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Urbanität contra Lärm? Soundscape und Geräuschmanagement Brigitte Schulte-Fortkamp Urbanes Leben und Lärm Wie viel Lärm verträgt die Stadt - und wie viel braucht sie?

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  • Urbanität contra Lärm?

    Soundscape und

    Geräuschmanagement

    Brigitte Schulte-Fortkamp

    Urbanes Leben und Lärm

    Wie viel Lärm verträgt die Stadt - und wie viel braucht sie?

  • Urbanität und Lärm

    • Urbanität ist Lebensstil und sozialräumliche Struktur, es geht

    um gebaute und gesellschaftliche Stadt, Habitus und

    Umgangsformen.

    • Lärm gilt als unerwünschter, störender oder schädigender Schall.

    • Lärm ist das Geräusch der Anderen

    Tucholsky

  • Lärm

    • Lärm ist keine Pegelgröße, sondern eine Reaktion auf einen Schalleintrag

    • Hörschall, der die Ursache für Belästigungen, Beeinträchtigungen oder gar Schäden sein kann

    • Störender und / oder gesundheitsschädlicher Schall (DIN 1320)

    • Unerwünschter Schall, der Beeinträchtigungen in vielen unterschiedlichen Bereichen bewirken kann, die psychischer, physischer, sozialer und ökonomischer Art sein können

    • Es hängt von der Verfassung, den Vorlieben und der Stimmung eines Menschen ab, ob ein Geräusch als Lärm wahrgenommen wird.

    • Nicht das Geräusch, sondern die negative Reaktion darauf entscheidet, ob Lärm vorliegt.

    • Schall, der irgendjemanden stört, belästigt, beunruhigt, aufregt oder nervös macht.

  • Gesetzliche Beurteilung von Lärm

    Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) und

    Bundesimmissionsschutzverordnungen (z.B. 16. BImSchV-

    Verkehrslärmschutzverordnung)

    Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm)

    EU Umgebungsrichtlinie 2002/49/EC

    ISO 1996/1-3: Acoustics-Description and measurement of environmental

    noise

    DIN 45645-1: Ermittlung von Beurteilungspegeln aus Messungen.

    Geräuschimmissionen in der Nachbarschaft

    RLS-90: Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen

    DIN 18005-1: Schallschutz im Städtebau

    Aber: nur 33% der Belastung werden durch akustische physikalische

    Bewertungsverfahren aufgeklärt.

  • Beiträge zur Reaktion auf Schalleinträge

    multisektorielle Umwelt- und

    Gesundheitsverträglichkeitsprüfun

    gen

    die Perspektive einer

    nachhaltigen Entwicklung

    Bürgerbeteiligungdie Anerkennung des Bedarfs von

    Ruhezonen

    das Ausweisen von “sensiblen

    Gebieten”

    das Design von “entwicklungsunt

    erstützender Umwelt”

  • Lärm ist keine Pegelgröße

    Kontext

    Gesundheit

    Ökonomie

    Beeinträchtigung

  • Urbanität

    Vernetzung

    Diversität

    Interkulturalität

    Freiheit

    Toleranz

    Soziale Distanz

  • 3 Beurteilungsebenen

    1 Die „technische Beurteilung“ auf der Grundlage der bisher in vorhandenen und

    Gesetzen festgelegten Lärmindizes, der Betroffenenanzahl und von Dosis-Wirkungs-

    Relationen (zur Aggregation der Bewohner je Pegelklasse zu einem Betroffenen-Index)

    als Ausgangsbasis für die Beurteilung der Belästigung bzw. Störung.

    2 Die „Lärmrobustheit“ von Stadtstrukturen zur vertiefenden Betrachtung abgrenzbarer

    Stadtbereiche hinsichtlich der tatsächlichen Nutzungs- und bautypologischen Struktur

    und Robustheit gegenüber dem dort vorhandenen Lärm.

    3 Der „Soundcheck“ als ergänzende Beurteilungsebene der raumbezogenen

    Interpretation,der Geräuschsituation (akustisches Design) für Stadtbereiche oder örtliche

    Situationen nach Kriterien der psychoakustischen Wahrnehmung.

    Dreiteiliges Beurteilungsschema; Quelle: ExWost-Studie: Lärmrelevanz und EU-Anforderungen; Hrsg.:H.

    Mazur, W. Theine, D. Lauenstein, S. Schuster, C. Weisner (2007), S. 80

  • Quelle: ExWost-Studie: Lärmrelevanz und EU-Anforderungen;

    Hrsg.:H. Mazur, W.Theine, D. Lauenstein, S. Schuster, C. Weisner (2007), S. 46

  • Lärmquellen

    • Die häufigste Quelle von Belästigung in der Bevölkerung – der Verkehrslärm – ist zumeist untrennbar von anderen sensorischen Modalitäten begleitet wie Luftverschmutzung und Erschütterungen..

