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DAS MAGAZIN DER HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG AUSGABE 3, 2007 4 EURO THEMA Außenpolitik nach dem Ende des Kalten Krieges DIE NEUE WELT(UN)ORDNUNG böll THEMA

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Page 1: böll - boell.deun)ordnung.pdf · 2 Inhalt Das thema 4 DIE WIEDERHERSTELLUNG GLoBALER oRDNUNGSMACHT: EIN TASTENDER PRoZESS. Neue Herausforderungen nach dem Ende der bipolaren Weltordnung

DAS MAGAZIN DER HEINRICH-BÖLL-STIFTUNGAUSGABE 3, 20074 EURO

THEMA

Außenpolitik nach dem Ende des Kalten Krieges

DIE NEUE WELT(UN)oRDNUNG

böllTHEMA

Page 2: böll - boell.deun)ordnung.pdf · 2 Inhalt Das thema 4 DIE WIEDERHERSTELLUNG GLoBALER oRDNUNGSMACHT: EIN TASTENDER PRoZESS. Neue Herausforderungen nach dem Ende der bipolaren Weltordnung

2 Inhalt

Das thema4 DIE WIEDERHERSTELLUNG GLoBALER oRDNUNGSMACHT:

EIN TASTENDER PRoZESS. Neue Herausforderungen nach dem Ende der bipolaren Weltordnung. VoN JoSCHA SCHMIERER

PosItIonen9 »... WIR HABEN DIE FREIHEIT UNTER DEM BANNER DER DEMoKRATIE ZU oFT

MIT WAFFEN DURCHGESETZT.« Eine Dokumentation des „Princeton Project” zur Formulierung einer neuen amerikanischen Außenpolitik. VoN BASTIAN HERMISSoN

13 IDENTITäTSSUCHE. Die europäische Welt beiderseits des Atlantiks sollte endlich den Blick in die Zukunft richten. VoN JoHN C. KoRNBLUM

15 BRAUCHT EURoPA EINE TELEFoNNUMMER? Plädoyer für eine koordinierte Mehrstimmigkeit statt einstimmiger Blockierung. VoN FRANZISKA BRANTNER

18 »ES GIBT KEINE GRüNE AUSSENPoLITIK.« oDER DoCH? Jürgen Trittin und Ralf Fücks im Gespräch

szenarIen24 KNACKPUNKT AToM. Was ist der Atomwaffensperrvertrag heute wert?

1. Aus europäischer Sicht. VoN oLIVER THRäNERT 2. Aus chinesischer Sicht. VoN JING-DoNG YUAN

28 IRAN. Ziele Teheraner Außenpolitik und die Strategien des Westens. VoN JoHANNES REISSNER

30 AL-QAIDAS GLoBALES TERRoRPoTENZIAL VoN ISHTIAQ AHMAD

33 WETTLAUF UM DIE ARKTIS. Globale Konkurrenz um die letzten Ressourcen oder Durchsetzung internationaler Ordnungsmechanismen? VoN SASCHA MüLLER-KRAENNER

heInrIch-Böll-stIftung35 HINWEISE, PRoJEKTE, PUBLIKATIoNEN

Impressum

HerausgeberHeinrich-Böll-StiftungHackesche HöfeRosenthaler Straße 40/4110178 BerlinFon 030-2 85 34-0Fax 030-2 85 34-109E-Mail: [email protected]/thema

RedaktionsleitungElisabeth Kiderlen

RedaktionsassistenzEvelyn Hartig

MitarbeitRalf Fücks, Bastian Hermisson, Annette Maennel (V. i. S. d. P.)

ArtconceptBüro Hamburg Jürgen Kaffer, Sandra Klostermeyer

Gestaltungblotto design, Maria Riesenhuber

Druckagit-Druck, Berlin

PapierInhalt: Envirotop, matt hochweiß, Recyclingpapier aus 100 % Altpapier Umschlag: Enzocoat

BezugsbedingungenEinzelausgabe 4 Euro (inklusive Versand) zu bestellen bei oben genannter Adresse

heInrIch-Böll-stIftung

Die Heinrich-Böll-Stiftung in Nordamerika/Washington, D.C.2008 wird ein bedeutendes Jahr. Mit großer Aufmerksamkeit wird die internationale Ge-meinschaft die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen und den Aufbruch in eine Post-Bush-Ära verfolgen. Auch die Heinrich-Böll-Stiftung in Washington wird sich im Rahmen ihres transatlantischen Dialogprogramms intensiv mit den bevorstehenden Wahlen befassen. Mit Expertise und Politikbeobachtung unterstützt das 1998 gegründete Büro nordamerika-nische und internationale ProjektpartnerInnen, die Gesamtstiftung und das grüne Umfeld in Deutschland. Die Schwerpunkte des Büros liegen in der Beobachtung transatlantischer Außen- und Sicherheitspolitik, der Demokratieförderung und Friedenssicherung sowie Klima- und Energiepolitik. Weitere Themen sind Nachhaltiges Wirtschaften, Gender und Makroökonomie.

AMERIKAS SICHERHEITSPOLITIK UND IHRE GLOBALEN AUSWIRKUNGENSeit dem 11. September hat der Krieg gegen den Terrorismus oberste Priorität in der ame-rikanischen Sicherheits- und Außenpolitik. Die transatlantische Kooperation gestaltete sich in den vergangenen Jahren nicht einfach. Die Folgen des Irakkriegs, die Lage in Afghanistan, aber auch die Entwicklungen in Russland sowie der Umgang mit den aufstrebenden Mächten wie China und Indien erfordern eine Neubestimmung der Sicherheitskooperation. Gemein-sam mit amerikanischen Forschungsinstituten, Think Tanks, dem US-Kongress und relevan-ten Regierungsstellen, aber auch mit europäischen ExpertInnen und PartnerInnen aus Dritt-ländern arbeitet die Böll-Stiftung in Washington an einer Erneuerung der transatlan tischen Allianz. Im Vordergrund stehen der Nahost-Friedensprozess, gemeinsame Strategien gegen-über Russland, China und Iran sowie die Zukunft nuklearer Nichtverbreitungspolitik.

KLIMASCHUTZ IST ENDLICH IN DEN USA ANGEKOMMENIm Hinblick auf den Klimaschutz scheint es, als wären die beiden Amtszeiten von George W. Bush für die USA verlorene Zeit. Das Kyoto-Protokoll wurde abgelehnt und nationaler Klima schutz fand praktisch nicht statt. Doch vor allem auf der Ebene der Kommunen und der Bundesstaaten haben die USA gegenüber Europa kräftig aufgeholt. Spätestens seit Ex-Vizepräsident Al Gore mit dem Oscar und dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, ist der Klimaschutz in den USA zum Mainstream geworden. Mit Besuchsprogrammen und Fachgesprächen, wie bei den kürzlich in Santa Barbara und San Francisco abgehaltenen Klimakonferenzen, fördert das Büro den Austausch zwischen Experten aus Politik und Wis-senschaft auf beiden Seiten des Atlantiks. Insbesondere Kalifornien ist Motor eines neuen Klimaschutzbewusstseins, das sich nun auch seinen Weg in den US-Kongress bahnt. Das Büro der Böll-Stiftung setzt sich dafür ein, die deutschen Erfahrungen beim Klimaschutz und der Energiepolitik in die Debatte für eine US-weite Gesetzgebung einzubringen.

