die rolle des orthopäden bei der behandlung der fibromyalgie

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Page 1: Die Rolle des Orthopäden bei der Behandlung der Fibromyalgie

Orthopäde 2012 · 41:488–490DOI 10.1007/s00132-012-1937-4Online publiziert: 31. Mai 2012© Springer-Verlag 2012

J. Hettfleisch1 · M. Späth2

1  Orthopädie und Unfallchirurgie, Rheumatologie, Orthopädische Chirurgie – 

Schmerztherapie – Notfallmedizin – Skelettradiologie, Weiterstadt2 Rheumatologische Schwerpunktpraxis Gräfelfing

Die Rolle des Orthopäden bei der Behandlung der Fibromyalgie

Leserbrief

Dr. med. Jürgen HettfleischOrthopädische Chirurgie – Schmerztherapie – 

Notfallmedizin – Skelettradiologie, Weiterstadt

Zunächst einmal irritiert, dass mit M. Späth ein internistischer Rheumatologe mit der Aufgabe betraut worden ist, zur Weiterbildung in orthopädischer Rheu-matologie beizutragen. Schließlich be-sitzt unsere eigene Fachgruppe durchaus selbst kompetente Rheumatologen, bei-spielsweise in Person des Mitherausgebers S. Rehart, die zudem in der Lage gewesen sein dürften, das Krankheitsbild als das zu kennzeichnen, was es tatsächlich darstellt: den Ausdruck einer Somatisierungsstö-rung – eines seelischen Leidens also. Für dessen Behandlung ist der Orthopäde und Unfallchirurg ebenso wenig ausge-bildet wie der internistische Rheumatolo-ge oder der Anästhesist. Die Therapie ge-hört deshalb vorrangig in die Hände eines Psychiaters oder Psychologen.

Die richtige Antwort zur von M. Späth vorgetragenen Kasuistik einer 46-jähri-gen Patientin muss folglich – und anstel-le des vom Autor erwarteten Vorschlags mit Aufklärung über Krankheitsbild und Behandlungsoptionen – lauten: „Ich über-weise zum Psychiater“.

Aufgabe des Orthopäden und Un-fallchirurgen bzw. des orthopädischen Rheumatologen ist es in diesem Zusam-menhang einzig und allein, eine organi-sche Ursache für die vorgetragenen Be-schwerden auszuschließen. Wenn ver-sucht wird, eine seelische Gesundheits-störung mit körperlichen Maßnahmen zu behandeln, endet das für den Patien-ten regelmäßig im Fiasko. Weil die meis-ten orthopädischen Rheumatologen dies in verantwortungsvoller Weise ebenso se-hen, ziehen die Betroffenen – weil sie ja schließlich eine Organdiagnose suchen – in der Regel weiter zum anästhesiologi-schen Schmerztherapeuten. Dort bekom-men sie dann den ausschließlich körper-lich ausgerichteten Anteil an leitlinienge-rechter Behandlung [1], im Wesentlichen bestehend aus einer Pharmakotherapie. Damit wird dem Betroffenen jedoch die Möglichkeit zur Introspektion erschwert. Er wird nicht in die Lage versetzt, die see-lische Dimension seiner Gesundheitsstö-rung zu begreifen. In jener Leitlinie zum Fibromyalgiesyndrom, die sich derzeit in Überarbeitung befindet, werden übrigens noch die sog. „Tenderpoints“ als einziges, scharfes Trennungskriterium zu einer see-lischen Gesundheitsstörung beschrieben – genau jene Sachverhalte also, die von Wolfe selbst längst außer Kraft gesetzt worden sind [6], worauf M. Späth zurecht hinweist. Allerdings ist der „widespread pain“, also der generalisierte Schmerz, oh-ne jeden anatomischen Bezug erst Recht kein Betätigungsfeld für den Organarzt. In Anbetracht eines derartigen Wider-

sinns sprechen Widder et al. [5] mit Blick auf die Fibromyalgie sowie insbesondere auf die deutsche Leitlinie folgerichtig von der „Sichtbarmachung einer Fiktion“.

Es ist traurig, dass die Versorgungsrea-lität letztlich geprägt wird von berufspoli-tischen Interessen sowie fachgruppenspe-zifisch budgetierten Honoraren.

