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KRAFTAKT JUNI 2014 UNABHÄNGIGES MAGAZIN ZUM BDEW KONGRESS 2014 HERAUSGEGEBEN VON DER JUGENDPRESSE DEUTSCHLAND E.V.

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Vom 24. bis 26. Juni 2014 fand in Berlin der BDEW Kongress 2014 statt. politikorange hat das Branchentreffen der Energie- und Wasserwirtschaft mit einer 17-köpfigen Print- und Onlineredaktion begleitet.

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KRAFTAKT

JUNI 2014 UNABHÄNGIGES MAGAZIN ZUM BDEW KONGRESS 2014 HERAUSGEGEBEN VON DER JUGENDPRESSE DEUTSCHLAND E.V.

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Foto, Titelfoto: Anton Knoblach

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Liebe Leserinnen und Leser,

fünf Tage lang haben sich 17 junge Medienmacher aus ganz Deutschland mit der größten Herausforderung des 21. Jahrhunderts beschäftigt: der Ener-giewende. Es war ein Kraftakt, aber es hat sich gelohnt. 20 Seiten politikorange liegen nun vor.Die Mannschaft hat eine starke Leistung abgeliefert. Nach nur zwei Tagen inten-sivem Training mit Expertenvorträgen, Podiumsgesprächen und Hintergrund-diskussionen hat sie sich auf das Spiel-feld der großen Energieplayer begeben, dem Kongress des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Der Veranstalter ist einer der größten Interessenverbände Deutschlands. Die Jungjournalisten haben den Kongress mit ihrer Berichterstattung begleitet, hinter die Kulissen geschaut, mit Un-ternehmensvertretern und Politikern ge-sprochen und sich ein eigenes Bild über das Projekt Energiewende gemacht. Fest steht: Die Energiewende kommt einem Kraftakt gleich. Es muss umgedacht und umgebaut werden. Mentale und tech-nische Grenzen müssen überschritten werden. Das Ergebnis ist offen, der Pro-zess mehr als spannend. Ganz nah dran: eure politikorange.

Viel Spaß beim Lesen wünschen

Jana Kugoth und Dorit Kristine Arndt

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachform verzichtet. Sämtliche Personenbezeich-nungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.

EDITORIAL

INHALT

E nergie, Wasser, Geld, Einflussnahme und unsere Zukunft: Der Bundesver-

band der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hat zum jährlichen Branchentref-fen der Energiewirtschaft geladen. Unter dem Motto „Unternehmen Zukunft“ wird diskutiert und sich ausgetauscht. Primär geht es um neue Geschäftsmodelle für die Energie- und Wasserwirtschaft, sekundär um Macht und Einfluss.

Das Logo des BDEW Kongresses er-innert an ein rotes Tuch – wie ein Band schlängelt es sich neben einer Wasserwel-le als Logo über den Kongress. Es scheint passend: Repräsentiert es nicht nur Ener-gie und Wasser, die Kerngeschäftsfelder des Verbands, sondern zeigt zugleich, dass im Bereich der Energiewende derzeit viel im Fluss ist.

DIE SCHLACHT DER STROMKONZERNE

Während dieses Kongresses hat die Große Koalition den Gesetzentwurf der EEG-Reform erneut geändert. Die Politik steht unter Druck. Der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromversorgung in der Bundesrepublik ist in den letzten Jahren rasant gestiegen. Er hat alle Prognosen übertroffen. Gleichzeitig steht die Poli-tik vor neuen Herausforderungen, muss über die Frage entscheiden: Wer trägt die

Kosten der Energiewende? Wenn jeder Stromabnehmer die Abgabe zahlen soll, werden private Energieerzeuger und ener-gieintensive Energieunternehmen für die Produktion von Erneuerbaren Energien

„bestraft“. Deshalb werden für die Novelle des EEG aktuell mögliche Ausnahmerege-lungen für diese Gruppen diskutiert.

An der Energiewende wird gezerrt wie am roten Tuch im Logo der Veran-staltung. Jeder möchte sich möglich gut positionieren: Es scheint, als hätte die Energielobby in der medialen Diskussion erste Erfolge erzielt. Die EEG-Umlage ver-mittelt dem Bürger, dass regenerative En-ergien Geld kosten. Was unter den Tisch fällt: Die Subvention von Kohle und ande-ren konventionellen Energieformen und die miteingerechneten, unabsehbaren Folgekosten würden Strom noch teurer machen. So oder so: Die EEG-Reform ist umstritten und die Energiewende ein Pro-zess.

DIE GRÖSSTE HERAUSFORDE­RUNG DES 21. JAHRHUNDERTS

Die Vorsitzende der Hauptgeschäftsfüh-rung des BDEW, Hildegard Müller, er-mahnte die politischen Akteure: „Eine EEG-Reform macht noch keine Energie-wende.“ Stellt sich der steigende Anteil der Erneuerbaren Energien auf den ersten

Blick als ausschließlicher politischer Er-folg dar, ist er in Wahrheit auch das Er-gebnis wirtschaftlicher Entscheidungen.

Bereits 2008 nannte Angela Merkel die Energiewende „die größte Herausfor-derung des 21. Jahrhunderts“. Auch auf dem Kongress heißt es mahnend: „Die Energiewende ist die Aufgabe Ihrer Ge-neration“, so die Bildungsbeauftrage des BDEW, Birgit Henrichs. Mit politikorange hat der BDEW uns jungen Journalisten die Möglichkeit gegeben, unserer Stimme Ausdruck zu verleihen. Denn eins ist klar: So schnell wird die Energiewende nicht von der politischen Tagesordnung ver-schwinden.

Dorit Kristine Arndt25, LeipzigJana Kugoth26, Berlin

stehen unter Strom, wenn sie sich um unabhängigen und fair bezahlten Journa-lismus sorgen.

»Nachwuchs.« Welche Jobangebote der Energiesektor birgt Seite 15

»Nachhaltig?« Wie Unternehmen sich ein grünes Gewissen kaufen Seite 16

»Nachgedacht!« Wie streitbar Lobbyisten sind Seite 18

„EINE EEG-REFORM MACHT NOCH KEINE ENERGIEWENDE“ DIE ENERGIEWENDE IST EINE DER GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN UNSERES JAHRHUNDERTS. BEIM BDEW KONGRESS GEHT ES UM NICHTS WENIGER ALS DIE (ENERGETISCHE) ZUKUNFT UNSERER GENERATION. VON DORIT KRISTINE ARNDT UND JANA KUGOTH

KEIN ROTES TUCH, SONDERN AUF DEM BDEW KONGRESS VIEL DISKUTIERT: DIE ENERGIEWENDE Foto: Anton Knoblach

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INTERIM EXCELLENCE GMBH

E ine neue, im Management der Energie- und Wasser-wirtschaft aufkommende Geschäftsform ist die Ver-

mittlung von Interim Managern. Diese sind durchschnitt-lich sechs bis neun Monate bei einem Unternehmen angestellt, bis sie ans nächste weiterziehen. Normaler-weise werden diese Manager, ähnlich wie auf dem Im-mobilienmarkt, an Unternehmen gegen eine sehr hohe Provision vermittelt. Sie verlangen rund 25-30 Prozent des Gehaltes über den Zeitraum der Auftragsbetreuung. Diese fällt durch die Plattform des Start-ups „interim-x.com“ weg.

Martin Franssen ist einer dieser sehr gut ausgebil-deten Manager. Er erkannte die Marktlücke einer feh-lenden Online-Plattform zur Vermittlung der hochqualifi-zierten Geschäftsleute und gründete so das Unternehmen mit Sitz in München.

Der offizielle Start der Plattform erfolgte im Sep-tember 2013. „In unserem neuen Geschäftsmodell spiegelt sich die Flexibilisierung der heutigen Arbeits-welt wider“, sagt Geschäftsführer Arne Plocher. Die Anmeldung als Unternehmen oder Führungskraft er-folgt direkt über die Website. „Eine Akkreditierung der Manager erfolgt allerdings erst nach dem erfolgreichen Abfragen von unterschiedlichen Qualifikationen“, sagt Gründer Franssen. „Sie müssen mehrere Jahre Ar-beitserfahrung in Führungspositionen nachweisen. Außerdem sind drei aussagekräftige Referenzen von ehemaligen Auftraggebern notwendig.“ Dafür ist die Anmeldung für Interim Manager komplett kostenfrei. Die von Franssen geschätzte Frauenquote liegt übri-gens bei rund 30 Prozent.

Im Web: www.interim-x.com

ERNEUERBARE ENERGIEN NEU GEDACHT: DREI START-UPS STELLEN SICH VOR OB CROWDFUNDING FÜR ENERGIEWENDE-PROJEKTE, EINE APP ZUR HEIZUNGSSTEUERUNG ODER EINE INTERIM MANAGER-PLATTFORM – BEIM BDEW KONGRESS 2014 PRÄSENTIEREN SICH VIELVERSPRECHENDE JUNGUNTERNEHMEN. JENS MOGGERT STELLT SIE VOR.

TADO GMBH

D ie Vielfalt auf dem Smartphone-App-Markt ist schier unglaublich. Es gibt Anwendungen, die eine Was-

serwaage ersetzen, die Bahn-Fahrkarte anzeigen oder Laufstrecken nachzeichnen. Eine weitere intelligente und nützliche Applikation hat die tado GmbH erfunden. Sie steuert auf Handys mit dem Apple-Betriebssystem iOS die eigene Heizung. Dabei wird in den eigenen vier Wänden eine Cloud erstellt: Die App kommuniziert über ein Zusatzgerät am DSL-Router und einer Box an der Heizung, welche das übliche Thermostat ersetzt. Einzige Voraussetzung ist eine eigene Heizung. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine Gas- oder Ölheizung han-delt. Nur mit Zentralheizungen ist das System meist noch nicht kompatibel. Mit dieser innovativen Technik kön-nen zum Beispiel aktuelle Wetterdaten vor Ort abgerufen und via Sensor die Raumtemperatur angepasst werden.

„Sobald man sich seinem Zuhause nähert, fährt die Hei-zung hoch, sodass es schön warm ist, wenn unser Kun-de ankommt“, sagt Vertriebsmitarbeiter Philipp Nicklaus. Das Start-up-Unternehmen wurde 2010 in München gegründet. Die Gründer Christian Deilmann, Johannes Schwarz und Valentin Sawadski möchten eine nachhal-tig lebende Zielgruppe ansprechen. Die zündende Idee, im eigenen Haus oder der eigenen Wohnung bis zu 30 Prozent Wärmeenergie einzusparen, kam den Gründern während einem Auslandssemester in den USA. Als die Absolventen der TU München in ihrer Unterkunft merk-ten, dass die Klimaanlage nonstop lief, begann die Suche nach einer effizienteren Lösung. Die App kann für 8,25 € monatlich gemietet oder für 299 € inklusive lebenslanger Updates gekauft werden.