BIOTREIBSTOFFE UND NACHHALTIGER AGRARHANDELDie Agrarhandels- und Agrarpolitik der USA und der EU beeinflussen entscheidend die Entwicklung vieler Länder im globalen Süden. Das gilt insbesondere, wenn die laufende WTO Doha-Runde scheitern sollte und vor dem Hintergrund der Krise im Handelsmultila-teralismus. Im Rahmen des stiftungsweiten Themenschwerpunkts „EcoFair Trade Dialogue” arbeitet das Büro Washington an nordamerikanischen Agrarhandelsinitiativen sowie mit transatlantischen und internationalen KooperationspartnerInnen an Nachhaltigkeitskriterien für die Biotreibstoffproduktion und den Handel.

veranstaltungen Annapolis: Start oder Stolperstein zu einem nah-östlichen Friedensprozess? Diskussion, 23. Januar 2008, 19.30 – 21.30 Uhr, Berlin, Details: www.boell.de/veranstaltungen Responding to Iraq’s Displacement Crisis Conference, December 5/6th, Washington, D.C. In Cooperation with the Center for American Progress. Info: www.boell.org Agrofuels: opportunity or Danger? A Global Dialogue on U.S. and EU-Agrofuels and Agriculture Policies and their Impacts on Rural Development in North and South, December 12 – 14th, Berlin. In Cooperation with Germanwatch, Institute for Agriculture and Trade Policy, Actionaid, Coordination Sude, GRET and Agribusiness Accountability Initiative. Info: Christine Chemnitz, 030/285-34-312, [email protected]

WEBSITE www.boell.orgBüro der Böll-Stiftung in Washington, D.C.

PUBLIKATIONENNewsletter der Heinrich-Böll-Stiftung, Büro Washington, erscheint vierteljährlich und gibt einen Überblick über Aktivitäten und Publikationen des Büros. Zu bestellen: [email protected] oder unter www.boell.org

Addressing Iran’s Nuclear Ambitions Sanctions, Allies, and the U.S. Domestic Debate. Von Bidjan Tobias Nashat. Download: www.boell.org

The Debate over Fixed Price Incentives for Renewable Electricity in Europe and the United States, Spring 2007. Download: www.boell.org

The World Bank’s World Development Report 2008: Agriculture for Development. Response from a Slow Trade – Sound Farming Perspective. By Sophia Murphy und Tilman Santarius, October 2007, Download: www.ecofair-trade.org/de

Gender Justice. A Citizen’s Guide to Gender Ac-countability at International Financial Institutions. By CIEL, Gender Action and the Heinrich Böll Foundation, July 2007. Download: www.boell.org

BISHER SIND U. A. ERSCHIENEN:

— NEUER REPUBLIKANISMUS Die Zukunft der sozialen Demokratie

— KLIMAWANDEL Neue Ziele, Neue Allianzen, Neue Politik

— GRüNE MARKTWIRTSCHAFT Die große Transformation

— CHINA Volksrepublik China – Republik des Volkes?weitere Infos und zu bestellen unter: www.boell.de/thema

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Das thema4 DIE WIEDERHERSTELLUNG GLoBALER oRDNUNGSMACHT:

EIN TASTENDER PRoZESS. Neue Herausforderungen nach dem Ende der bipolaren Weltordnung. VoN JoSCHA SCHMIERER

PosItIonen9 »... WIR HABEN DIE FREIHEIT UNTER DEM BANNER DER DEMoKRATIE ZU oFT

MIT WAFFEN DURCHGESETZT.« Eine Dokumentation des „Princeton Project” zur Formulierung einer neuen amerikanischen Außenpolitik. VoN BASTIAN HERMISSoN

13 IDENTITäTSSUCHE. Die europäische Welt beiderseits des Atlantiks sollte endlich den Blick in die Zukunft richten. VoN JoHN C. KoRNBLUM

15 BRAUCHT EURoPA EINE TELEFoNNUMMER? Plädoyer für eine koordinierte Mehrstimmigkeit statt einstimmiger Blockierung. VoN FRANZISKA BRANTNER

18 »ES GIBT KEINE GRüNE AUSSENPoLITIK.« oDER DoCH? Jürgen Trittin und Ralf Fücks im Gespräch

szenarIen24 KNACKPUNKT AToM. Was ist der Atomwaffensperrvertrag heute wert?

1. Aus europäischer Sicht. VoN oLIVER THRäNERT 2. Aus chinesischer Sicht. VoN JING-DoNG YUAN

28 IRAN. Ziele Teheraner Außenpolitik und die Strategien des Westens. VoN JoHANNES REISSNER

30 AL-QAIDAS GLoBALES TERRoRPoTENZIAL VoN ISHTIAQ AHMAD

33 WETTLAUF UM DIE ARKTIS. Globale Konkurrenz um die letzten Ressourcen oder Durchsetzung internationaler Ordnungsmechanismen? VoN SASCHA MüLLER-KRAENNER

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Impressum

HerausgeberHeinrich-Böll-StiftungHackesche HöfeRosenthaler Straße 40/4110178 BerlinFon 030-2 85 34-0Fax 030-2 85 34-109E-Mail: [email protected]/thema

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Die Heinrich-Böll-Stiftung in Nordamerika/Washington, D.C.2008 wird ein bedeutendes Jahr. Mit großer Aufmerksamkeit wird die internationale Ge-meinschaft die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen und den Aufbruch in eine Post-Bush-Ära verfolgen. Auch die Heinrich-Böll-Stiftung in Washington wird sich im Rahmen ihres transatlantischen Dialogprogramms intensiv mit den bevorstehenden Wahlen befassen. Mit Expertise und Politikbeobachtung unterstützt das 1998 gegründete Büro nordamerika-nische und internationale ProjektpartnerInnen, die Gesamtstiftung und das grüne Umfeld in Deutschland. Die Schwerpunkte des Büros liegen in der Beobachtung transatlantischer Außen- und Sicherheitspolitik, der Demokratieförderung und Friedenssicherung sowie Klima- und Energiepolitik. Weitere Themen sind Nachhaltiges Wirtschaften, Gender und Makroökonomie.

AMERIKAS SICHERHEITSPOLITIK UND IHRE GLOBALEN AUSWIRKUNGENSeit dem 11. September hat der Krieg gegen den Terrorismus oberste Priorität in der ame-rikanischen Sicherheits- und Außenpolitik. Die transatlantische Kooperation gestaltete sich in den vergangenen Jahren nicht einfach. Die Folgen des Irakkriegs, die Lage in Afghanistan, aber auch die Entwicklungen in Russland sowie der Umgang mit den aufstrebenden Mächten wie China und Indien erfordern eine Neubestimmung der Sicherheitskooperation. Gemein-sam mit amerikanischen Forschungsinstituten, Think Tanks, dem US-Kongress und relevan-ten Regierungsstellen, aber auch mit europäischen ExpertInnen und PartnerInnen aus Dritt-ländern arbeitet die Böll-Stiftung in Washington an einer Erneuerung der transatlan tischen Allianz. Im Vordergrund stehen der Nahost-Friedensprozess, gemeinsame Strategien gegen-über Russland, China und Iran sowie die Zukunft nuklearer Nichtverbreitungspolitik.

KLIMASCHUTZ IST ENDLICH IN DEN USA ANGEKOMMENIm Hinblick auf den Klimaschutz scheint es, als wären die beiden Amtszeiten von George W. Bush für die USA verlorene Zeit. Das Kyoto-Protokoll wurde abgelehnt und nationaler Klima schutz fand praktisch nicht statt. Doch vor allem auf der Ebene der Kommunen und der Bundesstaaten haben die USA gegenüber Europa kräftig aufgeholt. Spätestens seit Ex-Vizepräsident Al Gore mit dem Oscar und dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, ist der Klimaschutz in den USA zum Mainstream geworden. Mit Besuchsprogrammen und Fachgesprächen, wie bei den kürzlich in Santa Barbara und San Francisco abgehaltenen Klimakonferenzen, fördert das Büro den Austausch zwischen Experten aus Politik und Wis-senschaft auf beiden Seiten des Atlantiks. Insbesondere Kalifornien ist Motor eines neuen Klimaschutzbewusstseins, das sich nun auch seinen Weg in den US-Kongress bahnt. Das Büro der Böll-Stiftung setzt sich dafür ein, die deutschen Erfahrungen beim Klimaschutz und der Energiepolitik in die Debatte für eine US-weite Gesetzgebung einzubringen.

