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1 © JOACHIM HERZ STIFTUNG
Einstieg
WAS KANN STRUKTURPOLITIK LEISTEN? MÖGLICH-KEITEN UND GRENZEN DER EU-KOHÄSIONSPOLITIK
Blickt man nach Europa, so gibt es auch dort gravierende Unterschiede in der wirtschaftlichen
Entwicklung einzelner Länder und Regionen. Während einige Mitgliedsstaaten nach dem
EU-Beitritt ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum erreicht haben, sind heute gerade die
südlichen Länder wie Italien, Griechenland oder Portugal in der Krise. Das Gefälle zwischen den
wirtschaftsstarken und weniger entwickelten Staaten geht immer stärker auseinander. Mit ihrer
Strukturpolitik möchte die EU daher nicht nur den wirtschaftlichen Wandel begleiten und
fördern, sondern vor allem den wirtschaftlichen Rückstand der am stärksten abgehängten
Gebiete verringern. Diese sogenannte „Kohäsionspolitik“ (Kohäsion = Zusammenhalt) zielt vor
allem darauf ab, die Lebensverhältnisse in allen EU-Staaten anzugleichen, mit dem Ziel die
Akzeptanz des politischen Gebildes „Europäische Union“ zu erhöhen und einem möglichen
Zerbrechen der Vertragsgemeinschaft vorzubeugen. Doch wie kann die EU diese Ziele erreichen?
Und wie erfolgreich ist ihre Struktur- und Kohäsionspolitik wirklich?
ÜBERBLICK ÜBER DIE UNTERRICHTSEINHEIT
THEMENBEREICH Wirtschaftspolitik g EU-Strukturpolitik
VORWISSEN Strukturwandel, Instrumente staatlicher Strukturpolitik
ZEITBEDARF 2 Unterrichtsstunden
METHODEN Lernplakat, fiktives Interview
KOMPETENZEN Die Schülerinnen und Schüler…
• erläutern die Ziele der EU-Kohäsionspolitik sowie die Finanzierung durch verschiedene Fonds.
• erklären die strukturpolitischen Zielsetzungen der EU an konkreten Fallbeispielen aus ihrer
Region.
• setzen sich mit der Kritik an der EU-Kohäsionspolitik auseinander.
SCHLAGWORTE Europäische Union, EU-Kohäsionspolitik, Strukturpolitik, EU-Strukturfonds, Strukturwandel
AUTOR Dr. Peter Kührt
PRODUKTION C.C. Buchner Verlag
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Was kann Strukturpolitik leisten? Möglichkeiten und Grenzen der EU-Kohäsionspolitik
ZIELE DER EU-KOHÄSIONSPOLITIK UND IHRE GRENZEN
Strukturpolitik ist der Oberbegriff für alle staatlichen Maßnahmen zur Steuerung der grundle-
genden Strukturen einer Volkswirtschaft. Es geht dabei um die Vermeidung, Abmilderung und
Überwindung von wirtschaftlichen Fehlentwicklungen und Krisen, die durch den Strukturwandel
in Produktion und Konsum hervorgerufen werden.
Auch die Europäische Union ist inzwischen ein zentraler Akteur, wenn es um strukturpolitische
Maßnahmen geht. Denn zwischen den wirtschaftsstarken und den weniger entwickelten
Regionen der Europäischen Union besteht ein großes wirtschaftliches Ungleichgewicht. Dieses
Gefälle abzubauen, ist ureigenste Aufgabe der EU-Kohäsionspolitik und einer der zentralen
Politikbereiche der Europäischen Union. Etwa ein Drittel der Haushaltsmittel der EU werden dafür
eingesetzt. Grundlage ist die im EG-Vertrag verankerte Zielsetzung der Mitgliedstaaten, „die
Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen und den Rückstand der am
stärksten benachteiligten Gebiete […] zu verringern.“ (Artikeln 174 bis 178 des Vertrages über die
Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)).Die Strukturpolitik ist ein Teilbereich der allgemei-
nen Wirtschaftspolitik. Ihre Aufgabe ist es insbesondere, strukturschwachen Regionen dabei zu
helfen, Standortnachteile abzubauen und Anschluss an die allgemeine Wirtschaftsentwicklung zu
finden. Die EU-Struktur- und Kohäsionspolitik ergänzt damit die nationale Regionalpolitik.
