keine langweilige beziehungskiste

3
KEINE LANGWEILIGE BEZIEHUNGSKISTE Reinhard Bütikofer MdEP Die enge Partnerschaft und Freundschaft mit den USA ist ein Basiselement der Außenbeziehungen der Europäischen Union. Nicht nur sind beide Seiten gesellschaftlich, politisch, kulturell und wirtschaftlich eng miteinander verflochten, unsere Gesellschaften fußen auf dem gleichen Wertefundament von Demo- kratie, Rechtstaatlichkeit bis zu Menschenrechten. So sehr vieles, was aus den USA kommt, bei uns zum Alltag gehört, man denke nur an das tägliche Fernsehprogramm oder an den Musikbereich, so sehr sind die Beziehungen über den Atlantik in Europa immer wieder Gegenstand auch kontroverser De- batten. Gegenwärtig erleben wir in der Diskussion um das geplante transatlantische Freihandelsab- kommen TTIP, dass auch die enge Verflechtung unserer Wirtschaftsräume, die gemeinsam fast fünfzig Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes (BIP) hervorbringen, von Kontroversen keineswegs aus- genommen ist. Um die transatlantischen Beziehungen ranken sich übrigens auch manche Mythen. Es ist nicht so, dass früher, in der Zeit, an die wir uns nicht mehr so genau erinnern, heftige Auseinandersetzungen nicht auch Bestandteil dieser Beziehungen gewesen wären. Bei nüchterner Betrachtung muss man fest- stellen: Obwohl die transatlantischen Beziehungen manchmal den Eindruck erwecken, es handele sich um eine etwas langweilig gewordene Beziehungs- kiste, die einen frischen Funken brauchen könnte, ist sowohl für die USA wie für uns Europäer ein gutes transatlantisches Verhältnis angesichts der aktuellen und auf uns zukommenden Herausfor- derungen unverzichtbar. Und eine im Kern stabile Partnerschaft und Freundschaft muss Kritik und offen ausgetragene Kontroversen aushalten. Kritisches gab es gerade in letzter Zeit zwischen der EU und den USA nicht zu wenig: Zum Beispiel haben die Enthüllungen von Edward Snowden ein beispiel- loses Ausspähprogramm der amerikanischen NSA zu Tage gebracht. Das ist und bleibt inakzeptabel. Damit befasst sich ein Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag. Nach grüner Auffassung wäre auch ein Untersuchungsausschuss im Euro- | Notizen

Upload: reinhard-buetikofer

Post on 06-Apr-2016

221 views

Category:

Documents


0 download

DESCRIPTION

Artikel aus "Der Beitrag" Oktober 2014 - www.derbeitrag.com

TRANSCRIPT

Page 1: Keine langweilige Beziehungskiste

keine langWeilige BeziehungskisteReinhard Bütikofer MdEP

Die enge Partnerschaft und Freundschaft mit den USA ist ein Basiselement der Außenbeziehungen der Europäischen Union. Nicht nur sind beide Seiten gesellschaftlich, politisch, kulturell und wirtschaftlich eng miteinander verflochten, unsere Gesellschaften fußen auf dem gleichen Wertefundament von Demo-kratie, Rechtstaatlichkeit bis zu Menschenrechten.

So sehr vieles, was aus den USA kommt, bei uns zum Alltag gehört, man denke nur an das tägliche Fernsehprogramm oder an den Musikbereich, so sehr sind die Beziehungen über den Atlantik in Europa immer wieder Gegenstand auch kontroverser De-batten. Gegenwärtig erleben wir in der Diskussion um das geplante transatlantische Freihandelsab-kommen TTIP, dass auch die enge Verflechtung unserer Wirtschaftsräume, die gemeinsam fast fünfzig Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes (BIP) hervorbringen, von Kontroversen keineswegs aus-genommen ist.

Um die transatlantischen Beziehungen ranken sich übrigens auch manche Mythen. Es ist nicht so,

dass früher, in der Zeit, an die wir uns nicht mehr so genau erinnern, heftige Auseinandersetzungen nicht auch Bestandteil dieser Beziehungen gewesen wären. Bei nüchterner Betrachtung muss man fest-stellen: Obwohl die transatlantischen Beziehungen manchmal den Eindruck erwecken, es handele sich um eine etwas langweilig gewordene Beziehungs-kiste, die einen frischen Funken brauchen könnte, ist sowohl für die USA wie für uns Europäer ein gutes transatlantisches Verhältnis angesichts der aktuellen und auf uns zukommenden Herausfor-derungen unverzichtbar. Und eine im Kern stabile Partnerschaft und Freundschaft muss Kritik und offen ausgetragene Kontroversen aushalten.