BIOTREIBSTOFFE UND NACHHALTIGER AGRARHANDELDie Agrarhandels- und Agrarpolitik der USA und der EU beeinflussen entscheidend die Entwicklung vieler Länder im globalen Süden. Das gilt insbesondere, wenn die laufende WTO Doha-Runde scheitern sollte und vor dem Hintergrund der Krise im Handelsmultila-teralismus. Im Rahmen des stiftungsweiten Themenschwerpunkts „EcoFair Trade Dialogue” arbeitet das Büro Washington an nordamerikanischen Agrarhandelsinitiativen sowie mit transatlantischen und internationalen KooperationspartnerInnen an Nachhaltigkeitskriterien für die Biotreibstoffproduktion und den Handel.

veranstaltungen Annapolis: Start oder Stolperstein zu einem nah-östlichen Friedensprozess? Diskussion, 23. Januar 2008, 19.30 – 21.30 Uhr, Berlin, Details: www.boell.de/veranstaltungen Responding to Iraq’s Displacement Crisis Conference, December 5/6th, Washington, D.C. In Cooperation with the Center for American Progress. Info: www.boell.org Agrofuels: opportunity or Danger? A Global Dialogue on U.S. and EU-Agrofuels and Agriculture Policies and their Impacts on Rural Development in North and South, December 12 – 14th, Berlin. In Cooperation with Germanwatch, Institute for Agriculture and Trade Policy, Actionaid, Coordination Sude, GRET and Agribusiness Accountability Initiative. Info: Christine Chemnitz, 030/285-34-312, [email protected]

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PUBLIKATIONENNewsletter der Heinrich-Böll-Stiftung, Büro Washington, erscheint vierteljährlich und gibt einen Überblick über Aktivitäten und Publikationen des Büros. Zu bestellen: [email protected] oder unter www.boell.org

Addressing Iran’s Nuclear Ambitions Sanctions, Allies, and the U.S. Domestic Debate. Von Bidjan Tobias Nashat. Download: www.boell.org

The Debate over Fixed Price Incentives for Renewable Electricity in Europe and the United States, Spring 2007. Download: www.boell.org

The World Bank’s World Development Report 2008: Agriculture for Development. Response from a Slow Trade – Sound Farming Perspective. By Sophia Murphy und Tilman Santarius, October 2007, Download: www.ecofair-trade.org/de

Gender Justice. A Citizen’s Guide to Gender Ac-countability at International Financial Institutions. By CIEL, Gender Action and the Heinrich Böll Foundation, July 2007. Download: www.boell.org

BISHER SIND U. A. ERSCHIENEN:

— NEUER REPUBLIKANISMUS Die Zukunft der sozialen Demokratie

— KLIMAWANDEL Neue Ziele, Neue Allianzen, Neue Politik

— GRüNE MARKTWIRTSCHAFT Die große Transformation

— CHINA Volksrepublik China – Republik des Volkes?weitere Infos und zu bestellen unter: www.boell.de/thema

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Effektiver Multilateralismus

Die weltpolitische Landschaft ist in Bewegung, und es ist keineswegs sicher, ob sie sich zum Besseren verändert. Staatsstreich in Pakistan, prekäre Lage in Afghanistan und desaströse Lage im Irak, Atom-konflikt mit dem Iran, Hochspannung im Libanon, Massaker im Sudan, Ausnahmezustand in Geor-gien, diplomatische Krise um das Kosovo, Klimasturz zwischen Russland und dem Westen, Aufstieg Chinas zur Weltmacht, Erosion der Rüstungskontrollsysteme, Radikalisierung politisch-religiöser Bewegungen, Massenflucht vor Bürgerkriegen und Umweltkrisen – woher kommt diese Gleichzeitig-keit ganz unterschiedlicher Konflikte?

Mit dem Ende des Kalten Krieges taute eine Vielzahl nationaler, ethnischer und religiöser Kon-flikte auf, die zuvor machtpolitisch eingefroren waren. Neue kamen hinzu. Sie trafen auf eine über-forderte Supermacht Amerika, die ihren politischen Kredit spätestens im Irak verspielte. Die Eu-ropäische Union will und kann die Rolle einer globalen Ordnungsmacht nicht übernehmen. Dazu fehlt es ihr an politischer Kraft und militärischen Mitteln. Ihr wirkungsvollstes Instrument liegt in der Ausdehnung der EU selbst, in der Übertragung ihrer Ordnung auf andere Staaten. Doch selbst in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft kann sie allein wenig ausrichten, wenn sie auf das Kraftfeld Russlands trifft, zumal die Begeisterung für die Aufnahme neuer Mitglieder spürbar gelitten hat. Die Vereinten Nationen wiederum sind kein weltpolitischer Akteur aus eigener Kraft. Ihre Handlungsfä-higkeit hängt an der Kompromissfähigkeit der „Big Five“. Kosovo, das iranische Atomprogramm und die humanitäre Katastrophe im Sudan sind dafür beredte Beispiele.

Welche internationale Ordnung wird aus dieser neuen Unübersichtlichkeit hervorgehen? Ge-hen wir unweigerlich einer „multipolaren“ Welt entgegen, in der einige große Machtblöcke mitei-nander rivalisieren und sich durch ein labiles Gleichgewicht des Schreckens in Schach halten? Ex-Kanzler Schröder hat jüngst wieder empfohlen, Europa solle die Allianz mit Russland suchen, um den USA und China Paroli bieten zu können. Das ist Geopolitik pur, wertfrei bis auf die Knochen. Ob Russland demokratisch oder autoritär regiert wird, spielt keine Rolle: Hauptsache Gas, Öl, Rohstoffe. So wird es aber nicht kommen. Wer sich mit Russland gegen die USA verbünden will, spaltet die Europäische Union.

Richtig ist, dass Europa Partner und Verbündete braucht. Aus Gegnern von gestern Partner von heute zu ma-chen, ist das europäische Erfolgsrezept. Der Weg dazu führt über eine enge wirtschaftliche Verflechtung plus Bildung gemeinsamer Institutionen, auf die ein Gutteil nationaler Souveränität übertragen wird. Insoweit wird die EU auf absehbare Zeit eine Ausnahme bleiben. Denn während Europa bereits mit einem Bein im post-nationalen Zeitalter steht, handeln die USA ebenso wie Russland, China und die anderen aufkommenden Mäch-te weiter in den Kategorien des Nationalstaats. Dennoch sind transnationale Institutionen, zwischenstaatliche Zusammenarbeit und wirtschaftliche Integration ein erfolgversprechender Weg zur Eindämmung von Gewalt in den internationalen Beziehungen. „Effektiver Multilateralismus“ ist dafür eine passende Bezeichnung. Es geht darum, möglichst alle Staaten des Erdballs, unabhängig von ihrer inneren Verfassung, in ein Netz globaler Interdependenz einzubeziehen – und gleichzeitig nicht indifferent gegenüber dem politischen Charakter dieser Staaten zu sein. Wir sollten das Ziel einer Globalisierung der Menschenrechte, des Rechtsstaats und der Demo-kratie nicht aufgeben, nur weil George Bush Schindluder mit diesen Begriffen getrieben hat. Hier verbindet sich Außen politik zwischen Staaten mit einer „Weltinnenpolitik“, die vom gleichen Anspruch aller Menschen auf Freiheit und Sicherheit ausgeht. Diesem Maßstab fühlen wir uns als Heinrich-Böll-Stiftung verpflichtet.|RALF FüCKS, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

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Besonderer Tipp & News

Die Zukunft transatlantischer Sicherheitspolitik. Die Münchner Sicherheitskonferenz vor dem Hinter-grund der US-Wahlen. 10. Februar 2008, Diskussion in München. Mit: Jackson Janes (American Institute of Contemporary German Studies) und Helga Flores-Trejo (Heinrich-Böll-Stiftung), Veranstalter: Heinrich-Böll-Stiftung, Petra-Kelly-Stiftung, Evangelische Stadtakademie. Info: www.boell.de/veranstaltungen

The Right to Development in a Climate Constrained World. The Greenhouse Development Rights Frame-work. A report by Paul Baer and Tom Athanasiou of EcoEquity and Sivan Kartha of the Stockholm Environ-ment Institute, with the support of Christian Aid and the Heinrich Böll Foundation, Berlin, November 2007. This report can be ordered from Heinrich Böll Foundation.

