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1 Hochschule Mannheim University of Applied Sciences Umgang mit schwierigen Gesprächssituationen Workshop im Rahmen der Kölner Therapietage 2010 Prof. Dr. Alexander Noyon Köln, den 30. Oktober 2010 Hochschule Mannheim University of Applied Sciences | Prof. Dr. Alexander Noyon Ablaufplan Allgemeines zu schwierigen Gesprächssituationen Überblick über schwierige Gesprächssituationen in Therapie und Beratung Hinweise zum Umgang mit schwierigen Gesprächssituationen exemplarisch anhand der Wünsche der Teilnehmer • Diskussion

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Hochschule Mannheim University of Applied Sciences

Umgang mit schwierigen Gesprächssituationen

Workshop im Rahmen der Kölner Therapietage 2010

Prof. Dr. Alexander Noyon

Köln, den 30. Oktober 2010

Hochschule Mannheim University of Applied Sciences | Prof. Dr. Alexander Noyon

Ablaufplan

• Allgemeines zu schwierigen Gesprächssituationen

• Überblick über schwierige Gesprächssituationen in Therapie und Beratung

• Hinweise zum Umgang mit schwierigen Gesprächssituationen exemplarisch anhand der Wünsche der Teilnehmer

• Diskussion

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Allgemeines zu schwierigen Gesprächssituationen

• Akzeptanz sich selbst gegenüber: schwierig heisst auch schwierig →häufig keine elegante Lösung!

• Vorbeugen ist besser als Heilen: „first things first“→ Beziehungsaspekte haben in der Regel Vorrang

• Ruhe bewahren: überhastet reagieren fast nie günstig → bei Wahrnehmung eigener innerer Spannung „zurücklehnen“

• konkrete Situation in Fokus nehmen, nicht „Persönlichkeitsstörung“

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Allgemeines zu schwierigen Gesprächssituationen

• kollegialer Austausch / Supervision

• auf eigene Balance achten: unser Beruf ist sehr anstrengend!

• Spannungsfeld von Akzeptanz und Veränderung: erwarten Sie Ambivalenz!

• Pluralität: es gibt nicht nur eine Lösung, sondern in der Regel viele verschiedene Ansätze

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Situationsbeispiel: Patienten geht es sehr schlecht und sie bittet, dass der Therapeut ihre Hand hält

Th.A.: „Das könnte ich vielleicht tun und ich entscheide mich dafür, das nicht zu tun. Ich glaube nämlich nicht, dass es Ihnen helfen würde, sich langfristig besser zu fühlen. Stattdessen würde ich mir gern mit Ihnen Zeit nehmen, um herauszufinden, wie es kommt, dass Sie sich im Moment so schlecht fühlen.“

Th. B.: [setze mich neben oder vor die Patientin, den Patienten und umfasse die dargebotene Hand für eine Weile]

aus: Fliegel & Schlippe (2005)

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Beispiele schwieriger Gesprächssituationen

• Behandlungsabbruch durch Klient• Abschluss von Therapie und Beratung• Abweichende Wertvorstellungen und

Ziele• Abwertendes und überkritisches

Verhalten• Aggressives Verhalten und Gewalt• Antriebslosigkeit• Intellektualisieren• Kurzfristige Terminabsagen und Nicht-

Erscheinen• Machtkampf

• Mangelnde Veränderungsmotivation• Negative Gefühlsäußerungen und

exzessives Jammern• Persönliche Einladungen von Klienten

sowie weitere Angebote zur Veränderung des Settings

• Persönliche Fragen von Klienten• Schweigen und „Ich weiß nicht“• Ständiges Reden („Logorrhoe“)• Suizidalität• Therapeutische Vorprägung• Umgang mit Tod und Sterben

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Beispiele schwieriger Gesprächssituationen

• Verliebtsein bei Klienten

• Verliebtsein bei Behandlern

• Wenig Eigenverantwortung bei Klienten

• Zerstrittenheit bei Paaren

• Zufällige Begegnungen mit Klienten im privaten Kontext

• Zweifel von Klienten an Behandlern

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Die folgenden Interventionshinweise sind nicht buchstäblich zu verstehen. Die Vorschläge müssen i.d.R. gekürzt, umformuliert, in einen Dialog umgewandelt usw. werden!

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Therapieabschluss

Grundsätzliches:

der Abschluss ist Prozess, nicht Moment → Zeit geben!