Kritisches gab es gerade in letzter Zeit zwischen der EU und den USA nicht zu wenig: Zum Beispiel haben die Enthüllungen von Edward Snowden ein beispiel-loses Ausspähprogramm der amerikanischen NSA zu Tage gebracht. Das ist und bleibt inakzeptabel. Damit befasst sich ein Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag. Nach grüner Auffassung wäre auch ein Untersuchungsausschuss im Euro-

| Notizen

Page 2: Keine langweilige Beziehungskiste

päischen Parlament angemessen gewesen. Nicht weniger wichtig aber ist, dass auf europäischer Ebene die notwendigen Konsequenzen gezogen werden aus den Differenzen in Sachen Datenschutz, die zwischen den USA und Europa bestehen. Das sogenannte Safe-Harbor-Abkommen, eine Verein-barung zwischen der EU und den USA, wonach US-Unternehmen die Daten von EU-Bürgerinnen unter bestimmten Voraussetzungen in den USA verarbeiten dürfen, muss aufgekündigt und neu verhandelt werden. Gleiches gilt auch für die Fluggast- und Bankdatenabkommen, die anlasslose Datensammlung ermöglichen. Insgesamt brauchen wir im Verhältnis zu den USA eine Stärkung des Datenschutzes. Ein Datenschutzrahmenabkommen wird von europäischer Seite seit Langem gefordert und muss durchgesetzt werden.

Und übrigens ist es nicht gerade ein Zeichen europä-ischen Selbstbewusstseins und eine Demonstration zugunsten der so oft verkündeten gemeinsamen Werte, dass Edward Snowden sich derzeit in Russland verstecken muss, anstatt in der EU Schutz zu finden oder noch besser in den USA als Whistleblower an- erkannt zu werden. Denn Anerkennung gebührt ihm für seinen Beitrag zum Schutz von Grundrechten.

Im Zentrum der transatlantischen Debatte steht gegenwärtig die Verhandlung um ein Freihandels-abkommen zwischen der EU und den USA, TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) genannt. Die Grundidee dahinter ist einfach: Es sollen Hindernisse für den Handel zwischen der EU und den USA abgebaut werden, die zum Beispiel für kleinere und mittlere Unternehmen oft unüber-windliche Blockadewirkung haben. Natürlich wäre

es auch sinnvoll, Standards für Zukunftstechnologien von vorneherein zu harmonisieren; die Durchsetzung von Elektromobilität ginge schneller, wenn in den transatlantischen Märkten nicht erst einmal ganz un-terschiedliche Stromladesysteme konstruiert werden.

Viele Mitgliedsstaaten der EU, die sich gegenwärtig in sehr schwierigen wirtschaftlichen Situationen befinden und mit hoher Jugendarbeitslosigkeit zu kämpfen haben, verbinden erhebliche Hoffnungen mit einer Verstärkung des Handels zwischen der EU und den USA. Allerdings, und hier liegt der Haken, wird diese Hoffnung gerade ausgebeutet von bestimmten Wirtschaftslobbys und einigen großen Konzernen, die gerne durch das Freihandels-abkommen derzeit bestehende Schutzstandards im Verbraucherrecht, in der Landwirtschaft, für die Umwelt, für den Arbeitsschutz, für die Gesundheit, bei Chemikalien, untergraben möchten. Mit dem Versprechen auf Handelsgewinne als Köder ein Roll-Back bei Standards zu verfolgen, das ruft berech-tigten Protest hervor. In den bestehenden Standards artikulieren sich Werteentscheidungen zum Schutz von Dingen, die uns wichtig sind, und diese Werte-entscheidungen, die demokratische Mehrheiten getroffen haben, lassen wir nicht über die TTIP-Hintertür aushebeln.

Um den ehemaligen amerikanischen Präsidenten George W. Bush zu paraphrasieren: „The European way of life is not negotiable.“ Nicht verhandelbar ist auch die Vorstellung zahlloser Lobbyisten, dass internationale Investoren ihre Interessen gegen demokratische Gesetzgebungsentscheidungen an der normalen Gerichtsbarkeit vorbei durch soge-nannte „Handelstribunale“ sollen durchsetzen können. Das hieße Privatisierung des Rechts zugunsten wirt-schaftlich Mächtiger. Das hieße Untergrabung der Demokratie. Das geht nicht. Also werden sich beide Seiten in den Verhandlungen entscheiden müssen. Wer darauf besteht, dass die Verhandlungen weiter-hin für die Öffentlichkeit so intransparent geführt werden wie bisher, mit privilegierten Informations-zugängen nur für Wirtschaftslobbys, wer will, dass Handelstribunale die Gerichte ersetzen sollen und dass Standards abgesenkt werden, der muss sich auf eine heftige Gegenwehr einstellen und wird, das sage ich voraus, TTIP zum Scheitern bringen. Übrigens findet man diese Kritik am aktuellen TTIP-Mandat bei amerikanischen Verbraucherbänden, Umweltschützen und Gewerkschaftsvertretern ebenso wie bei uns.

