verbände in der österreichischen wirtschaftspolitik

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Verb[inde in der ~sterreichischen Wirtschaftspolitik* Von Franz Korinek, Wien** (Eingegangen am 24. Oktober 1966) Der Verein ffir Socialpolitik/GeselIschaft ffir Wirtschafts- und Sozialwissen- schaften hat sich in seinem Wirtsehaftspolitischen AusschuB, speziell unter der Initiative der bereits verstorbenen Professoren Hans-Jiirgen S e rap h i m und Georg W eip p e r t, der sehr begr'dBenswerten Aufgabe unterzogen, Aufgaben und Handlungen der Interessenverb~inde der Wirtsehaft eingehend zu unter- suchen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollen in mehreren B~nden vor- gelegt werden, von denen die moisten schon erschienen sind. Gegenstand der vorliegenden Auseinandersetzung ist jedoch aussehlieBtieh tier in der ersten FuB- note zitierte Band. Bereits eingangs sei vorweggenommen, dab diese Arbeit fiir jeden, dermit den Interessenverb~inden in ~sterreich oder mit der 5sterreichischen Wirtsdaafts- politik beruflich zu tun hat, yon ganz groger Bedeutung ist. Dariiber hinaus wird die 5sterreichisehe Wirtsehaftspolitik und werden die sie veranlassenden Kr~fte jedem, der dieses Werk durcharbeitet, in wesentlieh klarerem Lichte er- seheinen. Der Band gliedert sieh in drei Teile: Der erste Teil, verfal~t yon Prof. Dr. Gertrud N e u h au s e r (friiher Innsbruck, jetzt Giessen), tr~gt die Bezeiehnung ,Die verbandsmi~Bige Organisation der 5sterreichischen Wirtschaft. Systemati- sche Gesamtdarstellung". Der zweite Toil ,,Die Bedeutung der Wirtschaftsver- b~nde fiir die Gestaltung der 5sterreichischen Wirtschaftspolitik" stammt yon Prof. Dr. Theodor P iitz (Wien). Der dritte Teil bringt ausffihrliehe Einzel- darstellungen fiber die 5sterreichisehen Wirtschaftsverb~nde, und zwar: I. Kammern und freie Verb~nde in der Landwirtsehaft yon Dr. Peter M eih sl (jetzt Genf). II. Die Kammern fiir Arbeiter und Angestellte (Arbeiterkammern) yon Dr. Eduard M ~i r z und Dr. Erwin W e i s s e 1 (Wien). * 1Jberlegungen zum Bueh ,,Verb~nde und Wirtschaftspolitik in 0sterreich", Schriften des Vereins fiir Soeialpolitik, N.F. Band 39. Wissenschaftliche Lei- tung: Th. Pfitz. XVI, 713 S. Berlin: Duneker & Humbler. 1966. DM 93,--. ** Der Verfasser war yon 1950 bis 1966 Generalsekretiir der Bundes- kammer der gewerblichen Wirtschaft und gehSrte seit ihrem Entstehen der Pari- t~tischen Kommission an; in den Jahren 1963--1964 war er 5sterreichischer Finanzminister. An ihn als einen der kompetentesten Experten fiir das Ver- b~ndewesen in ()sterreich ist die Redaktion mit der Bitte um diese Stellung- nahme herangetreten; er hat bier vor allem auch den ]uristischen Aspekt ins Licht gerfickt. (Anm. d. Red.)

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Page 1: Verbände in der österreichischen Wirtschaftspolitik

Verb[inde in der ~sterreichischen Wirtschaftspolitik* Von

Franz Korinek, Wien** (Eingegangen am 24. Oktober 1966)

Der Verein ffir Socialpolitik/GeselIschaft ffir Wirtschafts- und Sozialwissen- schaften hat sich in seinem Wirtsehaftspolitischen AusschuB, speziell unter der Initiative der bereits verstorbenen Professoren Hans-Jiirgen S e r a p h i m und Georg W e ip p e r t, der sehr begr'dBenswerten Aufgabe unterzogen, Aufgaben und Handlungen der Interessenverb~inde der Wirtsehaft eingehend zu unter- suchen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollen in mehreren B~nden vor- gelegt werden, von denen die moisten schon erschienen sind. Gegenstand der vorliegenden Auseinandersetzung ist jedoch aussehlieBtieh tier in der ersten FuB- note zitierte Band.

Bereits eingangs sei vorweggenommen, dab diese Arbeit fiir jeden, de rmi t den Interessenverb~inden in ~sterreich oder mit der 5sterreichischen Wirtsdaafts- politik beruflich zu tun hat, yon ganz groger Bedeutung ist. Dariiber hinaus wird die 5sterreichisehe Wirtsehaftspolitik und werden die sie veranlassenden Kr~fte jedem, der dieses Werk durcharbeitet, in wesentlieh klarerem Lichte er- seheinen.

Der Band gliedert sieh in drei Teile: Der erste Teil, verfal~t yon Prof. Dr. Gertrud N e u h au s e r (friiher Innsbruck, jetzt Giessen), tr~gt die Bezeiehnung ,Die verbandsmi~Bige Organisation der 5sterreichischen Wirtschaft. Systemati- sche Gesamtdarstellung". Der zweite Toil ,,Die Bedeutung der Wirtschaftsver- b~nde fiir die Gestaltung der 5sterreichischen Wirtschaftspolitik" stammt yon Prof. Dr. Theodor P i i tz (Wien). Der dritte Teil bringt ausffihrliehe Einzel- darstellungen fiber die 5sterreichisehen Wirtschaftsverb~nde, und zwar:

I. Kammern und freie Verb~nde in der Landwirtsehaft yon Dr. Peter M e ih s l (jetzt Genf).

II. Die Kammern fiir Arbeiter und Angestellte (Arbeiterkammern) yon Dr. Eduard M ~i r z und Dr. Erwin W e i s s e 1 (Wien).

* 1Jberlegungen zum Bueh ,,Verb~nde und Wirtschaftspolitik in 0sterreich", Schriften des Vereins fiir Soeialpolitik, N.F. Band 39. Wissenschaftliche Lei- tung: Th. Pfitz. XVI, 713 S. Berlin: Duneker & Humbler. 1966. DM 93,--.

** Der Verfasser war yon 1950 bis 1966 Generalsekretiir der Bundes- kammer der gewerblichen Wirtschaft und gehSrte seit ihrem Entstehen der Pari- t~tischen Kommission an; in den Jahren 1963--1964 war er 5sterreichischer Finanzminister. An ihn als einen der kompetentesten Experten fiir das Ver- b~ndewesen in ()sterreich ist die Redaktion mit der Bitte um diese Stellung- nahme herangetreten; er hat bier vor allem auch den ]uristischen Aspekt ins Licht gerfickt. (Anm. d. Red.)

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III. Der (~sterreichische Gewerkschaftsbund yon Fritz K 1 e n n e r (Wien).

IV. Die Handelskammerorganisation in 0sterreich yon Dr. Max M i t i c und DDDr. Alfred K 1 o s e (Wien).

V. Freie Verb~nde in der Gewerblichen Wirtschaft yon DDr. Karl W e n g e r und DipI.-Kfm. Hans S e i d e 1 (Wien).

VI. Freie Verb~nde im Geld- und Kreditwesen yon Prof. DDr. Adolf N u i i b a u m e r (friiher Graz, jetzt Wien).

VII. Kammern und freie Verbi~nde der freien Berufe, die Verb~nde auf dem Gebiet der Wohnungswirtsehaft und die Familienverbiinde yon Dr. Herbert Z o g e 1 m a n n (Wien).

In der Einleitung hebt der wissenschaftliche Leiter hervor, dab die Einzel- darstellungen, die den Inhalt des IIL Hanptteiles ausmachen, die empirische Grundlage fiir die systematische Gesamtdarlegung der verbaudsm~13igen Organi- sation der 5sterreichischen Wirtschaft (I. HauptteiI) bilden. Aus den sieben Ein- zeldarstellungen und der systematischen Gesamtdarstellung wiirden im II. Haupt- teil Schlul3folgerungen fiir die Beantwortung der Frage nach der Bedeutung der Wirtschaftsverb~inde fiir die Gestaltung der 5sterreichischen Wirtschaftspolitik gezogen. P ritz bezeichnet es daher als zweckm~13ig, bei der Lektiire des Werkes mit der systematischen Gesamtdarstellung der verbandsm~l~igen Organisation der 5sterreichischen Wirtschaft zu beginnen und daran anschlieBend das Ergeb- his hinsichtlieh der wirtschaftspolitischen Bedeutung durchzuarbeiten. Leser, die ins Detail gehen wollen, f~nden im III. Hauptteil die oben erw~ihnten Einzel- darstellungen.

Ich selbst kSnnte nicht dazu raten, dieser Empfehlm-lg zu folgen. Meiner Meinung nach sollten die Einzeldarstellungen zuerst gelesen werden. In einer allf~lligen Neuauflage w~iren diese Darstellungen daher zweckm~Bigerweise an den Anfang zu stellen. Nur auf Grund der Kenntnis der Einzeldarstellungen lassen sich ni~mlich die Urteile und Schlul3folgerungen des I. und II. Hauptteiles fiberpriifen. So kSnnte auch dem Anliegen yon P i i tz entsprochen werden, das er im letzten Satz der Einleitung (S. XXVI) zusammenfaBt:

,,Weitere empirische Untersuchungen und die Kritik an unserer bisherigen Arbeit werden unsere Informationen, Interpretationen, Urteile und SchluBfolge- rungen erg~nzen, vertiefen und vor allem korrigieren."

I.

Die Einzeldarstellungen sind im wesentlichen nazh dem gleichen Schema aufgebaut. Dies ist fiir das Studium yon ganz besonderem Weft. Zun~chst wird fiir jede der vorhin erw~hnten Gruppen der Verb~nde die geschichtliche Ent- wicklung dargestellt; es werden die Rechtsgrundlagen festgehalten, auf denen die Verb~nde beruhen; sodann werden die Organisation und die Funktionsweise dargestellt; die allgemeinen Zielsetzungen werden hervorgehoben; schliei31ich wird untersucht, wie die Verb~nde auf die wirtschaftspolitische Willensbildung im vorparla~aentarischen, partmulentarischen und administrativen Raum einwirken. Auch die Einwirkung anf die Marktverh~ltnisse wird untersucht. Schtiel31ich werden die Beziehungen zum Staate, zu den politischen Parteien und zu den anderen Interessei)vertretungen geschildert.

Ich kann daher bei der Besprechung der Einzeldarstetlungen auf Inhalts- angaben verzichten und werde reich in der Folge auf das Hervorheben besonders wichtiger Ausfiihrungen sowie auf einige kritische Bemerkungen zu den Einzel- beitr~gen beschr~ken.

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An der Spitze der Einzeldarsteltungen steht die Arbeit Dr. P. M e i h s l s fiber die Kammern und freien Verb~nde in der Landwirtschaft.

