politikorange Öffnungszeit

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ÖFFNUNGSZEIT OKTOBER 2014 UNABHÄNGIGES MAGAZIN ZUM 11. JUGENDMEDIENWORKSHOP IM DEUTSCHEN BUNDESTAG HERAUSGEGEBEN VON DER JUGENDPRESSE DEUTSCHLAND E.V.

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Zum 11. Jugendmedienworkshop im Deutschen Bundestag entstand eine 28-seitige politikorange zum Thema Europa.

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Page 1: politikorange Öffnungszeit

ÖFFNUNGSZEIT

OKTOBER 2014 UNABHÄNGIGES MAGAZIN ZUM 11. JUGENDMEDIENWORKSHOP IM DEUTSCHEN BUNDESTAG HERAUSGEGEBEN VON DER JUGENDPRESSE DEUTSCHLAND E.V.

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Foto, Titelfoto: Samuel Grösch

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G eneration Grenzenlos – die heutige Jugend genießt so viele Freiheiten

wie keine Generation vor ihr. Ihr werden Möglichkeiten eröffnet, von denen ihre Großeltern wahrlich nicht zu träumen gewagt hätten. Sie leben in einer Gemein-schaft, die ihnen Frieden und Sicherheit gibt, aber trotzdem Individualität und Freiheit lässt. Ausschlaggebend dafür war unter anderem der Fall der Berliner Mau-er 1989, aber auch das wirtschaftliche und politische Zusammenwachsen vieler europäischer Staaten.

FREIE ENTFALTUNG FÜR MEHR OFFENHEIT

Die neue Grenzenlosigkeit bietet vor allem Arbeitnehmern viele Chancen. Sie sind nicht mehr an ihr Heimatland gebunden, können sich in einem anderen Land ent-falten – als Auswanderer oder Grenzgän-ger. Sie wohnen in einem Land, arbeiten in einem anderen. Ein Umzug ist nicht nötig.

Zusätzlich werden heutigen Stu-denten durch Programme wie Erasmus zahlreiche Möglichkeiten geboten, an der Kultur und Sprache anderer Länder teil-zuhaben. Es werden Weichen gestellt, um Berührungsängste zu überwinden, andere Kulturen besser verstehen zu lernen, auf-geschlossener und offener zu leben. Über die wirtschaftliche Zusammenarbeit hi-naus, dem Grundstein der Europäischen Union, wird so gegenseitiges Verständnis aufgebaut und Frieden gestiftet. Noch nie gab es in der Geschichte Europas eine so lange Zeit ohne Krieg.

NICHT NUR VORTEILE DURCH GRENZENLOSIGKEIT

Trotz aller Vorzüge, die die Europäische Union bringt, gibt es genügend Heraus-forderungen zu meistern. Neben der kul-turellen Vielfalt, die geboten wird, besteht die Gefahr, dass die eigene Kultur zurück-gedrängt wird. Die englische Sprache drängt immer mehr in andere Sprachbe-reiche hinein. Dies führt zu Anglizismen wie „Slogan“ für Werbespruch, „Fake“ für Fälschung oder „Warm-up“ für Auf-wärmen, welche im deutschen Sprachge-brauch fast schon zum Alltag gehören.

Ein weiterer Nachteil der Zusam-menarbeit für einzelne Staaten: Durch ihre Abhängigkeit zu anderen Staaten

müssen Länder auch für die Fehler ihrer Partnereinstehen. So mussten die griechi-schen Schulden letztendlich auch durch die anderen EU-Länder getragen werden. Dabei kann eine gefährliche Situation ent-stehen: EU-Bürger aus "reicheren" Län-dern fühlen sich benachteiligt und ver-lieren ihren Glauben an die EU und ihre Politiker. Ihrer Unzufriedenheit verleihen sie Ausdruck, indem sie sich in Wahlen explizit gegen einen gemeinsamen Euro-pa-Kurs aussprechen und beispielsweise die Alternative für Deutschland oder den französischen Front National wählen. Diese Vermutung legen zumindest die Er-gebnisse der letzten Europawahlen nahe.

Mit dem Wegfall der Grenzen in-nerhalb der EU wurden zudem die Au-ßengrenzen verstärkt, was die aktuelle Flüchtlingsproblematik erkennen lässt. Die europäischen Länder verschließen sich der Zuwanderung von außen und erschweren den Flüchtlingen aus Afrika oder den Kriegsgebieten des Nahen Osten die Einwanderung.

Es ist deutlich, dass die EU seit ihrer Gründung einen enormen Fortschritt, nicht nur im Hinblick auf ihre Größe, zu verzeichnen hat. Dies ist zurückzuführen auf die gute Zusammenarbeit, die Solida-rität zwischen den Ländern und das Tei-len gemeinsamer Werte. Umso wichtiger ist es, sich auch den Herausforderungen der heutigen Zeit zu stellen, um für die Generation Grenzenlos weiterhin ein Zu-hause in Frieden und Sicherheit bieten zu können.

Liebe Leserinnen und Leser,

die Zeit der Öffnung ist angebrochen: Mit dem derzeitigen Nachwuchs junger Medienmacher wächst die erste Genera-tion von Jugendlichen heran, die ein Le-ben ohne die grenzenlose Europäische Union nicht kennt und so viel reist wie keine Generation vor ihr. In der aktu-ellen politischen Diskussion zeigt sich aber auch, welche Rolle territoriale Grenzen noch immer spielen – als Bei-spiel seien nur der Russland- Ukraine-Konflikt oder die Asylpolitik der Euro-päischen Union genannt.

Die Europäische Union hat uns EU-Bürgern Wohlstand, Einheit und die längste Zeit andauernden Friedens gebracht, die wir bisher kennen. Doch wenn es ein Drinnen gibt, gibt es immer auch ein Draußen. Die zweite Seite der Grenzlinie bekommen vor allem Flücht-linge zu spüren.

Beim Jugendmedienworkshop im Deutschen Bundestag 2014 haben sich 30 Teilnehmer eine Woche lang mit dem Thema "Generation Grenzenlos – Welche Chancen eröffnet uns Europa?" auseinandergesetzt. Das Resultat ihrer Fragen, ihrer Diskussionen und ihrer Recherchen ist dieses Magazin, das weit über die Frage nach Chancen hi-nausgeht und auch die negativen Seiten eines geeinten Europa und seiner neuen Möglichkeiten in den Blick nimmt. Fra-gen, die gestellt werden, sind unter an-derem: Welche Gefahren birgt Grenzen-losigkeit? Welche Grenzen der Toleranz gibt es heute? Welchen Sinn haben Grenzen – in Politik, in Wirtschaft, in den Medien? Für unser Denken, für un-sere Identität, für uns als Menschen?

Absolute Grenzenlosigkeit ist eine Utopie, die nie erreicht werden kann. Die Frage, ob sie überhaupt wünschens-wert wäre, bleibt offen. Die Quintessenz unserer Auseinandersetzung mit dem Thema Grenzenlosigkeit ist vielmehr: Selbst wenn uns absolute Grenzenlosig-keit umgäbe, so blieben wir doch im-mer selbst die Grenze. Das ist die größte Grenze, die uns umgibt.

Wir konnten euer Interesse wecken? Dann heißt es jetzt: Öffnungs-zeit! Viel Spaß bei der Lektüre und spannende Einblicke in das Themenfeld Europa wünschen euch

Inka Philipp und Pia Bayer(Chefredaktion)

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprach-formen verzichtet. Sämtliche Personen-bezeichnungen gelten gleichermaßen für beiderlei Geschlecht.

EDITORIAL

INHALT

»offenlegen« Von politischen und etwas anderen Extremen.Seite 12

»offenhalten« Auf der Suche nach einer europäischen Identität. Seite 19

»offenstehen« Über die Grenzen der Europäischen Union. Seite 24

Carmen Herzing 18, Ergolding

... findet, in ihr steckt viel Europa, da es ihr viele Türen öffnet, um ihr Leben freier zu gestalten.

DIE GROSSE HÜRDE DER EU DIE EUROPÄISCHE UNION WÄCHST IMMER STÄRKER ZUSAMMEN UND ERMÖGLICHT GERADE UNSERER GENERATION UNGEAHNTE GRENZENLOSIGKEIT. DIESE BIETET VIELE VORTEILE, BIRGT JEDOCH AUCH ZAHLREICHE HERAUSFORDERUNGEN. VON CARMEN HERZING

DIE EUROPÄISCHE UNION HAT BEREITS VIELE HÜRDEN ÜBERWUNDEN. Foto: Juliane Schwabenbauer

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A chtundzwanzig: Mittlerweile besteht die EU aus 28 Mitgliedstaaten. Zur Gründung waren es sechs. Im Laufe der Geschichte schlossen sich durch

verschiedene Verträge zahlreiche Staaten aus Nord, Ost, Süd und West an.

B rüssel: Das Europäische Parlament...

wandert einmal im Monat zwischen Brüssel und Straßburg. In Brüssel finden kurze Sitzungen und die Ausschussarbeit statt.

C harta der Grundrechte: 1999 wurden alle Grund-rechte für EU-Bürger in einer Charta zusam-mengestellt und festgelegt. Darunter fallen: Die

Würde des Menschen, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Bürgerrechte und justizielle Rechte.

D rei-Prozent-Hürde: Für die Europawahlen wur-de die Drei-Prozent-Hürde abgeschafft. Somit können jetzt auch sehr kleine Parteien ins Par-

lament einziehen. Im Deutschen Bundestag dagegen besteht nach wie vor die Fünf-Prozent-Hürde.

E uropäischer Rat: Der Europäische Rat setzt sich aus den Staats- und Regierungschefs der einzel-nen Mitgliedstaaten zusammen. Zu seinen Auf-

gaben gehört es, Impulse zu geben sowie politische Zielvorstellungen und Prioritäten festzulegen. Erst 2009 wurde der Europäische Rat durch den Vertrag von Lissa-bon zum EU-Organ.

F reihandelsabkommen: Die EU möchte mit den USA ein Freihandelsabkommen (TTIP, Transat-lantic Trade and Investment Partnership) schlie-

ßen, was bereits für zahlreiche Schlagzeilen und De-monstrationen gesorgt hat. Verantwortlich dafür sind vor allem die geheimen Verhandlungen und die Beden-ken um Verbraucherschutz, Investorenschutz und Bür-gerrechte.

G erichtshof: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sorgt dafür, dass sich alle Mitglieder an die ver-einbarten Rechte der EU halten. Ist dies nicht der

Fall, kann das EuGH ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Zusammengesetzt ist der EuGH aus je einem Richter pro Mitgliedsstaat und derzeit neun Generalan-wälten. Der Sitz befindet sich in Luxemburg.

H ymne: Die Europahymne ist eine Instru-mentalfassung der „Ode an die Freude“, die im Jahr 1985 eingeführt wurde. Sie

wird zu besonderen Anlässen gespielt und soll die europäischen Werte wie Freiheit, Frieden und Solidarität zum Ausdruck bringen.

I nitiativrecht: Nur die EU-Kommission ist dazu be-rechtigt Gesetzesvorschläge einzubringen. Somit müssen die eigentlichen Gesetzgeber, Parlament und

Ministerrat, erst die Kommission dazu bringen, einen Gesetzesvorschlag einzureichen, bevor ein neues Gesetz entstehen kann.

J ahre: Es gibt unterschiedlich lange Amtszeiten. Im EuGH werden die Richter für jeweils sechs Jahre er-nannt. Der Kommissionspräsident wird alle fünf Jahre

neu gewählt. Ebenso das Parlament, das direkt von der Be-völkerung gewählt wird. Der Präsident des Parlaments ist jeweils zweieinhalb Jahre im Amt. Und der Präsident des Rats der EU wechselt halbjährig.

K ommission: Die Europäische Kommission gilt als Kontrollinstanz der EU. Zu ihren hauptsäch-lichen Aufgaben gehören Treffen mit Lobbyisten,

um Verbesserungs- oder Änderungsideen für neue Geset-zesvorschläge zu erarbeiten. Denn nur die Kommission ist dazu berechtigt. Zu den Mitgliedern der Kommissi-on gehören ein Präsident, der vom Rat der EU und dem Parlament gewählt wird, und je ein Kommissar pro Mit-gliedstaat, denen der Präsident dann Aufgabenbereiche zuteilt.

L issabon: Der Vertrag von Lis-sabon, der 2009 in Kraft getreten ist, ist eine Er-

weiterung zu vorherigen Verträgen der EU. In ihm sind alle Regeln, Richt-linien und Vorschriften der EU festgelegt. Man findet hier also z.B. Auf-nahmekriterien, Regelungen eines Ausstiegs und zur Beteiligung nationaler Parlamente.

M inisterrat: Der Ministerrat, auch Rat der EU genannt, besteht aus je einem Minister pro Mitgliedstaat. Je nach Fachgebiet treffen die

zuständigen Minister aufeinander, sodass es insgesamt zehn verschiedene Ratsformationen gibt (beispielsweise Umwelt oder Wirtschaft und Finanzen). Gemeinsam mit dem Parlament ist der Ministerrat für die Gesetzgebung zuständig.

N izza: Der Vertrag von Nizza trat 2003 in Kraft und war somit der Vorläufer des Vertrags von Lissabon. Mit ihm wurden in vielen Bereichen

Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit statt mit Einstim-migkeit zur Regel.

O rgane: Oft bezeichnet man die EU-Institutionen (EZB, EuGH, Europäisches Parlament, Rat der EU, Europäischer Rat) auch als EU-Organe. Denn

so wie unser Körper nicht ohne Organe leben kann, kann auch die EU ohne ihre Institutionen nicht funktionieren.

P arlament: Das Europäische Parlament ist neben dem Rat der EU für die Gesetzgebung zuständig. Wie auch im Deutschen Bundestag schließen sich

die Abgeordneten zu Fraktionen zusammen.

Q ualifizierte Mehrheit: Eine qualifizierte Mehr-heit im Ministerrat ist erreicht, wenn neben dem festgelegten prozentualen Anteil an abge-

gebenen Stimmen bei Abstimmungen noch eine zusätz-liche Bestimmung erfüllt wird. So müssen auf besonde-ren Antrag eines Mitglieds durch die abgegeben Stimmen beispielsweise mehr als 62% der EU-Bevölkerung reprä-sentiert sein.

R ettungsschirm: Unter dem Eurorettungsschirm versteht man alle Maßnahmen, die zur Stabili-sierung des Euros notwendig sind. Ein gutes Bei-

spiel dafür ist die „Griechenland-Hilfe“.

S chengen: Das Schengener Abkommen führte zur Abschaffung von Grenzkontrollen. Dadurch konnte zum einen der europäische Binnenmarkt profitieren,

da Zollkontrollen wegfielen, zum anderen bietet der durch das Schengener Abkommen geschaffene freie Personen- und Warenverkehr auch zahlreiche Vorteile für jeden einzelnen Bürger: Da es keine Personenkontrollen mehr gibt, kann man seine Freizügigkeit als EU-Bürger seither besser nutzen.

T rio-Präsidentschaft: Da der Präsident im Rat der EU immer nur für ein halbes Jahr gewählt wird, ent-steht eine große Unregelmäßigkeit. Der Präsident

kann innerhalb dieser kurzen Zeit nicht viel erreichen. Deshalb gibt es seit 2007 die Trio-Präsidentschaft. Dem-nach sollen jeweils drei Mitgliedsstaaten, die die näch-sten Präsidenten stellen, gemeinsame Leitlinien und Zielvorstellungen vereinbaren.

U nion: Das Wort Union kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Einheit oder Vereinigung. Mit der Eu-ropäischen Union wird der Zusammenschluss von

derzeit 28 europäischen Staaten bezeichnet.

V ertragsverletzungsverfahren: Ein Vertragsverlet-zungsverfahren ist die letzte Möglichkeit, die der EuGH bei Regelverstößen anwenden kann. Al-

lerdings kommen solche Verfahren nur äußerst selten zustande. Als Beispiel für eines der wenigen Vertrags-verletzungsverfahren gilt der Streit mit dem Automo-bilunternehmen Mercedes, das sich seit 2007 nicht an eine EU-Vorschrift zur Verwendung von Kältemittelnfür Klimaanlagen hält.

W ährung: Die Einfüh-rung des Euros im Jahr 2002 führte zu einer ge-

meinsamen Währung innerhalb der EU. Es gibt auch Länder wie Großbritannien oder Dänemark, die ihre eigene Währung lieber wei-ter beibehalten wollen. Neue EU-Mitglieder, die die Krite-rien zur Aufnahme in die Eurozone erfüllen, müssen den Euro allerdings mittlerweile einführen.

Z entralbank: Die Europäische Zentralbank (EZB) trifft die wichtigsten Entscheidungen der Geld-politik im EU-Raum. Zu ihren Aufgaben gehören

unter anderem die Sicherung der Preisstabilität und die Entscheidungen über Geldumlauf und Zinssätze. Der Sitz der EZB befindet sich in Frankfurt am Main.

DAS EU-ABC WER IST FÜR WAS ZUSTÄNDIG? WEN KÖNNEN WIR WÄHLEN? WAS FUNKTIONIERT WIE? WER TRÄGT VERANTWORTUNG? AUF ALL DIESE FRAGEN GIBT DAS EU-ABC EINE ANTWORT UND LIEFERT WICHTIGE FAKTEN AUF EINEN BLICK. VON LUISE SCHERP

Luise Scherp17, Bad Sooden-Allendorf

... genießt die Vorteile eines geeinten Europas in vollen Zügen. Sie liebt es viel zu reisen, neue Erfahrungen zu machen und sich frei zu entfalten.

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FRUCHTFLEISCH Wie viel Europa steckt in dir?

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1 80 Millionen Euro an Steuergeldern. Dieses Geld könnten wir viel besser

in Infrastruktur oder Bildung investieren“, echauffiert sich Volker Weber. „Das ist doch eine Riesen-Schweinerei, finden Sie nicht?“, zetert der Mann mit den schwar-zen Lederschuhen und der blauen Krawat-te weiter. Herrmann schaut in den Rück-spiegel, schnauft tief durch, nickt und denkt: „Und das kurz hinter Brüssel...“

Herrmann ist 43 Jahre alt, wohnt in der Nähe von Aachen – ganz nah an der deutsch-belgischen und auch an der deutsch-französischen Grenze – und war mal Taxifahrer. Heute bietet Herrmann seine Fahrdienste für das Europäische Parlament an. Das Parlament hat zwei Dienstsitze. Einmal im Monat fahren die Abgeordneten zwischen Brüssel und Straßburg hin und her. Herrmann ist für einen Abgeordneten aus seinem Wahl-kreis zuständig.

Gerade fahren die beiden Männer an Thionville vorbei. „Frankreich, das ist das Stichwort“, denkt Herrmann und tatsäch-lich – schon geht es weiter. „Regelmäßig verwehren sich die Franzosen vehement dagegen, Straßburg als Parlamentssitz aufzugeben“, raunzt Weber und lockert den Krawattenknoten. „Für die Franzo-sen ist das Parlament in Straßburg natür-lich ein Wirtschaftsfaktor, das verstehe

ich schon. Aber es kann ja nicht nur um die Interessen von einem einzigen Land gehen...“, wettert der Abgeordnete und schaut aus dem Fenster. Herrmann nickt und schaut auf die Uhr. „Und das obwohl in Straßburg nur ungefähr fünfzig Tage im Jahr Sitzungen stattfinden. Stellen Sie sich das einmal vor: An den anderen Ta-gen steht das Gebäude dort leer.“ Kopf-schütteln beim Abgeordneten, ein zustim-mendes Nicken von Herrmann.

„Das Europäische Parlament hat ja sogar letztes Jahr darüber abgestimmt, das Parlament an nur einen Ort zu ver-

legen. 483 von uns waren dafür und nur 141 waren dagegen. Aber wissen Sie

– diese Wahl war nur so eindeutig, weil in der Fragestellung nicht benannt war, welcher Sitzungsort es denn nun werden soll.“ Herrmann nickt. Und schnauft.

„Wenn wir wenigstens zwischen Brüssel und Nizza oder Brüssel und Mo-naco hin und her pendeln müssten, hätte das ja immerhin noch etwas Gutes! Das Wetter! Aber so...“ Der Abgeordnete fährt sich durch die graumelierten Haare und holt ein Salami-Sandwich aus seiner Ledertasche, das er gierig verschlingt.

