anna-maria kanter, das steuerungsinstrument der vertragsärztlichen zulassung im wandel der...

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nicht nur auf die rechtsgeschichtliche Entwicklung ein, sondern diskutiert über die Situation de lege lata hinausgehend die verfah- rensmäßige Anwendung der Gesetze und zum Teil auch die Ver- fassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen. Diese Darstellung liefert jedem, der sich über die Normierungen dieser vier Länder einen Überblick verschaffen möchte, einen umfassenden Einstieg. Doch will Ludwig auch die Notwendigkeit einer Harmonisie- rung auf internationaler Ebene begründen, für die sie im achten Teil (S. 271–284) einen konkreten Vorschlag erarbeitet. Ihre Argumentati- on entwickelt sie wie folgt: In Teil 1 legt sie die Vorteile der Lebendor- ganspende im Vergleich zur postmortalen Organspende dar, um die Bedeutung einer Regulierung dieses Aspekts zu verdeutlichen. An- schließend zeigt sie die begrenzten Kompetenzen der EU in diesem Bereich auf und analysiert die „Europäische[n] Rechtsquellen für das Recht der Lebendorganspende (Teil 2, S. 29–45) sowie die Guiding Principles on Human Organ Transplantation (WHO, 1991) und die Biomedizin-Konvention des Europarats (Teil 3, S. 47–57). Das dient dem Nachweis, dass eine Harmonisierung nur auf internationaler Ebe- ne sinnvoll sei. Im Anschluss an den bereits erwähnten Hauptteil, die Darstellung der Regelungen vierer europäischer Mitgliedstaaten, folgt ein funktionaler Rechtsvergleich der Regelungen (S. 215–236), wobei Ludwig als Bezugspunkte die Einwilligung des Spenders, die Begren- zung des Spenderkreises, die Subsidiarität der Lebendorganspende, die Differenzierung zwischen regenerierbaren und nicht regenerierbaren Organen und die Existenz einer Expertenkommission wählt. Hier- aus entwickelt sie später die Inhalte ihres Harmonisierungsvorschlags. Teil 6 (S. 237–248), der sich den Problemen bei grenzübergreifendem Bezug widmet, soll verdeutlichen, dass der Bereich „Lebendorgan- spende“ aufgrund seines transnationalen Charakters durch nationales Strafrecht kaum kontrollierbar ist. Das und der drohende „Wettbe- werb der Rechtsordnungen“ sind nach Ludwig wichtige Argumente für eine Angleichung der Regelungen. Schließlich folgt erneut eine Darstellung von Konvergenzen und Divergenzen – diesmal zwischen den nationalen Regelungen und der Biomedizin-Konvention des Eu- roparats. Die Arbeit endet, nach dem bereits genannten Harmonisie- rungsvorschlag, mit einem Ausblick, in dem die Verfasserin anregt, dass einzelne Staaten auf internationale Organisationen und andere Staaten bezüglich einer Harmonisierung einwirken sollten. Sie weist jedoch auch darauf hin, dass eine Öffnung des nationalen Transplanta- tionsrechts in naher Zukunft nicht zu erwarten ist. Positiv ist hervorzuheben, dass Ludwig einen detaillierten Ver- gleich der dargestellten Regelungen durchführt, sich mit der legisla- tiven Entwicklung auseinandersetzt, die Rechtsordnungen aufeinan- der bezieht, Ergebnisse vorstellt sowie einen konkreten Vorschlag für eine Harmonisierung auf internationaler Ebene ausarbeitet. Aller- dings bleiben Zweifel, ob sich – so Ludwig – aus dem Problemaufriss