Im Web: www.tado.com

ECONEERS GMBH

D ie Energiewende in Bürgerhand – das ist die Grundi-dee der Econeers GmbH. Ein im Oktober des letzten

Jahres gegründetes Start-up-Unternehmen, das „sich gut eignet zur Finanzierung der Energiewende“, sagt Projekt-managerin Ute Hoffmann. Und Michael Brey vom Ge-schäftsbereich Kommunikation ergänzt: „Schon ab 250 € kann sich jeder an Erneuerbaren Energie Projekten betei-ligen. Die Höchstsumme liegt bei 10.000 €“. Ein erklärtes Ziel der Energiewende Deutschlands, die dezentrale Energiewende, wird so gezielt gefördert. Die Crowdfun-ding-Plattform versteht sich dabei in der Vermittlerrolle von meist privaten Investoren und Betreibern vor allem von kleinen Anlagen. Der alleinige Geschäftsführer ist Jens-Uwe Sauer. Das Unternehmen mit Sitz in Dresden finanziert sich aus Provisionen der Betreiber von den Solarparks oder Blockheizkraftwerken. Allerdings wird diese nur bei erfolgreichem Crowdfunding, also dem Erreichen einer Mindestsumme, auch Fundingschwelle genannt, ausgeschüttet. Auf dem deutschen Markt gibt es noch eine Handvoll Konkurrenten, „aber wenn es nach der investierten Summe geht, sind wir der Markt-führer in dem Geschäftsbereich“, erzählt Brey. „Insge-samt sind bisher rund 800.000 € durch unsere Kunden in EE-Anlagen investiert worden“, ergänzt Hoffmann. Die erfolgreichsten Projekte: Ein Solarpark in der Nähe von Halle in Sachsen-Anhalt und ein Blockheizkraftwerk bei Bremen, das Biomasse zu Wärme und Strom umwandelt sowie die Kraft-Wärme-Kopplung-Technik nutzt. An den Photovoltaik-Freiflächenanlagen kann sich jeder zum Veröffentlichungsdatum dieser politikorange noch 30 Tage beteiligen.

Im Web: www.econeers.de

ARNE PLOCHER UND MARTIN FRANSSEN LEOPOLD VON BISMARCK UND PHILIPP NICKLAUS MICHAEL BREY UND UTE HOFFMANN

Fotos: A

nton Knoblach

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B eim BDEW hat die Nachwuchssiche-rung in den letzten Jahren an Bedeu-

tung gewonnen. Generell gibt es immer mehr Unternehmen in der Energieb-ranche, die gegenüber den Ideen junger Menschen aufgeschlossener geworden sind. Beim diesjährigen BDEW Workshop für Nachwuchsinitiativen nehmen 82 Studenten, Trainees und Berufseinsteiger aus dem gesamten Bundesgebiet teil. Sie nutzen die Möglichkeit, mit den Bran-chengrößen in Kontakt zu kommen und präsentieren ihre Ideen für die Gestaltung der Energiebranche. Der 25-jährige Ste-fan Dietrich ist von seinem Arbeitgeber der Überlandwerk Groß-Gerau GmbH zum Workshop entsandt worden. Er hofft, gute Ideen zu entwickeln und den Kun-denwünschen gerecht zu werden. „Das ist genau mein Arbeitsfeld“, sagt Dietrich.

NEUE BEDÜRFNISSE ERKENNEN

Der BDEW hat einen Wettbewerb konzi-piert: Da die Nachwuchskräfte später zu den Menschen gehören, die den Strom abnehmen und bezahlen müssen, sind ihre zukunftsfähigen und bezahlbaren Ideen für die Zukunft der Energiebranche gefragt. Die Branche schaut genau hin: Je mehr technische Innovationen geschaf-fen werden, desto größer ist der Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften, die die neuen Technologien beherrschen und in den Unternehmen dringend benötigt wer-den. Stefan Wolter, Mitarbeiter bei der WEMAG AG, hat ebenso am Workshop zur Nachwuchsinitiative teilgenommen und gehört zur Siegergruppe. Er findet:

„Es ist eine gute Sache, bei der neue An-sätze für die Zukunft geschaffen werden. Neue Bedürfnisse müssen erkannt und mit den Konzernen vereint werden.“

Es ist nichts Neues, dass die Politiker, welche die Energiewende beschließen, zum Großteil zwischen 50 und 60 Jahre alt sind. Das weiß auch Birgit Henrichs, beim BDEW für Bildungsangebote ver-antwortlich: „Für den Ausbau der Erneu-erbaren Energien benötigt Deutschland Arbeiter, die beispielsweise qualifiziert sind, Solarzellen auf Dächern zu instal-lieren.“ Henrichs weiter:„Fakt ist, dass Deutschland unter einem Fachkräf-temangel leidet und sich dies in Zukunft nicht grundlegend ändern wird, wenn nicht zeitnah etwas dagegen unternom-men wird.“

Der Wettbewerb um die besten Köpfe hat bereits vor einigen Jahren begonnen. Viele Unternehmen locken seitdem mit Prämien und hoffen, der Krise am Lehr-stellenmarkt entgegenwirken zu können.

NICHT MEHR ATTRAKTIV GENUG

Henrichs warnt, dass der Nachwuchs-mangel besonders im Bereich Energie zunehmen wird: „Es gibt nur eine Hand-voll junger Menschen, die sich eine beruf-liche Zukunft in dieser Branche vorstel-len können, obwohl die Jobs gut bezahlt sind. Trotzdem sind sie für viele junge Erwachsene nicht mehr attraktiv genug.“ Die Stadtwerke Aachen (STAWAG) haben 2013 zu Beginn des letzten Ausbildungs-starts zum ersten Mal seit Unternehmens-gründung nicht alle Ausbildungsplätze besetzen können.

Doch wie sehen die Kundenwün-sche im Jahr 2040 überhaupt aus? Die Nachwuchskräfte haben ihre Fantasie spielen lassen und interessante Ideen zu Papier gebracht. Ein Vorschlag beherrscht alle Konzepte: Es gilt, das Angebot für die Verbraucher attraktiver zu gestalten. Und das ist an nicht zu unterschätzende He-rausforderungen geknüpft. Mehr Leistung und Betreuung von Seiten der Konzerne für ihre Kunden bedeutet auch, dass Geld in die Hand genommen werden muss. Die Unternehmen sind deshalb angehal-ten, genug in die Zukunft zu investieren, um weiterhin im Rennen gegen andere Anbieter zu bleiben.

VERBRAUCHER WERDEN ZU ERZEUGERNNach Einschätzung der Studenten wer-den die zukünftigen Verbraucher mehr Wert auf Bequemlichkeit legen als die Gesellschaft es bislang gewohnt ist. Der Kunde im Jahr 2040 soll nach Vorschlag der Studenten gleichzeitig Verbraucher und Erzeuger sein – und das ohne viel Aufwand. Das heißt im Detail: Der Kunde besitzt 2040 eine eigene Photovoltaikan-lage auf dem Dach seines Hauses. Gleich-zeitig soll das Wohnhaus der Zukunft über einen effektiven Speicher verfügen.

Bis zum Jahr 2040 verbleiben Ver-brauchern, Erzeugern und Konzernen noch rund 26 Jahre. So mancher Student ist heute 26 Jahre alt und hat seine Ideen für eine erfolgreiche Energiewende vor-getragen. Nun heißt es: Abwarten und schauen, ob die Studenten mit ihren Visi-onen Recht behalten und die Zukunft der Energiebranche richtig voraussagen.

Johannes Booken18, Hinte

steht unter Strom, wenn Menschen Pünktlichkeit nicht für wichtig erachten.

DER KAMPF UM DIE BESTEN KÖPFE HAT BEGONNEN BRINGT DIE ENERGIEWENDE NEUE BERUFE MIT SICH? JOHANNES BOOKEN ÜBER NACHWUCHSINITIATIVEN, DIE DEM FACHKRÄFTEMANGEL IM ENERGIESEKTOR ENTGEGENWIRKEN SOLLEN.

SCHAFFEN IDEEN FÜR DIE ZUKUNFT DER ENERGIEBRANCHE: STUDENTEN, TRAINEES UND BERUFSEINSTEIGER AUS GANZ DEUTSCHLAND Foto: Anton Knoblach

BIRGIT HENRICHS IST FÜR DEN NACHWUCHS ZUSTÄNDIG Foto: Anton Knoblach

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D ie Energiewende ist zu einem Mam-mutprojekt geworden. Aus glo-

baler Perspektive schneiden dabei nicht alle Länder gleich gut ab. Vor allem für Deutschland, dessen Energiepolitik lange Zeit als Vorzeigeprojekt galt, fällt die Bi-lanz ernüchternd aus. Grund genug, auf der Podiumsdiskussion des BDEW Kon-gresses darüber zu diskutieren, welche Perspektiven sich für die deutsche Ener-giewirtschaft zukünftig ergeben könnten.

Mit dem Willen, die konventio-nellen durch erneuerbare Energieformen abzulösen, setzte Deutschland früh einen positiven Trend. Das Ergebnis jedoch ent-täuscht: Trotz erhöhter Investitionen in Erneuerbare Energien ist der CO2-Aus-stoß gestiegen. Die Deutschen haben ver-gangenes Jahr 12 Millionen Tonnen mehr CO2 produziert als noch 2012. Schuld da-ran ist der immer noch anhaltende Koh-leboom, der wiederum mit dem Preisver-fall für CO2-Zertfikate zusammenhängt. Dadurch lässt sich Strom aus Braunkohle besonders günstig erzeugen. Wenn weder die Sonne scheint noch der Wind weht, sind wir nach wie vor von der Kohle ab-hängig.

DEUTSCHLANDS ENERGIE­WENDE FEHLT ES AN SCHWUNG

Als wirtschaftsstärkstem Land innerhalb der EU fällt Deutschland eine besondere Rolle zu. Deutschland müsse dafür sorgen, dass ein europaweites und durchdachtes Übertragungsnetzwerk eingerichtet wer-de, fordert Martin Schumacher, Mitglied des ABB AG-Vorstands auf dem BDEW Kongress. Dazu gehöre etwa ein Nord-link nach Norwegen, um von der dor-tigen Wasserkraft profitieren zu können. Auch die anderen Diskussionsteilnehmer fordern ein europaweites Angehen. Es müsse ein neues Marktdesign geschaffen werden, betont Robert Durdilly, Präsident des Verbands der französischen Strom-wirtschaft Union Française de l‘Electricité (UFE).

Laut einer Studie vom Handelsblatt Research Institute ist Schweden am for-schrittlichsten, was regenerative Energien betrifft: Es folgen Norwegen, Österreich und die Schweiz. Deutschland belegt Platz 8 von insgesamt 24 untersuchten Ländern, die nicht zuletzt vor allem von ihren geografischen Bedingungen profitie-ren, die den Umstieg auf Erneuerbare er-leichtern. Wasser, Windkraft und Biomas-se sind dort stark genutzte Energiequellen. Sogar Russland und die USA, eigentlich wenig bekannt für ambitionierte Energie-politik, übertrumpfen Deutschland in ei-nigen Punkten. So sind die Energiepreise in den USA besonders niedrig, während

hierzulande so viel Geld auf den Tisch ge-legt werden muss wie in keinem anderen Land Europas. Beachtlich ist auch, dass die CO2-Emissionen Russlands niedriger sind als die in Deutschland.