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RECHENüBUNGENEs gibt vor allem zwei Versuche, die weltpolitische Konstellation auf den Begriff zu bringen. Die Stichwörter beim ersten Versuch sind: einzig verbliebene Supermacht, Hypermacht, unipolarer Moment oder unipolare Welt. Der zweite Versuch sieht eine multi-polare Welt im Entstehen und zählt zu den zwei früheren Polen noch ein paar dazu. Beide Versuche halten sich an die bewährten Regeln der einfachen Mathematik, an Subtraktion und Addition. Gleich bleibt sich dabei die Vorstellung von Polarität.

Gibt es zwei Supermächte, dann bleibt nur eine übrig, wenn die andere verschwindet. Da die einzig verbliebene Supermacht

mit dem Verschwinden der anderen an Macht gewinnt, wird sie zur Hypermacht. Und da dieser unipolare Moment vielleicht nicht ewig währt, muss die Hypermacht ihn nutzen, um die Welt mit Willen nach ihrer Vorstellung zu gestalten – wenn es nicht anders geht auch durch einseitiges Vorgehen. Das ist das dürre Gedanken gerüst der meisten amerikanischen Neokonservativen. Positiv oder negativ akzentuiert ist diese Sicht jedoch weit über deren Dunst- und Wirkungskreis hinaus verbreitet, und natürlich nährt die Darstellung amerikanischer Übermacht die Arroganz des „mission accomplished“, aber auch die Ängste, man müsse sich nun seitens der USA auf alles gefasst machen.

Vita & Publikationen

JoSCHA SCHMIERER, freier Publizist, war von 1999 – 2007 Mitarbeiter im Planungs-stab des Auswärtigen Amts. JüNGSTE VERÖFFENTLICHUNG: „Rekonstruktion des Wes tens. Umrisse des Problemfeldes”, in: Tine Stein, Hubertus Buchstein, Claus Offe (Hg.) Souveränität, Recht, Moral. Die Grundlagen politischer Gemeinschaft, New York und

Frankfurt am Main 2007.

DIE WIEDERHERSTELLUNG GLoBALER oRDNUNGSMACHT: EIN TASTENDER PRoZESSMan braucht sich die großen internationalen Krisen, traumatischen Ereignisse und anhaltenden Gefahren nicht im Einzelnen vor Augen zu führen: Die neue Weltordnung, die nach 1989 beschworen wurde, lässt auf sich warten. obwohl seit dem Ende des Kalten Krieges bald zwanzig Jahre vergangen sind, prägt die untergegangene Blockordnung immer noch das Verständnis der internationalen Beziehungen. VoN JoSCHA SCHMIERER

4 Das thema

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1989DIE WIEDERHERSTELLUNG GLoBALER oRDNUNGSMACHT: EIN TASTENDER PRoZESS

1989 – 2007. Die neue Welt(un)ordnung, wie der titel dieser ausgabe von Böll.Thema lautet, setzt mit dem Jahr 1989 ein, dem fall des eisernen Vorhangs, dem zusammenbruch des sowjetreichs, dem Verschwinden der einen super-macht und dem ende des gleichgewichts des schreckens. mit einer kleinen foto-reihe dokumentieren wir die wesentlichen ereignisse und Krisen nach dem ende der Bipolarität. sie zeigt, wie unruhig unsere Welt geworden ist, wie wenig sie zu einer neuen ordnung gefunden hat. Dabei hatte der Wegfall der alten Block-konstellation enorme erwartungen an die herausbildung einer neuen friedlichen und freiheit lichen Welt entstehen lassen, wie die rede von Präsident Bush senior am 11. september 1990 vor dem us-Kongress zeigt:

„aus diesen schwierigen zeiten kann … eine neue Weltordnung hervorgehen, eine neue Ära, freier von der Bedrohung durch terror, stärker in der Durchsetzung von gerechtigkeit und sicherer in der suche nach frieden. eine Ära, in der die nationen der Welt im osten und Westen, norden und süden prosperieren und in harmonie leben können. (…) heute kämpft diese neue Welt darum, geboren zu werden, eine Welt, die völlig verschieden ist von der, die wir kannten. eine Welt, in der die herrschaft des gesetzes das faustrecht ersetzt (…) eine Welt, in der der starke die rechte des schwachen respektiert”. Begeistertes Willkommen. Trabis treffen am Kurfürstendamm ein und

der Westen steht Spalier.

1989

»Die unipolaren Machtphantasien scheitern an den diffusen Gefährdungen einer globalisierten Welt.«

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»In der Metapher der polaren Beziehungen steckt immer noch das alte Verhältnis

von Macht und Gegenmacht, das seit dem Ende der Blöcke nicht mehr passt.«

6 Das thema

Wird dem Unipolarismus der Multipolarismus entgegenge-stellt, zeigt das ein Gespür dafür, dass mit der einen Supermacht beide verschwinden. Denn Supermacht erwuchs nicht aus relati-ver Überlegenheit, sondern aus der Stellung im Ordnungssystem der Blockkonfrontation. Indem jedoch an der Vorstellung von Polarität festgehalten wird, kommt die Analyse nicht über das Zusammenzählen hinaus: Statt zweier Pole soll es nun mehrere geben. Als ob sich die Notwendigkeit multilateralen Handelns nur so begründen ließe.

STATT ABZULEITEN, NEU ANALYSIEREN!Die zentrale Vorstellung, der die genannten Stich- und Schlag-wörter entspringen, bleibt die Bipolarität der Blockkonfrontation und der rivalisierenden Supermächte. Aus ihr wird die veränderte Situation abgeleitet, statt diese in ihrer überraschenden und kom-plexen Neuheit selbstständig zu analysieren. In der Metapher der polaren Beziehungen steckt immer noch das alte Verhältnis von Macht und Gegenmacht, das seit dem Ende der Blöcke nicht mehr passt. Das lässt sich als nostalgischen Rückbezug auf das Ost-West-Gleichgewicht verstehen, und war dieses auch ein Gleich-gewicht des Schreckens. Dabei steht doch unter Annahme von Unipolarität die verbliebene Supermacht einem Sack voll Flöhen gegenüber. Mit der Annahme von Multipolarität wird jedoch im bloßen Auftauchen neuer Mächte schon die Lösung des Problems gesehen, wie die einstige Blockkonfrontation durch einen neuen wirksamen Gleichgewichtsmechanismus ersetzt werden kann.

Die unipolaren Machtphantasien scheitern an den diffusen Gefährdungen einer globalisierten Welt. Diese sind von keiner noch so starken einzelnen Macht in den Griff zu bekommen. Die Abwehr der außerstaatlichen Gewalt des terroristischen Islamis-mus setzt das weltweite Zusammenwirken funktionierender Staaten voraus. Das gilt auch für den Umgang mit Pandemien oder Erderwärmung. Die Hoffnung, als Weltenlenker zu wirken, entspringt eher den Ohnmachtserfahrungen der einzig verbliebe-nen Supermacht als ihren realen Fähigkeiten.

Das multipolare Gegenmodell übersieht hingegen die Spreng-kraft einer Entwicklung, in der sich die aufstrebenden Mächte wie China, Indien, Brasilien, aber auch die älteren aus der Blockbin-dung befreiten Zentren erst als hochgerüstete „Pole“ verstehen müssten, bevor sie sich als unerlässliche Partner gegenseitig ernst nähmen.