Sie steht dort mit Recht, denn yon allen Einzeldarstellungen ist diese Arbeit die grfindlichste. Bei ihrem Studium wird man auf Fragen gefiihrt, die beziiglieh der iibrigen Gruppen der Verb~inde in den folgenden Einzeldarstellungen weniger oder gar nicht behandelt werden. So gewinnt man beim Studium dieser Einzel- darstellung Anregungen ffir die Untersuchung der einzelnen Probleme. M e ih s l befa~t sich, wie iibrigens auch die Autoren der fibrigen Einzeldarstellungen, mit dem Verh~iltnis zwischen den Kammern und den freien Verb~nden. Er stellt fest, dab die Griindung freier Verb~nde vielfach auf Kammerbemfihungen zurfick- gehe und in der Gesch~ftsffihrung Personaluniouen mit den Kammern bestehen. Diese Tatsaehe ist deswegen interessant, well im Bereiche der gewerblichen Wirt- schaft Personalunionen in der Geschaftsffihrung ffeier Verbande und Verb~nde der Kammerorganisation durehaus als unerwfinscht gelten.

Wiederholt werden Kammern und Verb~nde dahingehend kritisiert, dab sie in ihren Zielsetzungen vielfach einer einheitlichen Linie entbehren. Hiezu nimmt M e i h s l Stellung. Er fiihrt zutreffend ans: ,,Man mag es bedauern, aber Poltik ist nun einmal die Kunst des MSgliehen. Wenn sieh einzelue wirt- schaftspolitische Aktionen einer Institution widersprechen, so bedeutet dies nicht notwendig das Fehlen einer einheitlichen Grundlinie, sondern kann eine ,prak- tische Erscheinung' sein, deren Widerspruch yon der Interessenvertretung er- kannt wird, aber vom Standpunkt der Durchsetzbarkeit und des ,kleineren ~Jbels' vielleieht der einzige Weg ist." (S. 290)

Die Kammern f/ir Arbeiter und Angestellte (Arbeiterkammern) werden yon Dr. E. M~irz und Dr. E. W e i s s e l unter Mitarbeit yon Dr. H. R e i t h o f e r fachkundig behandelt.

Zur Schaffnng der 5sterreichischen Arbeiterkammern wird auf die erl~iutern- den Bemerkungen zur Regierungsvorlage verwiesen, wonaeh es sich datum handle, ,,ffir die in Gewerbe und Industrie, im Handel und Verkehr besch~ftigten Arbeiter und Angestellten Kammern zu schaffen, die den entsprechenden Kam- mern der gewerbliehen Unternebmer nicht nur vSllig gleichwertig, sondern aneh in ihrem Wirkungskreise und ihrer Organisation derart ~hntieh gestaltet sind, dab ein Zusammenwirken der beiderseitigen KSrperschaften bei LSsung von wichtigen Aufgaben der wirtschaftlichen Verwaltung ohne Schwierigkeiten mSg- lich ist" (S. 394). AufschluBreieh ist anch die Feststellung der engen Beziehun- gender Arbeiterkammern zur sozialistischen Partei. ,,Die Arbeiterkammer wurde so sehon in den Anfangen der Zweiten Republik der wirtsehaftspolitische ,brain- trust' der Sozialistischen Partei und des Gewerkschaftsbundes." (S. 406)

Die Verfasser stellen ferner fest, daft die Arbeiterkammer zuletzt immer deutlicher einen profilierten Arbeitnehmer- und Konsumentenstandpunkt ein- nehme, w~hrend die gesamtwirtschaftliehen Aspekte immer mehr in den Hinter- grund treten. M ~ r z und W e i s s e l meinen, dab die Wendung zu einem recht unverhiillten Arbeitgeber- und Produzentenstandpunkt anch bei der Handels- kammer nachgewiesen werden kSnne (S, 410). Die Feststellung auf S. 427, daft bei der Ausarbeitung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes die Inter- essenvertretungen dutch ihre Pr~sidenten verteten waren, ist insoferne ungenau, als es den Interessenvertretuugen fiberlassen blieb, Vertreter in alas Minister- komitee zu entsenden. Es haben tats~chlich nicht alle Pr~sidenten der Inter- essenvertretungen mitgewirkt.

Besonders interessant sind die Darlegungen von F. K l e n n e r fiber den Ostem'eichischen Gewerkschaftsbund.

K l e n n e r hebt hervor, dab beim Aufbau des 0ste~=reichisehen Gewerk- schahsbundes im Jahre 1945 die durehgehende Organisation nach dem Indu-

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striegruppenprinzip angestrebt, jedoch nur zum Tell verwirklicht worden w£re. Das Wesen des Industriegruppenprinzips besteht darin, dab die Arbeiter und Angestellten eines Betriebes einer Gewerkschaft zugehSren. Die Tatsache, dab in der Privatwirtschaft Arbeiter und Angestellte in getrennten Gewerkschaften organisiert seien, entspr'dche nicht dem Industriegruppenprinzip. In der west- deutschen Gewerkschaftsorganisation seien die jeweils einer Industriegruppe angehSrenden Arbeiter und Angestellten vereinigt. Allerdings sei es in der Bundesrepublik deshalb zu Konflikten und zur Errichtung einer eigezmn Ange- stelltengewerkschaft aul]erhatb des Deutschen Gewerkschaftsbundes gekommen (S. 443). Solange die Interessenvertremngen noch kleine Vereine waren, sagt K l e n n e r , konnte es ein starkes organisatorisches Eigenleben geben, mit der Entwicklung zur Massenorganisation sei die Willensbildung mehr und mehr auf den Apparat iibergegangen. Es seien heute in den groBen Gewerkschaften eine gewisse Organisationsmiidigkeit und eine Kluft zwischen der oberen Funk- tion~rschicht und der Masse der Mitglieder wahrzunehmen. Gegens/itze zwischen der Fiihrungsschicht und den Mitgliedern seien heute unvermeidbar. Sie ent- springen dem vergrSBerten Aufgabenbereich der Gewerkschaftsbewegung und der ge~nderten Einstellung des Menschen zur Umwelt. ,,Je mehr Betriebe in das Eigentum der 5ffentlichen Hand iibergehen, je geringer die kapitalistische Ver- fiigungsgewalt und jo grSBer der Einflu$ der Gewerkschaften in Staat und Wirt- schaft wird und je mehr auch die Privatwirtschaft Allgemeininteressen berlick- sichtigt, desto unklarer werden die Fronten und desto schwieriger wird die Auf- gabe der Gewerkschaften, die Interessen der Mitglieder ridltig zu vertreten und bei den Mitgliedern VerstKndnis fiir die gewerkschaftliche Handlungsweise zu erzielen." (S. 461)

In der Folge hebt K l e n n e r hervor, dab sich die Handlungsweise der Gewerkschaften nicht allein nach einer die Wirkung auf die Mitglieder abzu- schKtzenden Optik richten diirfe, sondern durch ein yon Riicksichtnahme auf das Allgemeinwohl getragenes VerantwortungsbewuBtsein bestimmt sein miisse (S. 462). Weiter sagt er: ,,Der 0sterreichische Gewerkschaftsbund vertritt die Meinung, da~ es keine interessenneutrale Wirtschaftspolitik geben kann, sondern nut eine mSglichst dem Interessenausgleich dienende, verniinftige Verhaltens- weise. Da sowohl dutch die Wirtschafts- wie durch die Sozialpolitik gesellschafts- politische Beeinflussungen und VerKnderungen erfolgen, wirkt der Osterreichi- sche Gewerkschaftbund dutch seinen Einflu$ auf die Wirtschaftspolitik auch auf die geseIlschaftlichen Verh~Itnisse ein." (S. 468, 469) Interessant sind auch die Auffassungen K I e n n e r s zum Fragenkomplex Programmierung: ,,Die Ge- werkschaften wiinschen, dab ein langfristiges Wirtschaftsprogramm in Zusam- menarbeit der grol~en Interessenvertretungen mit der Bundesregierung auf fach- tich einwandfreier Grundlage erstelIt wird; dieses Entwicklungsprogramm soll als Orientierungsbehelf nicht nur fiir die Wirtschaftspolitik des Parlaments, der Bundesregierung und der Interessenvertretungen dienen, sondern und vor allem auch die Grundlage fiir die wirtschaftlicllen Entscheidungen der Banken und der Leitungen der priv~aten und gemeinwirtschaftlichen Unternehmnngen abgeben." (S. 469)

(~ber das Verh~Itnis zum demokratischen Staat sagt K l e n n e r : ,,Der (Jsterreichische Gewerkschaftsbund steht zum derzeitigen demokratischen Staat. Er setzt sich im Statut keine Ziele, die auf eine Ver£nderung der Gesellschafts- form hinauslaufen. Eine ~_nderung wird aber in wirtschaftspolitischer Hinsicht in Richtung der Verankerung der Wirtschaftsdemokratie angestrebt." (S. 470) Und weiter: ,,Was w~ire die Fo]ge, wenn man den Gewerkschaften das gefor- derte Zugest~ndnis auf Mitbestimmung dauernd verwehrte? Nun, die Gewerk- schaften wiirden dann -- ihrer Auffassung nach -- aus inneren Grfinden gezwun-

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gen sein, die Rficksichmahme auf das Gesamtwohl fallenzulassen und wieder rficksichtslos im Sinne der Optik zu wirken. Die Gewerkschaften sind fiberzeugt, dab niemand ernstlich annehmen kann, sie wiirden Selbstverleugnung bis zur Selbstaufopferung treiben." (S. 471) Der Ausbau der betrieblichen und die Ver- wirklichung der iiberbetrieblichen Mitbestimmung werden daher als Zukunfts- aufgabe des 0sterreichischen Gewerkschaftsbundes betrachtet (S. 475).

Auch das Problem des ,,geschlossenen Betriebes" wird yon K l e n n e r be- handelt. Er stellt fest, dal] es keine vereinbarungsmN3ige Verankerung des Prinzips des ,geschlossenen Betriebes" g~be. Der Gewerkschaftsbund h~itte in seinen Statuten die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft festgelegt. Es I~gen weder konkrete Vorschliige noch Absichten vor, von dieser Regel abzugehen. In den grSgeren Betrieben werde allerdings von den organisierten Arbeitskollegen ein Druck zum Gewerkschaftsbeitritt ausgeiibt. Die Organisierten sehen es als parasit~ir und daher als unmoralisch an, wenn ein Arbeitnehmer die Vorteile, die mit Hilfe der Gewerkschaft erreieht worden sind, in Anspruch nimmt, ohne selbst etwas dazu beizutragen. Es widerspreche nach gewerkschaftlicher Meimmg nicht dem Prinzip der freiwilligen Mitgliedschaft, es den Belegschaften in den Betrieben zu iiberlassen, Normen festzusetzen, denen gem~iB die Organisierten die Zusammenarbeit mit Unorganisierten ablehnen (S. 474, 475).

Bei Behandlung der Frage der Einwirkung des Gewerks&aftsbundes im administrativen Raum wlrd festgestetlt, dab sich selbstverst~indlich Verwaltungs- beamte, die Gewerkschaftsmitglieder sind, um eine positive Erledigung im Rah- men ihrer dienstlichen Verpfliehtungen und MSglichkeiten bemiihen wiirden (S. 480). K l e n n e r stellt auf S. 483 fest, dab es seit 1945 zu keinen Streik- aktionen zur Durchsetzung wirtschaftspotitischer Forderungen gekommen whre. Diese Feststellung l~flt den Schlul] zu, dab K l e n n e r offenbar aueh politische Streiks, also Streiks, die nicht zur Durchsetzung von besseren Lohn- und Arbeitsbedingungen gefiihrt werden, fiir zul~ssig h~It.