DIE ZIELE DER ENERGIEPOLITIK

Der energiepolitische Erfolg misst sich vor allem an drei Punkten, dem sogenannten Zieldreieck: Umweltverträglichkeit, Wirt-schaftlichkeit und Versorgungssicherheit. Mit anderen Worten: Wie ökologisch wird der Strom hergestellt? Wie teuer ist er? Wie hoch ist das Risiko eines Strom-ausfalls? Fragen, die die Politik gestern ebenso beschäftigt haben, wie sie sie auch morgen werden. Ein Problem: Deutsch-land importiert mehr als 97 Prozent seiner Rohöl- und Erdgasbedarfe und ist somit fast vollständig von Ländern wie Russland abhängig. Auch wirtschaftlich zeigen sich Schwächen: Im europäischen Vergleich sind die Stromkosten in Deutschland, be-dingt durch Steuern und Abgaben, am dritthöchsten. Hier müssen Verteilungs-fragen neu disktutiert werden, um die Ko-sten der Energiewende fairer zu verteilen. Um wirklich umweltverträglich zu sein, müsste die Bundesrepublik auch die CO2-Emissionen reduzieren.

DEUTSCHE ENERGIEWENDE MUSS GLOBAL GEDACHT WERDEN

So sieht das auch BDEW-Geschäftsfüh-rerin Hildegard Müller. Sie setzt sich da-für ein, dass Europa sich zukünftig auf gemeinsame Prinzipien einigt. Dazu ge-höre etwa ein Netzausbau. Noch wird die Energiewende-Debatte in Deutschland überwiegend national gedacht. 2011 be-schloss die Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomkraft im Alleingang. Eine Abstimmung innerhalb der europäischen Energiepolitik ist schon deshalb notwen-dig, da Deutschland bei einem Austritt auf die Speicherkapazititäten innerhalb Europas angewiesen ist. Müller betont, dass eine gemeinsame Lösung gebraucht wird. Doch eine einheitliche Energiepoli-tik ist bisher weder innerhalb der EU noch auf internationaler Weltbühne erkennbar: Während Deutschland also vermehrt in Erneuerbare Energien investiert, hängt Nachbarland Frankreich noch immer von Atomkraftwerken ab. Russland und die Ukraine planen den Neubau von mehr als zwanzig Reaktoren. Auch Japan beschloss erst vor kurzem den Wiedereinstieg in die Atomenergie. Polen nutzt überwiegend Kohle zur Stromerzeugung.

„Um einen Schritt nach vorne zu gehen, müssten nationale Einzelmechanismen so koordiniert werden, dass für den Verbraucher am Ende das Beste heraus-kommt,“ argumentiert Marc Oliver Bett-züge, der Direktor des Energiewirtschaft-lichen Instituts an der Universität Köln. Nur dann kann eine nachhaltige Energie-erzeugung möglich werden, die uns allen und unseren Folgegenerationen hinweg nutzen wird.

ENERGIEWENDE: NICHT NUR EIN NATIONALES PROJEKT DIE ENERGIE-WENDE IST DERZEIT DAS POLITISCHE SCHLAGWORT SCHLECHTHIN. WAS VIELE BÜRGER AUSSCHLIESSLICH MIT DEM ATOMAUSSTIEG VERBINDEN, BEINHALTET JEDOCH VIEL MEHR: ES GEHT UM EINE NACHHALTIGE ENERGIEERZEUGUNG, DIE UNS ALLE ÜBER GENERATIONEN HINWEG BETREFFEN WIRD. VON CORA GEBEL

Foto: Anton KnoblachPODIUMSDISKUSSION ZUM THEMA MARKTDESIGN.

Cora Gebel22, Mainz

steht unter Strom, wenn sie sich nicht eintschei-den kann, was hier stehen soll.

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FRUCHTFLEISCH Wobei verlieren Sie die meiste Energie?

N atürlich sind auf dem BDEW Kongress 2014 die Perspektiven auf dem Strom-

und Gasmarkt Thema. Schließlich importie-ren die Länder der Europäischen Union ein Drittel des Öls und 39 Prozent des Erdgases aus Russland. Einige Mitgliedsländer, da-runter Finnland und die baltischen Länder, sind besonders abhängig von russischen Rohstofflieferungen. Alternative Wege zu bestehenden Pipelines gibt es nicht. Um Gas aus anderen Regionen zu beziehen, müssten neue Pipelines gebaut werden. Notfallreserven gibt es kaum. Die EU hängt faktisch am russischen Gashahn.

Anders beim Öl: Hier ist die Versor-gung weit weniger problematisch, es wird größtenteils über den Seeweg geliefert, weshalb Lieferquellen und -wege relativ leicht ausgetauscht werden können.

GEFAHR VON LIEFERAUSFÄLLEN

Der Ukraine kommt als Transitland eine Schlüsselrolle bei den Gaslieferungen von Russland nach Europa zu. Es kann

zu Versorgungsausfällen kommen, wenn Russland die Lieferungen einstellt, wie bereits 2006 und 2009 geschehen. Als Re-aktion darauf hat die EU versucht, unab-hängiger vom russischen Gas zu werden. Beispielsweise wurde der europäische Energiebinnenmarkt ausgebaut, weitere Maßnahmen werden noch diskutiert. Auf dem EU-Gipfel am 26. und 27. Juni 2014 beraten die Staatschefs über die Durch-führung von „Stresstests“: Simulationen sollen Auskunft darüber geben, welche Folgen Lieferengpässe und –ausfälle ha-ben können. Anhand dieser Ergebnisse sollen bis zum Winter Maßnahmen er-griffen werden, um Europas Energie-abhängigkeit zu verringern. An eisigen Wintertagen benötigen die Länder der europäischen Union Erdgas, damit die Bevölkerung nicht in kalten Wohnungen sitzt. Denkbar wäre, die europäischen Gasvorräte aufzustocken und auf andere Brennstoffe umzustellen. Daher ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien ein Schritt in die Richtung einer autarken En-ergieversorgung.

NEUE WEGE GEHEN

Die EU-Politiker streben an, die Infra-struktur auszubauen, die Energieeffizienz zu steigern und die eigenen Energieres-sourcen besser zu nutzen. Zu diesen Ressourcen gehört auch das umstrittene Schiefergas, das durch Fracking gewon-nen wird.

Außerdem sollen die Erdgas-Pipe-lines in beidseitige Richtungen aus-gebaut werden. So können im Notfall osteuropäische Länder von westeuro-päischen versorgt werden können. Mit Hilfe dieser „Reverse-Flow-Möglichkeit“ könnte auch in die Ukraine Gas impor-tiert werden. In einem Telefoninterview mit politikorange sagte EU-Energiekom-missar Günther Oettinger: „Die Ukraine ist unser Partnerland und wir werden alles tun, damit die Ukraine selbst mit Energie versorgt wird.“ Zudem wird die Diversifizierung der Energielieferanten angestrebt, konkret die Suche nach al-ternativen Transitändern und neuen Lie-ferrouten.

Ein weiterer Vorschlag kommt vom pol-nischen Ministerpräsidenten Donald Tusk. Er fordert die Bildung einer Europäischen Energieunion. Sie soll als geschlossener Energiekäufer auftreten und einen Soli-daritätsmechanismus etablieren, der die Mitgliedsländer bei Engpässen unter-stützt.

GEFÄHRLICHE ABHÄNGIGKEIT EUROPA BEZIEHT EINEN GROSSTEIL SEINER ENERGIELIEFERUNGEN AUS RUSSLAND. WIE ABHÄNGIG IST DIE EU? WIE SCHNELL DROHT UNS DER BLACKOUT? VON NICOLA REITER

GÜNTHER OETTINGER, 60 JAHRE STUTTGART/BRÜSSEL

IN MEINEM BERUF IST MAN STÄNDIG UNTERWEGS: FLUGZEUG, ZUG, AUTO

– ICH BIN IM TRANSPORT SEHR ENERGIE­INTENSIV. MEIN FERNSEHKONSUM IST

ABER SEHR ÜBERSCHAUBAR.

»TRANSPORT«

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JUDITH KNIPPER, 29 JAHRE FRANKFURT AM MAIN

WENN ICH FASTFOOD ESSE, WEIL DANN MEIN GEHIRN

IN MEINEN MAGEN RUTSCHT.

»FASTFOOD«

DR. ULF DUNKER, 47 JAHRE GÜTERSLOH

BEI GESPRÄCHEN, DIE SICH NICHT AN DER LÖSUNG, SONDERN AM PROBLEM ORIENTIEREN.

»ARBEIT«

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Nicola Reiter18, München

steht unter Strom, wenn sie ihre nächste Reise plant und es kaum mehr erwarten kann.

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SPEICHERNDE PUMPE? REGE-NERATIVE ENERGIEN BENÖTIGEN SPEICHERTECHNOLOGIEN, UM AUCH BEI SCHLECHTEN UMWELTVERHÄLTNISSEN DIE STROMVERSORGUNG ZU GEWÄHRLEISTEN. VON MAXIMILIAN GENS UND JULIAN KUGOTH

HERR OETTINGER, ENERGIE, ENERGIE­WENDE, EUROPA – DAS SIND FÜR VIELE JUNGE LEUTE ABSTRAKTE THEMEN, DIE WEIT WEG SIND. WIE VERSUCHEN SIE ALS EU­KOMMISSAR, JUNGE MENSCHEN DAFÜR ZU BEGEISTERN?

Energie ist die Grundlage für das tägliche Leben: Keine Kälte, keine Wärme, keine Sicherheit, keine Industrie, keine Maschinen, keine Haushaltsgeräte, keine Mobilität, keine Gesundheit ohne Energie. Deswegen geht es da-rum, durch eine kluge Energiestrategie drei zentrale Ziele zu erreichen: Versorgungssicherheit, Umweltfreundlich-keit und Bezahlbarkeit. Die europäische Energiestrategie, die wir verfolgen, zieht natürlich die unterschiedlichen Potenziale unserer Mitgliedsstaaten in Betracht.

SIE WAREN NUN EINE LEGISLATUR­PERIODE LANG EU­KOMMISSAR FÜR ENERGIE. WENN SIE ZURÜCKBLICKEN: WAS WAR IHR GRÖSSTER ERFOLG, VON DEM SPEZIELL DIE JUNGE GENERATION PROFITIEREN KANN?

Wir haben erstmals die europäische Landkarte mit einem europäischen Energienetz und konkreten Projekten geplant: Dabei geht es zum Beispiel um grenzüberschreitende Strom- und Gasnetze, gemeinsame Gasspeicher und Terminals für Flüssiggas. Wir arbeiten an einem europäischen Energie-netz, das in den nächsten Jahren verwirklicht werden soll, um hohe Qualität und ausreichend Kapazität bereitzustellen. Das Ziel ist es, dass für Energie hinsichtlich der Mobilität die gleichen Möglichkeiten entstehen sollen wie für Autos, Last-kraftwagen, Schiffe oder Schienenfahrzeuge.