Für die Jahre bis 2020 hat sich die europäische Struktur- und Kohäsionspolitik insbesondere fünf
Ziele gesetzt:
• Förderung der Beschäftigung
• Förderung von Forschung und Entwicklung
• Verstärkter Umweltschutz und nachhaltige Energiewirtschaft
• Verbesserung der Bildung
• Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung.
Alle Mitgliedsstaaten können sich mit konkreten Projektvorschlägen an die EU wenden und
Mittel aus einem von sechs „Finanztöpfen“ beantragen:
• Europäische Regionalfonds
• Europäischer Kohäsionsfonds
• Europäischer Sozialfonds
• Europäischer Landwirtschaftsfonds
• Europäischer Fischereifonds
• Beschäftigungsinitiative Jugendarbeitslosigkeit.
Die Projekte sollen dazu dienen, Beschäftigung, Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit
in allen EU-Staaten zu fördern, um damit zugleich die wirtschaftlichen und sozialen Ungleichhei-
ten in den einzelnen Regionen der Europäischen Union zu verringern. Insgesamt sind für die o. g.
Projekte im Zeitraum 2014 bis 2020 643 Mrd. Euro vorgesehen. Die größten Mittel stehen für
Regionalentwicklung (43 %), die Landwirtschaft (23 %) und soziale Belange (19 %) zur Verfügung.
Sachanalyse
3 © JOACHIM HERZ STIFTUNG
EinstiegWas kann Strukturpolitik leisten?
Möglichkeiten und Grenzen der EU-Kohäsionspolitik
Literaturhinweise:
• Dörr, Julian (2016): Die europäische Kohäsionspolitik, Eine ordnungsökonomische Perspektive.
• Dietrich, Julien (2015): Die Entwicklungen der EU-Strukturpolitik und die Auswirkungen für die
Europäische Union.
• Deeke, Axel (2010): Arbeitsmarktpolitik mit dem Europäischen Sozialfond.
Die Kritik an der europäischen Struktur- und Kohäsionspolitik geht in zwei Richtungen:
Einmal wird kritisiert, dass sich die Lebensverhältnisse in Europa trotz Milliarden von Struktur-
hilfen zumindest teilweise nicht wirklich annähern. Viele finanzielle Hilfen kommen durch
Fehlplanungen und Korruption nicht dort an, wo sie sollten. Zudem wird die Mittelverwendung
kaum überwacht. Milliarden von Geldern versickern so völlig wirkungslos. Auch in Deutschland
wird z. B. die Kritik am Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer immer lauter, dessen Mittel nur
noch zu einem Bruchteil für den Infrastrukturausbau in den neuen Bundesländern verwendet
wird und in zwischen zu einer Art Steuerzuschlag geworden ist.
Zum anderen wirkt die Strukturpolitik häufig strukturkonservierend, indem sie veraltete, nicht
mehr konkurrenzfähigen Branchen wie den Steinkohlebergbau subventioniert und künstlich am
Leben erhält. Eigentlich sollte sie aber Wirtschaft und Arbeitskräfte für die Herausforderungen
der Zukunft fit machen.
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Was kann Strukturpolitik leisten? Möglichkeiten und Grenzen der EU-KohäsionspolitikUnterrichtsverlauf
Zeit Phase Inhalte Materialien Tipps/Hinweise
1. Unterrichtsstunde
10' Einstieg I Die SuS beschreiben das EU-geförderte Prestigeprojet „Rail Baltica“ und werden dadurch für die Motive der EU-Strukturpolitik sensibilisiert.
M1 Den Anschluss finden – mit dem Schnellzug von Tallin nach Warschau
Präsentation der Karte mit dem Whiteboard / OHP
Unterrichtsgespräch
15' Erarbeitung I Die SuS erstellen eine Übersicht über die strukturpolitischen Ziele und Mittel (Fonds) der EU.
Film: Strukturpolitik (Interaktiver Erklärfilm)
M2 Die Ziele und Mittel der europäischen Strukturpolitik
Partnerarbeit
Methode: Lernplakat
20' Anwendung Die SuS setzen sich mit konkreten Förder-beispielen aus ihrer Region und mit der Zielsetzung der EU zur Förderung dieser Projekte auseinander. Sie präsentieren ihre Ergebnisse.