  • Bewertungen

    .

    • Quantitative Metaanalysen aus den mittlerweile etablierten Lärm-Forschungs - Archiven haben z.B. persönliche Variablen, demographische Eigenschaften und Einstellungen als Hauptmoderatoren identifiziert.

    • Die Berücksichtigung dieser Faktoren konnte die Varianzaufklärung zwar verbessern (im Durchschnitt auf rund 50%), aber nicht Lösungsansätze für wesentliche Grundprobleme der vor Ort tätigen Verantwortlichen.

  • Wesentliche Moderatoren

    saisonale Variationen, Meteorologie und Topographie

    Lebensstil

    bebaute Umwelt

    Wohnsituation

  • Grundsätze von Umweltpolitik

    Die Formulierung neuer Umweltpolitikgrundsätze

    • Agenda 21

    • WHO-guidelines on noise management

    • London conference on traffic, environment & health

    • Umweltlärmrichtlinie der EU

    machen eine veränderte Perspektive auch in der Lärmbewertung notwendig.

  • Tendenzen

    • Das Präventions- und Vorsorgeprinzip verlangt dezidiert eine stärkere Gestaltung der Umwelt hin auf Nachhaltigkeit und ist nicht ausschließlich auf Schutz orientiert.

    • Instrumente, wie die Umweltverträglichkeitsprüfung und die strategische Prüfung von Plänen und Vorhaben erweitern das Potential zur gesundheitsorientierten Gestaltung

    (Stichwort „supportive environments“).

    • Diese Prüfungen (wie auch klassische gewerberechtliche Fragestellungen) betreffen meist kleinräumige Einheiten wo der lokale Kontext stärker wirksam ist und spezifischere Lösungen für Raumplanung und Lebensqualität erfordert.

  • Das Soundscape Konzept als Neue Option

    • Die Harmonisierung von Indikatoren und Noise Mapping, wie von der Neuen Umweltlärm-Direktive eingefordert, liefert grundsätzliche administrative Information im Vergleich innerhalb der europäischen Länder.

    • Diese Aktivitäten liefern jedoch keinerlei Instrumentarium oder wesentliche Erkenntnisse für die weit schwierigeren Aufgaben, die für Umweltverträglichkeitsprüfung und für Design und Planung von gesundheitsfördernden Umweltprogrammen erforderlich sind.

    • An dieser kritischen Wegkreuzung zielt die Soundscape Forschung darauf ab, die bestehenden Lücken zu schliessen.

  • Soundscape

    • Soundscapes sind akustische Umwelten, die sich von einander

    abgrenzen nach ihren typischen akustischen Merkmalen.

    • Soundscape - so Murray Schafer – ist die Gesamtheit von

    Schallereignissen, aus denen sich eine Landschaft, ein Ort, ein

    Raum zusammen setzt

    • Soundscape ist die akustische Hülle, die den Menschen in seinem

    Alltag umgibt.

  • Soundscape

    • An environment of sound with emphasis on the way it is perceived

    and understood by the individual, or by a society.

    • It thus depends on the relationship between the individual and any

    such environment.

    • The term may refer to actual environments, or to abstract

    constructions such as musical compositions and tape montages,

    particularly when considered as an artificial environment.

    Handbook for Acoustic Ecology Vancouver, 1978

  • • Die Frage nach den Kriterien, nach einem “guten” Soundscape oder

    nachdem was ein “sensibles” Soundscape ist, oder nachdem was

    die Soundscape -Erfordernisse sind für ein “akustisches

    Erholungsgebiet” oder eine “Ruhezone”, die es zu erhalten gilt, sind

    wesentlich in Bezug auf den Ursprung des Soundscape Gedankens.

  • Soundscape Konzept

    Soundscape Schallausbreitgn.

    Gesundheit

    Coping /

    AnpassungsfähigkeitEinstellungen /Empfindlichkeiten

    GrundstücknutzungHabitus/ Lifestile

    nicht schallgebundene

    Ausbreitungen

    UmgebungTopographie / NaturKlima / Jahreszeiten

    Quelle

    Situation/Wohnung

    Kontextweite

    nach Botteldooren und Schulte-Fortkamp 1999

  • Herranz Pascual, K.,Aspuru,I. Garcia, I. 2010 Proposed Conceptual Model of Environmental Experience as Framework to Study the Soundscape’,InterNoise, Lisboa

  • ISO/TC 43/SC 1/WG 54

    ISO 12913-1 "Acoustics – Soundscape – Part 1: Definition and conceptual framework"

    2.3

    Soundscape - acoustic environment as perceived or experienced

    and/or understood by a person or people, in context.

