das kreative uhrwerksuniversum : experiment zum nachmachen und nachdenken

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180 | Biol. Unserer Zeit | 34. Jahrgang 2004 | Nr. 3 DOI:10.1002/biuz.200410249 © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Nichts aber ist dem Geist angenehm außer der Harmonie. G. W. Leibniz D ie meisten Menschen würden entrüstet widerspre- chen, wenn man die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns mit einem System von Uhrwerken vergleicht (Ab- bildung 1). Ist das Uhrwerksbild nicht hoffnungslos reduk- tionistisch, ja lächerlich und geradezu eine Kränkung für unser Denkorgan? Und dennoch: Ein einfaches Experiment mit gekoppel- ten Metronomen demonstriert überraschende Wechselwir- kungen. Analoge dynamische Prozesse spielen auch in der Funktion unseres Gehirns auf ganz unterschiedlichen Ebe- nen eine zentrale Rolle. Wir sind sogar in der Lage, die ent- sprechenden Muster und Wechselwirkungsprodukte, wie sie die Metronome erzeugen, bei uns selbst per Introspek- tion wahrzunehmen, wenn wir nur gelernt haben, die Sig- nale richtig zu deuten. Der Versuch ist mit ein wenig tech- nischem Geschick als Heimexperiment durchführbar. Experiment 1: Man nehme vier (oder noch mehr) Me- tronome und stelle sie ungefähr (aber nicht genau) auf die gleiche Taktrate ein. Wenn sie nebeneinander auf einem stabilen Tisch stehen, wird jedes Metronom als autonome Einheit agieren, die für sich schwingt und einen eigenen Takt unabhängig von den anderen produziert. Die Überla- gerung der verschiedenen Taktschläge wirkt wie ein chao- tisches Durcheinander. Unser Gehirn versucht ständig, in dem scheinbaren Chaos eine Ordnung zu finden. Wir neh- men rhythmische Muster wahr, beispielsweise trab- oder galoppartige Rhythmen, die für eine gewisse Zeit stabil zu bleiben scheinen, obwohl sie sich ständig ändern. Der Komponist György Ligeti hat die Funktion unseres Gehirns, nach Ordnung und Struktur im Chaos der einströ- menden Signale zu suchen, dazu genutzt, um auf minimali- stische Weise Musik zu kreieren. In seinem bekannten „Poème Symphonique“ (siehe Kasten) erzeugen 100 ein- mal aufgezogene und dann sich selbst überlassene Metro- nome einen Fluss von Mustern in den Köpfen der Zuhörer. Je nachdem, wie viele Metronome noch am Laufen sind, empfinden wir ein chaotisches Geräusch oder mehr oder weniger rhythmische Muster. Die Uraufführung des Opus in Hilversum im Jahr 1963 führte zu einem Skandal (viel- leicht auch deswegen, weil erwartungswidrig nicht die Musiker, sondern ausschließlich die Zuhörer aktiv werden mussten). Experimente können manchmal eine subversive Rolle spielen und das Denken nachhaltig verändern. Um ein solches Ex- periment geht es hier. Es hat einige nicht ganz unbeabsichtigte Nebenwirkungen, zumindest was das Denken über das Denken betrifft. Auf den Punkt gebracht zeigt der Versuch, unter welchen Bedingungen Uhrwerke, also tote und „harte“ Materie, etwas Unerwartetes leisten. Sie regeln ihr Verhalten selbst und werden „weich“ und anpassungsfähig. Sie ent- wickeln Funktionen, die wir gewöhnlich nur bei lebenden und intelligenten Systemen für möglich halten. MECHANISCHE MUSIK | „Poème Symphonique für 100 pyramidenförmige mechanische Metronome habe ich 1962 komponiert. Die Partitur – eine Seite in Schreibmaschinenschrift – besteht aus Anweisungen, wie man die Metronome beschaffen, auf- und einstellen sowie aufziehen soll. Sobald die Apparate ticken, entsteht die musi- kalische Form automatisch, und wenn man die Einstellanwei- sungen streng befolgt, ist das resultierende Musikstück fast immer dasselbe.“ György Ligeti, „Mechanical Music“ Begleitheft zur gleichnamigen CD, Sony Classical Experiment zum Nachmachen und Nachdenken: Das kreative Uhrwerks- universum MANFRED E ULER ABB. 1 Was ge- schieht in unseren Köpfen hinter dem Vorhang der bewussten Wahr- nehmung? Uhren, die sich selbst steuern, modellieren erstaunlich gut adaptive, dynamische Prozesse im Gehirn. In der Printversion wurde der DOI falsch abgedruckt, der richtige DOI lautet: DOI:10.1002/biuz.200410253

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Page 1: Das kreative Uhrwerksuniversum : Experiment zum Nachmachen und Nachdenken

180 | Biol. Unserer Zeit | 34. Jahrgang 2004 |Nr. 3 DOI:10.1002/biuz.200410249 © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Nichts aber ist dem Geist angenehm außer der Harmonie.