M3 Europa in meiner Region
Gruppenarbeit
Methode: fiktives Interview
Arbeitsgrundlage: Die Broschüre „Europa in meiner Region. Erfolgs-geschichten in Deutschland“ auf www.teacheconomy.de
2. Unterrichtsstunde
5' Einstieg II Die SuS beschreiben die Situation in den von der EU stark geförderten südlichen Ländern Italien, Portugal und Griechenland.
Unterrichtsgespräch
25' Erarbeitung II Die SuS setzen sich mit der Kritik an der europäischen Struktur-politik und der staat-lichen Strukturpolitik generell auseinander.
M4 Europas Illusion von den gleichen Lebens-standards
M5 Die EU-Struktur-politik in der Kritik
Arbeitsteilige Partnerarbeit bei der Texterschließung
15' Vertiefung Die SuS nehmen Stellung zu der Aussage aus dem Text: „Wer auf Strukturerhaltung setzt, erweist sich als kurzsichtig handelnder Akteur.“
M5 Die EU-Struktur-politik in der Kritik
Einzelarbeit
Aufgabe 4c auch als Hausauf-gabe möglich
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Was kann Strukturpolitik leisten? Möglichkeiten und Grenzen der EU-KohäsionspolitikMaterialien
AUFGABE
1. a) Beschreiben Sie das Projekt „Rail Baltica“ und erklären Sie, welche Vorteile die Hochgeschwindigkeits-
bahn für die baltischen Länder mit sich bringt.
b) Erläutern Sie, welche Motive für die EU ausschlaggebend waren, dieses Infrastrukturprojekt in dieser
Region zu fördern.
M1 Den Anschluss fi nden – mit dem Schnellzug von Tallin nach Warschau
© wikimedia.org/Gintare.saulyteBau der Rail Baltica in Litauen 2011
© wikimedia.org/Ministry of Transport and Communication of the Republic of LatviaKarte der geplanten Bahnstrecke (mit der verworfenen Streckenvariante über Vilnius)
Die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland
haben in den Jahren seit dem Zusammenbruch der
Sowjetunion bedeutende wirtschaftliche Entwicklungen
durchlaufen. Nur die Verkehrsinfrastruktur erinnert noch
an frühere Zeiten: 950 Kilometer sind es von Warschau
nach Tallinn. Die Reise von Polen nach Estland mit dem
Zug gleicht einem mehrtägigen Abenteuer mit mehr-
maligem Umsteigen, nicht aufeinander abgestimmten
Fahrplänen und langsamen Regionalzügen.
Nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurden die
Gleise der Bahnen im Baltikum in der Breitspurweite von
1520 mm gebaut und sind bis heute hauptsächlich auf
den West-Ost-Verkehr mit Russland ausgerichtet.
Zwischen Estland, Lettland und Litauen existiert derzeit
kein direkter Passagierverkehr mit der Bahn, und auch
der Frachttransport auf der Schiene ist beschränkt. Jetzt
soll das Baltikum Anschluss an Europa finden. Und dazu
steuert Brüssel 85 % der Gelder aus dem Fördermittel-
topf 2014–2020 für ein neues Großprojekt bei, das
Projekt „Rail Baltica“: Gebaut wird eine Hochgeschwin-
digkeitsbahn mit Gleisen in der europäischen Standard-
spurweite von 1435 mm, befahrbar für Personenzüge
mit bis zu 240 Kilometern pro Stunde und für Güterzüge
mit maximal 120. Mehr noch soll es in fernere Zukunft
eine Verlängerung durch einen rund 60 Kilometer
langen Tunnel unter der Ostsee bis nach Helsinki geben.
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Materialien
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Was kann Strukturpolitik leisten? Möglichkeiten und Grenzen der EU-Kohäsionspolitik
Strukturpolitik (Interaktiver Erklärfi lm)
Der Film führt in die Möglichkeiten staatlicher Strukturpolitik zur Steuerung der wirtschaftlichen Entwicklung ein.
Ausgehend von dem Strukturwandel, werden die Ziele und Instrumente staatlicher Strukturpolitik erklärt. Auch die
EU ist ein zentraler Akteur, wenn es um strukturpolitische Maßnahmen geht. Denn zwischen den wirtschaftsstarken
und den weniger entwickelten Regionen der Europäischen Union besteht ein großes wirtschaftliches Ungleich-
gewicht. Dieses Gefälle abzubauen, ist ureigenste Aufgabe der EU-Kohäsionspolitik, die damit die nationale Regional-
politik ergänzt. Doch wie kann das gelingen? Und sind strukturpolitische Maßnahmen immer erfolgreich?