Patient verliert wichtige Bezugsperson → nicht bagatellisieren!

Interventionen:• rechtzeitig genug das Ende der Therapie thematisieren: „Unsere Therapie wird in ...

Stunden beendet sein. Wie geht es Ihnen damit?“

• Abschlussphase planen: „Was ist Ihnen für unsere letzten Stunden noch wichtig?“ →und selber Ideen wie Ausblick auf Zukunft, Feedback etc. einbringen

• Gefühle (auch negative) zulassen und ermutigen: „Wir haben jetzt [Zeit] zusammengearbeitet. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie vielleicht auch etwas Angst empfinden, wenn Sie an das Therapieende denken?!“

• eigene Gefühle „schenken“: „Ich glaube, für mich werden die nächsten Donnerstage 14 Uhr auch komisch sein. Ich werde unsere Gespräche vermissen.“

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Patienten etwas Unangenehmes mitteilen

Grundsätzliches:

Therapeut muss Modell sein! Souveräner Umgang mit Tabus, modellhaftes Stehen zu Unpopulärem

Gratwanderung zwischen Empathie und Direktheit

Interventionen:• nicht zu lange auf die “Gelegenheit” warten, sondern selbst Verantwortung übernehmen und

gestalten

• keine zu langen Vorreden halten, sondern nach kurzer Einleitung zügig zum Punkt kommen: “Ich möchte Ihnen etwas mitteilen, das mir aufgefallen ist. Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber ich halte es für wichtig für Ihre zwischenmenschlichen Beziehungen. Und zwar haben Sie einen recht starken Mundgeruch. Hat Ihnen das schon einmal jemand gesagt?”

• danach Gelegenheit zum Benennen negativer Gefühle geben: “Ich kann mir vorstellen, daß Sie es gar nicht toll finden, daß ich das gesagt habe. Kann das sein?” Und dann ggf. noch mal plausibel machen: “Mir fällt es auch nicht leicht, so etwas anzusprechen, aber ich denke, daß es wichtig ist, deshalb sehe ich es als meine Pflicht an, Sie darauf hinzuweisen, damit Sie an dieser Stelle etwas tun können.”

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Therapieabbruch durch Patienten

Grundsätzliches:

regelnden Passus in den Behandlungsvertrag aufnehmen!

Patienten haben grundsätzlich das Recht, die Behandlung abzubrechen!

Interventionen:• Priorität hat natürlich die Klärung mit dem Patienten (wenn möglich): „Ich respektiere

Ihren Wunsch, die Therapie abzubrechen. Meiner Einschätzung nach ist es allerdings ein schwieriger Zeitpunkt. Ich würde gerne besser verstehen, was Sie zu dem Abbruch bringt. Würden Sie es mir noch besser erklären?“

• bei Abbruch ohne weiteren Kontakt: Maßnahmen überlegen (z.B. Anruf beim Patienten, Brief), durchführen, und nach angemessenen Versuchen aufhören!

• bei Verdacht auf Gefahr: alle Maßnahmen der Krisenintervention (siehe dort)

• Inter-/Supervision zur Ursachenklärung

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Kurzfristige telefonische Absagensiehe auch Umgang mit Ausfallhonorar!

Grundsätzliches:

eigenen vertretbaren Standpunkt erarbeiten

regelnden Passus in den Behandlungsvertrag aufnehmen!

Interventionen:• am Telefon nicht ins Detail gehen, sondern nur die Absage zur Kenntnis nehmen und

neuen Termin vereinbaren

• in Fällen von Vereinbarungsübertretungen seitens des Patienten auf Ausfallhonorar bestehen! Funktionen: Beziehungsklärung und –regulation, Modellwirkung („Ich kümmere mich um meine Interessen“; „Ich kann auch Negatives aushalten“; „Beziehung wird durch Negatives nicht zerstört“...), Verdeutlichung des Arbeitscharakters, Betonung des Wertes der Ressource Psychotherapie

• eigene Tendenzen zu Vermeidungsverhalten beachten!

• Inter-/Supervision zur „Rückendeckung“

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Persönliche Einladungen

Grundsätzliches:

in der Regel nicht annehmbar → Rollenkonfusion!

drückt Wertschätzung des Patienten aus → annehmen, aber differenziert betrachten!