G. W. Leibniz

Die meisten Menschen würden entrüstet widerspre-chen, wenn man die Arbeitsweise des menschlichen

Gehirns mit einem System von Uhrwerken vergleicht (Ab-bildung 1). Ist das Uhrwerksbild nicht hoffnungslos reduk-tionistisch, ja lächerlich und geradezu eine Kränkung fürunser Denkorgan?

Und dennoch: Ein einfaches Experiment mit gekoppel-ten Metronomen demonstriert überraschende Wechselwir-kungen. Analoge dynamische Prozesse spielen auch in derFunktion unseres Gehirns auf ganz unterschiedlichen Ebe-nen eine zentrale Rolle. Wir sind sogar in der Lage, die ent-sprechenden Muster und Wechselwirkungsprodukte, wiesie die Metronome erzeugen, bei uns selbst per Introspek-tion wahrzunehmen, wenn wir nur gelernt haben, die Sig-nale richtig zu deuten. Der Versuch ist mit ein wenig tech-nischem Geschick als Heimexperiment durchführbar.

Experiment 1: Man nehme vier (oder noch mehr) Me-tronome und stelle sie ungefähr (aber nicht genau) auf diegleiche Taktrate ein. Wenn sie nebeneinander auf einem

stabilen Tisch stehen, wird jedes Metronom als autonomeEinheit agieren, die für sich schwingt und einen eigenenTakt unabhängig von den anderen produziert. Die Überla-gerung der verschiedenen Taktschläge wirkt wie ein chao-tisches Durcheinander. Unser Gehirn versucht ständig, indem scheinbaren Chaos eine Ordnung zu finden. Wir neh-men rhythmische Muster wahr, beispielsweise trab- odergaloppartige Rhythmen, die für eine gewisse Zeit stabil zubleiben scheinen, obwohl sie sich ständig ändern.

Der Komponist György Ligeti hat die Funktion unseresGehirns, nach Ordnung und Struktur im Chaos der einströ-menden Signale zu suchen, dazu genutzt, um auf minimali-stische Weise Musik zu kreieren. In seinem bekannten„Poème Symphonique“ (siehe Kasten) erzeugen 100 ein-mal aufgezogene und dann sich selbst überlassene Metro-nome einen Fluss von Mustern in den Köpfen der Zuhörer.Je nachdem, wie viele Metronome noch am Laufen sind,empfinden wir ein chaotisches Geräusch oder mehr oderweniger rhythmische Muster. Die Uraufführung des Opusin Hilversum im Jahr 1963 führte zu einem Skandal (viel-leicht auch deswegen, weil erwartungswidrig nicht die Musiker, sondern ausschließlich die Zuhörer aktiv werdenmussten).

Experimente können manchmal eine subversive Rolle spielenund das Denken nachhaltig verändern. Um ein solches Ex-periment geht es hier. Es hat einige nicht ganz unbeabsichtigteNebenwirkungen, zumindest was das Denken über das Denken betrifft. Auf den Punkt gebracht zeigt der Versuch, unter welchen Bedingungen Uhrwerke, also tote und „harte“Materie, etwas Unerwartetes leisten. Sie regeln ihr Verhaltenselbst und werden „weich“ und anpassungsfähig. Sie ent-wickeln Funktionen, die wir gewöhnlich nur bei lebenden undintelligenten Systemen für möglich halten.

M EC H A N I S C H E M U S I K |„Poème Symphonique für 100 pyramidenförmige mechanischeMetronome habe ich 1962 komponiert. Die Partitur – eineSeite in Schreibmaschinenschrift – besteht aus Anweisungen,wie man die Metronome beschaffen, auf- und einstellen sowieaufziehen soll. Sobald die Apparate ticken, entsteht die musi-kalische Form automatisch, und wenn man die Einstellanwei-sungen streng befolgt, ist das resultierende Musikstück fast immer dasselbe.“

György Ligeti, „Mechanical Music“Begleitheft zur gleichnamigen CD, Sony Classical

Experiment zum Nachmachen und Nachdenken:

Das kreative Uhrwerks-universumMANFRED EULER

A B B . 1Was ge-

schieht in unseren Köpfen

hinter dem Vorhang der bewussten Wahr-

nehmung? Uhren, die sichselbst steuern, modellieren erstaunlich gut

adaptive, dynamische Prozesse im Gehirn.

In der Printversion wurde der DOI falsch abgedruckt, der richtige DOI lautet: DOI:10.1002/biuz.200410253

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Was unser Geist kann, nämlich aus den einströmenden Sig-nalen geordnete Strukturen erzeugen, das können aller-dings bereits die Metronome quasi von selbst. Sie könnenihr ungeordnetes Verhalten selbst organisieren, sich syn-chronisieren und als ein kohärentes Ganzes agieren, ohnedass ein externer „Uhrmacher“ eingreift, der ihr Verhaltenregelt. Dazu ist lediglich eine geeignete Kommunikation –also eine physikalische Wechselwirkung – notwendig.