die Unverzichtbarkeit einheitlicher Regelungen ergibt (S. 45). Dar- gestellt wurden Vorteile der Lebendspende, der Organmangel und die europäischen Kompetenzen. Das heißt nicht, dass das Problem auf transnationaler Ebene besser gelöst werden könnte als auf natio- naler. Sicherlich würde eine Liberalisierung dafür sorgen, dass mehr Organe zur Verfügung stünden – und ein auf Minimalkonsens ba- sierendes internationales Abkommen wäre im Zweifel wohl weniger restriktiv als manche nationalen Regelungen. Doch müssten m. E. vor einer solchen Forderung die Gründe für legislative Grenzen ge- nauer betrachtet werden. Zudem hat sich in vielen Debatten gezeigt, dass biomedizinische Fragen kulturell geprägt sind. Das gilt auch für Lebendorganspenden: In deren Bewertung spielen Prämissen über z. B. die Zulässigkeit paternalistischer Maßnahmen oder die Reich- weite von Pflichten in sozialen Beziehungen hinein. Die Vermeidung eines „Wettbewerb[s] der Rechtsordnungen“ (S. 285) spricht m. E. ebenso wenig zwingend für eine Angleichung wie die Probleme der transnationalen Strafrechtsanwendung; denn trotz der damit verbun- denen Schwierigkeiten mag es gute Gründe für nationale Sonder- wege geben. Überdies wird nicht offengelegt, welche Kriterien der Ausgestaltung des Harmonsierungsvorschlags zugrunde liegen. Der Vergleich der Regelungen in vier (europäischen) Ländern kann allein nicht als Basis für Vorschläge zu einer internationalen Vereinbarung dienen. Die Methodenwahl ist angesichts des Ziels einer funktio- nalen Bewertung der Lebendorganspende zwar plausibel, allerdings fehlt es an der sonst bei funktionalen Rechtsvergleichen üblichen Einbeziehung spezifischer nicht-rechtlicher Umstände. Für einen Vergleich mit dem Ziel einer Harmonisierung erscheint außerdem die Verwendung der „Ähnlichkeitsvermutung“ problematisch, da sie Unterschiede marginalisiert – gerade wenn es um die Angleichung strafrechtlicher Regelungen geht, sollten jedoch die Gründe für die Differenzen und somit die Argumente gegen eine Harmonisierung in der Abwägung mehr Gewicht erhalten und ggf. entkräftet werden. Auch wenn eine stärkere Berücksichtigung der Gegenargumente sowie der Gründe für nationale Differenzen und eine fundiertere Darlegung der eigenen Bewertungskriterien wünschenswert gewe- sen wären, handelt es sich bei der Dissertation Ludwigs insgesamt um eine viele Facetten aufzeigende Darstellung des Problems „Lebend- organspende“ mit durchaus plausiblen inhaltlichen Lösungsansätzen. DOI: 10.1007/s00350-014-3750-z Das Steuerungsinstrument der vertragsärztlichen Zulassung im Wandel der Gesundheitsreformen – insbesondere seit 2004. Von Anna-Maria Kanter. Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2013, 429 S., kart., € 118,80 Die Zulassung zur ambulanten vertragsärztlichen Versorgung ist „Eintrittskarte“ und zugleich begrenzender „Rahmen“ des Vertrags- arztes für seine Tätigkeit (mit Rechten und Pflichten). Diesem The- ma widmet sich die Autorin in ihrer Dissertation sehr differenziert. Nach einem eher historischen Überblick vom Beginn des Kranken- versicherungswesens über die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Kassenarztsystems, den Besonderheiten nach 1933 