Herrmann atmet tief durch – und nickt. „Warum nicken Sie eigentlich immer nur? Herrmann! Haben Sie dazu denn gar kei-ne Meinung?“, fragt Weber mit vollem Mund. Herrmann grinst. „Doch schon. Ich persönlich finde das gar nicht so schlimm“, murmelt der Fahrer. Der Ab-geordnete schüttelt den Kopf. Herrmann biegt ab. „Ich fahre Sie einmal im Monat von Brüssel nach Straßburg und zurück. Zwischendrin fahre ich Ihre Kollegen aus dem Deutschen Bundestag noch ein biss-chen zwischen Berlin und Bonn hin und her. Das wird so gut bezahlt... Den Rest des Monats bin ich zu Hause und genieße meine Freizeit.“

EIN PARLAMENT AUF ACHSE REISEN KOSTET GELD UND NERVEN. WENN EIN GANZES PARLAMENT VERREIST, KOSTET DAS VIEL GELD UND VIELE NERVEN. EINE KLEINE FIKTIVE GESCHICHTE VOM PENDELN. EINE GLOSSE VON MARVIN KUTZ

Marvin Kutz20, Rösrath

... studiert in Weimar, pendelt regelmäßig von Thüringen nach NRW und findet das gar nicht schlimm.

MEINUNG

Straßburg-Woche Plenarsitzungen

STRASSBURGSitz des Europäischen Parlaments

BRÜSSELSitz der Europäischen Kommission

AusschusssitzungenAm Wochenende

zu Hause

BRÜSSEL, STRASSBURG UND ZURÜCK - DAS LEBEN EINES MDEP Grafik: Maximilian Gens

WOLFGANG GEHRCKE, 71 JAHRE MDB, FRAKTION DIE LINKE

ICH BIN WELTBÜRGER UND DAHER NICHT BESCHRÄNKT AUF EUROPA.

»KOSMOPOLIT«

THOMAS KRÜGER, 55 JAHRE PRÄSIDENT DER BPB

ZU WENIG, WEIL ICH ZU WENIG SPRACHEN KANN, UND VIEL, WEIL ICH EINE TIERISCHE

SEHNSUCHT NACH ALLEN MÖGLICHEN ORTEN HABE UND JEDES EUROPÄISCHE

LAND KENNENLERNEN MÖCHTE.

»SEHNSUCHT«

PROF. DR. JOHANNA WANKA, 63 JAHRE MINISTERIN FÜR BILDUNG & FORSCHUNG

ICH BIN ÜBERZEUGTE EUROPÄERIN UND ENGAGIERT DAFÜR, DASS WIR DEN FOR-SCHUNGS- UND WISSENSCHAFTSRAUM

EUROPA WEITER STÄRKEN.

»ÜBERZEUGUNG«

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Foto: Samuel Grösch

ZUR PERSON

Edelgard Bulmahn (SPD) war von 1998 bis 2005 Bundesministerin für Bil-dung und Forschung und wirkte so unter anderem an der Bologna-Reform mit. Anschließend war sie Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie und Mitglied des Auswärtigen Aus-schusses im Deutschen Bundestag und seit 2013 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.

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FRAU BULMAHN, SIE HABEN DIE SCHIRM-HERRSCHAFT FÜR DEN JUGENDMEDIEN-WORKSHOP IM DEUTSCHEN BUNDESTAG 2014 ÜBERNOMMEN. WAS WAR DER AN-REIZ FÜR SIE, DIESE AUFGABE ZU ÜBER-NEHMEN?

Die Schirmherrschaft habe ich mit großer Freude über-nommen, weil ich davon überzeugt bin, dass es für un-sere Demokratie gut ist, wenn wir mehr und auch besser über die Arbeit des Deutschen Bundestages berichten und informieren. Der Jugendmedienworkshop soll ange-henden jungen Journalisten die Möglichkeit geben, mehr über die parlamentarische Arbeit und die Berichterstat-tung über das Parlament zu erfahren und zu erleben. Deshalb lohnt es, sich für dieses Anliegen zu engagieren.

DAS MOTTO DES DIESJÄHRIGEN JUGEND-MEDIENWORKSHOPS IM DEUTSCHEN BUNDESTAG IST „GENERATION GRENZEN-LOS“. WARUM FINDEN SIE DIESES THEMA WICHTIG?

Wir haben in den letzten Jahrzehnten eine sehr starke Veränderung erlebt. Die Europäische Union ist inzwi-schen nicht mehr nur eine politische Organisation, Eu-ropa wächst auch in kultureller und sozialer Hinsicht zusammen. Für die Menschen ist es mittlerweile selbst-verständlich, innerhalb Europas zwischen den Ländern zu pendeln und zu studieren, einen Teil der Ausbildung in einem anderen Land zu machen und zu reisen. Das war vor dreißig oder vierzig Jahren noch viel ungewöhn-licher, in den osteuropäischen Ländern sogar unmöglich. Deshalb muss man auch thematisieren, wo es noch Bar-rieren zwischen Ländern und zwischen Gesellschaften gibt, wo wir vielleicht immer noch unterschiedliche Sichtweisen haben, unterschiedliche Perspektiven, und wie wir dieses gemeinsame Europa, das nicht nur ein Wirtschaftsraum sein soll, sondern gelebt werden soll, stärken können.

SIE HABEN VIELE CHANCEN FÜR DIE „GENERATION GRENZENLOS“ GENANNT: SEHEN SIE AUCH RISIKEN IN DIESER FREI-ZÜGIGKEIT?

Ich sehe schon Risiken, weil es zurzeit in vielen Län-dern Gruppen gibt, die eine Renationalisierung wollen. Wir haben in Frankreich, Großbritannien und auch in Deutschland sowie vielen anderen Ländern starke na-tionalistische Gruppen und Parteien, die sich nicht nur auf eine deutlich stärkere Eigenständigkeit der National-staaten beziehen, sondern sondern sich auch aus einem

gemeinsamen Europa verabschieden wollen. In Deutsch-land zum Beispiel die AfD, die den Austritt aus der eu-ropäischen Währungsunion fordert und die im Grunde genommen eine Politik vertritt, die nationalistisch ist. Das macht mir große Sorgen. Deshalb ist es wichtig, engagierte und überzeugte Europäer zu haben, die sich für Europa und die Überwindung von realen, aber auch mentalen Grenzen in den Köpfen einsetzen.

SIE WAREN SELBST VON 1998 BIS 2005 BILDUNGSMINISTERIN. IST IHRER MEI-NUNG NACH DIE BILDUNG IN EUROPA GRENZENLOS?

Ich glaube, dass sie immer noch nicht völlig grenzenlos ist. Die Zahl der Jugendlichen, die inzwischen im Laufe ihres Studiums einen Teil dieses Studiums im Ausland verbringen, ist zwar erheblich gestiegen, genauso wie der Anteil ausländischer Studierender in Deutschland. Hier gibt es also spürbare Fortschritte. In der beruflichen Bildung dagegen läuft es nur langsam an. In diesem Be-reich einen Teil der Ausbildung in einem anderen Land zu absolvieren, ist immer noch ungewöhnlich. Da muss noch mehr geschehen, da muss der Austausch weiter un-terstützt und gestärkt werden.

ZIEL DES BOLOGNA-PROZESSES WAR ES, DIE MOBILITÄT ZU VERBESSERN. FINDEN SIE, DASS DIESES ZIEL SCHON ERREICHT IST?

Ich habe ja bereits gesagt, dass die Mobilität deutlich verbessert worden ist. Inzwischen haben 40 % der Ma-ster-Absolventen in Deutschland einen Teil ihres Studi-ums im Ausland verbracht. Im Übrigen ist es manchmal schwieriger innerhalb Deutschlands von einer Universi-tät zur anderen zu wechseln als zu einer französischen oder einer norwegischen oder schwedischen Universität. Hier müssen sich vor allem die Hochschulen selbst fra-gen, was sie tun können, weil es keine politischen Rah-menbedingungen sind, die die Mobilität behindern.

GLAUBEN SIE, DASS DIESER MOBILITÄTS-PROZESS AUCH RISIKEN BERGEN KANN?

Ich glaube nicht, dass der Mobilitätsprozess Risiken birgt. Er wird nur dann Risiken geben, wenn er einseitig ist. Das lässt sich von den deutschen Hochschulen aber nicht sagen. Wir haben sehr viele junge Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen und auch viele jun-ge Menschen, die in andere Länder gehen. Man könnte aber noch Anreize bieten, dass Jugendliche nicht nur in den USA, Frankreich oder Italien studieren, sondern sich auch einmal für ein osteuropäisches Land entscheiden.

2009 WURDE IM BOLOGNA-NACHFOL-GEKONGRESS IM BELGISCHEN LEUVEN BESCHLOSSEN, DASS SICH DIE INTERNA-TIONALE ZUSAMMENARBEIT DER HOCH-SCHULEN NOCH WEITER ENTWICKELN SOLL. GIBT ES KONKRETE MASSNAHMEN, DIE ERGRIFFEN WERDEN, UM DIESES ZIEL ZU ERREICHEN?

Wir haben auf der einen Seite das große europäische For-schungsprogramm, über das die Forschungskooperation zwischen Hochschulen bzw. Wissenschaftlergruppen in-nerhalb Europas über Ländergrenzen hinweg gefördert wird. Dann gibt es auf der anderen Seite zum Beispiel auch Erasmus, ein Programm, über das der Studieren-denaustausch innerhalb von Europa gefördert wird. Viele Hochschulen nehmen an diesem Programm teil, was ich für gut halte. Erasmus fördert im Übrigen nicht nur den Studierendenaustausch, sondern auch die Zu-sammenarbeit zwischen den Hochschulen.

BIS 2020 SOLLEN, WENN MÖGLICH, 20 PROZENT ALLER GRADUIERTEN EINEN AUSLANDSAUFENTHALT ABSOLVIERT HA-BEN. GIBT ES HIER GRENZEN, AUF DIE DIE STUDIERENDEN BEI SOLCH EINEM VORHA-BEN STOSSEN KÖNNTEN?

Von den politischen Rahmenbedingungen her gibt es keine Grenzen. Früher war es so, dass die finanziellen Verhältnisse der Familien oft ein Problem darstellten. Wenn die Eltern kein höheres Einkommen hatten, war es schwierig, einen Auslandsaufenthalt der Kinder zu finanzieren. Für wohlhabende Familien war das nie ein Problem, für die anderen jedoch schon. Deshalb habe ich als Bundesministerin damals das BAföG entspre-chend verändert. Das ist auch notwendig, weil wir, so finde ich, dafür Sorge tragen müssen, dass eine solche Möglichkeit nicht von der finanziellen Situation der Fa-milien abhängt.

»BILDUNG IST IMMER NOCH NICHT VÖLLIG GRENZENLOS. «

WAS WIRKLICH GUT IST, SOLLTE ALLEN ERMÖGLICHT WERDENEDELGARD BULMAHN IST SCHIRMHERRIN DES 11. JUGENDMEDIENWORKSHOP IM DEUTSCHEN BUNDESTAG. MIT ROBERT FISCHBACH SPRACH SIE ÜBER GRENZENLOSIGKEIT UND MOBILITÄT IN DER BILDUNG.

Robert Fischbach16, Stein-Neukirch

... sieht es als große Verantwortung an, die einzigartige Errungenschaft Europa zu bewahren.

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I n Europa wird Freizügigkeit groß ge-schrieben. Schengener Abkommen

und Euroraum – der mobile Arbeitsmarkt zieht Umzüge ganzer Familien inklusive Kinder jeden Alters nach sich. Mit dem Bologna-Prozess wurde inzwischen die Vergleichbarkeit der Hochschulabschlüs-se verbessert. Doch bei den Schulen gibt es immer noch große Unterschiede zwi-schen den Schulsystemen: So gehen die Schüler in Nordirland bis zur 11. Klasse auf Gesamtschulen, in Litauen jedoch werden sie schon vor der ersten Klasse auf drei unterschiedliche Schultypen auf-geteilt. Die Pflichtschuljahre reichen von acht in Ländern wie Italien, Kroatien und Polen bis 13 in den Niederlanden. Das Einschulungsalter liegt in Nordirland bei vier Jahren, in Schweden, Estland oder Litauen dagegen bei sieben Jahren.

Diese Pluralität erschwert den in-ternationalen Schulwechsel genauso wie einjährige Auslandsaufenthalte: Schlech-te Noten, Klassenwiederholungen und Unsicherheiten können negative Folgen solcher Austausche sein. „Ich habe die 10. Klasse in Frankreich verbracht und bin danach in Deutschland direkt in die elfte Klasse gegangen. In der Oberstufe habe ich mich selbst sehr unter Druck gesetzt, weil ich keine mittlere Reife und somit keine Absicherung hatte“, berichtet die 19-jährige Maria, Studentin der Interna-tionalen Beziehungen.

BOLOGNA FÜR SCHULEN:SINN ODER IRRSINN?

Eine Lösung böte ein einheitliches eu-ropäisches Schulsystem. Auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Saskia Esken, die Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-zung ist, findet dies aufgrund der zu-nehmenden Mobilität innerhalb Europas sinnvoll. Dies sei notwendig, um die Bil-dungsstandards einiger europäischer Län-der zu verbessern. Ganz anderer Meinung ist dagegen der Oberstudiendirektor des John-Lennon-Gymnasiums in Berlin, Dr. Jochen Pfeifer: Er erachtet eine Verein-heitlichung des europäischen Schulsys-tems als sinnlos, da die Bedingungen sehr unterschiedlich seien. Seiner Ansicht nach sollten lediglich vergleichbare Ab-schlussstandards gelten.

Ein Argument gegen eine Vereinheit-lichung europäischer Schularten besteht für Pfeifer darin, dass er das leistungsdif-ferenzierte deutsche Schulsystem denen der anderen Länder vorzieht. Seiner Mei-nung nach hat sich die Aufteilung nach

Leistung bewährt. Esken hingegen prä-feriert Gemeinschaftsschulen und würde daher das deutsche mehrgliedrige Schul-system sehr gerne überwinden. Solche Gesamtschulen bieten allgemein viele Vorteile, findet Esken: Starke Schüler könnten schwächeren Mitschülern Sach-verhalte verständlich erklären und profi-tierten gleichzeitig durch die Vertiefung des Schulstoffs.

EUROPASCHULEN – EIN ERSTER LÖSUNGSANSATZ?

Für ein europäisches Schulsystem sieht Esken jedoch derzeit keine Möglichkeiten, weil einzelne Länder sehr großen Wert auf Selbstständigkeit legen. In diesem Punkt stimmt ihr auch Dr. Stefan Kauf-mann, CDU-Abgeordneter und Obmann im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung im Deut-schen Bundestag, zu. Schule ist seiner Meinung nach eng mit Identität und Her-kunft verknüpft. Er weist außerdem auf die verschiedenen Schulsysteme hin, die selbst innerhalb Deutschlands auf Grund der Länderhoheit bestehen. „Wenn dies nicht einmal innerhalb eines Landes zu überwinden ist, gestaltet sich so ein Vor-haben in ganz Europa noch schwieriger", so Kaufmann.

Einen ersten Lösungsansatz stel-len Europaschulen dar. „Europa in Ein-heit und Vielfalt“ ist ihre Vision. Allein in Deutschland gibt es 500 dieser Bil-dungsstätten und noch mehr in ganz Eu-ropa – zusammen bilden sie ein großes Netzwerk. Die Idee ist es, europäische Bildungsstandards anzuregen und in Sprache zu investieren. Die Schüler pro-fitieren davon in vielfacher Weise, zum Beispiel durch erweiterten Unterricht in Fremdsprachen, EU-Austausche, Wettbe-werbe und Projekte. Außerdem ist es Ziel der Europaschulen, die Orientierungsfä-higkeit für Studium, Berufsbildung und Arbeitsleben im europäischen Raum zu steigern. Europäische Gedanken weiter-tragen – das ist die Devise der Europa-schulen.

Sandra Schaftner18, Landshut

... fühlt sich umso mehr als Europäerin, je weiter sie von Europa weg reist.

ARBEITSAUFTRAG: GRUPPENARBEIT? GRUNDSCHULE IN SPANIEN, ACHTE KLASSE IN POLEN UND EIN DEUTSCHES ABITUR – UND DAS OHNE EINE KLASSE WIEDERHOLEN ZU MÜSSEN? DAS SCHEINT BISHER SCHWER MÖGLICH. MIT EINEM GEMEINSAMEN EUROPÄISCHEN SCHULSYSTEM WÄRE ES VORSTELLBAR. VON SANDRA SCHAFTNER

WAS KOMMT IN GANZ EUROPA AUF DIE TAFEL? Foto: Michael Rimkus / jugendfotos.de

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FRUCHTFLEISCH Wie viel Europa steckt in dir?

tigung, sondern auch auf eine gute beruf-liche Laufbahn.

Im Januar 2014 wurden unter-schiedliche Programme des lebenslangen Lernens zu „Erasmus+“ zusammenge-fasst. Das Budget ist um vierzig Prozent gestiegen. So erwartet die Bundesbil-dungsministerin Prof. Dr. Johanna Wan-ka (CDU) eine erhebliche Steigerung der Stipendiaten. „Ich bin sehr froh darüber, dass bereits jetzt ein Drittel der Bache-lorstudenten ins Ausland gehen. In den USA verlassen nur zehn Prozent der Stu-denten ihr Land. Mitgliedsstaaten der EU wie Irland und die Niederlande haben sich vorgenommen, zumindest zwanzig Prozent der Studenten für einen Ausland-

saufenthalt zu begeistern.“ Grund für die gute Annahme in Deutschland sieht die Bundesministerin in den neuen Studienst-rukturen wie auch im Erasmus-Programm selbst.

BACHELOR IST NICHT GLEICH BACHELOR

Doch trotz Bologna-Prozess stoßen die Studenten auf Schwierigkeiten: Die Ver-gleichbarkeit der Studiengänge ist nicht immer gegeben. „Man muss für den Ba-chelor in unterschiedlichen Ländern nicht zwangsweise die gleiche Leistung erbrin-gen“, berichtet die auslandserfahrene

Lioba Müller18, Mönchengladbach... nimmt Europa immer mehr in ihr Leben auf. Je fremder die Sprachen und je vielfältiger die Kultur, desto mehr.

Elena aus Mailand„Erasmus bedeutet eine tiefe Ausbildung nicht nur in meinem Fachgebiet, sondern auch im Leben, weil ich durch diese Erfah-rung gewachsen bin. Ich hab auch entdeckt, dass das Herz von allen Menschen gleich ist, deswegen habe ich echte Freunde gefunden.“

Giulia aus Mailand„Es ist schön zu bemerken, dass ich jetzt zwei Länder als meine Heimat bzw. mein Zuhause betrachten kann.“

Bernadette aus Freiburg„Es war für mich vom Beginn des Studiums klar, dass ich bei der ersten Gelegenheit ins Ausland abdampfen würde. Mit 24 Jahren als Assistenz-ärztin rumzulaufen, schiene mir doch eine leichte Überforderung.“

Maria Chiara aus Bozen„Am Anfang ging es um Sprachen, Leute und Karri-erechancen. Später hat es bedeutet, auch besser zu verstehen, wie ähnlich eigentlich unsere Kulturen sind, wie wir Europäer eigentlich ein großes einziges Volk sind, das auch sehr unterschiedlich ist, aber im Prinzip tendenziell einig in Ursprung und Tradition.“

GRENZ-(ENLOSE) ERFAHRUNG ERASMUS: DAUERPARTY ODER KULTURAUSTAUSCH? WAS BRINGT DAS AUSTAUSCHSEMESTER STUDENTEN UND WOVON PROFITIEREN DIE LÄNDER? UM DAS VERMEINTLICHE PARTYSEMESTER RANKEN SICH NOCH IMMER VIELE GERÜCHTE. VON LIOBA MÜLLER

F remde Sprache, andere Kultur, un-terschiedliche Strukturen. Mit diesen

Dingen kämpfen und be schäftigen sich jährlich etwa 250 000 Erasmus-Studenten, Tendenz steigend. Ziel des Programms ist es, Studenten ein internationales Studi-um zu ermöglichen und so die Mobilität und transnationale Zusammenarbeit zu stärken. Haben die Studenten die kultu-rellen Schwierigkeiten gemeistert, ste-hen ihnen die Türen der Unternehmen offener. Durch die großen Herausforde-rungen in einem fremden Land werden die Studenten flexibler, selbstständiger und mutiger, Neues zu wagen. „Dies sind genau die Soft Skills, die Arbeitgeber schätzen“, weiß Dr. Dietmar Buchmann, Erasmus-Hochschulkoordinator. Auch Kerstin Griese (SPD), Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales, ist überzeugt: „Erasmus fördert das Lernen, ermöglicht europäischen Er-folg und erweitert Horizonte sowohl bei den Studenten als auch bei den Partnern im Ausland.“

ERASMUS ALS GARANTIE FÜR BESCHÄFTIGUNG

Laut einer Studie der Europäischen Kom-mission von September 2014 sinkt die Wahrscheinlichkeit, über einen längeren Zeitraum arbeitslos zu sein, mit einem Auslandsaufenthalt im Lebenslauf um die Hälfte. Bessere Chancen haben die Erasmus-Studenten nicht nur auf Beschäf-

Studentin Laila Lukas von der Humboldt Universität Berlin. Auch Dr. Stephan Kaufmann, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzung bestätigt: „Über die Fächer mit Staatsexamen müssen wir in Deutschland auf jeden Fall noch mal nachdenken. Bei Fächern wie Jura wird es sehr schwierig.“

Das Programm bietet vielseitige Chancen. Doch nicht nur Sozialkompe-tenz und Karrierechancen des Einzelnen erhöhen sich durch Austauschprogramme wie Erasmus. Sie vernetzen Europa auch durch freundschaftliche Beziehungen, so-gar im ganz Persönlichen: Ein Drittel der Erasmus-Studenten liebt international. Die Europäische Kommission schätzt, dass seit 1987 bereits eine Million Eras-mus-Babys geboren wurden. „Etwas Bes-seres kann uns doch nicht passieren“, kommentiert der SPD-Abgeordnete Dr. Karamba Diaby mit einem Augenzwin-kern.