UNEINGESTANDENE NoSTALGIEDie Ordnung der Welt in Blöcke war weder freiwillig noch unge-fährlich. Sie war jedoch bequem, denn in ihr wirkte ein Ordnungs-mechanismus. Indem die beiden Supermächte ihre jeweiligen Si-cherheitsinteressen verfolgten, produzierten und reproduzierten sie zugleich ein Ordnungssystem, für das keine der beiden Super-mächte global einstehen musste. Die Stabilität der Ordnung hing

zwar nicht von einem umfassenden Gleichgewicht ab, die Blöcke entwickelten sich verschieden und ihre Bindungskräfte unterschie-den sich, und letztlich hielt sie nur das gegenseitige Vernichtungs-potenzial zusammen und stabilisierte selbst noch den blockfreien Raum. Doch seit die Sowjetunion aus inneren Gründen zerbrach und sich die Blockordnung auflöste, gerät der Schrecken selbst aus dem Gleichgewicht. Er wird diffus. Er stabilisiert nicht mehr, sondern terrorisiert nur noch. Das macht die heutige Nostalgie verständlich. Sie kann sich zum Beispiel in der Suche nach einer

„neuen Entspannungspolitik“ ausdrücken, wie sie gegenwärtig in der Sozialdemokratie diskutiert wird.

In der neuen internationalen Konstellation ist ein Ordnungs-mechanismus nicht länger wirksam. Reichte seinerzeit die Kontrol-le der Supermächte über ihre Blöcke aus, um die Welt insgesamt zusammenzuhalten, kann in der neuen Situation der Zusam-menhalt nur durch kooperative globale Ordnungsmacht gesichert werden. Wie sie aussehen und sich bilden könnte, ist heute, im Unterschied zu den Zeiten des Kalten Krieges, die Grundfrage der internationalen Beziehungen. Auch die stärksten Mächte wer-den sich ihr auf Dauer nicht entziehen können. Geht man von den Herausforderungen und Gefahren aus, müsste eine solche Ordnungsmacht schon wirken. Doch sich zusammenzuraufen, braucht Zeit. Mit der Diskrepanz von objektiv knapper Zeit und einem großen Zeitbedarf bei der politischen Verständigung ist schwer umzugehen.

WIE oRDNUNGSMACHT BILDEN?Es gibt den Ordnungsrahmen der UNO. Der Sicherheitsrat ist da-für da, globale Ordnungsmacht zu bilden. Die Staaten bleiben aber die entscheidenden Akteure. Es hat keinen Sinn darum herum zu reden: Ob es gelingt, genügend internationale Ordnungsmacht zu bilden, um den Globus beisammen zu halten, wird entscheidend von Verhalten und Politik der paar großen Mächte abhängen, die inner- und außerhalb des UN-Sicherheitsrats genügend Gewicht und Führungsfähigkeit aufbringen könnten, die Staatenwelt und Weltwirtschaft zu gestalten. Die UNO bildet den Rahmen, ist aber kein selbstständiger Akteur.

Die Weltöffentlichkeit wird auf das Verhalten der Mächte Einfluss ausüben, die Gesellschaften können aber in einer Welt von Staaten nicht von sich aus globale Ordnung stiften. Die viel beschworene Weltinnenpolitik bleibt Politik zwischen Staaten. Hoffnungsvoll, zumindest aber beruhigend stimmt nach Ende des Kalten Krieges die Tatsache, dass trotz aller widersprechenden In-teressen und Reibungen die Gefahr eines Krieges zwischen den stärksten Staaten zumindest nicht akut ist. So sieht zum Beispiel Richard Haas, früherer Chef des Planungsstabs im State Depart-ment und heute Präsident des Council on Foreign Relations in Wa-shington, die Chance dieses Jahrhunderts darin, dass zum ersten Mal in der modernen Geschichte die großen Mächte – er nennt

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für die Gegenwart die USA, Europa, China, Russland, Japan und „möglicherweise“ Indien – „nicht in klassische Auseinanderset-zungen verstrickt sind, um sich auf Kosten der anderen gegensei-tig zu beherrschen.“

Diese Konstellation der großen Mächte ist eng mit dem „Zeit-alter der Globalisierung“ verknüpft. Globalisierungstendenzen gab es seit der europäischen Expansion rund um den Globus. Glo­balisierung als Epoche hatte aber das mal mehr oder weniger gewalt-same Zerbrechen der europäischen Imperien, der Kontinentalrei-che wie der überseeischen Kolonialreiche, zur Voraussetzung. In diesem Sinn bildet 1989 den Schlussstrich unter das europäische Streben nach Weltherrschaft und beendet die europäische imperi-ale Vorgeschichte der globalisierten Welt.

Zugleich eröffnet es eine neue Ära: Sie ist durch das Span-nungsverhältnis von Staatenwelt und Weltwirtschaft mit ihren widersprüchlichen Prinzipien von territorialer Souveränität und transnationaler Vernetzung bestimmt. Sie ist weder unipolar noch multipolar definiert. In ihr wirken ein Pluriversum von Staaten, die alle in der UNO vertreten sind und sich gegenseitig anerkennen, und eine mehr oder weniger uniforme, kapitalistische Wirtschafts-weise spannungsreich aufeinander und zusammen. Alle Staaten zählen und keiner kann sich aus der Weltwirtschaft ausklinken.

Noch sind es Gespräche unter Supermächten. US-Präsident George Bush senior und der sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow am 31. Juli 1991 in Moskau.

1991

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»Zum ersten Mal haben heute alle Staaten, ob große oder kleine, daran Interesse,

dass Staatlichkeit bei allen Partnern einigermaßen funktioniert.«

8 Das thema

Ein Vergleich mit der Situation vor dem Ersten Weltkrieg ist aufschlussreich. Auch damals wies die Welt einen hohen Grad wirtschaftlicher Verflechtung auf. Beherrscht wurde sie aber durch europäische Imperien. Deren Expansionsstreben war ungebro-chen. Wenn man ein Beispiel für Multipolarität sucht, kann man es am ehesten in den Jahrzehnten finden, als Bismarck mit fünf Kugeln zu spielen glaubte. Wo Gegensätze vorherrschen, bilden sich jedoch früher oder später zwei entgegengesetzte Lager heraus. Polarität ist das Gegenteil von Pluralität.

Multipolarität wäre auch heute, sollte sie sich denn herausbil-den, nur eine Durchgangsstufe zu einer erneuten bipolaren Front-bildung, wie immer sie letztlich aussehen mag. Die Mechanismen von Macht und Gegenmacht führen zu bipolarer Frontbildung. Mit ihr wird die Gelegenheit verspielt, die die gegenwärtige Situa-tion bietet. Wer Multipolarität als Fortschritt gegenüber der Block-ordnung versteht, sollte sich die Vorgeschichte des I. Weltkrieges durch den Kopf gehen lassen.

IST EINE KoNZERTIERTE GLoBALE oRDNUNGSMACHT MÖGLICH?Mit dem Ende der europäischen Imperien ist jeder Winkel der Erde durch Staaten besetzt. Nach Überwindung der geschlossenen Wirtschaften in China, Russland und Indien realisiert sich eine Weltwirtschaft. Staatenwelt und Weltwirtschaft, territoriale Souve-ränität und transnationale Vernetzung bilden das Spannungsfeld, auf dem sich internationale Ordnung bewähren muss. Die Annah-me einer amerikanischen Unipolarität hat desaströse Folgen. Die USA, mächtiger denn je, haben heute weniger Ordnungsmacht als während der Blockkonfrontation. Der Fehler der Bush-Admi-nistration war nicht, die Notwendigkeit globaler Ordnungsmacht zu erkennen, sondern die Illusion, eine uneinholbar überlegene Militärmacht in eine solche umsetzen zu können. Doch die Euro-päische Union und ihre Mitglieder haben keinen Grund, über den schmerzhaften Lernprozess zu frohlocken, den die USA zur Zeit durchmachen. Wenn deren Weg, sich selbst als globale Ordnungs-macht zu setzen, scheitert, stellt sich die Frage umso dringlicher, wie globale Ordnungsmacht durch internationale Kooperation zu bilden sei.