und den kontinu- ierlichen Veränderungen in der Nachkriegszeit bis zum GKV-WSG und GKV-StG geht die Autorin auf die besondere Bedeutung der vertragsärztlichen Zulassung ein. Sie sieht den Vertragsarzt zu Recht als Schlüsselfigur für die Steuerung in der ambulanten vertragsärzt- lichen Versorgung im Rahmen des Kollektivvertragsarztsystems der GKV. Der Zulassung komme hohe Bedeutung für die Steuerung der Patientenversorgung, zugleich aber auch eine Kontrollmöglichkeit zu (z. B. durch das Disziplinarrecht der KVen, aber auch durch die Bedarfsplanung). In einem weiteren Abschnitt werden die wirtschaftliche Bedeu- tung der Zulassung und Einflüsse anderer Rechtsbereiche auf die ver- tragsärztliche Zulassung (z. B. Grundrechte, Berufsrecht, Strafrecht und auch EU-Recht) beleuchtet. Auf S. 155 beginnt der Kern dieser Untersuchung: Steuerungselement Zulassung nach den Gesundheits- reformen vom GMG bis zum GKV-VStG. Die Autorin referiert die jeweiligen Gesetzesänderungen und prüft ihre Auswirkungen in der Praxis. Flexibilisierte Anstellung, Teilzulassung, Berufsausübungs- gemeinschaften, Aufhebung der Altersgrenze, Zweigpraxis, Über- tragbarkeit und Möglichkeiten zur Nachbesetzung sind Kernbereiche dieses Abschnitts. Auf weiteren 130 Seiten befasst sich die Autorin dann mit Vor- und Nachteilen des Morbi-RSA als Steuerungsinstru- ment, dem generellen Thema des Wettbewerbs in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung, einschließlich der Auswirkungen der Selektivverträge, dem „wettbewerbsfreien“ gescheiterten Hausarzt- modell. Näher erläutert werden auch verfassungsrechtliche Probleme um Selektivverträge neuer Prägung, deren Qualität und Wirtschaft- lichkeit. Sie stellt das Kollektivvertragssystem dem Selektivver- tragssystem gegenüber. Nach ihrer Auffassung kann oder darf die ambulante ärztliche Versorgung nicht aufgrund von Verträgen der Krankenkassen mit den Leistungserbringern allein reguliert werden. Dies führe zu Versorgungsdefiziten durch Störungen im Machtgefü- ge der Verhandlungspartner. Zu Recht erkennt Kanter in § 116 b SGB V (spezialfachärztliche Versorgung) einen erheblichen Eingriff in die Vorrangstellung der Ärzte mit vertragsärztlicher Zulassung. Die ASV ist ein weiterer Bau- stein der gesundheitspolitischen Langzeitstrategie, die strukturelle Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung gänzlich aufzuheben. § 116 b SGB V i. d. F. des GKV-VStG eröffnet dafür ei- nen neuen Leistungssektor ohne objektive Bedarfsprüfung und ohne Vor- bzw. Nachrang gegenüber anderen Bereichen der Leistungser- bringung. Die Autorin verneint einen Drittschutz (Konkurrenten- schutz) niedergelassener Vertragsärzte gegenüber diesen zusätzlichen legislatorischen Leistungsoptionen, die zunächst als Einzelvertrags- lösung (GMG), dann als Bestimmungslösung (GKV-WSG) und dann durch das VStG als eingeschränkte Öffnungslösung realisiert wurden (s. dazu Beschluss des G-BA vom 1. 4. 2014). In der neueren Diskussi- on entwickelt sich jedoch folgende Überzeugung: Erfüllen die an der ASV teilnehmenden Leistungserbringer nicht die erforderlichen Vo- Rechtsanwalt Dr. iur. Gernot Steinhilper, Wennigsen, Deutschland Rezensionen MedR (2014) 32: 535–536 535