Experiment 2: Man stelle die Metronome auf einePlatte, die beweglich aufgehängt ist und wie eine Schaukelschwingen kann (Abbildung 2). Die Schwingungsebene dereinzelnen Metronome und die der Schaukel sollten parallelsein. Nach kurzer Zeit ticken die Metronome auf der Schau-kel wie durch Geisterhand in exakt synchronem Gleich-takt. Aus dem wilden Durcheinander der unabhängigeneinzelnen Schläge hat sich ein neues wohlgeordnetesVerhaltensmuster entwickelt. Dies geschieht spontan undohne äußeres Eingreifen.

Ein Experiment, das mit uns spricht Die Taktschläge der sich synchronisierenden Metronomeziehen unsere Aufmerksamkeit magisch an. Auch ohne dassman den Effekt genauer versteht, spricht der Versuch fürsich! Wie stimmen sich die einzelnen Uhren untereinanderab, ohne dass ein Regler oder ein externer Taktgeber vor-handen ist? Durch welche geheimnisvolle „magnetische“Wirkung organisieren sich die unterschiedlichen Rhyth-men und verschmelzen zu einem Muster?

Metronome und Uhren werden gemeinhin als das Para-digma von Regularität, Verlässlichkeit und Vorhersagbar-

keit betrachtet. Der Begriff „Uhrwerksuniversum“ ist ge-wöhnlich negativ besetzt. Er wird benutzt, um die Grenzeneines mechanistischen Weltbilds aufzuzeigen, das als unzu-reichend angesehen wird, um Veränderung, Evolution undkomplexes Verhalten adäquat zu modellieren. Unser Expe-riment macht nachdenklich, denn es zeigt, wie Entwick-lung und Anpassung bereits auf mechanischer Ebene beigekoppelten Uhren entstehen können. Uhrwerke sind alsozu viel mehr fähig, als man gewöhnlich unterstellt. Als of-fene und nichtlineare Systeme sind sie wie unser Wahrneh-mungs- und Erkenntnisapparat anpassungsfähig und „emp-fänglich“ für das, was draußen passiert, und sie können so-gar in gewissen Grenzen ihr Verhalten darauf abstimmen.

Die gekoppelten Metronome sind ein Modell für Selbst-organisationsphänomene, eine universelle Erscheinung,die in offenen, hinreichend komplexen Systemen auftretenkann. Auf der Mikroebene wirken Teile des Systems bei ge-eigneten Randbedingungen so zusammen, dass auf der Makroebene neue Verhaltensweisen entstehen, ein Phäno-men, das man als Emergenz bezeichnet. Zwar handelt essich um ein physikalisches Experiment, doch es zeigt Bezüge zu biologischen Vorgängen. Prozesse, die wir derDomäne des Lebendigen und des Geistigen zuschreiben,sind offenbar schon auf materieller Ebene angelegt.

Selbstorganisation: das Ganze ist mehr als seine Teile

Vorgängerversionen dieses Versuchs finden sich in [3, 4].Eine noch einfachere Methode der Kopplung ist in [9] ab-gehandelt. In allen Fällen handelt sich um eine mechani-

A B B . 2 | E I N „ K R E AT I V E S U H RW E R K S U N IV E R S U M “

Ohne Kopplung überlagern sich dieTaktschläge der Metronome unge-stört. Jeder einzelne Taktgeberagiert für sich. Stellt man die Me-tronome auf eine beweglich aufge-hängte Platte, die wie eine Schaukelschwingt, so kann es zu einemneuen Verhaltensmuster kommen.Die Metronome synchronisierensich selbsttätig, ihre Schläge erfol-gen im Gleichtakt.

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sche Realisation von Synchronisationsphänomenen, derenumfassende Theorie ein aktuelles Thema theoretischer Forschung ist [10]. Im vorliegenden Rahmen wollen wirnicht eine mathematische Theorie entwickeln. Vielmehrbeschränken wir uns auf eine qualitative Deutung.

Stellt man die Metronome auf die Schaukel, so treibendie „kleinen“ Pendelschwingungen der einzelnen Taktge-ber das große Pendel (Schaukel) an. Sein Schwingungszu-stand ergibt sich aus einer Überlagerung, einer Addition,der antreibenden Momente der einzelnen Schwinger. Dasresultierende mittlere „Schwingungsfeld“, die Schwingungder Schaukel, wirkt wiederum auf die einzelnen Metro-nome zurück und beschleunigt oder hemmt deren Gang jenach individuellem Schwingungszustand. Sollte ein Taktge-ber vorgehen, so wird er gebremst, sollte er nachgehen, sowird er beschleunigt. Wenn die Metronome nicht zu sehrverstimmt sind, entwickelt sich so in wechselseitiger Ab-stimmung ohne äußeren Eingriff ein gemeinsamer Schwin-gungszustand. Alle Metronome arbeiten im gleichen Takt.Die Schwingungen sind kohärent.