EUROPA IST WICHTIG, ENERGIETHEMEN SIND WICHTIG – SIE BESETZTEN QUASI DIE SCHALTSTELLE DER ZUKUNFT. WEM FÜHLEN SIE SICH MEHR VERPFLICHTET: DER WIRTSCHAFT VON HEUTE ODER DER GENERATION VON MORGEN?

Wenn man Generationengerechtigkeit ernst meint, dann sollte man nicht eine Generation gegen die andere aus-spielen. Wir brauchen eine starke Wirtschaft und kluge Energiestrategien für die Gegenwart. Umgekehrt brau-chen wir Investitionen in die Zukunft, damit für die nächsten Generationen keine Nachteile entstehen.

„KEINE NACHTEILE FÜR DIE NÄCHSTE GENERATION“ AM SCHALT-HEBEL FÜR DIE ENERGIEWENDE IN EUROPA SASS BISHER GÜNTHER OETTINGER VON DER CDU. VIEL ZU TUN. DOCH MIT POLITIKORANGE TELEFONIERTE ER KURZ. INTERVIEW VON DORIT KRISTINE ARNDT

1 Speicherbecken2 Auffangbecken3 Druckrohrleitung4 Ablaufleitung5 Turbine6 Generator7 Pumpe

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V or allem bei dem Einspeisen von regenerativem Strom ins Netz

kann es dazu kommen, dass bei starkem Sonnenschein und gleichzei-tigem starken Wind, oder einfach bei einem sehr niedrigen Stromverbrauch der Stromabnehmer ein Überangebot an Strom vorlliegt. Es muss also Strom irgendwie aus dem Netz genommen werden, Anlagen abgeschaltet oder einfach verbraucht werden.

Letzere Möglichkeit nutzt ein Pumpspeicherkraftwerk aus. Wenn Strom verbraucht werden muss, wird dieser genutzt und eine Pumpe an-getrieben, die Wasser von einem tief liegendem Becken in ein darüberlie-gendes befördert. Wenn dann wieder der Bedarf an Strom im Netz steigt, wird Wasser durch eine Turbine abge-lassen und diese Turbine erzeugt mit-tels Generator Strom, welcher ins Netz gespeist wird.

Außerdem kann es vorkommen, dass sich dieser Vorgang auf dem sehr stark schwankendem Strommarkt und einem sehr niedrigen Strompreis auch rentiert.

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W ährend Müller, Lahm, Özil und Co. in Brasilien die meisten von uns in

kollektive Jubelstürme versetzen, könnte eine heiß diskutierte Gesetzesvorlage in den Deutschen Bundestag gebracht wer-den. Im Schatten der Fußball-WM plant Bundeswirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) die Einführung von Fracking in Deutschland. Das geht aus seinem Schreiben an Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke), Vorsitzende des Haushaltsausschusses, hervor. Die un-konventionelle Gasgewinnung soll unter strengen Auflagen genehmigt werden. Vor der Genehmigung der Fördermetho-de sollen umfangreiche Umweltverträg-lichkeitsprüfungen angefertigt werden. In Wasserschutzgebieten soll die Technik vollständig verboten bleiben. „Weiterge-hende Anforderungen an das Fracking-Genehmigungsverfahren werden noch intern geprüft“, so Gabriel Anfang die-sen Monats.

Interessant ist die zeitliche Nähe des Vor-habens zu der Ukraine-Gas-Krise. Dank dieser Energiegewinnung wäre Deutsch-land in der Tat unabhängiger von rus-sischen Gasimporten. Denn auf diese ist Westeuropa noch zu einem großen Teil angewiesen. Ein weiterer positiver Nebeneffekt wären die im Land verblei-benden Investitionen. Auch Arbeitsplätze könnten generiert und das Know-how der Ingenieure vor Ort in diesem Fachgebiet erweitert werden.

FRACKING IN DEN USA – SCHON LANGE ERFOLGREICHE PRAXIS

In den USA ist Fracking schon seit den 1980er Jahren etabliert und gesellschaft-licher Konsens. In der Folge führte der un-gewöhnliche Gas- und Ölabbau zu einem regelrechten amerikanischen Schiefergas-boom. Die Vielzahl an Vorhaben führte

zu fallenden Gaspreisen. Dadurch sank auch die Wirtschaftlichkeit der Projekte. Die Förderbedingungen in den USA neh-men allerdings eine Sonderstellung ein und sind nicht mit jenen in der EU ver-gleichbar.

EMPFEHLENDE MINDESTSTAN­DARDS DER EU

In Europa wird Fracking in Polen prak-tiziert. Die Regierung Großbritanniens plant ebenfalls in Zukunft die unkonven-tionelle Technik weiter auszubauen. Das belegen besonders niedrige Steuern aus Gewinnen der Gasförderung. Sie sollen bei 30 Prozent liegen und das Vereinigte Königreich zum europäischen Fracking-Paradies für Chemiekonzerne machen. Diese freuten sich auch über eine Anfang dieses Jahres erlassene Richtlinie der EU-Kommission: Sie sieht Mindestanforde-rungen bei der Schiefergasförderung vor. Mögliche Umweltrisiken sollen demnach umfassend geprüft werden, außerdem soll die Öffentlichkeit umfassend infor-miert werden. EU-Umweltkommissar Ja-nez Potočnik verweist auf die Mitglieds-staaten: Wollen sie Fracking ermöglichen, sollen sie gesundheitliche Bedenken aus-räumen und Betreibern und Investoren die Planungssicherheit gewährleisten, die sie benötigen. Eine Empfehlung also, die nicht mit einer verpflichtenden Regelung gleichzusetzen ist. Europäische Gesetze gegen die viel diskutierte Technologie sind nicht in Sicht. In einzelnen Staaten wie Frankreich und Bulgarien ist Fracking aufgrund der Umweltrisiken dennoch in-zwischen verboten.

PROTESTE VON UMWELTVER­BÄNDEN UND DER OPPOSITION

Der größte Widerstand gegen diese Form der Förderung von Gas und Öl geht von Umweltschutzverbänden aus. Aufgrund der eingesetzten Chemikalien könne es laut dem Bund für Umwelt und Natur-schutz Deutschland (BUND) zu einer Trinkwasserverschmutzung kommen und die Beseitigung des verunreinigten Abwassers sei oftmals sehr schwierig. Außerdem wird befürchtet, dass klima-schädliches Methan beim Gewinnungs-prozess austreten könnte, oder dass die Bohrungen Erdbeben auslösen könnten. Daher hat der BUND eine Online-Petition gegen das eventuell kommende Gesetzes-vorhaben gestartet. „Sie ist eine Koopera-tion mit Campact, bei der wir als einer von vier Partnern mit an Bord sind“, sagt BUND-Pressereferentin Ramona Simon. Die weiteren Beteiligten sind der „Bun-desverband Bürgerinitiativen Umwelt-schutz“ und die „Korbacher Resolution der Bürgerinitiativen gegen Fracking“.

Auch Julia Verlinden, die Energieexper-tin der Grünen-Fraktion protestiert gegen Gabriels Vorhaben. Ziehe man die aus-geschlossenen Wasserschutzgebiete ab, wäre Fracking immer noch auf 86 Prozent der Landesfläche möglich.

Letztlich können wir alle gespannt sein, ob und wann sich der Bundestag mit der Thematik beschäftigt. Fakt ist, dass die Bundespolitiker pünktlich zum möglichen WM-Viertelfinale von Jogis Jungs am 4. Juli zum letzten Mal vor der Sommerpause zu-sammentreffen und über etwaige Gesetzes-vorlagen debattieren.

FRACKING: EINE UMSTRITTENE FÖRDERTECHNIK MIT SEINEM GESETZENTWURF ZUM FRACKING IN DEUTSCHLAND HAT ES BUNDESENERGIEMINISTER SIGMAR GABRIEL OFFENBAR RECHT EILIG. NICHT OHNE GRUND – DIE GASFÖRDERUNG IST UMSTRITTEN. VON JULIAN KUGOTH UND JENS MOGGERT

Jens Moggert23, JenaJulian Kugoth21, Olpe

stehen unter Strom, wenn der Tag wieder nur 24 Stunden hat.

INFORMATION

Frackingbezeichnet eine Methode zur Förde­rung von Erdgas oder Erdöl, das nicht konventionell gefördert werden kann. Sie kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn die Rohstoffe in Gesteinsschich­ten liegen, die mehrere tausend Meter unter der Erde zu finden sind und aus denen sie nicht einfach gewonnen werden können. Um diese im Stein befindlichen Rohstoffe (meist in Schie­fergestein) zu gewinnen, werden tiefe Bohrungen durchgeführt, dann wird ein Gemisch aus Wasser, Quarzsand und Chemikalien unter hohem Druck (mehreren hundert Bar) in diese Boh­rungen gepumpt. So entstehen Risse die den Gas- bzw. Ölabfluss ermög­lichen. Abgeleitet wird das Wort vom englischen Begriff: Hydraulic Fractu­ring, von engl. to fracture = hydrau­lisches Aufbrechen.

Foto: Anton KnoblachOB FRACKING SCHÄDLICH IST, IST NICHT ABSCHLIESSEND GEKLÄRT

Page 10: politikorange Kraftakt

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BIOGAS

Ein zuverlässiger Charakter. Er bringt konstante Leistung, ist al­lerdings nicht unumstritten.

Spielanteil: 6,8 % §

Prognose: Die Teller­Tank­De­batte hat ihm zugesetzt. Es müs­sen eindeutige Regeln gefunden werden, damit er weiterhin be­denkenlos eingesetzt werden kann.

WASSERENERGIE

Obwohl er ältester Spieler in der Energiegewinnung ist, wirkt er enorm frisch. Zeichnet sich durch große Verlässlichkeit und Umweltfreundlichkeit aus. Nur Fische und deren Freunde mö­gen diesen Spielertyp nicht.

Spielanteil: 3,4 % ä

Prognose: Weil er in jeder Spielsituation (Gezeiten, Strö­mung, Staudämme,...) einge­setzt werden kann, wird man auf ihn noch oft zurückgreifen.

ERDGAS

Als klassischer Sprinter kann er jederzeit eingreifen, wenn die Stürmer keine Leistung bringen. Im modernen Energiefußball braucht man ihn, durch immer kürzere Einsatzzeiten rentiert er sich jedoch selten.

Spielanteil: 10,5 % §

Prognose: Weil er oft zu po­litischen Problemen führt und teuer ist, möchte man von ihm unabhängiger werden.

WINDENERGIE

An guten Tagen entscheidet der hocheffiziente Techniker Partien fast im Alleingang mit seinem besten Freund, der Photovoltaik. Unter den jungen, wilden Spie­lern ist er die Nummer Eins.

Spielanteil: 7,9 % ä

Prognose: Jeder mag diesen Spieler, vor der eigenen Haustür möchte man ihn jedoch nicht se­hen. International wird er immer wichtiger.

PHOTOVOLTAIK

Unglaublich, wie sich dieser Spieler in den letzten Jahren ent­wickelt hat! Mit solch einer Stei­gerung hat niemand gerechnet. Größte Schwäche: Er ist ein rei­ner Schönwetter­Fußballer.