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nicht nur auf die rechtsgeschichtliche Entwicklung ein, sondern diskutiert über die Situation de lege lata hinausgehend die verfah-rensmäßige Anwendung der Gesetze und zum Teil auch die Ver-fassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen. Diese Darstellung liefert jedem, der sich über die Normierungen dieser vier Länder einen Überblick verschaffen möchte, einen umfassenden Einstieg.

Doch will Ludwig auch die Notwendigkeit einer Harmonisie-rung auf internationaler Ebene begründen, für die sie im achten Teil (S. 271–284) einen konkreten Vorschlag erarbeitet. Ihre Argumentati-on entwickelt sie wie folgt: In Teil 1 legt sie die Vorteile der Lebendor-ganspende im Vergleich zur postmortalen Organspende dar, um die Bedeutung einer Regulierung dieses Aspekts zu verdeutlichen. An-schließend zeigt sie die begrenzten Kompetenzen der EU in diesem Bereich auf und analysiert die „Europäische[n] Rechtsquellen für das Recht der Lebendorganspende (Teil 2, S. 29–45) sowie die Guiding Principles on Human Organ Transplantation (WHO, 1991) und die Biomedizin-Konvention des Europarats (Teil 3, S. 47–57). Das dient dem Nachweis, dass eine Harmonisierung nur auf internationaler Ebe-ne sinnvoll sei. Im Anschluss an den bereits erwähnten Hauptteil, die Darstellung der Regelungen vierer europäischer Mitgliedstaaten, folgt ein funktionaler Rechtsvergleich der Regelungen (S. 215–236), wobei Ludwig als Bezugspunkte die Einwilligung des Spenders, die Begren-zung des Spenderkreises, die Subsidiarität der Lebendorganspende, die Differenzierung zwischen regenerierbaren und nicht regenerierbaren Organen und die Existenz einer Expertenkommission wählt. Hier-aus entwickelt sie später die Inhalte ihres Harmonisierungsvorschlags. Teil 6 (S. 237–248), der sich den Problemen bei grenzübergreifendem Bezug widmet, soll verdeutlichen, dass der Bereich „Lebendorgan-spende“ aufgrund seines transnationalen Charakters durch nationales Strafrecht kaum kontrollierbar ist. Das und der drohende „Wettbe-werb der Rechtsordnungen“ sind nach Ludwig wichtige Argumente für eine Angleichung der Regelungen. Schließlich folgt erneut eine Darstellung von Konvergenzen und Divergenzen – diesmal zwischen den nationalen Regelungen und der Biomedizin-Konvention des Eu-roparats. Die Arbeit endet, nach dem bereits genannten Harmonisie-rungsvorschlag, mit einem Ausblick, in dem die Verfasserin anregt, dass einzelne Staaten auf internationale Organisationen und andere Staaten bezüglich einer Harmonisierung einwirken sollten. Sie weist jedoch auch darauf hin, dass eine Öffnung des nationalen Transplanta-tionsrechts in naher Zukunft nicht zu erwarten ist.

Positiv ist hervorzuheben, dass Ludwig einen detaillierten Ver-gleich der dargestellten Regelungen durchführt, sich mit der legisla-tiven Entwicklung auseinandersetzt, die Rechtsordnungen aufeinan-der bezieht, Ergebnisse vorstellt sowie einen konkreten Vorschlag für eine Harmonisierung auf internationaler Ebene ausarbeitet. Aller-dings bleiben Zweifel, ob sich – so Ludwig – aus dem Problemaufriss die Unverzichtbarkeit einheitlicher Regelungen ergibt (S. 45). Dar-gestellt wurden Vorteile der Lebendspende, der Organmangel und die europäischen Kompetenzen. Das heißt nicht, dass das Problem auf transnationaler Ebene besser gelöst werden könnte als auf natio-naler. Sicherlich würde eine Liberalisierung dafür sorgen, dass mehr Organe zur Verfügung stünden – und ein auf Minimalkonsens ba-sierendes internationales Abkommen wäre im Zweifel wohl weniger restriktiv als manche nationalen Regelungen. Doch müssten m. E. vor einer solchen Forderung die Gründe für legislative Grenzen ge-nauer betrachtet werden. Zudem hat sich in vielen Debatten gezeigt, dass biomedizinische Fragen kulturell geprägt sind. Das gilt auch für Lebendorganspenden: In deren Bewertung spielen Prämissen über z. B. die Zulässigkeit paternalistischer Maßnahmen oder die Reich-weite von Pflichten in sozialen Beziehungen hinein. Die Vermeidung eines „Wettbewerb[s] der Rechtsordnungen“ (S.  285) spricht m. E. ebenso wenig zwingend für eine Angleichung wie die Probleme der transnationalen Strafrechtsanwendung; denn trotz der damit verbun-denen Schwierigkeiten mag es gute Gründe für nationale Sonder-wege geben. Überdies wird nicht offengelegt, welche Kriterien der Ausgestaltung des Harmonsierungsvorschlags zugrunde liegen. Der Vergleich der Regelungen in vier (europäischen) Ländern kann allein nicht als Basis für Vorschläge zu einer internationalen Vereinbarung dienen. Die Methodenwahl ist angesichts des Ziels einer funktio-nalen Bewertung der Lebendorganspende zwar plausibel, allerdings fehlt es an der sonst bei funktionalen Rechtsvergleichen üblichen Einbeziehung spezifischer nicht-rechtlicher Umstände. Für einen Vergleich mit dem Ziel einer Harmonisierung erscheint außerdem die Verwendung der „Ähnlichkeitsvermutung“ problematisch, da sie Unterschiede marginalisiert – gerade wenn es um die Angleichung strafrechtlicher Regelungen geht, sollten jedoch die Gründe für die Differenzen und somit die Argumente gegen eine Harmonisierung in der Abwägung mehr Gewicht erhalten und ggf. entkräftet werden.