M2 Die Ziele und Mittel der europäischen Strukturpolitik
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Zwischen den wirtschaftsstarken und -schwachen
Regionen der Europäischen Union (EU) besteht ein
großes Gefälle. Dieses Gefälle abzubauen, ist Aufga-
be der EU-Strukturpolitik. Im Vertrag über die
Arbeitsweise der Union (AEUV) haben sich die
Mitglied staaten zum Ziel gesetzt, „die Unterschiede
im Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen
und den Rückstand der am stärksten benachteilig-
ten Gebiete zu verringern.“ (Artikel 174)
Mit Strukturfonds fördert die Europäische Union
das wirtschaftliche Wachstum und die Beschäf-
tigung in den Mitgliedstaaten direkt. Immer geht es
darum, Arbeitsplätze zu schaffen oder zu erhalten.
Von 2014 bis 2020 sind Ausgaben in Höhe von ins-
gesamt 325 Milliarden Euro vorgesehen. Die För-
derung ist Teil der Europa 2020-Strategie, die auf ein
intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachs-
tum setzt.
Bei der Vergabe der Mittel gilt das Prinzip der Subsi-
diarität: Die Verantwortung für die Umsetzung wird
von einer möglichst bürgernahen Verwaltungs-
ebene wahrgenommen. In Deutschland sind dies in
der Regel die Bundesländer, in manchen Fällen
auch der Bund, die der Europäischen Kommission
im Rahmen eines regionalen Entwicklungsplans
Förderregionen vorschlagen, Finanzierungspläne
aufstellen und die jeweiligen Ziele und Maßnah-
men der Strukturförderung ausarbeiten.
Die Kommission erstellt in Abstimmung mit den
Mitgliedstaaten der EU ein Gemeinschaftliches
Förder konzept (GFK), in dem Förderschwerpunkte,
finanzielle Mittel und Investitionsformen festgelegt
werden.
Die Gemeinschaftlichen Förderkonzepte bilden die
Basis für Operationelle Programme (OP), mit deren
Hilfe die Projekte durch regionale und lokale Part-
ner abgewickelt werden. Die Strukturhilfe wird nur
„komplementär“ gewährt: Die Mitgliedstaaten der
EU müssen mindestens 25 Prozent, in der Regel
aber die Hälfte der Projektmittel selbst aufbringen.
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Der Europäische Fonds für regionale Entwick-
lung (EFRE) dient in erster Linie der Förderung von
Regionen mit wirtschaftlichem Aufholbedarf.
Gefördert werden Investitionen zur Schaffung und
Erhaltung dauerhafter Arbeitsplätze sowie Projekte
zur Ver besserung der Infrastruktur. Zudem soll das
Entwicklungspo tential der Regionen durch die
Unterstützung lokaler Initiativen vor allem kleiner
und mittlerer Unter nehmen (KMU) verbessert wer-
den.
Die einzelnen Fonds
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Hauptaufgabe des Europäischen Sozialfonds
(ESF) ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die
Entwicklung beruflicher Kenntnisse, Fähigkeiten
und Qualifikationen zur Eingliederung von Lang-
zeitarbeitslosen und Jugendlichen werden daher
ebenso unterstützt wie die berufliche Bildung und
Umschulung von Personen, denen der Ausschluss
aus dem Arbeitsmarkt droht. Weiterer Schwer-
punkt ist die Förderung der Chancengleichheit
von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt.
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Materialien
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Was kann Strukturpolitik leisten? Möglichkeiten und Grenzen der EU-Kohäsionspolitik
Die Bundesregierung, Strukturpolitik, Abruf am 18.12.17
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Der Europäische Ausrichtungs- und Garantie-
fonds für die Landwirtschaft, Abteilung Aus-
richtung (EAGFL-A), unterstützt die Anpassung
der Agrarstrukturen in den Mitgliedstaaten im
Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und för-
dert die Entwicklung des ländlichen Raumes. Er
vergibt Investitions hilfen zur Senkung der Pro-
duktionskosten und Steigerung der Effizienz der
Betriebe sowie zur besseren Vermarktung land-
und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse. Weiterhin
unterstützt der EAGFL-A die Verbesserung der
länd lichen Infrastruktur, die Sanierung der Dörfer
sowie die Entwicklung des Fremdenverkehrs und
des Handwerks.