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JURGA MOZURAIDYTE, 15 JAHRE AUS BERLIN

ICH KOMME AUS LITAUEN. JEDER EUROPÄER IST ÜBERALL WILLKOMMEN.

DAS IST MIR WICHTIG.

»WILLKOMMENSKULTUR«

FELIX ZOBERST, 18 JAHRE AUS KARLSRUHE

HERKUNFT, FREUNDE, KONSUM UND DIE SPRACHEN, DIE ICH SPRECHE. DOCH

AUCH ANDERE TEILE DER WELT HABEN EINFLUSS AUF MEIN LEBEN.

»MEIN LEBEN«

MELISSA ECKERLE, 23 JAHREAUS KARLSRUHE

GRENZENLOSES REISEN IST MIR WICHTIG. IN EUROPA GIBT ES SO VIELE SCHÖNE ZIELE, DIE

EINFACH ZU ERREICHEN SIND.“

»REISEN«

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„Seht nur, ein Volk sind sie und eine Sprache haben

sie alle. […] Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vor-nehmen.“ Das steht in der Bibel über die Babylonier, die einen Turm in den Him-mel bauen wollen. Es soll uns sagen: Für den Erfolg ist eines unverzichtbar – ge-lungene Kommunikation. Ist dafür nicht eine gemeinsame Sprache bestens geeig-net?

Diskutieren EU-Parlamentarier mit-einander, so sind sie meist auf die Hil-fe von Dolmetschern angewiesen, um sich miteinander zu verständigen. Die-se Sprachbarriere lässt keinen direkten Austausch der Beteiligten zu und muss dringend abgebaut werden. Das Über-setzen der zwei Millionen Dokumente in die Nationalsprachen kostet Geld, das eigentlich für andere Zwecke verwendet werden könnte. 2012 beklagte sich der französische Politikjournalist Jean Qua-tremer zu Recht über Ungerechtigkeiten in den Veröffentlichungszeiten: So wer-den Informationen zunächst in Englisch und erst einige Stunden später in weite-ren Sprachen publiziert. Das ist eine kla-re Benachteiligung der Amtssprachen an-derer Staaten. Eine Lingua Franca kann diese Probleme aus dem Weg räumen.

Englisch bietet sich als offizielle „europäische“ Sprache besonders an. Laut Eurostat lernen 94 Prozent der euro-päischen Bevölkerung in den weiterfüh-renden Schulen Englisch. es ist auch die Sprache, die sich in den letzten Jahren rasant zur Weltsprache entwickelt hat. Außerdem sind es junge Europäer wie zum Beispiel der Vertreter der Jungen

Europäischen Föderalisten, Florian Po-dewski, bereits gewohnt, auf Englisch zu kommunizieren. Seiner Meinung nach haben viele kein großes Problem damit, Fremdsprachen zu sprechen.

Verfechter der Sprachenvielfalt behaupten oft, dass eine Lingua Fran-ca nationale Sprachen verdränge. Doch was vielen nicht bewusst ist: Durch die Festlegung der europäischen Arbeits-sprachen sind sie bereits eingeschränkt und es beeinflusst die Alltagssprache der Menschen trotzdem nicht. Ähnlich argu-mentiert auch Felix Zesch vom Esperan-to-Verband. Die Einführung einer Lingua Franca in der EU hält er nicht nur für notwendig, sondern langfristig für un-umgänglich. Er schlägt die Plansprache Esperanto als Lingua Franca vor, da sie leicht erlernbar und ethnisch neutral sei.

Der größte Vorteil einer „EU-Spra-che“ ist auch die damit verbundene Schaffung eines Zusammengehörigkeits-gefühls, das für die Bildung einer starken europäischen Identität und somit für den Erfolg des Projekts Europa unverzichtbar ist.

Sprache hat viele Facetten: Sie ist

ein Werkzeug zur Kommunikation, aber die Bedeutung von Sprache geht weit über diesen Aspekt hinaus. Sie gehört zu jedem Land und prägt dessen kultu-relle Identität. Die 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind durch ihre verschiedenen Lebensarten und damit durch ihre Sprachen geprägt. Das macht Europa zu einem bunten, vielseitigen und lebendigen Ort.

„Eine Lingua Franca widerspricht da-her völlig dem europäischen Gedanken“, sagt Volker Pfeiffer, Referent für das Eu-ropanetzwerk Deutsch am Goethe-Insti-tut. Dort, wo die eigene Muttersprache gesprochen wird, fühlt man sich immer heimisch. Man ist mit ihr aufgewachsen. Sie gibt Sicherheit. Das führt zu einer Sprachgewandtheit und einem besonde-ren Verständnis. Eine Fremdsprache auf demselben Niveau sprechen zu können, ist beinahe unmöglich, meint der Schrift-steller Etienne Barilier. So unterscheidet er die „Kommunikation“ vom „Austausch verbaler Waren“: Sprache besteht nicht nur aus dem Transfer von Fakten, son-dern wird auch von Merkmalen wie Dop-peldeutigkeit, Ironie und Andeutungen geprägt. Diese Attribute werden vor allem in der Politik angewandt. Von ihnen kann man jedoch in einer Fremdsprache oft keinen Gebrauch machen. Aus diesem Grund hätte die Einführung der Lingua Franca eine große Auswirkung auf die Kommunikation innerhalb der EU.

Die Vielsprachigkeit in Europa als Barriere zu bezeichnen, ist ein Fehler. Fremde Sprachen wecken gerade bei

jungen Menschen die Lust, andere Län-der und Kulturen kennenzulernen. Nie zuvor hat ein so intensiver Austausch zwischen Jugendlichen und Studenten verschiedener europäischer Länder statt-gefunden wie heute. Das zeigen auch die Zahlen der Erasmusstudie: Über 3 Milli-onen Studenten haben seit der Einfüh-rung des Programms 1987 ein Semester im Ausland verbracht. Um die Sprachen-vielfalt zu erhalten, hat sich die EU lang-fristig das Ziel gesetzt, dass alle Bürger neben ihrer Muttersprache zwei Fremd-sprachen erlernen.

Plansprachen wie Esperanto wer-den der Bezeichnung „Sprache“ dabei nicht gerecht. Sie sind konzipiert. Da-durch fehlt ihnen der Bezug zur Ge-schichte eines Landes und seinen Bewoh-nern. Sie dienen lediglich als Werkzeug. Das Ziel der europäischen Sprachenpo-litik sollte allerdings sein, alle Sprachen gleich zu behandeln und zu erhalten. Ein europäisches Gemeinschaftsgefühl sollte nicht durch eine europäische Einheits-sprache, sondern durch das Interesse an fremden Sprachen erreicht werden.

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Daniela Völp16, Hainburg

... ist begeistert von der Sprachen- und Kulturvielfalt Euro-pas.

Anna Pia Möller17, Bad Oeynhausen

... schätzt das Gefühl der Zugehörigkeit zu einem bunten und vielfältigen Europa.

EUROPÄISCHES BABEL IN DER EUROPÄISCHEN UNION MACHEN 24 AMTSSPRACHEN VERSTÄNDIGUNG NICHT EINFACH. KÖNNTE EINE „EUROPÄISCHE SPRACHE“ DIE LÖSUNG DIESES PROBLEMS SEIN? ODER GEFÄHRDET DIES DIE SPRACHENVIELFALT? VON DANIELA VÖLP & ANNA PIA MÖLLER

PRO CONTRA

DEBATTE

MUTTERSPRACHE

LÍNGUA MATERNA

MOTHER TONGUE

MATERINJI JEZIK

MHÁTHAIRTHEANGA

DZIMTĀ VALODA

MODERSMÅL

GIMTOJI KALBA

LANGUE MATERNELLE

LINGWA MATERNA

EMAKEEL

MOEDERTAAL

ÄIDINKIELI

JĘZYK OJCZYSTY

МАЙЧИН ЕЗИК

LIMBA MATERNĂ

ΜΗΤΡΙΚΗ ΓΛΏΣΣΑ

MODERSMÅL

MADRELINGUA

MATERINSKÝ JAZYK

MATERNI JEZIK

LENGUA MATERNA

MATEŘSKÝ JAZYK

ANYANYELV

GEPATRA LINGVO

SPRACHEN

Lingua FrancaEine festgelegte Sprache, die zur Ver-ständigung zwischen Menschen ver-schiedener Sprachengemeinschaften dient.

EsperantoEine Plansprache, die 1887 mit dem Ziel konzipiert wurde, von jedem leicht erlernbar zu sein und als neutrale Sprache zur internationalen Verstän-digung zu dienen. Heute wird es von mindestens 100.000 Menschen aktiv gesprochen.

Sprachen in der EU24 Amtssprachen; 3 Arbeitssprachen (Englisch, Deutsch, Französisch); über 60 Regional- und Minderheiten-sprachen

Aussterbende SprachenEine Sprache gilt als vom Aussterben bedroht, wenn sie von weniger als 300.000 Menschen gesprochen wird. Demnach sind 80% aller europä-ischen Minderheitensprachen bedroht, darunter auch Nordfriesisch.

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D enkt man an die Gründung der Eu-ropäischen Union, denkt man un-

weigerlich an die wirtschaftliche Zusam-menarbeit. Doch eine weitere essentielle Gründungsidee basiert auf dem Gedan-ken der Kommunikation. Durch den Krieg traumatisiert und verfeindet, wollten die ersten Mitgliedstaaten durch Kommuni-kation und Austausch ein gegenseitiges Vertrauen aufbauen, um damit langfristig Frieden zu garantieren. Auch heute ist die Idee einer überstaatlichen, kontinentalen Verständigung aktuell: Seit 2005 gibt es eine supranationale Kommunikationspo-litik der EU, eine Reaktion auf die nega-tiven Referenden zum Europäischen Ver-fassungsvertrag. Der sogenannte „Plan D“ soll Demokratie, Dialog und Diskussion zwischen den europäischen Ländern und auch zwischen der EU-Regierung und der Bevölkerung verstärken. Letztere soll unter anderem in die Gestaltung eines gemeinsamen Europas eingebunden und zu Wünschen, Ideen und Forderungen befragt werden.

WENN DIE MORAL INS SPIEL KOMMT

Die Medien, oft auch als die "vierte Gewalt" bezeichnet, gehören zu den Grundlagen einer Demokratie, vermit-teln zwischen Staat und Bürgern und stellen eine Kontrollinstanz dar. So kann sich die Bevölkerung eine Meinung bil-

den, was unabdingbar für die politische Beteiligung ist. Die Medien kontrollieren, kritisieren und kommunizieren. Doch mit dem großen Einfluss geht auch ent-sprechende Macht einher. Gerade jetzt, wo die Medienlandschaft einen radikalen Umbruch erlebt und Printmedien immer mehr von Onlinemedien abgelöst werden, kommt die Frage nach den Grenzen und der Moral der Medien immer häufiger auf. Printmedien schreiben reißerischer, um ihre Leser zu halten. Onlinemedien versu-chen in der Informationsflut des Internets Aufmerksamkeit zu bekommen. Wie weit dürfen die Medien dabei gehen?

RÜCKTRITT WEGEN MEDIEN?

Die Privatsphäre steht hierbei oft dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber. Wie viel dürfen Medien über das Privatleben eines Politikers oder von Prominenten berichten, ohne die Grenze zu einem unangemessenen Sensationsbe-richt zu übertreten? Die Wulff-Affäre ist ein gutes Beispiel für das Überschreiten dieser Grenzen. Medienethiker Alexand-er Filipovič kritisierte damals einerseits Wulffs Medienverständnis, da er die Medien nicht als kritische Öffentlichkeit mit einer wichtigen Aufgabe begreife, sondern als Bühne, auf der man gut und schlecht dastehen könne. Auf der anderen Seite blende der Unterhaltungsjournalis-mus die politischen Dimensionen aus und

werde seiner politischen Verantwortung nicht gerecht. „Viele der Journalisten sind ihrer Rolle nicht nachgegangen. Statt einer sachlichen Berichterstattung gab es eine emotionale", erklärt Filipovič.

Journalist Dr. Florian Kain, der für das Politikressort der Bild schreibt, ist je-doch anderer Meinung. Man könne auch Boulevard-Zeitungen wie der Bild keiner-lei moralische Vorwürfe machen, was ihre Berichterstattung angehe. Die Bild spitze zu, prüfe und recherchiere aber teilweise besser als viele andere Zeitungen. Au-ßerdem ist er überzeugt, jeder habe die Berichterstattung über sich selbst in der Hand. Kain erklärt weiter: „Nur wenn ein Politiker oder Prominenter mit seinem Leben an die Öffentlichkeit geht, wird da-rüber auch in den Medien berichtet. An-sonsten haben sie nichts zu befürchten."

DIE GEWISSENSFRAGE

Trotz der Pressefreiheit sind die Medien durch das Presserecht reguliert. Außer-dem gibt es den Pressekodex, der die Jour-nalisten sowohl zur wahren, gründlichen und fairen Recherche und Berichtserstat-tung aufruft, als auch die Einhaltung der Menschenrechte und Menschenwürde sowie der Achtung von Privatleben und Intimsphäre fordert. Jeder Journalist und Chefredakteur muss seine Berichterstat-tung letztendlich mit seinem Gewissen vereinbaren können. Medien sollten vor

allem verantwortungsvoll berichten und verantwortungsvoll mit Daten umgehen. In der Praxis wird beides jedoch nicht im-mer eingehalten. Juristin und Bundesab-geordnete Karin Maag (CDU) bemängelt, dass eine saubere Trennung zwischen objektivem journalistischen Sachverhalt und persönlicher Meinung des Autors im-mer öfter nicht mehr stattfinde, es häufig keine klare Unterscheidung mehr gebe.

„Ich verlange keine gut geschriebene Be-richterstattung, allerdings eine faire", stellt Maag klar.

Leonie Kunze18, Stuttgart... verbindet mit Europa ein zweites Leben in Frankreich, die Liebe zu einem Engländer und italie-nisches Essen.

MACHT MEDIEN!MEDIEN MACHT? MEDIEN VERBINDEN UND SCHAFFEN GEMEINSCHAFT. MEDIEN VERMITTELN UND KONTROLLIEREN. MEDIEN BEEINFLUSSEN UND HABEN MACHT. DOCH WO SIND DIE GRENZEN DER MEDIEN? VON LEONIE KUNZE

ÖFFENTLICHE KOMMUNIKATION – NOTWENDIGKEIT MIT NEBENWIRKUNGEN. Foto: Christoph Vincent Heine / jugendfotos.de

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H eimat, Freiheit, Tradition – Multikul-ti Endstation“, brüllen die Jugend-

lichen, während sie durch die Straßen von Wien marschieren. Vor sich tragen sie ein schwarz-gelbes Banner. „WEHR DICH!“ steht darauf. Die Szene spielt sich im Mai 2014 ab, als circa 100 Jugendliche in der österreichischen Hauptstadt für ein „iden-titäres Europa" demonstrieren und sich

„Identitäre Bewegung" nennen. Auch die Website erscheint in Schwarz-Gelb und wirkt professionell. Aber wer genau sind sie?

WEICHGESPÜLTER RECHTSEXTREMISMUS

Die Gruppe selbst beschreibt sich als euro-paweite Jugendbewegung, die die Identität der Nationalstaaten wahren will. „Mas-seneinwanderung, Multi-Kulti und Islami-sierung": Das sind die Themen, gegen die sich die Identitären auf ihrer Website aus-sprechen. Im gleichen Absatz behaupten sie, für Demokratie zu sein, gegen Natio-nalsozialismus und Fremdenhass. In Wien jedoch laufen sie über Plätze und Straßen und skandieren im Chor: „Heute sind wir tolerant, morgen fremd im eigenen Land.“ Johannes Radke ist Journalist, Experte für Rechtsextremismus und Autor des Buches

„Neue Nazis“. Er erklärt: „Das sind ein-fach junge Rechtsextremisten, die nicht als klassische Nazis auftreten wollen und sich nach außen von Nazis abgrenzen. Im Grunde spülen sie rechtsextreme Inhalte weich und hüllen sie in schöne Worte.“

Entstanden ist die Bewegung in Fran-kreich aus dem „Bloc Identitaire". Vor zwei Jahren schwappte sie nach Deutschland über. Inzwischen hat sie in vielen europä-ischen Ländern Fuß gefasst, so zum Beispiel in Tschechien oder der Schweiz. Neben Internetauftritten machen die Identitären durch Aufkleber, Plakate und Flashmobs auf sich aufmerksam. Allein in Deutschland ist die Bewegung in 50 lokalen Untergrup-pen organisiert. „Es ist bislang eher eine

Bewegung im virtuellen Raum, aber kein Massenphänomen“, schätzt Ralf Melzer das Phänomen ein. Er leitet das Projekt

„Gegen Rechtsextremismus“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Auch Melzer bestätigt, dass die Identitäre Bewegung klar rechtsextreme Inhalte habe. Im Moment sei sie noch rela-tiv klein, trotzdem sollte man sie im Auge behalten, warnen Radke und Melzer.

WANDERUNG AN DEN RECHTEN RAND

Insgesamt gewinnen die rechtsorien-tierten Parteien in Europa an Boden. So haben sie bei der letzten Europawahl und auch bei einigen nationalen Wahlen viele Stimmen erhalten. In Frankreich fuhr der Front National 25 Prozent ein, in Öster-reich war die FPÖ die zweitstärkste Kraft. Die Goldene Morgenröte bekam in Grie-chenland fast zehn Prozent der Stimmen. Die rechtsextreme Partei ist mit der NPD in Deutschland vergleichbar. Johannes Radke hält die griechische Partei für sehr gefährlich: „In Griechenland gibt es bei

der Polizei viele Beamte, die Sympathien für die Goldene Morgenröte haben. Da sieht man, was passiert, wenn die Sicher-heitsbehörden den Rechtsextremismus nicht im Griff haben.“ Bedenklich ist auch die Lage in Ungarn. Dort wollten 21 Prozent der Wähler die rechtsextreme Jobbik im Europäischen Parlament haben. Freiheitliche Rechte werden stark einge-

schränkt, demokratische Institutionen geschwächt.

Insgesamt macht das extreme rechte Spektrum seit der letzten Wahl laut Da-niela Kietz und Nicolai von Ondarza im Artikel "Die Rechtsaußen-Parteien nach den Europawahlen 2014: Isoliert trotz deutlicher Wahlerfolge" des Online-Dos-siers Rechtsextremismus der bpb rund 11 Prozent im EU-Parlament aus. Parlaments-präsident Martin Schulz sagt: „Nach der Wahl sind die extremen Parteien gestärkt zurückgekommen, allerdings nicht in dem Maße wie wir befürchtet haben. Trotzdem fühlen sie sich nun ermutigt, noch radi-kaler zu werden als vorher. Ich habe als

Präsident deutlich mehr Arbeit mit diesen Leuten, denn auch sie müssen die parla-mentarischen Regeln respektieren.“

VOM RECHTEN RAND ZURÜCK ZUR MITTE…

Die extreme Rechte und die extreme Linke gibt es schon lange. Daneben gibt es seit einiger Zeit die „extreme Mitte“. Doch was soll das eigentlich heißen: extreme Mitte? Der wichtigste Vertreter dieser „neuen Po-litikrichtung“ hat auch ihren Namen ge-schaffen: Martin Sonneborn, Bundesvorsit-zender der Satire-Partei Die Partei. Seit Mai 2014 ist die extreme Mitte auch in Europa angekommen, als Satiriker Sonneborn zum Europaabgeordneten gewählt wurde. Die Politik dieser Mitte besteht laut ihm darin, extreme Turbopolitik zu betreiben, Forde- rungen aufzustellen, die niemals erfüllt werden dürften und den monatlichen Etat von 33000 Euro auszugeben – „unter an- derem natürlich auch für Mitarbeiter, Kaf-fee und Faxpapier. Ich spreche immer von Hartz 33“, so Satiriker Sonneborn. Martin Schulz berichtet, er habe diese Art der ex-tremen Politik bis dato noch nicht wahr-genom- men. „Von der Einkommensfrage und von der Amtsausstattung her scheint es ihm aber gut zu gefallen“, witzelt Schulz.

