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dtv Bibliothek der Erstausgaben Gottfried Keller Kleider machen Leute

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dtvBibliothek der Erstausgaben

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Gottfried KellerKleider machen Leute

BB 1 02617

Gottfried Keller

Kleider machen Leute

Stuttgart 1874

Herausgegeben vonJoseph Kiermeier-Debre

Deutscher Taschenbuch Verlag

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An einem unfreundlichen Novembertage wanderteein armes Schneiderlein auf der Landstraße nachGoldach, einer kleinen reichen Stadt, die nur wenigeStunden von Seldwyla entfernt ist. Der Schneider trugin seiner Tasche nichts, als einen Fingerhut, welchener, in Ermangelung irgend einer Münze, unablässigzwischen den Fingern drehte, wenn er der Kältewegen die Hände in die Hosen steckte, und die Fingerschmerzten ihm ordentlich von diesem Drehen undReiben, denn er hatte wegen des Fallimentes irgendeines Seldwyler Schneidermeisters seinen Arbeitslohnmit der Arbeit zugleich verlieren und auswandernmüssen. Er hatte noch nichts gefrühstückt, als einigeSchneeflocken, die ihm in den Mund geflogen, und ersah noch weniger ab, wo das geringste Mittagsbrodherwachsen sollte. Das Fechten fiel ihm äußerstschwer, ja schien ihm gänzlich unmöglich, weil er überseinem schwarzen Sonntagskleide, welches sein einzi-ges war, einen weiten dunkelgrauen Radmantel trug,mit schwarzem Sammt ausgeschlagen, der seinemTräger |10| ein edles und romantisches Aussehen ver-lieh, zumal dessen lange schwarze Haare und Schnurr-bärtchen sorgfältig gepflegt waren und er sich blasseraber regelmäßiger Gesichtszüge erfreute.

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Solcher Habitus war ihm zum Bedürfniß gewor-den ohne daß er etwas Schlimmes oder Betrügeri-sches dabei im Schilde führte; vielmehr war er zufrie-den, wenn man ihn nur gewähren und im Stillenseine Arbeit verrichten ließ; aber lieber wäre erverhungert, als daß er sich von seinem Radmantelund von seiner polnischen Pelzmütze getrennt hätte,die er ebenfalls mit großem Anstand zu tragenwußte.

Er konnte deshalb nur in größeren Städten arbei-ten, wo solches nicht zu sehr auffiel; wenn erwanderte und keine Ersparnisse mitführte, gerieth erin die größte Noth. Näherte er sich einem Hause, sobetrachteten ihn die Leute mit Verwunderung undNeugierde und erwarteten eher alles andere, als daßer betteln würde; so erstarben ihm, da er überdiesnicht beredt war, die Worte im Munde, also daß erder Märtyrer seines Mantels war und Hunger litt, soschwarz wie des letzteren Sammetfutter.

Als er bekümmert und geschwächt eine Anhöhehinauf ging, stieß er auf einen neuen und bequemenReisewagen, welchen ein herrschaftlicher Kutscherin Basel abgeholt hatte und seinem Herrn überbrach-te, |11| einem fremden Grafen, der irgendwo in derOstschweiz auf einem gemietheten oder angekauf-ten alten Schlosse saß. Der Wagen war mit allerleiVorrichtungen zur Aufnahme des Gepäckes verse-hen und schien deswegen schwer bepackt zu sein,

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obgleich alles leer war. Der Kutscher ging wegen dessteilen Weges neben den Pferden, und als er obenangekommen den Bock wieder bestieg, fragte er denSchneider, ob er sich nicht in den leeren Wagensetzen wolle. Denn es fing eben an zu regnen und erhatte mit einem Blicke gesehen, daß der Fußgängersich matt und kümmerlich durch die Welt schlug.

Derselbe nahm das Anerbieten dankbar und be-scheiden an, worauf der Wagen rasch mit ihm vondannen rollte und in einer kleinen Stunde stattlichund donnernd durch den Thorbogen von Goldachfuhr. Vor dem ersten Gasthofe, zur Waage genannt,hielt das vornehme Fuhrwerk plötzlich, und also-gleich zog der Hausknecht so heftig an der Glocke,daß der Draht beinahe entzwei ging. Da stürztenWirth und Leute herunter und rissen den Schlag auf;Kinder und Nachbaren umringten schon den präch-tigen Wagen, neugierig, welch’ ein Kern sich aus sounerhörter Schaale enthülsen werde, und als derverdutzte Schneider endlich hervorsprang in seinemMantel, blaß und schön und schwermüthig zur Erdeblickend, schien |12| er ihnen wenigstens ein geheim-nißvoller Prinz oder Grafensohn zu sein. Der Raumzwischen dem Reisewagen und der Pforte desGasthauses war schmal und im Uebrigen der Wegdurch die Zuschauer ziemlich gesperrt. Mochte esnun der Mangel an Geistesgegenwart oder an Muthsein, den Haufen zu durchbrechen und einfach seines