Auch wenn eine stärkere Berücksichtigung der Gegenargumente sowie der Gründe für nationale Differenzen und eine fundiertere Darlegung der eigenen Bewertungskriterien wünschenswert gewe-sen wären, handelt es sich bei der Dissertation Ludwigs insgesamt um eine viele Facetten aufzeigende Darstellung des Problems „Lebend-organ spende“ mit durchaus plausiblen inhaltlichen Lösungsansätzen.

DOI: 10.1007/s00350-014-3750-z

Das Steuerungsinstrument der vertragsärztlichen Zulassung im Wandel der Gesundheitsreformen – insbesondere seit 2004.

Von Anna-Maria Kanter. Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2013, 429 S., kart., € 118,80

Die Zulassung zur ambulanten vertragsärztlichen Versorgung ist „Eintrittskarte“ und zugleich begrenzender „Rahmen“ des Vertrags-arztes für seine Tätigkeit (mit Rechten und Pflichten). Diesem The-ma widmet sich die Autorin in ihrer Dissertation sehr differenziert. Nach einem eher historischen Überblick vom Beginn des Kranken-versicherungswesens über die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Kassenarztsystems, den Besonderheiten nach 1933 und den kontinu-ierlichen Veränderungen in der Nachkriegszeit bis zum GKV-WSG und GKV-StG geht die Autorin auf die besondere Bedeutung der vertragsärztlichen Zulassung ein. Sie sieht den Vertragsarzt zu Recht als Schlüsselfigur für die Steuerung in der ambulanten vertragsärzt-lichen Versorgung im Rahmen des Kollektivvertragsarztsystems der GKV. Der Zulassung komme hohe Bedeutung für die Steuerung der Patientenversorgung, zugleich aber auch eine Kontrollmöglichkeit zu (z. B. durch das Disziplinarrecht der KVen, aber auch durch die Bedarfsplanung).

In einem weiteren Abschnitt werden die wirtschaftliche Bedeu-tung der Zulassung und Einflüsse anderer Rechtsbereiche auf die ver-tragsärztliche Zulassung (z. B. Grundrechte, Berufsrecht, Strafrecht und auch EU-Recht) beleuchtet. Auf S. 155 beginnt der Kern dieser Untersuchung: Steuerungselement Zulassung nach den Gesundheits-reformen vom GMG bis zum GKV-VStG. Die Autorin referiert die jeweiligen Gesetzesänderungen und prüft ihre Auswirkungen in der Praxis. Flexibilisierte Anstellung, Teilzulassung, Berufsausübungs-gemeinschaften, Aufhebung der Altersgrenze, Zweigpraxis, Über-tragbarkeit und Möglichkeiten zur Nachbesetzung sind Kernbereiche dieses Abschnitts. Auf weiteren 130 Seiten befasst sich die Autorin dann mit Vor- und Nachteilen des Morbi-RSA als Steuerungsin stru-ment, dem generellen Thema des Wettbewerbs in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung, einschließlich der Auswirkungen der Selektivverträge, dem „wettbewerbsfreien“ gescheiterten Hausarzt-modell. Näher erläutert werden auch verfassungsrechtliche Probleme um Selektivverträge neuer Prägung, deren Qualität und Wirtschaft-lichkeit. Sie stellt das Kollektivvertragssystem dem Selektivver-tragssystem gegenüber. Nach ihrer Auffassung kann oder darf die ambulante ärztliche Versorgung nicht aufgrund von Verträgen der Krankenkassen mit den Leistungserbringern allein reguliert werden. Dies führe zu Versorgungsdefiziten durch Störungen im Machtgefü-ge der Verhandlungspartner.