… UND AUF DIE ANDERE SEITE

„Angesichts des hysterischen Umgangs des deutschen Staates mit Linksextre-misten, ist diese Seite des Extremismus kein drängendes Problem", stellt Satiriker Sonneborn fest. Dieser Meinung stimmen auch Melzer und Radke zu. Extrem bleibt allerdings extrem. Zwar gibt es Gemein-samkeiten, ebenso aber auch wesentliche Unterschiede. Linksextremismus basiert auf der Theorie der Gleichheit, während das rechte Extrem Ungleichheit propagiert.

Gewaltbereitschaft findet man auf beiden Seiten, jedoch ist die Intensität in jüngerer Vergangenheit auf der rechten

EUROPAS EXTREME RECHTE JUGENDBEWEGUNGEN, LINKE STRÖMUNGEN UND SATIRE-PARTEIEN. EUROPA IST VOLL VON POLITISCHEN EXTREMEN ALLER ART. DOCH WAS STECKT DAHINTER? STELLEN SIE EINE GEFAHR FÜR DIE DEMOKRATIE DAR? VON SABRINA WINTER & JONAS ADLER

MARTIN SONNEBORN (DIE PARTEI)

JONAS ADLER IM GESPRÄCH MIT EU-PARLAMENTSPRÄSIDENT MARTIN SCHULZ (SPD)

„Im Plenum des Europaparlaments sitze ich auf der einen Seite neben ein paar Typen von der FPÖ, auf der anderen sind Kollegen von der AfD, links vor mir Marine Le Pen (Front National) und hinter mir Udo Voigt (NPD). Bei denen besteht absolut keine Gefahr, dass ich mich mit ihnen in den nächsten Jahren anfreunde.“

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RALF MELZER (FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG)

„Kern radikaler rechter Ideologien ist im-mer Menschenfeindlichkeit. Man schafft Hierarchien, indem man andere abwertet und sich selbst damit aufwertet.“

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MEINUNGEN ZUM THEMA

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Seite höher als bei linksextremen Grup-pen. Dennoch: Der Wille zu Gewalt ist auch auf der linken Seite vorhanden. Be-sonders, wenn linksautonomen Gruppen als „schwarzer Block" demonstrieren, sind Gewaltausbrüche nicht immer ausge-schlossen. Der „schwarze Block" ist eine Demonstrationstaktik, bei der sich alle in schwarzer Kleidung vermummen, um eine homogene Masse zu bilden.

Der parteipolitische Linksextre-mismus ist in Europa schwächer als der Rechtsextremismus, die etablierten linken Parteien – auch Radikale wie die grie-chische Syriza – treten nicht so deutlich gegen die demokratische Grundordnung ein wie die Rechten. „Diese extremistische Richtung darf nicht vernachlässigt werden, auch wenn gegen Linksextremismus be-reits stärker vorgegangen wird, als gegen Rechtsextremismus", meint Satiriker Mar-tin Sonneborn.

Insgesamt sollte man sich, nach Mei-nung von Experten der Friedrich-Ebert-Stiftung, bewusst machen, dass es zu je-der Zeit extremes Gedankengut gab und gibt und sich damit auseinandersetzen. Denn nur, wenn man wisse, was Extreme antreibt, könne man auch aktiv gegen Ex-tremismus vorgehen – durch persönliches Eintreten in Form von Zivilcourage, wie sie Johannes Radke fordert. Ralf Melzer plädiert für politische Bildungsarbeit. Er stellt heraus: „Wir brauchen in der Ge-sellschaft eine Kultur der Gleichwertigkeit, der Demokratie und des Respekts.“

Sabrina Winter20, Görlitz Jonas Adler16, Holler... verbindet die Lust am Reisen und dem Kennenlernen der Vielfalt Europas.

MARTIN SCHULZ (SPD)

„Die größte Gefahr liegt darin, dass die ge-sellschaftliche Mitte sich nicht genug ge-gen die Extremen abgrenzt. Meine Furcht gilt nicht so sehr den Extremisten selbst, aber ich habe Angst, dass sich demokra-tische Parteien dazu verleiten lassen, die Rhetorik der Extremen zu übernehmen, weil sie glauben so Wähler zu gewinnen. Dadurch könnten sie sich auch inhaltlich auf dieses Terrain begeben und das halte ich für sehr gefährlich.“

Friedhöfe sind Orte der Traurigkeit? Nicht in Sapanta, Rumänien. Die Grä-ber dort sind bunt bemalt und enthal-ten witzige Lebensbeschreibungen der Verstorbenen.

Döner Kebab – typisch türkisch, sollte man meinen. Dabei hat allein die deutsche Hauptstadt mehr Dönerbu-den als Istanbul, die größte Stadt der Türkei.

Kann man mit etwas Geld verdienen, dessen Existenz nicht bewiesen ist? Kann man, und zwar viel – Nessie bringt Schottland pro Jahr sieben Mil-lionen Euro Touristengelder.

Hauptstadt des Weltreichs ist Lon-don zwar nicht mehr, es erstreckt sich aber immer noch über den ganzen Planeten: Die U-Bahn fährt pro Wo-che rechnerisch zweimal um die Erde.

Der Mittelpunkt der Welt liegt in Brüs-sel – und zwar der der Schokoladen-handelswelt. Am dortigen Flughafen wird mehr Schokolade verkauft als an irgendeinem anderen Ort der Welt.

Eigentlich müsste sich der Vatikan Sorgen um seine Demografie ma-chen, denn die jährliche Geburtenrate war dort noch nie höher als 0.

WOLFGANG GEHRCKE (DIE LINKE)

„Ich benutze die Begriffe Rechts- und Linksextremismus nicht. Sie bedeuten eine Gleichsetzung von rechter Politik und linker Politik. Das ist falsch.“

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EXTREME MAL ANDERS NICHT NUR IN POLITIK UND GESELLSCHAFT GIBT ES INNERHALB EUROPAS EXTREME. SABRINA WINTER UND JONAS ADLER HABEN EINIGE AUSSERGEWÖHNLICHE FAKTEN ZUSAMMENGETRAGEN.

Die Italiener sind eigen, vor allem in Sachen Kaffee. Weil sie von der Qua-lität ihres Kaffees so überzeugt sind, hat Starbucks dort nirgends eine Chance.

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B ella gerant alli, tu felix Europa nube!* Wie bis vor 100 Jahren die Habsburger

Monarchie, versucht die Europäische Union heute nicht, ihr Einflussgebiet durch Kriege zu vergrößern, sondern durch aussichts-reiche Partnerschaften. Die Erlaubnis, so-genannte Assoziierungs- und Kooperations-abkommen über die nationalen Parlamente hinweg zu schließen, erhielt die EU im Vertrag von Lissabon (2007) und im Vertrag über die Arbeitsweise der EU (2009).

Rat, Kommission und Parlament müssen in diesem Instrument der Gemein-samen Außen- und Sicherheitspolitik, des europäischen Fortschritts und Fortschrei-tens, eng zusammenarbeiten und sich, in der Spezialisierung verbunden, ergänzen und kontrollieren.

Die Beziehungen, die gehandelt, verhandelt und geschlossen werden, fal-len dabei in verschiedene Raster. Manche Partnerschaften dienen ausschließlich wirt-schaftlichen Interessen, wie Freihandelsab-kommen, andere der Sicherheit der Länder, wie etwa die NATO. Dritte sollen durch den gemeinsamen Kampf gegen Hunger und Armut eine Weltordnung, die gerechter ist als heute, herbeiführen.

Die Politiker aus den 1950er Jah-ren, umhüllt von schwerem Zigarrenne-bel, nannten das noch „Entwicklungshilfe“ und suggerierten dabei mit moralischem Imperialismus, dass etwas von oben nach unten geschehe, dass einer gibt und einer nimmt. Jedoch profitieren auch Deutsch-land und die EU in vielerlei Hinsicht, sei es wirtschaftlich, politisch oder wegen kollek-tiver ethischer Ansprüche, von Abkommen mit dem sogenannten Globalen Süden. So spricht man seit dem Ende der Hornbril-lendynastie nun von „Entwicklungszu-sammenarbeit“, importiert Rohstoffe und exportiert Sicherheit, agiert selbstreflexiv und nach dem Subsidiaritätsprinzip, schafft Möglichkeiten, dass sich jene Partnerländer selbst eine Basis zur Armutsbekämpfung aufbauen können.

Genauer gesagt versucht man heute vor allem, asymmetrische Handelsbezie-hungen zu knüpfen. Das heißt zum Beispiel wie im Falle des Cotonou-Abkommens, dass die Staaten südlich der Sahara, einige Länder Südostasiens und Lateinamerikas, erst bei uns zollfrei verkaufen können, be-vor wir ihren Markt beliefern und so über-fordern.

Das Cotonou-Abkommen wurde im Jahr 2000 mit der Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP-Gruppe) geschlossen und gilt heute als vor-bildhaft für die Öffnung reicher Märkte für die Produkte armer Länder.

Im Gegensatz dazu macht China – des-sen Rolle als globaler Akteur in den vergan-genen Jahren enorm gewachsen ist und das sich von einem Empfängerland westlicher Entwicklungshilfe zu einem zunehmend

selbstbewusst auftretenden Geber in Asien und Lateinamerika, vor allem aber in Afrika gewandelt hat – die Drittstaaten von sich ab-hängig. Dadurch ist es in doppelter Hinsicht zu einem gefährlichen Konkurrenten im Be-reich der Entwicklungszusammenarbeit für die EU geworden. Dass zum Beispiel afrika-nische Länder trotz offensichtlich größerer Abhängigkeiten oft solche „Partnerschaften“ eingehen, liegt daran, dass Abkommen mit der EU oft sehr lange, für manche Nationen zu lange verhandelt werden und admini-strative Kompetenzen überfordern.

Entwicklungszusammenarbeit funkti-oniert allerdings nicht nur über den Tausch von Geld und Waren. Diese Bündnisse sollen vor allem Wissen vermitteln, um nachhaltige und tragende Säulen gesunder Gesellschaften zu bauen und zu verstärken. Beispielsweise gräbt französisches Bohrgerät in Ostafrika neue Brunnen, deutsche Inge-nieure konstruieren in Indien klimaneutrale Heizkraftwerke und europäische Technolo-giefirmen beraten chinesische Städte bei der nachhaltigen Stadtentwicklung.

Eine dritte Form der Entwicklungs-zusammenarbeit erläutert Dr. Bärbel Kofler, die entwicklungspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, auf Seite 16 dieser Ausgabe: Sie sieht die Aufgabe nachhaltiger Entwicklungspolitik darin, weltweite Emis-sionsreformen anzustoßen und eine weg-weisende Agenda der Vereinten Nationen zu entwickeln.

Entwicklungszusammenarbeit, Frei-handelsabkommen oder Klimabündnisse: eine Partnerschaft kann viele Formen an-nehmen. Das polygame Europa steckt seit Jahrzehnten im besten Heiratsalter und wer die Ohren spitzt, hört vielleicht mal wieder die Hochzeitsglocken läuten.

„Kriege führen mögen andere, du, mein glückliches Europa, heirate!“

* Ein Sprichwort, das die Heiratspolitik des Hauses Habsburg anstelle von Gebietserweiterungen durch Kriege beschreibt und in Teilen auf die Au-ßenpolitik der EU übertragen werden kann. Denn auch die meisten europäischen Länder wurden von der EU praktisch einvermählt, inklusive Mit-gift und Ehevertrag.

** Zur genaueren Unterscheidung der Begriffe „Entwicklungspolitik“, „Entwicklungshilfe“ und „Entwicklungszusammenarbeit“ siehe Infokasten auf Seite 16 dieser Ausgabe.

HOCHZEIT WEIL ES NICHT REICHT, WENN NUR EUROPA GRENZENLOS IST, GEHT DIE EU AUF BRAUTSCHAU IN DER WELT. DABEI SUCHT SIE STETS NACH NEUEN BÜNDNISSEN UND PARTNERLÄNDERN. WIE KANN MAN SICH DAS VORSTELLEN? VON LEONARD PALM

Leonard Palm19, Regensburg

... weiß erst nach der Inventur, wie viel Eur-opa in ihm steckt.

ZWISCHEN GEBURT UND TOD NEUE VERBINDUNGEN WERDEN GESCHLOSSEN, ALTE FÖRDERATIONEN ZU GRABE GETRAGEN – EINE KREATIVE DARSTELLUNG DES LEBENSZYKLUS DER EUROPÄISCHEN BÜNDNISSE VON LEONARD PALM.

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ZWISCHEN GEBURT UND TOD NEUE VERBINDUNGEN WERDEN GESCHLOSSEN, ALTE FÖRDERATIONEN ZU GRABE GETRAGEN – EINE KREATIVE DARSTELLUNG DES LEBENSZYKLUS DER EUROPÄISCHEN BÜNDNISSE VON LEONARD PALM.

Gestaltung: Maximilian Gens

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D ie EU und ihre Mitgliedstaaten leisten rund 60 Prozent der globalen finanzi-

ellen Entwicklungshilfe. Im Fokus stehen Länder mit geringem Einkommen und auf niedrigem wirtschaftlichem und sozialem Level, wie beispielsweise Afghanistan, Ätho-pien oder Uganda. Denn, so wird es in den Artikeln 208 bis 211 des „Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union" be-schrieben, das vorrangige Ziel der EU-Ent-wicklungspolitik ist die „Bekämpfung und auf längere Sicht Beseitigung der Armut".

ZUNEHMENDE POLITISIERUNG DER ENTWICKLUNGSPOLITIK

Dass die EU auch weiterhin umfangreiche Mittel für die Entwicklungshilfe bereit stellen und auf diesem Feld engagiert bleiben will, unterstrich sie vor allem im Jahr 2000 mit dem Abkommen von Cotonou, das die Zu-sammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Gruppe der Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP-Staaten) – jenen Staaten, die mehrheitlich eine kolo-niale Vergangenheit mit Europa haben – bis 2020 regelt. Es gilt heute als das Herzstück der EU-Entwicklungspolitik. Aber es leitete erstmals auch eine explizite Politisierung der EU-Entwicklungspolitik ein, denn die Hilfe wird verstärkt von der Einhaltung politischer und ökonomischer Auflagen abhängig gemacht. Neben der Förderung

der Menschenrechte, der demokratischen Grundsätze auf der Grundlage des Rechts-staatsprinzips sowie einer transparenten und verantwortungsvollen Staatsführung ge-hören dazu auch Kriterien wie die Höhe der Militärausgaben, Drogenhandel, organisier-tes Verbrechen oder ethnische und religiöse Diskriminierung. Die Demokratieförderung rückte verstärkt in den Fokus der Entwick-lungszusammenarbeit.

Die deutsche Entwicklungspolitik gerät seit der Einbindung in das ressort-übergrei-fende Konzept der „vernetzten Sicherheit" dagegen zunehmend in den Konflikt mit die-sen Kernaufgaben. Denn mit der Neuausrich-tung der deutschen Außenpolitik änderte sich auch der Charakter der Entwicklungshilfe.

Der Begriff „vernetzte Sicherheit" wur-de erstmals 2006 in einem regierungsoffizi-ellen Dokument verwandt. 2012 beschäftigte sich der Unterausschuss „Zivile Krisenprä-vention und vernetzte Sicherheit" in einer öffentlichen Sitzung des Deutschen Bundes-tags mit dem Thema. „Vernetzte Sicherheit" beschreibt dabei den sicherheitspolitischen Ansatz, verschiedene Instrumente, insbe-sondere militärische, polizeiliche, diploma-tische, entwicklungspolitische und huma-nitäre, so aufeinander abzustimmen, dass in Regionen, in denen bewaffnete Konflikte ausgetragen werden, ein nachhaltiges Han-deln deutscher und internationaler Akteure erreicht wird.

VERWECHSLUNSGEFAHR FÜR ENTWICKLUNGSHELFER

Die Einsatzgebiete für deutsche Entwick-lungshelfer haben sich seither geändert. So gerieten beispielsweise Zentralafrika oder auch der Hindukusch in den Fokus des Bun-desministerium für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung (BMZ); Mali, in dem das BMZ bereits aktiv war, erhielt zusätzliche Mittel: 250 Bundeswehr-Soldaten sind im Rahmen einer EU-Ausbildungsmissi-on gerade dort stationiert. Hatte das BMZ in den Krisengebieten anfangs noch viel Wert auf eine (auch) räumliche Trennung vom Bundeswehr-Feldlager gelegt, geschieht dies mittlerweile oft nicht mehr. Die Folge: Die Entwicklungsexperten werden immer stärker als ein Teil der Armee wahrgenommen, was der Arbeit Akzeptanz-Probleme beschert und das Risiko für Leib und Leben erhöht.

Darüber hinaus haben die Entwick-lungshelfer mit den zivilen Angeboten von Bundeswehr und anderen Armeen zu kämp-fen. So reparierten deutsche Soldaten im Auslandseinsatz Schuldächer oder bohrten Brunnen – allerdings nicht in den ärmsten Regionen, sondern an den strategisch wich-tigsten Punkten. Das ist keine Entwicklungs-hilfe, sondern Bestandteil der militärischen Operationsführung. Die Verwechslungsge-fahr für die Bevölkerung vor Ort ist dennoch groß.

VON SCHAFEN IM WOLFSLAGER „OHNE SICHERHEIT KEINE ENTWICKLUNG UND OHNE ENTWICKLUNG KEINE SICHERHEIT" – IN DER DEUTSCHEN ENTWICKLUNSPOLITIK SPIELEN VERMEHRT SICHERHEITSPOLITISCHE ÜBERLEGUNGEN EINE ROLLE. DAS BRINGT SIE IN KONFLIKT MIT DEN KERNAUFGABEN DER EU-ENTWICKLUNGSPOLITIK VON PIA BAYER

HISTORISCHE ENTWICKLUNG

1957 Die damals sechs Grün-dungs staaten der EWG

vereinbaren in den Römischen Verträgen auf Drängen Frankreichs Beziehungen zu seinen Kolonien und Überseegebieten.

1973 Nach dem Beitritt Groß-britanniens dehnt die EG

die engen Beziehungen auf die im Com-monwealth zusammengeschlossenen ehemaligen britischen Kolonien aus.

1975 Mit den Lomé-Abkommen stellt die EG die bisherige

Zusammenarbeit mit den Staaten der Dritten Welt auf eine neue vertragliche Grundlage und geht auf die immer stärker werdenden Forderungen der Anfang der siebziger Jahre immer selbstbewusster auftretenden Dritte-Welt-Staaten nach einer neuen, „gerechteren“ Weltwirt-schaftsordnung ein. Eckpunkte der vier Lomé-Abkommen sind die Kooperation im Geiste einer Partnerschaft, die auf den drei Prinzipien gemeinsames Interesse an Entwicklung, Konsultation und Dialog ba-siert; das bedeutete: die Gewährung von Zoll- und Abgabenfreiheit für Produkte aus den AKP-Ländern im Sinne eines einseitigen Präferenzsystems zu Guns-ten der AKP-Staaten; die Einrichtung von Fonds zur Stabilisierung der Exporterlöse bei sinkenden Weltmarktpreisen oder Ernteausfällen sowie industrielle und land-wirtschaftliche Zusammenarbeit.

1975 bis 2000: Bis 1990 unter-zeichneten die EG und die

AKP-Staaten insgesamt vier Abkommen (Lomé I bis IV), die Anzahl der der teilneh-menden Staaten erhöhte sich auf Seiten der AKP-Staaten im Laufe von 25 Jahren von 46 (1975) auf 77 (2000).

2000 Obwohl zahlreiche Einzel-bestimmungen der Lomé-

Kooperation im Laufe der Jahre verändert wurden, blieb die Bilanz der Abkommen unbefriedigend. So sah sich das Modell Lomé spätestens seit Beginn der neun-ziger Jahre wachsender Kritik ausgesetzt, die vor allem auf technische Mängel und bürokratische Verfahren zielte. Zum anderen verstieß das einseitige Präfe-renzsystem der Lomé-Verträge gegen die Prinzipien der am 1. Januar 1993 in Marrakesch gegründeten Welthandels-organisation (WTO). All dies führte im Jahr 2000 zur Schaffung eines neuen Vertragswerkes zwischen den 77 AKP-Staaten und 15 EU-Mitgliedern: dem so-genannten Cotonou-Abkommen.