Spielanteil: 4,5 % ä

Prognose: Seine Bedeutung wird weiter steigen. Wenn es gelingt, dass er mit Windkraft und dem jungen Torwart perfekt kooperiert, ist die Umstellung unseres Spielsystems schon fast gelungen.

11 ENERGIEQUELLEN MÜSST IHR SEIN SCHON TRAINERLEGENDE BILL SHANKLY WUSSTE: „IM FUSSBALL GEHT ES NICHT UM LEBEN UND TOD – ES GEHT UM MEHR.“ DIE ENERGIEWENDE IST FAST GENAUSO WICHTIG. JOHANNES KOLB PRÄSENTIERT DIE AUFSTELLUNG DER DEUTSCHEN ELF.

Page 11: politikorange Kraftakt

11 //

BRAUNKOHLE

Obwohl schon recht betagt, nach wie vor der meistbeschäf­tigte Spieler.

Spielanteil: 25,8 % æ

Prognose: Sein Spielertyp wird immer weniger gefragt. Zu dre­ckig und unflexibel.

SPEICHERTECHNOLOGIEN

Als jüngsten Spieler kann man ihn noch nicht rentabel einset­zen. Im Notfall soll er einsprin­gen und den Kollaps verhindern.

Spielanteil: ± 0 % ä

Prognose: Auf ihm ruhen die größten Hoffnungen. Schafft er es, nur 24 Stunden lang die Leistung des Teams zu sichern, sind unsere heutigen Spielpro­bleme Geschichte.

ATOMKRAFT

Superstark, mordsgefährlich und daher von Gegnern stark gefürchtet. Bringt enorme Lei­stung, einmal in Fahrt ist er je­doch nur schwer zu stoppen.

Spielanteil: 15,4 % æ

Prognose: Sein Kollege in Fukushima hat den Ruf dieses Spielertyps nachhaltig ruiniert. Daher muss er 2022 endgültig vom Platz.

MINERALÖL

Kann schnell in die Bresche springen, ist allerdings auch teuer und muss importiert wer­den. Er gilt als wichtigste Kraft der Primärenergie.

Spielanteil: ~ 2 % §

Prognose: Für das Strom­Team eher ungeeignet, daher wird er sich hier nicht weiterentwickeln.

SIEDLUNGSABFÄLLE

Bringt absolut zuverlässige Leistung, allerdings nur in sehr begrenztem Maß. Für die Mann­schaft im Gesamten nicht be­sonders wichtig.

Spielanteil: 0,8 % §

Prognose: Kann sich nicht mehr steigern.

BIOGAS

Ein zuverlässiger Charakter. Er bringt konstante Leistung, ist al­lerdings nicht unumstritten.

Spielanteil: 6,8 % §

Prognose: Die Teller­Tank­De­batte hat ihm zugesetzt. Es müs­sen eindeutige Regeln gefunden werden, damit er weiterhin be­denkenlos eingesetzt werden kann.

WASSERENERGIE

Obwohl er ältester Spieler in der Energiegewinnung ist, wirkt er enorm frisch. Zeichnet sich durch große Verlässlichkeit und Umweltfreundlichkeit aus. Nur Fische und deren Freunde mö­gen diesen Spielertyp nicht.

Spielanteil: 3,4 % ä

Prognose: Weil er in jeder Spielsituation (Gezeiten, Strö­mung, Staudämme,...) einge­setzt werden kann, wird man auf ihn noch oft zurückgreifen.

STEINKOHLE

Seine großen Zeiten liegen schon lange hinter ihm.

Spielanteil: 19,7 % æ

Prognose: Zu langsam, zu teu­er und dabei schlecht für die Umwelt. Nur noch als Reserve benötigt.

Datenquelle: AG Energiebilanzen vom BDEW e.V.Hintergrund: haddewig.deGrafiken: Maximilian Gens

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Z wei Tage nach Sommeranfang fla-ckerte Montagabend ein Feuerchen

im Konferenzraum der Amadeu-Antonio-Stiftung. Obwohl das Feuer nur virtuell auf dem Bildschirm knisterte, rahmte es das angekündigte Kamingespräch und lo-ckerte die Stimmung auf. Es ging um die Frage: „Schaffen wir die Energiewende und wenn ja, wozu?“. Hier diskutierten Barbara Praetorius aus dem Thinktank Agora Energiewende, Bertold Meyer, Bür-germeister von Bollewick, einem Bioener-giedorf in Mecklenburg-Vorpommern, der Vize-Chef der Prognos AG Friedrich See-feldt und Volker Holtfrerich vom BDEW. Moderiert wurde das Ganze von Ingo Arzt, Journalist bei der taz.

WO STEHEN WIR?

Der Startschuss fiel mit der Frage: Wo steht Deutschland eigentlich in der Ener-giewende? Übereinstimmend stellten die Diskussionsteilnehmer fest: Im Bereich der Stromversorgung sei viel passiert. Was oft aus dem Blick gerate, sei die Tat-sache, dass sich beim Thema Energiespa-ren kaum etwas getan habe.

Für Bollewicks Bürgermeister Meyer kann die Energiewende gar nicht schnell ge-nug gehen. BDEW Vertreter Holtfrerich hinge-gen bremste diese Euphorie. Mit dem Hinweis auf Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit plädierte er für eine wohldurchdachte und nicht überhastete Umstellung auf Erneuer-bare Energien. Bisher hätten die großen En-ergieversorger ihr System nicht schnell genug auf den neuen Markt umstellen können. Ob-

wohl er die Interessen der Energieversorger vertrat, räumte Holtfrerich ein: Sie hätten den Wandel etwas verschlafen. Er wies auch der Politik eine Mitschuld zu. Die Politiker hätten keine ausreichenden finanziellen Anreize für die Energieriesen gesetzt.

KLEINE LEUTE UND STROMKONZERNE

Für den kleinen Anleger hingegen war die Umlage Grund genug, um in diesen Sektor zu investieren. So geschehen bei Meyers Biodorf. Für ihn ist die Energie-wende ein gesellschaftliches Gesamtkon-zept und könne nur durch einen Kultur-wandel angestoßen werden. In seinen Augen ist die Energiewende ein Projekt der kleinen Leute. Deshalb ist es ihm ein besonderes Anliegen, die Bürger mitzu-nehmen. Das Dorf Bollewick zeige, dass eine dezentrale Energieversorgung mög-lich sei – und das alleine auf Initiative von Bürgern. Wo früher der Strom aus-schließlich von großen Kraftwerken über das Netz an die Haushalte geliefert wur-de, gibt es heute viele kleine, dezentrale Energie-Einspeiser.

DEUTSCHLANDS CHANCE IN DER ENERGIEWENDE

Barbara Praetorius sieht Deutschland in einer Vorreiterrolle. Die Bundesrepublik habe die Chance, die Energiewende welt-weit voranzutreiben. Ein Beispiel hierfür sei die enorme weltweite Entwicklung bei Photovoltaik-Anlagen, mitfinanziert

durch das EEG und durch Deutschland. Doch jetzt müsse eine Reform dieses Erneuerbare-Energien-Gesetzes her, die auch langfristige Investitionssicherheit für die betroffenen Unternehmen schaf-fe. Prognos Vize-Chef Friedrich Seefeldt sprang ihr bei. „Für die einzelnen Unter-nehmen muss die Energiewende betriebs-wirtschaftlich realisierbar sein“, machte er deutlich. Ebenso warnte er davor, sich zu viel Zeit für den Umstieg zu lassen. Wenn die fossilen Brennstoffe immer knapper und die Preise exorbitant hoch werden, sind wir in unseren Möglich-keiten extrem eingeschränkt.

SYSTEMKOSTEN UND EEG

In einem Punkt waren sich die Energieexper-ten dann doch einig: Die stärkste politische Sprengkraft läge in der Frage nach einer Neuverteilung der Kosten der Energiewen-de und inwieweit Eigenstromversorger sich an den Systemkosten beteiligen müssten. Denn auch sie sind Nutznießer des gesam-ten Stromnetzes. Systemkosten ergeben sich deutschlandweit aus dem Netzausbau und der Instandhaltung des Stromnetzes. Auch Eigenstromverbraucher verlassen sich auf das Netz, wenn ihr Energiebedarf nicht mit ihren regenerativen Erzeugungsmöglich-keiten gedeckt werden kann.

ZUKUNFT DER BRANCHE

Für die Zukunft wünschten sich die Teil-nehmer unseres Kamingesprächs im Kon-sens einen Strommix, der sich aus minde-

stens 80 bis 90 % Erneuerbaren Energien zusammensetzt. Bollewick macht es vor: Meyer sieht auch kein Problem darin, die 100 % an Erneuerbaren Energien zu errei-chen.

Obwohl sich die Diskussion haupt-sächlich auf die Situation in Deutschland konzentrierte, wünschten sich die Teil-nehmer der Runde ein Stromnetz, das die Ländergrenzen übersteigt und so flexibel mit den Belastungen umgehen könne. Deswegen ihr Appell: ein europäisches Stromnetz für eine stabile Energieversor-gung.

Isabella Greene25, BerlinJulian Kugoth21, Olpe

stehen unter Strom, wenn sie offline sind.

WIE VIEL KOSTET DIE ZUKUNFT? VIER VERSCHIEDENE BLICKWINKEL AUF DIE ENERGIEWENDE: UNTER DER MODERATION VON TAZ-REDAKTEUR INGO ARZT DISKUTIERTEN 4 EXPERTEN ALS VORBEREITUNG AUF DEN BDEW KONGRESS 2014. VON ISABELLA GREENE UND JULIAN KUGOTH

AKTIV BEIM KAMINGESPRÄCH: BERTOLD MEYER, DR. BARBARA PRAETORIUS, MODERATOR INGO ARZT, FRIEDRICH SEEFELDT UND VOLKER HOLTFRERICH (V.L.N.R.) Foto: Anton Knoblach

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FRUCHTFLEISCH Auf welchen Energiefresser könnten Sie am ehesten verzichten und warum?

SUSANNE TRAUTZSCH, 62 JAHRE BERLIN

AUF DEN WÄSCHETROCKNER, DEN BRAU­CHE ICH EIGENTLICH NICHT.

»WÄSCHETROCKNER«

W enn wir alle zusammenhalten, können wir die Welt sauberer und

gesünder machen“, verkündete Arnold Schwarzenegger auf der Konferenz seiner Klimaschutzorganisation R20 vor einem Jahr. Die Tatsache, dass der ehemalige

„Terminator“ es sich nicht nehmen lässt, mit dem Privatjet um die Welt zu fliegen, ist dabei nur ein kleiner Schönheitsfehler. Umweltbewusstsein ist chic, öko ist sexy. Leonardo DiCaprio, der auf seiner Home-page Umwelttipps gibt, wurde von der Zeitschrift Glamour auf Platz 2 der hei-ßesten Öko-Promis gewählt. Nur das Sci-entology-Pärchen Katie Holmes und Tom Cruise zieht bei diesem Trend nicht mit und wird deshalb immer noch als „Emis-sion Impossible“ bezeichnet. Nicht nur bei den Stars und Sternchen dieser Welt liegen Umweltthemen im Trend. Laut einer Umfrage des BDEW halten 90 Pro-zent der Deutschen die Energiewende für sehr wichtig. Erneuerbare Energien sind

bei uns ganz weit vorne – kein Wunder, denn die Anti-Atom-Buttons machen sich ja auch wirklich gut auf den Jutebeuteln und ergänzen den hippen Öko-Look. Vor allem bei der jungen Generation liegen diese politisch aufgeladenen Accessoires im Trend. Vegetarische Restaurants und Bio-Baumwolle sind beliebt und hip – aber selbstverständlich auch die Ener-giefresser Smartphone und Laptop. Wir brauchen sie, um zu beweisen, wie öko wir sind, posten damit Selfies mit der neuesten Öko-Kleidung und aktualisieren unseren Blog von unserem Gap-Year im Regenwald. Ein Widerspruch? Nein. Die Unternehmen machen es doch vor: Image ist alles.