Sehr realistisch sind die Ausfiihrungen K 1 e n n e r s zu den fiinf Imhn- und Preisabkommen in der Zeit yon I947 bis 1951. W~hrend man diese MaBnahmen heute vielfach unter Aul]eraehtlassung der damaligen potitischen und wirtschaft- lichen Verh~Inisse beurteilt, hebt K 1 e n n e r, meines Era&tens nach zutreffend, hervor, dag diese Preis- und Lohnabkommen entseheidend dazu beigetragen haben, in einer kritischen Zeit den sozialen Frieden zu erhalten.

tJberans bemerkenswert sind die Auffasstmgen K l e n n e r s fiber das Ver- hgltnis des (Jsterreichischen Gewerksehaftsbundes zu den Arbeiterkammern. Er stellt fest, dal3 die Arbeiterkammern ,,nut als Hilfsorgane der Gewerkschaft und Kontrollorgane der yon der Gewerkschaft erk~impften gesetzliehen Errun- genschaften gewertet werden. Arbeiterkammern gibt es -- zumindest naeh gewerksc~aftlicher Auffassung -- nur dutch die Gewerkschaften nnd es wird sie wahrscheinlich nur so lange geben, ats die Gewerkschaften dafiir eintreten." (S. 500) Den Klassenkampf sieht K l e n n e r offenbar heute noch als notwendig an. Dies dfirfte aus folgender Formulierung zu schliegen sein: ,,Die Gewerk- sehaften sind aber heute in den modernen Industriestaaten l~ngst nicht mehr nur klassenk~mpferisch ausgeriehtete Organisationen, die das Durchsetzen yon LohnerhShungen in den Vordergrund ihrer T~tigkeit stellen; sie versuchen heute vielmehr, EinfluB auf allen 5ffentlichen und wirtschaftlichen Gebieten zu errei- chen, die fiir den Arbeiter nnd den Angestellten yon Bedeutung sind." (S. 500)

Dr. M. M i t i c, der Leiter der Wirtschaftspolitisehen Abteilung der Wiener Handelskammer, und DDDr. A. K lose , der Leiter der Wirtsehaftspolitischen Abteilung der Bundeskammer, stellen die Handelsorganisationen in ()ster- reich vor.

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Gem~13 § 1 des Handelskammer-Gesetzes vom 24. Juli 1946, BGB1. 182 (HKG) in der heutigen Fassung sind die Kammern der gewerblichen Wirtschaft berufen, die gemeinsamen Interessen aller physischen und ]uristischen Personen sowie Offenen Handelsgesellschaften zu vertreten, die sich aus dem selbst~indigen Betrieb yon Unternehmungen des Gewerbes, der Industrie, des Handels, des Geld-, Kredit- trod Versidlerungswesens, des Verkehrs sowie des Fremdenver- kehrs imlerhalb ihres rii.umlichen Wirkungsbereiches ergeben. Gem~iB § 34 des HKG gliedern sich die Bundeskammer und jede Landeskammer in je eine Sektion ffir die Unternehmungen des Gewerbes, der Industrie, des Handels, des Geld-, Kredit- und Versieherungswesens, des Verkehrs und des Fremdenverkehrs. -- Diese Rechtstage zeigt, was die Verfasser der Darstelltmg fiber die Handels- kammerorganisation in Osterreich meinen, wenn sic sagen, dal] das Handels- kammer-Gesetz ,,die Pflichtmitgliedschaft aller physischen und juristischen (Unternehmer-)Personen sowie offenen Handels-(Kommandit-)Gesellschaften be- stimmt, die sich selbstiindig in den sechs Sektionen . . . betiitigen" (S. 502).

Die Verfasser heben hervor, dab die Handelskammern gleichzeitig gesetzliche Berufsorganisationen zur Vertretung der Unterneltmerinteressen und KSrper- schaften 5ffenttichen Rechts sind, dab sie daher Rechte und Pflichten der Grup- peninteressenvertretung sowie die Pflichten der auch der 0ffentlichkeit verant- wortlichen Selbstverwaltungskiirpersebaften vereinigen (S. 503). Diese Feststel- lung ist nicht ganz verst~ndlich. Offenbar gehen die Verfasser yon der Auffas- sung aus, dal3 zwischen dem Begriff ,Berufsorganisation und Interessenvertre- tung" und dem Begriff ,,KSrperschaft des 5ffentlichen Rechts" ein Widerspruch besteht. Nun gehSrt abet jeder der beiden Begriffe einem anderen Bereiche an. Die Handelskammern dienen der Interessenvertretung. Das ist ihr Zweck. Die Tatsache, dai3 sie KSrperschaften 5ffentlichen Rechts sind, betrifft die formale Seite. Eine KSrperschaft 5ffentliehes Rechts kann mannigfaehen Zwecken dienen, eine Zwe&organisation wiederum kann sowohl als Kiirperschaft iiffentlichen Rechts als auch als privater Verein organisiert sein.

M i t i e und K lo s e sprechen in der Folge yon den widerstreitenden Inter- essen der in der Kammerorgauisation zusammengefaBten Gruppen. Industrie, Handel und Handwerk vertreten h~ufig entgegengesetzte Standpunkte. Diese Interessengegensi/tze betreffen iibrigens nicht nut das Handwerk, sondern das gesamte Gewerbe, yon dem das Handwerk ja nur ein Tell ist (§ 14 Gewerbe- Ordnung). -- Die Feststellung der Verfasser, dal3 die Sektion einer Kammer keine KSrperschaft, sondern nur eine fachliehe Gliederung des Kammeramtes sei (S. 510), ist unzutreffend. Die Sektion ist, wie vorhin dargelegt, eine Gliede- rung der Kammer. Das Kaxamera~t ist gem~13 § 15 HKG die Gesehi/ftsstelle der Kammer, der die Besorgung der Konzepts-, Kanzlei- und Kassagesch~fte obliegt.

Das passive Wahlreeht ist, so fiihren die Verfasser aus, insoferne be- schri~nkt, als die Mitglieder der Sektionsleitung nur aus den Mitgliedern der Fachgruppenausschiisse und der Sektiensobmann nnr aus dem Kreis der Sek- tionsleitung gew~hlt werden kSnnen. Eine derartige Beschriinkung g~be es, so meinen die Verfasser, fiir die Wahl der Kammerpr~sidien nicht. Diese Meinung ist im Gesetz nicht begrfindet. Gemiii3 § 21 HKG werden der Priisident der Bundeskammer, der nicht Mitglied des Kammertages sein muB, und die beiden Vizepr~sidenten vom Kammertag gew~ihlt. Die Einschr~nkung, dab der zu W~ihlende nicht Mitglied des Kammertages sein mui3, bezieht sich also nur auf den Pr~sidenten, nicht aber auf die beiden Vizeprgsidenten, die gemeinsam mit dem Priisidenten das Kammerpr~isidium bilden.

Schliel31ich stellen die Veffasser fest, dab die Wahlen auf Grund yon Wahl- vorschlggen erfolgen, die yon verschiedenen Gruppen eingebracht werden. Ffir

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Verb~inde in der 5sterreiehischen Wirtschaftspolitik 369

kleinere Gruppen liegt, so sagen die Verfasser, oft nur ein einziger Vorschlag vor; dann entf~llt die Wahl. In diesem Zusammenhang ist es vielleicht inter- essant festzustellen, din3 der Einbringung eines Wahlvorschlages fiir Fachgrup- pen oft Vereinbarungen verschiedener W£Mergruppen zugrunde liegen. In diesen Fallen beriicksiehtigt also der einzige Wahlvorschlag die Wfinsche verschiedener Wahlergruppen. In Vorarlberg ist es immer wieder vorgekommen, dab die Erstellung eines Wahlvorschlages in der Versammlung der Mitglieder einer Fach- gruppe erfolgte. Der so zustaade gekommene einzige Wahlvorschlag hatte zur Folge, dab eine weitere Wahl entfiel. So die formale Betrachtung dieses Vor- ganges. Tatsachlich war die Erstellung eines Wahlvorschlages gleiehbedeutend mit einer Wahl der FachgruppenausschuB-Mitglieder.

~hnlich wie K 1 e n n e r bezfiglich des Gewerkschaftsbundes, glauben M i t i c und K 1 o s e feststellen zu mfissen, dab die Skepsis der Kammermitglieder gegen- fiber der Kammer vielfach grol3 sei (S. 519). Dieser Feststellung der beiden Ver- fasser widersprechen abet ihre Ausfiihrungen auf S. 532: ,Der einzelne Unter- nehmer als Kammermitglied . . . respektiert ,seine Ka.mmer' . . . " und auf S. 548 f.: ,,Die Entscheidungen der Prasidien, selbst wenn sie einmal autoritar erfolgen, werden respektiert. Darauf griindet sich die Wirkungskraft der handels- kammerliehen Mitbestimmung in der staatlichen Wirtschaftspolitik. Die obersten Sprecher der Unternehmerschaft haben in allen wichtigen Angelegenheiten eine geschlossene Unternehmerfront hinter sich."

Die Verfasser heben zutreffend hervor, dai~ die Teilung der Aufgaben der Handelskammern in einen eigenen und einen fibertragenen Wirkungsbereieh f fir die staatliche Aufsicht yon besonderer Bedeutung sei. In vielen F£11en fiber- tragener Angelegenheiten kSnne die AufsichtsbehSrde mittels Weisung eingrei- fen, ira eigenen Wirkungsbereich nur mit den veto Aufsiehtsrecht vorgesehenen Mitteln (S. 524). Hier ware zu erggnzen, dab gem£B den Bestimmungen des § 68 Abs. 2 des HKG die Aufsicht die Sorge fiir die gesetzm£1~ige Ffihrung der Gesch~ifte und Aufrechterhaltung des ordnungsma~igen Ganges der Verwaltung umfa~t. Die Aufsiehtsbeh5rde ist bei Handhabung ihres Aufsiehtsrechts ins- besondere berechtigt, Besehliisse aufzuheben. Die Aufsichtsbeh5rde ist also nieht berechtigt, auf die Willensentschliei~ung der Kanunern Einflul3 zu nehmen.

Sehr interessant sind die Ausffihrungen von M i t i e und K 1 o s e fiber die all- gemeinen Ziele und Verhaltensweisen der Handelskammerorganisation (S. 524 ff.) und fiber die Einwirkungen der Handelskammer anf die Wirtschaftsablaufpolitik (S. 548 ff.). M i t i e und K l o s e messen hier nach einem sehr strengen M~stab . Sie iibersehen, was M e i h s 1 in seiner Einzeldarstellung fiber die Kammern und freien Verb~de in der Landwirtschaft auf S. 290 gesagt hat, dab einzelne wirt- schaftspolitische Aktionen, die sich widersprechen, nidlt notwendig das Fehlen einer einheitliehen Grundlinie darstellen. Tats~ehlieh handelt es sich auch hier vielfach um Erseheinungen, deren Widersprueh yon der Interessenvertremng selbst erkannt wurde.