Wenn M. Späth – in Aufarbeitung je-ner einschlägigen Leitlinie – Tramadol als wirksames Analgetikum empfiehlt, ist vor dessen Einsatz an dieser Stelle aus-drücklich zu warnen! Die in der Leitlinie dazu zitierten Arbeiten sind statistisch schwach. Einmal ist die Fallzahl niedrig, ein anderes Mal die „Drop-out“-Quote hoch. Wenn Tramadol, ggf. auch in Kom-bination mit Paracetamol, „besser als Pla-cebo“ wirkt (Leitlinie 2008), wird ein al-lenfalls geringer, statistischer Gewinn mit einem erheblichen Suchtproblem erkauft!

Demzufolge führt die Leitlinie auch ausdrücklich aus:

„Die langfristige Wirksamkeit von Tra-madol bzw. Tramadol/Paracetamol ist nicht gesichert. Der zeitlich befristete Ein-satz von Tramadol bzw. Tramadol/Parace-tamol kann unter Überprüfung der Wirk-samkeit erwogen werden“.

Eine konkrete Therapieempfehlung sieht anders aus. Welcher Fibromyalgie-patient hat nur vorübergehend Schmer-zen? Es handelt sich um ein chronisches Beschwerdebild – woran sich auch medi-kamentöse Behandlungsansätze zu orien-tieren haben.

Opioide sind für die Langzeitbehand-lung muskuloskelettaler Schmerzen in-

Originalpublikation

Späth M (2011) Fibromyalgie. Orthopade 40:1031–1045

488 |  Der Orthopäde 6 · 2012

Leserbriefe

Page 2: Die Rolle des Orthopäden bei der Behandlung der Fibromyalgie

effektiv, wie uns Reinecke u. Sorgatz [3] gelehrt haben. Sie verursachen zudem eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit [4] und führen deshalb zwangsläufig zu einer Dosissteigerung sowie zur Medikamen-tenabhängigkeit.

Nahezu jeder Orthopäde und Unfall-chirurg dürfte in seinem Berufsleben ein-mal mit einer Tramadol-Abhängigkeit konfrontiert worden sein. Der Entzug von jener Substanz ist ausgesprochen proble-matisch und häufig nur stationär durch-führbar. Seriöse Schmerzkliniken füh-ren deshalb heute vorab einen Medika-mentenentzug durch, bevor sie mit mul-timodalen Therapiekonzepten beginnen. Schließlich soll das originäre Problem – und nicht der durch einen Medikamen-tenmissbrauch verstärkte Schmerz, also die „opioidinduzierte Hyperalgesie“ [2], behandelt werden.

Korrespondenzadresse

Dr. J. HettfleischOrthopädie und Unfallchirurgie, Rheumatologie, Orthopädische Chirurgie – Schmerztherapie – Notfallmedizin – SkelettradiologieDarmstädter Str. 29, 64331 Weiterstadt

Literatur

1.  Interdisziplinäre S3-Leitlinie „Definition, Pathophy-siologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyal-giesyndroms „2008. Schmerz 22 (Themenheft)

2.  Junker U (2010) Opioidinduzierte Hyperalgesie: keine Rarität und therapiebedürftig. Schmerzthe-rapie 26:26–27

3.  Reinecke H, Sorgatz H (2009) S3-Leitlinie LONTS (Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tu-morbedingten Schmerzen). Schmerz 23:440–447

4.  Streltzer J, Linden M (2008) Erhöhte Schmerzemp-findlichkeit unter Dauerbehandlung mit Opiaten. Nervenarzt 79:607–611

5.  Widder B, Hausotter W, Husstedt I et al (2009) Sichtbarmachung einer Fiktion – die neue S3-Leit-linie Fibromyalgiesyndrom. Schmerz 23:72–76

6.  Wolfe F (2003) Stop using the ACR criteria in the clinic (editorial). J Rheumatol 30:1671–1672

Erwiderung

Dr. med Michael SpäthRheumatologische Schwerpunktpraxis, Gräfelfing

Es fällt schwer, der Bitte der Herausgeber nachzukommen, eine Replik auf den Le-serbrief von Herrn Dr. Hettfleisch zu ver-fassen. In Anbetracht der dort vorgetra-genen „Argumente“ ist man versucht, es bei der knappen Empfehlung an den Briefschreiber zu belassen, den Arti-kel nochmals gründlich zu lesen. Dann aber nimmt die Motivation zu, auch für die weitere Leserschaft einige Eckpunkte wiederholt hervorzuheben. Die „Kritik“ des Herrn Kollegen Dr. Hettfleisch ver-deutlicht nämlich nachdrücklich die Not-wendigkeit, Zeitschriftenbeiträge wie den meinigen zu verfassen, die zum Wohle der uns anvertrauten Patienten mit chro-nischen Schmerzen versuchen, den aktu-ellen Stand der Forschung wiederzuge-ben, und die damit eine differenziertere Betrachtungsweise ermöglichen und das Verständnis für verschiedene Therapiean-sätze fördern.

