSER). Der Koran ist sprach- und hilflos, wenn es um die tiefsten und letzten exis-tentiellen Nöte und Probleme des Menschen geht. Man spürt in der ganzen Literatur zum Thema Medizin, Krankheit, Leiden im Islam und bei Gesprächen mit kranken Moslems: Der Mensch, auch wenn er ein noch so gläubiges Leben führt, ist allein. Er bleibt in den tiefsten Nöten der Krankheit und in der Einsamkeit des Todes sich selbst überlassen. Praktisch äußert sich dies zum Beispiel in der Haltung Aids-Kranken ge-genüber. So hat der Vorsitzende des Rates der AI Azhar-Universität in Kairo, Shaikh ABDALLAH AL-MASCHAD, vorgeschlagen, die Aids-Problematik in der islamischen Welt im Wege der Euthanasie zu lösen. Man solle die Aids-Opfer „ohne medizinische Fürsorge sterben lassen“. Der Großmufti von Ägypten, Shaikh TANTAWI, weigerte sich allerdings, ein entsprechendes religiöses Dekret zu unterschreiben. Er befürwortete sei-nerseits eine Isolierung der Aids-Kranken in einem „Lager in der Wüste“.*

Der christliche Heilsbegriff hat eine andere Qualität. Heil bedeutet für den Christen die Erlösung von seiner Schuld durch das Selbstopfer Gottes in Christus. Gott selbst tritt in die Gebrochenheit des Menschen ein. Er ist in Christus der Gebrochenheit, auch der körperlichen, näher als der Vollkommenheit (MARTIN SCHEEL).

*Orientdienst-Informationen, S. 20.Gegenüber diesen radikalen Lösungen schlug der Generalsekretär des Islamischen Weltkon-gresses, Dr. Inamullah Khan, eine humanitäre Lösung vor. Er befürwortete eine Zusammenar-beit aller Religionen, um der katastrophalen Entwicklung wirkungsvoll zu begegnen. Er forderte eine bessere Einbeziehung der „Dritt-Welt-Länder“ in die für die Aidsbekämpfung zuständigen Organisationen. Ein völlig anderes Menschenbild drückt sich dagegen in der Erklärung der Kirchen in Sambia zum Thema Aids aus: Wähle das Leben - Überlegungen der Christlichen Kirchen in Sambia zur AIDS-Krise, abgedruckt in: Nachrichten aus der ärztlichen Mission, Aug./Sept. 1988 (Gelbe Beilage), und in: Neue Perspektiven der „Ärztlichen Mission“, PORTA-STUDIEN 20.

Page 23: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

Das ist das einmalige und besondere Ereignis in der gesamten Religionsgeschichte: Eine Person tritt uns zur Seite und hilft uns, unsere Lasten zu tragen. Auf Golgatha begegnet uns Gott, der Schmerzen erlitten hatte, der gedemütigt wurde, der unsere Angst vor Krankheit, Leiden, Sterben und Tod nicht nur kannte, sondern selbst erdul-det und erlitten hatte. Da sind wir nicht allein, sondern da ist jemand, der mit uns in alle Tiefen geht. Gott verlässt uns selbst im Tode nicht, wenn Menschen uns verlassen müssen: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“ Hier ist Trost, der trägt, weil er abgedeckt ist durch letzte Autorität.

Davon gibt die Diakonie Zeugnis. Deshalb geht es im heilenden Handeln der Gemein-de Jesu nicht primär um eine perfekte moderne Medizin oder um materielle Dinge, die wir den Menschen bringen müssten, sondern um Anteilnahme, Mittragen und Mitleiden in den Nöten, Ängsten und Ungerechtigkeiten des Lebens und der Welt.

Diakonie der leeren Hände

Der mitgehende, der mitleidende, der mittragende Gott! Das ist das Zeugnis, das wir Christen in die Situation der Krankheit hinein verkündigen und leben. Die Krankheit als ein Ort der Krise, als Zeit der Bedrohung, aber auch als Chance zur Umkehr im Leben bedarf in besonderer Weise des Zuspruchs und der Nähe Gottes.

