frauen und buddhismus, frauen und freiheit - sylvia wetzel

4
Frauen und Buddhismus, Frauen und Freiheit Die Begegnung mit dem Buddhismus hatte mein Herz berührt wie nichts zuvor im Leben. Ich fand die tibetischen Lamas klug und voller Wärme. Die Lehren waren zwar scholastisch strukturiert und häufig seltsam und überaus moralisch formuliert, aber klar und inspirierend. Die Übungen funktionierten und öffneten mir die Augen für mich selbst und die anderen. Ich fühlte mich wohl und fand mich wieder in den Lehren. Zumindest solange ich mich als "allgemeinen" Menschen oder als Individuum sah. Doch trotz allem guten Willen meinerseits war unübersehbar, dass auch im Buddhismus - wie überall - auf allen Ebenen Männer die erste Geige spielten. Die wunderbaren Lehrer waren alle Männer, der Buddha war ein Mann, die Kommentare zu den Lehrreden und heiligen Schriften stammten von Männern, der Dalai Lama war ein Mann usw. Ich fragte mich immer wieder: Wo sind hier die Frauen? Ist das auch ein Weg für Frauen? Eine so wunderbare Lehre kann doch nicht einfach genauso männerfixiert sein wie alle Wege im Westen, die ich kannte. Für eine Weile stellte ich die Frage nach den Frauen zurück, sah mich als Individuum, arbeitete, studierte und meditierte. Doch ich merkte immer deutlicher: Auch im Buddhismus steht hinter dem allgemeinen Menschen, dem die wunderbaren Lehren und Übungen gelehrt wurden, das Modell Mann. Immer lauter wurden meine Fragen nach Rolle und Ort der Frauen. Die Begegnung mit Übenden und Lehrenden aus anderen buddhistischen Traditionen erleichterte mir das Fragen, da ich ihnen mit mehr Distanz gegenüber stand. Es ist nicht einfach, Menschen zu hinterfragen, von denen man sehr viel gelernt hat und die man schätzt. Es fiel mir leichter, mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Theravada, dem Zen und den anderen tibetischen Traditionen über die Rolle der Frauen zu sprechen und ihre Aussagen in Frage zu stellen. Es dämmerte mir, dass der Buddhismus genauso patriarchal war und auch sein musste wie alle anderen Systeme in Gesellschaften, in denen Männer den Ton angeben und Frauen aus vielen

Upload: nietzsche07

Post on 10-Dec-2015

213 views

Category:

Documents


1 download

DESCRIPTION

Frauen und Buddhismus, Frauen und Freiheit - Sylvia Wetzel.

TRANSCRIPT

Page 1: Frauen Und Buddhismus, Frauen Und Freiheit - Sylvia Wetzel

Frauen und Buddhismus, Frauen und FreiheitDie Begegnung mit dem Buddhismus hatte mein Herz berührt wie nichts zuvorim Leben. Ich fand die tibetischen Lamas klug und voller Wärme. Die Lehrenwaren zwar scholastisch strukturiert und häufig seltsam und überaus moralischformuliert, aber klar und inspirierend. Die Übungen funktionierten undöffneten mir die Augen für mich selbst und die anderen. Ich fühlte mich wohlund fand mich wieder in den Lehren. Zumindest solange ich mich als"allgemeinen" Menschen oder als Individuum sah. Doch trotz allem guten Willenmeinerseits war unübersehbar, dass auch im Buddhismus - wie überall - aufallen Ebenen Männer die erste Geige spielten. Die wunderbaren Lehrer warenalle Männer, der Buddha war ein Mann, die Kommentare zu den Lehrreden undheiligen Schriften stammten von Männern, der Dalai Lama war ein Mann usw.Ich fragte mich immer wieder: Wo sind hier die Frauen? Ist das auch ein Wegfür Frauen? Eine so wunderbare Lehre kann doch nicht einfach genausomännerfixiert sein wie alle Wege im Westen, die ich kannte. Für eine Weilestellte ich die Frage nach den Frauen zurück, sah mich als Individuum,arbeitete, studierte und meditierte. Doch ich merkte immer deutlicher: Auchim Buddhismus steht hinter dem allgemeinen Menschen, dem die wunderbarenLehren und Übungen gelehrt wurden, das Modell Mann. Immer lauter wurdenmeine Fragen nach Rolle und Ort der Frauen.