Globalisierung heißt zugleich Annäherung wie Fragmentie-rung. Die Teilhabe an den Vorteilen der Globalisierung entwickelt sich unausgewogen. Der Zusammenhalt in und zwischen den Staaten wird durch die ungleichmäßige Entwicklung der Welt-wirtschaft ständig strapaziert. Wenn die Ungleichheiten nicht zu dauerhaften Spaltungen führen sollen, ist eine Politik globaler Integration notwendig. Grundlage dafür sind die Globalisierung selbst wie die Interessen an Teilhabe, die sie hervorbringt und nährt. Würden etwa die Verteilungskämpfe um knappe Ressour-cen heute in Form imperialer Rivalität ausgetragen, gingen mit der Zerstörung kommunikativer und wirtschaftlicher Netze auch

viele Vorteile verloren, die mit den umkämpften knappen Ressour-cen errungen werden sollen.

Die Ausbildung polarer Gegensätze wäre unter den Bedin-gungen der Globalisierung ein Rückfall in vor allem auch selbst-zerstörerische imperiale Auseinandersetzungen. Insofern bilden die gegenwärtigen Erfahrungen der USA ein Menetekel für alle Mächte, deren aktive Mitwirkung an der Ausbildung globaler Ord-nungsmacht unerlässlich ist.

Zum ersten Mal haben heute alle Staaten, ob große oder klei-ne, Interesse daran, dass Staatlichkeit bei allen Partnern einiger-maßen funktioniert. Keine äußere Herrschaft kann sie ersetzen. Aus ihrer Gefährdung kann niemand dauerhaft Nutzen ziehen. Mit der Aufnahme von „responsibility to protect“ in die Grundsät-ze der UN wird dieser Tatsache Rechnung getragen. Souveränität wird nicht negiert, sondern als Verpflichtung verstanden, für die im äußersten Fall die UN selbst einzustehen hat. Die Klimapoli-tik ist ein Experimentierfeld, auf dem erprobt wird, ob sich für of-fensichtlich gemeinsame Interessen gemeinschaftliche Lösungen vereinbaren lassen.

Herausforderungen kann man sich nicht aussuchen. Sie sind heute größer, zumindest offensichtlicher als je zuvor. Zugleich ist mit der UNO der Ordnungsrahmen bereits vorhanden, in dem sich die Staaten Gefahren wie Klimawandel, aber auch Terroris-mus stellen können. Die Zusammenarbeit bleibt von vernünftigen Regierungen abhängig, die der Öffentlichkeit in ihren Staaten ver-antwortlich sind.

In den USA ist mit dem Scheitern ihrer Irakpolitik der uni-polare Ansatz in Misskredit geraten. Eine lebhafte Diskussion über ihre weltpolitischen Möglichkeiten und die eigene Rolle ist in Gang. Globale Ordnungsmacht lässt sich auch von der einzig verbliebenen Supermacht nicht usurpieren. Indien und vor allem China sind so eng mit der Weltwirtschaft verflochten, dass sie die Zusammenarbeit gerade auch mit den USA suchen. Russland schwimmt auf Energierohstoffen und versucht, in der Fixierung auf die USA eine Weltmachtrolle zurück zu gewinnen. Russlands vergleichsweise geringe weltwirtschaftliche Verflechtung und sei-ne lange imperiale Tradition erklären die Neigung zu Diktat und machen seine Einbindung schwierig.

Jahrzehnte tastender Bemühungen stehen bevor, um die Fra-ge zu beantworten, wie sich globale Ordnungsmacht international bilden lässt. Dass sich dieser Frage heute kein Staat und erst recht keine der großen Mächte entziehen kann, gibt Anlass zu Hoff-nung. Die Europäische Union kann unter Mächten, die gelegent-lich den Solitär geben, eine Politik globaler Integration anregen und fördern. Unter ihren Mitgliedern hat sie einen Weg gefunden, wie sich Souveränität und Verflechtung vereinbaren lassen. Ihre strategischen Möglichkeiten werden sich desto besser realisieren lassen, je schneller der Westen erneut Anziehungskraft für Rechts-staatlichkeit und Demokratie entfaltet.|

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Vita & Publikationen

BASTIAN HERMISSoN ist Referent für Außen- und Sicherheitspolitik der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Zuvor leitete er das Programm für Außen- und Sicherheitspolitik des Stiftungs-Büros in Washington. Von 2002 bis 2005 war er Referent der Fraktionsvorsitzen-den von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt. HINWEIS:

Das „Princeton Project” ist im Internet einsehbar unter: www.wws.princeton.edu/ppns/.

Das „Princeton Project on National Security“ formuliert eine Außen- und Sicherheitspolitik für die Zeit nach George W. Bush. Eine Dokumentation in Auszügen. VoN BASTIAN HERMISSoN

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M it dem offensichtlichen Scheitern im Irak war spätestens seit 2004 unübersehbar, dass die USA sich außenpo-

litisch in eine Sackgasse manövriert hatten. Konfrontiert mit neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen hat sich die Bush- Administration durch den Irak-Krieg sowie die Art ihrer „Kriegsführung“ gegen den Terror militärisch überdehnt und gleichzeitig das Bild der USA in der Welt innerhalb weniger Jahre von einem Höhepunkt nach dem 11. September auf einen frosti-gen Tiefpunkt gebracht.

Der überparteiliche außenpolitische Konsens begann zu brö-ckeln, der das Land nach 9/11 zusammengeschweißt hatte. Die Außenpolitik der Bush-Administration wurde zu einem Haupt-thema im Präsidentschaftswahlkampf 2004. Die innenpolitische Polarisierung der außenpolitischen Debatte nimmt seitdem weiter zu und wird nicht zuletzt den Wahlkampf 2008 bestimmen.

Vor diesem Hintergrund gab es in letzter Zeit verschiedene Vorschläge, welche Strategie die Grundlage eines neuen außenpo-litischen Konsenses bilden könnte. Dies zu diskutieren erscheint umso drängender, als sich in den USA mittlerweile außenpolitisch Desillusionierung und Ideenlosigkeit breit gemacht haben.

Grob gesagt gibt es zwei Arten von Vorschlägen. Einerseits wird die Neuauflage einer pragmatischen realpolitischen Außen-politik propagiert. Nach dem Motto „Weniger ist mehr“ fordern deren Fürsprecher eine Begrenzung der eigenen außenpoliti-schen Ambitionen und erklären die Zeit der großen Visionen und Ideologien für passé. Als Beispiele seien Charles Kupchan und Peter Trubowitz mit ihrem Artikel „Grand Strategy for a Divided America“ (Foreign Affairs Juli/August 2007) erwähnt und Ana-tol Lieven und John Hulsman mit ihrem Buch „Ethical Realism: A Vision for America’s Role in the World“.

PosItIonen

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Es gibt jedoch auch Stimmen, die in der Nähe des „Liberal Internationalism“ anzuordnen sind, dessen Wiederbelebung Bill Clinton in den 1990er-Jahren angesichts der Kriege auf dem Balkan propagierte. Sie argumentieren für eine aktive, sich ein-mischende und gestaltende Rolle der USA in der Welt. Gegrün-det auf den Werten und Idealen einer freiheitlichen Demokratie stellen sie die ethische Vorbild- und Vorreiterrolle der USA in den Mittelpunkt.

Beispiel für diese Schule ist das an der Princeton Universität 2004 ins Leben gerufene „Princeton Project on National Security“, ein zweijähriges Forschungsvorhaben von über 400 Wissen-schaftlern und Politikern beider Parteien. Vorbild war der Diplo-mat George Kennan, der in den 1940er-Jahren die Strategie der

„Einhegung“ gegenüber der Sowjetunion formuliert und damit die Grundlage der US-Außenpolitik der nächsten Jahrzehnte gelegt hatte.