Das periodische Auf und Ab von Schwingungen lässtsich im Modell eines Zeigers beschreiben, der wie etwa der Zeiger einer Uhr gleichförmig umläuft. Der jeweiligeSchwingungszustand (Phase) einer Welle entspricht derStellung eines Zeigers. Die Synchronisation sorgt dafür,dass die Zeigerstellungen der einzelnen „Uhren“ alle in diegleiche Richtung zeigen. Abbildung 3 zeigt diesen Vorgangschematisch: die Schaukelschwingungen synchronisierendie Taktschläge der Metronome und umgekehrt führen diesynchronisierten Pendelbewegungen der Metronome einegroße Amplitude der Schaukel herbei. Jedes einzelne Metronom ist ein offenes System, durch dasbei Betrieb Energie strömt. Beim Aufziehen des Metronomswird eine Feder gespannt. Ähnlich wie bei einem Uhrwerkerhält das Pendel des Metronoms in jedem Nulldurchgangeinen „Tritt“ in die richtige Richtung. Diese Energiezufuhrgleicht die Folgen der allgegenwärtigen Reibung aus. BeimZustandekommen des kohärenten Schwingungszustandsdes Gesamtsystems wirken zwei Funktionsprinzipien in ei-nem Rückkopplungskreis zusammen:• ein linearer Prozess (⊕): Überlagerung (Addition) der

Schwingungszustände der einzelnen Uhren zu einemmittleren Feld, das wiederum die einzelnen Akteuresteuert.

• ein nichtlinearer Prozess (⊗): Steuerung der Energiezu-fuhr zum einzelnen Metronom nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip, sobald ein bestimmter Schwingungszu-stand erreicht ist.

Es entsteht ein Regelkreis, der selbsttätig die Steuerung derEnergiezufuhr der einzelnen, offenen Teilsysteme über-nimmt. Die Schwingungen der Metronome verschmelzenmit dem großen Pendel zu einer Einheit. Der kohärente Zu-stand ist eine neue, emergente Eigenschaft. Das System rea-giert als Ganzes und entwickelt Verhaltensmuster, die aufder Ebene der Komponenten noch nicht ersichtlich sind.Das Experiment ist ein einfaches Beispiel für ein adaptives

A B B . 3 | S Y N C H RO N I SAT I O N S PRO Z E S S E

Oben: Synchronisation der einzelnen Metronomtakte (a) mit der Pendelschwin-gung (b). Unten: Zusammenwirken von linearen (⊕) und nichtlinearen (⊗) Pro-zessen in einem Rückkopplungskreis bei der Entstehung kohärenter Schwingun-gen. Die synchronisierten Metronomschwingungen wirken zusammen (Überla-gerung ⊕) und treiben die Pendelschwingung an. Umgekehrt wirkt die Pendel-schwingung auf die Metronomschwingungen zurück und beschleunigt oderhemmt deren Phase (Modulation ⊗).

A B B . 4 | Ü B E R L AG E R U N G VO N S C H W I N G U N G E N

a) Überlagerung bei regelloser, statistischer Verteilung derPhasen b) kohärente Überlagerung; alle Phasen sind infolgeder Synchronisation gleich.

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System und ein Modell für komplexe adaptive Prozesse, diein vielen biologischen Phänomenen eine zentrale Rollespielen.

Im Zeigerbild lässt sich die Wechselwirkung vonSchwingungen einfach beschreiben. Fasst man die Schwin-gungszustände der einzelnen Metronome als Zeiger auf, diebei der Überlagerung wie Vektorpfeile addiert werden, soerkennt man die dramatische Wirkung der Synchronisation(Abbildung 4). Ohne Phasenkopplung heben sich die von-einander unabhängigen Zeigerstellungen der einzelnen„Uhren“ praktisch auf. Im zeitlichen Mittel ist die resultie-rende Auslenkung null. Im kohärenten Zustand sind diePhasen synchron und die Zeiger weisen alle in die gleicheRichtung. Die mittlere Amplitude wächst mit der Zahl dersynchronisierten Einheiten an; es kommt zu einer Verstär-kung. Ein solches kohärentes Zusammenwirken von Teilenliegt beispielsweise technischen und biologischen Verstär-kerprozessen zugrunde.

Anziehende RhythmenOb die Metronome synchronisieren können, hängt davonab, wie stark sie gegeneinander verstimmt sind, also wiestark sich ihre Taktraten unterscheiden. Außerdem ist dieSynchronisation davon abhängig, wie stark die Metronomedurch die gemeinsame Bewegung der Grundplatte gekop-pelt werden. Diese Kopplungsstärke ist durch den Aufbaudes Versuchs fest vorgegeben. Im folgenden Experimentwird untersucht, wie das Schwingungsverhalten von derVerstimmung der Metronome abhängt.