M i t i e und K 1 o s e sind der Auffassung, dab die Handelskammern immer ffir ffihlbare Beschrankungen des Zutritts zur T~itigkeit auf dem Gebiete der gewerblichen Wirtschaft eintreten. Befahigungsnachweise, Konzessionsbindun- gen und Lokalbedarfspriifungen erschweren nach Ansicht der Verfasser offenbar fiberm~Big den Antritt einer selbstandigen Tiitigkeit auf dem Gebiete der Wirt- schaft (S. 527,547). Diese yon M i t i e und K l o s e geaul~erte Anffassung ist welt verbreitet, aber wohl unzutreffend, wie eine genaue Prfifung der Bestim- mungen der Gewerbeordnung fiber den Befahigungsnachweis und fiber den Urn- fang der konzessionspflichtigen T£tigkeiten zeigt. Im Gegensatz zu M i t i e und K t o s e daft man wohl sagen, dab die Voraussetzung der Erbringung eines Bef£higungsnachweises dureh eine dreij£hrige Lehrzeit und den Nachweis einer

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vierjiihrigen kaufm~nnischen Dienstzeit kaum als iibertrieben angesehen warden kann. Die Manzscbe Ausgabe der Osterreichisehen Gewerbeordnung (3. Auflage), herausgegeben von Hofrat Dr. S e h w i o d l a n d , enthi~lt auf S. 334ff. eine ~iugerst instruktive Zusmmnenstetlung fiber die konzessionierten Gewerbe, ins- besondere die Art des zu erbringenden Bef~higungsnachweisos und der Bedarfs- prfifung. Eine Durchsicht dieser Aufstellung l~gt klar orkennen, dab es wohl- erwogene Grfinde des Allgemeinintoresses sind, die diese Gewerbe als konzes- sionspflichtig erscheinen lassen, wenn es auch einzelne Gewerbe gibt, bei denen man boziiglich der Notwendigkeit der Konzessionspflicht verschiedener Meinung sein kann. Im fibrigen zeigen aueh immer wieder praktische Erfahrungen, dab die Besehrgnkungen im iibrigen Ausland vielfaeh noch wesentlich grS/3er sind. Es wiire eine dankenswerte Aufgabe, durch eine grfindliche Untersuchung exakt klarzustellen, inwieweit die 5sterreichischo Rechtslage engherziger als die in anderen Staaten erscheint.

In ihrer Kritik der Einwirkungen der Handelskammern auf die Wirtschafts- ablaufpolitik stellen M i t i c und K l o s e auf S. 557 lest: ,,Die Begriindung der protektionistischen HMtung mit dem Hinweis auf den dauernden Einfuhriiber- schug wird aufred]terhalten, obwohl die Zahlungsbilanz hoch aktiv ist und die valutarischen Reserven des Landes einen Importbedarf yon mehreren Monaten decken." Wie rasch ~ndern sieh doch die wirtschaftlichen Verh~ltnisse! Die Zah- lungsbilanz ist inzwischen zur Serge aller verantwortungsvollen Wirtschafts- politiker leider schon passiv geworden.

DDr. K. W e n g e r u n d Dipl.-Kfm. H. S e i d e l, zweiter Loiter des 5ster- reiehisehen Instituts fiir Wirtschaftsforschung, behandeln die freien Vorb~nde in der gewerblichen Wirtschaft.

Unter die Gruppe der freien VerNinde z~hlen sie mit Recht aueh die soge- nannten ,blauen" VerbSnde, wobei sie feststellen, dag diese Kreise mit ,,biirger- lichem" Gedankengut den Kammern mohr Serge machen als die sogenannten ,,roten" Verb~nde, die der Sozialistischen Partei nahestehen. Die Untersuchung unterl~gt die Feststellung, dag es sida bei den sogenannten ,,blauen" VerNinden um den ZusammensdaluB national-liberaler Kreise handelt. Die Tatsache, dal3 diese Verb~nde den Kammorn mehr Serge machen, ist darauf zuriickzufiihren, dab die Sozialisten, wenn auch als kleine Minderheit, in den Organen der Kam- mern vertreten sind. Sie kennen daher aus eigener Wahrnohmung die Probleme mad wissen eher um die Sehwierigkeiten als die sogenannten ,,Blauen", die in den Kammern nur sp~rlich durch Funktion~ire vertreten sind. Fiir AuBenstehende wird es trotz aller 0ffentlichkeitsarbeit immer schwierig sein, Motive ffir Hand- Iungen zu erkennen, die mangels Kenntnis der Zusammenh~nge vielfach unver- st~ndlieh bleiben.

Bei Behandlung der Marktbeeinflussung durch die freien Verb~nde der gewerblichen Wirtschaft wird yon W e n g e r und S e i d e 1 zutreffond hervor- gehoben, dab freio Verb~nde -- und nicht Pflichtorganisationen -- vielfaeh Preis- empfehlungen orlassen. Die Griinde fiir diese Tatsaehe sind abor den Verfassern offenbar verborgen gebliebon. W e n g e r und S e i d e 1 meinen, dab die Empfeh- lnngen deshalb yon den freien Verb~inden erlassen werden, weft diese einen engeren Kontakt mit ihren MitgIiedern haben als die Fachgruppen. Dies ist unzutreffend. Es sei hier nur auf die durehaus zutreffenden Ausfiihrungen von M i t i e und K t o s e von S. 518 f. verwiesen. Die Sekrot~re der Faehgruppen weisen immer wieder darauf lain, dab sie einen erheblichen Toil ihrer Tiitigkeit der Beratung widmen. Die Mitglieder kommon mit allen mSgliehen betrioblichen und persSnliehon Angelegenheiten zu ihren Faehgruppen. Im Bereiehe der Landos- kammern sind am Sitze eines politisehen Bezirkos Bezirksstellon eingeriehtet. Die dart ti~tigen Kammorangostellten machen diese]be Wahrnehmung. Aueh hier

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Verb~nde in der 5sterreichischen Wirtschaftspolitik 371

verlangen und erhalten die Kammermitglieder wirklich in allen mSglichen betrieb- lichen und pcrsSnlichen Angelegenheiten Rat und Hilfe. Die Tatsaahe, da~ die freien Verbgnde angeblich st~rkere Kontakte mit ihren Mitgliedern h~tten, ist es also nicht, die gewisse Fachgruppen veranlassen, yon Preisempfehlungen Abstand zu nehmen. Es ist auch nicht, wie W e n g e r und S e i d e l meinen, die Furcht vor Strafen, die die Zuriickhaltung gebieten. Die Fachgruppen sind viel- mehr nur dort mit Preisempfehlungen vorgegangen, wo sic dies aus gesamtwirt- schaftlichen Grfinden ffir unumg~inglich notwendig hielten.

In ihren politischen Erw~gungen stellen W e n g e r und S e i d e l auf S. 581 lest: ,,Die Wirtschaftspolitik der Handelskammern wird ma~geblich yon dcr ~sterreichischen Volkspartei beeinfluBt." Dieselben Verfasser sagen auf S. 585 f.: ,,Mindestens ebenso entscheidend ist die ErwKgung, dab die Handelskammern im ,Kammerstaat' 5sterreichischer Pr~gung nicht nur Mittr~ger dcr Wirtschafts- politik sind, sondern (zusammen mit den groSen Interessenvertretungen der Arbeitnehmer und der Landwirte) oft entscheidend den wirtschaftspolitischen Kurs bestinnnen." Und auf S. 587f.: ,,Auf der einen Seite besteht eine um- fassende Kammerorganisation, die yore Gesetzgeber mit weitreichenden Privile- gien und Befugnissen ausgestattet ist und de facto dank der engen personcllen Yerflechtung yon Kmumern, Partei und Regierung entscheidend die Wirtschafts- politik zu bestimmen vermag." Zutreffend scheinen die Feststellungen der Ver- fasser auf S. 585f. nnd 587f. zu sein.

Zur Frage des Einflusses auf die wirtschaftspolitische Willensbildung stel- len W e n g e r und S e i d e l auf S. 588 fest: ,,Gesellschaftliche Veranstalmngen, private Beziehungen zu maBgebenden PersSnlichkeiten und vertrauliche Gespr~che in anregender Umgebung erweiscn sich oft als wirkungsvolleres Mittel der wirt- schaftspolitischen Meinungsbildung als die sachliche Arbeit auf den unteren Ebenen der Kammerbiirokratie." Es ist nicht erfindlich, was die Verfasser unter ,anregender Umgebung" verstehcn. Der Schlul3 aber, der aus der Feststellung der Verfasser zu ziehen w~.re, daI3 bei den freien Verb~nden die Beziehungen zu den Repr~isentanten der Tr~iger der Wirtschaftspolitik nut auf hSchster Ebene gepflogen werden, w~hrend bei den Pflichtorganisationcn nut die untere Kam- merbiirokratic Arbeit leistet, erscheint verfehlt. Die Arbeit der unteren Ka~nmer- biirokratie ]iefert das Material nicht nur fiir das Produzieren von Akten und Gutachten, wie W e n g e r und S e i d e 1 offenbar meinen, sondern auch fiir die mannigfachen Verhandlungen auf sogenannter ,,hSchster Ebene". DaB in dem verh~ltnism~il3ig kleincn Kreis der Spitzenpolitiker und der Spitzenrepr~sen- tanten der Pflichtorganisationen auch enge persSnliche Beziehungen bestchen, ist wohl allgemein bekannt.

Die Formulierung der Ausffihrungen yon W e n g e r und S e i d e l auf S. 591, in der Zweiten Rcpublik sei durch das Handelskammergesetz fiir alle Unter- nehmungen die gesetzliche Zwangsmitgliedschaft begriindet worden, kSnnte zu Fehlschliissen Anla~ geben. Tats~chlich waren seit Grfindung der Handelskam- mern im Jahre 1848 s~.mtliche Unternehmer der gewerblichen Wirtschaft Pflicht- mitglieder der Kammern. Alle Handelskammergesetze hatten die Bestimmung, dal3 die Kosten der Handelskammern von den Kammemitgliedern zu tragen w~ren. So ist es bis zum heutigen Tage geblieben. Auf Grund des derzeit geltenden Han- delskammergesetzes sind ebenfalls grunds~tztich alle Kammermitglieder zur Dek- kung der Kosten verpflichtet. Dort, wo das Einkommen eines Kammermitgliedes die Gewcrbesteuer-Grenze nicht erreicht, entf~tllt auch die Bcitragspflicht, da die Kammerumlage in Form eines Zuschlages zur Gewerbestcuer eingehoben wird. Der Unterschied gegenfiber den frfiheren Kammergesetzen besteht nur da.rfll, daft der Begriff ,,Kammermitglied" gleichbedeutend war mit dem heutigen Begriff ,,Mitglied des Kammertages" oder mit dem Begriff ,,Mitglied der Kammervoll-

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372 F. Korinek:

versammlung". Die Kammermitglieder im heutigen Sinne wurden in den Klteren Handelskammergesetzen ,,Wahlberechtigte" genannt.

Die Pflichtmitgliedschaft ist notwendig f fir die unabh~ngige Vertretung der Interessen der gewerblichen Wirtsehaft. Die gew£hlten Funktion~re der Kam- mern fassen heute auf Grund besten Wissens und Gewissens ihre EntschlieBun- gen und machen diesen Entschliel3ungen gem~B Vorsehl~ge ffir die Einfiihrung der Wirtschaftspolitik. Sie sind ffir ihre Vorschl£ge nut den Kammermitgliedern verantwortlich, die bei den alle ffinf Jahre durehzufiihrenden Wahlen die Kon- sequenzen aus der Haltung der Funktion~re zu den Fragen der Wirtschafts- politik ziehen kSnnen. W~re die MitgliedsEhaft zu den K~mmern freiwillig, dann kSnnte der Fall eintreten, dab die Angeh6rigen bestimrater BranEhen die Mit- gliedschaft aufkfindigen, wenn ihre Sonderinteressen, die als mit den gemein- samen Interessen der Wirtsehaft unvereinbar mugesehen wurden, nicht vertreten wiirden. Die Organe der Kammern kgmen so in die Lage, ihre Entscheidungen unter Umst~nden aueh nach diesen Gesichtspunkten f~llen zu mfissen. Dies ist dutch die Statuierung der Pflichtmitgliedschaft oder, wie es in den frfiheren Handelskammergesetzen hiefl der allgemeinen BeitragspfliEht, unmSglich.