Die Begegnung mit Übenden und Lehrenden aus anderen buddhistischenTraditionen erleichterte mir das Fragen, da ich ihnen mit mehr Distanzgegenüber stand. Es ist nicht einfach, Menschen zu hinterfragen, von denenman sehr viel gelernt hat und die man schätzt. Es fiel mir leichter, mitKolleginnen und Kollegen aus dem Theravada, dem Zen und den anderentibetischen Traditionen über die Rolle der Frauen zu sprechen und ihreAussagen in Frage zu stellen. Es dämmerte mir, dass der Buddhismus genausopatriarchal war und auch sein musste wie alle anderen Systeme inGesellschaften, in denen Männer den Ton angeben und Frauen aus vielen

Page 2: Frauen Und Buddhismus, Frauen Und Freiheit - Sylvia Wetzel

Bereichen ausgeschlossen sind. Doch gab es einige feine Unterschiede.

Meine damalige Analyse ergab: Die Lehren selbst sind zu großen Teilenbrauchbar für Frauen. Das zeitbedingte Gewand des Buddhismus ist in allenTraditionen recht patriarchal, kann aber verändert werden. Drei Aspekte derLehren fand ich auf meiner Suche nach dem Ort der Frauen theoretisch undpraktisch außerordentlich hilfreich: 1. In der Buddha-Lehre wird der eigenenErfahrung großer Wert beigemessen, also gibt es prinzipiell auch Raum für dieErfahrungen von Frauen. 2. Es geht darum, Leiden abzubauen. Wenn ich Lamasdarauf hinwies, dass frauenfeindliche Aussagen oder bloße Beispiele aus einermittelalterlichen Männerwelt Frauen verletzen, waren sie sehr bemüht, dienächsten Vorträge anders zu gestalten. 3. Die wichtigste Lehraussage inSachen Frauen ist für mich die Lehre vombedingten Entstehen. Wenn man sieklug auslegt, müsste eigentlich auch ein konservativ denkender Lama, Meisteroder Schüler begreifen, dass Selbstbilder, Geschlechterrollen, Geschichtenund Lehrmethoden zeitbedingt sind und damit veränderbar. Auf diese Lehrengreife ich häufig zurück.

In den Begegnungen und Gesprächen mit Frauen und Männern auf dembuddhistischen Weg begriff ich bald, dass es auch hier mehr als eineGeneration dauern würde, um Lehren und Übungen von ihren patriarchalenElementen befreien zu können. Ende der achtziger Jahre fiel mir in derbuddhistischen Welt die Rolle der "Feministin vom Dienst" zu. Dies ist keineleichte Rolle. Sie brachte mich immer wieder in ernsthafte Krisen. Nicht immerwar ich guten Mutes, und manchmal verlor ich die Geduld. Die Jahre derMeditation hatten mich zwar gelehrt, dass Veränderungen unendlich langsamvonstatten gehen, aber oft war dies schwer zu ertragen. Im Herbst 1993 saßich nach einer Redaktionssitzung der Lotusblätter heulend im Auto undverwünschte mein hartnäckiges Suchen nach dem eigenen Weg. Warum konnteich nicht wie so viele andere Frauen und Männer den vorgegebenen Bahnenfolgen und "geschlechtslosen" Buddhismus üben und lehren? DieserZusammenbruch war der Wendepunkt. Danach spürte ich plötzlich mehrVertrauen dazu, dass mein Weg mich schon dahin bringen würde, wo ichhingehöre.

Zwei Seelen kämpften Ende der achtziger Jahre in meiner Brust: Einerseitsleitete ich immer noch ein tibetisch-buddhistisches Zentrum undrepräsentierte zunächst als Vizepräsidentin und später als Sprecherin derDeutschen Buddhistischen Union den Buddhismus in der allgemeinenÖffentlichkeit. Andererseits erkannte ich immer genauer, wie sehr auch "derBuddhismus" und seine Vertreter die Welt mit den Augen der Männer sahen,und wie wenig Frauen, ihre Erfahrungen und ihre Fragen in den allgemeinen

Page 3: Frauen Und Buddhismus, Frauen Und Freiheit - Sylvia Wetzel

Lehren vorkamen. Das tat weh. Besonders schmerzhaft war, dass kaum jemandunter meinen buddhistischen Kolleginnen und Kollegin die Frage nach denFrauen wichtig nahm und niemand das Thema als Problem beiderGeschlechter begriff. Wenn ich nicht darauf pochte, war das Thema vomTisch. Für die anderen war das mein Trip. "Und wenn schon", dachte ich mir, "esgeht um mein Leben, und die Fragen berühren mein Herz." Irgendwann hörteich auf, nach Anerkennung für meine feministische Buddhismus-Kritik zusuchen. Ich suchte nach einem Weg für Frauen, hielt Vorträge zum Thema undgab Meditationskurse für Frauen. Wenn das die anderen nicht interessierte,war das ihr Problem. Überraschenderweise interessierten sich von demAugenblick an einige Kolleginnen und Kollegen für meinen Ansatz und stelltenplötzlich ihre eigenen Fragen.