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Weges zu gehen, – er that dieses nicht, sondern ließsich willenlos in das Haus und die Treppe hinange-leiten und bemerkte seine neue seltsame Lage erstrecht, als er sich in einen wohnlichen Speisesaalversetzt sah und ihm sein ehrwürdiger Mantel dienst-fertig abgenommen wurde.

Der Herr wünscht zu speisen? hieß es, gleich wirdservirt werden, es ist eben gekocht!

Ohne eine Antwort abzuwarten lief der Waag-wirth in die Küche und rief: In’s drei Teufels Namen!Nun haben wir nichts als Rindfleisch und dieHammelskeule! Die Rebhuhnpastete darf ich nichtanschneiden, da sie für die Abendherren bestimmtund versprochen ist. So geht es! Den einzigen Tag,wo wir keinen Gast erwarten und nichts da ist, mußein solcher Herr kommen! Und der Kutscher hat einWappen auf den Knöpfen und der Wagen ist wie dereines Herzogs! und der junge Mann mag kaum denMund öffnen vor Vornehmheit!

Doch die ruhige Köchin sagte: Nun, was ist denn|13| da zu lamentiren, Herr? Die Pastete tragen Sie nurkühn auf, die wird er doch nicht aufessen! Die Abend-herren bekommen sie dann portionenweise, sechsPortionen wollen wir schon noch herausbringen!

„Sechs Portionen? Ihr vergeßt wohl, daß dieHerren sich satt zu essen gewohnt sind!“ meinte derWirth, allein die Köchin fuhr unerschüttert fort: „Dassollen sie auch! Man läßt noch schnell ein halbes

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Dutzend Cotelettes holen, die brauchen wir so wieso für den Fremden, und was er übrig läßt, schneideich in kleine Stückchen und menge sie unter diePastete da lassen Sie nur mich machen!“

Doch der wackere Wirth sagte ernsthaft: „Köchin,ich habe Euch schon einmal gesagt, daß dergleichenin dieser Stadt und in diesem Hause nicht angeht! Wirleben hier solid und ehrenfest und vermögen es!“

„Ei der Tausend, ja, ja! rief die Köchin endlichetwas aufgeregt, wenn man sich dann nicht zu helfenweiß, so opfere man die Sache! Hier sind zweiSchnepfen, die ich den Augenblick vom Jäger gekaufthabe, die kann man am Ende der Pastete zusetzen!Eine mit Schnepfen gefälschte Rebhuhnpastetewerden die Leckermäuler nicht beanstanden! Sodannsind auch die Forellen da, die größte habe ich in dassiedende Wasser geworfen, wie der merkwürdigeWagen kam, und da kocht auch schon die Brühe imPfännchen |14| so haben wir also einen Fisch, dasRindfleisch, das Gemüse mit den Cotelettes, denHammelsbraten und die Pastete; geben Sie nur denSchlüssel, daß man das Eingemachte und den Dessertherausnehmen kann! Und den Schlüssel könnten Sie,Herr! mir mit Ehren und Zutrauen übergeben, damitman Ihnen nicht allerorten nachspringen muß undoft in die größte Verlegenheit geräth!“

„Liebe Köchin! Das braucht Ihr nicht übel zunehmen, ich habe meiner seligen Frau am Todbette

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versprechen müssen, die Schlüssel immer in Händenzu behalten; sonach geschieht es grundsätzlich undnicht aus Mißtrauen. Hier sind die Gurken und hierdie Kirschen, hier die Birnen und hier die Apriko-sen; aber das alte Confekt darf man nicht mehraufstellen; geschwind soll die Lise zum Zuckerbecklaufen und frisches Backwerk holen, drei Teller, undwenn er eine gute Torte hat, soll er sie auch gleichmitgeben!“

„Aber Herr! Sie können ja dem einzigen Gast dasnicht alles aufrechnen, das schlägt’s beim bestenWillen nicht heraus!“