Missionsärztliche Arbeit erliegt leicht der Gefahr, materielle Hilfe jedweder Art über-zubetonen. Von den möglichen Folgen war zuvor schon die Rede (S. 37ff). Vielfach wäre weniger mehr. Unsere materielle Hilfe ist oft ein Spiegel unseres äußeren Reich-tums und unserer inneren geistlichen Armut. Aber es sind eben die Dinge, die wir leicht zu geben in der Lage sind und die dann so nachhaltigen Eindruck hinterlassen, sowohl in Deutschland als auch in der „Dritten“ Welt. Ich erinnere mich noch gut an den Vorsteher eines muslimischen Dorfes, der uns am Ende einer Dorfversammlung, bei der es um Fragen und Probleme von Hygiene, richtiger Ernährung und Selbstver-antwortung ging, entgegenhielt: „Wir wollen eure Medikamente, euer Reden inter-essiert uns nicht.“ Er wusste, dass wir über die bestgefüllte Krankenhausapotheke in der Umgebung verfügten. Bisweilen denke ich an die deutschen Schwestern, die im Nordsudan seit Jahren in jenen armseligen und dürftigen Regierungshospitälern als ganz normale Krankenschwestern ihren Dienst tun. Sie leben und arbeiten mit ihren sudanesischen Kolleginnen zusammen, oft unter demütigenden Umständen, und tei-len auch deren medizinische Armut. Oder die drei, vier christlichen Familien fallen mir ein, ein Landwirt, ein Arzt, ein Krankenpfleger, ein Pastor, die ganz im Osten Kenias, hart am Indischen Ozean, im islamischen Umfeld in den Dörfern Tür an Tür mit muslimischen Familien leben, deren Mütter zehn oder zwölf Kinder großziehen müssen und die nicht wissen, wie sie überleben sollen. Als Christen versuchen sie, ein

wenig Wegweiser zu einem menschenwürdigen Dasein zu sein. Dabei vermitteln sie ihren Glauben, der ihnen Grund aller Hoffnung ist.

Es mag allen ähnlich ergehen wie MONIKA SCHUTZKA, die ihre eigenen Erfah-rungen so zusammenfasste: „Wir fangen an zu lernen, wie man ohne Geräte auskom-men kann. Wir versuchen, mit den Leuten zusammenzuleben und bei ihnen zu sein. Wir brauchen viel Zeit, Geduld und Hoffnung. Wie viel gibt es da über das Leben in einem Dorf zu lernen, in einem Haus zu erkennen, was, wie und warum die Menschen bestimmte Dinge tun. Wir müssen herausfinden, welche Mittel und Möglichkeiten vorhanden sind. Und wir sehnen uns und warten auf die Zeit, wenn die Menschen uns so kennen und vertrauen werden, dass sie bereit sind, mit uns zu reden und vielleicht später einmal auf uns zu hören. Wir möchten miteinander teilen und arbeiten, dass die Menschen in ihrem eigenen Zuhause mit ihren eigenen Mitteln versorgt werden. Wir werden noch viel von unserer früheren Ausbildung gebrauchen, aber wir müssen unser Wissen neu durchdenken und neu erlernen, damit wir es so gebrauchen kön-nen, dass es nicht verletzt, sondern zum Heilen hilft, indem wir versuchen, nicht zu geben, sondern mit den Menschen in unserer Gemeinde zu leben, zu teilen, Anteil zu nehmen.“

Es ist eine Medizin, die ohne Instrumente und Apparate auskommt, eine „Medizin der leeren Hände“ (SCHUTZKA), die nicht viel mehr bringen kann als sich selbst, aber auch nicht weniger, die dabei aber der Sendung Jesu in diese Welt mehr entspricht als manche beeindruckende Hospitäler, Projekte und Stationen. Da steht nichts zwischen dem Helfenden und Betroffenen, nichts verwehrt den Zugang, keine materiellen Güter, keine Verpflichtungen, keine Besserwisserei. So ist Freiheit zur Entscheidung möglich, auch zum Glauben an Jesus. Christliche Gesundheitsarbeit geschieht im Horizont des Glaubens. Sie ist begründet im Glauben an Christus und zielt auf die Verkündigung der Christusbotschaft. Deshalb gilt es immer wieder, den tieferen Zusammenhang zwischen der Verlorenheit des Menschen und den äußeren Unheilszeichen transpa-rent zu machen und gleichzeitig einzuladen zum Heil in Christus. So verstanden trägt jede Form der Diakonie missionarischen Charakter.