Offensichtlich hat Herr Dr. Hett-fleisch den größten Teil meiner Ausfüh-rungen nicht wahrgenommen. Er nimmt mit keinem Satz Stellung zu den dargeleg-ten heutigen Überlegungen zu Ätiologie, Pathogenese, Pathophysiologie sowie zu den Zusammenhängen zwischen chro-nischem Schmerz und Schlaf. Alle die-se Überlegungen reflektieren nicht nur die neueren genetischen, biochemischen und bildgebenden Befunde sowie die kri-tische Diskussion derselben, sondern be-denken auch die Verhaltens- und psycho-logischen Faktoren, diese aber eben nicht ausschließlich.

Stattdessen zielt die Kritik des Kolle-gen auf einige wenige, im gesamten Kon-text eher marginale Punkte, welche zu-dem zumindest unvollständig, meist aber irreführend und falsch wiedergegeben werden.

Der Leserbriefautor behauptet, Fred Wolfe habe die Tender Points in seiner Publikation aus dem Jahre 2003 „längst außer Kraft gesetzt“, darauf soll ich hin-gewiesen haben. Welcher Satz in mei-nem Artikel diesen Hinweis beinhalten soll, bleibt mir verborgen. Grundsätzlich sei hierzu angemerkt, dass Wolfe die kli-

nische Diagnose Fibromyalgiesyndrom, die Notwendigkeit einer Definition und die Notwendigkeit der damit verbunde-nen Forschungsaufgaben niemals in Fra-ge gestellt hat. Absurd ist allein schon die Vorstellung, ein einzelner Autor könne, selbst wenn man seine Erstautorschaft berücksichtigte, die Kriterien einer Fach-gesellschaft, nämlich des American Col-lege of Rheumatology, „außer Kraft set-zen“. Die Unsinnigkeit eines solchen Ge-dankens wird ferner dadurch untermau-ert, dass Wolfe Erstautor auch der neuen Diagnosekriterien des American College of Rheumatology ist, publiziert im Jahre 2010, und dass in dieser Arbeit ausdrück-lich betont wird, dass die neuen Kriterien nicht als Ersatz für die Klassifikationskri-terien aus dem Jahre 1990 verstanden wer-den sollen. Darauf habe ich allerdings ex-plizit hingewiesen.

Herr Hettfleisch zitiert einen weite-ren Leserbrief zur S3-Leitlinie Fibromy-algiesyndrom von B. Widder und Kolle-gen. Leider verweist er dabei nicht auf die Erwiderung von W. Häuser, die zusam-men mit genanntem Leserbrief veröffent-licht wurde. Ich erlaube mir den Hinweis, dass auch dieser Leserbrief sich dadurch auszeichnet, dass er sämtliche Arbeiten zu Ergebnissen der Schmerz-Grundlagenfor-schung aus den vergangenen 10 Jahren ig-noriert, nicht nur im Text, sondern auch in den Literaturverweisen.

Herr Hettfleisch unterstellt mir die Empfehlung von Tramadol als wirksames Analgetikum bei Fibromyalgie. Richtig ist: Ich habe keinerlei Empfehlungen ausge-sprochen, vielmehr die derzeitige Daten-lage aus den Ergebnissen der einschlägi-gen klinischen Therapiestudien wieder-gegeben. Dabei nimmt die Bemerkung zu Tramadol weniger als 2 Zeilen in An-spruch. Dagegen handelt knapp die Hälf-te des „Kommentars“ von Herrn Dr. Hett-fleisch von Tramadol bzw. Opioiden. Sät-ze zu den weiteren, ausführlich dargeleg-ten Therapieoptionen fehlen. Was dies al-les mit meinem Übersichtsartikel zu tun haben soll, entzieht sich meinem Ver-ständnis.

Ich fühle mich verpflichtet, mein Wis-sen (auch das über chronischen Schmerz) immerfort zu aktualisieren. Im Gegensatz zum „Organarzt“ Hettfleisch verbietet mir dieses stetige Bemühen die Behaup-

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tung, ich wisse nun, was eine Fibromyal-gie bzw. ein Fibromyalgiesyndrom sei. Ich habe in meiner Übersichtsarbeit den ak-tuellen Wissensstand dargelegt, plausible Modelle zum Verständnis und daraus re-sultierende Konzepte zur Therapie zu er-läutern versucht. Dabei bewahre ich mir die Offenheit für neue Forschungsergeb-nisse und die Freiheit, mein Verständnis eines zweifellos existenten medizinischen Problems und damit einer ärztlichen He-rausforderung gegebenenfalls durch Er-kenntnisse von Experten verschiedener Fachrichtungen aktualisieren und mög-licherweise auch korrigieren zu lassen – dieses im Bemühen, für meine Patienten den bestmöglichen therapeutischen An-satz zu finden.