2003 Vertrag von Nizza: Einfüh-rung der Europäischen Si-

cherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP)

2005 Der Rat, das Parlament und die Kommission ver-

abschieden die Gemeinsame Erklärung „Der Europäische Konsens über die Ent-wicklungspolitik“, die die Unterzeichner daran bindet, ihre Entwicklungspolitiken künftig aufeinander abzustimmen und an der Erklärung auszurichten. Sie stellt ei-nen wesentlichen Schritt zur Harmonisie-rung der Entwicklungspolitiken der Ge-meinschaft und der Mitgliedsländer dar.

2010 Der Europäische Rat nimmt die schwedisch-

deutsche Initiative (Gent-Prozess) zur ver-tieften militärischen Zusammenarbeit an.

WAS SIND DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN DERZEITIGER ENTWICKLUNGSPOLITIK?

Entwicklungspolitik muss breit aufgestellt sein. Die Menschheit kann die existentiellen Probleme nur gemeinsam lösen – daher wird gerade eine neue internationale Agen-da auf UN-Ebene verhandelt, die für die Zeit nach dem Jahr 2015 weltweit gültige Nachhaltigkeitsziele formuliert. Wichtigstes Ziel ist es, die weltweite Armut zu besie-gen. Zugleich gilt es aber auch, die globalen Strukturen so zu gestalten, dass eine nach-haltige Entwicklung als eine Strategie für Frieden und eine gerechtere Welt möglich ist. Dazu gehört auch ein kohärentes Kon-zept für Entwicklungs- und Klimapolitik.

WELCHE VERANTWORTUNG TRÄGT DIE EU IM SINNE EINER NACHHALTIGEN ENTWICKLUNGSPOLITIK?

Auf meiner Reise nach Bangladesch habe ich weite Landstriche gesehen, die durch den Klimawandel und den steigenden Meeresspiegel versalzen waren und zu un-fruchtbarem Ackerland geworden sind. Das bedeutet für die Bevölkerung vor Ort den

Verlust ihrer Existenzgrundlage. Bangla-desch ist aber für den durch die Industri-alisierung verursachten Klimawandel nicht verantwortlich. Entwicklungspolitik muss auch bei Anpassungsmaßnahmen an Kli-mafolgeschäden helfen, dazu gehören finanzielle Mittel, aber auch technische Unterstützung durch besonderes Wissen um klimaresistenten Ackerbau und Um-schulung der Bauern vor Ort. Die Vertreter Bangladeschs und anderer Länder mit ähn-lichen Problemen brauchen Unterstützung, damit ihre Anliegen bei UN-Konferenzen adäquat vertreten sind. Auch die EU könnte hier die Rolle eines Multiplikators dieser Anliegen einnehmen.

ENTWICKLUNGSPOLITIKERIN UND BUNDESTAGSAB-GEORDNETE DR. BÄRBEL KOFLER, IM GESPRÄCH

DR. BÄRBEL KOFLER, ENTWICKLUNGS POLITISCHE SPRECHERIN DER SPD-BUNDESTAGSFRAKTION

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GLOSSAR

EntwicklungspolitikUnter Entwicklungspolitik (EP) ver-steht man alle politischen Maßnahmen von Ländern des Nordens, die darauf abzielen zur Überwindung von Armut in Zusammenarbeit mit den Ländern des Südens beizutragen. Häufig wer-den die Begriffe Entwicklungshilfe (EH) und Entwicklungszusammen-arbeit (EZ) mit dem Begriff Entwick-lungspolitik vermischt oder gar syno-nym gebraucht, diese rücken jedoch jeweils eigene Aspekte in den Fokus.

EntwicklungshilfeEH betont vor allem ein Verhältnis zwi-schen „Geben" und „Nehmen" und suggeriert damit implizit, dass es eine Überlegenheit der „helfenden" Geber-länder und -organisationen gegenüber den unterstützten Staaten gibt. Bis in die 1980er Jahre hinein wurde die ge-samte entwicklungspolitische Praxis häufig EH genannt, heute wird dieser Begriff kaum noch gebraucht.

EntwicklungszusammenarbeitStattdessen ist heute der bereits seit den 1950er Jahren verwendete Be-griff der EZ üblicher, da das partner-schaftliche Wirken von Gebern und Empfängern betont, also von einer

„Partnerschaft auf Augenhöhe” aus-geht.

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17 //

D as Bekanntwerden der Ausspähakti-onen durch die NSA hat die Aufmerk-

samkeit der Bürger für die Gefährdung ihrer persönlichen Freiheit durch Überwachung seitens der Geheimdienste geschärft. Whist-leblower Edward Snowden füttert Europa und den Rest der Welt seit Juni 2013 mit ge-heimen Informationen über die Aktivitäten der Geheimdienste. Besonders die Vereinig-ten Staaten und Großbritannien gerieten ins Visier. Es folgte eine Debatte von unge-ahntem Ausmaß. Wie weit dürfen Geheim-dienste gehen? Was bedeutet diese Überwa-chung für uns und für unsere Freiheit? Ist öffentliche Sicherheit in Europa wichtiger geworden als die persönliche Freiheit?

„Jeder hat das Recht auf die freie Entfal-tung seiner Persönlichkeit […] Die Freiheit der Person ist unverletzlich […]“ Im zweiten Artikel des Grundgesetzes sind Privatsphäre und persönliche Freiheit rechtlich verankert. Zwar gilt dieses Grundrecht nicht in jedem europäischen Land, doch sollten andere Staaten in Deutschland eine lückenlose Überwachung durch ihre Geheimdienste durchführen, verstießen sie gegen das hier geltende Recht.

GEHEN GEHEIMDIENSTE ÜBER IHRE BEFUGNISSE HINAUS?

Der deutsche Soziologe Wolfgang Sofsky sieht hinter der potenziellen lückenlosen Überwachung auch noch eine andere Ab-sicht. Er spricht in seiner Streitschrift „Ver-teidigung des Privaten“ mögliche Absichten der Staaten durch das Sammeln von Daten an. Der Staat verfolge nicht nur sicherheits-politische Ziele, sondern wolle einen virtu-ellen Klon der Bürger erstellen, um so seine Absichten und Handlungen vorauszusehen. Bei der NSA gebe es kaum noch Zweifel daran, dass sie nicht nur sicherheitspoli-tische Ziele verfolge. Ob auch europäische Geheimdienste andere Absichten haben, sei bislang unbekannt, so Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU) aus dem NSA-Untersuchungs-ausschuss des Bundestages. Im optimalen Fall sollten diese für Sicherheit sorgen und Verbrechen wie Terroranschläge durch Beo-bachtung bestimmter Personengruppen und Entwicklungen im Vorhinein verhindern.

„Den Geheimdiensten müssen Gren-zen gesetzt werden", sagt auch Dr. Fran-ziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen)

stellvertretendes Mitglied des Bundestags-ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Sie meint, dass die europäischen Staaten gleiche Richtlinien brauchen. "Die Regierung sollte in digitale Abwehrfähigkeit investieren. Richtlinien werden spionierende Länder nicht aufhal-ten", ist jedoch Ostermann sicher.

Unsere Freiheit wird durch Über-wachung nur indirekt beeinflusst. Wir können immer noch nahezu überall hin-reisen, in Länder der wirklichen und der virtuellen Welt. Doch wir sind niemals allein. Die Geheimdienste können Bewe-gungsprofile im Internet und dank GPS im Smartphone aufzeichnen.

DIE KONSEQUENZ VON GRENZ-ÜBERSCHREITUNGEN

Die unsichtbaren Grenzen, die die Ge-heimdienste zeichnen, werden erst dann sichtbar, wenn sie bereits überschritten wurden. Dabei muss es sich nicht immer um Gesetzesverstöße handeln. Kritik an Regierung, System oder gar den Geheim-diensten können Einreisebeschränkungen

nach sich ziehen, wie es dem deutschen Schriftsteller Ilija Trojanow Ende 2013 passierte, als er nach scharfer Kritik an der NSA nicht in die USA einreisen durfte.

Europa muss in puncto Datenschutz noch einiges tun. Denn die unsichtbaren Grenzen, die von Geheimdiensten ge-zogen werden, dürfen die Freiheit der Bürger nicht gefährden, da sind sich die Abgeordneten im Ausschuss für die An-gelegenheiten der Europäischen Union einig. So ist es Europas Aufgabe in den nächsten Jahren die Balance zwischen privater Freiheit und öffentlicher Sicher-heit zu finden.

UNSICHTBARE GRENZEN FREIHEIT UND SICHERHEIT BIETEN EUROPAS BÜRGERN DIE CHANCE, IHRE PERSÖNLICHKEIT BESONDERS IM DIGITALEN RAUM ZU ENTFALTEN. DOCH WIE FREI SIND WIR IN ZEITEN DER STÄNDIGEN ÜBERWACHUNG ÜBERHAUPT NOCH? VON LISA PRAMANN

Lisa Pramann18, Holzminden

... ist in Deutschland geboren, Europa ist ihre Heimat. Ihre Zu-kunft ist grenzenlos.

A ls im Jahr 2009 Länder wie Grie-chenland, Spanien und Zypern ihre

massiven Staatsverschuldungen öffentlich machten, hatten Euro-Anhänger schwer zu schlucken. Die Lage war ernst: Die Staaten galten als zahlungsunfähig, die Finanzmärkte gaben keine Kredite mehr aus, es drohten Pleiten. Zusammen mit dem Internationalen Währungsfond (IWF) beschlossen die finanziell stabileren EU-Länder, zunächst nur Griechenland vor der befürchteten Krise zu bewahren. Das Land hatte als erstes seine Verschuldung bekannt gemacht. Im September 2012 wurde der Europäische Stabilitätsmecha-nismus zur dauerhaften Absicherung aller Mitglieder der Eurozone eingeführt. Er löste damit den vorherigen Euro-Rettungs-schirm ab.

Das Grundprinzip des ESM ist schnell erklärt: Ein Kapital von 700 Milliarden Euro

– 80 Milliarden davon zahlen die Mitglieds-staaten selbst – sollte die verschuldeten Länder vor dem Ruin bewahren. Mit dem Geld sollten sie ihren Haushalt stabilisieren. Gleichzeitig verpflichteten sich die Nehmer-länder dazu, ihre Schulden nach und nach abzubauen.

Warum aber beteiligten sich einzelnen EU-Staaten an dieser „Nothilfe“? Um die Fi-nanzstabilität der gesamten Eurozone zu si-chern. Wackelt die Wirtschaft eines Landes,

geraten bei einer engen Zusammenarbeit wie in der Union auch andere Länder in die Bredouille. Im schlimmsten Fall führt das zum Zusammenbruch der Wirtschaft und damit der EU. Ein Horrorszenario, das es zu verhindern galt. Der ESM sollte die Wirt-schaft ankurbeln und die Staatsausgaben lindern. So entstand schon bald das Bild eines Schirms, der die Krise abwehrt.

IST DER ESM NOTWENDIG?

Kaum ein Poltiker zweifelt daran, dass die Hilfe gebraucht wird. In welcher Form die daherkommen soll, ist indes nicht so klar. Für den Rechtsanwalt und CDU-Bun-destagsabgeordneten Dr. Matthias Heider steht vor allem Deutschland in der Pflicht, den Schuldenstaaten zu helfen. Als volkswirtschaftlich am weitesten entwi-ckeltes EU-Mitglied spiele das Land eine Schlüsselrolle. Gleichzeitig bedürfe es in-novativer Ideen und einer disziplinierten Haushaltspolitik der Nehmerländer.

Denn der Euro – darin sind sich die Abgeordneten einig – muss bleiben. Dr. Katarina Barley (SPD-Bundestagsabgeord-nete) betont daher: „Man weiß nicht zu schätzen, was man hat, wenn man es hat.“

Die Experten sind sich einig, dass die Einführung des Euros der richtige Schritt war. Die einheitliche Währung

schafft für EU-Bürger viele Vorteile. In-nerhalb der Eurozone muss kein Geld getauscht werden, was die Mobilität zwischen den Ländern vereinfacht. Chri-stian Reiermann vom Spiegel nennt den Euro deshalb ein „Sinnbild für Grenzen-losigkeit".

Reiermann glaubt, dass die von Land zu Land unterschiedliche Politik für die zum Teil prekäre Finanzsituation verantwortlich ist. Laut Heider hat die EU mit der Einführung des Euros eine Stufe übersprungen: Zunächst hätte sich die EU auf eine gemeinsame Politik konzentrie-ren sollen. Danach hätte die Einheitswäh-rung folgen können.

ALLE SITZEN IM SELBEN BOOT

Für Reiermann funktioniert die Eurozone wie ein Ruderboot, in dem alle Mitglieds-staaten sitzen und rudern müssen, um vorwärts zu kommen. Manche der Ru-derer sind jedoch nicht stark genug, um mitzuhalten. In diesem Boot übernimmt der ESM die Rolle eines Apothekers, der die Schwächeren mit Medikamenten ver-sorgt. Um die Hilfsmittel zu erhalten, müs-sen die Bewerber jedoch zunächst ein zweiwöchiges Fitnessprogramm absolvie-ren, um so ihr Durchhaltevermögen unter Beweis zu stellen.

Allerdings gibt es auch kritische Stimmen. Ulrich Fritsche, Professor an der Universität Hamburg, hat eine zwiespältige Einstellung zum ESM: „Ich glaube, dass der Stabilitäts-pakt die Krise in den Jahren 2010/2011 ver-hindert hat. Trotzdem bin ich nicht der Mei-nung, dass der ESM eine dauerhafte Lösung darstellt." Ihm zufolge geht die europäische Regierung das Problem falsch an. Strenge Sparpolitik lehnt Fritsche ab. Neben finan-zieller Unterstützung brauche man einen flexiblen Arbeitsmarkt, sagt er. Außerdem brauche es eine Lösung für die gesellschaft-lichen Probleme insbesondere der südlichen Länder Europas. Dr. Matthias Heider stimmt dieser Aussage zu und ergänzt: „Der ESM dient nur als Nothilfeinstrument.“

Schulden und ESM bleiben der EU vorerst erhalten. Wie es mit der Eurozone weitergeht – darüber können auch Politiker derzeit nur mutmaßen.

Darline Jonasson20, Kirchhundem

... enthält ungefähr ein Kilogramm Europa.

EINFACH SPAREN MÜSSEN? SEIT ZWEI JAHREN GIBT ES DEN EUROPÄISCHEN STABILITÄTSMECHANISMUS (ESM) NUN SCHON. NOCH IMMER WIRD ER DISKUTIERT. HAT DER FOND DEN EURO GERETTET ODER DESSEN KRISE VERZÖGERT? DARLINE JONASSON SCHAUT ZURÜCK UND ZEIGT, WAS POLITIK UND PRESSE VOM ESM HALTEN.

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P olitik und Journalismus sind, bei aller Unabhängigkeit, doch vonei-

nander abhängig“, so Jörg Blank von der Nachrichtenagentur dpa. Ohne Medien wäre eine Kommunikation mit dem Volk für die Politik unmöglich. Doch auch die Kontrolle der Politik durch die Medien ist ein wesentlicher Bestandteil der Demo-kratie: Nicht umsonst werden die Medien als vierte Gewalt bezeichnet. Das Grund-verständnis von Pressefreiheit, das wir in Europa haben, ist ein großer Erfolg für Europa. Die Umsetzung der Pressefreiheit muss in einigen Mitgliedsländern jedoch kritisch bewertet werden. Die Situation der einzelnen Länder muss nach nati-onalen und internationalen Richtlinien analysiert werden. „Beispielsweise ist in Ungarn nach der Änderung der Ver-fassung eine Einschränkung der Medien möglich, was nicht das Ziel ist, das wir in der europäischen Gemeinschaft verfol-gen“, so Jan Korte (stellvertretender Bun-destagsfraktionsvorsitzender DIE LINKE.)

Nach dieser Verfassungsänderung ist es in Ungarn zum Beispiel möglich, eine Zensur einzuführen oder bestimmte Medien zeitweise in ihrer Berichterstat-tung einzuschränken. In diesem Zusam-menhang ist auch der Vorschlag von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Junker, den ehemaligen ungarischen Ju-

stizminister Tibor Navracsics als Kom-missar für Bildung, Jugend, Kultur und Bürgergesellschaft einzusetzen, kritisch zu betrachten. Diese Kommission verhan-delt unter anderem auch die Politik zu den Themen Medien und Pressefreiheit und steht damit in Konflikt zu europä-ischen Interessen. Durch die Parlamenta-rier des Europäischen Parlamentes wurde Navracsics im Rahmen einer Befragung vorerst abgelehnt.

AUCH MEINUNGSBILDUNG ALS AUFGABE

Doch Medien haben nicht nur Berichter-stattung und Kontrolle zur Aufgabe: „Me-dien dienen auch der Meinungsbildung und das ist auch gut so“, erklärt Bundes-tagsabgeordneter Kees de Vries (CDU). Ge-rade hier kommt die Wichtigkeit der Pres-sefreiheit zum Tragen: Einer beschränkten Berichterstattung kann keine objektive Meinungsbildung folgen. „Wenn es kei-nen freien Journalismus mehr gibt, haben wir verloren“, meint de Vries weiter. Denn nur so könne in der Bevölkerung ein poli-tisches Verständnis entstehen und die De-mokratie weiter bestehen.

Doch die Pressefreiheit, die Journa-listen in der Europäischen Union genie-ßen, birgt auch eine große Verantwortung,

meint Matthias Bartl von der Mitteldeut-schen Zeitung: „Man darf Pressefreiheit nicht als Presseanarchie missverstehen. Freiheit braucht Regeln, die Pressefrei-heit ebenso – juristische wie moralische Regeln.“ Wozu beispielsweise auch der Pressekodex gehört: Die Grundsätze, die 1973 vom Deutschen Presserat veröffent-licht wurden, enthalten Richtlinien, an denen sich Journalisten in ihrer Arbeiten messen lassen sollen. Dazu gehören bei-spielsweise das Recht des Schutzes der Privatsphäre und die Umsetzung der frei-en Berichterstattung. Nach diesem Papier ist es beispielsweise nicht mit den Grund-sätzen des Journalismus zu vereinbaren, den Ruf eines Menschen durch Berichter-stattung zu ruinieren.

DEUTSCHER PRESSERAT ALS VORBILD

Doch dieser Kodex bezieht sich momen-tan nur auf Journalisten aus Deutschland. Kritiker regen an, eine ähnliche Fassung für alle Journalisten in Europa zu ent-wickeln. Einige gehen sogar weiter und fordern die Einrichtung einer Institution zur Regulierung der Berichterstattung: eine Art europäischer Presserat nach deutschem Vorbild. Dieser könnte jedoch keine Beschlüsse fassen, nach denen sich

Journalisten richten müssten, sondern würde lediglich Empfehlungen ausspre-chen.

Pressefreiheit ist eine Grundbedin-gung für die Demokratie. Damit ist sie ganz weit oben anzusiedeln im Kanon der demokratischen Rechte in der Euro-päische Union. Für die Zukunft sollte da-her das Ziel sein, diese zu schützen und weiter auszubauen.

Roman Schönemann16, Köthen

... kauft Äpfel aus Spanien, Kartoffeln aus Deutschland und andere Konsumgüter aus der EU.

PRESSEFREIHEIT TÄGLICH BEKOMMEN WIR VON VERSCHIEDENEN MEDIEN DIE NEUSTEN INFORMATIONEN ZU THEMEN WIE SPORT, WIRTSCHAFT ODER POLITIK. DOCH GIBT ES REGELN UND EINSCHRÄNKUNGEN IN DER TÄGLICHEN ARBEIT EUROPÄISCHER JOURNALISTEN? VON ROMAN SCHÖNEMANN

ZUMINDEST DAS DEUTSCHE GRUNDGESETZ GARANTIERT DIE PRESSE-, MEINUNGS- UND INFORMATIONSFREIHEIT. DOCH WAS IST MIT DEM REST EUROPAS? Foto: Tobias Mittmann / jugendfotos.de

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O ranienstraße, Berlin-Kreuzberg. Mit Graffiti beschmierte Beton-

wände, plakatierte Türen und die ty-pischen Kreuzberger Szene-Läden. Mittendrin arbeiten Biplab Basu, Ma-ria Portugal und Praktikantin Sophie Schlüter im Büro der Berliner Rassis-mus-Beratungsstelle Reach Out. Seit 2001 finanziert die Senatsverwaltung Berlin die Einrichtung im Zuge des Landesprogramms gegen Rechtsextre-mismus, Fremdenfeindlichkeit und An-tisemitismus. Zurzeit betreuen und be-raten sechs Mitarbeiter Menschen, die Opfer von körperlicher und psychischer Gewalt wurden.