Unser Ziel reicht weiter

In der islamischen Kultur spielt neben der Theologie gerade die Medizin eine wich-tige Rolle. Beide Wissenschaften verhalten sich im Denken der Muslime wie Pol und Gegenpol. Sie symbolisieren die Welt der Religion und die der Körperlichkeit, es sind „die beiden großen Begriffe, auf die alle Betrachtungen im Islam gerichtet sind: Dies-seits und Jenseits.“* Aber Transzendenz und Immanenz berühren einander nicht; bei-de Bereiche kommen einander nicht nahe. Durch den Tod Christi am Kreuz reicht die Liebe Gottes in die Gegenwart und wird greifbar. Hier berührt das Ewige unsere

III. Mission unter dem Zeichen des Kreuzes Diakonie der leeren Hände

44 45*Klein-Franke, S. 2 44

Page 24: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

Gegenwart und damit unsere Existenz. FRIEDRICH VON BODELSCHWINGH hat einmal ausgerufen: „Medizin kann man überall nehmen; Bethels Ziel reicht weiter, es reicht in die Ewigkeit.“ Eine gute medizinische Versorgung kann sicher auch die isla-mische Medizin gewährleisten. Aber das Ziel des Islams reicht dabei nicht über diese Welt hinaus. Der Islam ist eine Religion des Diesseits, der menschliche Paradiesträu-me träumt. Die Medizin will dem Menschen ein gutes und glückliches Leben in dieser Welt vermitteln. Medizin, Entwicklungs- und Sozialhilfe, Hunger- und Katastrophen-hilfe, Gesundheitsprogramme, dies alles und noch viel mehr können die Menschen in der „Dritten“ Welt auch von anderen Stellen erhalten, nicht aber das Evangelium.

Das Evangelium der Welt weiterzugeben ist Pflicht und Aufgabe der Gemeinde, eine Aufgabe, die sonst niemand erfüllen kann. Das Ziel unserer Arbeit reicht über un-sere Wirklichkeit hinaus in die Ewigkeit. Mit dieser weiten Perspektive tritt die Ge-meinde in der Diakonie unter die Leidenden und Sterbenden, unter die Kranken und Hungernden. Nicht die Not dieser Welt bestimmt unser Programm, sondern der wie-derkommende Herr. „Diakonie ist Herberge des Heilandes, dem die Gemeinde ent-gegeneilt“, formulierte THEODOR SCHOBER einmal das Wesen des diakonischen Auftrages, den die Bibel uns gibt. Missionsärztliches Handeln, das heilende Handeln der Gemeinde überhaupt, ist „das Zeichen der Morgenröte“ (SCHOBER) des herein-brechenden Reiches Christi in diese oft so finstere Welt. Es ist ein Zeichen dafür, ein Hinweis darauf, dass einmal wahr werden wird, was in der Offenbarung an Johannes steht: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein“ (Offb 21,4).

46 47

LiteraturverzeichnisACKERKNECHT, Erwin H.: Geschichte der Medizin. Stuttgart: 4. 1979ANEES, A. MUNAWAR: Bibliography on Islamic Medicine. The Muslim World Book Review 5, No. l (1984), 59-68ANONYM: Medizin der Mullahs. Deutsches Ärzteblatt 81, Heft 19 (1984),1513f ANTES, PETER: Ethik und Politik im Islam. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: 1982 AROUA, AHMED: Rezepte und Ratschläge von Dr. Avicenna. UNESCO-Kurier 10 (1980), 18fASIMOV, MOHAMMED S.: Ibn Sina-Avicenna. UNESCO-Kurier 10 (1980), 4-8 AYOUB, MAHMOUD: Redemptive Suffering in Islam. Paris, New York: 1978 BAUMHÖGGER u. a.: Ostafrika. Reisehandbuch Kenya - Tanzania. Frankfurt a. M.: 31981