~beraus instruktiv sind die Ausffihrungen von W e n g e r und S e i d e I fiber die bedeutenden freien Verb~mde der einzelnen Sparten der gewerbliehen Wirt- schaft. Urrzutreffend hingegen ist die Feststellung auf S. 609, dab da~ Handels- kammergesetz und die darauf beruhenden Verordnungen die Bauinnung nieht zuletzt aus kammerbudget~ren [)berlegungen dem Gewerbe zugewiesen h~tten. Die Kammerum]age besteht aus einem Zuschlag zur Gewerbesteuer, und ihre HShe ist unabh~ingig davon, ob das Mitglied der Sektion Industrie oder Gewerbe angehSrt. Das Baugewerbe wurde aus historisehen Griinden und mit RficksiEht darauf, dab es sich bei der T~tigkeit der Bauunternehmer lficht urn Serien- produktion handelt, der Sektion Gewerbe zugeteilt.

Der Beitrag yon Prof. DDr. A. N u B b a u m e r fiber die freien Verb~nde im Geld- und Kreditwesen ist £ufierst instruktiv.

Offenbar infolge eines Mundierungsfehlers ist der dritte Absatz des dritten Kapitels fiber die rechtlichen Zust~ndigkeiten und tats~chlichen Aufgaben (S. 628 f.) unverst~indlich geworden. Im Bereiche der Sektion GeId- und Kredit- wesen wurden die den FadlverbKnden obliegenden Aufgaben an die freien Ver- b£nde delegiert. Formell fungieren die Faehverb~nde als Interessenvertretungen in diesem Bereiche der gewerblichen Wirtschaft, materiell sind es aber die freien Ver- b~nde, die bier maBgebend wirken. Von dieser Tatsache geht N u B b a u m e r auch bei der Behandlung al]er Probleme aus.

Sehr interessant sind die Ausffihrungen des Autors fiber die Einflu~nahme der peIitisehen Parteien auf die dem Geld- und Kreditsektor angehSrenden Insti- tute. ,,Politischer EinfluB wirkt sieh vor Mlem in der Personalpolitik der Insti- tute aus, nicbt jedoch in den Stellungnahmen der Institute ira Verband." ,,Hiebei nimmt die Sozialistische Partei 0sterreichs einen erheblich stKrkeren Einflul3 auf die Personalpolitik als die 0sterreichische Volkspartei, weshalb aueh die yon ihr entsandten Vertreter viel starker parteiabh~ngig sind als die der 0VP. Anderer- seits haben die SP0-Vertreter auch grSBeres Gewicht bei ihrer Partei und set- zen yon ihnen unterstfitzte Verbaadanliegen leichter dnrch als die der 0VP." (S. 634)

Auf S. 678 spricht N u B b a u m e r yon dem Verh£1tnis der Versicherungs- institute zu ihrer Interessenvertretung. N u flb a u m e r verweist darauf, dal] bei Meinungsverschiedenheiten, die nicht geliist werden kSnnen, die differierende Gesellschaft arts dem Verband ausgeschlossen werden kann. Nur der Vollstiindig- keit haIber sei erw~nt, da~ ein derartiger AussdaluB die Pflichtmitgliedschaft natfirlich nieht berfihrt.

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Verb~nde in der 5sterreiehischen Wirtschaftspolitik 373

Der Beitrag yon Dr. H. Z o g e l m a n n fiber die Kammern und freien Ver- b~nde der freien Berufe, die Verb~ude auf dem Gebiet der Wolmungswirtsehaft und die Familienverb~nde gibt einen knappen, aber iiberaus instruktiven Uber- blick fiber diesen Sektor.

II.

Im I. Hauptteil bringt Prof. Dr. G. N e u h a u s e r eine systematische Gesamtdarstellung der verbandsmSl3igen Organisation der 5sterreichischen Wirt- schaft. Hier wird zun~chst die ,,Struktur der Interessenvertremngen" dargestellt, wobei vor allem die Organisationsformen untersucht werden. Im zweiten Teil der Arbeit N e u h a u s e r s werden die Zielsetzungen und Verhaltensweisen der Ver- biinde behandelt. In einem dritten Teil, der umfangmiiBig am bedeutendsten ist, wird die Parit~tisehe Kommission flit Preis- und Lohnfragen untersucht. Im folgenden sollen einige kritische und beri&tigende Bemerkungen zur Arbeit yon Frau N e u h a u s e r angebraeht werden:

Sie hebt zun~ehst hervor, da~ die Kammern eine Doppelstellung einnehmen. Sie seien einerseits gesetzliche Berufsorganisationen, andererseits abet aueh Selbst- verwaltungskSrperschaften. Sie iibernimmt damit die Feststellungen der Einzel- darstellung von M i t i e und K1 o s e, zu der der Rezensent bereits oben Steltung genommen hat. Wieso sich aus dieser angebtichen Doppelsteltung ein selbst~n- diger und ein fibertragender Wirkungsbereich ergeben soll, ist unerfindlich. Selbst wenn bei der Unterseheidung die Einteilung der Angelegenheiten der Selbst- verwaltungskSrper in ihren Kernbereieh, der Interessenvertretung (etwa das, was S a 1 z w e d e 1 ,,gesellschaftliehe Selbstverwaltung" nennt), und in den Bereich der delegierten Staatsverwaltung gemeint sein sollte, trifft die yon N e u h a u s e r getroffene Schlu~folgerung nicht zu: Der materielle Begriff ,,Kernbereieh der Selbstverwaltung" ist naeh geltendem 5sterreichischen Recht mit dem ,,eigenen Wirkungsbereich" n~mlieh nicht identisch. ,,Eigener Wirkungsbereich" hat eine formetl-organisatorische Bedeutung, n~mlich AussehluB des Weisungsreehts tier staatlichen BehSrden.

Die Behauptung, da~ alle SelbstverwaltungskSrper einen eigenen und einen fibertragenen Wirkungsbereieh haben, beruht offenbar auf einem MiBverstgndnis des Begriffes ,,Selbstverwaltung". Auch die Ausffihrungen beziiglich des Auf- siehtsrechts fibernehmen die Auffassungen aus der Einzeldarstellung M i t i c s und K1 o s e s. Dazu wurde gleichfalls bereits oben Stellung genommen.

N e u h a u s e r hebt hervor, dab der Gesetzgeber die Kammern im eigenen Wirkungsbereich mit dem Recht ausgestattet h~tte, in Mlen Angelegenheiten, die mittelbar oder unmittelbar die Interessen der KanunerangehSrigen berfihren, ihre Meinung zu ~uBern, d.h. Gutachten abzugeben. Die Verfasserin fibersieht, dal~ es keines Gesetzes bedurft h~tte, um irgendeine KSrperschaft mit dem Recht auszustatten, ihre Meinung zu iiul3ern. Dieses Recht ist bereits im Artikel 11 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 fiber die allgemeinen Rechte der Staatsbfirger verfassungsrechtlich verankert. Gem~B diesen Bestimmungen steht das Petitionsrecht, also das Recht, Antr~ge nnd Anregungen an die Organe der Gesetzgebung und Vollziehung zu richten, jedermann zu. Unter einem Gesamt- namen dfirfen Petitionen nur yon gesetzlieh anerkannten KSrperschaften oder Vereinen ausgehen. Also nieht die Einrgumung eines ohnehin bereits bestan- denen Rechts, seine Meinung zu ~uBern, ist clas Wesentliche, sondern vielmehr die Bestimmung des § 6 HKG, wonach Gesetzentwiirfe, die Interessen berfihren, deren Vertremng den Landeskammern oder deren Fachgruppen zukommt, vor ihrer Einbringung in die gesetzgebende KSrperschaft den Landeskammern unter Einr~umung einer angemessenen Frist zur Begutachtung zu fibermitteln sind. Ein analoges Recht besteht vor Erlassung ,,besonders wichtiger Verordnungen".

Zeitschr, f. National~konomie, XXVH. Bd., Heft 3 25

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374 F. Korinek:

In der Folge hebt N e u h a u s e r hervor, dab die Vereinigung 0sterreichischor Industrieller die Kollektivvertragsf~higkeit besitzt. Es sei hier nur festgestellt, dab die Vereinigung yon diesem Recht keinen Gebrauch maeht, wie bereits W e n - g e r u n d S e i d e l in ihrer Einzeldarstellung aufzeigen. -- Die Behauptung N o u h a u s o r s auf S. 14, dab die ,,blauen Verb~nde" ohne sichtbare Anlehnnng an einen politischen odor weltanschaulichen religiSsen Verband sind, ist unzu- treffend. Es ist in weitesten Kreisen bekannt, dab die sogenannten ,,blauen Ver- b~nde" den national-liberalen Gemeinschaften nahostehen.

Die Feststellung auf S. 16, dab sich in (~sterreich kaum viol mehr als 50 Interessenvertretungen der gewerblichon Wirtschaft finden, die als wirtschafts- politisch relevant gelten kSnnten, erschoint auf Grund des Beitrages yon W o n - g e r und S e i d e l wohl kaum haltbar. Die Arbeit yon W e n g e r und S e i d c ] zeigt zutreffend, dab kaum ffinf freien Interessenvertretungen effiziente poli- tische Relevanz zugeschrieben werden kann.

N e u h a u s e r sagt auf S. 25, ,,daB 0sterreich zwar einerseits verfassungs- rcchtlich als Bundesstaat organisiert ist -- wenn auch der Bund dabei das ~bergewicht hat --, andererseits abet zentralistiseh regiert wird". Die Verfasserin will damit offenbar sagen, dab 0sterreich ein Bundesstaat ist, daft also Gesetz- gebung und Vollziehung zwischen Bund und L~ndern geteilt sind, wobei aber das Schwergewicht der Zust~ndigkeiten beim Bund liegt. DaB (Jsterreich ,zen- tralistisch regiert wird", kann wohl bei dem EinfluB, der den GebiotskSrper- schaften vor allem in der Vollziehung zusteht, nicht behauptet werden.

Die Feststellung auf S. 29, dal3 die Landeskammern aus Sektionen und Fach- gruppen bestehen, ist unrichtig. Die Sektionen sind Gliederungen der Kammern (§ 34 HKG), die Fachgruppen wiederum sind eigene RechtspersSnlichkeiten. Mit- glieder jedor Kammer sind alle physischen and juristischen Personen sowie offene Handelsgesellschaften, die zum selbstiindigen Betrieb yon bestimmten Unternehmungen berechtigt sind (§ 3 HKG).