An einem großen Holztisch mit Blick auf eine Landkarte von Berlin, de-koriert mit vielen kleinen pinken Fähn-chen, nehmen die Mitarbeiter Platz. Die Fähnchen stehen für rassistische Über-griffe, ganz aktuell sei die Karte jedoch nicht. Der Wind habe viele Fähnchen schon abgerissen und durch den groß-en Raum gepustet. Dennoch könnten sie fast täglich wieder neu gesteckt werden. Mit insgesamt 185 Angriffen und 288 Opfern im Jahr 2013 stieg die Zahl der Übergriffe allein in Berlin um 33 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Rassismus bleibt das häufigste Tatmotiv.

OPFER IN ALLEN SCHICHTEN

Dabei reicht das Spektrum der Opfer von Arbeitslosen bis hin zu Akademi-kern. „Die Täter unterscheiden nicht“, schließt Biplab Basu aus den hausinter-nen, jährlichen Statistiken. Die Betrof-fenen werden aufgrund ihrer Ethnizität, Religion sowie Sprache Opfer von ras-sistischer Gewalt. „Oft sind es Macht-verhältnisse oder historische Gründe, die Täter zu rassistischen Taten animie-ren“, sagt Maria Portugal. Besonders in Alltagssituationen begegnen sich Täter und Opfer. Ob bei der Wohnungssuche, im Arbeitsleben, in der Schule oder im Gerichtssaal: Rassismus ist allgegen-wärtig.

Das bestätigt auch der Flüchtling Ibrahim Kanalan (33), der besonders häu-fig mit Formen des Alltagsrassismus kon-frontiert wurde. Ob auf dem Fußballplatz oder etwa der Busfahrer, der ihm sprich-wörtlich die Tür vor der Nase verschloss – und das mehrmals. „Wie neutral ist un-sere Sprache eigentlich?“, fragt Kanalan nachdenklich. „Rassistische Äußerungen geschehen auch unbewusst.“

Auch Biplab Basu betont, wie schwierig es oft sei, klare rassistische Mo-tive nachzuweisen. Er verweist besonders

auf die Wichtigkeit der Arbeit von Reach Out jenseits der Ermittlungen der Polizei. „Bewältigung ist das Wichtigste für uns. Und das unterscheidet uns von der Poli-zei“, erklärt er.

STUDIEN BELEGEN RASSIS-TISCHE TENDENZEN

Welche Vorurteile die Deutsche Bevöl-kerung gegen Migranten hegt, zeigt die Studie "Die Abwertung der Anderen" der Friedrich-Ebert-Stiftung: Aussagen wie „Sinti und Roma neigen zur Kriminali-tät“ treffen bei 38 Prozent aller befragten Deutschen auf Zustimmung. Über 31,5 Prozent der Befragten befürworten da-rüber hinaus die Aussage, dass sie sich durch die vielen Muslime wie ein Frem-der im eigenen Land fühlen. Aussagen wie diese stoßen europaweit auf große Zustimmung. Die Studie schließt daraus auf eine allgemeine, europaweite Über-fremdungsideologie.

Das beobachten auch die Mitar-beiter von Reach Out, die sich von den Zahlen jedoch nicht beeindrucken las-sen wollen. „Seit 51 Jahren arbeite ich aktiv an einer besseren Gesellschaft. Ich will einfach an der Seite der Menschen stehen, die gesellschaftlich ganz unten

auf der Leiter stehen", beschreibt Biplab Basu. „Es ist ein krasses Problem der Ge-sellschaft", ergänzt Praktikantin Schlüter entschlossen, „von staatlicher Seite wird nicht genügend unternommen." Auf die Frage, ob eine grenzenlose Zukunft, frei von Rassismus möglich sein wird, betont Portugal nachdenklich: „Ich möchte da-ran glauben, dass die Arbeit, die wir hier tun, irgendwann nicht mehr nötig ist. Wann es soweit ist, weiß ich nicht. Aber ich möchte weiter daran glauben."

Cagdas Yüksel20, MönchengladbachFelix Schröder20, Halle (Saale)

... ist das Ausmaß Europas nicht immer bewusst.

OPFER IM MITTELPUNKT EUROPAWEIT MACHEN RASSISTISCHE ÜBERGRIFFE IMMER WIEDER SCHLAGZEILEN. VEREINT UNS EUROPÄER ETWA DIE ABLEHNUNG VON FREMDEN? EIN BESUCH BEI HELFERN IN EINEM BERLINER KIEZ. VON CAGDAS YÜKSEL & FELIX SCHRÖDER

BERLIN-LICHTENBERG: EIN MANN WIRD IN EINEM SUPERMARKT IN DER WEITLING-STRASSE VON EINEM UNBEKANNTEN MANN RASSISTISCH BELEIDIGT, GESTOSSEN UND INS GESICHT GESCHLAGEN. DAS PER-SONAL GREIFT NICHT EIN UND DER AN-GESTELLTE DER SECURITY-FIRMA UNTER-STÜTZT DEN TÄTER.

BERLIN-PANKOW: EIN 12-JÄHRIGER JUNGE, DER IN BEGLEITUNG VON ZWEI FREUN-DEN IST, WIRD IM STIFTSWEG AUS EINER GRUPPE HERAUS RASSISTISCH BELEIDIGT. ER WIRD GESCHLAGEN, GETRETEN UND DABEI VERLETZT.

BERLIN-WEDDING: DREI FAHRRADFAHRER WERDEN AN EINER AMPEL IN DER FENN-STRASSE AUS EINEM AUTO HERAUS RAS-SISTISCH BELEIDIGT. NACHDEM DIE AMPEL GRÜN ZEIGT, ÜBERHOLT DAS AUTO DIE DREI MÄNNER UND DER FAHRER UND DER BEIFAHRER SPRINGEN AUS DEM AUTO. EIN 21-JÄHRIGER WIRD VON DEM FAHRER GESCHUBST, INS GESICHT GESCHLAGEN UND DABEI VERLETZT.

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BIPLAB BASU, 63 JAHRE SOPHIE SCHLÜTER, 22 JAHRE MARIA PORTUGAL, 44 JAHRE

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NUR AKTEN, NUR ZAHLEN LAMPEDUSA UND DAS MASSENGRAB MITTELMEER, MISSHANDELTE ASYLBEWERBER UND ÜBERFÜLLTE HEIME: IN EUROPA KOMMEN NEGATIVE SCHLAGZEILEN HÄUFIG IN VERBINDUNG MIT FLÜCHTLINGEN AUF. WIE STEHT ES DERZEIT UM DIE ASYLPOLITIK DER EU? EIN BESTANDSBERICHT VON JANA BORCHERS & RAPHAEL BERGMANN

G renzen lösen sich nicht auf. Gren-zen verlagern sich nur“, sagt Ibra-

him Kanalan. Er lächelt, aber die braunen Augen hinter den Brillengläsern blicken traurig. Der 33-jährige Kurde weiß, wo-von er spricht. Vor 20 Jahren kam er als Flüchtling nach Deutschland.

Auf dem Papier ist Europa ein Raum ohne Grenzen. Juristisch gesehen darf sich jeder EU-Bürger dort frei und unge-hindert bewegen. Seit dem Vertrag von Amsterdam wird die EU als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bezeichnet und für viele Menschen, die in ihrem eigenen Land von Krieg oder po-litischer Verfolgung bedroht sind, ist sie das Sinnbild für Frieden und ein sicheres Leben.

Aber was passiert, wenn jemand diesen Raum zu betreten versucht? Wie gehen die Europäer um mit solchen, die um Schutz bitten, weil sie dort, wo sie herkommen, um ihr Leben fürchten müs-sen?

DEN FLÜCHTLINGEN EINE STIMME GEBEN

Um Antworten auf diese Fragen zu be-kommen, besuchte der Musiker und Schriftsteller Heinz Ratz vor drei Jahren 80 Flüchtlingsheime in ganz Deutsch-land. „In Folge dessen, was ich gese-hen habe und was mich so schockiert hat, habe ich mir gedacht, dass die Flüchtlinge selber eine Stimme krie-gen sollten“, erzählt der 46-Jährige. Er suchte nach Musikern, die in den Hei-men leben und gab mit ihnen und sei-ner Band „Strom&Wasser“ zwei Jahre

lang bundesweit Konzerte. „Auch wenn die angesprochenen Problematiken sehr ernst sind, kann man harte Botschaf-ten durch Musik viel erträglicher ver-packen“, so Ratz.

Für die Flüchtlinge war das Projekt auch eine Möglichkeit, dem Heimalltag für eine gewisse Zeit zu entkommen: Flüchtlinge leben in Sammellagern, auch, wenn sie billiger bei Verwandten unterge-bracht werden könnten. Die Wohnheime liegen oft am Stadtrand, meist teilen sich mehrere Personen unterschiedlicher Her-kunft und Sprache ein Zimmer. Sechsein-halb Quadratmeter stehen einem Flücht-ling in Deutschland durchschnittlich zur Verfügung, wie aus einem Bericht des Greenpeace Magazins von 2012 hervor-geht. Die Wahrung der Intimsphäre ist problematisch.

Kanalan, der vor 20 Jahren aus der Türkei nach Deutschland floh, musste 13 Jahre warten, bis er seinen Aufenthaltsti-tel erhielt. „In der Zeit hat sich mein Bild von einem freien Deutschland gewan-delt“, so der 33-Jährige, der aufgrund seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe in der Türkei verfolgt wur-de. „Bei den Ausländerbehörden waren wir nur Akten, nur Zahlen. Die Gründe für die Flucht interessieren niemanden“, so Kanalan.

DIE ISOLATION DURCHBRECHEN

Die Probleme sieht Musiker Heinz Ratz al-lerdings nicht nur bei den Behörden, son-dern auch in der öffentlichen Wahrneh-mung: „Es ist keine Bereitschaft da, sich

auf diese Menschen einzulassen. Das ist viel von Angst und Frust bestimmt. Das ist natürlich sehr schwierig zu ändern.“

Schwierig ist die Situation für die europäischen Länder definitiv. Nicht nur aus Gründen der Fremdenfeindlich-keit, sondern auch aus praktischen: 2013 wurden in Europa 434.000 Asylanträge gestellt. Natürlich ist es schwierig, für so viele Menschen eine Unterkunft zu finden, ihnen Essen und medizinische Versorgung zu bieten. 434.000 Menschen zuzuhören, ist, ohne Frage, eine noch viel größere Herausforderung.

Andererseits ist genau das der Punkt, an dem laut Heinz Ratz jeder an-setzen kann. „Indem man einfach mal in ein Flüchtlingslager reinläuft und mit den Menschen in Kontakt kommt, kann man die Isolation der Flüchtlinge durchbre-chen“, erklärt der Musiker.

Ibrahim Kanalan bezeichnet heute sowohl Berlin als auch die Türkei als sein Zuhause. Mit Deutschland als Staat hin-gegen könne er sich auch nach 20 Jahren nicht identifizieren. „Ob das anders wäre, hätte man mich hier anders aufgenom-men? Vielleicht.“

Jana Borchers17, MainzRaphael Bergmann20, Erfurt... haben Erfahrungen aus 19 Ländern, die leider vielen Menschen verschlossen sind.

Foto: Samuel GröschIBRAHIM KANALAN ENGAGIERT SICH HEUTE SELBST FÜR FLÜCHTLINGE

MEINUNG

DRINNEN ODER DRAUSSEN? – EINE FRAGE DER PERSPEKTIVE EIN KOMMENTAR VON JANA BORCHERS & RAPHAEL BERGMANN

I brahim Kanalans „Vielleicht“ ist nicht das einzige Vielleicht, mit dem

wir derzeit konfrontiert sind und auch in Zukunft sein werden: Zweifel, Unge-wissheit, Fragen, zu denen es viele un-terschiedliche oder gar keine Antworten gibt, werden im Zusammenhang mit dem Erbitten und Gewähren von Schutz immer wieder auftauchen.

Eine Sache jedoch ist sicher – un-abhängig davon, wer man ist oder wo man steht: Solange es Krieg auf dieser Welt gibt, Ungerechtigkeit oder Men-schen, die verfolgt werden und Europa ein Raum des Friedens ist, werden Men-schen auf der Suche nach Freiheit hier Schutz suchen. Das ist eine Tatsache, die nicht zu leugnen ist.

Wie wir mit den Menschen umge-hen, die uns um Schutz bitten, ist aber eine Frage, der sich nicht nur die Poli-tik, sondern auch wir als Gesellschaft immer wieder stellen müssen. Es gibt Grenzen, die wir persönlich nicht beein-flussen können, wie beispielsweise ge-ografische. Eine Handvoll Grenzen, die jeder von uns selbst setzt, ja sogar set-zen muss, bleibt. Denn nur indem wir uns von etwas abgrenzen, können wir unsere eigene Individualität wahren.

Wo wir die Grenzen ziehen, von was wir uns abgrenzen und von wem, ist letztendlich uns selbst überlassen. Entscheidend ist das Bewusstsein, dass wir durch jede Grenze nicht nur festle-gen, wie wir andere sehen, sondern vor allem, wer wir selbst sein wollen.

STATISTIK

Weltweit befinden sich momentan 50 Millionen Menschen auf der Flucht. Die fünf größten Aufnahmeländer die-ser Flüchtlinge sind: Pakistan, Iran, Li-banon, Jordanien und die Türkei. In Deutschland wurden 2013 insge-samt 127 023 Asylanträge gestellt. 24,8% wurden als Flüchtlinge an-erkannt und durften in Deutschland bleiben. 2014 waren es in den ersten zehn Monaten bereits 181 453 Bewer-ber, von denen 29,2 Prozent ange-nommen wurden.Im europäischen Vergleich erhält Deutschland damit ein Drittel aller Asylanträge, gefolgt von Frankreich (2013: 60 100 Anträge) und Schwe-den (2013: 54 260 Anträge).

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EUROPÄISCHE IDENTITÄT GESUCHT GRENZENLOSE FREIHEIT NACH GRENZENLOSER ABGRENZUNG? NACH DER WENDE SPRANG DER EUROPÄISCHE FUNKE AUF DIE DEUTSCHEN ÜBER. HEUTE IST DAS VERHÄLTNIS JUNGER MENSCHEN ZUR EU VON UNWISSENHEIT GEPRÄGT. WAS IST AUF DEM WEG VERLOREN GEGANGEN? VON JANA WOYDT

E in Leben ohne die Europäische Union, mit Grenzen und Zöllen, Wechselstu-

ben und eingeschränkter Reisefreiheit. Für die erste Generation Jugendlicher, die mit der EU aufgewachsen ist, ist dies kaum mehr denkbar. Die Freiheiten sind allge-genwärtig, der europäische Gedanke, wie sich die EU ihn vorstellt, ist vielen Jugend-lichen allerdings kaum bewusst.

So meint beispielsweise Anna, 22 Jahre alt: „In meinem Alltag begegnet mir der europäische Gedanke nicht direkt. Nur in Fällen des Reisens oder falls die Medi-en mal etwas berichten, kommt Europa in meinem Alltag vor. Allerdings verbindet uns Europäer doch eine gewisse ähnliche Mentalität, die besonders dann zum Aus-druck kommt, wenn man außerhalb von Europa unterwegs ist.“ Daniel, 18 Jahre alt, sieht auch noch das Erasmus-Programm als europäische Präsenz in seinem Alltag.

Florian Podewski von den Jungen Eu-ropäischen Föderalisten (JEF) findet auch, dass der europäische Gedanke vor allem in unserer Generation stärker verankert werden muss. Dafür müsse man für Auf-klärung an Schulen und bei Straßenfesten sorgen, meint der Verbandsfunktionär, der zusammen mit anderen im Rahmen der JEF Workshops für die Verbreitung des eu-ropäischen Gedankens unter Jugendlichen veranstaltet.

Der europäische Gedanke ist das Be-wusstsein sich als Europäer zu begreifen und sich für ein Zusammenleben der Men-schen und Völker in Europa im Sinne einer Gemeinschaft auszusprechen. Er gipfelt im Zusammenschluss zweier Staaten und sicherte Europa die längste Zeit des Frie-dens, die der Kontinent bisher erlebt hat.

DER GEBURTSTAG DER EU

Am 9. Mai 1950 stellte der französische Au-ßenminister Robert Schuman Deutschland seinen Plan zu einer Kohle- und Stahlpro-

duktions-Gemeinschaft vor. Damit legten diese beiden Länder den Grundstein für eine europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Seither wird am 9. Mai der „Europatag“ gefeiert und an die Gründung der Gemein-schaft erinnert. Daraufhin folgten etliche Verträge und Beiträge weiterer Staaten, die in Kleinarbeit erarbeitet und mit allen Mit-gliedsstaaten abgestimmt werden mussten. Zu den wichtigsten Verträgen gehören der Pariser Vertrag (1951) und die Römischen Verträge (1958). Mit ihnen wurde die Wirtschaftsgemeinschaft um die Bereiche Zollunion und Atomgemeinschaft erwei-tert. 1962 entstand die GAP (Gemeinsame Agrarpolitik), bei der sich die Wirtschafts-union mit der Förderung der Landwirt-schaft beschäftigte.

Ihren heutigen Namen erhielt die Europäische Union (EU) 1992: Mit dem Vertrag von Maastricht wurde die Europä-ische Gemeinschaft, wie sich der Staaten-Verbund bis dahin nannte, zur EU, in der die Mitglieder eine Unionsbürgerschaft, eine Währungsunion, eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sowie die Zusammenarbeit in den Be-reichen Justiz und Inneres vereinbarten. 1993 kamen der freie Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr hinzu. Vollständig frei bewegen konnten sich die Reisenden aber erst zwei Jahre später, als 1995 das Schengener Abkommen in Kraft trat. Die bisher letzte große Veränderung erlebte die EU 2009 mit der Erarbeitung des Vertrags von Lissabon, bei dem die EU-Institutionen reformiert wurden.

Für Deutschland hatte die Entste-hung der EU einen besonderen Wert, da es ein großer Schritt vom Nationalismus zur europäischen Zusammenarbeit war. Nach-dem die Alliierten den Krieg gewonnen hatten und Deutschland in Ost und West aufgeteilt wurde, war das Leben der Men-schen keineswegs grenzenlos. Es bestand aus Kontrolle, aus Fremdbestimmung und

aus Einschränkung der persönlichen und der Meinungsfreiheit. Besonders für die Menschen, die die DDR-Diktatur und den Mauerfall miterlebt haben, muss die Öff-nung der Grenzen durch die Europäische Union ein unfassbares Ereignis gewesen sein. Plötzlich konnte sich diese Generati-on wahrhaftig als „Generation grenzenlos" bezeichnen.

VISIONEN FÜR EUROPA

Immer häufiger geben Menschen ihre Stimmen Parteien, die Europa ablehnen. Aufgrund dieser Umstände entwickeln Politiker Modelle, die an die Stelle der EU treten könnten, sollte diese scheitern. Die naheliegende Methode wäre demnach die Politik wieder auf die Nationalebene zu-rückzuführen.

Doch es gibt auch andere Ideen, wie man auf internationaler Ebene weiter zu-sammenarbeiten könnte. Ein bekanntes Modell aus den 80er Jahren, welches in Teilbereichen der EU schon heute umge-setzt wird, ist das Konzept „Europa der zwei Geschwindigkeiten". Dabei gibt es ei-nen Kern von Staaten, der z.B. wirtschaft-lich am stärksten ist und den Rest, der sich ebenfalls zusammenschließt. So können die stärkeren Länder ungehindert durch die Schwächeren eventuell zu größerem Fortschritt gelangen, während die Schwä-cheren ihre Geschwindigkeit an ihre indi-viduellen Bedürfnisse anpassen können, ohne die anderen zu „blockieren“.

Denkbar sind hier wiederum drei Varianten. Zum einen „Kerneuropa“, das sich wie eben beschrieben aufgrund von

„Föderation innerhalb der Konföderation“ entwickelt. Zum zweiten die „abgestufte Integration“, bei der zu den multinatio-nalen Verträgen weitere Nicht-EU-Staaten hinzugezogen werden. Und schließlich das Konzept „Europa à la carte“, bei dem jeder Staat sich nur denjenigen Verträgen

anschließt, an denen er interessiert ist. Auch wenn das Modell zum Teil bereits beim „Schengener Abkommen“ und in der Europäischen Wirtschafts- und Währungs-union umgesetzt wird, findet es nicht nur Anhänger. So hält zum Beispiel Margot Tu-zina von der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland dieses Kon-zept für „Ausgrenzung“.