Ich spürte, dass ich für mein Forschen mehr Raum brauchte. Nachdem ich eineNachfolgerin eingearbeitet hatte, legte ich Ende 1988 die Leitung desSeminarhauses nieder, blieb dem Zentrum aber weiterhin verbunden und halteauch heute noch Kurse im Münchner Zentrum. Jetzt hatte ich den Raum, denBuddhismus "mit den Augen einer Frau" gegen den Strich zu bürsten. Dieäußere Distanz gab mir ein Umzug nach Frankfurt. Noch war Berlin von einerMauer umgeben, und ein Leben in einer Stadt ohne grünes Hinterland war fürmich undenkbar geworden. Nach zwanzig Jahren Wohngemeinschaft, davonzwölf Jahre in buddhistischen Zentren - mit einem kurzen BerlinerZwischenspiel - zog ich Anfang 1989 mit knapp vierzig Jahren in eineEinzimmerwohnung im Frankfurter Nordend und suchte Arbeit. Wiederunterrichtete ich Deutsch als Fremdsprache. Ich hatte noch in Jägerndorfbereits zwei Bücher für einen "professionellen" buddhistischen Verlagübersetzt und nahm weitere Aufträge an. Meinen Lebensunterhalt verdienteich mit Deutschunterricht und Übersetzungen, und meine Arbeit ließ mirgenügend Zeit, regelmäßig an Klausuren und buddhistischen Seminarenteilzunehmen und auch selbst zu unterrichten. In der Jägerndorfer Zeit hatteich viele Kurse als Übersetzerin begleitet, später auch Meditationen undGesprächsgruppen angeleitet und Vertiefungskurse gegeben. Ab 1986 gab ichvermehrt Kurse in Jägerndorf und wurde eingeladen, auch Meditationskurse ananderen Orten zu geben.

In der Frankfurter Zeit prüfte ich den Buddhismus noch einmal auf Herz undNieren. Ist das wirklich auch einen Weg für Frauen? Eine große Inspiration warmir dabei die Begegnung mit den Werken der feministischen PsychoanalytikerinLuce Irigaray und der italienischen Philosophin Luisa Muraro. Zusammen miteiner feministischen Philosophin aus Frankfurt begann ich, Kurse zum ThemaGeschlechterdifferenz an der Frankfurter Frauenschule zu geben. In einigen

Page 4: Frauen Und Buddhismus, Frauen Und Freiheit - Sylvia Wetzel

Kursen experimentierte ich mit meditativer Textlektüre und stillen Übungen.Aus diesen Kursen entstanden neue Ansätze für Meditationskurse mit Frauen:Wie weibliche Freiheit entsteht; Mutter-Tochter, Göttin-Frau; Neid undKonkurrenz unter Frauen, Übergangsriten für Frauen u.a. Seit 1982 hatte ichin Absprache mit Lama Yeshe Übungstage, Wochenenden und Übungswochenzur Grünen Tara für Menschen ohne "Einweihung" in die Praxis angeboten.Diese Veranstaltungen stoßen auch heute noch auf großes Interesse, und diesePraxis steht heute im Zentrum meiner buddhistischen Kurse. Schwerpunktaller meiner Kurse ist die zeitgenössische Interpretation der Lehren. Sierichten sich ausdrücklich auch an Menschen, die weder eine neue Religionsuchen noch Interesse an den Feinheiten buddhistischer Philosophie haben. Siemöchten Menschen im Westen Zugang zu den lebensnahen Konzepten undpraktischen Übungen des Buddhismus bieten. In allen Kursen werden daher derpersönliche Erfahrungshintergrund sowie geschlechtsspezifische und sozio-kulturelle Bedingungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer einbezogen.Besonders Frauen genießen es, dass ihre Lebenswirklichkeit - mit Beziehungen,Kindern, Doppelbelastung und Alltag, mit Interesse am Körper, den Sinnen undder Welt - nicht als Hindernis, sondern als Ausgangspunkt ihres spirituellenWeges angenommen und geschätzt wird.

…( SYLVIA WETZELSchwarz - Rot - GrünEin Schwarzwaldmädel, rote Roben und die Grüne Tara )