Zu Recht erkennt Kanter in § 116 b SGB  V (spezialfachärztliche Versorgung) einen erheblichen Eingriff in die Vorrangstellung der Ärzte mit vertragsärztlicher Zulassung. Die ASV ist ein weiterer Bau-stein der gesundheitspolitischen Langzeitstrategie, die strukturelle Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung gänzlich aufzuheben. § 116 b SGB V i. d. F. des GKV-VStG eröffnet dafür ei-nen neuen Leistungssektor ohne objektive Bedarfsprüfung und ohne Vor- bzw. Nachrang gegenüber anderen Bereichen der Leistungser-bringung. Die Autorin verneint einen Drittschutz (Konkurrenten-schutz) niedergelassener Vertragsärzte gegenüber diesen zusätzlichen legislatorischen Leistungsoptionen, die zunächst als Einzelvertrags-lösung (GMG), dann als Bestimmungslösung (GKV-WSG) und dann durch das VStG als eingeschränkte Öffnungslösung realisiert wurden (s. dazu Beschluss des G-BA vom 1. 4. 2014). In der neueren Diskussi-on entwickelt sich jedoch folgende Überzeugung: Erfüllen die an der ASV teilnehmenden Leistungserbringer nicht die erforderlichen Vo-

Rechtsanwalt Dr. iur. Gernot Steinhilper, Wennigsen, Deutschland

Rezensionen MedR (2014) 32: 535–536 535

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raussetzungen für ihre Zulassung, verletzen sie die Berufsfreiheit der niedergelassenen Vertragsärzte; entsteht Vertragsärzten in sachlich-räumlicher Nähe dieser § 116b-Zentren ein wirtschaftlicher Nach-teil, so steht ihnen ein Drittwiderspruchsrecht zu (vgl. z. B. Pinner, ZMGR 2012, 16, 31; auch Rixen auf dem Symposion der DKG am 10. 4. 2014 in Berlin).

In einem Schlusskapitel legt die Autorin das Ergebnis einer Um-frage unter den KVen zu Wert und Bedeutung der vertragsärztlichen Zulassung aus ihrer Sicht vor. Danach soll und wird die Zulassung auch weiterhin als Bedingung jeder Teilnahme an der ambulanten Versorgung bestehen bleiben. Davon weicht lediglich die Meinung einiger Ärzteorganisationen und der großen Gruppe der Hausärzte-gemeinschaften ab. Nach Ansicht der Autorin ist die vertragsärztliche Zulassung seit den „30er Jahren ein funktionierendes Instrument, um Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherten zu steuern und sicher zu stellen“. Sie sei „be-währtes Steuerungsinstrument nicht nur in gesundheitspolitischer Hinsicht“, sondern auch „in verfassungsrechtlicher Hinsicht“. Auch nach den neueren Gesetzesänderungen sei sie ein über Jahrzehnte bewährtes Instrument zur Verteilungssteuerung. Das Instrument sei durch alternative Steuerungsmodelle des Gesetzgebers (Selektivver-träge, aber auch ASV) aber mittlerweile geschwächt. Der Gesetzgeber habe auf finanzielle und demografische sowie fortschreitende medi-zinische Entwicklung nicht ausreichend reagiert. Gesundheitspolitik und Gesetzgeber hätten die Auswirkungen der Reformen zu beob-achten und müssten notfalls korrigierend gesetzgeberisch handeln.