Ein weiteres Gegenmodell ist die Vi-sion der „Vereinigten Staaten von Europa“. Doch auch hier gibt es kritische Stimmen. Das Modell Europa einem richtigen Staat gleichzustellen, vertreten die wenigsten, da es rechtlich schwierig zu verwirkli-chen ist. An dem Gedanken eines engeren Zusammenschlusses der Staaten und der weiteren Verlagerung von Kompetenzen auf europäische Ebene finden allerdings viele Gefallen. Die SPD-Abgeordnete Dr. Katarina Barley, die auch dem Ausschuss für Europäische Angelegenheiten im Deut-schen Bundestag angehört, meint: „Die Hoffnung besteht darin, dass der EU zu noch mehr Macht verholfen wird und ge-waltsame Konflikte so abnehmen werden." Die äußeren Grenzen hat Europa geöffnet, völlig grenzenlos ist es dennoch nicht.

Jana Woydt17, Darmstadt

... hat nach dem Workshop das Verlan-gen, in der Bevölke-rung das Bewusstsein für Europa zu stärken.

Foto: Paul Ramisch

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D ie Europäische Union sichert uns die längste Zeit an fortwährendem

Wohlstand und Frieden, die Europa bis-her erlebt hat. Sich aktuell ausweitende Krisen wie in der Ukraine werfen aller-dings die Frage auf: Ist Euro pa stark ge-nug oder brauchen wir eine noch stärkere Zusammenarbeit? Dazu müssten die Na-tionalstaaten Souveränität abgeben. Doch das fällt den Parlamenten der einzelnen Länder sehr schwer. Kaum jemand gibt gern Macht ab.

WICHTIGSTE ZUTATEN SIND TRANSPARENZ UND KOMMUNIKATION

Nationalstaaten wie Deutschland wollen naturgemäß so viel Macht wie möglich behalten, selbstbestimmt regieren und ihr eigener Souverän sein, wissen aber oftmals auch, dass es sinnvoll wäre, mehr Politikbereiche auf eine gemein-same, das heißt im deutschen Fall euro-

päische Ebene zu verlagern. Solange es jedoch keine komplette Verlagerung auf EU-Ebene gibt, sind vor allem zwei Din-ge für eine gelingende Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Deutschen Bundestag notwendig: Transparenz und Kommunikation.

Ein hässlicher, alter, mehrstöckiger Plattenbau am Ufer der Spree, der Reichs-tag in Laufweite. Hier sitzt die Unterab-teilung PE der Deutschen Bundestags-verwaltung, Unterabteilung Europa. 64 Mitarbeiter stehen hier unter der Leitung von Dr. Sven Vollrath bereit, um das Parlament dabei zu unterstützen, seine Rechte und Aufgaben im Bereich der eu-ropäischen Rechtsetzung wahrzunehmen. Rund 25.000 Dokumente aus Brüssel wer-den jährlich bearbeitet. „Europa ist viel“, bringt es Vollrath auf den Punkt. Seit dem Vertrag von Lissabon ist die Europäische Kommission zu deutlich mehr Unterrich-tung der nationalen Parlamente verpflich-tet. Nicht jeder Abgeordnete kann alle

diese Dokumente lesen. Deshalb werden sie von der Abteilung selektiert und zu-sammengefasst. Wenn es in Brüssel mal schnell gehen muss, heißt das auch hier Nacht- und Wochenendschichten – wie zum Beispiel als es um die Rettungspro-gramme für Griechenland ging.

HERAUSFORDERUNGEN IN DER ZUSAMMENARBEIT

Neben der räumlichen Distanz stellt die Sprache ein zusätzliches Hindernis für ein reibungsloses Ineinandergreifen von nationalen Parlamentsabläufen und EU-Verordnungen dar. Die offiziellen Arbeits-sprachen in Brüssel sind Englisch, Fran-zösisch und Deutsch, zusätzlich müssen alle Gesetzestexte in die 23 Amtssprachen übersetzt werden. „Aber vor allem bei umfangreichen Hintergrundtexten ist dies längst nicht immer der Fall oder dauert zu lange“, erklärt Dr. Vollrath. Auch Bundes-tagspräsident Lammert beschwerte sich

in der Vergangenheit vehement bei der Europäischen Kommission über nicht ins Deutsche übersetzte EU-Texte.

Die Sprachproblematik beschreibt das Spannungsfeld zwischen national-staatlicher Souveränität und supranatio-nalen Anforderungen gut. Bei der Sprache wollen Nationalstaaten meist alles in ih-rer lokalen Sprache lesen, aber für die EU ist es unpraktisch und aufwendig in allen Sprachen gleichzeitig arbeiten zu müssen. Um die Abgeordneten und Verwaltungs-angestellten darauf vorzubereiten, bietet der Deutsche Bundestag Sprachkurse an.

Wie wichtig Europa für den Deut-schen Bundestag ist, zeigt sich an einem zweiten Ort im Parlamentsviertel beson-ders deutlich: ein riesiger, runder Saal mit Blick auf das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus und die Spree. Eine Deutschland-Flagge und eine Europa-Flagge rahmen die Aussicht ein. Es ist der einzige Aus-schusssaal, der Flaggen beherbergt. Dol-metscherkabinen drängen sich am Rand.

KRÜMEL ODER KUCHEN?WIE VIEL EUROPA STECKT IM BUNDESTAG? DIE EU IST EINE HAUPTZUTAT DER PARLAMENTSTORTE. DER EINFLUSS DES BUNDESTAGS IM BRÜSSELER KUCHEN JEDOCH IST HÖCHSTENS ALS FLÜCHTIGE NOTE ZU ERAHNEN.VON JULA MATZNER & ALBERT WENZEL

Foto: Samuel GröschEINEN KLEINEN HAPPEN EUROPA HABEN WIR BEREITS VOR DEM BUNDESTAG ENTDECKT, HINTER DEN TÜREN VERBIRGT SICH MEHR DAVON, ALS MAN DENKT.

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B undestagsabgeordnete Dr. Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen),

stellvertretendes Mitglied des Europa-Ausschusses im Deutschen Bundestag, ist sich sicher: „Der Klimawandel ist nicht zu stoppen, wenn alles so weiterläuft wie bis-her.“ Tatsächlich hat sich die Europäische Union die Klima- und Energiepolitik auf die Fahnen geschrieben. Bis 2020 sollen min-destens 20 Prozent der Kohlenstoffdioxid-Emissionen reduziert und der Anteil erneu-erbarer Energien und die Energieeffizienz um 20 Prozent gesteigert wer-den.

E i n f a c h zu erreichen sind diese Ziele nicht. Ein Pro-blem stellen die vielfältigen Strategien und der Ener-giemix der Mitglieds-l ä n d e r dar. Natio-nale Interessen wiegen bisher stärker als die europäischen. Nach der Katastrophe im japanischen Fuku shima will Deutschland bis 2022 aus der Atomenergie aussteigen und vermehrt auf erneuerbare Energie aus Wind, Wasser und Sonne bauen. In anderen Ländern, wie Frankreich, gewinnt die Atomkraft dagegen wieder mehr Fans. Polen wiederum baut ver stärkt auf fossile Brennstoffe. Besonders die deutsche Energiewende wird im Ausland als Luxusprojekt betrachtet, weil sie so stark auf Nachhal-tigkeit fokussiert ist und nicht vordergründig Versorgungssicherheit

gewährleisten muss, wie das Handelsblatt feststellte.

Eine einheitliche euro-päische Energiepolitik als Lösung forderte der Präsident des Eu-

ropäischen Rates, Donald Tusk, im April dieses Jah-

res. Zumindest eine verstärkte Zusammenarbeit in diesem Gebiet befürworten auch einige Mitglieder des Aus-

schusses für Wirtschaft und En-ergie im Deutschen Bundestag.

„Die Energiewende ist ein Thema, das sich nur noch europäisch behandeln lässt“, er-klärt MdB Hansjörg

D u r z ( C S U ) . Der SPD-B u n d e s -tagsabgeordnete Hans-Joachim Schabedoth pflichtet ihm bei, dass Deutschland nicht autark und keine Insel sei. Wie schnell sich eine gemeinsame Zusammenarbeit realisie-

ren lasse, bleibe indes offen. Laut Dr. Schabedoth gebe es zwar

einen Trend, „aber ob wir das heute oder morgen sehen, weiß

ich nicht.“ Die Euro-

päische Union unterstützt in ih-

ren Publikationen und Berechnungen die Überlegungen der Politiker. Nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch sei die Zusammenarbeit nötig, da sie „kosten-dämpfend wirken und die Versorgungs-

sicherheit gewährlei-sten“ könne, heißt es im Energiefahrplan 2050 der Europäischen Kommission.

Bereits 2007 erklärte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, dass die Energiewende die größte Herausforderung des 21. Jahr-hunderts sei. Weniger Aufgaben sind es

seither nicht gewor-den.

Hier tagen die Abgeordneten, die sich am häufigsten mit Europa beschäftigen, denn hier sitzt der Ausschuss für die An-gelegenheiten der Europäischen Union.

„Der Saal ist auch sehr begehrt und nicht immer für den Europa-Ausschuss verfügbar“, gibt Ausschuss-Obmann Alexander Ulrich an. Das Stichwort lautet „Repräsentation“: Hier wird viel Aufsehen um einen Ausschuss gemacht, der zwar als einer von vieren im Grund-gesetz verankert ist, aber nicht wirk-lich viel verantwortet. Der Ausschuss sei „nicht jeden Tag in der Tagesschau“, gibt Ulrich zu. Die meisten Themen, die von der Europäischen Kommission kom-men, werden in den jeweiligen Fachaus-schüssen behandelt. So beschäftigte sich zum Beispiel der Haushaltsausschuss federführend mit den Maßnahmen zur Euro-Krise, nicht der Europa-Ausschuss. Auf die Frage, warum es den Ausschuss dann noch gibt, antworten die Abge-ordneten ausweichend: Sie seien stets beratend tätig und bei Themen, die die EU direkt betreffen, der federführende Ausschuss.

Dazu kommt, dass alles, was der Bundestag macht, immer „über Bande gespielt“ werde, erläutert Bundestagsab-geordnete Dr. Katharina Barley (SPD). Der Bundestag kann Stellungnahmen be-schließen, die die Bundesregierung bei ihren Verhandlungen in Europa berück-sichtigen muss. Die Bundesregierung be-stimmt im Ministerrat die Europa-Politik mit. So kann der Bundestag nur über zwei Stationen mitwirken. Und selbst diese Möglichkeit nutzt er jährlich nur bei ungefähr 10 Prozent der Richtlinien.

SPANNUNGSFELD ZWISCHEN LEGISLATIVE UND EXEKUTIVE

Auf diese Weise entsteht ein Spannungs-feld zwischen Legislative und Exekutive: Die Bundesregierung als Exekutive er-hält über die Europäische Union legisla-tive Kompetenzen. Die Bundesregierung kann den Bundestag dann theoretisch sogar über europäische Richtlinien zu Gesetzgebungen zwingen. Dazu muss sie aber noch einige andere Länder und das Europäische Parlament überzeugen. Auf nationaler Ebene gibt es in Deutsch-land ein ähnliches Prinzip: Die einzelnen Bundesländerregierungen sitzen im Bun-desrat und stimmen über die deutsche Gesetzgebung ab.

Das einzige Instrument des Deut-schen Bundestages, direkt in die Europa-Politik einzugreifen, ist die sogenannte Subsidiaritätsrüge oder -klage. Damit kann der Bundestag anzweifeln, dass eine bestimmte europäische Verordnung

oder Richtlinie in die Zuständigkeit der Europäischen Union gehört. Ein Viertel der Mitglieder des Bundestages muss dies beantragen. Wenn mehrere nati-onale Parlamente sich dieser Rüge an-schließen, muss die Europäische Kom-mission den Vorschlag überprüfen.

Der Bundestag kann in der Europa-politik also hauptsächlich kontrollieren. Gerade mit der großen Koalition sei dies nicht einfacher geworden, kritisiert Bun-destagsabgeordnete Dr. Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen). Die große Mehr-heit erschwere eine effektive Kontrolle der Bundesregierung, erläutert sie weiter. Auch das erforderliche Viertel der Abgeordneten für eine Subsidiaritätsrüge erreicht die Op-position nicht im Alleingang.

AUF DER SUCHE NACH DEM RICHTIGEN REZEPT

Insgesamt hakt es noch an einem Patent-rezept, wenn es um die ideale Form der Zusammenarbeit zwischen dem Deut-schen Bundestag und der EU geht. Ob der Bundestag die richtige Mischung der Zutaten gefunden hat, bleibt die Frage. Dr. Vollrath von der Unterabteilung PE weiß, dass das europäische Zusammenspiel eine dauerhafte Herausforderung für alle Mitgliedsstaaten bleiben wird und bringt es auf den Punkt: „Wir sind noch nicht bei Kilometer 38 des Marathons ange-kommen. Europa verändert sich ständig.“

ENERGIEPUZZLE SCHMELZENDE EISBERGE, VERHEERENDE STÜRME, ANSTEIGENDER MEERESSPIEGEL: DER KLIMAWAN-DEL BEDROHT EUROPA. DOCH STATT MIT EINER STIMME ZU SPRECHEN, KOCHEN DIE LÄNDER IHRE EIGENE ENERGIE-SUPPE. BRAUCHT ES EINE GEMEINSAME LÖSUNG? VON PAUL MEULENEERS

Jula Matzner17, KasselAlbert Wenzel17, Hamburg... sind sich einig, dass in ihnen mehr Europa steckt als im Bundes-tag.

Paul Meuleneers20, Münster

... hat einen flä-mischen Nachnamen und viel Energie für Wandel.

„Der Klimawandel ist nicht zu stoppen, wenn alles so weiter-läuft wie bisher.“

„Die Energie-wende ist ein Thema, das sich nur noch europäisch be-handeln lässt.“

Hansjörg Durz (MdB),CSU

Dr. Franziska Brantner (MdB),Bündnis 90/Die Grünen

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D ie Europäische Kommission nimmt in-nerhalb der Union eine wichtige Rolle

ein. Als vollziehende Gewalt funktioniert sie ähnlich wie eine staatliche Regierung: Die Kommission – oder vielmehr die Kom-missare – schlagen unter anderem Gesetze vor und sorgen dafür, dass die EU-Mitglie-der diese einhalten. Aus diesem Grund wird die Kommission auch „Hüterin der Verträ-ge“ genannt.

Die sogenannten Kommissare haben mit der Polizei nichts zu tun. Vielmehr sind sie ähnlich wie Landesminister für ein Ressort zuständig, also verantwortlich für bestimmte Angelegenheiten der EU, wie Bildung, Umwelt oder Handel. Jeder der 28 EU-Mitgliedstaaten stellt einen Kommissar, den das Europäische Parlament bestätigt. Der deutsche Kommissar Günther Oettinger vertritt beispielsweise das Ressort Digitale Wirtschaft und Gesellschaft.

In der EU-Kommission sind alle Mit-glieder gleichberechtigt. Damit die Insti-tution trotzdem wie ein Organ arbeitet,

gibt es einen Präsidenten, der Ziele für alle vorgibt. Seit dem 15. Juli 2014 ist Jean-Claude Juncker Präsident der Euro-päischen Kommission.

VIEL BEACHTET, OFT MISSTRAUT

Auf Grund der Europawahl bekam die Kommission dieses Jahr viel Aufmerk-samkeit von den Medien. Unter EU-Bürgern hat sie aber keinen guten Ruf: In Deutschland vertrauen ihr laut dem Online-Portal Statista gerade einmal 35 Prozent.

„Behörden wie die der Europä-ischen Kommission sind immer ein Stück weit bürgerfern – egal ob auf nationaler oder internationaler Ebene, weil sie sich mit Politik und abstrakten Themen be-schäftigen“, erklärt Florian Podewski, Vorstandsmitglied der Jungen Europä-ischen Bewegung (JEB). „Zudem ist die EU-Kommission ein Sonderfall, da sich

ihr Sitz in Brüssel befindet und sie somit ein wenig abgeschottet von den meisten Menschen ist.“ Auch die Öffentlichkeits-arbeit der Europäischen Kommission sei wegen der sprachlichen und kulturel-len Vielfalt schwierig. „Dennoch gibt es Versuche der EU-Kommission, diese Bür-gerferne zu überwinden, zum Beispiel mit Europe-Direct-Zentren, die die Bür-ger über die EU informieren sollen“, so Podews ki. Reicht das aus?

Mithlieder des Bundestagsausschus-ses für Bildung, Forschung und Technikfol-genabschätzung glauben, dass beispiels-weise die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) genug Aufklärungsarbeit in puncto EU liefert. Allerdings nähmen Schulen solche Angebote nicht zu Genüge an. Um externe Bildungsangebote in den Unterricht aufzunehmen, bräuchten Leh-rer zudem mehr Unterstützung.

Werner Kathe, Lehrer an der Ober-schule in Rehden, ist der Meinung, dass der Politikunterricht in Schulen immer

mehr an Bedeutung verliert. „Das Fach Politik wird mehr und mehr durch Wirt-schaft ersetzt. Dadurch nimmt das Inte-resse junger Leute an politischen Themen ab.“ Zwar gebe es für Jugendliche genug außerschulische Bildungsangebote, doch müssten diese auch genutzt werden, be-tont Kathe.

Juncker hat angekündigt, die EU nicht bloß zu verwalten, sondern zu re-gieren. Schafft er es so, der jungen Gene-ration das Vertrauen in die Kommission zurückzugeben?

ICH VERSTEH' IMMER NUR „KOMMISSION“ IN BRÜSSEL HAT DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION IHREN HAUPTSITZ. VOM ALLTAG VIELER EU-BÜRGER IST SIE WEIT WEG. AUFBAU UND AUFGABENFELD DER KOMMISSION SIND DESHALB GERADE JUGENDLICHEN OFT EIN RÄTSEL. VON SHONAI HALFBRODT

Shonai Halfbrodt19, Wetschen

... interessiert sich sehr für Europa, dennoch stecken in ihr mehr Deutschland und Indien.

E in Beitritt der Türkei zur EU ist um-stritten. Das liegt unter anderem

daran, dass die Union bereits jetzt sehr groß ist und an den Rand Europas stößt. Derzeit gehören 28 Länder zur EU – geo-grafisch nimmt sie eine große Fläche ein und grenzt bis ans Uralgebirge.

Das wirft Fragen auf: Wie groß soll die EU werden? Müssen Europas Grenzen auch die Grenzen der Europäischen Uni-on markieren?

EU-KANDIDATEN MÜSSEN KOPENHAGENER KRITERIEN ERFÜLLEN

Bereits jetzt  gehört mit Zypern ein asia-tischer Staat zur Union. Auch die Türkei, mit der die Union seit 2005 über einen Beitritt verhandelt, liegt zum Großteil in Kleinasien. Dass das Land bislang nicht zur EU gehört, hat neben geografischen auch politische und kulturelle Gründe.

Ob ein Land rechtlich der Union bei-treten darf, bestimmen die Kopenhagener Kriterien. 1993 legte der Europäische Rat mit ihnen fest, was beitrittswillige Länder vorweisen müssen. Neben einem stabilen politischen Apparat muss der EU-Anwär-ter  demokratisch, rechtsstaatlich und

wettbewerbsfähig sein, Menschenrechte und Minderheiten schützen. Zudem muss sich der Staat dazu bereit erklären, das in der EU geltende Recht zu übernehmen.

Die Türkei tut sich mit diesen Vor-gaben schwer. Noch immer herrschen im Land weder Meinungsfreiheit noch Gleichberechtigung. Deutlich wird das etwa durch den Konflikt mit den Kurden. Zudem liegt das Land nur zu drei Prozent in Europa. Für Befürworter eines EU-Bei-tritts der Türkei stellt letzteres kein Hin-dernis da. So sagt etwa Sebastian Sönk-sen, Vertreter der Türkisch-Deutschen Industrie- und Handelskammer: „Es gibt keinen Grund, die EU auf den europä-ischen Kontinent zu beschränken.“ Auch religiöse und kulturelle Differenzen müs-sen laut Sönksen kein Problem darstel-len:  „Obgleich die große Mehrheit dem Islam anhängt, hat die Republik Türkei starke kulturelle, wirtschaftliche und ge-schichtliche Wurzeln und Verbindungen zu Europa.“ 

Mit einer Aufnahme der Türkei könnte die Union zudem zeigen, dass sie auch gegenüber muslimisch geprägten Ländern offen ist. Gegen einen Beitritt führen Kritiker etwa die Sicherheit Eu-ropas an – diese wäre eventuell dadurch

gefährdert, dass die neuen Grenzen ei-ner um die Türkei erweiterten EU an den Krisenherden Syrien und Irak lägen. Das weiß auch der Europa-Ausschuss des Deutschen Bundestags. Die Lage ist schwer abzuschätzen, betont Bundes-tagsabgeordneter Maik Beermann (CDU).