    …the process of perceiving or experiencing and/or understanding an

    acoustic environment, highlighting seven general concepts and

    their relationships: (1) context, (2) sound sources,(3) acoustic

    environment, (4) auditory sensation, (5) interpretation of auditory

    sensation, (6) responses, and (7) outcomes.

  • • Weitere klassische Fragen der Akustik, wie nach der Rolle des

    Hintergrundlärms, der Hörbarkeit, der Störung unter kritischen

    Bedingungen, unter Bedingungen kombinierter Lärmquellen und

    dem Zeitmuster werden neu gestellt, um das Verständnis zu

    vertiefen.

  • Geräusch-Beschreibung

    Klassifizierung

    eines Geräusches

    Pegel, lin.,

    A-, B-, C-bew.

    Dauer

    Energie

    Spektrale

    Verteilung

    Anzahl

    Position

    Räumliche

    Verteilung

    Bewegung

    Subjektive

    Einstellung

    Signal

    Information

    Physikalischer AspektPsychoakustischer AspektBinauraler AspektKognitiver Aspekt

    Zeitliche

    Struktur

  • Geräusche im Vergleich

    Zeitdaten und Terzspektrum von zwei Geräuschen

    Ähnliche

    Terzpegel und Gesamt-

    schalldruckpegel (lin)

  • Vergleichbar:

    Schalldruckpegel

    Terzspektrum

    Sehr

    unterschiedliche

    Geräuscheindrücke

    40

    50

    60

    80

    L/d

    B[S

    PL

    ]

    f/Hz20 100 2000 20k

    Noise

    40

    50

    60

    80

    L/d

    B[S

    PL

    ]

    f/Hz20 100 2000 20k

    Impuls

    40

    50

    60

    80L

    /dB

    [SP

    L]

    f/Hz20 100 2000 20k

    Diesel

    3rd Octave Spectrum

    Impulse

    Geräusche im Vergleich

  • Anwendungen der Psychoakustik

    Physikalischer Aspekt Psychoakustischer Aspekt Psychologischer Aspekt

  • Zeitvariante Lautheit DIN 45631/A1

    Officially DIN website

  • Abhängigkeiten der Lautheit

    Frequenz Töne mit gleichem Pegel aber unterschiedlicher Frequenz werden

    nicht gleich laut wahrgenommen

    Spektrale Verteilung Breitbandige Schalle wirken lauten als schmalbandige bei gleichem

    Pegel

    Pegel Pegeländerungen führen nicht im gleichen Maße 1:1 zu

    Lautheitsänderungen

    Simultan-Verdeckung Bei gleichem Pegel ändert sich die Lautheit durch unterschiedliche

    Verdeckungen im Spektralbereich

    Vor- und Nachverdeckung Die zeitliche Struktur wirkt sich auf die Lautheit aus

    Zeitliche Dauer Die Lautheit nimmt mit der Dauer der Empfindung zu,

    erst nach ca. 1 Sekunde wird die endgültige Lautheit erreicht

  • Entfernungsabhängigkeit

  • Bedeutung der Lärmkartierung

    Lärmkartierung basierend auf berechnete A-bewertete

    Schalldruckpegel ist der erste Schritt in Richtung einer akustisch

    besseren Umgebung

    Die Lärmkartierung ist notwendig aber nicht hinreichend

    Wenn die Lärmkartierung kritische Bereiche ausweist, so besteht

    auf jeden Fall ein Handlungsbedarf

    Die Umkehrung gilt nicht, wenn die berechneten dB(A) Werte in

    einem vermeintlich unkritischen Bereich liegen, können trotzdem

    Belästigungen durch Lärm vorliegen

    Letztendlich bedeutet die Lärmkartierung eine dB(A)-Kartierung,

    Lärm ist deutlich komplexer

  • Fallbeispiel: Lärmkarte – „Schalldruckpegelkarte“

    Lärm ist unerwünschter Hörschall, der zu Störungen, Belästigungen oder Schädenführen kann (DIN 1320)

    Die Belästigung durch Schall

    stellt die individuell bewertete

    Beeinträchtigung durch eine

    Schalllast dar (DIN 1320)

    D.h. es geht neben dem

    Verhüten von pathogenen

    Gesundheitsschäden

    gleichermaßen um das

    Vermeiden von unzumutbaren

    Belästigungen

    Eigene Daten - Prof. Dr. Schulte-Fortkamp

  • Schärfe (nach DIN 45692)