Korrespondenzadresse

Dr. M. SpäthRheumatologische Schwerpunktpraxis GräfelfingBahnhofstr. 95, 82166 Grä[email protected]

Interessenkonflikt.  Beide Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Ausschreibung AE-Reise-stipendien 2012

Die Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik e.V. 

schreibt zwei AE-Reisestipendien zur Teil-

nahme am Kongress „Current Concepts“ in 

Orlando/Florida vom 12.–15.12.2012 aus. 

Voraussetzung ist die Genehmigung des 

Arbeitgebers für die Reise.

Teilnahmeberechtigt sind Orthopäden und 

Unfallchirurgen und alle Mitglieder der AE 

und AE-ComGen. Erwartet wird ein kom-

pletter und umfassender Kongressbericht 

in deutscher und englischer Sprache, in 

dem klar und deutlich heraus gearbeitet ist, 

was im Moment “State of the art” in USA ist 

und welche Trends in den kommenden 

Jahren zu erwarten sind. Der Report soll auf 

der Website der AE allen Interessierten zu-

gänglich gemacht werden.

Übernommen werden: Hin- und Rückflug-

ticket nach und von Orlando, Florida - eco-

nomy class, Kongressteilnahmegebühr, Ho-

telzimmer in Orlando (Kongresshotel) wäh-

rend des Kongresses, 75,00 € Spesen pro 

Tag.

Übernommen werden: An- und Abreise 

zum Abflughafen in Deutschland, Park-, 

Taxi-, oder ähnliche Gebühren in Deutsch-

land oder in den USA, Mietwagen und 

sämtliche Extras in den Hotels wie Minibar, 

Telefon, Video, Sauna, Massagen, usw.

Bewerbungen inkl. Curriculum Vitae und 

Schriftenverzeichnis müssen in 6-facher 

Ausfertigung bis zum 30.09.2012 bei der 

Geschäftsstelle der Arbeitsgemeinschaft 

Endoprothetik e.V., Oltmannsstraße 5, 

79100 Freiburg eingegangen sein.

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Weitere Informationen unter:  

Tel. 0761 / 4564 – 7666,  

www.ae-germany.com

Fachnachrichten

Arthritis und Arthrose

Eine zunehmend ältere Bevölkerung und 

das Bestreben bis ins Alter Sport zu treiben, 

führen zu einer erhöhten Belastung der 

Gelenke. Damit steigt auch die Prävalenz 

der Arthrose. In der muskuloskelettalen 

Diagnostik zählt die Arthrose zu den häu-

figsten Ursachen für Gelenkschmerzen. Je-

doch birgt die Häufigkeit des Befundes „Ar-

throse“ die Gefahr in sich, dass die unspezi-

fischen entzündlichen Gelenkschmerzen 

nicht erkannt werden oder in der Masse der 

degenerativen Veränderungen untergehen. 

In Ausgabe 

2/2012 von Der

Radiologe werden 

degenerative und 

entzündliche Er-

krankungen der 

Gelenke aus radio-

logischer und the-

rapeutischer Sicht 

diskutiert. Das Leitthemenheft „Arthritis 

und Arthrose“ informiert über das Spekt-

rum der Erkrankungen und erklärt an kon-

kreten Beispielen Pathogenese und typi-

sche radiologische Merkmale der Arthritis 

und Arthrose. Ein Fokus liegt auf der evi-

denzbasierten Diagnostik, Klassifikation 

und Therapie sowie auf Differenzialdiagno-

sen und Fallstricken in der Befundung. 

F  Erwartungen des Rheumatologen an 

die Bildgebung

F  Radiologische Differenzialdiagnose der 

rheumatoiden Arthritis

F  Radiologische Frühdiagnostik der rheu-

matoiden Arthritis

F  Sakroiliitis oder Pseudosakroiliitis?

F  Therapierelevante Bildgebung in der 

modernen Arthrosebehandlung am 

Beispiel des Schultergelenks

F  Arthrose – Update 2012

F  Koxarthrose – eine radiologische An-

näherung und Leitfaden

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Lesetipp

490 |  Der Orthopäde 6 · 2012