„Ich kann nicht sagen, ob eine Aufnahme der Türkei den Weltfrieden beeinflussen würde.“ EU BESTEHT AUF HOHE STAN-DARDS

Für Sönksen indes  könnte  eine Expan-sion über die Grenzen Europas hinaus den Dialog zwischen Ländern för-dern.  Durch  eine EU-Erweiterung nach Vorderasien bestehe die Möglichkeit, Brü-cken zwischen verschiedenen Kulturen zu schlagen. 

Darunter dürfen aber nach Aus-sage der Parlamentarierer die Werte der Union nicht leiden. In der Türkei  herr-schen Zustände, „die mit dem Leitbild der EU nicht übereinstimmen“, so Beer-mann.  Die  SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Dorothee Schlegel  betont, dass die demokratischen Standards der Euro-päischen Union hochgehalten werden

müssen. Eine Erweiterung sei nur auf hohem Niveau denkbar.  Das bestehe in der  Türkei zurzeit noch  nicht. Doch das gegenseitige Interesse an einem Bei-tritt  sei ohnehin zurückgegangen. „Die türkische Gesellschaft ist durch die eher ablehnende Haltung zentraler Akteure der EU frustriert“, berichtet Sönksen. Das gelte auch für die Regierung. Auch die EU und die Staats- und Regierungschefs stün-den der Aufnahme  zum Großteil  skep-tisch gegenüber. Verhandlungen gebe es aber weiterhin.

„Die EU fördert das friedliche Zusam-menleben der Völker in Europa“, fasst Sönksen zusammen.  Ob die Türkei als neues Mitglied an diesem Prozess teil-nehmen wird, entscheidet sich frühestens nächstes Jahr. Entscheiden werden dann wohl nicht nur die geografischen, son-dern auch die Grenzen auf Papier.

SETZT EUROPA DER UNION GRENZEN? DIE EU IST EIN POLITISCHES KONSTRUKT, EUROPA EIN KONTINENT. SO WEIT SCHEINT DIE LAGE KLAR. AM BEISPIEL TÜRKEI ZEIGT SICH JEDOCH, DASS DIE GRENZEN NICHT SO EINDEUTIG SIND WIE GEDACHT. VON ADRIAN ARAB & PATRICK GROSSE

Adrian Arab17, BonnPatrick Große20, Mayen... sind 1/742 500 000stel der Menschen, die denEuropäischen Traum Tag für Tag leben.

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ALLE FÜR EINE, EINE FÜR ALLE 28 ARMEEN GIBT ES IN EUROPA UND ALLE HABEN IHRE PROBLEME. SCHON LÄNGER GIBT ES ÜBERLEGUNGEN, DIE EINZELNEN STREITKRÄFTE ZU EINER GEMEINSAMEN EUROPÄISCHEN ARMEE ZU BÜNDELN. ANSÄTZE DAFÜR SIND BEREITS HEUTE VORHANDEN. VON ELLA KICK & SEBASTIAN SCHEFFEL

E s ist den europäischen Medien keine Meldung wert: Portugals Armee will

zehn neue Hubschrauber vom Typ NH90 anschaffen. Doch Portugal hat kein Geld, die Finanzkrise hat ihre Spuren hinter-lassen. Einfach ist der Ausstieg aus dem kostspieligen Projekt nicht. Im Falle eines Vertragsbruchs könnten circa 100 Millio-nen Euro Strafzahlungen anfallen. Trotz der Einsparungen in Höhe von 200 Mil-lionen Euro belasten die Strafzahlungen den Staatshaushalt und die Armee. Auch das wirtschaftlich starke Deutschland hat mit verzögerten Anschaffungszeiten und explodierenden Kosten zu kämpfen. Der-zeit gelten die Armeen in ganz Europa als zu teuer und ineffizient.

Im Jahr 2012 dienten in allen Ar-meen Europas rund 1,45 Millionen Sol-daten. Zum Vergleich: Die USA hatten lediglich 1,39 Millionen Soldaten, waren aber an mehr Einsätzen beteiligt. Der Unterschied erklärt sich dadurch, dass in Europa jede einzelne Armee vollständig ausgerüstet sein muss. „Es ist schlicht in-effektiv und veraltet, im nationalen Klein-Klein jede Fähigkeit ein bisschen beherr-schen zu wollen“, meint MdB Thomas Hitschler (SPD) in der Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestags vom 08. Okto-ber 2014 zur Lage der Deutschen Bundes-wehr. Sein Fazit: „Die Entwicklung wird zwangsläufig in Richtung einer europä-ischen Armee gehen müssen.“

EINE IDEE – VIELE ANSÄTZE

Die Idee einer vereinten Streitkraft gibt es schon seit über fünfzig Jahren. Und deren Umsetzung wird – darüber sind sich die meisten Experten und Politiker einig – immer notwendiger. Bereits heute gibt es Ansätze einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit wie etwa die Deutsch-Französische Brigade.

Am Zustandekommen einer Euro-päischen Armee scheiden sich jedoch die Geister. Ein Vorschlag lautet, alle Streitkräfte zusammenzulegen. Bedenk-lich wäre allerdings die Größe der da-raus entstehenden Armee. Möglich wäre auch, dass jedes Land Soldaten in einen gemeinsamen Pool entsendet. So würde ein duales System entstehen – auf der einen Seite mit nationalen Armeen und auf der anderen mit einer europäischen Streitkraft.

Mit der Entsendung von Soldaten würden die einzelnen Länder aber auch Hoheitsrechte, wie die Bestimmung über den Verteidigungsetat sowie die Be-fehlsgewalt und Souveränität über ihre Streitkräfte abgeben. Politiker geben sich handlungsbereit: „Ich persönlich könnte mir vorstellen, die Entscheidung über

Einsätze an das Europäische Parlament abzugeben. Aber auch eine Verbindung beider Parlamente wäre denkbar“, meint etwa Dr. h. c. Gernot Erler, Außenpolitik-experte der SPD-Bundestagsfraktion. „In anderen Ländern ist das kaum möglich. So gibt es in Frankreich keine Parlaments-entscheide zu militärischen Einsätzen. Eine Übertragung an die EU wäre daher der übernächste Schritt, der momentan eher unrealistisch ist.“

Abgesehen von organisatorischen Problemen bei der Umsetzung fehlt es derzeit auch an Kompromissbereitschaft. Zwar arbeiten die Länder außenpolitisch eng zusammen. Bis ein gemeinsamer Nenner gefunden ist, vergehen trotzdem oft Jahre.

Die Vorteile einer europäischen Armee wären gesteigerte Effizienz und geringere Kosten für EU-Mitgliedstaaten, meint Bundestagsabgeordneter Florian Hahn, der Sprecher für Verteidigung und Angelegenheiten der EU der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist.

EIN SCHRITT NACH DEM ANDEREN

Doch bis aus der Idee Realität wird, dau-ert es nach Meinung der meisten Politiker noch lange. Ohnehin würden sich nicht alle EU-Staaten sofort an einer Umset-zung beteiligen; eine mehrteilige Erweite-rung, vergleichbar mit der der Eurozone, wäre wahrscheinlicher. Erste Schritte in

diese Richtung gibt es schon heute: Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidi-gungspolitik der EU betreibt beispiels-weise eine militärische Zusammenarbeit namens „Pooling and Sharing“. Zum

„Pooling“ gehört die gemeinsame Entwick-lung einer Waffentechnologie. Bisher gibt es 20 verschiedene Programme zur Ent-wicklung von Panzern, dementsprechend hoch sind die Kosten. Die Spezialisierung einzelner Länder auf bestimmte Fähig-keiten heißt „Sharing“. Staaten tauschen hierbei ihre Fähigkeiten aus, wodurch Ab-hängigkeiten entstehen können.

An dieser Stelle kommen wieder die portugiesischen Hubschrauber ins Spiel. Der Kaufauftrag könnte nach Vorschlag von Florian Hahn von EU-Staaten, die sich auf diesem Feld spezialisieren, über-nommen werden. Die gesamteuropäische Armee bleibt vorerst eine Vision. Hahns Konzept liegt aber schon im Kanzleramt vor.

SEHEN SO SOLDATEN UNTER EU-FLAGGE AUS?

Ella Kick19, GarchingSebastian Scheffel17, Vogtsburg

... werden von Tag zu Tag mehr Europäer.

HISTORISCHE ENTWICKLUNG

1950 Der französische Pre-mierminister René Ple-

ven stellt die Idee einer Europäischen Armee unter dem Kommando eines europäischen Verteidigungsministers oder einer Europäischen Verteidigungs-gemeinschaft (EVG) vor

1954 Die französische Nati-onalversammlung lehnt

die Ratifizierung des EVG-Vertrags ab

1991 Vertrag von Maastricht: Errichtung der Gemein-

samen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)

1999 Formulierung eines Planziels (Headline

Goal) zum Aufbau einer europäischen Eingreiftruppe

2003 Vertrag von Nizza: Ein-führung der Europä-

ische Sicherheits- und Verteidigungspo-litik (ESVP)

2009 Vertrag von Lissabon: ESVP wird zur GSVP

(Gemeinsame Sicherheits- und Verteidi-gungspolitik)

2010 Europäischer Rat nimmt schwedisch-deutsche

Initiative (Gent-Prozess) zur vertieften militärischen Zusammenarbeit an (Poo-ling & Sharing)

Foto: Samuel Grösch

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S chranke, Limit, Extrem. Unsere Welt besteht aus Grenzen. Räumliche

Grenzen, die Nationen voneinander tren-nen, unüberschreitbare Grenzen für sozi-al schlechter gestellte Menschen, Gren-zen der Toleranz, Grenzen als Identität. Aber was ist überhaupt eine Grenze?

Eine Grenze, wie wir sie kennen, markiert schon seit langer Zeit den An-fang und das Ende eines territorialen Machtgebietes und dient zur Machtsi-cherung. Doch Grenzen kann man auch auf eine höhere Ebene übertragen. Man kann unterscheiden zwischen natür-lichen und vom Menschen konstruierte Grenzen, zwischen Schranken, die nur im Kopf existieren und Grenzen, die rechtlich oder kulturell manifestiert sind.

Eine natürliche Grenze beschreibt ein im Laufe der Erdgeschichte entstan-denes Hindernis für den Menschen, wie ein Fluss oder eine Gebirgskette. Man kann diese Art von Grenzen in der Regel nicht aufheben – im Gegensatz zu einer menschlich erschaffenen Grenze, deren Verlauf durch politische oder gesell-schaftliche Handlungen verändert wird.

Die Frage nach Grenzenlosigkeit beinhaltet automatisch die Frage, wer wir sind. Was macht uns aus? Was leh-nen wir ab? Was befürworten wir? Was wünschen wir uns? Was macht uns glücklich?

WIE BILDET SICH EINE IDENTITÄT?

Damit sich der Mensch einer Gruppe zugehörig fühlen kann, muss er sich von einer anderen abgrenzen. Wovon, oder besser gesagt, von wem wir uns abgrenzen, hängt davon ab, in welcher sozialen Stellung wir uns befinden. Sind wir Teil einer „eher privilegier-ten“ Gesellschaftsschicht, sind wir in unserem Zusammenleben mit Ande-ren meist kaum oder gar nicht einge-schränkt. „Weniger privilegierte“ Men-schengruppen haben es hingegen meist schwerer und spüren die Grenzen in der Gesellschaft, am Arbeitsmarkt und vor allem im Bereich der Chancen-gleichheit stärker.

Das Abgrenzen voneinander för-dert die Bildung einer eigenen Mei-nung. Und diese beantwortet sie, wer wir überhaupt sind. Je nachdem auf welcher Seite der Grenze wir stehen, eröffnen sich uns andere Möglichkeiten und blicken wir aus einer anderen Pers-pektive auf die jeweils andere Seite.

Toleranz ist bei der Verständigung ein unverzichtbares Gut. Deshalb hat auch die Europäische Union in der Charta der Grundrechte Punkte vereinbart und unterschrieben, die jegliche Diskriminie-rung verbieten.

Wir haben die freie Entscheidung, wie wir mit Menschen umgehen, die nicht Teil unserer kulturellen, sprach-lichen oder politischen Gemeinschaft sind. Es ist unsere Entscheidung, wie wir diese wahrnehmen und mit ihnen umgehen. Wir entscheiden auch, ob wir unser Gegenüber nur tolerieren oder ob wir ihn akzeptieren und respektieren, wie er ist.

GRENZÜBERTRETUNGEN HEUTE

Grenzübertretungen können auch nütz-lich sein: Vor allem unsere Generation profitiert von der grenzenlosen Mobilität und Freiheit innerhalb der Europäischen Union. Dank Programmen wie Erasmus und Jugendbegegnungen steht unserer

Generation die Möglichkeit eines inter-kulturellen Dialoges und des Abbaus von Vorurteilen offen.

Eine Grenze hat aber immer zwei Seiten: Es macht die einen zu einer Ge-meinschaft und grenzt die anderen nach außen ab. So profitieren von diesen Rech-ten lediglich die Bürger der EU-Mitglieds-staaten. Dagegen sind in vielen Gebieten der Erde dem Ausleben der eigenen Iden-tität Grenzen gesetzt. Weltweit werden Menschen in ihren Grundrechten wie der Presse-, Meinungs- und Versammlungs-freiheit eingeschränkt. Gerade in aktueller Zeit begehren junge Menschen aufgrund globaler Vernetzung und eines wachsen-den Austauschs in vielen Ländern auf, wie beispielsweise in der Ukraine, um ihre Rechte einzufordern und sich gegen herrschende Systeme aufzulehnen.

Die meisten von Menschenhand geschaffenen Grenzen, egal ob räumlich, sozial, politisch, kulturell oder strukturell, können abgebaut beziehungsweise bis zu einem bestimmten Grad durchlässig gemacht werden: Dazu ist ein Dialog zwi-

schen den Parteien diesseits und jenseits der Grenze erforderlich. Es liegt gerade in der Verantwortung unserer Generation, diesen Dialog zu führen und das Fun-dament für eine zukünftige Generation Grenzenlos zu legen.

„Vollendet ist nichts, was kein Ende hat. Das Ende aber ist eine Grenze.“

Aristoteles

Kaja Kröger17, PinnebergKonstantin Haggenmüller18, Windorf-Hidring... haben genug Europa in sich, um grenzenlos glücklich zu werden.

GRENZE MENSCH GRENZEN BILDEN UNSERE IDENTITÄT UND PRÄGEN UNSER ZUSAMMENLEBEN. GERADE UNSERE GENERATION GILT ALS GRENZENLOS. DOCH AN WELCHEM PUNKT ÜBERSCHREITEN WIR EINE GRENZE UND STOSSEN ANDERE MENSCHEN VOR DEN KOPF? DIE THEMATIK UND DER BEGRIFF DER GRENZE. VON KAJA KRÖGER & KONSTANTIN HAGGENMÜLLER

SCHRANKEN SIND AUCH GRENZEN Foto: Kati Märten / jugendfotos.de

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FRISCH, FRUCHTIG, SELBSTGEPRESST – [email protected]

Diese Ausgabe von politikorange entstandbeim Jugendmedienworkshop im Deut-schen Bundestag 2014, der vom 05. bis12. Oktober in Berlin stattfand.

Herausgeber und Redaktion:politikorangec/o Jugendpresse Deutschland e.V.,Alt-Moabit 89, 10559 Berlinwww.politikorange.de

Der Jugendmedienworkshop im Deutschen Bundestag ist ein Projekt der Jugendpres-se Deutschland in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Deutschen Bundestag.

Chefredaktion (V.i.S.d.P.):Pia Bayer ([email protected]),Inka Philipp ([email protected])

Redaktionsleitung: Christina Mikalo, Susann Eberlein

Redaktion: Jonas Adler, Adrian Arab, Raphael Berg-mann, Jana Borchers, Robert Fischbach, Patrick Grosse, Konstantin Haggenmüller, Shonai Halfbrodt, Carmen Herzing, Darline Jonasson, Ella Kick, Leonie Kunze, Marvin Kutz, Kaja Kröger, Jula Matzner, Paul Maulen-eers, Anna Pia Möller, Lioba Müller, Leonard Palm, Lisa Pramann, Sandra Schaftner, Sebastian Scheffel, Luise Scherp, Roman Schönemann, Felix Schröder, Daniela Völp, Albert Wenzel, Sabrina Winter, Jana Woydt, Cagdas Yüksel

Bildredaktion: Samuel Grösch([email protected])

Layout: Maximilian Gens ([email protected]),Paul Ramisch ([email protected])

Projektleitung: Viktoria Hahn ([email protected])Tino Höfert ([email protected])

Betreuung:Bianca Schmalz, Bernd Fiedler, Jonas Kunze

Druck: BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH

Auflage: 15.000

Ein besonderer Dank gilt den Partnern: demDeutschen Bundestag, insbesondere AndreaArolt, der Bundeszentrale für politische Bildung, insbesondere Michaela Conen sowie Sophia von Carnap-Bornheim, und dem Team der Jugendpresse Deutschland. Zuletzt danken wir den zahlreichen engagierten Abgeordneten.

IMPRESSUM

Foto: Maximilian Gens

P rintmagazine, Blog und Videos: po-litikorange erreicht sein Publikum

über viele Kanäle und steht neuen We-gen offen gegenüber. Junge, kreative Köpfe berichten in wechselnden Redak-tionsteams aus einer frischen Perspekti-ve. Ob aktuelle Themen aus Politik und Gesellschaft oder die kritische Begleitung von Veranstaltungen – politikorange ist mittendrin.

POLITIKORANGE –DAS MULTIMEDIUM

politikorange wurde 2002 als Veranstal-tungszeitung ins Leben gerufen. Rund 130 Ausgaben wurden seither produ-ziert. Seit Anfang an gehören Kongresse, Festivals, Parteitage und Events zum Programm. 2004 kamen Themenhefte hinzu, die aktuelle Fragen aus einer ju-gendlichen Sichtweise betrachten. 2009 nahm politikorange Video und Blog ins Portfolio auf und präsentiert spannende Beiträge unter den Labels politikorange TV und blog.politikorange.de.

WO KANN ICH POLITIKORANGE LESEN?

Gedruckte Ausgaben werden direkt auf Veranstaltungen und über die Landes-verbände der Jugendpresse Deutschland e.V. verteilt. Im Online-Archiv auf poli-tikorange.de können digitalisierte Ma-gazine durchgeblättert und Videos auf-gerufen werden. Printausgaben können kostenlos nachbestellt werden – natür-lich nur, solange der Vorrat reicht. Für das Stöbern auf dem Blog genügt der Aufruf von blog.politikorange.de.

WARUM EIGENTLICH POLITIKORANGE?

Welchen Blick haben Jugendliche auf Politik und gesellschaftliche Verände-rungen? politikorange bietet jungen Menschen zwischen 16 und 26 Jahren eine Plattform für Meinungsaustausch und den Ausbau eigener Fähigkeiten. Engagement und Begeisterung sind die Grundpfeiler für journalistisch an-

spruchsvolle Ergebnisse aus jugendli-cher Perspektive. Frei nach dem Motto: frisch, fruchtig, selbstgepresst.

WER MACHT POLITIKORANGE?

Junge JournalistInnen – sie recherchie-ren, berichten und kommentieren. Wer neugierig und engagiert in Richtung Journalismus gehen will, ist bei politi-korange an der richtigen Adresse. Ge-nauso willkommen sind begeisterte FotografInnen, VideoredakteurInnen und kreative Köpfe fürs Layout. politi-korange funktioniert als Lehrredaktion: Die Teilnahme ist kostenlos und wird für jede Ausgabe neu ausgeschrieben – der Einstieg ist damit ganz einfach. Den Rahmen für Organisation und Vertrieb stellt die Jugendpresse Deutschland.

Du willst dabei sein? Infos zum Mitmachen gibt es unter politikorange.de , in unserem Newsletter und via Facebook und Twitter.

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DER JUGENDMEDIENWORK-SHOP IM DEUTSCHENBUNDESTAG

U nser Foto zeigt das Team und die Teilnehmer des Jugendmedienwork-

shops im Deutschen Bundestag 2014. Beim Jugendmedienworkshop im Deut-schen Bundestag setzen sich jedes Jahr

30 junge Journalisten kritisch mit dem aktuellen politisch-parlamentarischen und gesellschaftlichen Geschehen aus-einander. Vorab und während des Work-shops werden journalistische Grundlagen vermittelt und die kritische Auseinander-setzung mit den Medien geschult.2014 trafen die jungen Medienmacher

während der Workshopwoche auf Par-lamentarier des Deutschen Bundestages, erfahrene Hauptstadtkorrespondenten und Experten zum Workshopthema Ge-neration Grenzenlos. Diese Treffen bil-deten die Recherche-Grundlage für die Ausgestaltung dieses Themenmagazins.

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