Die umfangreiche Arbeit hat eine ausführliche wissenschaftliche Dokumentation und ein langes Literaturverzeichnis. Dabei fallen die zahlreichen Internethinweise, A+S-Verweisungen sowie Hin-weise auf medizinische (auch verbandspolitische) Zeitschriften auf, während juristische Großkommentare (z. B. HK-AKM, Laufs/Kern, Wenzel, Ratzel/Luxenburger, Schlegel/Voelzke) weniger häufig heran-gezogen werden. Insgesamt: eine überdurchschnittliche Arbeit, die über juristische Gesichtspunkte hinaus auch politisch-wirtschaftliche und Wettbewerbsaspekte und dem Leser auch viel Hintergrundwis-sen über Absichten und Ziele des Gesetzgebers vermittelt.

Kommunikation und Transparenz im Gesund-heitswesen – 15. Symposium von Wissenschaft und Praxis.

Herausgegeben von Wolfgang Voit. Verlag Nomos, Baden-Baden 2013, 220 S., kart., € 58,00

Mit Kommunikation und Transparenz verbinden die verschiedenen Akteure des Gesundheitswesens ganz unterschiedliche Hoffnungen und Zielsetzungen. So wollen Pharmaunternehmen möglichst viel Kommunikation, Transparenz hingegen allenfalls in Grenzen – sie möchten gerne möglichst frei über ihre Produkte informieren, nicht aber auch unbegrenzt Daten über ihre Forschung offenlegen. Ärzte und Verbraucherschützer fordern demgegenüber gerade das Gegen-teil – Kommunikation i. S. einer Unternehmenswerbung und -infor-mation allenfalls in engen und streng regulierten Grenzen, Transpa-renz i. S. einer Offenlegung aller Forschungsdaten dafür in möglichst weitgehendem Umfang.

Mit Blick auf das Referenten- und Diskutantenverzeichnis des 15. Symposiums zum Pharmarecht der Universität Marburg überrascht es nicht, dass die Beiträge in dem zugehörigen Tagungsband tenden-ziell die erstgenannte Zielsetzung vor Augen haben. Es haben sich hier vor allem Repräsentanten der Unternehmensseite zusammenge-funden, um Rechtsfragen der Kommunikation und Transparenz im Gesundheitswesen zu diskutieren. Und dabei geht es dann eben auch darum, eine „gute Argumentationsgrundlage“ (S.  59) zu finden,

um die rechtlichen Rahmenbedingungen für Kommunikation und Transparenz unternehmensfreundlich zu gestalten bzw. auszulegen.

Was die Kommunikation angeht, sprechen sich Christian Tillmanns und Ulrich Reese in ihren Beiträgen für ein Mehr an Kommunika-tionsmöglichkeiten seitens der Pharmaunternehmen aus. Tillmanns geht hierfür schwerpunktmäßig auf „Patienten-Compliance-Pro-gramme und andere neue Wege der Patienteninformation“ ein und erläutert, unter welchen Voraussetzungen solcherlei Programme als rechtlich zulässig eingeordnet werden können. In dem Beitrag von Reese geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen Dachmarken für Arzneimittel genutzt werden dürfen, um auch im Pharma bereich die Möglichkeit zu eröffnen, unter einer Marke das gesamte Produktportfolio eines Unternehmens zu präsentieren.

Auch die rechtlichen Herausforderungen von Social Media sind Thema des Tagungsbands. Dieter Barth und Adem Koyuncu machen in ihren Beiträgen deutlich, welche Chancen, aber auch welche Heraus-forderungen Social Media für Pharmaunternehmen bergen. Dabei geht es nicht nur um den „Kontrollverlust“, den Unternehmen durch emotional geführte Medien- und Meinungskampagnen im Netz zu befürchten haben (s.  dazu etwa Barth, S.  14 f.). Sehr deutlich führt die Problematik der Social Media vielmehr auch Koyuncu vor Au-gen, wenn er am Beispiel der Pharmakovigilanz aufzeigt, wie hier bezüglich der Art und Qualität von Daten zu Arzneimittelrisiken und -schäden mit Social Media und Pharmakovigilanz „zwei sehr unter-schiedliche Welten“ aufeinandertreffen (S. 21 f.).