Die Deutsche Bahn AG brüstet sich damit, einen „Meilenstein in Sachen Kli-maschutz“ zu setzen, indem sie ihre Züge mit Ökostrom fahren lässt. Dass dadurch weniger Ökostrom in das normale Strom-netz eingespeist wird und dieser „Meilen-

stein“ vielleicht doch nicht so bedeutend ist, lässt sie dabei elegant unter den Tisch fallen.

Wir als Menschen fühlen uns gut, wenn wir gerade im veganen Bio-Restau-rant die Welt retten. Die Fahrt mit dem Porsche zum Restaurant blenden wir aus. Ein Happs Tofu, unser Gewissen ist besänftigt und wir können nachts ruhig schlafen.

Öko-Sex-Appeal für mich und die Firma, dann schimmert alles im grünen Schein der Ökoromantik. Jüngst empfahl das Magazin Cosmopolitan in einem Arti-kel über Ökoromantik beispielsweise das gemeinsame Duschen zum Wassersparen

– so einfach kann Umweltschutz sein.Ein schlecht beheizter Raum oder

die Fahrt mit dem Bus vom Date nach Hause machen ja auch wirklich jegliche Ökoromantik zunichte. Energiesparen wird überbewertet. Und vielleicht wird ja doch noch alles gut. Schließlich bringen

vierblättrige Kleeblätter Glück und Arni hat schon einmal als Terminator die Welt gerettet. Also vertrauen wir einfach auf ihn: „Gemeinsam können wir die Zerstö-rung der Umwelt stoppen“.

ÖKO IST DAS NEUE SEXY IMMER ÖFTER TRIFFT MAN IM BIO-SUPERMARKT UM DIE ECKE AUF MENSCHEN MIT JUTETASCHE. IHR AUSSEHEN SPIEGELT DIE DOPPELMORAL UNSERER GESELLSCHAFT WIDER. EINE GLOSSE VON ROMY ACKERS UND NICOLA REITER

Romy Ackers21, KölnNicola Reiter18, München

stehen unter Strom, wenn sie sich voller Energie auf einen neu-en Artikel stürzen.

JÜRGEN MORITZ, 61 JAHRE WOLFRATSHAUSEN

AUF EIN MOTORRAD, DA ICH 61 JAHRE ALT BIN UND

ES TÖDLICH ENDEN KÖNNTE.

»MOTORRAD«

HILDEGARD MÜLLER, 46 JAHRE BERLIN

DER GRÖSSTE ENERGIEFRESSER IST NACH WIE VOR DER ALLGEMEIN

SORGLOSE UMGANG MIT ENERGIE.

»SORGLOSIGKEIT«

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GLOSSE

Page 14: politikorange Kraftakt

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ZUR PERSON

Fabian Neumann (21)ist Auszubildender im zweiten Ausbildungsjahr zum Elektroniker für Betriebstechnik bei Vattenfall in Berlin. politikorange hat mit ihm gesprochen, um die beruflichen Perspektiven im Energiesektor ken­nenzulernen.

Foto: Anton Knoblach

Page 15: politikorange Kraftakt

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FABIAN, WIE BIST DU ZU DEINER AUSBILDUNG GEKOMMEN?

Ich habe das Gymnasium besucht und mich nach der zehn-ten Klasse an einem Oberstufenzentrum beworben, wo ich mein Fachabitur im Bereich Elektrotechnik erfolgreich bestanden habe. Während eines einjährigen Praktikums konnte ich in die verschiedensten Tätigkeitsbereiche des Elektronikers reinschnuppern. Da habe ich gemerkt, dass ich das später machen möchte und mich daraufhin bei großen Firmen beworben, unter anderem hier bei Vattenfall.

WARUM HAST DU DICH FÜR DEN ARBEITGEBER VATTENFALL ENTSCHIEDEN?

Im Vorfeld habe ich mich über das Unternehmen infor-miert und war begeistert von den Informationen, die ich über die Ausbildung bekommen habe. Außerdem war es mein persönlicher Wunsch, in ein größeres Unterneh-men zu gehen. Die Tatsache, dass Vattenfall im tech-nischen Bereich eine sehr gute Ausbildung bietet, war letztendlich ausschlaggebend.

WAS GEFÄLLT DIR NACH ZWEI JAHREN AUSBILDUNG AM BESTEN?

Was mir sehr gefällt ist, dass man später die Möglich-keit hat, die Außendienststellen zu besuchen. Das heißt, dass man nicht nur in einem kleinen Betrieb mit den gleichen ein, zwei Aufgaben arbeitet, sondern dass man sehr viele Bereiche durchlaufen kann und unterschied-liche Aufgaben gestellt bekommt. Ich spezialisiere mich nicht auf eine einzige Sache, sondern habe ein breites Spektrum. Dadurch habe ich die Möglichkeit, mich nicht nur auf einen Bereich festzulegen. Es macht mir hier viel Spaß und durch die Ausbildung werde ich gut auf mei-nen späteren Beruf vorbereitet.

WELCHE VORAUSSETZUNGEN MUSS MAN DEINER MEINUNG NACH HABEN, UM ELEKTRONIKER FÜR BETRIEBSTECHNIK ZU WERDEN? WELCHE FÄCHER SIND IN DER SCHULE WICHTIG?

Ich habe vor allem gemerkt, dass man sich für seinen Be-ruf begeistern muss. Das ist ja eigentlich in jedem Beruf so, aber beim Elektroniker besonders. Außerdem hat mir in der Schule das Fach Elektrotechnik weitergeholfen, in dem mir die Grundlagen beigebracht wurden. Dazu ge-hören Mathematik, Physik und auch Sozialkunde.

GIBT ES EIGENTLICH VIELE WEIBLICHE AUSZUBILDENDE?

Im technischen Bereich sind sie leider an einer Hand abzuzählen. Das ist nicht nur für uns Jungs scha-de, sondern generell für den Betrieb Vattenfall und für andere Unternehmen, die nach weiblichen Fach- und Führungskräften suchen. Das Problem ist wahr-scheinlich, dass sich Frauen nicht an die technischen Berufe trauen. Da wäre es gut, wenn sie durch Prak-tika einen Einblick bekommen könnten.

WAS HAST DU NACH DEINER AUSBILDUNG GEPLANT?

Mein großes Ziel ist es, bei Vattenfall zu bleiben. Wenn möglich mit einem Festvertrag. Der Vorteil wäre, dass ich mich weiterbilden könnte. Es gibt die Möglichkeit Kurse zu belegen oder zu studieren: Zum Beispiel den Bachelor of Engeneering oder den Bachelor in Elektrotechnik in einem dualen Studiengang.

VATTENFALL BEZIEHT IN DEUTSCHLAND LAUT EIGENEN AUSSAGEN SEINE ENERGIE ZU CA. 60% AUS FOSSILEN ENERGIEN UND ZU CA. 40% AUS ERNEUERBAREN ENERGIEN.SPEZIALISIERST DU DICH WÄHREND DEINER AUSBILDUNG AUF EINE BESTIMMTE ENERGIEUMWANDLUNG?

Ich warte, repariere und erweitere Anlagen. Da ist es im Grunde egal, ob das Kraftwerk die Energie aus fossilen oder aus Erneuerbaren Energien bezieht. Der Ablauf-prozess ist meistens der gleiche. Wenn man sich auf die einzelnen Bereiche spezialisieren will, kann man das im Studium machen.

WIE STEHST DU PERSÖNLICH ZUR AKTUELLEN DEBATTE DER ENERGIEWENDE UND ZUR IMMER GRÖSSER WERDENDEN BEDEUTUNG DER NACHHALTIGKEIT?

Das ist so eine Sache, die genau unsere Generation stark betrifft. Es ist nicht mehr so, dass man sagt: „Wir verbrennen jetzt so viel Kohle, wie wir wollen“. Wenn man sich mit dem Thema nicht auseinandersetzt, dann kann einem das egal sein. Aber wenn man sich für so einen Beruf entscheidet und weiß, es geht um Ener-gie, Technik und auch ein bisschen Wirtschaft, dann

ist es wichtig über regenerative Energien Bescheid zu wissen. Ich persönlich denke, dass jeder Mensch, und auch die Energiebetreiber, sich das Ziel setzen sollten, mehr auf diese Sachen zu achten und die Umwelt zu schützen.

BEZIEHST DU SELBST STROM AUS ERNEUERBAREN ENERGIEN?

Im Grunde macht das jeder. Der Strom, den wir aus der Steckdose bekommen, ist so eine Art Mischstrom. En-ergie wird in ein Netz eingespeist, aus einem Kraftwerk der fossilen Energien und gleichzeitig aus einem Kraft-werk der Erneuerbaren Energien. Der Strom, der aus der Steckdose kommt, weiß nicht, ob er grün oder blau ist oder wo er herkommt. „Grüner Strom“ an sich ist halt Werbung. Dadurch finanziert man eventuell ein bisschen mehr den Teil der regenerativen Energien. Je mehr man also Erneuerbare Energien nutzen kann, desto weniger werden die anderen Energiequellen genutzt. Aber dass man wirklich 100 % Strom aus Erneuerbaren Energien nutzen kann, sehe ich heute noch nicht.

ABER IN DER ZUKUNFT VIELLEICHT?

Vielleicht. Die Zukunft kann natürlich Vieles bringen.

»ELEKTRONIKER FÜR BETRIEBSTECHNIK IST GENAU DAS RICHTIGE FÜR MICH«

WENN GUT BEZAHLTE JOBS UNBESETZT BLEIBEN UM DIE ENERGIEWENDE ZU STEMMEN, WERDEN ZUKÜNFTIG VIELE NACHWUCHSKRÄFTE BENÖTIGT. DOCH GENAU DIE FEHLEN, SAGEN DIE WIRTSCHAFTSVERTRETER DER BRANCHE. WIE ES UM DEN NACHWUCHS BESTELLT IST, FRAGT JANA SCHMIDT DEN AUSZUBILDENDEN FABIAN NEUMANN.

Jana Schmidt21, Berlin

steht unter Strom, wenn sie mal wieder mit ihren Entscheidungsproblemen zu kämpfen hat.