BlCHMANN, WOLFGANG: Die Problematik der Gesundheitsplanung in Entwicklungsländern. Frankfurt a. M., Bern: 1979 -: Traditionelle Medizin in der Gesundheitsversorgung Afrikas. E+Z 3 (1984), 18-20BEYREUTHER, ERICH: Geschichte der Diakonie und Inneren Mission in der Neuzeit. Berlin: 21983BIRNBAUM, RAOUL: Der heilende Buddha. München: 1982BLISS, FRANK: Islamischer Volksglaube der Gegenwart. Arbeitsmaterialien für den Landes- kundlichen Unterricht 6 (o. J.)BOUMAN, JOHAN: Das Wort vom Kreuz und das Bekenntnis zu Allah. Frankfurt a. M.: 1980-: Christentum und Islam im Vergleich. Gießen, Basel: 1982-: Mystik im Islam am Beispiel von Abu Hamid al-Ghazali. PORTA 47 (Studentenmission in Deutschland, Marburg: 1990), 40-47BRANDENBURG, DIETRICH: Medizin und Magie. In: Medizingeschichtliche Miniaturen, Bd. 1. Berlin: o. J.BüRGEL, J. CHRISTOPH: Secular and Religion. Features of Medieval Arabic Medicine. In: Asian Medical Systems. LESLIE, CHARLES (Hrsg.). Berkeley, Los Angeles, London: 1977-: Islamisches Mittelalter. In: Krankheit, Heilkunst, Heilung. SCHIPPERGES, H.; SEIDLER, E.; UNSCHULD, P. U. (Hrsg), S. 271-302. München: 1978-: Allmacht und Mächtigkeit. Religion und Welt im Islam. München: 1991

DODGE, R. E.: Der ungeliebte Missionar. Stuttgart: 1965DORNER, WOLF G.: Ölländer finanzieren Wiedergeburt der islamischen Medizin. Deutsches Ärzte-blatt 79, Heft 38 (1982), 92f

ELA, JEAN-MARC: Mein Glaube als Afrikaner. Freiburg, Basel, Wien: 1987 (Theologie der Dritten Welt, Bd. 10.)

FlSCHER-HOMBERGER, ESTHER: Geschichte der Medizin. Berlin, Heidelberg, New York: 1977

GARDET, LOUIS: Islam. Köln: 1968GOERKE, HEINZ: Arzt und Heilkunde. München 1984GRAF, ERWIN: Die Stellungnahme islamischen Rechts zur Geburtenregelung und Geburtenbe- schränkung. In: Der Orient in der Forschung (FS O. Spies).HOENERBACH, WILHELM (Hrsg.), S. 209-232. Wiesbaden: 1967 GUPTA, K. R. L.: Hindu Practice of Medicine. New Delhi: 1986

HAMEED, ABDOL, H.: The Holy Prophet as a Healer. In: Institute of History of Medicine and Medical Research (New Delhi: 1977), 236f

III. Mission unter dem Zeichen des Kreuzes

Page 25: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

IBN BUTLAN: Das Ärztebankett. Stuttgart: 1984IBN RIDWAN, ALI: Über den Weg zur Glückseligkeit durch den ärztlichen Beruf. (DIETRICH, ALBERT, Hrsg.). Göttingen: 1982IMPERATO, P. J.: African Folkmedicine Practices and Beliefs of the Bambara and Other Peoples. Baltimore: 1977

Der islamische Kodex der ärztlichen Ethik - „Deklaration von Kuwait“. Deutsches Ärzteblatt 80, Heft 44 (1983), 66-69

JACHERTS, NORBERT: Einreise nach Persien. Deutsches Ärzteblatt 81, Hefte 3-7 (1984)JANZEN, J. M.; FLIERMANN, S. (Hrsg): The Social History of Disease and Medicine in Africa. Special Issue, Soc. Sci. and Medicine, 13 B, 4 (1979)

KÄSER, LOTHAR: Der Arzt - ein Kulturveränderer. In: Vorbereitung auf den missions-diakonischen Dienst. In: PROPACH, GERD (Hrsg.). Marburg: Studentenmission in Deutschland 1986. (PORTA-IMPULSE 4.). 9-11KELLERHALS, EMANUEL: Der Islam. Gütersloh: 1978KHALID, D.: Reislamisierung und Entwicklungspolitik. München, Köln, London: 1982. (Forschungsberichte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit 30.)KHOMEINI, Ajatollah: Meine Worte. Weisheiten - Warnungen - Weisungen. München 1980KHOURY, A. TH.: Einführung in die Grundlagen des Islams. In: Islam und westliche Welt, Bd. 3. Graz, Wien, Köln: 1980. S. 226-236-: Der Islam und das Leiden. In: RICHTER, KLAUS (Hrsg.): Muslime im Krankenhaus, Altenberge: 1980. S. 8-11-: Abtreibung im Islam. Cibedo-Dokumentation 11 (1981), 241KLEIN-FRANKE, FELIX: Vorlesungen über den Medizin im Islam VIII. Wiesbaden 1982. (Sudhoffs Archiv, Beiheft 23.)KOHLBRUGGE, HANNA: Leiden in der islamischen Mystik. Wiesbaden: Orientdienst o. J.KRISS, RUDOLF; KRISS-HEINRICH, HUBERT: Volksglaube im Bereich des Islam. Bd. 1: Wallfahrtswesen und Heiligenverehrung. Bd. 2: Amulette, Zauberformeln und Beschwörungen. Wiesbaden: 1960/1962KROMKA, FRANZ; KREUL, WALTER: Unternehmen Entwicklungshilfe - Samariterdienst oder Verwaltung des Elends? Osnabrück, Zürich: 1991 (Edition Interfrom.)