„Thut nichts, es ist um die Ehre! Das bringt michnicht um; dafür soll ein großer Herr, wenn er durchunsere Stadt reist, sagen können, er habe ein ordent-liches Essen gefunden, obgleich er ganz uner|15|war-tet und im Winter gekommen sei! Es soll nichtheißen wie von den Wirthen zu Seldwyl, die allesGute selber fressen und den Fremden die Knochenvorsetzen! Also frisch, munter, sputet euch allerseits!“

Während dieser umständlichen Zubereitungenbefand sich der Schneider in der peinlichsten Angst,da der Tisch mit glänzendem Zeuge gedeckt wurde,und so heiß sich der ausgehungerte Mann vor Kur-zem noch nach einiger Nahrung gesehnt hatte, soängstlich wünschte er jetzt, der drohenden Mahlzeitzu entfliehen. Endlich faßte er sich einen Muth,nahm seinen Mantel um, setzte die Mütze auf und

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begab sich hinaus, um den Ausweg zu gewinnen. Daer aber in seiner Verwirrung, und in dem weitläufi-gen Hause die Treppe nicht gleich fand, so glaubteder Kellner, den der Teufel beständig umhertrieb,jener suche eine gewisse Bequemlichkeit, rief: Erlau-ben Sie gefälligst, mein Herr, ich werde Ihnen denWeg weisen! und führte ihn durch einen langenGang, der nirgend anders endigte, als vor einer schönlakirten Thüre, auf welcher eine zierliche Inschriftangebracht war.

Also ging der Mantelträger ohne Widerspruch,sanft wie ein Lämmlein, dort hinein und schloßordentlich hinter sich zu. Dort lehnte er sich bitter-lich seufzend an die Wand, und wünschte der golde-nen Freiheit der Landstraße wieder theilhaftig zusein, |16| welche ihm jetzt, so schlecht das Wetter war,als das höchste Glück erschien.

Doch verwickelte er sich jetzt in die erste selbst-thätige Lüge, weil er in dem verschlossenen Raumein wenig verweilte und er betrat hiermit den ab-schüssigen Weg des Bösen.

Unterdessen schrie der Wirth, der ihn gesehenhatte im Mantel dahin gehen: Der Herr friert! heizetmehr ein im Saal! Wo ist die Lise, wo ist die Anne?Rasch einen Korb Holz in den Ofen und einigeHände voll Spähne, daß es brennt! Zum Teufel, sollendie Leute in der Waage im Mantel zu Tisch sitzen?

Und als der Schneider wieder aus dem langen

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Gange hervorgewandelt kam, melancholisch wie derumgehende Ahnherr eines Stammschlosses, beglei-tete er ihn mit hundert Complimenten und Hand-reibungen wiederum in den verwünschten Saalhinein. Dort wurde er ohne ferneres Verweilen anden Tisch gebeten, der Stuhl zurechtgerückt und dader Duft der kräftigen Suppe, dergleichen er langenicht gerochen, ihn vollends seines Willens beraub-te, so ließ er sich in Gottes Namen nieder und tauch-te sofort den schweren Löffel in die braungoldeneBrühe. In tiefem Schweigen erfrischte er seinematten Lebensgeister und wurde mit achtungsvollerStille und Ruhe bedient.

Als er den Teller geleert hatte und der Wirth |17|sah, daß es ihm so wohl schmeckte, munterte er ihnhöflich auf, noch einen Löffel voll zu nehmen, dassei gut bei dem rauhen Wetter. Nun wurde die Forel-le aufgetragen, mit Grünem bekränzt, und der Wirthlegte ein schönes Stück vor. Doch der Schneider, vonSorgen gequält, wagte in seiner Blödigkeit nicht, dasblanke Messer zu brauchen, sondern handtirteschüchtern und zimperlich mit der silbernen Gabeldaran herum. Das bemerkte die Köchin, welche zurThür hereinguckte, den großen Herren zu sehen,und sie sagte zu den Umstehenden: Gelobt sei JesusChrist! Der weiß noch einen feinen Fisch zu essen,wie es sich gehört, der sägt nicht mit dem Messer indem zarten Wesen herum, wie wenn er ein Kalb

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schlachten wollte. Das ist ein Herr von großemHause, darauf wollt’ ich schwören, wenn es nichtverboten wäre! Und wie schön und traurig er ist!Gewiß ist er in ein armes Fräulein verliebt, das manihm nicht lassen will! Ja ja, die vornehmen Leutehaben auch ihre Leiden!

Inzwischen sah der Wirth, daß der Gast nichttrank, und sagte ehrerbietig: Der Herr mögen denTischwein nicht, befehlen Sie vielleicht ein Glasguten Bordeaux, den ich bestens empfehlen kann?