Die woitere Feststellung N e u h a u s e r s auf S. 29, daB nur der Osterrei- chische Gewerkschaftsbund eine partoipolitische Gliederung in Fraktionen h~tte, ist unriehtig. Jede Kammer, in deron oborsten Organen mehr als eine W~hler- gruppe vertreten ist, weist eine Gliederung naeh diesen W~.hlergruppen auf. Hier unterseheiden sich die Verh~ltnisse im /Jsterreiehischen Gewerkschaftsbund nieht von denen in den Kammern.

Auch die Feststellung auf S. 31, ,,daB froie Interessenvertrettmgen auf die eine oder andero Weise einer Kammerorganisation einverleibt sind", ist unrieh- tig. Hier liegt offenbar eine mil3verst~ndliche Auffassung der Ausffihrungen Prof. N u l 3 b a u m e r s fiber die freien Verb~nde im Gold- und Kreditwesen vor. Im fibrigen sei beziiglich der Kammerorganisation auf die zutreffenden Aus- fiihrungen in der Einzeldarstellung yon M i t i c and K1 o s e verwiesen.

Der Hinweis auf S. 31 bezfiglich der Bundeskammor und der Arbeitsgemein- schaft des Juwelen- und Uhrenfaches kSnnte zu Mif3verst~ndnissen AnlaB geben. Die organisatorischen Bestimmungen der Handelskammern sehen vor, dab zur Behandlung gewisser fachlicher Angetegenheiten Arbeitsgemeinschaften zwischen don sachlich zust~ndigen Fachverb~nden der Industrie, des Gewerbes und des Handels gebildet werden kSnnen. Eino dieser verh~Imism~l~ig zahlreichen Arbeitsgemeinsehaften ist auch die Arbeitsgemeinsehaft des Juwelen- und Uhren- laches.

Aueh die Feststellung auf S. 32, dal3 die Spitzenflmktion~re von Kammern sozusagen automatiseh Spitzenfunktion~iro in parallolen freien Interessenvertre- tungen sind, ist unzutreffend. Das Vorh~ltnis ist hier eher umgekehrt. Funk- tion~ire gewisser freier Verb~nde fungieren traditionsgem~/fl gleichzeitig in be- stimmten Organen der Kammerorganisation. Zwischen der Industriesektion der

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Verb~inde in der 5sterreiehischen Wirtschaftspolitik 375

Bundeskammer und der Vereinigung (Jsterreichischer Industrietler herrscht enge Kooperation. Die Annahme N e u h a u s e r s (S. 35), dab die Vereinigung die Gutachten der Kammer vorbereite, ist jedoch unzutreffend.

N e u h a u s e r sagt auf S. 36, dab in dem arbeitsgerichtlichen Senat des Obersten Gerichtshofes die drei grogen Kammern vertreten seien. Auf S. 64 wiederum stellt die Yerfasserin lest, dab die groBen Kammem in der Weise an der Gerichtsbarkeit mitwirken, dab sie Beisitzer und Sachverstandige in ver- schiedene Senate entsenden. Diese Darstellung ist irreffihrend. Die Arbeits- gerichte sind Kollegialgerichte. Sie verhandeln und entsclleiden in Senaten, die aus einem Vorsitzenden und der erforderlichen Anzahl yon Beisitzern bestehen, yon denen einer dem Kreise der Unternehmer, ein anderer dem Keise der Besch~ftigten angehSren muB (§ 14 ArbGG). Die Laienbeisitzer werden yore Pr~sidenten des Landes- oder Kreisgerichtes (beim OGH yon dessert Pr~sidenten) gem/~l] den Vorschl@en ernannt, die die Interessenvertretungen auf Grund ihrer Personalkenntnisse erstellen. Vorschlagsberechtigt sind nach § 10 ArbGG die ,,zust~ndigen gesetzlichen oder, wenn solche nieht bestehen, sonstigen Interessen- vertretungen der Unternehmer einerseits und der Beschiiftigten andererseits". Das sind ffir die meisten Berufsgruppen auf Unternehmerseite die Handels- kammern und auf Besch~ftigtenseite die Arbeiterkammern. Ffir gewisse Berufe kommt aber einerseits den Landwirtschaftskammern, ~rztekammern, Apotheker- kammern, Rechtsanwaltskammern u.a. , andererseits den Landarbeiterkammern ein Vorsc,hlagsrecht zu. Das subsidi~re Vorsehlagsrecht bei ,,kammerfremden" Unternehmen bzw. Besch~iftigten steht den jeweils bestehenden freien Verb~nden (etwa dem Verband 5sterreichischer Zeitungsherausgeber; auf Besch~ftigtenseite dem 0GB) zu. Die Beisitzer fungieren in den Senaten vollkommen unabh/ingig, wie es das Gesetz vorsieht. Sie sind daher nicht als Vertreter der Kammern anzusehen.

Im Verein ffir Konsumenteninformation ist aaBer den yon N e u h a u s e r genannten Kammern ffir Arbeiter und Angestellte (richtig: Osterreichischer Arbeiterkammertag), dem Osterreiehischen Gewerkschaftsbund und den Karnmern der gewerblichen Wirtschaft (richtig: Bundeskammer der gewerblichen Wirtsehaft) auch die PrKsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern vertreten.

Zu den Ausffihrungen N e u h a u s e r s fiber die Parit~tische Kommission und den Beirat wird noch zu sprechen sein.

I I I .

Den zentralen Teil des Gesamtwerkes machen die Ausffihrungen yon Prof. Dr. Th. P f i tz fiber die Bedeutung der Wirtschaftsverb/inde ffir die Gestaltung der 5sterreichischen Wirtschaftspolitik aus. Er stellt zun~ehst den politischen und gesellschaftlichen Hintergrund des 5sterreichischen VerbKndewesens dar. Im an- schliegenden Kapitel werden die Wirtschaftsverb/~nde im geschichtlichen Wandel der Wirtschaftspolitik behandelt, wobei besonders auf die klare Gliederung der Ausffihrtmgen hinzuweisen ist. Hauptanliegen ist ffir P f i tz die Darstellung der Auswirkungen der Verbaudst~tigkeit auf die wirtschaftspolitische Willensbildung, auf die Zielsetzungen der staattichen Wirtschaftspolitik sowie auf die Gestaltung wirtsehaftspotitischer MaBnahmem Das abschlieBende Kauitel widmet sich der Bedeutung der VerbKnde ffir die Optimierung der staatlichen Wirtschaftspolitik.

Wenn P f i t z auf S. 178 feststellt, dab der EinfluB der VerbKnde auf die Regierung eine einheitliche wirtsehaftspolitiscbe Willensbildung erschwert, mag dies durcbaus zutreffen. Es ist dasselbe Problem, das auch bei einem Vergleich zwischen Demokratie und Monokratie aufscheint. Gleichwohl wissen wit aus Lehre und Praxis, dab die Erschwernisse, die durch die Zusammenarbeit mit

25*

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den Vertretern verschiedenster Interessen gegeben sind, des Zieles wegen auf sich genommen werden miissen. DaB die wirtschaftspotitische Willensbitdung der Regierung ressortpartikularistisch anfgespaltet ist iS. 178), liegt in derVer- fassung begrfindet (Art. 69 ft. Bundesverfassung).

P i i t z meint, dab sich der bisher wolff bedeutendste Konflikt zwischen Inter- essenpluralismus und Gemeinwohlzielen darin zeigt, dab die inflatorisch wir- kende, mit Budgetdefiziten verbundene Expansion der 5ffentlichen Ausgaben weitgehend fiber den EinfluB der Verb~nde zurfickzufiihren ist. Diese Fest- stellung dfirfte in solcher Allgemeinheit unzutreffend sein. Die Expansion der Budgetziffern war nicht auf das Wirken der Interessenvertretungen, sondern vielmehr auf politische Forderungen zuriickzuffihren. So mancher Finanzminister der letzten Jahre hat die Interessenvertretungen angerufen, um Hilfe vor massi- yen Forderungen politischer Kreise zu suchen. Auch die Annahme, daB die Verb~nde davon ausgehen, primer Gruppeninteressen zu vertreten und die Wah- rung der Gesamtinteressen den zust~ndigen Ressorts zu fiberlassen, ist wolff unzutreffend. Es hat sich schon vor sehr geraumer Zeit herumgesprochen, daB die Forcierung yon Gruppeninteressen zwar vorfibergehend Vorteile bringen kann, letzten Endes aber nur mit Nachteilen verbunden ist. Die Verb~nde wissen genau, dab das wirtschaftliche Wohl der AngehSrigen vom wirtschaftlichen Wolff der Gesamtheit abh~ngig ist.

Zu den Auffassungen in den Darlegungen der Professoren N e u h a u s e r und Pf i tz wurde bier im allgemeinen dann nicht Stellung genommen, wenn diese Stellungsnahme bereits bei Behandlung der Einzeldarstellungen (III. Haupt- teil) erfolgte.

IV.

Zum AbschluB soll noch mit der gebotenen Kfirze auf die Ausfiihrungen Bezug genommen werden, die die Verfasser des gesamten Werkes, vor allem Frau N e u h a u s e r , zur Frage der instimtionalisierten Zusammenarbeit yon Spitzenverb~nden in der Parit~itischen Kommission fiir Preis- und Lohnfragen machen. N e u h a u s e r behandelt zun~hst die Wirtschaftskommission nnd stellt lest, dab diese Einrichtung unter dem Patronat der Regierung stfinde. Auf der- selben Seite (67) steltt die Verfasserin lest, dab der Inhalt der Vereinbarungen, zu denen die Wirtschaftskommission gelangte, regelm~Big yon der Bundes- regierung fibernommen, in Form von Regierungsvorlagen im Nationalrat ein- gebracht und vom Nationalrat unver~ndert zmn Gesetz erhoben wurde. Diese Feststellung wfirde eher dazu berechtigen, zu sagen, dab die Regierung unter d~n Patronat der Wirtschaftskommission stiinde und nicht umgekehrt.

Die Annahme der Verfasserin, dab die Wirtsd~aftskommission deshalb nieht ufibedenklich gewesen w~re, weil die 5sterreichische Rechtsordnung den Inter- essenvertretungen nut einzeln das Recht einr~umt, Gesetzentwiirfe zu begut- achten, ist wohl unzutreffend. Kein Gesetz gibt die Handhabe fiir eine Inter- pretation in der Richtung, daB Auffassungen zu Gesetzentwfirfen in einer Klau- sur, iihnlich der bei der Papstwalff vorgesehriebenen, gebildet werden mfiBten.

Preis- und Lohnabkommen, die N e u h a u s e r als verfassungsrechtlich be- denklich ansieht, haben mit der Verfassung iiberhanpt nichts zu tun. Die Inter- essenvertretungen der Landwirtschaft, der gewerblichen Wirtschaft und der Arbeimehmerschaft sind zu gewissen Auffassungen gekommen. Diese Auffassun- gen waren die Grundlage fiir den AbschluB yon Kollektivvertr~gen und ffir gesetzliche Ma~nahmen. Diejenigen Organe, die diese Mal]nahmen setzten, waren oinwandfrei zust~ndig.