Experiment 3: Man stelle nur zwei Metronome auf dieSchaukel. Das eine Metronom wird auf eine feste Frequenz(f1) eingestellt. Die Taktrate des zweiten Metronoms wirdstufenweise verändert (Frequenz f2). Die Schwingungendes großen Pendels werden aufgezeichnet und einer Fre-quenzanalyse unterzogen. Zur Aufzeichnung wurde einLow-Cost-Verfahren benutzt (Grafiktablett), das man auch imUnterricht oder in Heimexperimenten einsetzen kann [2].

Auf diese Weise wird das Verhalten des Systems in Abhängigkeit von dem eingestellten Frequenzunterschied ∆f = f2 – f1, der Verstimmung der Metronome, bestimmt.Sind die Metronome stark gegeneinander verstimmt, so be-einflussen sie sich nur wenig. Es entstehen neue Kombina-tionsfrequenzen, deren Amplitude bei Verringerung derVerstimmung anwächst. Die Frequenzen dieser Kombina-tionsprodukte fk sind gegeben durch

fk = m f1 ± n f2,mit m, n kleine ganze Zahlen (Abbildung 5).

Bei abnehmender Verstimmung sieht es so aus, als wür-den sich die beiden Frequenzen f1 und f2 anziehen, bis siebei einem kritischen Wert der Verstimmung zusammen mitden Kombinationsfrequenzen plötzlich zu einer einzigenFrequenz verschmelzen (Abbildung 6). Diese gemeinsameFrequenz fg wird über einen gewissen Bereich der Verstim-mung aufrechterhalten. Wird dann die Verstimmung weitervergrößert, bricht der phasengekoppelte Zustand plötzlichwieder auf.

Im Ergebnis wirkt die Kopplung der Metronome so, alswürden sich ihre Frequenzen anziehen. Der Effekt der Fre-quenzkopplung hat eine gewisse Ähnlichkeit zur Anzie-

A B B . 5 | F R EQ U E N Z A N A LYS E D E R S C H W I N G U N G E N D E S G ROSS E N PE N D E L S ( S C H AU K E L )

Die Schaukel wird von den Schwingungen zweier verstimmter Metronome ange-trieben. Die Frequenzen der beiden Metronome (f1, f2) liegen so weit auseinan-der, dass noch keine Synchronisation stattfindet. Man erkennt die Eigenfrequenzdes Pendels (fp), die Frequenzen der beiden einzelnen Metronome und neue Kom-binationsfrequenzen (fk).

A B B . 6 | S Y N C H RO N I SAT I O N S E F F E K T

Ein Metronom wird fest auf eine Taktrate von circa 188 Schlägen pro Minute ein-gestellt (f1≈1,55 Hz). Das zweite Metronom (Frequenz f2) wird stufenweise ver-stellt. Je nach Einstellung des zweiten Metronoms treten zusätzliche Kombina-tionsfrequenzen auf. Im Bereich von 1,52-1,63 Hz synchronisieren beide Metro-nome. Die Frequenzen der beiden Teilsysteme f1 und f2 verschmelzen zu einergemeinsamen Frequenz fg.

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hung zweier Magnete, die auf einer Unterlage liegen. Beigroßem Abstand der Magnete reicht die magnetische Wech-selwirkung nicht aus, um die Reibungskräfte mit der Un-terlage zu überwinden. Nähert man die Magnete weiter an,so gibt es einen festen Abstand, bei dem sie plötzlich„zusammenschnappen“.

In der Biologie haben sichtbare periodische Abläufeund ihre Änderungen wie beispielsweise der Übergang vonSchritt- zu Trab- und Galopprhythmen bei Vierbeinernschon seit längerem das Interesse der Forschung auf sichgezogen. Der Biologe E. von Holst, der sich intensiv mit derKoordination rhythmischer Phänomene unter anderem beider Flossenbewegung von Fischen auseinander gesetzt hat,fand ganz analoge Anziehungseffekte neben der linearenÜberlagerung von Rhythmen. Er prägte daher die phäno-menologische Bezeichnung Magnet-Wirkung (M-Effekt) fürdie Wechselwirkung von biologischen Rhythmen (vgl. dazu[12]). Wie kommt es zu der „magnetischen“ Anziehung derRhythmen, wenn keinerlei Magnete im Spiel sind?

Ein Magneteffekt ohne Magnete:Phasenkopplung im Waschbrettmodell

Die Synchronisation selbsterregter akustischer Schwin-gungen wurde bereits in einem früheren Experiment inBIUZ [5] ausführlich diskutiert. Das dort beschriebene Phasenkopplungsmodell ist universell und gilt auch für dieKopplung zweier Metronome. Man kann die Phasendiffe-

renz in einer Energielandschaft darstellen, die sich je nachder Verstimmung und dem Kopplungsgrad der Taktgeberändert. Die Form der Energielandschaft ergibt sich aus ei-ner geeigneten mathematischen Näherung der nichtlinea-ren Bewegungsgleichungen (für eine elementare Darstel-lung vgl. [6]).