LAST, GÜNTER: Der Koran zur Familienplanung. Deutsches Ärzteblatt 11 (1980), 704-712-: „Ein Greuel von Satans Werk“. Alkoholverbot im Islam. Deutsches Ärzteblatt 80, Heft 37 (1983), 75-77LICHTENTHAELER, CHARLES: Geschichte der Medizin. Köln: 31982LYONS, ALBERT; PETRUCELLI II, JOSEPH: Die Geschichte der Medizin im Spiegel der Kunst. Köln: 1980

MANZ, VOLKER: Heiler und Heilung im islamischen Kontext mit Beispielen aus Ägypten. Maschinenschr. Seminararbeit. Universität Marburg 1986MAYER-SCHEU, JOSEF: Vom Behandeln zum Heilen. Wien, Freiburg, Basel, Göttingen: 1980. (Pastoralanthropologische Reihe, Bd. 4.)MOINUDDIN, AL-CHISTIYYA; ABU, A. M.: Die Heilkunst der Sufis. Grundsätze und Praktiken. Freiburg: 1984

NABAWI, MIR-HOSSEIN: Hygiene und Medizin im Koran. Stuttgart: 1967NEMEC, JEANNE: Rediscovering an Ancient resource. A New Look at Traditional Medicine. Contact 58 (1980)

OPITZ, B.: Die Medizin im Koran. Stuttgart: 1906OSEI-MENSAH, OTTFRIED: Why PACLA? In: Pacing the New Challenge. The Message of PACLA. Kisumu: 1978, S. 19-23

PFLEIDERER, BEATRIX; BICHMANN, WOLFGANG: Krankheit und Kultur. Berlin 1985PlPER, WULF: Die Welt der Araber in Büchern einer alten Bibliothek. Wolfenbüttel: 1983

RAHMAN, FAZLUR: Islam and Health. Hamdard Islamicum, Vol. 5, No. 4, 75-88REINERT, B.: Die Lehre vom tawakhul in der klassischen Sufik. In: Studien zur Sprache, Geschichte und Kultur des islamischen Orients. Berlin: 1968RÖDER, FRIEDHELM: Die Bedeutung türkischer Heiler (Hodschas) für die allgemein-ärztliche Praxis. Deutsches Ärzteblatt 85, Heft 4 (1988), 1319

SAID, HAKIM MOHAMMED: Der Kanon der Medizin. UNESCO-Kurier 10 (1980), 13-17SANON, ANSELME TITIANMA: Heil und Heilung für den Christen in Afrika. Nachrichten aus der ärztlichen Mission, Gelbe Beilage (April - Juni 1991). Tübingen: 1991SCHIPPERGES, HEINRICH: Die Assimilation der arabischen Medizin durch das lateinische Mittelalter. Wiesbaden: 1964SCHUTZKA, MONIKA: Gedanken aus Sanagaon. Tübingen: 1975. (Schriftenreihe des Deutschen Instituts für ärztliche Mission.)SICH, DOROTHEA; DIESFELD, HANS JOCHEN; u. a.: Medizin und Kultur. Heidelberg: Institut für Tropenhygiene und öffentliches Gesundheitswesen am Südasieninstitut der Universität Heidelberg 1988STUMPFE, KLAUS-DIETRICH; Die Heilmethoden der Medizinmänner. Curare 6 (1983), 25-31

TROLL, CHR.: Art. „Krankenhaus“. In: Lexikon der Islamischen Welt, Bd.2. KREISER, KLAUS; u.a. (Hrsg.). Stuttgart, Berlin: 1974