„Die Hungerkralle (Luftbrückendenkmal)

in Berlin“. Quelle: Imago

Stock & People GmbH

| Notizen

Page 3: Keine langweilige Beziehungskiste

Der neue europäische Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat im Europawahlkampf als konservativer Spitzenkandidat wie auch vor dem Europäischen Parlament mehrfach erklärt, dass er diese Verhandlungen anders anpacken wolle und für den Schutz europäischer Standards einstehen werde. Wir werden ihn von grüner Seite beim Wort nehmen und der Kommission sehr genau auf die Finger sehen.

Ein Thema feiert gegenwärtig interessanterweise im transatlantischen Verhältnis seine Wiederauferste-hung, das nach großen Anfangshoffnungen beim Amtsantritt von Präsident Obama zwischenzeitlich trauernd beerdigt worden war: die Klimaschutzpo-litik. Nachdem US-Präsident Obama in seiner ersten Amtszeit die Erwartungen und auch Hoffnungen auf einen wirklichen Kurswechsel in der Klima-schutzpolitik bitter enttäuscht hatte, ist er in seiner zweiten Amtszeit offenkundig entschlossen, bei die-sem Thema wirklich voranzugehen. Der von Obama im Juni vorgestellte Aktionsplan zeigt eine ganze Reihe möglicher Ansatzpunkte für eine vertiefte Zusammenarbeit in diesem Bereich: Sowohl, was die Internationale Klimakonferenz im nächsten Jahr in Paris und den internationalen Klimaschutz angeht, als auch mit Blick auf den Ausbau erneuer-barer Energien in den USA. Hier eröffnen sich ins-besondere für Vorreiterbranchen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien große wirtschaftliche Chancen, die es dann aber auch zu ergreifen gilt.

Die Krise um die Ukraine hat mit Blick auf das trans-atlantische Verhältnis dreierlei Aufschluss gegeben: Erstens, dass ohne gemeinsamen Druck der USA und Europas gegenüber Russland an eine Eindäm-mung der von Putin betriebenen, systematischen Verletzung internationaler Regeln und Normen nicht zu denken ist. Zweitens, dass Europa in dieser Krise nicht einfach den USA hinterherlaufen konnte oder durfte, sondern gemeinsam mit den USA, aber auf Grundlage einer unter den Europäern hergestellten Verständigung über unsere Prioritäten, eigene Ver-antwortung übernehmen musste. Drittens, dass sich die USA und Europa jeweils der Stimmen erwehren müssen, die in der Ukraine-Krise eine Gelegenheit sehen, alte, eigentlich längst zerborsten geglaubte Schallplatten wieder neu aufzulegen: Nämlich sich an der Idee von der Wiederkehr der lange geübten, übersichtlichen Konfrontation des kalten Krieges zu erwärmen und auf militärische Illusionen zu setzen, wo politische Lösungen den einzigen Weg bieten.

Leider gilt im Verhältnis des Westens zu Russland, dass Russlands Aggression gegen die Ukraine eine neue Epoche markiert. Das wird den transatlantischen Partnern noch viel abverlangen.

Funktionierende transatlantische Beziehungen zwischen der EU und den USA sind keine Selbstver-ständlichkeit, oft nicht leicht, aber immer im wech-selseitigen Interesse. Es lohnt daher, sie regelmäßig zu pflegen und weiterzuentwickeln, wenn nötig auch im Sinne eines offenen, kritischen Dialogs. Dabei bleibt es eine gemeinsame Aufgabe, antiame-rikanischen und antieuropäischen Ressentiments zu begegnen, die hier wie dort immer noch zu leicht hervorgerufen werden können.

Reinhard Bütikofer Reinhard Bütikofer studierte Phi-losophie, Geschichte und Sino-logie. Nach aktiver Beteiligung in Hochschulpolitik trat er 1984 in die Grüne Partei ein. 1997 wurde Bütikofer Landesvorsitzender der baden-württembergischen Grünen, 1998 und 2000 Bundesgeschäfts-führer von Bündnis 90/Die Grünen. Seit 2009 ist Bütikofer Mitglied des Europäischen Parlamentes und seit 2012 Ko-Vorsitzender der Europäi-schen Grünen Partei. Unter anderem ist er Mitglied der USA- und China- Delegation.

Quelle: Imago Stock & People GmbH

| Notizen