Bei zwei verstimmten Metronomen ohne Kopplungwächst der Unterschied in der Zahl der Taktschläge pro-portional zur Zeit an. Dies entspricht einer konstanten Än-derungsrate der Phasendifferenz, ähnlich der Bewegung ei-nes Körpers, der mit konstanter Geschwindigkeit in einemzähen Medium einen Hang mit konstantem Neigungswin-kel hinabgleitet (Abbildung 7a). Der Neigungswinkel wirdmit zunehmender Verstimmung immer größer. Das heißt,die Taktschläge der Metronome laufen immer schneller aus-einander.

Die Kopplung der Metronome ändert die Energieland-schaft. Je nach Phasenlage hemmt oder zieht das eine Me-tronom das andere. Dies führt im Energiediagramm zu ei-ner periodischen Welligkeit, die sich dem konstant geneig-ten Abhang überlagert. Die Energielandschaft gleicht nuneinem Waschbrett. Je nach Neigung des Waschbrettes (= Verstimmung der Metronome) kommt es zu unterschied-lichem Verhalten.

Legt man eine Murmel auf ein ebenes Waschbrett (Ver-stimmung 0), so bleibt sie in einem der Täler liegen. Diesentspricht der Synchronisation. Der Phasenunterschied derMetronome ändert sich nicht. Kippt man nun das Wasch-brett (zunehmende Verstimmung), so bleibt die Murmel ineinem gewissen Bereich der Neigung in dem Tal gefangen(Abbildung 7b). Analog bleibt der synchronisierte Zustandüber einen gewissen Bereich der Verstimmung bestehen.Die Murmel kann erst wieder gleiten, wenn ein kritischerNeigungswinkel überschritten ist (Abbildung 7d). Entspre-chend bricht der phasengekoppelte kohärente Zustand beieinem kritischen Wert der Verstimmung der Teilsystemeauf.

Das Modell der „gewellten“ Energielandschaft kannauch das Auftreten neuer Kombinationsfrequenzen er-klären. Jenseits des kritischen Neigungswinkels spürt diegleitende Murmel noch immer die Welligkeit des Bodens.Sie entwickelt eine mittlere Geschwindigkeit, die perio-disch zu- und abnimmt. Das entspricht einer periodischenModulation des Frequenzunterschieds beider Metronome,die sich im Frequenzspektrum durch neue Linien (Kombi-nationsfrequenzen, Abbildung 5) bemerkbar macht.

Die rätselhafte „magnetische“ Anziehung der Schwin-gungen gekoppelter Metronome erfährt im Waschbrettbildeine perfekte Deutung. Es gibt einen klar abgegrenzten Be-reich, in dem Kohärenz auftritt. Ändert man einen äußerenParameter, so setzt Kohärenz wie bei einem Phasenüber-gang plötzlich ein. Auch wenn wegen zu großer Verstim-mung die Synchronisation nicht eintritt, so gibt es in denKombinationsfrequenzen bereits Vorboten dieses Phäno-mens. Die nichtlinearen dynamischen Prozesse machensich als periodische Frequenzmodulation bemerkbar.

A B B . 7 | DA S WA S C H B R E T T M O D E L L

Energiediagramm zum Verhalten des Phasenunterschieds zweier Metronome a) ohne Kopplung, b)-d) mit Kopplung gleicher Stärke: b) schwache Verstimmung,c) kritische Verstimmung,d) überkritische Verstimmung.Die resultierenden Prozesse sind im Text erläutert.

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Universelle SynchronisationIn der Biologie gibt es eine Vielzahl von Synchronisations-phänomenen, die zu kohärentem Verhalten führen – vonder molekularen Mikroebene bis hin zur Makroebene desVerhaltens. Zugespitzt könnte man sagen, biologische Systeme leben durch Kohärenz. Phänomene der Synchro-nisation werden aus den verschiedensten Gebieten be-schrieben. Sie umfassen zum Beispiel Glühwürmchen-populationen, die im Gleichtakt leuchten und die Beein-flussung von Tag-Nacht-Zyklen sowie vieler anderer zyk-lischer Prozesse [13].

Die Synchronisation von Uhren war bereits Huygens,dem ersten wissenschaftlichen Uhrmacher, bekannt. Wäh-rend einer kurzen Krankheit ans Bett gefesselt, beobach-tete er eine „seltsame Sympathie“ zwischen zwei Pendel-uhren gleicher Bauart, die nebeneinander an einer Wandaufgehängt waren. Unabhängig davon, wie die Pendel derUhren gestartet wurden, nach einiger Zeit arbeiteten beideexakt synchron, und zwar im Gegentakt. In einem Brief an seinen Vater teilte er seine Überraschung darüber mit: „ …es braucht so wenig, um sie in einem immerwähren-den Gleichklang zu halten [7]“. Das Huygens-Experimentwurde kürzlich einer erneuten Analyse unter der Verwen-dung moderner Pendeluhren unterzogen [1].