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Das Finanzierungsinstrument für die Ausrich-
tung der Fischerei (FIAF) gewährt Zuschüsse für
die Finanzierung von Investitionen zur Umstruk-
turierung und Modernisierung der Fischereiflotte
sowie zur Ver besserung der Vermarktungs- und
Verarbeitungs bedingungen.
85Der Kohäsionsfonds fördert Projekte des Um-
weltschutzes und der Verkehrsinfrastruktur in
Mitglied staaten, deren Bruttoinlandsprodukt (BIP)
pro Kopf weniger als 90 Prozent des Unionsdurch-
schnitts beträgt.
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Materialien
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Was kann Strukturpolitik leisten? Möglichkeiten und Grenzen der EU-Kohäsionspolitik
M3 Europa in meiner Region
Die EU wird direkt in eurer Nachbarschaft wirksam. Im Mai 2017 konnten
sich die Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa vor Ort selbst ein Bild
davon machen, wie stark der Europäische Fonds für regionale Entwick-
lung die Wirtschaft, den sozialen Zusammenhalt und die Innovationskraft
in einzelnen Regionen voranbringt. Im Rahmen der Aktion „Europa in
meiner Region“ öffneten auch in Deutschland bundesweit EU-geförderte
Projekte ihre Türen und gewährten einen Blick hinter die Kulissen. Was
tut die EU für die regionale Entwicklung in Deutschland? Wofür werden
die EU-Mittel konkret eingesetzt? Und wie erfolgreich sind die geförderten
Projekte?
© Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg
AUFGABEN
2. Erstellen Sie ausgehend von dem Film und M2 ein Plakat, das die Ziele und Finanzierungsmittel der
Strukturpolitik der EU übersichtlich darstellt.
3. a) Kennen Sie von der EU geförderte Projekte in Ihrer Region? Recherchieren Sie in Kleingruppen auf der
Seite der Europäischen Kommission (https://ec.europa.eu/germany/eu-funding/grants_de) oder mithilfe
der Projektbeispiele im Rahmen der Aktion „Europa in meiner Region“ (M3) und stellen Sie zwei
Projekte aus Ihrer Region vor.
Gehen Sie dabei auf folgende Fragen ein:
• Worum geht es bei dem geförderten Projekt/Unternehmen?
• Wie hoch ist die EU-Förderung und im Rahmen welchen Fonds wird diese gewährt?
• Welche Zielsetzung verfolgt die EU mit ihrer Fördermaßnahme?
b) Ein Reporter wird Sie als EU-Parlamentarier fragen, warum die EU die von Ihnen vorgestellten Projekte
fördert. Bereiten Sie sich auf dieses fiktive Interview vor, indem Sie mögliche Fragen und Antworten
formulieren. Spielen Sie das Interview (2 Gruppenmitglieder) vor der Klasse.
Die Broschüre stellt verschiedene Projektbeispiele vor, die aus
unterschiedlichen EU-Fonds gefördert werden.
Die Broschüre finden Sie auf www.teacheconomy.de
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Was kann Strukturpolitik leisten? Möglichkeiten und Grenzen der EU-Kohäsionspolitik
M4 Europas Illusion von den gleichen Lebensstandards
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Afrika, scherzt man in Italiens Norden gerne, das
beginne südlich von Rom. Es ist ein wenig politisch
korrekter Verweis auf Korruption, Mafia und Miss-
management im Süden des Landes. Vor allem aber ist
die wirtschaftliche Situation damit gemeint.
Seit Jahren ist der Süden abgehängt. Seit Jahren müht
sich die Europäische Union ab, das zu ändern. Stets
neues Geld wird in Regionen wie Apulien, Basilikata,
Kalabrien, Kampanien, Sardinien und Sizilien ge-
pumpt. Geholfen hat es bislang wenig.
[…] Das geht aus regionalen Daten hervor, die das Ins-
titut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln zusammen-
stellte und die der „Welt“ vorliegen. Das Institut hat
den Süden Italiens in der Kategorie der „Zurückge-
fallenen“ eingeordnet, die trotz der Armut unter dem
Durchschnitt wachsen.