Die Annalune, dab B 5 h m als geistiger Vater der Parit~tischen Kommission zu bezeichnen w~re ( S. 73), ist unzutreffend. Als die erste provisorische Staats-

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Verb~nde in der 5st~rreichischen Wirtschaftspolitik 377

regierung im Jahre 1945 gebildet wurde, war es naheliegend, dab sich der Bnndeskanzler und die zust~ndigen Ressortminister auf die Vertreter der soge- nannten ,Sozialpartner" stiitzten. DaraMs wurde die Idee der intensiven Zusa.m- menarbeit geboren. Ihre Verwirklichung land diese Idee in der Wirtschafts- kommission, aus der schlieBlich die Parit~itische Kommission entstanden ist. Was BShm am 14. Mgrz 1956 (S. 73) verlangte, war ganz etwas anderes. BShm ver- langte die Schaffung einer eigenen Institution Wirtschaftskommission, die fiir bestimmte Fragen eigene Zust~ndigkeit haben sollte. Mit diesem Verlangen drang B 5 h m nicht durch. Alle Pr~sidenten der Bundeskammer, R a a b, D v o r a k und S a 1 f i n g e r, vertraten die Auffassung, da~ eine eigene Institution und eine li~ngere zeitliche Bindung fiir die Zusammenarbeit der Zusammenarbeit selbst nicht giinstig w~re. Die Modifizierung, die die Parit~itische Kommission schliei31ich durch das Raab-Olah-Ubereinkommen land, war gleichbedeutend mit einer Lockerung der bis dahin bestandenen Bindungen.

Zu Beginn des Jahres 1961 wurde es klar, dab die bis dahin geiibten Methoden der Parit~tischen Kommission nicht mehr ausreichten. ,Abgesehen davon, daI3 fiir 1961 -- vSllig konjunkturwidrig! -- ein defizit~res Bundesbudget beschlossen worden war, begannen die dutch die stille Lohnpolitik des Jahres 1960 nut miihsam zuriickgehaltenen Facbgewerkschaften fast unmittelbar nach dem 1. J~nner 1961 eine Lohnpolitik zu entwickeln, die sie teils mit einer groschen- und schillingweise vor sich gehenden allm~hlichen ErhShung der Preise, tells mit einem Anspruch der Beteiligung an den Friichten der Produktions- steigerung begriindeten, und die schliei31ich noch ira ersten Halbjahr des gleichen Jahres zu einer sich fiberlagernden zweiten Lohnwelle fiihrte." (Jahresbericht 1961 der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, S. 14.) Am 18. September 1961 hatten sich die damaligen Pr~sidenten der Bundeskammern und des Gewerkschaftsbundes, R a a b und Olah , darauf geeinigt, eine Zollsenkung zu verlangen, die Zutassung yon Fremdarbeitern anzustreben, Vorarbeiten zur Novellierung des Kartellgesetzes fortzusetzen, die MSglichkeiten yon Preis- senkungen zu priifen und eine zurfickhaltende Lohnpolitik zu betreiben. Am 9. November 1961 hat der President des Gewerkschaftsbundes, Olah , der Paxit~tischen Kommission eiu I0-Punkte-Programm vorgetegt. Dieses 10-Punkte- Programm enthielt aul3er den bereits in der Vereinbarung vom 18. September 1961 bereinigten Angelegenheiten die Forderung nach einem Ausbau der Pari- t~tischen Kommission zu einer Koordinationsstelle fiir wirtschaftliche Fragen, die Schaffung eines Unterausschusses fiir Lohnfragen, die Beeinflussung der Tarife der St~dte, Gemeinden und L~nder durch den Bundeskanzler, Die Schaf- lung eines Preisiiberwachungsgesetzes und Einfiihrung eines sogenannten Gleich- stellungspauschales bei der Lohnsteuer. O1 a h kfindigte bereits damals an, daft eine Lohnbewegung die ganze Wirtschaft erfassen wiirde, wenn dieses Programm nicht in seinem wesentlichen Teil Erffillung finden sollte. Die Parit~itische Kom- mission unter Vorsitz des damaligen Bundeskanzlers G o r b a e h ersuchte die Pr~sidenten R a a b und O l a h am 9. November 1961, Verhandlungen fiber das Forderungsprogramm aufzunehmen. Im Dezember 1961 kam es zur Einigung.

Die Einigung sah als wichtigsten Punkt vor, dab die Parit~tische Kommis- sion auf viillig freier Basis bestehen bleiben soil. Welters wurde vereinbart, dab Praise frei gebildet werden kSnnten und Lohnabschliisse erfolgen diirften, wenn nicht innerhalb yon vier Wochen seit Antragstellung eine anderweitige Entscheidung der Parit~tischen Kommission gef~llt sein wiirde. Das gemeinsame Grundsatzprogramm der Bundeskammer und des Gewerksehaftsbundes sah vor, dab die Sicherung des Geldwertes und eine Steigerung der Produktion anzu- streben w~ren. Die Sicherung des Geldwertes sollte durch den kombinierten Einsatz der Budgetinvestitionen, Kredit-, Handels-, Arbeitsmarkt- und Zollwett-

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bewerbs~Politik erfolgen (Jahresberieht 1961 der Bundeskammer der gewerb- lichen Wirtschaft, S. 13f.). Die Vereinbarung sah also eine verbesserte, elasti- schere Wirkungsweise der Parit~tischen Kommission sowie ein Grundsatzpro- gramm vor, worin sich die beiden Sozialpartner verpfliehteten, ihre gemeinsamen Anstrengungen in erster Linie auf ein verst~rktes Waehstum der iisterreiehischen Wirtschaft zu richten.

Wenn N e 11 h a u s e r erkliirt, das Abkommen h~tte die Leitungen der Regie- rungsparteien iiberrascht, R a a b und O l a b h~tten sie trotz ihrer engen Partei- bindungen yon ihrem Vorhaben nicht unterrichtet, so ist dem entgegenzuhalten, daI~ die Parit~tisehe Kommission, die den Auftrag zu den Verhandlungen gab, am 9. November 1961 unter Vorsitz des Bundesparteiobmannes der (JVP und Bundeskanzlers Dr. G o r b a e h tagte und da~ dieser Sitzung schlieBlieh auch namhafte Vertreter der SP(~ beiwohnten.

Die Parit~tische Kommissien besteht aus je zwei stimmberechtigten Ver- tretern und je einem Experten der drei Wirtschaftskammern und des Gewerk- schaftsbundes sowie aus vier Mitgliedern der Bundesregierung. Die Pr~sidenten der Wirtschaftskammern gehiiren der Parit~tischen Kommission nicht kraft ihrer F~nktion an (wie N e u h a u s e r auf S. 86 meint). Entgegen der Annahme N e u h a u s e r s kSnnen der Kommission auch keine weiteren Vertreter bei- gezogen werden, es sei denn, die Kommission besehlieBt fallweise die Bei- zichung des einen odor anderen Experten, was jedoch ~iuBerst selten geschieht. Die Parit~tische Kommission fa~t ihre Beschlfisse mit Stimmeneinhelligkeit. Bei dieser Saehlage kann yon einem Koalitionsproporz nicht gesprochen werden, da ja die Notwendigkeit der Stimmeneinhelligkeit einen Proporz iiberfliissig madht. Proporz herrscht nut insoferne, als sieh die Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlenm~i~ig die Waage halten. Die Parit~itische Kommission ist ihrem Wesen nach Beratungsorgan. Der Bundesregierung sell bewuBt werden, dai~ es sieh um einhellige Auffassungen der Sozialpartner handelt, die hier bescblossen werden. Entscheidungen in Lohn- und Preisangelegenheiten mit Mehrheit zu treffen, w~re wohl undurchfiihrbar und gleiehzeitig ein VerstoB gegen marktwirtschaftliche Grunds~itze. N e u h a u s e r meint, dai3 der unbefan- gene Beobachter linden miiBte, es fehle in der Paritiitischen Kommission an Symmetrie, da drei Kammerorganisationen mit einem privaten Verein, dem Gewerkschaftsbund, zusammenarbeiten (S. 88). N e u h a u s e r iibersieht bier vo]l- kommen, dal~ anf Arbeitnehmer-Seite die Faehgewerkschaften, die dem Gewerk- schaftsbund angehSren, kollektiwertragsf~hig sind. Sie wird doch nieht anneh- men, dal~ sich Gewerksehaften an Beschlfisse gebunden erachten, die ohne Zu~u von Gewerkschaftsvertretern gefai~t wiirden.

Die Parit~tische Kommission tritt nicht zwSlfmal im Jahr zusammen, wie N e u h a u s e r meint. Es hat sieh auch keineswegs die ~Jbung eingespielt, dal] der Bundeskanzler Sitztmgen auf Antrag des Gewerkschaftsbundes einberuft (S. 90). Vor Abschlu~ des Raab-Olah-~bereinkommens wurden Sitzungen in unregelm~i~igen Abst~inden abgehalten. Es traf wohl kaum jemals zu, dab die Abst~nde kiirzer als 4--6 Wochen waren. Die Sitzung wurde einberufen, wenn der Bundeskanzler sie ffir notwendig erachtete odor eine der Interessenvertre- mngen sie anregte. Erst als durch das Raab-Olah-t~bereinkommen vereinbart wurde, da~ nach Ablauf yon elf Wochen nach der Antragstellung Preise frei gebildet und Lohnverhandlungen eingeleitet werden kSnnten, mu2ten regelm~i~ig Sitzungen der Parit~tischen Kommission vorgesehen werden. Diese Sitzungen linden seither in der Regel am ersten Mittwoch eines Monates start. Da dem Preis- und Lohnunterausschul~ zur Behandlung yon Antr~igen sechs Wochen, der Parit~tischen Kommission setbst fiinf Wochen einger~umt sind, kann bei Einhaltung der Sitzungstermine der Parit~itisehen Kommission ein unbeabsich-

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tigtes Vers~iumnis der Frist nicht eintretem Die Parit~tische Kommission beschloB auch wiederholt, wenn der Zusa~nmentritt innerha]b yon fiinf Wochen schwer mSglich war (Urlaubszeit, Verhinderung mal3gebender Vertreter der Interessen- vertretungen), da~ die Ffinf-Wochen-Frist gehemmt wird.

N e u h a u s e r meint, die Motive ffir die Bildung der Parit~tischen Kom- mission seien gruppenegoistischer Natur gewesen, Arbeiter und Arbeitnehmer (offenbar Arbeitgeber) h~tteu eiue ausgepr~gte Abneigung gegeu wirksame anti- inflationspolitische Ma~nahmen (S. 10I). Hier fibersieht die Verfasserin, daft die wirtschaftspolitischen Entscheidungen trotz Parit~tischer Kommission yon der Bun- desregierung, allenfalls sogax yore Nationalrat, zu treffen sind. Weiter Motive ffir die Errichtung der Parit~tischen Kommission sieht sie in parteipolitis~en Hinter- grfinden, ferner in der Tatsache, dab sich die Interessenvertretungen vorstellen, mit der Parit~tischen Kommission so etwas wie einen Freipa~ ffir die Forde- rungen an den Staatshaushalt zu besitzen, und letztlich in der Tatsache, dab die Stellung der Verbandsspitzen gegenfiber ihren Gliedverbgnden durch die Autorit~t der Parit~tischen Kommission gest~rkt wird. Keines dieser Motive ist tat~chlich gegeben, wie eine einfache ~berlegung zeigt. Die Parteipolitiker stehen der T~tigkeit der Interessenvertretungen vielfach mit Mifltrauen gegeniiber ( M ~ r z - W e i s s e l , S. 409). Eine propagaudistische Auswertung der Mitarbeit ist sehr schwer mSglich, da jeder der an der Parit~tischen Kommission beteilig- ten Gruppen von den Mitgliedern eher eine zu schwache Ha]tung vorgeworfen wird. DaB es kaum jemals die Parit~tische Kommission war, die Forderungen zugunsten yon Kammermitgliedern an den Staatshausha]t stellte, erweisen die Beschlfisse dieser Kommission eindeutig. Eine St~rkung der Steltung der Ver- bandsspitzen gegeniiber ihren Gliedverb~nden tritt ebenfa]ls nicht ein, weft ja die Mitarbeit in cter Parit~tischen Kommission zwangsl~iufig mit Besd~r~nkungen verbunden ist. Von einer AushShlung der parlamentarischen Demokratie (S. 104) kaun deswegen nicht gesprochen werden, weil die Parit~tisehe Kommission fiir sich Hoheitsrechte geschweige denn Gesetzgeberrechte niemals in Anspruch ge- nommen hat.