In diesem Zusammenhang vermittelt unser Metronom-experiment eine zentrale Botschaft. Es zeigt, wie in einemoffenen, adaptiven Substrat neue Ebenen des Verhaltensund neue Quasi-Objekte spontan durch das geeignete Zu-sammenwirken von Komponenten auftreten können. Dievon v. Holst so anschaulich als Magneteffekt beschriebeneWechselwirkung erzeugt wiederum neue Produkte, bei-spielsweise kohärente Zustände und Kombinationsproduk-te, die ihrerseits als autonome Einheiten auf den nächstenOrganisationsebenen weiter wirken. Objekte und Prozessesind dabei wie in Abbildung 3 gezeigt komplementär mit-einander verschränkt. Die auf den verschiedenen Ebenenentstehenden dynamischen Objekte entwickeln unter-schiedliche Funktionen. In unserem Gehirn erfüllen sie aufvielfältige Weisen die Aufgabe, Wirklichkeit zu repräsentie-ren. Wir wollen kurz auf die Bedeutung dieser Konzepte fürWahrnehmungsprozesse und die Modellierung der Funk-tion unseres Gehirns eingehen.

Wiedererkennen von Bildern als aktive Resonanz

Auch bei der Wahrnehmung von Bildern kommt es zu Syn-chronisationseffekten.

Experiment 4: Blicken Sie auf Abbildung 8. Wenn mandie Augen zusammenkneift oder das Bild aus großer Entfer-nung betrachtet, so dass die Rasterung verschwimmenkann, werden die meisten Leserinnen und Leser nach einerkurzen Zeitverzögerung schlagartig das verborgene Gesichterkennen.

Es handelt sich um den vermutlich bekanntesten Physi-ker des 20. Jahrhunderts. Wenn man außerdem noch weiß,dass er einmal aufdringlichen Fotografen entnervt die

Zunge herausgestreckt hat, er-schließt sich sogar auch diesesDetail.

Ein Bild, so heißt es, sagtmehr als tausend Worte. In Bil-dern steckt eine große Menge(potenzieller) Information.Man denke an die vielen Me-gabyte an Speicherplatz, dieBilder im Computer belegenkönnen. Die tatsächlich fürdas Erkennen notwendige ak-tuelle Information ist viel kleiner. Bei dem gezeigten Rasterbild genügen circa 500Bit, um Einstein zu erkennen (168 Pixel mit 3 Bit pro Ras-terpunkt entsprechend 23 =8 Graustufen). Dies ist viel we-niger Information, als in 1000sinnvollen Worten enthaltenist. Das Erkennen funktioniert aber nur, wenn entspre-chendes Vorwissen vorhanden ist. Die interne Repräsenta-tion des groben Bildes tritt in Wechselwirkung mit demVorwissen, und nach einer kurzen Inkubationszeit wird dasGesicht erkannt. Es gibt eine „Resonanz“ zwischen dem an-gebotenen Muster und dem vorhandenen Wissen.

Ist diese schlagartige Einsicht ein Synchronisations-effekt, also eine Art aktiver Resonanz? Es spricht viel dafür,dass die Synchronisation von neuronalen Oszillationen da-bei eine ausschlaggebende Rolle spielt. In ähnlichen Wahr-nehmungsexperimenten hat man Versuchspersonen visu-elle Reize präsentiert, die entweder ein Nonsensmusteroder ein Gesicht darstellen [11]. Wird ein Gesicht erkannt,so sind nach etwa 200 Millisekunden kohärente Oszillatio-nen im Bereich von 40 Hertz in den Gehirnströmen nach-weisbar. Die Erkennung des Gesichts geht mit synchroni-sierten Entladungsmustern in Neuronenpopulationen ein-her.

Schlagartige dynamische Umschaltvorgänge, welchedie Metronome über Prozesse der Selbstorganisation ent-wickeln, kennt jeder aus eigener Erfahrung: Dinge in unse-rem Kopf koexistieren zunächst unverbunden neben-einander, doch plötzlich ist eine neue Einsicht aus derenVerbindung geboren, ähnlich wie der „Pixelhaufen“ in Abbildung 8 nach einem Moment in ein bekanntes Bild um-springt. Einen solchen „Schnapp-Effekt“ zeigen bereits Uhren!

Synchronisation und dieUniversalitätshypothese

Dass man wesentliche Aspekte derartiger komplexer Wahr-nehmungs- und Wandlungsprozesse durch einfache me-chanische Modelle wie gekoppelte Uhren beschreibenkann, hängt mit der Universalität zusammen, ein Phäno-men, das man in der Physik erst in jüngerer Zeit umfassend

A B B . 8 Synchronisation im Kopf: Erkennen Sieden abgebildeten älteren Herren? Was tut er?