Interventionen:• „Es freut mich, dass Sie mich bei ... dabei haben wollen, aber ich möchte das Angebot

trotzdem nicht annehmen.“ ... und dann erklären und Rollenklärung erwirken

• „In welchem Zusammenhang steht die Einladung zu ... zu unserer Therapie?“ →Arbeitscharakter der Therapie betonen

• Gefühle (auch negative) zulassen und ermutigen: „Ich kann mir vorstellen, dass Sie enttäuscht sind, dass ich Ihre Einladung nicht annehme. Können wir darüber sprechen?“

• genauen Motivationscheck anstreben: „Wie sehen Sie unsere Beziehung? Woher kommt der Wunsch, mich zu ... einzuladen?“→ auf mögliche Zeichen von Verliebtheit achten!

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Abwertende Patienten

Grundsätzliches:differenzieren: worauf genau bezieht sich der Patient? → konstruktive Wende weg vom Erleben einer vollständigen persönlichen Abwertung hin zu spezifischen Gründen

eigene Grenzen dabei aber wahren!

Interventionen:• Themen offen ansprechen: „Mir ist aufgefallen, dass Sie mich in ... anscheinend sehr kritisch sehen. Ich

würde darüber gerne mehr erfahren. Können Sie sich dazu genauer äußern?“

• emotionale Wirkung aufklären: „Was glauben Sie, wie ich mich fühle, wenn Sie ... sagen?“→ den Patienten mit seiner Interaktionswirkung konfrontieren

• Parallelen suchen: „Gehen Sie mit anderen Menschen ähnlich um? Fallen Ihnen Beispiele aus Ihrem Alltag dazu ein?“

• ggf. abgrenzen: „Ihre Haltung mir gegenüber im Punkt ... macht es mir schwer, Ihnen wirksam zu helfen. Wie können wir das ändern?“

• ggf. soziales Kompetenztraining

• ggf. einen anderen Therapeuten vorschlagen

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Schweigen

Grundsätzliches:

nicht in Aktionismus verfallen!

Schweigen kann auch sinnvoll sein (z. B. Gefühls-exposition) → Aushalten lernen!

Interventionen:• „Was geht gerade in Ihnen vor?“ (und dann warten!)

• „Was passiert gerade zwischen uns / hier im Raum?“

• „Gibt es eine bestimmte Frage, die Sie jetzt gerne von mir gestellt bekämen?“

• riskant, aber schlagkräftig, wenn treffsicher: Gefühlsvorhersage: „Es ist sehr schwer für Sie…“ (aber nie zuerst! → späte Intervention)

• provokativ: „Worüber schweigen Sie gerade?“ oder: „Wollen Sie noch weiter schweigen?“ (ebenfalls späte Intervention)

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Persönliche Fragen von Patienten

Grundsätzliches:generell eigene Position für sich klären

Selbstauskunft in Maßen kann für Patienten sehr wertvoll sein

fast immer in solchen Situationen ist Beziehungsklärung / Beziehungsarbeit sinnvoll und / oder notwendig

Interventionen:• wenn Therapeut zur Antwort bereit: „Ich werde Ihnen Ihre Frage beantworten.

Vorher würde ich aber gerne wissen, welche Bedeutung das für Sie und für unsere Therapie hat.“ (→ Bezug zur Therapie herstellen!)

• wenn nicht bereit: „Diese Frage ist mir zu persönlich. Ich würde aber gerne mit Ihnen darüber sprechen, warum Sie das von mir wissen möchten.“ (→Beziehungsklärung, Imbalance in der Beziehung zwischen Therapeut und Patient etc.)

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Destruktive / unmotivierte Patienten

Grundsätzliches:Patienten sind immer motiviert, aber oft nicht zu dem, wozu der Therapeut motiviert ist → Motivlage klären! →ggf. Ich-Synthonie der Störung berücksichtigen!Destruktivität und Aggression ggf. offen ansprechen

Interventionen:• „Ich habe das Gefühl, dass wir nicht am gleichen Strang ziehen. Geht Ihnen das auch so?“ (und nach Antwort: „Wie

können wir das ändern?“)

• bei fehlender Basis (z. B. gerichtlich angeordnete Therapie wider Willen): „Sie haben mir gesagt, dass Sie eigentlich gar keine Therapie wollen. Wie können wir unsere Zeit hier denn trotzdem sinnvoll verbringen?“ bzw. „Vielleicht ist Psychotherapie gar nicht sinnvoll für Sie?“

• Transparenz schaffen: Warum ist Therapie hilfreich? → auf der Basis einer genauen Problemanalyse

• motivational interviewing zur Klärung von Motivation (Miller, W. R. & Rollnick, S. (2002). Motivational interviewing: Preparing people for change. New York, NY: The Guilford Press. (deutsch 2005)

• ggf. Konfrontation mit Konsequenzen: „Sie können ... so machen; welche Konsequenzen hat das für Sie?“ Wenn keine brauchbare Antwort: „Ich denke, dass die nächste Konsequenz sein wird, dass Sie wieder ins Gefängnis gehen werden. Wie sehen Sie das?“

• ggf. Therapiepause vorschlagen: „Melden Sie sich wieder, wenn Sie sich verändern wollen.“

• ggf. einen anderen Therapeuten vorschlagen

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Antriebslose Patienten

Grundsätzliches:

bei Depression → ggf. antriebssteigernde Medikation

Therapieziele sehr nah setzen

gründliche Ziel- und Wertklärung

Interventionen:• „Was war das letzte, woran Sie sich erinnern können, was Ihnen

Spaß gemacht hat?“

• Einführung des Sinnprinzips: in bestimmten Situationen kann man sich nicht von dem leiten lassen, wozu man Lust hat (weil man zu nichts Lust hat, sondern muss danach fragen, was jetzt sinnvoll wäre und das dann tun, auch wenn man keine Lust hat; häufig kommt ein Minimum an Lust dann beim Tun

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Wenig Eigenverantwortung im Krankheitsmodell

Grundsätzliches:Gründe klären: störungsbedingt? falsche Vorstellung von Therapie? Interaktionsspiel?zurückkehren zum Störungsmodellsystemimmanent bleiben, aber patienteneigene Möglichkeiten als Ressource betonen

Interventionen:• bring-in-Mentalität thematisieren, zum Arztmodell kontrastieren; Leitlinie: beim

Chirurgen kann man sich zur Behandlung abliefern, in Psychotherapie geht das nicht; wir müssen Veränderungsmöglichkeiten finden, auch wenn Sie Ihre Probleme nur zum Teil in der eigenen Hand haben; Psychotherapie geht nur mit demjenigen, der hier ist; Sie sind jetzt hier; welche Möglichkeiten haben Sie?

• Ursachen für Verantwortungsablehnung klären: häufig Trotz („Er macht die Fehler, nicht ich. Er müsste sich ändern!“); dann Einführung des Funktionsmodells anstatt des Gerechtigkeitsmodells (Leitlinie: Sie haben Recht, aber dieses Rechthaben hat Ihnen in der Vergangenheit nicht geholfen. Vielleicht sollten wir überlegen, ob es sich lohnt, nicht mehr nach dem Recht zu fragen, sondern danach, was funktionieren könnte)

• ggf. klar konfrontieren: „Ich habe den Eindruck, dass Sie möchten, dass ich die Verantwortung dafür übernehme, was hier in der Therapie passiert.“

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Abweichende Position vom Patienten

Grundsätzliches:saubere Unterscheidung zwischen Dienstauftrag des Patienten (muss vom Therapeuten nicht grundsätzlich als prioritär betrachtet werden, kann dann trotzdem mitgetragen werden) und therapeutischer Notwendigkeit (fachliche Sicht, die keine Freiheiten lässt, z. B. stationäre Behandlung bei Alkoholismus)

Bedeutung prüfen (echte Abweichung? Beziehungstest? usw.)

Interventionen:• „Aus fachlicher Sicht muss ich Ihnen sagen, dass wir … so nicht

angehen können. Ich kann Ihnen allerdings anbieten, …“

• wenn Patient nicht einlenkt, dann muss die Therapie ggf. vom Therapeuten beendet werden: „Es tut mir leid, aber unter diesen Bedingungen kann ich Ihnen im Moment nicht helfen. Zuerst müsste … Wenn … gegeben ist, dann können Sie sich gerne wieder an mich wenden.“ (und natürlich alle Gründe erklären!)

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Verliebtheit von Patienten

Grundsätzliches:ist keine Seltenheit, sondern bei der Beziehungsdynamik Therapeut – Patient (Abhängigkeit usw.) fast schon zu erwartenkeine Katastrophe! Ruhe bewahren und ruhig auftretenSelbsterfahrung: habe ich über die Therapeutenrolle hinaus dazu beigetragen? Gab es Signale, habe ich mehr als sonst in die Therapie investiert, wie ist meine eigene Gefühlslage?

Interventionen:• „Ich bin froh, dass Sie das gesagt haben, denn jetzt können wir darüber sprechen, was

das bedeutet. Das ist viel besser, als wenn Sie Ihre Gefühle versteckt hätten.“

• klare Position: „Ich bin nicht verliebt in Sie. Was bedeuten Ihre Gefühle Ihrer Ansicht nach für unsere Arbeit?“

• ggf. Entkatastrophisieren: „Wie denken Sie darüber, dass Sie sich verliebt haben? … Das ist eigentlich nicht verwunderlich und passiert nicht wenigen Patienten. Lassen Sie uns doch einmal gemeinsam überlegen, was alles in der Beziehung zwischen Therapeut und Patient dazu führen kann, dass der Patient sich verliebt.“

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Negative Gefühlsäußerungen

Grundsätzliches:auch wenn für Therapeuten schwer aushaltbar: muss angemessen zugelassen werden, ohne sofort konstruktive Gegenreaktion folgen zu lassen → Ernstnehmen und Akzeptanzkommt der Impuls zum sofortigen Gegenrudern: erst mal explorieren!

Interventionen:• „Wo haben Sie diese Trauer gespürt, als … passiert ist?“

• „Ich glaube, ich wäre auch sehr wütend gewesen, wenn mir … passiert wäre.“

• „Das muss wirklich schrecklich für Sie gewesen sein. Ich bewundere es, dass Sie das ausgehalten haben.“

• non- und paraverbale Empathie: ein mitfühlendes Kopfschütteln an den richtigen Stellen, ein ausgestoßenes „Oh nein“ usw. können für Patienten sehr hilfreich sein und signalisieren, dass sie in ihrem Schmerz ernst genommen werden

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Aggressive Patienten

Grundsätzliches:Selbst- und Fremdgefährdungsgefahr prüfen!bei Angst vor dem Patienten muss unter Umständen auch Abbruch der Therapie durch den Therapeuten erwogen werden

Interventionen:• bei milderen Aggressionen: „Ich erlebe Sie als mir gegenüber aggressiv. Machen Sie das

absichtsvoll? Wie erleben Sie unsere Beziehung?“ (alternativ; immer nur eine Frage auf einmal)

• mäßige, aber noch kontrollierbare Aggressionen: „Sie wirken ziemlich aggressiv auf mich. Ich möchte, dass wir das ändern, weil ich so nicht arbeiten möchte. Wie können wir das erreichen?“

• schwere Aggression, Impulskontrollverlust droht: beschwichtigen, Zeit gewinnen, Interaktion aufbrechen („Vielleicht sollten Sie einmal aufstehen und ein paar Schritte umhergehen / ans Fenster treten und hinaus sehen…“); ggf. Hilfe holen, im schlimmsten Falle unter einem Vorwand den Raum verlassen und die Polizei rufen

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Ständig redende Patienten

Grundsätzliches:Ursachen klären: Persönlichkeitszug? Angst vor Veränderung?Umschalten auf direktiveren therapeutischen Stileine Zeitlang beobachten, aber nicht zu viele Stunden tatenlos bleiben, sonst verselbständigt sich der Stil

Interventionen:• bei Themenwechsel ins Wort fallen: „Jetzt gehen Sie gerade zu einem anderen Thema

über. Ich würde gerne etwas zu dem sagen, was Sie gerade ausgeführt haben...“

• das Dauerreden thematisieren: „Ich habe in unseren Gesprächen das Gefühl, kaum zu Wort kommen zu können. Bemerken Sie, dass Sie sehr viel reden?“

• in sehr harten Fällen (wenn Patient sich z. B. nicht unterbrechen läßt): Patient nonverbal auf sich aufmerksam machen (winken, in die Hände klatschen...); wenn immer wieder rückfällig werdend: Sprechregeln vereinbaren („Können wir vereinbaren, dass Sie nur noch drei Sätze hintereinander machen dürfen und dann schweigen müssen?“); Stunden auf Video aufnehmen, dem Patienten vorführen und ihn seine Sätze zählen lassen

• Hausaufgabe geben: auch zu Hause den 3-Sätze-Dialog verwenden; Rollenspiele: zu

umgrenzten Themen den Kern der eigenen Meinung in drei Sätzen ausdrücken

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Intellektualisierende Patienten

Grundsätzliches:häufige Gefahr bei gebildeten Patienten, kann durch Therapeuten im schlimmsten Falle noch verstärkt werden (zwei Akademiker unter sich!)

Achtung: Machtkampfgefahr („Wer ist der schlauere von uns beiden?“)

Interventionen:• „Ich finde es gut, wie präzise und treffsicher Sie Ihre Schwierigkeiten

beschreiben können. Ich würde aber gerne noch mehr darüber erfahren, wie Sie sich dabei gefühlt haben.“ → wertschätzende, aber doch deutliche Schwerpunktverschiebung

• Fragen nach dem Körper statt nach dem Denken: „Was haben Sie in Ihrem Körper gespürt, als ... passiert ist.“ statt „Was haben Sie gedacht, als ... passiert ist.“

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Therapeutisch vorgeprägte Patienten

Grundsätzliches:nicht in einen Stellvertreterkampf gegen den Vortherapeuten verwickeln lassen!

Erfolge der Vortherapie würdigen

Vergleiche nicht persönlich nehmen, ggf. Beziehung klären

Interventionen:• „Es ist sehr gut, dass Sie in Ihrer Vortherapie so viel darüber erfahren haben,

welche Ursachen Ihre Problematik hat. Vielleicht hilft uns das dabei, jetzt die richtigen Schritte zur Überwindung der Schwierigkeiten zu finden.“

• bei jargonhafter Sprechweise: „Ich habe den Eindruck, dass Sie sich sehr bemühen, sich in psychologischer Fachsprache auszudrücken. Mir wäre es lieber, wenn Sie Ihre eigenen Worte verwenden. Das würde mir erleichtern, Sie wirklich persönlich zu verstehen.“

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Zweifelnde Patienten

Grundsätzliches:Patienten haben ein Recht zu Zweifeln!

nicht persönlich nehmen (und entsprechend beleidigt reagieren), sondern auf die Eigenschaft fokussiert bleiben, die im Zentrum steht (z. B. Berufserfahrung)

Interventionen:• „Ich bin froh, dass Sie Ihre Bedenken äußern, denn dann können wir darüber

reden. Welche Nachteile befürchten Sie für sich wegen ... ?“

• validieren: „Ich könnte mir vorstellen, dass ich an Ihrer Stelle genau dieselben Zweifel hätte. Lassen Sie uns sehen, wie wir damit umgehen können.“

• transparent und informativ sein: offene Auskunft zur eigenen Berufserfahrung, zu Supervision etc.

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Patient berichtet vom Tod einer nahestehenden Perso n

Grundsätzliches:Tragödien verdienen therapeutische Anerkennung → keine Bagatellisierungen oder Beschwichtigungen! Kein Pokerface! Kein „Voranpeitschen“!bei Unsicherheit in der Situation explorative Grundhaltung bewahren und die ausgedrückten Gefühle so weit wie möglich validieren (verbal und nonverbal!)Vorsicht mit eigenen Hypothesen, wenn die Valenz nicht sofort erkennbar ist! → vielleicht gar kein Trauerfall?!persönliche Beteiligung zeigen, aber Herr der eigenen Gefühle bleiben → hilfreiche Betroffenheit!

Interventionen:• „Oh nein, das tut mir sehr leid für Sie. Möchten Sie sagen, was genau passiert

ist?“

• „Sie haben Recht, niemand sollte so jung sterben. Das ist wirklich grausam.“

• „Diese Situation ist bestimmt sehr schwierig für Sie. Was würden Sie sich jetzt von mir wünschen, womit würde ich Ihnen helfen?“

• „Sind da neben der Trauer auch noch andere Gefühle, die Sie momentan haben?“ – aufmerksam sein für Zeichen von Wut und Ärger

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Patienten mit sehr ungewöhnlichen Vorlieben

Grundsätzliches:verbal gibt es keine Tabus in der Therapie! → sich selbst darin trainieren, auch mit „krassen Themen“ locker umzugehen, um schamfrei agieren zu können und dadurch auch Entpathologisierung zu symbolisierentrotzdem eigene Grenzen respektieren: was persönlich unerträglich ist muss auch nicht ertragen werden

Interventionen:• humorvoller, lockerer Umgang, wenn möglich: „Wow, da haben Sie sich aber ein

spezielles Hobby ausgesucht!“

• Ziel- und Wertklärung: „Ok, Sie stehen also auf [...]. Wie steht das zu den (anderen?) Dingen in Ihrem Leben in Zusammenhang, die Ihnen wichtig sind?“ – „Diese Vorliebe [...], hilft die Ihnen bei dem Verwirklichen Ihrer Lebensvorstellungen oder hindert sie eher, oder spielt sie dafür keine Rolle?“

• wenn unerträglich: „Ich muss Ihnen leider sagen, dass ich mit [...] nicht angemessen umgehen kann. Das ist mein Problem, sollte aber nicht zu Ihrem werden. Deshalb möchte ich Ihnen einen Therapeuten empfehlen, der da nicht wie ich eingeschränkt ist.“

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Umgang mit Ausfallhonorar

Grundsätzliches:am wichtigsten: gute Grundlage! (Therapievertrag; Vereinbarungen, zu denen Sie selbst stehen können)

Einstellungsarbeit: Ihr Honorar steht Ihnen zu! Sie sind kein böser Mensch, wenn Sie sich für ausgefallene Stunden bezahlen lassen!

Interventionen:• „Sie haben ja die letzte Stunde nicht rechtzeitig abgesagt, wofür wir ein Ausfallhonorar

vereinbart hatten. Möchten Sie das bar bezahlen, oder soll ich Ihnen eine Rechnung stellen?“ und das ohne verschämten Augenkontakt mit dem Boden!

• unerfreuliche Dinge selbst auf den Tisch: „Ich könnte mir vorstellen, dass Sie sich darüber ärgern, mir jetzt 50 Euro zu bezahlen dafür, dass Sie nicht rechtzeitig abgesagt haben. Ist das so?“ – „Ich habe seit der Stunde, die Sie abgesagt haben und für die ich das Ausfallhonorar berechnet habe, das Gefühl, dass hier zwischen uns etwas anders geworden ist. Haben Sie auch diesen Eindruck?“

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Umgang mit diagnostischen Labels

Grundsätzliches:eigenen Standpunkt prüfen und festigen!

nützliche Grundeinstellung: „Diagnosen“ sind in der praktischen therapeutischen Arbeit relativ unwichtig; „konkrete Probleme“ sind viel entscheidender

Interventionen:• „Ich werde Ihnen erklären, was dieser Begriff bedeutet. Vorher möchte ich Ihnen aber

noch meinen Standpunkt dazu verdeutlichen“ → siehe oben → „Also, narzisstische Persönlichkeitsstörung ist ein Fachbegriff, der [...] bedeutet. Was halten Sie davon?“ Falls Patient sich darin gut wiederfindet (was nicht selten der Fall ist): „Gut, dann haben wir ja etwas, das wir für die Therapie nutzen können. Wie können wir [...] verwerten?“ Falls Patient empört ist: „Ich verstehe Ihre Reaktion, und sie ist einer der Gründe dafür, dass ich solche schubladenartigen Begriffe nicht so nützlich finde. Ich finde es viel hilfreicher, ganz konkret nach dem zu schauen, womit Sie Probleme haben und auf welche Art und Weise wir da etwas gegen tun können. Was meinen Sie?“

Hochschule Mannheim University of Applied Sciences | Prof. Dr. Alexander Noyon

Literatur

Fliegel, S. & Schlippe, A.v. (2005). „Grenzliches“: Schwierige Situationen im Beraterischen Alltag. PsychoBehandlung im Dialog, 2 (S. 207-213).

Jacob, G., Normann, C., Berger, M. & Lieb, K. (2009). Schwierige Gesprächssituationen in Psychiatrie und Psychotherapie. München: Elsevier.

Noyon, A. & Heidenreich, T. (2009). Umgang mit schwierigen Situationen in Therapie und Beratung. Weinheim: Beltz.

Sachse, R. (2001). Psychologische Behandlung der Persönlichkeitsstörungen.Göttingen: Hogrefe. (darin Kap. 4: Beraterische Strategien zum konstruktiven Umgang mit spezifischem Interaktionsverhalten der Klienten im Behandlungprozess)