Zahlen wie diese können Zweifel an der bisherigen
europäischen Strukturpolitik wecken. Denn das Ziel
ist es doch, dass die wirtschaftlich benachteiligten
Teile Europas zu den entwickelten und wohlhaben-
den Regionen aufholen, also schneller wachsen.
Seit Jahrzehnten wird sehr viel Geld für das im EU-
Vertrag festgelegte Ziel bewegt, „den Rückstand der
am stärksten benachteiligten Gebiete zu verringern“.
Zwischen 2014 und 2020 sind Ausgaben im Umfang
von 352 Milliarden Euro geplant – ein Drittel des EU-
Haushalts.
Der größte Teil des Geldes fließt traditionell nach Ost-
europa und in die Länder Spanien, Portugal, Italien
und Griechenland. Eigentlich ist die EU-Kohäsions-
politik eine große Umverteilungsmaschine.
Doch es gibt Zweifel am Erfolg der gigantischen
Entwicklungshilfe. […] Die CDU-Haushaltsexpertin
im Europäischen Parlament, Ingeborg Gräßle (CDU),
entsetzt sich schon seit Jahren darüber, dass Mittel in
Wahrheit verschwendet werden statt sinnvoll
eingesetzt.
Andre Taube, Europas Illusion von den gleichen Lebensstandards, www.welt.de, 28.7.2016
Das Verteilen des Geldes für die Kohäsionspolitik sei
mittlerweile zu einem Selbstzweck geworden. „Sie
werden nicht sanktioniert, wenn sie keinen Erfolg
haben. Sie haben aber auch nichts davon, wenn sie
einen Erfolg haben“, sagt sie der „Welt“. „Es ist ein
perverses System.“
Insbesondere verstört sie die Situation in Italien.
Immer wieder ist sie vor Ort, um mit Beamten zu
sprechen und Projekte anzusehen. Immer wieder
kehrt sie mit dem Gefühl nach Hause, dass sich nicht
wirklich etwas bewegt.
„Für mich ist Süditalien der klassische Beweis, dass
wir mit der jetzigen Form der Kohäsionspolitik
gravierende Fehler machen“, sagt Gräßle. „Es kann
doch nicht sein, dass ein Gründungsmitglied der EU
schon seit so vielen Jahrzehnten stets neues Geld
erhält, ohne Erfolg vorzuweisen.“ […]
Wie erfolgreich die Strukturpolitik insgesamt ist, das
ist umstritten. Traditionell soll die Politik die unter-
entwickelten Regionen in die Lage versetzen, zu den
reichen Teilen Europas aufzuschließen. Mit Investiti-
onen in die Infrastruktur etwa.
„Einen starken Fortschritt machten ganzheitlich
viele osteuropäische Länder sowie einige Regionen
in Spanien und Portugal“, heißt es in der IW-Untersu-
chung. Auf der anderen Seite gebe es aber eine Viel-
zahl von Regionen, die mit einem unterdurchschnitt-
lichen Wachstum wirtschaftlich weiter abgehängt
werden. Neben Italien betrifft das viele Gebiete in
Griechenland, Frankreich und Großbritannien.
Aber auch in Deutschland gibt es diese Regionen. Der
Landkreis Märkisch-Oderland in Brandenburg etwa
wuchs nur um knapp 16 Prozent. Damit liegt das
Gebiet ungefähr auf dem Wohlstandsniveau von
Messina in Sizilien und wuchs auch nicht stärker.
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AUFGABE
4. Beschreiben Sie, ausgehend von M4, die dort dargestellte Bestandsaufnahme in den von der EU geförder-
ten Regionen Italien, Portugal und Griechenland.
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Was kann Strukturpolitik leisten? Möglichkeiten und Grenzen der EU-Kohäsionspolitik
M5 Die EU-Strukturpolitik in der Kritik
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Als unbedenklich gilt weithin die regionale Struk-
turpolitik. Die „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung
der regionalen Wirtschaftsstruktur“ soll vor allem
die standortpolitischen Nachteile ländlicher Gebiete
und vieler Randzonen vermindern. [...]
Zu beachten ist [...], dass finanzielle Investitionsan-
reize als Dauermaßnahme eine schädliche Gewöh-
nung an staatliche Hilfen (Subventionsmentalität)
erzeugen, zu Wettbewerbsverzerrungen führen und
Ausgleichsmaßnahmen nicht geförderter Regionen
auslösen können. Beim Ausbau der Verkehrswege ist
die einseitige Förderung von öffentlichen Unterneh-
men (defizitäre Eisenbahnen) und die bewusste
Hinnahme von Engpässen in anderen Wegenetzen
aus ideologischen Gründen als Fehlentwicklung der
regionalen Strukturpolitik zu kennzeichnen.