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verstanden hat [14]. In der Nähe von kritischen Punktenkommt es zu universellem Verhalten. Auch sehr komplexeSysteme lassen sich durch wenige Größen (so genannteOrdnungsparameter) beschreiben, die sich auf charakteris-tische Weise an kritischen Punkten verändern, ähnlichetwa wie ein Magnet beim Überschreiten einer kritischenTemperatur seine Magnetisierung plötzlich verliert. DieserÜbergang erfolgt nach universell gültigen Skalengesetzen.Entsprechend wird ein hoch komplexes Netzwerk wie un-ser Nervensystem anpassungsfähig auf eine ähnliche Weisewie das viel einfachere und anders verknüpfte Netz der ge-koppelten Metronome.

Das, was draußen in der Welt geschieht, wird durchanaloge adaptive Prozesse drinnen in unseren Köpfen nach-gebildet. Was das „denkende“ Substrat intern nachbildet,stimmt mit dem Verhalten der physikalischen Wirklichkeitin gewissen Grenzen überein. Die Universalität könnte einwesentlicher Schlüssel dafür sein, dass unser Gehirn rele-vante Aspekte der Außenwelt erfassen, repräsentieren undletztendlich auch verstehen kann.

Uhrwerke als Modelle für Gehirnprozesse – welch eineHerausforderung für unseren Geist und welch ein Anlassfür Diskussionen! Unabhängig davon, ob man mechani-schen Modellen kritisch oder enthusiastisch gegenüber-steht, ihrer Faszination und der Lust am Nachdenken, diediese stimulieren, kann man sich kaum entziehen. In derKulturgeschichte der Naturwissenschaft hat sich über dieJahrhunderte hinweg ein außerordentlich interessanterDiskurs zum Triumph und zur Krise der Mechanik ent-wickelt [8]. Die großen Fragen dieser Diskussion sind zeit-los und sollten gerade in unserer an Orientierung armen(noch) Informations- und (noch nicht) Wissensgesellschaftweitergeführt werden. Sie spannen den Bogen nicht nurvom Sein zum Werden, sondern auch vom Sein zum Sinn.Sie betten naturwissenschaftliche Kenntnisse in kulturge-schichtliche Kontexte ein und sind geeignet, fruchtbareDiskurse anzuregen, die verschiedene Wissenskulturen ein-binden.

Im Kontext komplexer Phänomene sind die gekoppel-ten Metronome ein vergleichsweise einfaches Modell fürSelbstorganisationsprozesse und für das Phänomen derEmergenz, das Entstehen neuer Eigenschaften aus dem Zu-sammenwirken der Teile. Als mechanisches Experimentmacht es die Theorie der Entwicklung von kohärentem Ver-halten und der Phasenübergänge von offenen Systemenfern vom Gleichgewicht begreifbar und konkret. Es ele-mentarisiert und verkörpert somit eine höchst abstrakteIdee. Vielleicht spricht das Ticken der synchronisierendenUhren uns deswegen so unmittelbar an, weil es in einer uni-versellen dynamischen Sprache, nämlich über Rhythmenund ihre Modulation, mit uns kommuniziert. Es wirkt etwasaußerhalb von uns, was wir auch als in uns wirkend erken-nen. In einem Folgeartikel in der nächsten BIUZ werdenweitere Experimente vorgestellt, welche die Rolle von Synchronisationsprozessen für unsere Wahrnehmung ver-tiefen.

ZusammenfassungEs werden Experimente vorgestellt, die Phänomene derSelbstorganisation bei gekoppelten Metronomen untersu-chen. Bei geeigneter Wechselwirkung sind diese mechani-schen Uhren in der Lage, ihre Schwingungen zu synchronisie-ren und kohärentes Verhalten zu entwickeln. Der Vorgang derSynchronisation wird qualitativ im Waschbrettmodell disku-tiert. Die Modellexperimente vermitteln Einsichten in die all-gegenwärtige Rolle von Synchronisationsprozessen in derBiologie, insbesondere im Bereich der sensorischen Verarbei-tung und bei kognitiven Prozessen.

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Der AutorManfred Euler, geb. 1948. Diplom und Promotion inPhysik an der Universität Gießen. Habilitation (Didaktik der Physik, Duisburg 1981). 1987-1991Professor für Physik an der FH Hannover, danachLehrstuhl für Didaktik der Physik an der UniversitätPaderborn, seit 1997 Direktor am Leibniz-Institiutfür die Pädagogik der Naturwissenschaften an derUniversität Kiel. Derzeit vor allem im Rahmen ver-schiedener nationaler und internationaler Projektezur Verbesserung der Qualität des naturwissen-schaftlichen Unterrichts tätig.

Anschrift:Prof. Dr. Manfred EulerIPN, Leibniz-Institut für die Pädagigik derNaturwissenschaften an der Universität Kiel,Olshausenstraße 62, 24098 KielEmail: [email protected]