Als Vertreter der Wissenschaft setzt sich Hendrik Schneider in sei-nem Beitrag mit den Compliance-Anforderungen an den Vertrags-arzt auseinander. Schneider verweist gleich zu Beginn seines Beitrags auf die seiner Ansicht nach zu verzeichnende „Korruptionshysterie“ und deutet damit schon an, dass er in der Frage, wie die Zusammen-arbeit zwischen Pharmaindustrie und Ärzten zu bewerten ist, eine allzu kritische Einschätzung nicht teilt.

Unter dem Oberpunkt „Transparenz“ geht es dann in dem Beitrag von Isabelle Kotzenberg zunächst einmal um die „Vorgaben zur Daten-offenlegung durch den pharmazeutischen Unternehmer“. Kotzenberg geht hierfür näher auf die arzneimittelrechtlichen Vorschriften der §§ 42 b und 84a AMG ein. Vorbehalte gegenüber einer allzu weitge-henden Transparenz bringt die Verfasserin dadurch zum Ausdruck, dass sie ihre Zweifel an einem entsprechenden öffentlichen Interesse anmeldet, welches die Veröffentlichungspflicht der pharmazeuti-schen Unternehmen rechtfertigen könnte. Eben dieses Interesse an einer Veröffentlichung der Ergebnisse klinischer Prüfungen steht dann auch im Zentrum der detaillierten Ausführungen von Heinz-Uwe Dettling zum Thema der „Vertraulichkeit des Dossiers in der frühen Nutzenbewertung“. Nach Überzeugung von Dettling muss insoweit eine praktische Konkordanz zwischen den privaten und öf-fentlichen Interessen an einem möglichst weitgehenden Zugang zu Ergebnissen von Arzneimittelstudien einerseits und den privaten und öffentlichen Interessen am Schutz von Forschungsergebnissen ande-rerseits hergestellt werden (S. 181).

Eine wiederum ganz andere Ausprägung von Transparenz behan-delt Horst Stiel in seinem Beitrag zur „Neugestaltung der Vorschriften zur Datentransparenz in den §§ 303 ff. SGB V“. Stiel legt dar, wie mit einer Neugestaltung dieser Vorschriften erreicht werden soll, dass für Entscheidungsprozesse wie etwa Nutzen- und Kostenanalysen und für die Versorgungsforschung künftig eine „nachhaltig verbesserte Datengrundlage“ zur Verfügung steht.

Ergänzt werden die Themen „Kommunikation“ und „Transpa-renz“ durch einen Beitrag von Manfred Zipperer, der sich mit dem Thema der „Festsetzung von Preisrabatten durch die Schiedsstelle nach § 130 b Abs. 4 S. 4 SGB V“ beschäftigt.

Insgesamt liefert der Tagungsband einen guten und facettenrei-chen Überblick über aktuelle Themenstellungen aus dem Bereich der Pharmakommunikation und -transparenz. Aus Sicht der (Unterneh-mens-)Praxis ist der Band auch deshalb wertvoll, weil kontroverse Themen engagiert aufbereitet werden und klar zu diesen Stellung bezogen wird. Aus wissenschaftlicher Perspektive betrachtet könnte die Aufbereitung der Themen sicherlich noch dadurch gewinnen, dass auch die eingangs angesprochene „andere Seite“ zu Wort kommt und dadurch insgesamt ein ausgewogeneres Meinungsbild zu aktuel-len und kontroversen Themen der Kommunikation und Transparenz im Gesundheitswesen präsentiert wird.

Prof. Dr. iur. Benedikt Buchner, LL.M. (UCLA), Bremen, Deutschland

Rezensionen536 MedR (2014) 32: 536