Da beging der Schneider den zweiten selbstthäti-gen Fehler, indem er aus Gehorsam ja statt nein |18|sagte, und alsobald verfügte sich der Waagwirth per-sönlich in den Keller, um eine ausgesuchte Flaschezu holen; denn es lag ihm alles daran, daß man sagenkönne, es sei etwas Rechtes im Ort zu haben. Als derGast von dem eingeschenkten Wein wiederum ausbösem Gewissen ganz kleine Schlücklein nahm, liefder Wirth voll Freuden in die Küche, schnalzte mitder Zunge und rief: Hol’ mich der Teufel, derversteht’s, der schlürft meinen guten Wein auf dieZunge, wie man einen Dukaten auf die Goldwagelegt!

Gelobt sei Jesus Christ! sagte die Köchin, ich hab’sbehauptet, daß er’s versteht!

So nahm die Mahlzeit denn ihren Verlauf undzwar sehr langsam, weil der arme Schneider immerzimperlich und unentschlossen aß und trank und der

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Wirth, um ihm Zeit zu lassen, die Speisen genugsamstehen ließ. Trotzdem war es nicht der Rede werth,was der Gast bis jetzt zu sich genommen; vielmehrbegann der Hunger, der immerfort so gefährlichgereizt wurde, nun den Schrecken zu überwinden,und als die Pastete von Rebhühnern erschien, schlugdie Stimmung des Schneiders gleichzeitig um undein fester Gedanke begann sich in ihm zu bilden. Esist jetzt einmal, wie es ist, sagte er sich, von einemneuen Tröpflein Weines erwärmt und aufgestachelt;nun wäre ich ein Thor, wenn ich die kommendeSchande |19| und Verfolgung ertragen wollte ohnemich dafür satt gegessen zu haben! Also vorgesehen,weil es noch Zeit ist! Das Thürmchen, was sie daaufgestellt haben, dürfte leichtlich die letzte Speisesein, daran will ich mich halten, komme was dawolle! Was ich einmal im Leibe habe, kann mir keinKönig wieder rauben!

Gesagt, gethan; mit dem Muthe der Verzweiflunghieb er in die leckere Pastete, ohne an ein Aufhörenzu denken, so daß sie in weniger als fünf Minutenzur Hälfte geschwunden war und die Sache für dieAbendherren sehr bedenklich zu werden begann.Fleisch, Trüffeln, Klößchen, Boden, Deckel, allesschlang er ohne Ansehen der Person hinunter, nurbesorgt, sein Ränzchen voll zu packen, ehe das Ver-hängniß hereinbräche; dazu trank er den Wein intüchtigen Zügen und steckte große Brodbissen in den

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Mund; kurz es war eine so hastig belebte Einfuhr, wiewenn bei aufsteigendem Gewitter das Heu von dernahen Wiese gleich auf der Gabel in die Scheunegeflüchtet wird. Abermals lief der Wirth in dieKüche und rief: Köchin! Er ißt die Pastete auf,während er den Braten kaum berührt hat! Und denBordeaux trinkt er in halben Gläsern!

Wohl bekomm’ es ihm, sagte die Köchin, lassenSie ihn nur machen, der weiß, was Rebhühner sind!|20| Wär’ er ein gemeiner Kerl, so hätte er sich an denBraten gehalten!

Ich sag’s auch, meinte der Wirth: es sieht sich zwarnicht ganz elegant an; aber so hab’ ich, als ich zumeiner Ausbildung reis’te, nur Generäle undCapitelsherren essen sehen!

Unterdessen hatte der Kutscher die Pferde fütternlassen und selbst ein handfestes Essen eingenommenin der Stube für das untere Volk, und da er Eile hatte,ließ er bald wieder anspannen. Die Angehörigen desGasthofes zur Waage konnten sich nun nicht längerenthalten und fragten, eh’ es zu spät wurde, denherrschaftlichen Kutscher geradezu, wer sein Herrda oben sei, und wie er heiße? Der Kutscher, einschalkhafter und durchtriebener Kerl, versetzte: Hater es noch nicht selbst gesagt?

Nein, hieß es, und er erwiederte: Das glaub’ ichwohl, der spricht nicht viel in einem Tage; nun, es istder Graf Strapinski! Er wird aber heut’ und vielleicht

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einige Tage hier bleiben, denn er hat mir befohlenmit dem Wagen vorauszufahren.