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A lle Bahncard-Inhaber müssen sich über den ökologischen Fußabdruck

bei Zugfahrten keine Sorgen mehr ma-chen. Sie fahren garantiert mit 100 Pro-zent Ökostrom. Die Rabattkarte der Deutschen Bahn ist jetzt nicht mehr rot, sondern – passend zum neuen Umweltbe-wusstsein – grün. Darf man sich also als Inhaber einer solchen Karte als Klimaret-ter fühlen? Ist man den anderen Fahrgä-sten gar moralisch überlegen?

Leider nicht, denn eine vollständige Versorgung der Bahncard-Inhaber mit grünem Strom existiert lediglich in der Theorie. Tatsächlich wird der Strom aus erneuerbaren Quellen in das Bahnnetz eingespeist, konkret aus deutschen Was-serkraftwerken, betrieben von Eon und RWE.

Rund fünf Millionen Bahncard- und Streckenzeitkartenkunden können so rechnerisch mit Ökostrom, gewonnen aus deutschen Flüssen, fahren. Die CO2-Bilanz der Bahn verbessert sich, im üb-rigen Stromnetz fehlt dieser Strom dann allerdings. Das Plus an Nachhaltigkeit im Bahnnetz wird durch das entsprechende Minus in den anderen Leitungen erkauft. Zudem gilt: Der Hauptenergiebedarf der Deutschen Bahn, dem bundesweit größ-tem Stromverbraucher, wird nach wie vor durch fossile Energieträger gedeckt.

HIER VERBRAUCHEN, WOANDERS SPAREN

Auch andere Unternehmen erkaufen sich das Prädikat „Ökostrom“. DHL beispiels-weise möchte als weltweit größter Logi-stikdienstleister mit dem Programm „Go-Green“ die eigene Klimabilanz verbessern.

Alle Privat- und Geschäftskunden können so – ohne zusätzliche Kosten – ihre Post-sendungen CO2-neutral verschicken. Das Prinzip dahinter ist der sogenannte CDM (Clean Development Mechanism), der auf dem Weltklimagipfel in Kyoto beschlos-sen wurde.

Demzufolge darf Treibhausgas aus Industrieländern durch ausgelagerte Klimaprojekte in Entwicklungsländern neutralisiert werden. Schließlich machen Emissionen nicht vor Ländergrenzen halt. Wenn DHL pro zugestelltem Brief zirka 29 Gramm CO2 emittiert, muss die ent-sprechende Menge an anderer Stelle ein-gespart werden. Ein solches Projekt der Deutschen Post findet zum Beispiel in Ug-anda statt. Dort unterstützt der Logistik-dienstleister örtliche Wiederaufforstungs-projekte. Die in Uganda gebundene Menge an CO2 wird mit anderswo aus-gestoßenen Treibhausgasen verrechnet, diese sind dann egalisiert. Denn, wie im Kyoto-Protokoll richtig festgestellt wurde: Es ist unerheblich, wo auf der Welt CO2 eingespart wird.

WIN­WIN­SITUATION, ABER AUCH MOGELPACKUNG

Projekte wie die Wiederaufforstung in Uganda sind jedoch nicht nur gut für die CO2-Bilanz von DHL. Auch die Menschen vor Ort bekommen für jeden gepflanzten Baum Geld und werden weiterhin an dem Emissionshandel verdienen. Au-ßerdem wird eine verbesserte Ausbil-dung der lokalen Bauern unterstützt. Der Emissionshandel ist also wirklich eine Win-Win-Situation für beide Seiten: Strukturschwache Regionen in Entwick-

lungsländern werden gefördert und durch umweltfreundliche Projekte wie Auffor-stung oder dem Bau von Wasserkraftwer-ken aufgewertet. Für die Unternehmen verbessert sich die Umweltbilanz und da-durch massiv ihr Image. Dennoch steckt hinter dem Handel mit CO2-Zertifikaten eine gewisse Mogelpackung.

Jedes Gramm CO2, das in Deutsch-land ausgestoßen wird, gelangt in die Atmosphäre. Wenn gleichzeitig ein Was-serkraftwerk in China die entsprechende Energiemenge emissionsfrei herstellt, wird das deutsche Klimagas dadurch na-türlich nicht neutralisiert. Auf dem Papier ist jedoch genau das der Fall. Nur durch Wiederaufforstungsprojekte wird tatsäch-lich CO2 gebunden. Bei weniger gut infor-mierten Kunden erweckt das Siegel „100 Prozent CO2-neutral“ womöglich falsche Hoffnungen. Zudem machen die Zertifi-kate den Unternehmen das grüne Gewis-sen etwas zu leicht: In den meisten Fällen ist es einfacher, sich in Entwicklungslän-dern an Klimaprojekten zu beteiligen, als den eigenen Produktionsablauf zu opti-mieren. So lagert man die Energiefrage aus und muss nicht intern auf umwelt-freundlichere Prozesse umsteigen.

CO2­ZERTIFIKATE – EIN RIESENGESCHÄFT

Die Beratung von Firmen, wie sie am besten ihre Klimabilanz durch den Kauf von CO2-Zertifikaten verbessern, ist ein bedeutender Geschäftszweig geworden. Eine der wichtigsten Beraterfirmen in dem Bereich ist ClimatePartner aus Mün-chen. Sie ermitteln die Emissionsmenge, die Unternehmen im gesamten Produkti-

onsablauf verursachen und schlagen aus-gleichende Klimaprojekte vor. Eine Reihe von internationalen Standards soll für Transparenz bei dem Zertifikatshandel sorgen.

Weitverbreitet ist VCS, der Verified Carbon Standard. Mehr als die Hälfte aller freiwilligen Emissionszertifikate werden darüber abgewickelt. Er sorgt dafür, dass durch unabhängige Dritte geprüft wird, wie die CO2-Werte errechnet werden. Als Regel gilt: Es muss immer von den höchst-möglichen Emissionswerten ausgegan-gen werden. Besonders streng ist der in Zusammenarbeit mit dem WWF und 40 anderen Nichtregierungsorganisationen entwickelte Gold-Standard. Neben der Umweltverträglichkeit muss hierbei auch für die lokale Bevölkerung eine nachhal-tige Verbesserung des Lebensstandards nachgewiesen werden.

Im Prinzip ist der Handel mit CO2-Zertifikaten ein effektives, weil wirtschaft-liches Mittel, um Treibhausemissionen glo-bal zu reduzieren. Allerdings müssen sich Kunden vorab genau darüber informieren, wie das Prädikat „100 Prozent Ökostrom“ zustande kommt. Oft bleibt es eine Illusi-on, dass man durch den Kauf solcher Pro-dukte automatisch zum Klimaretter wird.

EINMAL GRÜNES GEWISSEN BITTE ES KLINGT FAST ZU SCHÖN, UM WAHR ZU SEIN: VÖLLIG CO2-NEUTRALER KONSUM IST BEREITS HEUTE MÖGLICH, OHNE KOMFORTVERLUST UND OFTMALS SOGAR OHNE AUFPREIS. ZUMINDEST AUF DEM PAPIER. VON JOHANNES KOLB

Foto: Anton Knoblach (Montage)GRÜNER STEMPEL IST NICHT GLEICH GRÜNES GEWISSEN

Johannes Kolb18, Saarbrücken

steht unter Strom, wenn er mit dem Mountain-bike kurz vor einer schwierigen Abfahrt steht.

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D er demografische Wandel ist ein Phänomen, das zahlreiche Pro-

bleme für unsere Gesellschaft aufwirft. Die Auswirkungen der zunehmenden Vergreisung werden oft diskutiert und er-halten viel Medienaufmerksamkeit. Doch manche Folgen geraten aus dem Fokus der Öffentlichkeit, zum Beispiel die für die Abwasserwirtschaft.

Für die Branche bedeutet dies vor allem, mit neuen Herausforderungen um-gehen zu müssen: Bei schrumpfenden Be-völkerungszahlen steigen die Kosten pro Einwohner. Die Fixkosten bleiben gleich, verteilen sich aber auf eine geringere An-zahl von Verbrauchern. Hinzu kommt: Viele Haushaltsgeräte sind mittlerweile so wassersparend, dass immer weniger Wasser verbraucht wird.

Ein Beispiel dafür ist die Stadt Kre-feld. Mit einem Wasserverbrauch, der seit 1991 von 144 auf 120 Litern pro Person und Tag gesunken ist, liegt die Stadt im bundesweiten Durchschnitt. In den letz-ten Jahren ist die Bevölkerung leicht geschrumpft – Tendenz weiter fallend.

„Die Abwasserinfrastruktur wurde auf Jahrzehnte geplant. Bis in die 90er Jahre wurde ein steigender Wasserverbrauch prognostiziert, weshalb die Infrastruktur großzügig ausgebaut wurde. Diese muss auch in Zukunft unterhalten werden“, er-klärt Kerstin Abraham, Mitglied des Vor-standes der Stadtwerke Krefeld. Oft wird gefordert, die Infrastruktur zu erneuern, doch das wäre mit weiteren Kosten ver-bunden. Außerdem gibt es trotz allem Spitzenzeiten, zu denen die Kapazitäten voll ausgelastet sind. Starker Regen ist so ein Fall.

WASSER VERBRAUCHEN STATT WASSER SPAREN?

Durch einen sinkenden Wasserverbrauch entstehen technische Probleme für die Abwasserindustrie. Die Rohre sind für einen exakt berechneten Durchfluss aus-gelegt. Fließt zu wenig Wasser, kann es zu Ablagerungen und Rückständen kom-men, die kostenintensiv entfernt werden müssen. Dies führt wiederum zu Preis-steigerungen für den Verbraucher. Doch welche Lösungsansätze gibt es, um diese Preisspirale zu durchbrechen? Die Stadt-werke Krefeld entwickeln gerade ein neues Wasserpreis-Modell, durch das die Verbrauchskosten gesenkt werden sollen.

Paradox bleibt: Ist es besser, viel Wasser zu verbrauchen anstatt es zu spa-ren? Dieses Thema wird kontrovers dis-kutiert, auch auf dem BDEW Kongress. Stadtwerke aus ganz Deutschland nutzen die Veranstaltung, um sich auszutau-schen. Zwar besitzt Deutschland ausrei-chend Trinkwasser, ein erhöhter Wasser-verbrauch wäre also grundsätzlich kein Problem. Andererseits geht ein steigender Wasserverbrauch zulasten des Anspruchs,

mit allen Ressourcen nachhaltig umzu-gehen und umfassend Energie zu sparen. Denn Wassererhitzung und -reinigung ha-ben einen hohen Stromverbrauch, große Kläranlagen sind wahre Energiefresser.

ARZNEIMITTELRÜCKSTÄNDE IM ABWASSER

Eine zweite Folge des demografischen Wan-dels ist der erhöhte Konsum von Pharmaka. Unsere alternde Gesellschaft nimmt mehr Medikamente ein – und das über Jahre. Der menschliche Körper kann Arzneimittel nicht abbauen, also werden die Inhalts-

stoffe ausgeschieden und gelangen über das Abwasser zurück in die Umwelt, beispiels-weise Antibiotika und Röntgenkontrast-mittel. Vor ihrer Marktzulassung werden Medikamente zwar auf gesundheitsschäd-liche Nebenwirkungen untersucht, doch mögliche Schäden für die Umwelt werden nicht berücksichtigt. Bekannt sind negative Auswirkungen auf Amphibien und Fische. Teilweise können Arzneimittelrückstände durch Filter in Kläranlagen aus dem Abwas-ser isoliert werden, doch die Verfahren sind teuer und aufwendig, durch diese Filter werden neue Abfallprodukte erzeugt. Was eigentlich der Gesundheit des Menschen

dient, wird so zu einem Problem für einen anderen Patienten: das Abwassersystem. Die Diagnose ist bekannt, doch die Thera-pie noch unklar.