Der im Spätherbst 2006 vorgestellte Abschlussbericht des „Prince ton Project“ kritisiert vor allem die einseitige Gefahren-analyse der Bush-Administration. Dies betrifft in erster Linie den starren Fokus auf den internationalen Terrorismus wie die daraus folgende Anti-Terror-Politik. Stattdessen wird eine Multidimen-sionalität von Bedrohungen beschrieben, von den Konflikten im Nahen und Mittleren Osten über den Aufstieg Chinas und die wei-tere Destabilisierung Afrikas bis zum Klimawandel.

„Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts dürfen die USA die Welt weder durch die Brille des Zweiten Weltkrieges noch des Kalten Krieges oder des 11. Septembers betrachten. Stattdessen müssen sie anerkennen, dass unsere Welt heute nicht durch ein einziges Prinzip wie Antifaschis­mus oder Antikommunismus organisiert wird. Wir sind gegenwärtig mit vielen Gefahren konfrontiert, mit mehreren langfristigen Heraus­forderungen und zahllosen Gelegenheiten.“ (Seite 13)

Daraus folgt die Formulierung einer multidimensionalen Po-litik. Ich will hier einige Punkte dokumentieren, die sich neben zahlreichen konkreten Einzelempfehlungen als roter Faden durch den Bericht ziehen: die Förderung einer internationalen Ordnung der Freiheit und des Rechts.

1. AUFBAU EINES WoHLGESoNNENEN INTERNATIoNALEN UMFELDSGeorge Kennans Strategie gegenüber der Sowjetunion war kei-neswegs auf Einhegung beschränkt, sondern ging einher mit dem Aufbau umfassender internationaler Institutionen und Ordnungs-systeme zur Herstellung eines wohlgesonnenen internationalen Umfelds. So wurden in dieser Zeit u. a. die europäische Integra-tion befördert, der Internationale Währungsfonds und die Welt-bank gegründet und der Marshall-Plan initiiert. Auch der Prince-ton Bericht kommt in diesem Sinn zu dem Schluss:

„(…) das Ziel, ein wohlgesonnenes internationales Umfeld zu schaf­fen und zu erhalten, ist heute auf Grund der zunehmenden globalen

PETRA KELLYEine Erinnerung

Hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung

Mit Essays von: Ralf Fücks, Lukas

Beckmann, Helmut Wiesenthal, Ulrike Poppe,

Marieluise Beck, Udo Baron

Berlin, November 2007

192 Seiten, über 140 Fotografien, 20 €

ISBN 978-3-927760-68-4

WEGE AUS DER KLIMAFALLENeue Ziele, neue Allianzen,neue Technologien – was einezukünftige Klimapolitik leisten muss

H. E. Ott und Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.)

oekom verlag, München 2008

ca. 216 Seiten, 19,90 €

ISBN 978-3-86581-088-5

Band 1:

GRÜNE MARKTWIRTSCHAFT Mit Beiträgen von Gerd Rosenkranz,

Kristina Steenbock, Peter Barnes, Ralf

Fücks, Matthias Machnig u.a.

Berlin, Oktober 2007, 48 Seiten

ISBN 978-3-927760-69-1, kostenlos

Band 2:

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Verflechtung mehr denn je entscheidend für unsere langfristige Sicher­heit. In der Praxis heißt das, unsere bestehenden Bündnisse zu schüt­zen und die sicherheitspolitische Zusammenarbeit unter freiheitlichen Demokratien zu fördern, um den Schutz der Amerikaner im Ausland wie zuhause zu gewährleisten, das Aufkommen feindlicher Großmäch­te zu verhindern, Koalitionen gegen die Vereinigten Staaten auszuba­lancieren und freiheitliche Demokratien und verantwortliche Regierun­gen zu fördern.“(Seite 16)

Im Gegensatz zum Unilateralismus der US-Politik nach 9/11 betont der Bericht die Notwendigkeit von Reformen und Stärkung der internationalen Ordnung:

„Das System internationaler Institutionen, das die USA und ihre Verbündeten nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut und während des Kalten Krieges stetig weiterentwickelt haben, ist zerbrochen. Jede einzel­ne der bedeutenden Institutionen (…) braucht heute eine umfassende Reform. (…) Von allen Nationen kommt den USA der wichtigste Part bei der Reparatur dieses Systems zu, eben weil wir die mächtigste Nati­on der Welt sind.“ (Seite 22)

Es folgen gezielte Vorschläge zur Reform der Vereinten Natio-nen, der Nato, der internationalen Finanzinstitutionen u. a. Dazu gehören eine den heutigen Machtverhältnissen angemessene Re-präsentanz der jeweiligen Staaten in internationalen Gremien als auch Regeln zur Anwendung von Gewalt, die den heutigen Not-wendigkeiten angepasst sind. Angeregt wird auch die Gründung neuer internationaler Gremien wie einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit für den Mittleren Osten.

2. FÖRDERUNG VoN FREIHEITLICHKEIT UND RECHTSSTAATLICHKEITZentrales Leitmotiv für die amerikanische Außen- und Sicherheits-politik bleibt aus Sicht der Autoren die Förderung der freiheitlichen Entwicklung von Staaten weltweit. Der Bericht kritisiert jedoch die Konzentration auf Demokratieförderung und schlägt stattdessen vor, den Fokus auf Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zu richten:

„In letzter Zeit (…) haben wir Freiheit unter dem Banner der De­mokratie zu oft mit Waffengewalt durchgesetzt, was antidemokrati­schen Kräften die Möglichkeit gab, Demokratie mit amerikanischem Imperialismus gleichzusetzen.

Demokratie ist das beste Instrument, das Menschen erfunden ha­ben, um persönliche Freiheit zu garantieren. Sie funktioniert aber nur, wenn sie in eine rechtsstaatliche Ordnung eingebettet ist. (…) Ohne eine solche Ordnung wird aus Demokratie Chaos oder ein wildes Ge­rangel konkurrierender Fraktionen. (…) Wir müssen eine sehr viel in­telligentere Strategie zur Erkennung und Förderung der grundlegenden Voraussetzungen für erfolgreiche Demokratien entwickeln – Voraus­setzungen, die weit jenseits der simplen Abhaltung von Wahlen liegen. Dies muss eine Strategie zur Förderung von Freiheit unter dem Gesetz sein, nicht nur für einzelne Nationen sondern für das internationale System insgesamt.“ (Seite 19)

»Das Ziel, ein wohlgesonnenes internationales Umfeld zu schaffen und zu erhalten,

ist heute mehr denn je entscheidend für unsere langfristige Sicherheit.«

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UNO-Votum. Einstimmig beschließen die Mitglieder des Sicherheitsrates am 3. Dezember 1992 in New York die Entsendung einer internationalen Truppe nach Somalia zur Sicherung der Hungerhilfe.

UNO-Einsatz. Kanadische Soldaten hissen am 29. Juni 1992 die Flagge am Flughafen von Sarajevo, den sie gerade eingenommen haben.