TROEGER, EBERHARD: Dem Schwachen dienen - den Schwachen ausnutzen? EMO-Nachrichten 2 (1992), 19TWORUSCHKA, MONIKA: Islam. In: Ethik der Religionen - Lehre und Leben, Bd. 3. KLÖKKER, MICHAEL; TWORUSCHKA, UDO (Hrsg.). München, Göttingen: 1985-: Das Fasten der Moslems im Monat Ramadan. Deutsches Ärzteblatt 83, Heft 18 (1986), 1275f

ULLMANN, MANFRED: Die Medizin im Islam. Leiden 1970-: Art. „Medizin“. In: Lexikon der Islamischen Welt, Bd. 2. KREISER, KLAUS; u. a. (Hrsg.). Stuttgart, Berlin: 1974UNSCHULD, P. U.: Konfliktanalyse in medizinischen Transfersituationen. In: RUDNITZKI, R., u. a. (Hrsg.): Ethnomedizin. Beiträge zu einem Dialog zwischen Heilkunst und Völkerkunde. Barmstedt: 1977. S. 79-S5

48 49

Page 26: Gerd Propach Medizin - Willkommen - Welcome · System. Die Patienten und deren Angehörige sahen sich in eine für sie unlösbare Kon- Die Patienten und deren Angehörige sahen sich

Bildnachweis und -erläuterungen

Titelseite: Titelblatt: Buch der Medizin von Rhazes http://en.wikipedia.org/wiki/Image:Colophon-Razi‘s_Book_of_medicine_for_Mansur.jpg

Abb.1: Afrikanischer Heiler, Tuschezeichnung Philippe de Youmsi, Kamerun Sammlung Regina und Gerd Riepe

Abb. 2: Anatomische Tafel in Sanskrit , Nepal, seit Jahrtausenden wird in Nepal die Ayurveda praktiziert. Entnommen: Anne Woodham, Dr. David Pefers, Enzyklopädie der Naturweisheiten, Mosaik-Verlag, München 1999, S. 144

Abb. 3: Trad. Chinesische Heilkunde, Akupunktur-Tafel mit Darstellung eines Meridians und ihm zugehöriger Punkte http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:ChineseMedecine.JPG&filetimestamp= 20060115132636 (25.05.2009)

Abb. 4: Ausreitender Buddha. Siddhartha begegnet einem Greis, einem Fieberkranken, einem Leichnam und einem Mönch. http://de.wikipedia.org/wiki/Buddha (25.05.2009)

Abb 5: Europäische mittelalterliche Darstellung Al-Razis aus dem „Receuil des traites de medecine“ (1250-1260), http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Al-RaziInGerardusCremonensis1250.JPG

Abb 6: Avicenna als Princeps Abinsceni mit Krone und Zepter, Holzschnitt einer Ausgabe des Canon aus Venedig, 1520 http://de.wikipedia.org/wiki/Avicenna

Abb 7: Besuch des Arztes am Krankenbett, Avicenna canon medicinae, Bild: bpk / Scala

Abb 8: Averroës (Ausschnitt eines Gemäldes von Andrea Bonaiuto; 14. Jhd.) http://de.wikipedia.org/wiki/Averro%C3%ABs

Abb 9: Invokation Allahs in einer Abschrift des Kanon von 1597/98 http://de.wikipedia.org/wiki/Avicenna

Abb. 10: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Maimonides-2.jpg&filetimestamp= 20080505210959 Idealporträt Maimonides’ aus dem 19. Jahrhundert

Abb.11: Apothekenregal eines staatlichen Regierungskrankenhauses / Tanzania Foto: mmh/mms

Abb.12: Apothekenregal in einer Ambulanz einer Missionseinrichtung / Tanzania Foto: mmh/mms

Abb.13: Ausschnitt aus dem Hundertguldenblatt mit Darstellung „Christus heilt die Kanken“. Rembrandt, um 1648. Foto: Jörg P. Anders. bpk Berlin, Kupferstichkabinett Staatliche Musseen / 302-1898

50

Dr. Gerd Propach

Hat als Arzt eine Gesundheitseinrichtung der anglikanischen Kirche in Tanzania im Kigoma-Distrikt geleitet. Z.Zt. beratender Arzt im Bereich Sozialmedizin beim Medizinischen Dienst der Kranken-versicherungen Hessen (MDK). 2.Vorsitzender der MMH/MMS.

edizinische issionshilfe

Community Health Development

MM

ÉMedizinische Missionshilfe e.V.ÉMedical Mission Support

Zusammen

was bewegen: