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ifo Schnelldienst 19/2001 – 54. Jahrgang 4 Der EU-Entwurf ist wenig nützlich Schadensfunktion sog. Treibhausgase Durch Akkumulation sog. Treibhausgase (THG) wie etwa CO2 oder Methan in der Atmosphäre verändert die Menschheit das natürliche Gleichgewicht zwischen dem extrem kalten Weltraum und dem mittel-warmen Lebensbereich in der Luft- hülle um die Erde. Die Bewirtschaftung ei- nes globalen Umweltgutes verlangt nach internationaler Kooperation. Die Abschät- zung möglicher Schadenswirkungen ist nur in Computer-Modellen möglich: Die- se umfassen eher naturwissenschaftliche Modelle der Klimaforscher und ökonomi- sche Modelle, welche die Konsequenzen von Handeln und Nicht-Handeln gegen- über den THG-Emissionen darstellen. Kyoto-Protokoll von 1997 In den internationalen Verhandlungen er- wies es sich bisher als unmöglich, den sog. »Entwicklungsländern« Obergrenzen für die Emission von THG aufzuerlegen. 1 Der Verweis auf die jahrzehntelange kostenlo- se Nutzung der CO2-Deponie Atmosphä- re durch die heutigen Industriestaaten und den dadurch erreichten materiellen Vorteil war kaum zu entkräften. Das Kyoto-Pro- tokoll legt Emissionsgrenzen lediglich für die Annex-B-Staaten (Industrie- und Trans- formationsländer) und für sechs wichtige Treibhausgase (Kohlendioxid, Methan, Lachgas, Fluorkohlenwasserstoffe, Per- chlorkohlenstoff, Sulfathexafluoride) fest. Diese THG lassen sich in CO2-Äquivalen- te bezüglich ihrer Klimaschädlichkeit um- rechnen. Kohlendioxid ist das wichtigste Treibhausgas (THG). Grundlegende Ei- genschaften des Kohlendioxids sind: Es gibt praktisch keine umfassende Rückhaltetechnik und CO2 wird aus Millionen von Anlagen bei Verbren- nungsvorgängen emittiert. Damit sind Verweise auf Erfahrungen nach der Großfeuerungsanlagen-Verordnung oder das US-amerikanische Han- delssystem jeweils für Schwefel- oder Stickoxide irreführend. Es besteht als Vermeidungsoption le- diglich die Substitution durch Kapital (»Energieeinsparung«) bzw. CO2-ärme- re (Erdgas) oder -freie Energieträger (so- lare, regenerative und nukleare). CO2 ist ein global wirkender Schad- stoff, der keine akuten Schäden an- richtet, sondern seine Wirkung über Kumulation über mehrere Jahrzehnte bis Jahrhunderte unabhängig vom Ort und Zeitpunkt der ursprünglichen Emissionen als veränderte Bestands- größe entfaltet. Es gibt keine so genannte »Hot Spot«- Problematik, d.h. keine lokale oder re- gionale geballte Beeinträchtigung von Konsum- und Produktionsprozessen durch Schadstoffkonzentrationen. Die Zuordnung »fossile Energieträger CO2« erlaubt eine einfache Ersatz- bemessungsgrundlage, wobei aller- dings für die Primärenergieträger ge- wisse Schwankungsbreiten (je nach chemischer Zusammensetzung) an- zusetzen sind. effizientes Mittel zur Emissionsverringerung? Klimaschutz – Ist das Emissionshandelssystem ein Kann der Handel mit Emissionslizenzen, der Teil des auf der internationalen Klimakonferenz in Bonn verabschiedeten Papiers ist, zum Erreichen der Klimaschutzziele beitragen? Wolfgang Ströbele* * Prof. Dr. Wolfgang Ströbele ist Inhaber des Lehr- stuhls für Volkswirtschaftstheorie an der Universität Münster. Die Beiträge sind auch auszugsweise in englischer Sprache im CESifo Internet Forum auf unserer Website www.cesifo.de zu finden. 1 Dazu gehören immerhin Staaten wie Kuwait, die Emirate oder Saudi-Arabien, aber auch Indien und China, deren CO2-Emissionen in absehbarer Zu- kunft mit denen der USA heute vergleichbar sein werden. Energieträger kg CO 2 /kg SKE Braunkohle 3,23 Steinkohle 2,73 Mineralöl 2,19 Erdgas 1,64 Quelle: Birnbaum, K.U., R. Pauls, H.-J. Wag- ner und M. Walbeck (1991), Berechnung sek- toraler Kohlendioxidemissionen für die Bun- desrepublik Deutschland, in: Jülich, Reihe An- gewandte Systemanalyse, Beitrag Nr. 62

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Page 1: Klimaschutzpolitik - ist das Emissionshandelssystem ein ... · 4 Der EU-Entwurf ist wenig nützlich Schadensfunktion sog. Treibhausgase Durch Akkumulation sog. Treibhausgase (THG)

i fo Schne l ld ienst 19/2001 – 54. Jahrgang

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Der EU-Entwurf ist wenignützlich

Schadensfunktion sog. Treibhausgase

Durch Akkumulation sog. Treibhausgase(THG) wie etwa CO2 oder Methan in derAtmosphäre verändert die Menschheitdas natürliche Gleichgewicht zwischendem extrem kalten Weltraum und demmittel-warmen Lebensbereich in der Luft-hülle um die Erde. Die Bewirtschaftung ei-nes globalen Umweltgutes verlangt nachinternationaler Kooperation. Die Abschät-zung möglicher Schadenswirkungen istnur in Computer-Modellen möglich: Die-se umfassen eher naturwissenschaftlicheModelle der Klimaforscher und ökonomi-sche Modelle, welche die Konsequenzenvon Handeln und Nicht-Handeln gegen-über den THG-Emissionen darstellen.

Kyoto-Protokoll von 1997

In den internationalen Verhandlungen er-wies es sich bisher als unmöglich, den sog.»Entwicklungsländern« Obergrenzen fürdie Emission von THG aufzuerlegen.1 DerVerweis auf die jahrzehntelange kostenlo-se Nutzung der CO2-Deponie Atmosphä-re durch die heutigen Industriestaaten undden dadurch erreichten materiellen Vorteilwar kaum zu entkräften. Das Kyoto-Pro-tokoll legt Emissionsgrenzen lediglich fürdie Annex-B-Staaten (Industrie- und Trans-formationsländer) und für sechs wichtigeTreibhausgase (Kohlendioxid, Methan,Lachgas, Fluorkohlenwasserstoffe, Per-chlorkohlenstoff, Sulfathexafluoride) fest.Diese THG lassen sich in CO2-Äquivalen-te bezüglich ihrer Klimaschädlichkeit um-

rechnen. Kohlendioxid ist das wichtigsteTreibhausgas (THG). Grundlegende Ei-genschaften des Kohlendioxids sind:

• Es gibt praktisch keine umfassendeRückhaltetechnik und CO2 wird ausMillionen von Anlagen bei Verbren-nungsvorgängen emittiert. Damit sindVerweise auf Erfahrungen nach derGroßfeuerungsanlagen-Verordnungoder das US-amerikanische Han-delssystem jeweils für Schwefel- oderStickoxide irreführend.

• Es besteht als Vermeidungsoption le-diglich die Substitution durch Kapital(»Energieeinsparung«) bzw. CO2-ärme-re (Erdgas) oder -freie Energieträger (so-lare, regenerative und nukleare).

• CO2 ist ein global wirkender Schad-stoff, der keine akuten Schäden an-richtet, sondern seine Wirkung überKumulation über mehrere Jahrzehntebis Jahrhunderte unabhängig vom Ortund Zeitpunkt der ursprünglichenEmissionen als veränderte Bestands-größe entfaltet.

• Es gibt keine so genannte »Hot Spot«-Problematik, d.h. keine lokale oder re-gionale geballte Beeinträchtigung vonKonsum- und Produktionsprozessendurch Schadstoffkonzentrationen.

• Die Zuordnung »fossile Energieträger� CO2« erlaubt eine einfache Ersatz-bemessungsgrundlage, wobei aller-dings für die Primärenergieträger ge-wisse Schwankungsbreiten (je nachchemischer Zusammensetzung) an-zusetzen sind.

effizientes Mittel zur Emissionsverringerung?Klimaschutz – Ist das Emissionshandelssystem ein

Kann der Handel mit Emissionslizenzen, der Teil des auf der internationalen Klimakonferenz

in Bonn verabschiedeten Papiers ist, zum Erreichen der Klimaschutzziele beitragen?

Wolfgang Ströbele*

* Prof. Dr. Wolfgang Ströbele ist Inhaber des Lehr-stuhls für Volkswirtschaftstheorie an der UniversitätMünster.Die Beiträge sind auch auszugsweise in englischerSprache im CESifo Internet Forum auf unsererWebsite www.cesifo.de zu finden.

1 Dazu gehören immerhin Staaten wie Kuwait, dieEmirate oder Saudi-Arabien, aber auch Indien undChina, deren CO2-Emissionen in absehbarer Zu-kunft mit denen der USA heute vergleichbar seinwerden.

Energieträger kg CO2/kg SKE

Braunkohle 3,23Steinkohle 2,73Mineralöl 2,19Erdgas 1,64

Quelle: Birnbaum, K.U., R. Pauls, H.-J. Wag-ner und M. Walbeck (1991), Berechnung sek-toraler Kohlendioxidemissionen für die Bun-desrepublik Deutschland, in: Jülich, Reihe An-gewandte Systemanalyse, Beitrag Nr. 62

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54. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 19/2001

Zur Diskussion gestellt 5

Lehrbuch-Grundlagen eines Zertifikathandels

Umweltpolitische Instrumente

Die Ökonomie kennt im Wesentlichen vier Ansätze zur Re-gulierung externer Effekte: ordnungsrechtliche Vorschrif-ten, Steuerlösungen, handelbare Emissionsrechte und Haf-tungsrecht. Letzteres scheidet offensichtlich für THG aus,da die Vielzahl der Schädiger eine Zuordnung von Schadenunmöglich macht.

Die allokativen Wirkungen einer Steuerlösung (ohne bzw. mitFreibeträgen) und der Ausgabe handelbarer Zertifikate sindunter der Annahme umfassender (kostenloser) Informatio-nen identisch. Werden die Zertifikate durch den Staat ver-steigert, so sind auch die Verteilungswirkungen überein-stimmend mit einer Steuerlösung ohne Freibeträge.

Merkmale eines Zertifikat-Systems

Ein Zertifikat-System für THG (Englisch: »Emissions Trading«= ET) wird durch bestimmte institutionelle Punkte definiert,die sich insbesondere bei CO2 als nicht trivial erweisen:

• Der »Emittent« ist zu identifizieren. Als völkerrechtlich ver-bindlich haben sich in Kyoto die Staaten auf Reduk-tionsverpflichtungen festgelegt. Danach wären sie dieSubjekte des Handels. Wenn hingegen Unternehmenoder Betreiber bestimmter Anlagen Subjekte des Han-dels wären, müsste eine Aufteilung der nationalen Grand-fathering-Quote gemäß Kyoto-Abkommen auf die ein-zelnen Emittenten vorgenommen werden.

• Im zweiten Fall erfolgt die individuelle Erstausstattungökonomisch sinnvollerweise und juristisch wohl zwin-gend2 nach Grandfathering. Dafür ist ein Basisjahr undder für die Zukunft anzustrebende zulässige Emissions-pfad vorzugeben. Dieser kann für alle einen einheitlichenProzentsatz an Reduktion vorsehen oder nach techni-schen Kriterien unterschiedlich gestaltet werden. Das Ky-oto-Basisjahr 1990 ist gerade für Deutschland für Zu-weisungen von Rechten an Unternehmen wegen derWiedervereinigung nicht praktikabel. Jedes Basisjahr, dasnach 1990 liegt, kann jedoch zur Bestrafung von »EarlyActions« führen, was negative Anreize für die Zukunftschafft.

• Energieträger unterliegen nach ihrer Förderung im Re-gelfall einer Umwandlung (zu Benzin, Elektrizität, Briketts),bei der bereits selbst wegen der UmwandlungsverlusteCO2 emittiert wird.3 Deswegen wäre ein Ansatz auf der

Primärenergieebene offensichtlich der sinnvollste.4

Wegen der regionalen Teilmengenbildung ohne Reduk-tionsverpflichtungen in Nicht-Annex B-Staaten führte dieszu Standorteffekten: Kraftwerke in Algerien und Raffine-rien in Kuwait gewönnen zulasten von Gelsenkirchen oderRotterdam, ohne dass dem Klimaschutz gedient wäre.Hinzu kommt, dass die bisherigen Maßnahmen der Kli-maschutzpolitik sehr stark auf der Ebene der Endener-gieträger ansetzen.

• Überwachung und Durchsetzung sind nach einheitlichenmesstechnischen Vorgaben zu organisieren, Sanktio-nen für Verpflichtete, die ihre Restriktionen nicht einhal-ten, zu gestalten. Weder Kyoto noch das EU-Burden Sha-ring kennen aber Sanktionen für Staaten. Wenn nicht al-le Emittenten innerhalb eines Staates einbezogen sind,gibt es eventuell ein Nebeneinander mit unterschiedlichenSanktionen. So sieht bspw. der Richtlinienvorschlag derEU vor, dass eine Anlage erst ab einer bestimmten Kes-selleistung in das ET-System gehören soll: Warum sollenaber zwei Anlagen à 15 MW anders behandelt werdenals eine Anlage à 30 MW? Bei geschätzten CO2-Zertifi-katpreisen für 2010 in derselben Größenordnung wiedie Brennstoffpreise resultieren dubiose Anreize.

• Die Beziehungen zu bereits eingeführten Instrumenten(freiwillige Selbstverpflichtungen, Standards, Ökosteuern)sind zu überprüfen, um Inkompatibilitäten oder Doppel-effekte zu vermeiden.

Teilmengenproblematik im Kyoto-Protokoll undEU-Burden Sharing

Das Lehrbuch-Konzept ist somit nicht einfach auf die rea-le umweltpolitische Situation anzuwenden. Bereits durchdas Kyoto-Protokoll und den Vorschlag des EU-Grünbuchsvom März 2000 sowie aktuell den Entwurf einer EU-Richt-linie vom 14. September 2001 werden zahlreiche Teilmen-gen gebildet, welche die Handlungsmöglichkeiten ein-schränken, u.U. kostengünstigere Reduktionen verhindern.In einem Vertragsrahmen, der jeweils nationale Reduk-tionsvorgaben enthält, wäre zunächst der Akteur im ET-Sys-tem der jeweilige Nationalstaat, der via Grandfathering mitReduktionssätzen gemäß Vertrag (Kyoto bzw. zusätzlichinnerhalb der EU: Burden Sharing Agreement »BSA«) sei-ne ihm zustehenden CO2-Pfade mit jeweils eigenen Mittelnansteuern darf. Bei Überschreitung im nationalen Bereichmüssten durch CDM bzw. JI Zertifikate im Ausland erwor-

2 Das Stromerzeugungsunternehmen VEAG in den Neuen Bundesländernwurde in den letzten zehn Jahren durch die Politik geradezu gedrängt,bestimmte Standorte mit Braunkohleverstromung neu zu gestalten. Bei ei-nem Versteigerungsverfahren würden diese Investitionen faktisch sofortenteignet.

3 Im Jahr 1998 emittierten die Kraft- und Fernheizwerke rund 38% der deut-schen CO2-Emissionen. Berücksichtigt man noch die Emissionen aus Raffi-nerien u.ä., so stellen die Umwandlungsanlagen rund 40% des Gesamtwerts.

4 Bei diesem Verfahren könnte man auf die Erfassung vieler kleiner Emitten-ten verzichten: Raffinerien und Kraftwerke müssten über Zertifikate verfü-gen; dementsprechend stiege der Marktpreis für den Endenergieträgeran. Grandfathering für Autofahrer mit einem Basisjahr aus der Vergangen-heit ist ohnehin kaum realisierbar: Wer hat damals alle Tankquittungen ge-sammelt?

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ben werden bzw. eigentlich eine Strafe entrichtet werden.Für ein Zertifikatsystem auf Unternehmensebene, wie esderzeit die EU anstrebt, sind einzelwirtschaftliche Auftei-lungsverfahren nötig.

• Nationale Teilmengen: Da das Treibhausproblem globa-ler Natur ist, wäre auch eine globale Lösung entsprechendproblemadäquat. Die THG-Reduktionsverpflichtungensind jedoch auf die Annex-B-Staaten beschränkt. Inner-halb der Gruppe der Annex-B-Länder besteht nach Ky-oto die Möglichkeit des Emissionshandels und von JointImplementation, um Emissionsvermeidungen außerhalbdes eigenen Landes vornehmen zu können. Zwischenden Annex-B-Länder und den Nicht-Annex-B-Länder be-steht in ähnlicher Weise der sog. Clean Development Me-chanism. Das EU-BSA und das vorgeschlagene ET-Sys-tem der EU gilt wiederum nur für eine Teilmenge der An-nex-B-Länder, nämlich die EU, was eine weitere Reduk-tion der Wirkungsweite bedeutet.5 Nach EU-Vorschlagsollen CDM und JI derzeit für die Teilnehmer im ET-Sys-tem ausgeschlossen sein, was offensichtlich Ineffizien-zen generiert.

• Sektorale Teilmengen: Das EU-Grünbuch sah vor, ledig-lich wenige Sektoren mit den höchsten spezifischen CO2-Emissionen zu beteiligen. Im aktuelleren EU-Richtlinien-vorschlag sollen nur bestimmte Anlagen in das Han-delssystem einbezogen werden. Wenn man dabei unter»Anlagen« separat Gas-, Stein- und Braunkohlekraftwerkeversteht, haben diese sehr ähnlich verlaufende Grenz-vermeidungskosten, so dass unter diesen BedingungenHandelsgewinne aus dem Zertifikathandel eher beschei-den sein dürften. Wenn »Anlagen« etwa generell alle Kraft-werke sein sollen, wirkt das ET-System direkt und un-mittelbar als Stilllegungsprämie für Braun- und Stein-kohlekraftwerke und fördert faktisch die Renaissance derKernenergie. Ähnliches gilt für die energieintensiven Bran-chen mit hohen Strom- und Brennstoffkosten.

• Mediale Teilmenge: Das Kyoto-Protokoll hat von allen Treib-hausgasen die sechs wichtigsten ausgewählt, die für denLöwenanteil des Treibhauseffekts verantwortlich gemachtwerden. Das EU-Entwurf für eine Richtlinie beschränktdie Betrachtungen auf Kohlendioxid, was u.U. effiziente-re Reduktionsmöglichkeiten bei anderen THG ausschließtoder zumindest eine getrennte »gute« Vorabschätzung derdort erreichbaren Reduktionen erfordert.

• Modale Teilmenge: Das EU-Konzept sieht nur eine ein-malige Zertifikatsausgabe vor, die anschließend gehan-delt werden können. Damit wird ausgeschlossen, durchSchaffen von THG-Senken selbst Zertifikate zu generie-ren. Dieses reduziert die Effizienz der Lösung und lässtsich nur durch die stark erhöhten Überwachungs- undVerwaltungskosten einer Senken-integrierenden Lösungrechtfertigen. Allerdings wurden auf der COP6-Ab-schlusskonferenz in Bonn im Sommer 2001 gerade Sen-ken als zulässige Maßnahmen einbezogen.

Wenn räumlich nicht alle relevanten Emittenten erfasst sind,gibt es die Abwanderungsoption bzw. einen unvermeidlichenImportdruck vor allem für die energieintensiven Branchen imInland. Deswegen sind Energieumwandlungssektoren (Kraft-werke, Raffinerien) und energieintensive Branchen (Grund-stoffchemie, Zement, Papier) im Gültigkeitsbereich der Um-weltpolitik in ihrer Existenz bedroht, ohne dass es dem Kli-maschutzziel nützt (sog. Leakage-Effekt). Dies ist bedingtnur dadurch vermeidbar, dass die Erstzuteilung nach demGrandfathering-Prinzip erfolgt mit einer realisierbaren Vor-gabe für den anzustrebenden Reduktionspfad.

Eine Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten lässt sichhöchstens durch die Probleme der Durchsetzbarkeit undder Kontrolle, welche die Transaktionskosten erhöhen,rechtfertigen. Allerdings ist auch gerade die Teilmen-genkonstruktion des EU-Vorschlags mit erheblichen ad-ministrativen Folgekosten verbunden. Da wegen der Ein-schränkung auf »ähnliche«, nämlich energieintensive, Sek-toren nur schwache Effizienzgewinne durch Handel zu re-alisieren sein werden, kann unter Einrechnung der Trans-aktionskosten für das ET-System per Saldo sogar ein Wohl-fahrtsverlust entstehen.

Implementationsprobleme eines EU-Zertifikate-handelssystems

Allgemeine Funktionsfähigkeit

In zahlreichen Punkten ist über Zuständigkeitsverteilung aufdie EU und die Mitgliedstaaten zu entscheiden. Dies betrifftetwa die Verteilung der Emissionsrechte auf die Unterneh-men der Mitgliedstaaten, Festlegung der am Handelssys-tem teilnehmenden Sektoren und die von ihnen zu erbrin-gende Reduktionsleistung, Überprüfung der tatsächlichenEmissionen, Sanktionsmechanismen bei Übertreten derEmissionsgrenzen, Behandlung der Sektoren außerhalb desET-Systems.

Bei der ökonomischen Betrachtung geht es um die Beur-teilung, ob eine nationale oder gemeinschaftliche Lösungbesser geeignet ist (d.h. kostengünstiger), das Ziel der Emis-sionsreduktion zu erreichen. Aus theoretischer Sicht er-

5 Deshalb sind auch wiederholt vorgebrachte Hinweise auf das gut funktio-nierende konzerninterne Zertifikatsystem der BP irrelevant: Solange nichtdie Verfahren für die Gutschriften aus CDM oder AIJ geklärt sind, ist dasBP-System mit Kyoto nicht kompatibel zu bekommen und auch nicht mitBurden Sharing innerhalb der EU. Eine CO2-senkende Maßnahme in Ve-nezuela kann derzeit im BP-System an einen Briten verkauft werden (kol-lidiert mit EU-Richtlinien-Vorschlag); eine Maßnahme in der Nordsee nachAustralien (wie kann jetzt Norwegen seine nationalen Ziele noch erfüllen?).Um ein solches System zu installieren, müsste BP separat die EU-Vorga-ben erfüllen, was unter dem Burden Sharing äußerst schwerfällig wird.

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scheint es sinnvoll, das System weitgehend auf EU-Ebeneanzusetzen, da in einer idealen Welt ohne Transaktionskostenund unterschiedliche nationale institutionelle Settings die-ses System am effizientesten wäre. Aufgrund institutionel-ler und struktureller Besonderheiten der Mitgliedstaaten oderauch aufgrund von technischen Restriktionen (Monitoring,local knowledge) kann es jedoch durchaus angezeigt sein,Teile der Implementation des Emissionsrechtehandels aufnationaler Ebene zu regeln. Wegen der Gefahr der indirek-ten Subventionierung bestimmter Branchen durch die Staa-ten muss die EU dann aber auf einem möglichst wettbe-werbsneutralen Konzept für alle EU-Staaten bestehen. Dem-entsprechend droht sie im Richtlinien-Entwurf auch mit derIntervention wegen unzulässiger Beihilfe. Wie dies mit demEU-Burden Sharing kompatibel zu machen ist, bleibt völligunklar.

Die verschiedenen Implementierungsvarianten eines ET-Sys-tems weisen sehr unterschiedliche Kosten der Instrumen-tierung auf: Beobachtungs- und Berichtskosten, Durchset-zungskosten, Kosten durch zu enge Märkte.

In den internationalen Verträgen haben die Staaten absoluteEmissionsobergrenzen akzeptiert.6 Ein neu zu schaffendesET-System ist deshalb auf Kompatibilität mit bestehender Po-litik zu überprüfen: In den EU-Mitgliedstaaten bestehen be-reits zahlreiche Instrumente, die eine Minderung der THG-Emissionen zum Ziel haben. Insbesondere ist hier an die bis-her dominierende Besteuerung auf Endenergieebene undSelbstverpflichtungserklärungen zu denken. Ein ET-System,das einer Primärenergiesteuer ähnlich ist, müsste in diese be-stehenden Systeme eingefügt werden, wobei insbesonderedie Kombination von absoluten Emissionscaps und spezifi-schen Emissionsminderungen problematisch ist. Der EU-Vor-schlag, die Burden Sharing Verpflichtung und das deutscheSystem der freiwilligen Selbstverpflichtung einzelner Bran-chen können nicht simultan umgesetzt werden. Es ergibt sichauch die rechtliche Frage, ob der Staat für einzelne Unter-nehmen jeweils spezifische Reduktionsziele vorgeben kann,um für Übertretungen eines vorgegebenen absoluten Bran-chen-Emissionscaps notfalls als »Restschuldner« einzuste-hen (Subventionsproblem). Ohne solche Möglichkeiten han-delt man sich umgekehrt ein Problem der Marktabschottunggegenüber Newcomern ein, die ja noch keine Zertifikate nachGrandfathering haben können.

Die fiskalisch und ökologisch motivierten Ökosteuern et-wa auf Elektrizität sind in einem ET-System mit Einschluss

der Kraftwerke nicht mehr ökologisch begründbar und müss-ten abgeschafft werden. Die resultierende Lücke in denStaatsfinanzen wäre anderweitig zu schließen.

Eine allgemeine Belastung CO2-intensiver Energieträgerdurch ein ET-System mit dem Ziel der Verminderung desEinsatzes dieser Energieträger steht im Widerspruch zur po-litischen Förderung bestimmter Mengen an Kohlever-stromung (Braunkohle in Ostdeutschland, Steinkohle in al-ten Bundesländern). Die eingesetzten Instrumente wärendann widersprüchlich.

Die hohe Reduktionsverpflichtung der Bundesrepublik von21% gegenüber 1990 im Rahmen des EU-Burden Sharingist durch die erwartete starke Emissionsreduktionen durchden Zusammenbruch der Industrie und die Umstrukturie-rung der Energieträger in der ehemaligen DDR begründet:Bis zur Hälfte der deutschen energetischen CO2-Reduk-tionsziele lassen sich hierauf zurückführen. Viele der heuti-gen Unternehmen in den Neuen Bundesländern existier-ten 1990 noch nicht; die erheblichen Umstrukturierungen,die zum größten Teil auch mit Einsatz von Steuermittelngetragen wurden, fanden nach 1990 statt und generiertendie Ernte von »Hot Air« innerhalb des Staatsgebiets vonDeutschland. Wie die EU mit dem deutschen Sonderfallbei der Festlegung der Gratis-Emissionen für Unternehmenfür ein späteres Basisjahr umgehen will, ist bisher unklar.Ähnliche Fragen werden sich beim Beitritt von Polen oderTschechien stellen, die größere Mengen »Hot Air« in die EUmit einbringen.

Compliance-Probleme

Ein Emissionsrechtehandel kann nur funktionieren, wennEmissionsübertretungen geahndet werden können. Deshalbbedarf es eines verlässlichen standardisierten Überwa-chungs- und Durchsetzungssystems für alle THG-Emissio-nen. Die bisher genannten Verfahren (Überwachungsver-fahren für Kohlendioxidemissionen, Vertragsverletzungsver-fahren), die wohl für den Nicht-ET-Bereich gelten sollen,genügen den Ansprüchen an ein Überwachungssystemnicht, da sie entweder zu große politische Einflussmöglich-keiten besitzen oder zu langwierig sind. Nur für den ET-Be-reich hat der EU-RL-Entwurf drakonische Strafen vorgese-hen. Daraus erwächst die Forderung, insgesamt ein geeig-netes Sanktionssystem zu schaffen (»Reduktionspakt«), wel-ches die Erfüllung der Verpflichtungen garantiert. Dabei istsicher zu stellen, dass die außerhalb des ET-Systems blei-benden Sektoren nicht wesentlich besser gestellt sind.

Aufgrund der unterschiedlichen nationalen Wirtschafts- undinstitutionellen Struktur würde ein europaweites, undiffe-renziertes System erhebliche Verwerfungen erzeugen, diedem Ziel des Klimaschutzes nicht dienlich wären. Jeder fei-ner differenzierender Regulierungseingriff ist jedoch mit ei-

6 Selbst dieses scheinbar einfache Konzept wirft Zurechnungsprobleme auf:Deutschland müsste bspw. für Energieverbrauch aus Transit (Lkw-Trans-porte, Erdgastransporte via Pipelines, usw.) Gutschriften der Transporteureverlangen können. Erste Aktivitäten etwa von Erdgasexporteuren (natür-lich nur aus Annex B-Staaten wie etwa Norwegen) deuten darauf hin,zukünftig die mit dem Transport verbundenen THG-Emissionen den Ab-nehmern anzulasten.

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nem höheren administrativen Aufwand verbunden und er-fordert eine sehr viel höhere Anstrengung in der Steuerungeines solchen Systems. Wie dieser Trade-off zwischen sach-gerechter Regulierung und Regulierungsaufwand gelöst wird,ist angesichts der noch offenen Handhabung der verschie-denen Einzelpunkte (Erstausstattung, »Beihilfe-Problema-tik«, Überwachung, etc.) unklar.

Resümee

Der politische Rahmen durch eingegangene Verpflichtun-gen jeweils der Nationalstaaten erschwert ein ökonomischnoch sinnvolles ET-System. Wenn jedoch die Staaten mitEmissionszertifikaten handeln sollen, wobei sie JI- bzw.CDM-Aktivitäten von Unternehmen durch entsprechendeGutschriften anreizen können, gibt es noch die wenigstenProbleme. Dass bisher keine Sanktionen für unzureichendreduzierende Staaten vereinbart wurden, ist ein allgemeinerDefekt beider Abkommen (Kyoto und BSA), der jedes In-strument tangiert.

Gemäß Richtlinien-Entwurf der EU vom 14. September 2001soll das ET-System nur für einen Teilbereich der THG, nurfür einen Teilbereich der Wirtschaft, nur für einen Teilbe-reich des relevanten Raums und ohne Berücksichtigungvon Senken gelten. Angesichts der faktischen Wirkungeneines derart engen Systems zulasten von Braun- und Stein-kohle sowie einige energieintensive Branchen kann sich diesdirekt in eine Investitionslenkung für bestimmte Sektorenauswirken. Dies ist aber aus Sicht von Ökonomen nichtder erhoffte Vorteil eines Zertifikatsystems.

Zudem haben die jeweiligen Nationalstaaten mit ihrer Ver-pflichtung für bestimmte Reduktionsziele auch bestimmteSzenarien zugrunde gelegt, wie sie durch generelle Energie-einsparung, durch Brennstoffwechsel oder durch sektora-len Strukturwandel ihre Zusagen erreichen wollten. Dazuwurden nationale Politikinstrumente seit mehreren Jahrenteils erfolgreich eingesetzt. Ein derart enges ET-System,wie es die EU mit ihrem Richtlinien-Vorschlag anstrebt, kannin Kombination mit einem noch nicht präzisierten »Beihil-fe«-Knüppel eine massive Intervention in nationale Hand-lungsspielräume und sektorale Wachstumschancen bewir-ken. Außerdem ist dabei mit hohen Bürokratiekosten undnur niedrigen Effizienzgewinnen zu rechnen. Somit ist die-ser konkrete EU-Vorschlag wenig nützlich.

Handelbare Emissionsrechte, Festlegungeiner globalen Emissionsobergrenze undgleiche Verteilung von Emissionsrechtenpro Kopf

Als jemand, der seit vielen Jahren im Geschäft der Politik-beratung tätig ist, weiß ich, dass radikale Lösungen für po-litische Probleme insbesondere bei internationalen Ver-handlungsprozessen kaum Chancen haben, durchgesetztzu werden. Vielmehr erfordert jedes Bemühen um politischeLösungen ein hohes Maß an Kompromissbereitschaft. An-ders hat der Konsensbildungsprozess wenig Aussicht aufErfolg. Wenn ich – in meiner wissenschaftlichen Tätigkeiteher ungewöhnlich – bezüglich der hier gegebenen Frage-stellung eine radikale Lösung empfehle, so aus der Erkenntnisheraus, dass die Kompromissstrategien aus mehreren Grün-den keine Chance haben, das Problem zu lösen. Deshalbist ein (radikaler) Paradigmenwechsel erforderlich, und ichbin überzeugt, er wird kommen, nur möglicherweise zu spät.

Die Schwächen des Kyoto-Prozesses

Das Kyoto-Protokoll wurde im Rahmen der dritten Ver-tragsstaatenkonferenz (VSK) der 1992 vereinbarten Klima-rahmenkonvention (KRK) unterzeichnet. Es geht von der An-nahme aus, dass die Verursacher des bisherigen Problems,die Industrieländer (IL), mindestens in einem ersten Schritt,allein das Problem einer Lösung zuführen müssen. Des-halb wird ausgehend von der Verteilung der Emissionen imBasisjahr 1990 (grandfathering principle) von den IL eineStabilisierung bzw. leichte Absenkung ihrer Emissionen ver-langt, die Entwicklungsländer sind nicht gebunden. Nachderzeitigem Stand wurde erreicht,

Friedemann Müller*

* Dr. Friedemann Müller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Ins-titut für Internationale Politik und Sicherheit der Stiftung Wissenschaft undPolitik (SWP), Berlin.

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• dass die Industrieländer gemäß dem bei VSK 6 in Bonngefundenen Kompromiss, der die ursprüngliche Kyoto-Vereinbarung (VSK 3, 1997) abmildert, in dem Zeitraumbis 2008/12 gegenüber 1990 ihre Emissionen um 1,8%absenken müssen. Da die USA ausgestiegen sind, wer-den aber die Emissionen der IL um 12% ansteigen. Da-zu kommt, dass die EU laut Grünbuch der EU-Kommis-sion ihr Ziel verfehlen, statt einer Absenkung um 8% einWachstum um 5% erzielen wird, und auch Japan wirdseinen Verpflichtungen nicht nachkommen.

• dass den Entwicklungsländern (EL) in dem gesamtenKyoto-Zeitraum 1990–2012 kein Anreiz gegeben ist, ihrEmissionswachstum, das laut Internationaler Energiea-gentur (IEA) 80% des globalen Emissionswachstums aus-macht, zu begrenzen. Die IEA geht davon aus, dass dieglobalen CO2-Emissionen im Jahr 2020 trotz des Kyo-to-Prozesses um 60% über denen des Jahres 2000 lie-gen werden.

Dieses vorläufige Ergebnis des Verhandlungsprozesses derKRK steht in einem krassen Gegensatz zu dem gemeinsa-men, d.h. von allen Staaten einschließlich der USA, derOPEC-Länder u.a. formulierten Ziel. Laut Artikel 2 der KRK,ist Ziel, »die Stabilisierung der Treibhausgas-Konzentratio-nen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, aufdem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasys-tems verhindert wird.« Auch wenn die Naturwissenschaft inihrer Prognose nicht absolute Sicherheit bieten kann, so be-steht doch ein so höheres Maß an Sicherheit über die sichanbahnende anthropogene Störung, als bei vielen politischenEntscheidungen von großer Tragweite (z.B. bei Ausgaben-verteilung für innere und äußere Sicherheit). Die Mainstream-Position der Klimatologen besagt, dass die atmosphärischeKonzentration äußerstenfalls die doppelte Menge der na-türlichen erreichen darf. Um diesen Grenzwert nicht zu über-schreiten, muss eine Absenkung der globalen Emission spä-testens 2015 einsetzen, und bis zur Mitte des Jahrhundertsmüssen diese Emissionen auf wesentlich weniger als derHälfte des Wertes am Beginn des Jahrhunderts zurückge-hen. Diese Entwicklung, also insbesondere der globale Rück-gang nach 2015 ist mit Hilfe des Kyoto-Ansatzes beim bes-ten Willen nicht zu erreichen. Es ist also festzuhalten, dassder Verhandlungsweg der VSK das selbst gesetzte Ziel, demauch die Staaten zugestimmt haben, die aus dem Prozessausgestiegen sind (USA) oder die keine Verpflichtungen über-nommen haben (EL), bei weitem verfehlen wird.

Worin liegt der Geburtsfehler der Kyoto-Strategie? Aus-gangspunkt dieser Strategie ist zum einen die Festlegungdarauf, dass die IL, welche unbestreitbar das Problem dererhöhten Konzentration von Treibhausgasen (THG) in derAtmosphäre geschaffen haben, im Rahmen des Kyoto-Pro-tokolls allein in Emissionsbegrenzungen eingebunden wer-den. Zum zweiten wurden diese Emissionsbegrenzungenpro Land oder Ländergruppe nach Regeln der Zumutbar-

keit bzw. Durchsetzbarkeit festgelegt. Dies führte zu einemVerhandlungspoker, der teilweise absurde Ergebnisse pro-duzierte. Den USA, zum Beispiel, konnte bereits in Kyotonur weniger Emissionsreduzierungen abverlangt werden alsden EU-Staaten, obwohl die pro-Kopf-Emissionen in denUSA ungefähr doppelt so hoch sind wie in Europa. Russ-land konnten gar keine Reduzierungen abgewonnen wer-den, obwohl es zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses inKyoto bereits weniger als 70% der Emissionen des Basis-jahrs 1990 aufwies und immer noch über ein riesiges Ein-sparpotential verfügt. Paradoxer Weise darf es im Jahr 2012pro Kopf mehr emittieren als Deutschland. Den Entwick-lungsländern wurde keine Begrenzung des Emissions-wachstums auferlegt, obwohl sie über eine um das vielfa-che höhere Energieintensität (Energieverbrauch pro Sozial-produktseinheit) und damit ebenfalls über ein hohes Ein-sparpotential verfügen, das zwar über Clean DevelopmentAct (CDM) in einem geringen Umfang erschlossen werdensoll, dies aber nur als Kompensation für nicht erbrachteEinsparungen in den Industrieländern.

Schrittfolge des Verhandlungsprozesses

Die Ausschließung der EL aus den Emissionsbegrenzungenund das Kriterium der länderbezogenen Zumutbarkeit bzw.Durchsetzbarkeit öffnet für eine Verhandlungstaktik unterEinbeziehung sachfremder Argumente bzw. Machtkonstel-lationen Tür und Tor. Die Kyoto-Kriterien sind nicht zielfüh-rend, denn die Zielvorgabe heißt, dass eine Absenkung derglobalen Emissionen geboten ist. Am Beginn des Verhand-lungsprozesses muss deshalb Konsens darüber geschaf-fen werden, wie hoch die Obergrenze der globalen Emis-sionen in künftigen Jahren (z.B. 2015, 2020) anzusetzenist. Die nächste Stufe muss dann sein, wie diese globaleEmissionsberechtigung auf Staaten zu verteilen sind.

Diese Verteilung kann nach zwei Prinzipien (und deren Misch-formen) erfolgen. Das eine Prinzip ist das grandfatheringprinciple, das die Verteilung der Emissionen in einem in derVergangenheit liegenden Basisjahr als Grundlage für künf-tige Anteilsrechte heranzieht und von hier aus Korrekturenvornimmt. Dieses Prinzip wurde im Falle des Kyoto-Proto-kolls angewandt, wobei die Korrekturen geringfügig ange-setzt waren und in Bonn (VSK6 im Juli 2001) weiter ver-wässert wurden. Insofern ist der Vorwurf von EL-Seite nichtzu übersehen, dass dieses Prinzip die Strukturen der extremungleichen Emissionsverteilung verfestigt, es mithin spät-imperialistische Züge trägt und deshalb keinesfalls durch EL-Verpflichtungen flankiert werden kann.

Das zweite Prinzip ist eines, für das es bisher keinen allge-mein gebrauchten Namen gibt, nämlich die Verteilung derEmissionsrechte nach gleichen Anteilen pro Kopf beruhendauf dem Prinzip gleicher Anteile am Eigentum öffentlicher

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Güter. Dieses Prinzip ist kurzfristig nicht umsetzbar, lang-fristig dagegen unumgänglich, wenn ein globaler Konsenserreicht werden soll, ohne den es wiederum keine Lösunggeben wird. Es ist das einzige Prinzip, mit dem sich in ei-nem globalen Abkommen alle identifizieren können, wäh-rend das grandfathering principle das für eine funktionsfä-hige Marktwirtschaft unabdingbare Verursacherprinzip aufden Kopf stellt, in dem es den Verursachern von Schadenan öffentlichen Gütern auch künftig überproportionale Scha-densverursachung erlaubt. Der Spielraum eines sinnvollenVerhandlungsrahmens sollte also darin liegen, den Zeitraumder Ablösung des grandfathering principle (korrigiert durchAuflagen in Richtung auf eine Angleichung der Emissionen)durch das gleicher Emissionsrechte pro Kopf auszuhandeln.Um eine Vorstellung von einem realistischen Zeitrahmen zugeben, könnte angestrebt werden, dass die globalen Emis-sionen ab dem Jahr 2020 auf ein Niveau von 80% der Emis-sionen von 1990 festgelegt werden und in einem Zeitraumvon zehn Jahren, also bis 2030 das grandfathering princi-ple linear, d.h. jährlich um 10% zunehmend zu Gunsten desPrinzips gleicher Emissionsrechte pro Kopf abgelöst wird.Bei einer Vorlaufzeit von knapp 20 Jahren wäre sowohl For-schung und Entwicklung wie auch den Investoren eine er-hebliche Planungszeit gegeben, um sich auf die dann ge-gebene Situation einzustellen. Dies würde in beiden Berei-chen (F+E wie Investitionen) einen erheblichen Anstren-gungsschub auslösen, um im Jahr 2020 für die dann ge-gebenen Rahmenbedingungen gerüstet zu sein. Realisti-scher Weise könnte der Effekt eintreten, dass aufgrund derModernisierungsinvestitionen, die nicht alle im Jahr 2020,sondern zum großen Teil in den Jahren zuvor getätigt wür-den, der Effekt der Absenkung globaler Emissionen bereitsvorher eintreten würde.

Handelbare Emissionsrechte

Unter allen gängigen Instrumenten zur Begrenzung von Emis-sionen, sind diejenigen, die den Preis regulieren (garantier-te Preise, Steuern, Abgaben, Subventionen) nicht geeig-net, eine Obergrenze der globale Emission festzulegen. Diesgilt in gleichem Maße für freiwillige Selbstverpflichtungenoder für gesetzliche Emissionsverordnungen. Die Schad-stoffreduzierung pro Emissionseinheit kann durch die Erhö-hung der Zahl dieser Einheit (z.B. Erhöhung der Zahl derAutos) überkompensiert werden. Dies ist im internationalenBereich besonders dann der Fall, wenn es für die Unterbin-dung einer nachholenden Entwicklung (Zahl der Autos proKopf in Ländern wie China) keine Durchsetzungsmöglich-keit gibt.

Es gibt also keine Möglichkeit, eine Reduzierung der globa-len Emissionen zu induzieren, es sei denn durch die Verein-barung einer globalen Emissionsobergrenze in Verbindungmit einer Quotenregelung für die Emissionsrechte. Die Wie-

ner Konvention (1985) in Verbindung mit dem Montreal Pro-tokoll (1987) zum Schutz der Ozonschicht bietet hierfür einVorbild, doch zugegeben, die globale Reduktion der THG-Emissionen ist gemessen an dem Interessenspektrumschwieriger durchzusetzen als das gänzliche Verbot der Emis-sion von Gasen, welche die Ozonschicht zerstören.

Angenommen, es besteht Konsens darüber,

• dass eine Reduzierung der globalen THG-Emissionen nurüber die Vereinbarung eines globalen Grenzwerts zu er-reichen ist und

• dass auf Dauer nur das Prinzip gleicher Emissionsrech-te pro Kopf international konsensfähig ist,

dann ergibt sich daraus eine Quotenregelung, die den Staa-ten (als verhandlungsberechtigte Institutionen) Emissions-rechte entsprechend der Einwohnerzahl zubilligt. Nun ist ab-sehbar, dass im Jahr 2020 die USA oder europäische Län-der trotz induzierten Strukturwandels mehr THG emittierenwerden, als ihnen pro Kopf zusteht, andererseits wird esStaaten geben, welche ihre Quote nicht ausschöpfen müs-sen. Insofern liegt nahe, die Emissionsrechte handelbar zumachen. Dies hat, abgesehen davon, dass es die Verteilungnach Kriterien der Markteffizienz vornimmt, den unschätz-baren Vorteil, dass alle Emittenten, auch diejenigen, die weitweniger emittieren, als sie berechtigt sind, an einem spar-samen Umgang mit Emissionen interessiert sind. Sie kön-nen durch den Verkauf ihrer Anteile Vorteile erringen, fürderen Realisierung bisher keine Voraussetzung besteht. Da-mit wird mit der hohen Effizienz eines Marktes verteilt, wasim Kyoto-Protokoll in einem höchst bürokratischen und kor-ruptionsanfälligen Verfahren der CDM und die Joint Imple-mentation übernehmen sollen.

Die reale Implementierung

Vielfach wird das Argument gebraucht, dass handelbareEmissionen theoretisch gut funktionieren, jedoch in der Im-plementierung große Schwierigkeiten haben. Dem entgeg-ne ich, dass seitdem das Bundeswirtschaftsministerium1991 beim HWWA ein Gutachten über die Anwendbarkeithandelbarer Emissionsrechte in Auftrag gegeben hat, inDeutschland und Europa keine wirklichen Anstrengungenunternommen wurden, dieses Instrument anzuwenden. DieImplementierung ist im Prinzip wesentlich einfacher, als wennmit anderen Instrumenten vergleichbare Wirkungen erzieltwerden sollten. Das Verifizierungsproblem sollte mindestensbis zum Jahr 2020 gelöst werden können, gibt es dochschon heute relativ präzise Daten über die den Staaten zu-zuordnende THG-Emssionen. Die Verteilung von Emis-sionsrechten sollten einer Weltzertifikatsbank (WZB) über-tragen werden, die mit nationalen Zertifikatsbanken koope-riert. Die WZB sollte den internationalen Zertifikatshandel

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überwachen. Die Berechtigung zu emittieren sollte mit demKauf von fossilen Energieträgern – vergleichbar der Erhe-bung der Mineralölsteuer – verbunden werden.

Natürlich gäbe es eine Fülle von Detailproblemen, wie zumBeispiel die Erfassung der Verbrennung von Holz, die Ho-norierung des Aufbaus nachhaltiger Senken mit Emissions-rechten oder die Minimierung von Schlupflöchern und Miss-brauch. Es ist jedoch nicht zu erkennen, warum diese Pro-bleme größer sein sollten, als die Implementierung andererinternationaler Abkommen im Umwelt- oder Rüstungskon-trollbereich.

Ansatz internationaler Verhandlungen

Mit diesem Beitrag wird zum einen die These vertreten, dasshandelbare Emissionsrechte in Verbindung mit der Festle-gung einer globalen Emissionsobergrenze und der gleichenVerteilung von Emissionsrechten pro Kopf den einzigen An-satz bieten, der zu dem Ziel von Artikel 2 der KRK führt, al-so das Klimaproblem, wie es sich nach heutigem Wissens-stand darstellt, lösen kann. Zum anderen wird postuliert, dassdieser Ansatz in internationalen Verhandlungen aus folgen-den Gründen eher konsensfähig ist als der Kyoto-Ansatz,aus dem der größte Emittent, die USA ausgestiegen ist:

• Den USA könnten die Europäer in den beiden wichtigs-ten Punkten, welche die USA gegen Kyoto einwenden,entgegenkommen. Erstens, die Entwicklungsländer könn-ten zu deren eigenem Nutzen und vor allem zum Nutzendes globalen Ziels einbezogen werden und zweitens,die handelbaren Emissionen würden als wesentlichesInstrument eingesetzt werden. Die lange Vorlaufzeit biszum Einsetzen des Instruments könnte auch den USAden notwendigen Strukturwandel (Teilausstieg aus derfossilen Energie und Entwicklung nicht fossiler Energien)erleichtern oder gar interessant machen.

• Die EL würden von einem solchen System profitieren,wenn sie pro Kopf weiterhin wie bisher (dies trifft derzeitfür alle EL einschließlich China zu) weniger als 80% desWeltdurchschnitts emittieren würden. Mit dem Verkaufvon Zertifikaten könnten sie Entwicklungsprojekte ein-schließlich der Verbesserung ihrer Energieeffizienz finan-zieren, die ihnen zusätzlich Ersparnisse durch nicht ge-tätigte Energiekäufe einbrächten. Es müssten allerdingsRegelungen gefunden werden, die den Missbrauch vonEinnahmen aus Zertifikatsverkäufen etwa durch korrup-te Staatsführungen unterbinden würden und die Lenkungder Einnahmen in sinnvolle Projekte sicherstellten, einProblem, mit dem viele Entwicklungsprojekte kämpfen.

Der Zeitpunkt, auf einen solchen Ansatz umzusteigen, istnunmehr gegeben, nachdem die erste Stufe der Klimaver-handlungen mit Verabschiedung des Kyoto-Protokolls ein-

schließlich seiner Implementierungsregeln abgeschlossenist. Eine neue Stufe steht ohnehin an. Die Einbindung derUSA in den nächsten Schritt ist dringend geboten. Zur Ein-leitung einer solchen Strategie sollte es zu bilateralen euro-päisch-amerikanischen Gesprächen kommen. Beide Seitenmüssten über eine nicht zu hohe Hürde springen, denn nichtsin diesem Ansatz widerspricht den grundlegenden Positio-nen einer der beiden Seiten. Dieser radikal neue Schritt isterforderlich, weil es keine Alternative gibt, wenn das Pro-blem gelöst werden soll. Er hat gute Chancen, weil der Zeit-geist langsam die ideologischen Widerstände gegen han-delbare Zertifikate auflöst, und er ist kompatibel mit den Inter-essen Europas, der USA und aller Entwicklungsländer (au-ßer den Rentier-Staaten am Golf). Russland könnte sich alsVerlierer einer solchen Regelung betrachten, doch wird essich nicht dauerhaft gegen die Interessen der Weltgemein-schaft stellen können. Die Nachfrager nach Energie könn-ten sonst ein System entwickeln, das den Erwerb von Ölund Gas auf Staaten beschränkt, die an diesem Regime teil-nehmen. Wichtig wäre, dass sich die Medien dieses The-mas bemächtigen, um den Paradigmenwechsel zu beför-dern. Sonst bekommen wir nicht nur ein massives Klima-problem, sondern auch wachsende Aggressionen des Sü-dens gegen den Norden. New York hat gezeigt, wozu diesführen kann.

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Emissionshandel – effizientes Instrumentoder Mogelpackung?

Der Handel mit CO2-Zertifikaten ist grundsätzlich ein effi-zientes Mittel für den Klimaschutz. Allerdings liegen Weltenzwischen dem idealtypischen umweltökonomischen Modelldes Emissionshandels und der Variante, die voraussichtlichin einigen Jahren praktiziert wird. Die bisherige Geschichtedes Emissionshandels ist eine Geschichte von heißer Luft,zweifelhaften Senken und zahlreichen Schlupflöchern. Des-halb werden die Umweltverbände die Einführung des Emis-sionshandels kritisch begleiten und auch auf die Schwach-stellen hinweisen.

Pauschale Grundsatzkritik ist passé

Die Zeiten sind vorbei als die Umweltbewegung marktwirt-schaftliche Instrumente in Bausch und Bogen als „Ablass-handel“ verwarf. Es ist allgemein anerkannt, dass das Ord-nungsrecht und Grenzwerte nur sehr begrenzt zur Vermin-derung von Massenstoffen wie Treibhausgasen geeignetsind. Ökosteuern und Zertifikatehandel sind die bessereWahl. Theoretisch wäre der Zertifikatehandel der Ökosteu-er sogar überlegen, weil der Staat hier durch die Festle-gung von Emissionsobergrenzen sicherstellt, dass das Kli-maschutzziel erreicht wird. Bei der Ökosteuer wird im Ide-alfall mittels volkswirtschaftlicher Modelle prognostiziert, wiehoch die Ökosteuern steigen müssen, damit die Nachfragenach fossilen Energieträgern in ausreichendem Maße zu-rückgeht. In der realen Politik werden aber beide Instrumentenicht ausschließlich unter Umweltgesichtspunkten einge-setzt; sowohl Ökosteuersätze als auch die Ausgestaltung

des Emissionshandels sind dem heftigen Gerangel der Inter-essengruppen ausgesetzt.

Kritik an den flexiblen Mechanismen des Kyoto-Protokolls bleibt aktuell

Der Abschluss der Bonner Klimaverhandlungen im Juli 2001hat zu allgemeinem Aufatmen geführt. Nach jahrelanger Blo-ckade kann jetzt endlich mit der Umsetzung des Kyoto-Pro-tokolls begonnen werden. Allerdings hat der WWF errechnet,dass durch die weitgehende Anerkennung von Senken dieabsoluten Reduktionsziele von 5,2 auf 1,8% für die ver-pflichteten Staaten verringert worden sind. Politisch ist Bonnein Erfolg für den Verhandlungsprozess, aber ernsthafter welt-weiter Klimaschutz ist immer noch in weiter Ferne.

Unter den flexiblen Mechanismen ist die Anerkennung vonProjekten der Industriestaaten in Entwicklungsländern (CDM– clean development mechanism) besonders problematisch.Da die Entwicklungsländer noch keinen Emissionsober-grenzen durch das Abkommen unterliegen, führt die Verla-gerung der Emissionsminderungspflichten von den Indus-triestaaten zu nicht verpflichteten Staaten in vielen Fällenzur Aufweichung des globalen Klimaschutzes. Viele der an-visierten CDM-Projekte werden keine wirkliche Entlastung fürdas Klima bringen. CDM wird lediglich sicherstellen, dass zu-künftig bei Investitionen in Entwicklungsländern ebenso ef-fiziente Technologien eingesetzt werden wie in den Indus-triestaaten. Das sollte aber eine Selbstverständlichkeit seinund nicht extra mit Emissionsgutschriften belohnt werdenmüssen. CDM darf nicht dazu führen, dass die Industrie-staaten den ökologischen Strukturwandel bei sich selbst ver-nachlässigen. Deshalb müssen aus unserer Sicht mindes-tens 70% der Minderungspflichten (die EU hatte 50% vor-geschlagen) in den Industriestaaten selbst erbracht wer-den. Diese Einschränkung ist nicht ideologisch motiviert, son-dern lässt sich klar begründen: In den reichen Industriestaatenwerden nach wie vor Produkte entwickelt und Konsummusteretabliert, die in vielen Regionen der Welt übernommen wer-den. Es ist richtig, dass in den Entwicklungsländern immerdie effizientesten vorhandenen Technologien eingesetzt wer-den sollen. Genauso aber müssen wir bei uns dafür sorgen,dass Alternativen zu der exzessiven (Auto)Mobilität und demungebremsten Wachstum von Wohnfläche und Güterströ-men entwickelt werden. Effizienzsteigerung alleine reicht nichtaus; wir müssen auch unsere Lebensstile der Herausforde-rung Klimaschutz anpassen.

Nationales bzw. EU-weites Emissionshandels-system wird konkreter

In der EU ist die Diskussion über ein Emissionshandelssys-tem auf der Basis vereinheitlichter nationaler Regelungen im

Angelika Zahrnt* Matthias Seiche**

* Dr. Angelika Zahrnt ist Vorsitzende des Bund für Umwelt und NaturschutzDeutschland e.V. (BUND) und Mitglied im Rat für nachhaltige Entwicklung.

** Matthias Seiche ist Referent für Wirtschafts- und Finanzpolitik in der BUND-Bundesgeschäftsstelle.

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letzten Jahr stark fortgeschritten. Großbritannien und Dä-nemark haben ein solches System bereits eingeführt.Deutschland und andere Staaten arbeiten daran. Wenn derEmissionshandel tatsächlich innerhalb der klar definiertenTreibhausgasmenge stattfindet, die den Staaten mittels EU-Lastenteilung zugewiesen wurde, dann kann dieses Instru-ment sehr effizient sein. Allerdings ist zu befürchten, dassschon ab 2008 die flexiblen Mechanismen des Kyoto-Pro-tokolls mit den oben angesprochenen Problemen voll in dasSystem integriert werden.

Obendrein sind das nationale Klimaschutzziel und das deut-sche Ziel im Rahmen des EU-Burden-Sharing nicht de-ckungsgleich. Während die Bundesregierung bis 2005immerhin 25% CO2-Reduzierung gegenüber 1990 erreichenwill, hat sie sich international nur dazu verpflichtet, die sechsKyoto-Gase bis 2008/12 um 21% zu reduzieren. Wir er-warten von der Bundesregierung, dass sie ein anspruchs-volles mittelfristiges Klimaschutzziel definiert (minus 40% bis2020) und dieses dann auch bei den am Emissionshandelteilnehmenden Sektoren der Volkswirtschaft konsequent an-wendet. Dabei wären, wie im bestehenden Klimaschutz-programm der Bundesregierung auch, unterschiedliche Min-derungsziele für die verschiedenen Sektoren der Volkswirt-schaft akzeptabel. Aber die Summe muss mit dem Ge-samtziel übereinstimmen.

Emissionshandel ohne Haushalte und Verkehr

Für das Emissionshandelssystem auf EU-Ebene ist zunächstzu entscheiden, welche Sektoren der Volkswirtschaft ein-bezogen werden sollen. Für den Verkehrs- und Haushalts-sektor ist die ökologische Steuerreform nach wie vor dasbessere Instrument. Würde man den Emissionshandel aufHaushalte und den Verkehrssektor ausdehnen, gäbe es da-für zwei Varianten: Entweder die Haushalte würden direktam Zertifikatehandel teilnehmen, was aber bei der Vielzahlder Akteure praktisch nicht zu bewältigen wäre. Realisier-bar wäre die sog. Upstream-Variante, bei der die Mineralöl-bzw. Erdgasimporteure die Zertifikate erwerben müssen, umdie Kosten dann an die Endverbraucher zu überwälzen. DieUpstream-Variante wirkt wie eine Primärenergiesteuer, hataber verteilungspolitisch gravierende Nachteile gegenüberder ökologischen Steuerreform. Vergäbe der Staat die Zer-tifikate kostenlos an die Mineralölkonzerne, dann könntendiese die Preisdifferenz zwischen dem hohen Marktpreis beiinländisch verknapptem Angebot und dem geringeren Im-portpreis auf den Weltmärkten in Milliardenhöhe für sich ein-nehmen – eine absurde Vorstellung! Wenn der Staat die Zer-tifikate zu Knappheitspreisen auktioniert und die Einnahmenin Form von Steuer- oder Abgabensenkungen zurückgibt,entfällt zwar dieser Einwand, aber zusätzliche Effizienzge-winne, wie sie sonst vom Zertifikatehandel erwartet werden,entstehen bei dieser Variante nicht. Außerdem dient die Öko-

steuer im Verkehrsbereich nicht nur zur Reduzierung derCO2-Emissionen, sondern soll die weiteren negativen ex-ternen Effekte des Verkehrs (Lärm, Gesundheitsschäden,Naturzerstörung) internalisieren. Fazit: Die Anwendung desEmissionshandels auf Haushalte und den Verkehrssektor istnicht sinnvoll.

Trotzdem sind auch den Haushalten und dem Verkehr ver-bindliche sektorale Minderungsziele vorzugeben. Dann mussder Staat für diese Sektoren mittels anderer Maßnahmen(z.B. fortgesetzte Mineralölsteuererhöhungen im Rahmender ökologischen Steuerreform, Flottenverbrauchsregelun-gen, Förderprogramme für Wärmedämmung) sicherstellen,dass die Umweltziele erreicht werden. Ein stimmiges Bün-del sektoraler Ziele ist vor allem notwendig, damit die zu-geteilte Zertifikatemenge für die einbezogenen Sektoren In-dustrie und Energiewirtschaft nachvollziehbar ist. Vollkom-men inakzeptabel wäre es, wenn der Staat die notwendigeEnergieeinsparung im Haushalts- und Verkehrssektor durchZukauf von Zertifikaten auf dem internationalen Zertifikate-markt umginge.

Welche Industrieunternehmen sollten teilnehmen?

Grundsätzlich müssen für einen funktionierenden Zertifika-tehandel nicht alle Industrieunternehmen von Beginn an ein-bezogen werden. Die Definition der einbezogenen Branchenmuss aber klar sein, damit die zuzuteilende Zertifikatemen-ge korrekt berechnet werden kann und es nicht schon indiesem ersten Schritt zur Verwässerung des Klimaschut-zes kommt.

Die nicht einbezogenen Branchen bzw. Unternehmen müs-sen dann ebenso wie Haushalte und Verkehr ihren Klima-schutzbeitrag mittels anderer Maßnahmen erbringen. Die-se Unternehmen müssten die Ökosteuern in voller Höhe zah-len, während die am Emissionshandel beteiligten Unter-nehmen weiterhin von den großzügigen Ermäßigungen pro-fitieren könnten.

Freiwilligkeit

Von Unternehmensseite wird häufig gefordert, die Teilnah-me am Emissionshandelssystem müsste auf freiwilliger Ba-sis erfolgen. Diese Forderung ist aber mit den Grundprinzi-pien des Handelssystems nicht kompatibel. Der Handel kannnur funktionieren, wenn es Käufer und Verkäufer von Zerti-fikaten gibt. Stellt man die Teilnahme aber ins Belieben derUnternehmen, werden verständlicherweise nur die Unter-nehmen teilnehmen, die sich in der Rolle der potentiellenZertifikateverkäufer sehen. Wie aber soll zwischen lauter Ver-käufern ein Handel zustande kommen? Eine Antwort aufdiesen Einwand wird häufig darin gesehen, dass man fi-

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nanzielle Anreize zum Eintritt in das System schafft. Das wä-re möglich, ist aber nur in Form negativer Anreize für dienichtteilnehmenden Unternehmen sinnvoll. Andernfalls wür-de ein neues Subventionsfass aufgemacht. Das kann nichtder Zweck eines marktwirtschaftlichen Instrumentes sein.Damit Wettbewerbsgleichheit zwischen den Unternehmeninnerhalb und außerhalb des Handelssystems herrscht, müs-sen die negativen Anreize (bewährtestes Mittel: Ökosteuern)so hoch sein, dass durch sie ebenfalls die Minderungszieleerreicht werden.

Allokation

Die CO2-Zertifikate können den Unternehmen entwedermittels Versteigerung oder kostenlos proportional zu denEmissionen in der Vergangenheit (Grandfathering) zugeteiltwerden. Die Versteigerung ist ökonomisch das effizientes-te Instrument, aber politisch schwer durchsetzbar, da sieauch in der aufkommensneutralen Variante zu erheblichenUmverteilungseffekten zwischen den Unternehmen führt.Grandfathering ist immer mit einer gewissen Willkür behaf-tet: Ein spätes Basisjahr benachteiligt Unternehmen, die be-reits vor einigen Jahren ihre Emissionen reduziert haben. Einfrühes Basisjahr bringt Schwierigkeiten bei der Datensi-cherheit mit sich und begünstigt die Unternehmen, derenEmissionen nicht aufgrund von Effizienzsteigerungsmaß-nahmen, sondern aufgrund des industriellen Zusammen-bruchs in den neuen Bundesländern gesunken sind.

In jedem Fall sollte ein Allokationssystem gewählt werden,bei dem die Möglichkeiten branchen- oder unternehmen-sindividueller Einflussnahme auf die Zuteilung minimiert sind.Das von der Arbeitsgruppe Emissionshandel beim Bundes-umweltministerium entwickelte Hybridmodell aus Grand-fathering und Versteigerung mit gestaffelten Preisen ist einakzeptabler Kompromiss zwischen Effizienz und politischerPraktikabilität.

Zertifikatehandel und ökologische Steuerreformmüssen zusammen geführt werden

Emissionshandel ist zurzeit ein Modethema. Das ist nichtüberraschend, denn ein neues, noch nicht eingeführtes um-weltpolitisches Instrument wird gerne genutzt, um von dernotwendigen Verbesserung bestehender Instrumente ab-zulenken. Vor zehn Jahren wurde die Ökosteuer ins Feld ge-führt, um Ordnungsrecht abzuwenden. Heute sehen man-che im Emissionshandel die Möglichkeit, die ökologischeSteuerreform auslaufen zu lassen.

Es wäre vollkommen falsch, die beiden Instrumente gegen-einander auszuspielen. Sie müssen intelligent miteinanderverknüpft werden. Der Emissionshandel hat mit konse-

quenten Minderungszielen seine Stärken im industriellen Be-reich, wo die Ökosteuer wegen der hohen Ermäßigungenkaum wirkt. Die Ökosteuern für das Kleingewerbe, denDienstleistungs- und Verkehrssektor sowie die privaten Haus-halte müssen aber weiter angehoben werden. Die Unter-nehmen, die nicht mit verbindlichen CO2-Minderungszielenam Emissionshandel teilnehmen, müssen dann die vollenÖkosteuersätze zahlen.

Ein Problem bleibt aber bei dieser Verknüpfung: Solange dieÖkosteuern zur Senkung der Lohnnebenkosten gleichge-wichtig auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite verwendetwerden, entsteht eine verteilungspolitische Schieflage. Schonjetzt sind die Unternehmen mit mehr als 2,5 Mrd. DM jähr-lich Nettogewinner der ökologischen Steuerreform. DieseSchieflage darf durch die Einführung des Emissionshan-dels nicht noch verstärkt, sondern muss endlich geradegerückt werden.

Noch ist es zu früh, über den Emissionshandel endgültig zuurteilen. Das Instrument darf aber nicht mit zu vielen faulenKompromissen eingeführt werden. Das Beispiel der Öko-steuer-Ermäßigungen hat gezeigt, wie schwierig es ist, über-zogene Zugeständnisse an Interessengruppen später wie-der einzuholen.

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Zur Rolle der volkswirtschaftlichen Effizienzkriterien in der internationalenKlimapolitik

»Kosteneffizienz« und »Umweltwirksamkeit« beim Klima-schutz – das waren die zwei Mindestanforderungen, dieder US-Verhandlungsführer Frank Loy beim Auftakt dersechsten Klimakonferenz in Den Haag formulierte. Be-sonders die USA als Hauptbefürworter drängten damalsauf den unbeschränkten internationalen Emissionshan-del, da er, so die Argumentation, die Kosteneffizienz derKlimapolitik sicherstellen helfe. Über lange Zeit war und istmit der Kosteneffizienz ein volkswirtschaftliches Kriteriumzum Streitpunkt geworden. Im Folgenden soll daher ver-sucht werden, den Stellenwert volkswirtschaftlicher Argu-mente innerhalb der internationalen Klimapolitik festzu-stellen. Zuvor jedoch müssen die verschiedenen Instru-mente, die derzeit in der Klimapolitik diskutiert werden, be-grifflich unterschieden werden.

Das Kyoto-Protokoll ist der zentrale Vertrag der interna-tionalen Klimapolitik. In ihm verpflichtet sich jeder teilneh-mende Industriestaat, ab 2008 sicherzustellen, dass vonseinem Territorium nicht mehr an Treibhausgasen ausge-stoßen wird, als die Menge, für die er über Emissionsrechteverfügt. Diese Verpflichtung wird zu einer Minderung derEmissionen von Treibhausgasen um etwas über 2% füh-ren, vorausgesetzt die USA machen mit. Unter dem Dachdes Kyoto-Protokolls werden drei flexible Instrumente –Clean Development Mechanism (CDM), Joint Implemen-tation (JI) und Internationaler Emissionshandel (IET) – ent-stehen. Die Instrumente JI und IET erlauben den Transfervon Emissionsrechten zwischen verpflichteten Industrie-

staaten, sie ermöglichen also den Handel mit Emissions-rechten. Der CDM ist in dieser Hinsicht von den beiden an-deren Instrumenten zu unterscheiden – er erlaubt Indus-triestaaten, Emissionsrechte für sich zu generieren, wennsie in Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern inves-tieren. Auf nationaler und regionaler Ebene, u.a. in der Eu-ropäischen Union und ihren Mitgliedstaaten, Kanada, Aus-tralien und Japan wird darüber nachgedacht, einen regio-nalen bzw. nationalen Handel mit Emissionsrechten ein-zuführen. In noch ferner Zukunft könnte es gelingen, die-se in aller Welt entstehenden Systeme unter dem Dach desKyoto-Emissionshandels »zusammenzuschließen«. Dannkönnten Treibhausgase emittierende Unternehmen überGrenzen hinweg Emissionsrechte handeln. Einige Visio-näre erblicken daher im Kyoto-Protokoll den Beginn einesweltweiten Emissionshandels.

Das Umweltqualitätsziel der internationalen Klimapolitik

Das Ziel der Klimapolitik ist es, das Klima zu schützen.Damit gerät sie notwendig in Konflikt mit anderen gesell-schaftlichen Zielen, zum Beispiel mit der Wirtschaftspoli-tik. Um derartige Konflikte zu lösen, lernt jeder Studieren-de der Umweltökonomie die Theorie der externen Effektekennen. Laut dieser Theorie ist es pareto-effizient, Schad-stoffeinträge in die Umwelt bis zu einem Niveau zuzulas-sen, bei dem die Minderungskosten pro vermiedenerSchadstoffeinheit noch größer sind als der Schaden, deraus der Emission des Schadstoffes entsteht. Prüfen wiralso, ob die internationale Klimapolitik sich ein pareto-effi-zientes Ziel gesetzt hat.

Um den Schaden, der durch den Klimawandel entsteht,ökonomisch zu fassen, d.h. zu quantifizieren, sind im Rah-men der Klimafolgenforschung so genannte Integrated As-sessment Models entwickelt worden. Das UmweltproblemKlimawandel ist jedoch durch eine außerordentliche Kom-plexität gekennzeichnet, die nur unzureichend in Model-len abgebildet werden kann. Es ist daher kaum überra-schend, dass die Angaben über den ökonomischen Scha-den pro emittierter Tonne Kohlendioxid stark schwanken.In den entsprechenden Berichten des IntergovernmentalPanel on Climate Change werden Zahlen zwischen 2 und40 US-$ genannt.

Diese Zahlen eignen sich jedoch nicht als Orientierung fürdie oben zitierte Theorie der externen Effekte. Denn zumeinen kann das Klimaproblem nicht statisch betrachtet wer-den, sondern, im Gegenteil, es ist durch seine Langfris-tigkeit geprägt. Damit ist der ökonomischen Schaden ei-ner jetzt emittierten Tonne Kohlendioxids von der Zukunftabhängig: er ist umso geringer, je stärker die Emissionenin der Zukunft fallen. Oder anders gesagt, wer jetzt mit den

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Hermann E. Ott* Thomas Langrock**

* Dr. Hermann E. Ott ist Direktor der Abteilung Klimapolitik des WuppertalInstitut für Klima, Umwelt und Energie.

** Thomas Langrock ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Kli-mapolitik des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie.

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geringen ökonomischen Schäden argumentiert, müsstesich eigentlich gleichzeitig zu drastischen Emissionsre-duktionen in der Zukunft verpflichten. Damit ist es im Sin-ne der ökonomischen Theorie nicht möglich, Grenzkostendes Schadens zu definieren. Zum anderen muss das Bildeiner Schadensfunktion, die allmählich mit den Treib-hausgaskonzentrationen ansteigt, korrigiert werden. Beiansteigenden Konzentrationen der Treibhausgase steigtdas Risiko von Großkatastrophen, wie zum Beispiel dem»Umkippen« des Golfstromes. Das heißt jede dieser Groß-katastrophen ist von einem solchen Ausmaß, dass ihreAuftrittswahrscheinlichkeit aus ethischer Sicht, also ohneRücksicht auf ein ökonomisches Kalkül, minimiert wer-den muss.

Aus diesen beiden Gründen dominieren im Rahmen derKlimaverhandlungen normative Zielbestimmungen die Dis-kussion um ein Umweltqualitätsziel. Die Klimapolitiker ar-gumentieren, es müsse alles getan werden, um die CO2-Konzentrationen auf einem Niveau zu stabilisieren, das sowenig wie möglich über dem vorindustriellen Wert (immerweniger als 300 ppm) liegt. Die Konsequenzen einer derar-tigen Zielbestimmung sind dramatisch. Konkret bedeutet einStabilisierungsszenario von 550 ppm, dass die Emissionenvon Treibhausgasen bis zur Hälfte dieses Jahrhunderts ummehr als 50% sinken müssen.

Wir müssen also feststellen, dass die Theorie der externenEffekte auf das Klimaproblem nicht direkt anwendbar ist. An-dere ökonomische Instrumente, wie etwa die Cost-BenefitAnalyse, berücksichtigen zwar die Langfristigkeit des Kli-maproblems, doch auch sie haben mit großen Unsicher-heiten zu kämpfen. Die derzeit vorherrschenden Zielformu-lierungen sind daher vor allem vom Vorsorgeprinzip abge-leitet, weniger von ökonomischen Theorien. Ohnehin fälltauf, dass die normativen Zielformulierungen nur sehr bedingtin tatsächliche Politikoptionen umsetzbar sind. Da bei derbestehenden Unsicherheit über die Kosten kein Staat be-reit ist, sich auf Verpflichtungen über 50 Jahre festzulegen,dominieren mittelfristige Politikansätze, die weitgehend oh-ne Einbezug des volkswirtschaftlichen Schadens durch denKlimawandel diskutiert werden.

Auf dem Weg zu Emissionsminderungen: Das Kyoto-Protokoll

Pragmatisch geht es auf internationaler Ebene darum, mitHilfe eines internationalen Vertragssystems erstens die Emis-sionen so schnell wie möglich zu senken (Ziel), zweitensdabei keinen Staat zu überfordern (Nebenbedingung der An-gemessenheit) und drittens die Minderungslast so zwischenden Staaten zu verteilen, dass die Kosten der Emissionsre-duktionen weltweit minimal sind (Nebenbedingung der Kos-teneffizienz).

Theoretisch sind die Emissionsreduktionen sowohl durchein preissetzendes Instrument wie auch durch ein men-genbasiertes Instrument erreichbar. Auch innerhalb desKlimaregimes gab und gibt es Befürworter von preisset-zenden Instrumenten, also einer weltweiten CO2-Steueroder, wie zuletzt zur Rettung des Kyoto-Protokolls dis-kutiert, eines Emissionshandels mit einer Preisobergren-ze. In der Tat argumentieren die meisten der Befürworterpreissetzender Instrumente, diese Lösungen würden ge-rade die Nebenbedingungen der Angemessenheit sehr guterfüllen.

Dennoch sprechen gute Gründe für das mengenbasierteSystem des Kyoto-Protokolls, also den internationalen Emis-sionshandel. Durch das mengenbasierte Ziel behalten dieVertragsparteien die Emissionen von Treibhausgasen unterKontrolle; ein mengenbasiertes System führt – da die Staa-ten kaum in der Lage sind, sich auf einen Preis zu einigen,der hoch genug ist – vermutlich zu größeren Emissionsre-duktionen als eine Preislösung. Zum anderen darf nicht ver-gessen werden, dass völkerrechtliche Verträge zum Schutzder Umwelt eine sehr wichtige politische Funktion haben:sie strukturieren den innenpolitischen Diskurs über umwelt-politische Ziele und erlauben den Vergleich zwischen ver-schiedenen Staaten. Nur ein mengenbasiertes Systemschafft ausreichend Transparenz, um diese wichtige Funk-tion zu erfüllen.

Im Kyoto-Protokoll ist bekanntlich ein Emissionsminde-rungsziel für die Industriestaaten festgeschrieben worden.Ursprünglich sah der Vertrag nur eine relativ geringe Diffe-renzierung der Minderungsziele vor, mit den Korrekturendes Bonner Beschlusses darf man jedoch davon ausge-hen, dass das Kyoto-Protokoll die Nebenbedingung derAngemessenheit relativ gut erfüllt. Es bleibt zu prüfen, obdas Kyoto-Protokoll die geforderte Kosteneffizienz sicher-stellen kann.

In Artikel 17 wird den Industriestaaten erlaubt, untereinan-der Emissionsrechte zu handeln. So wie dieser Artikel der-zeit formuliert ist, ist auch das oben erwähnte Zusammen-schalten mehrerer nationaler Emissionshandelssysteme, andenen nicht Staaten, sondern die tatsächlichen Emittententeilnehmen, möglich. Theoretisch bräuchte man sich daherum die Kosteneffizienz nicht zu sorgen, der Markt für Emis-sionsrechte würde sie garantieren.

Der Internationale Emissionshandel wird jedoch kein Lehr-buchfall werden, ein Markt frei von Handelsbarrieren wirdkaum entstehen. Im Gegenteil, schon derzeit werden Han-delsbarrieren errichtet. Und zwar, indem die Vertragspar-teien die Fungibilität der Emissionsrechte einschränken, al-so die Veräußerung von Emissionsrechten erschweren. ZumBeispiel verhandelt die EU derzeit mit Russland darüber,die finanziellen Einnahmen aus dem Verkauf von Emis-

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sionsrechten für »grüne« Projekte zu reservieren (Green In-vestment Scheme). Eine andere Form von Handelsbarrie-ren ist direkt im Kyoto-Protokoll vorgesehen: Artikel 6 desKyoto-Protokolls erlaubt den Transfer von Emissionsrech-ten zwischen Industriestaaten, wenn eine Investition in einKlimaschutzprojekt (das so genannte JI-Projekt) getätigt wird.Ein wirklich freier grenzüberschreitender Handel wird derzeitnur innerhalb der EU geplant; so wie die EU Kommissionden EU Emissionshandel entwirft, läuft er auf das »Zu-sammenschalten« der Emissionshandelssysteme der Mit-gliedstaaten hinaus. Durch die genannten Handelsbarrie-ren weicht das Kyoto-Protokoll vom theoretischen Ideal ei-nes Marktes für Emissionsrechte ab, was sicherlich auchEinbußen an Kosteneffizienz zur Folge hat. Dennoch sind siewichtig, um das Funktionieren des Marktes zu ermöglichen.Warum?

Alle diese beobachtbaren Handelsbarrieren laufen auf ei-nes hinaus: die Fungibilität der Emissionsrechte steigt mitder Qualität der Verpflichtung eines Staates. Da jeder inter-nationale Vertrag auf der Freiwilligkeit der teilnehmendenStaaten beruht, bestimmen die Staaten über die Qualitätihrer Verpflichtungen. Es steht ihnen frei, ob sie sich ein an-spruchsvolles Ziel setzen, ob sie sich einem Sanktionsregi-me unterwerfen oder auch ob sie alle ihre Berichtspflichteneinhalten. Wie das Beispiel der USA gezeigt hat, könnenStaaten auch entscheiden, sich vollständig von ihren ein-gegangenen Verpflichtungen zurückzuziehen.

Angewandt auf den Internationalen Emissionshandel hat diesstarke Konsequenzen: Ein Staat wird zum Beispiel nur dannEmissionsrechte nachfragen, wenn ihm eine Strafe (sei esdurch einen Sanktionsmechanismus oder die Ächtung durchgesellschaftliche Akteure) droht, sobald er seine Verpflich-tungen verletzt. Auf der Angebotsseite ist der Zusammen-hang zwischen der Qualität der Verpflichtungen und demFunktionieren des Marktes noch einfacher zu sehen: DieKnappheit der Emissionsrechte ist nur dann garantiert, wennsich alle Staaten über mehrere Verpflichtungsperioden zuanspruchsvollen Zielen bekennen. Insofern war der BonnerBeschluss, bei dem sich die Industriestaaten einen »Nach-schlag« bei den Emissionsrechten gönnten, der erste kol-lektive Sündenfall.

Wie wir gezeigt haben, wurde das Instrument Internationa-ler Emissionshandel vor allem aus Gründen der politischenDurchsetzbarkeit und der besseren Transparenz gewählt.Bei der Ausgestaltung des Internationalen Emissionshan-dels werden nicht alle theoretischen Potentiale zur Steige-rung der Kosteneffizienz ausgeschöpft. Die Abweichungenvom volkswirtschaftlichen Ideal sind jedoch unvermeidbar,um überhaupt ein funktionsfähiges System aufzubauen.

Zusammenfassend müssen wir feststellen, dass sowohldie langfristige als auch die mittelfristige internationale Kli-

mapolitik nicht optimal im Sinne ökonomischer Effizienzkri-terien sind. Das ist, wie unsere Betrachtung gezeigt hat, je-doch keine Katastrophe, sondern den konkreten Umstän-den geschuldet. Die Komplexität und vor allem der Lang-fristcharakter des Klimaproblems machen es unmöglich,eine optimale Strategie über 100 Jahre zu formulieren. Imkonkreten Fall mittelfristiger Emissionsminderungen, wie imKyoto-Protokoll angestrebt, wäre es ebenfalls verfehlt, Po-litikansätze zu verwerfen, nur weil sie nicht das ökonomi-sche Optimum darstellen. Stattdessen sollten Effizienzkri-terien genutzt werden, um das politisch Durchsetzbare demanzustrebenden Ideal nahe zu bringen.

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