    DIN 45692 „Mess-

    technische Simulation der

    Hörempfindung Schärfe“ ,

    [acum]

    mit zunehmender Schärfe

    werden Geräusche

    üblicherweise als

    aggressiver und häufig als

    lästiger beurteilt

  • Rauigkeit (nach Gehörmodell Sottek)

    Aktuell Bestrebungen

    hinsichtlich der

    Standardisierung des

    psychoakustischen

    Parameters Rauigkeit,

    klassifiziert die Empfindung

    von Hüllkurvenschwankungen,

    die zeitlich nicht mehr einzeln

    auflösbar sind

    [asper]

    Das Gehörmodell ermöglicht

    Analysen im Spektralbereich,

    bei denen Zeit- und

    Frequenzauflösung denen des

    menschlichen Gehörs

    entsprechen (Filterbank,

    bestehend aus einer großen

    Anzahl überlappender

    Bandpassfilter)

  • Maskierungen oder ”neue Aufmerksamkeiten”

  • Stop

    Verkehrsgeräusche

    Verkehrgeräusche und

    Waldvögel

    Verkehrgeräusche und

    Stadtvögel

    Verkehrgeräusche und

    Kiesstrand

    Lokale Expertise und “Maskierung”

    Spectren „Artemis“ / HEAD acoustics

  • Wirkungspfade: Lärmexposition-Gesundheit

    Nachteilige Gesundheitswirkungen

    Lärmbelastung durch Verkehr

    Varianzaufklärung Circa 10-25%

    Dire

    kte

    r W

    irku

    ng

    sp

    fad

    Umwelt und Lebensstil

    Wahrnehmung und Wohlfühlen

    Bemerken Einschätzen Belästigung Stress

    Circa 75-90 %

    Ind

    ire

    kte

    r W

    irku

    ng

    spfa

    d

  • Stress

    Perspektive

    Bewältigungs-

    perspektive

    Restorations-

    Perspektive

    Vor-

    stellung

    Starke

    Belastung

    behindert

    Anpassung

    Verfügbare

    Ressourcen

    unterstützen

    Anpassung

    Anpassung

    benötigt

    periodische

    Restoration

    Um-

    setzung

    Intervention

    eliminiert

    verringert

    Belastung

    Intervention

    schafft

    verfügbare

    Ressourcen

    Intervention

    schafft

    Optionen für

    Restoration

    Theoretische und praktische Vorstellungenin einem solchen Gesundheitsansatz

    Nach Hartig, Bringslimark & Patil (2008); Hartig (2008)

    MUI-Sozialmedizin

  • Prävention

    Abwehr von

    Gefahren

    Erhaltung

    Lebens

    qualität

    Promotion

    Wiederher

    stellung und

    Erholung

    Prozentsatz stark Belästigter steigt an

    Gesichertes Gefahrenpotential

    Gesundheitsgefahr nicht auszuschließen

    Hoher Prozentsatz stark Belästigter >25%

    >65 dBA

    55-64 dBA

    35-44 dBA

    65 dBA

    55-64 dBA

    35-44 dBA

  • Behörden

    AkteureArchitekten

    Entwickler

    Berater

    Anwohner

    Lokale Actions

    KomitteesSoundscape

    die neue Governance

    Belange

    Soziales

    Ökonomie

    Akustische

    und Visuelle

    ÄsthetikSicherheit

    Transport/

    Mobilität

    Umgebung

    Nachhaltigkeit

    Gemeinsame Akteure im akustischen Brennpunkt

  • Zusammenfassung

    Menschen verstehen und bewerten Geräusche unabhängig vom A-

    bew. Pegel, d.h. gewollte Urbanität muss nicht zu erhöhter

    Lärmbelastung führen.

    Lärmbelästigung kann auf keinen Fall nur mit der herkömmlichen

    Schallmesstechnik bestimmt werden

    Zur Vorhersage der Wirkung von Umweltgeräuschen benötigen wir

    mehr Wissen über die Bewertungskontexte

    Einzelmaßnahmen sind oft bedeutsamer für die empfundene

    Belästigung als absolute Größen wie z.B. das dB(A)

    Der Alltagsrhythmus und die Bedeutung von Geräuschen sind es, die die akustische Urbanität ausmachen

    Wenn Partizipation bei Planungen für städtische Bereiche die Regel wird sollten sich Akzeptanzen herausbilden.

  • Danke für Ihre

    Aufmerksamkeit!

    Brigitte Schulte-Fortkamp

    Urbanes Leben und Lärm

    Wie viel Lärm verträgt die Stadt - und wie viel braucht sie?