PATIENT ABWASSER JEDES KIND WEISS: WASSER IST WERTVOLL. WIR SPAREN, WO WIR KÖNNEN. DOCH TUN WIR UNS DAMIT WIRKLICH EINEN GEFALLEN? VON ROMY ACKERS UND NICOLA REITER

DIE WAHRHEIT LIEGT NICHT IMMER AUF DEM PLATZ Foto: Anton Knoblach

Romy Ackers21, KölnNicola Reiter18, München

stehen unter Strom, wenn sie sich voller Energie auf einen neu-en Artikel stürzen.

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PRO Gar nicht so einfach, den verteufelten Lob-

byismus zu verteidigen. In der öffentli-chen Meinung sind Lobbyisten die, die mit viel Geld in intransparenten Prozes-sen Politiker zu unmoralischem Han-deln bewegen. Von kleinen Präsenten, stilvollen Empfängen bis hin zu hand-fester Bestechung übt die Lobby einer Interessensgruppe massiven und illega-len Einfluss auf die Politik aus, so die gängigen Vorurteile. Dies erklärt, wieso Lobbyisten in einer Umfrage des Markt-forschungsinstituts market den letzten Platz der angesehensten Berufe belegt. Dennoch braucht es Lobbyisten. Drin-gend. Woher haben Politiker sonst das nötige Fachwissen, um über komplexe Gesetzesvorhaben zu beraten?

Tagtäglich müssen die Volksvertreter über schwierige Themen wie Steuerpolitik, Rentenpakete, Arbeitslosigkeit oder das Ge-lingen der Energiewende entscheiden. Ich behaupte mal, dass Politiker – entgegen üb-licher Polemik – weder blöd noch faul sind. Doch der Tag hat nur 24 Stunden und selbst der intelligenteste Mensch kann nicht in al-len Fachgebieten Spezialist sein. Hier kom-men die Lobbyisten ins Spiel. Sie vertreten einzelne Wirtschaftszweige oder Verbände, machen auf die Probleme ihrer Branche aufmerksam und geben mit ihrem Fach-wissen Vorschläge für Gesetze. Das Exper-tenwissen der Interessenvertreter ist breiter und tiefer als das eines Berufspolitikers.

Natürlich vertreten sie nur eine bestimmte Interessensgruppe und versu-chen, Politiker in ihrem Sinne zu beein-

flussen. Doch das ist völlig legitim. Staats-männer, die ihre Aufgabe ernst nehmen, sprechen schließlich mit Lobbyisten al-ler beteiligten Seiten. Sie wissen: „Gute“ Umweltorganisationen schicken genau-so ihre Interessensvertreter wie „böse“ Atomkraftwerksbetreiber. Würde die Poli-tik nicht Vorschläge von Lobbyisten ver-schiedenster Richtungen und Positionen berücksichtigen, gingen die Gesetze völ-lig an den beteiligten Parteien vorbei. Das kann niemand wollen.

Natürlich ist der Gesetzgeber ver-pflichtet, dem Lobbyismus klare Grenzen zu setzen. Die Rahmenbedingungen müs-sen eindeutig geregelt sein, keine Frage. Wenn dies jedoch sichergestellt wird, ist Lobbyismus für eine funktionierende De-mokratie unabdinglich.

DIE STRIPPENZIEHER HINTER DEN KULISSEN KAUM EINE BERUFSGRUPPE IST SO UMSTRITTEN WIE DIE DER LOBBYISTEN. JANA SCHMIDT UND JOHANNES KOLB NUTZEN DEN BDEW KONGRESS, UM DAS FÜR UND WIDER DIESER BRANCHE ABZUWÄGEN.

Johannes Kolb18, Saarbrücken

steht unter Strom, wenn die Deadline mal wieder vor zwei Stunden war.

DEBATTE

CONTRA Jeder weiß: Ve r b ä n d e ,

Ge werkschaften und Unternehmen üben direkt oder indirekt Einfluss auf Gesetzgebungsverfahren und po-litische Entscheidungen aus, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. So-weit, so gut. Wären nicht vor allem die finanziellen Mittel entscheidend für die Durchsetzungsfähigkeit der Inte-ressen.

Gerechtigkeit sieht anders aus. Gesellschaftliche, soziale oder ökolo-gische Interessengruppen haben mei-stens nicht die gleichen Möglichkeiten, weil Zeit, Geld und Macht unterschied-lich verteilt sind. Industrie- und Wirt-schaftsunternehmen haben den Vorteil, sich mit ihren umfangreichen Geldvor-räten bei den politischen Vertretern schneller Gehör verschaffen zu können. Ihr Einfluss auf die Gesetzgebung ist damit bei Weitem größer als der weni-ger betuchter Gruppen. Das Geld hilft ihnen, ihre eigenen Wünsche besser durchzusetzen. Je erfolgreicher ihnen das gelingt, desto mächtiger werden diese Sektoren und desto einfacher wird es ihnen auch zukünftig, ihre per-sönlichen Vorhaben voranzutreiben.

Das Problem dabei: Diese geld-starken Interessengruppen sind im Ver-hältnis zur Gesamtbevölkerung relativ klein, beeinflussen die Politiker aber unverhältnismäßig stark. Die Stimme der Bevölkerung zählt also im Verhält-nis wenig. Mit Blick auf die Demokratie ein äußerst bedenklicher Umstand!

Dieses Machtungleichgewicht zieht den immer wieder auftretenden Vorwurf der Korruption nach sich. Wo ist die Grenze zu ziehen, wenn die Lobbyistengelder und

-leistungen an Politiker fließen, um deren Entscheidungsfindung zu lenken und zu dirigieren? Wo liegt der Unterschied zur Korruption, die in anderen Ländern ille-gal ist? Die unvermeidbare Konsequenz dieser Grauzone ist der Vertrauensverlust der Gesellschaft in die Politik. Und das ist vielleicht die größte Bedrohung des Lobbyismus. Schon heute beurteilt ein Großteil der Bevölkerung Lobbyarbeit als pietätlos und undemokratisch. Wenn die-ser Umstand nicht schnellstens behoben wird, hat das gravierende Folgen für den Staat und die Regierung: Glaubwürdigkeit und Autorität gehen verloren.

Jana Schmidt21, Berlin

steht unter Strom, wenn sie mal wieder mit ihren Entscheidungsproble-men zu kämpfen hat.

Foto: Anton KnoblachLOBBYISMUS: STRATEGISCH VORGEHEN DANK DES GELDES?

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A ls Veranstaltungszeitung, Magazin, Onlinedienst und Radioprogramm

erreicht das Mediennetzwerk politikoran-ge seine jungen Hörer und Leser. Krieg, Fortschritt, Kongresse, Partei- und Ju-gendmedientage – politikorange berichtet jung und frech zu Schwerpunkten und Veranstaltungen. Junge Autoren zeigen die große und die kleine Politik aus einer frischen, fruchtigen, anderen Perspektive.

POLITIKORANGE – DAS MULTIMEDIUM

politikorange wurde 2002 als Veranstal-tungszeitung ins Leben gerufen. Seit da-mals gehören Kongresse, Festivals und Jugendmedienevents zum Programm. 2004 erschienen die ersten Themenma-gazine: staeffi* und ortschritt*. Während der Jugendmedientage 2005 in Hamburg wurden erstmals Infos rund um die Ver-anstaltung live im Radio ausgestrahlt und eine 60-minütige Sendung produziert.

WIE KOMM’ ICH DA RAN?

Gedruckte Ausgaben werden direkt auf Veranstaltungen, über die Landesver-bände der Jugendpresse Deutschland e.V. und als Beilagen in Tageszeitungen verteilt. In unserem Online-Archiv ste-hen bereits über 50 politikorange-Ausga-ben und unsere Radiosendungen sowie Videobeiträge zum Download bereit. Dort können Ausgaben auch nachbe-stellt werden.

WARUM EIGENTLICH POLITIKORANGE?

In einer Gesellschaft, in der oft über das fehlende Engagement von Jugend-lichen diskutiert wird, begeistern wir für eigenständiges Denken und Han-deln. politikorange informiert über das Engagement anderer und motiviert zur Eigeninitiative. Und politikorange selbst ist Beteiligung – denn politikorange ist frisch, jung und selbstgemacht.

WER MACHT POLITIKORANGE?

Junge Journalisten – sie recherchieren, berichten und kommentieren. Wer neu-gierig und engagiert in Richtung Journa-lismus gehen will, dem stehen hier alle Türen offen. Genauso willkommen sind begeisterte Fotografen und kreative Köpfe fürs Layout. Den Rahmen für Organisa-tion und Vertrieb stellt die Jugendpresse Deutschland. Ständig wechselnde Redak-tionsteams sorgen dafür, dass politikoran-ge immer frisch und fruchtig bleibt. Viele erfahrene Jungjournalisten der Jugend-presse stehen mit Rat und Tat zur Seite.

Wer heiß auf‘s Schreiben, Foto-grafieren, Mitschneiden ist, findet Infos zum Mitmachen und zu aktuellen Ver-anstaltungen im Internet oder schreibt einfach eine E-Mail. Die frischesten Mit-machmöglichkeiten landen dann direkt in Deinem Postfach.

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FRISCH, FRUCHTIG, SELBSTGEPRESST – [email protected]

Diese Ausgabe von politikorange wurde mit einem Medienworkshop vom 22. bis 23. Juni 2014 vom Bundesverband der Energie­ und Wasserwirtschaft e.V. unterstützt und entstand auf dem BDEW Kongress 2014 vom 24. bis 26. Juni 2014 in Berlin.

Herausgeber:politikorange ℅ Jugendpresse Deutschland e.V.Alt­Moabit 89, 10559 Berlinwww.politikorange.de

Chefredaktion (V.i.S.d.P.):Jana Kugoth ([email protected])Dorit Kristine Arndt ([email protected])

Redaktion: Romy Ackers, Johannes Booken, Cora Gebel, Johannes Kolb, Jens Moggert, Nicola Reiter, Jana Schmidt

Onlineredaktion:Isabella Greene, Julian Kugoth, Tasnim Rödder, Nora Zaremba

Bildredaktion: Anton Knoblach ([email protected])

Layout: Maximilian Gens ([email protected])

ProjektleitungTina Leskien ([email protected])Tino Höfert ([email protected])

Betreuung: Tasnim Rödder Druck: BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbHAm Wasserwerk 1110365 Berlin

Auflage: 20 000 Exemplare

Diese Lehrredaktion fand mit freundlicher Unterstützung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW) statt.

IMPRESSUM

Foto: Anton Knoblach

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