Er machte diesen schlechten Spaß, um sich an demSchneiderlein zu rächen, das, wie er glaubte, statt ihmfür seine Gefälligkeit ein Wort des Dankes und desAbschiedes zu sagen, sich ohne Umsehen in das Hausbegeben hatte und den Herren spielte. Seine |21|Eulenspiegelei auf ’s Aeußerste treibend, bestieg erauch den Wagen, ohne nach der Zeche für sich unddie Pferde zu fragen, schwang die Peitsche und fuhraus der Stadt, und alles ward so in der Ordnungbefunden und dem guten Schneider auf’s Kerbholzgebracht.

Nun mußte es sich aber fügen, daß dieser, eingeborener Schlesier, wirklich Strapinski hieß, WenzelStrapinski, mochte es nun ein Zufall sein, oder mochteder Schneider sein Wanderbuch im Wagen hervorge-zogen, es dort vergessen und der Kutscher es zu sichgenommen haben. Genug, als der Wirth freudestrah-lend und händereibend vor ihn hintrat und fragte, obder Herr Graf Strapinski zum Nachtisch ein Glas altenTokaier oder ein Glas Champagner nehme, und ihmmeldete, daß die Zimmer soeben zubereitet würden,da erblaßte der arme Strapinski, verwirrte sich vonneuem und erwiederte gar nichts.

Höchst interessant! brummte der Wirth für sich,indem er abermals in den Keller eilte und aus beson-derem Verschlage nicht nur ein Fläschchen Tokaier,

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sondern auch ein Krügelchen Bocksbeutel holte undeine Champagnerflasche schlechthin unter den Armnahm. Bald sah Strapinski einen kleinen Wald vonGläsern vor sich, aus welchem der Champagnerkelchwie eine Pappel emporragte. Das glänzte, klingelte|22| und duftete gar seltsam vor ihm, und was nochseltsamer war, der arme, aber zierliche Mann griffnicht ungeschickt in das Wäldchen hinein, und goß,als er sah, daß der Wirth etwas Rothwein in seinenChampagner that, einige Tropfen Tokaier in denseinigen. Inzwischen war der Stadtschreiber und derNotar gekommen, um den Kafee zu trinken, und dastägliche Spielchen um denselben zu machen; baldkam auch der ältere Sohn des Hauses Häberlin undCo., der jüngere des Hauses Pütschli-Nievergelt, derBuchhalter einer großen Spinnerei, Herr MelcherBöhni; allein statt ihre Partie zu spielen, gingensämmtliche Herren in weitem Bogen hinter dempolnischen Grafen herum, die Hände in den hinternRocktaschen, mit den Augen blinzelnd und auf denStockzähnen lächelnd. Denn es waren diejenigenMitglieder guter Häuser, welche ihr Leben lang zuHause blieben, deren Verwandte und Genossen aberin aller Welt saßen, weswegen sie selbst die Weltsattsam zu kennen glaubten.

Also das sollte ein polnischer Graf sein? DenWagen hatten sie freilich von ihrem Comptoirstuhlaus gesehen; auch wußte man nicht, ob der Wirth

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den Grafen oder dieser jenen bewirthe; doch hatteder Wirth bis jetzt noch keine dummen Streichegemacht; er war vielmehr als ein ziemlich schlauerKopf bekannt, und so wurden denn die Kreise, wel-che die |23| neugierigen Herren um den Fremdenzogen, immer kleiner, bis sie sich zuletzt vertraulichan den gleichen Tisch setzten und sich auf gewand-te Weise zu dem Gelage aus dem Stegreif einluden,indem sie ohne weiteres um eine Flasche zu würfelnbegannen.

Doch tranken sie nicht zu viel, da es noch frühwar; dagegen galt es, einen Schluck trefflichen Kafeezu nehmen und dem Polacken, wie sie den Schnei-der bereits heimlich nannten, mit gutem Rauchzeugaufzuwarten, damit er immer mehr röche, wo ereigentlich wäre.

Darf ich dem Herrn Grafen eine ordentlicheCigarre anbieten? ich habe sie von meinem Bruderauf Cuba direkt bekommen! sagte der Eine.

Die Herren Polen lieben auch eine gute Cigaret-te, hier ist ächter Taback aus Smyrna, mein Compa-gnon hat ihn gesandt, rief der Andere, indem er einrothseidenes Beutelchen hinschob.

Dieser aus Damaskus ist feiner, Herr Graf, rief derDritte, unser dortiger Prokurist selbst hat ihn fürmich besorgt!

Der Vierte streckte einen ungefügen Cigarrenben-gel dar, indem er schrie: Wenn Sie etwas ganz Ausge-

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