Die sektorale Strukturpolitik, die den ständigen
strukturellen Wandel der Wirtschaft fördernd be-
gleiten soll, hat widersinniger Weise weit überwie-
gend struktur konservierenden Charakter. Der Druck
von Interessentengruppen, einschließlich der Ge-
werkschaften, und die Sorge vor Arbeitsplatzverlus-
ten veranlassen Politiker häufig dazu, Schutzmaß-
nahmen zugunsten tendenziell schrumpfender
Wirtschaftszweige zu e rgreifen. Wie die Geschichte
des Steinkohlenbergbaus und des Eisenbahnver-
kehrs zeigt, verzögern die für die Steuerzahler höchst
kostspieligen Strukturkonservierungen jedoch
lediglich die letztlich doch unaufhaltsamen Anpas-
sungsschritte. Wer auf Strukturerhaltung setzt, er-
weist sich als kurz sichtig handelnder Akteur. [...]
Gelegentlich haben Politiker behauptet, sie wüssten
besser als die angeblich meist kurzfristig denken den
Unternehmer, welche Wirtschaftsbereiche sich
rasch entwickelten und deshalb mit produktorien-
tierten Forschungssubventionen zu fördern seien
(„vorausschauende Strukturpolitik“).
Walter Hamm, Strukturpolitik, Konrad-Adenauer-Stiftung, Abruf am 19.12.17
Die Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. (KAS) ist eine parteinahe Stiftung, die ideell der CDU nahesteht. Ihr Auftrag ist es u. a., die politische Bildung und die europäische Einigung zu fördern.
Solche Behauptungen haben sich regelmäßig als ver-
fehlt und als An maßung von Wissen erwiesen.
Andererseits werden aussichtsreiche Produktlinien,
etwa die Gen technik und die Kernkrafttechnik, in
ihrer Entwicklung aus politischen Gründen massiv
behindert.
Nichts einzuwenden ist gegen die verstärkte Förde-
rung der Grundlagenforschung und gegen eine
bislang weithin fehlende vorausschauende
Förderung der Ausbildung in Mangelberufen. Im
Übrigen sollte sich die sektorale Strukturpolitik
darauf konzentrieren, Entwicklungshemmnisse in
aussichtsreichen Branchen (Marktzugangsbeschrän-
kungen und staat liche Regulierung) zu beseitigen.
Zur Förderung des strukturellen Wandels gehört
auch der Abbau überzogener, langwieriger Geneh-
migungsverfahren bei Unternehmensgründungen
und größeren Investitionsvorhaben. Zu beachten ist
ferner, dass die stän dige Ausweitung von Mitbestim-
mungsvorschriften, die zunehmende staatliche
Regulierung des Arbeits marktes und der Arbeitsver-
träge auf eine gesamtwirtschaftlich unerwünschte
Einschränkung der privaten Verfügungsrechte hin-
auslaufen. Eine sinkende Bereitschaft zur Unterneh-
mensgründung und zur Schaffung neuer Arbeits-
plätze ist die unmittelbare Folge.
Es wäre verfehlt, aus vorstehender Kritik den Schluss
abzuleiten, am besten werde auf die regionale und
die sektorale Strukturpolitik verzichtet. Unzweifel-
haft ist Strukturpolitik insoweit erwünscht, als sie
die wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig fördert.
Auch gegen eine zeitlich befristete Sozialpolitik, die
die Folgen des Strukturwandels erträglich gestaltet,
ist nichts einzuwenden. Im Übrigen sind die
Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln
so zu setzen, dass wirksame Anreize für strukturelle
V eränderungen entstehen.
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AUFGABE
5. a) Gleiche Lebensstandards in der EU – ist die europäische Strukturpolitik wirklich ein Erfolg?
Beurteilen Sie die Wirksamkeit der EU-Strukturpolitik mithilfe von M4 und M5.
b) „Wer auf Strukturerhaltung setzt, erweist sich als kurzsichtig handelnder Akteur“ (M5, Zeile 30f.).
Nehmen Sie Stellung zu dieser Aussage in Form eines Internetposts.