N e uh a u s e r verkennt weiters den Sinn der Tatsache, dab Regierungs- mitglieder der Parit~tischen Kommission angehSren. Sie sollen keineswegs darauf hinwirken, dal3 den wirtschaftspolitischen Intentionen der Regierung nicht wider- sprochen werde. Es ist vielmehr Hauptaufgabe der Parit~itischen Kommission, wirtschaftspolitische Mal3nahmen der Regierung anzuregen. Die Regierungs- mitglieder, die an den Sitzungen der Parit~tischen Kommission teilnehmen, sollen unmittetbar wahrnehmen kSnnen, mit welchen Argumenten gewisse Auf- fassungen vertreten werden. Sie sollen die MSglichkeit der Diskussion haben, um so mit den Auffassungen der Vertreter tier groBen Interessenvertretungen vertraut zu werden. Es ist daher vollkommen falseh, anzunehmen, dab die Kommission nur den wirtsehaftspolitischen Willen der Regierung zu erffillen h~tte (S. 108).

N e u h a u s e r meint, dal3 bis zur Grfindung des Beirates fiir Wirtschafts- und Sozialfragen ein EinfluB auf die wirtschaftspolitisehe Willeusbildung nicht zu erkennen ist. Auch ~ese Auffassung stimmt mit tier Wirkliehkeit in keiuer Weise fiberein. Schon die Wirtschaftskommission, die Vorg~ngerin der Parit~ti- schen Kommission, hatte auf die wirtschaftspolitische Willensbildung ganz wesentlich Einflu~ genommen. Diese EinfluBnahme wurde erhSht durch die Wirksamkeit der Parit~tischen Kommission. Die Parit~itisehe Kommission be- handelt in ihren Anf~ngen im wesentticheu nur allgemeine wirtschaftspolitische Probleme. Sie war es, die Ma~nahmen auf dem Zollsektor, auf dem Gebiet tier Handelspolitik, insbesondere im Hinblick auf eine Liberalisierung, anregte. Mit Preisfragen hatte sich ja der Preisunteransschul3 zu befassen. Als in der Folge

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Zahl und Bedeutung der Lohnforderungen zunahmen, sail sich die Parit~tisehe Kommission stark dutch Beratungen fiber die Frage der Freigabe yon Lohnver- handlungen blockiert. Dazu kam noch die Tatsache, dab in zunehmendem MaBe Uneinigkeit im PreisunterausschuB herrschte. Es muflten daher auch die Preis- fragen, die im PreisunteraussehuB nicht bereinigt werden konnten, der Parit~ti- schen Kommission vorgelegt werden. So haben in der Folge Lohn- und Preis- fragen die Hauptzeit der Beratungen der Parit~tischen Kommission in Anspruch genommen. Deshalb wurde schlieBlich die Grfindung eines dritten Unteraus- schusses, n/imlich des Beirates f/Jr Wirtschafts- und Sozialfragen, beschlossen, damit auch diese Fragen, so wie die Lohn- und Preisfragen, in einem eigenen UnterausschuB vorberaten werden kSnnten.

Die Feststellung N e u h a u s e r s auf S. 110, dab die Parit~itische Kommis- sion insoferne in die Preisbildung auf den Arbeitsm~rkten nieht eingreift, als sie es weiterhin den Arbeitsmarktpartnern iiberlKBt, die TariflShne auszuhandeln, ist ausschlieBlich ffir die Zeit seit Abschtul] des Raab-Olah-tlbereinkommens zutreffend. Bis zum Raab-Olah-Obereinkommen durften die Arbeitsmarktpartner gar nicht verhandeln, wenn die Parit~tisehe Kommission die Verhandlungen nicht freigab. Da dieses starre System nicht aufrechterhalten werden konnte und sollte, erfolgte eben die Modifizierung dutch das Raab-Olah-~Jbereinkom- men.

Die HShe der EffektivlShne wird derart aber, im Gegensatz zu den Auffas- sungen N e u h a u s e r s (S. 111), durch die Kontrolle der TariflShne ganz wesentlich berfihrt. Effektiv15hne fibersteigen erfahrungsgemag die TariflShne nicht unbegrenzt. Das Leistungsprinzip, gewisse erschwerte Bedingungen und dergleichen sollen nach dem Willen auch der Unternehmer in erhShten Effektiv- 15hnen berficksiebtigt werden. Da fiir die EffiktivlShne aber die TariflShne immer einen gewissen MaBstab bilden, tritt durch die Regelung der Tarif15tme eine sehr starke Beeinflussung tier Effektiv15hne ein. Zu einem Zeitpunkt, in dem der Warenverkehr noch stark beschr~nkt war, ist die Parit~itische Kom- mission fibersteigerten Effektiv15hnen auch dadurch entgegengetreten, dab sie LiberalisierungsmaBnahmen in Aussicht stellte oder bei der Regierung bean- tragte. Die Arbeitgeber sollten dutch erhShte Konkurrenz mit Auslaudswaren zur Zurfiekhaltung veranlaBt werdem Seitdem die Liberalisierung aber praktisch bereits vollkommen durchgeffihrt ist und seitdem auch das Niveau der Waren- preise im Ausland das Niveau der Inlandspreise im allgemeinen nicht unter- schreitet, sind derartige MaBnahmen nun nicht mehr durchffihrbar.

Es w~ire der Fall denkbar, schreibt N e u h a u s e r auf S. 113, dab der Kommission Kostensteigerungen nachgewiesen werden und sie daraufhin Preis- erhShungen bewilligt, obwohl sich auf den betreffenden Branchenm~rkten eine Tendenz zum relativen Nachfrageriiekgang und zu Preisdruck zeigt. In einem derartigen Fall werden die Produzenten der betreffenden Branche Preisbewilli- gungen eben nicht realisieren kSnnen. Solche F~11e hat es praktisch schon gegeben. N e u h a u s e r meint, dab die Preis- und Lohnkontrolle der ParitKti- schen Kommission wahrscheinlich zu jenen Kr~ften gehSrt und gehSrt hat, die bewirkt haben, dab die TariftohnerhShungen ni&t weit fiber die durchschnitt- liche Produktivit~itssteigerung hinausgingen. Damit hat die Parit/~tische Kommis- sion abet gerade einen wesentlichen, nicht zu untersch~tzenden Beitrag ffir die Stabilisierung geleistet.

Wenn N e u h a u s e r welters feststellt, dab in einer grunds~tzlich markt- wirtschaftlich geordneten Wirtschaft gegen eine Nachfragesog-Inflation nur solche MaBnahmen ergriffen werden, die bewirken, dab die Gesamtnachfrage nieht fiber das Gesamtanbot steigt, und dab solche MaBnahmen vorzfiglich geld- bzw. kredit- und fiskalpolitische MaBnahmen sind, dann nennt sie gerade diese Mall-

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nahmen, die die ParitKtische Kommission und vor ihr bereits die Wirtschafts- kommission in konkreten Simationen immer wieder vorgeschlagen haben. Mit Recht sagt sie auf S. 118, dab die nichtmarktwirtschaftliche Alternative eine liiekenlose Preiskontrolle nnd -regulierung, erg~nzt durch Zwangssparma~nah- men, w~re. Dies ware nieht nut uner~4inscht, sondern anch undurchfiihrbar. Ebenso undurchfiihrbar ware abet oina Kontrolle aller Praise und Proisgruppen durch die Paritatische Kommission. Wenn man glanbt, kontrollieren zu miissen, dann kann man rein tedmisch nur einzelne Preiso und Preisgruppen kontrollie- ten. Diese Kontrolle geschieht aber nicht der Kontrolle wegen, insbesondere nicht seit dem Raab-Ohta-Ubereinkommen, sondenl vor allem, urn auf Grund einer solchen Beobaz~tung des tatsachlichen Marktverhaltens marktwirtschaftlich konforme MaBnahmen der Wirtschaftspolitik anregen zu kSnnen.

Auf S. 128 stellt N e u h a u s e r fest, dab sich der Beirat im Unterschied zu den anderen Unteransschiissen ein gewisses Ma~ yon Unabh~ngigkeit yon der Paritatischen Kommission und van den Interessenvertremngen bewahrt hat. Das gerade Gegenteil ist richtig. Der Preisunterausschu$ kann, Einstimmigkeit vorans- gesetzt, PreiserhShungsantrage ablehnen oder genehmigen. Der Lohnunterans- schu$ kann die Freigabe yon Lohnforderungen, auch hier Einstimmigkeit vor- ansgesetzt, ablehnen oder genehmigen. Der Beirat ist der einzige der drei Unter- ausschiisse, (lessen Antr@e auch bei einstimmigam Ergebnis dot Genehmigung der Interessenvertretungen und der Paritatischen Kommission bediirfen. Die Verbundenheit, die unter den Mitgliedern des Beirates besteht, ist keine Beson- derheit des Beirates. Schon die an den Lohn- und Preisabkommen beteiligten Kammerangestellten waren untereinander stark verbunden, wie M~irz und W e i s s e l auf S. 409 ansfiihren. R a a b und BShm waren trotz aller gegen- satzlichen weItanschaulichen und wirtschaftspolitischen Auffassungen engst be- freundet. Arbeit am gemeinsamen Werk varbindet.

Hart ist die Feststellung, dal] den Ministern nationaI-Skonomiseh ausgebil- dete Beamte fehlen. Ich glaube, jeder, der mit der Ministerialbiirokratie zu tun hatte, mnl3 feststellen, dab heute, so wie in den vergangenen Jahrzahnten auch, in der praktischen Arbeit tiichtige und zugleich theoretisch vorziiglich ausgebil- dete Beamto am Work sind. Natfirlich gibt es auch dort, wie iiberall, Personen, die den Anforderungen besser entsprechen kSnnten.

Der EntschluB, VerbKnde und Wirtschaftspolitik in Osterreich zu durch- leuchten, ist begriiSenswert. Don Verfassern der Einzeldarstetlungen des III. Hanptteiles ist eine hohe Ansprfiche befriedigende Arbeit gelungen. Der II. Hanptteil beleuchtot die Bedeutung der Wirtschaftsverbande fiir die Gestal- tung der 5sterreiohischen Wirtsohaftspolitik klar und vertieft. Der I. Hauptteil fiber die verbandsmaBigen Organisationen der 5sterroichischen Wirtschaft sollte in einer Neuauflage im Hinbtick auf die hier erfolgte Kritik wohl iiberarbeitet werden.

Anschrift des Verfassers: Dr. Franz K o r i n e k , Esterhazygasse 32, A-1060 Wien.