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3. MILITäRISCHE VoRMACHTSTELLUNG FREIHEITLICHER DEMoKRATIENIn Abgrenzung zur neokonservativen Agenda betont der Bericht nicht die Notwendigkeit einer globalen militärischen Vormacht-stellung der USA, sondern vielmehr einer gemeinsamen militäri-schen Vormachtstellung der freiheitlichen Demokratien gegenüber dem Rest der Welt. Dies schließt den Ausbau von eigenständigen Kapazitäten außerhalb der Nato ein wie die Stärkung einer unab-hängigen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

„Die Vereinigten Staaten sollten daran gehen, die militärische Vor­machtstellung freiheitlicher Demokratien nachhaltig zu unterstützen und die Entwicklung militärischer Potenziale gleichgesinnter Demo­kratien in einer Weise zu fördern, die mit deren Sicherheitsbedürfnis­sen vereinbar ist. (…) Der Erhalt einer Machtbalance zugunsten der freiheitlichen Demokratien wird voraussichtlich weiterhin ein hohes US­Verteidigungsbudget erfordern, zusammen mit einem erheblichen finanziellen Beitrag unserer Verbündeten.“ (Seite 29 – 30)

4. EINE GEMEINSCHAFT DEMoKRATISCHER STAATENDie wohl bemerkenswerteste Idee des „Princeton Project“ besteht im Vorschlag der Gründung eines neuen internationalen Gre-miums, in dem die Gemeinschaft freier demokratischer Staaten („a concert of democracies“) zusammenkommt. In der Skizzie-rung dieses Gremiums heißt es:

„Die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft demokratischer Staaten sollte exklusiv, aber von einer selbst gewählten Exklusivität sein. (…) Die Mitglieder müssten sich verpflichten, untereinander keine Gewalt anzuwenden und keine Gewaltanwendung zu planen; sie müssten sich darauf festlegen, in regelmäßigen Abständen freie und faire Wahlen in einem Vielparteiensystem abzuhalten; sie müssten von einer unabhän­gigen Gerichtsbarkeit durchsetzbare bürgerliche und politische Rechte für ihre Einwohner garantieren; und sie müssten akzeptieren, dass Staaten eine „Verantwortung zum Schutz“ ihrer Bürger vor vermeid­baren Katastrophen haben und dass die internationale Gemeinschaft das Recht hat einzugreifen, falls es ihnen selbst nicht gelingt, diesen Schutz aufrecht zu erhalten. (…) In dieser Hinsicht würde die Gemein­schaft als informelle Versammlung demokratischer Staaten fungieren, die schon Verbündete sind (…). Sie würde aber auch neue demokrati­sche Partner wie Indien, Südafrika, Brasilien und Mexiko einschließen. Dieser Aspekt der Gemeinschaft würde eine überragende Anstrengung beinhalten, nicht­westliche demokratische Mächte in eine globale demo­kratische Ordnung zu integrieren. (…) Die Gemeinschaft demokrati­scher Staaten wäre kein neues Bündnissystem oder ein Ersatz für die Bündnisse Amerikas in Europa oder Ostasien. Sie wäre auch kein Er­satz für die Vereinten Nationen oder andere globale Institutionen, (…) jedoch könnte diese Gemeinschaft ein alternatives Forum zur Zustim­mung von Gewaltanwendung in den Fällen werden, in denen ein Veto im Sicherheitsrat freie Nationen daran hindert, den Zielen der U.N.­Charta treu zu bleiben. (Seite 26)

Die USA: Polarisierung der Bevölkerung in Zahlen

„Ideologische gemeinsamkeiten zwischen den republikanern und den Demokra-ten sind minimal und eintracht in bestimmten Bereichen im besten fall ober-flächlich. Die meisten republikaner und Demokraten glauben noch immer, dass die usa globale Verantwortung tragen, aber es gibt wenig Übereinstimmung, wie man vorgehen soll. und in der zentralen frage macht oder Partnerschaft gehen die beiden Parteien in gegensätzliche richtungen.”

„Der beste Weg, den frieden zu sichern, ist militärische stärke.”70 Prozent der republikaner stimmten dem zu, aber nur 40 Prozent der Demo-kraten. (Pew research center Poll, märz 2007)

nach vier Jahre okkupation des Irak sind 24 Prozent der republikaner gegen den Krieg, aber 90 Prozent der Demokraten. (cnn-umfrage, 2007)

„Die usa sollten helfen, Demokratie in anderen ländern zu etablieren.” zu-stimmung bei 64 Prozent der republikaner, aber nur 35 Prozent der Demokra-ten. (german marshall fund study, 2006)

„Die usa sollten sich international um die eigenen sachen kümmern.” zustim-mung von nur einem Drittel der republikanern, aber von zwei Dritteln der Demo-kraten. und zustimmung von 52 Prozent aller amerikaner insgesamt. 72 Pro-zent der 18 – 24-Jährigen glauben nicht, dass die usa die führerschaft bei der lösung internationaler Krisen übernehmen sollten. Während des höhepunkts des Vietnamkrieges vertraten nur 36 Prozent eine solch isolationistische meinung. (umfrage von cBs-nachrichten, Dezember 2006)eK

zitiert aus: charles a. Kupchan und Peter l. trubowitz „grand strategy for a Divided america”, in: Foreign Affairs July/august 2007. charles a. Kupchan ist Professor für Internationale Beziehungen an der georgetown universität. Peter l. trubowitz ist Professor für Politikwissenschaft an der universität texas.

Derart idealistische Vorschläge haben es zurzeit in den USA nicht leicht. Die ideologische Politik der Neokonservativen hat nicht zuletzt dazu geführt, wertegebundene Außenpolitik in den Augen vieler zu delegitimieren. Realpolitik ist auf dem Vormarsch. Ob aber wiederum kühler Pragmatismus die Herzen der US-Wäh-ler im kommenden Jahr beflügeln kann, bleibt abzuwarten. Wie sie denn aussehen wird, die neue Außenpolitik nach George W. Bush, werden wir spätestens 2009 erfahren. Sie wird nicht zuletzt für Europa von zentraler Bedeutung sein.|

Übersetzung der Zitate: Gerda Wagner

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Vita & Publikationen

JoHN C. KoRNBLUM war 1997 – 2000 Botschafter der USA in Berlin. Er wirkte maß-geblich beim Friedensabkommen für Bosnien und Herzogowina in Dayton mit und spielte eine herausragende Rolle bei der Erarbeitung der neuen Strategie der US-Administration für eine Sicherheitsstruktur in Europa. Heute ist John C. Kornblum Aufsichtsratsvorsitzender der La-

zard Investment Bank.

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IDENTITäTS-SUCHE

S eien wir ehrlich: Hätte man ihnen die Wahl gelassen, hätten die meisten Europäer und Amerikaner wahrscheinlich nicht

das komplexe Institutionengeflecht zusammengefügt, das heute unsere atlantische Welt ausmacht. Denn zur Zeit können wir eine wachsende Sehnsucht nach den Zeiten beobachten, als sich das Zusammenleben in Europa noch offener gestaltete, damals, in den lose zusammengefügten Reichen des 19. Jahrhunderts.

VIELE AMERIKANER hegen vergleichbare Gefühle und ver-klären die Jahre vor 1914 als Zeit der Unschuld und Reinheit. Da-mals durfte Amerika noch ganz es selbst sein, unbelastet von einer Führungsrolle. Viele Ideen der Bush-Administration spiegeln die-se Nostalgie wider. In diesem Blick ist allerdings mehr am Werk als romantische Träumerei. Achtzehn Jahre nach Ende des Kalten Krieges beginnt Europäern und Amerikanern zu dämmern, dass sie sich kaum noch erinnern, wie Nationen ohne Krieg und Tei-lung miteinander gelebt haben. Beinahe 400 Jahre lang hatte sich die europäische Welt stetig, wenn auch oftmals ungleich, beider-seits des Atlantiks entwickelt. Bereits um 1900 gab es eine transat-lantische Struktur der menschlichen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Kooperation. Die vor 1914 entstandene atlantische Gemeinschaft strahlte eine viel natürlichere Identität aus, als die vielen Verträge und Gremien, die uns heute zusammenhalten.

Das heißt nicht, dass vor hundert Jahren alles besser gewe-sen wäre. Doch damals vermittelte eine organisch gewachsene Gemeinschaft ein stärkeres Gefühl von Verantwortung und Über-einstimmung, das den Menschen half, sich den Schwierigkeiten zu stellen. Genau dieses Gefühl fehlt unserer Partnerschaft heute. Das ist einer der Gründe, warum sich Europa und Amerika so schwer tun, gemeinsame Visionen für die Zukunft zu entwickeln.

Doch diese erste atlantische Gemeinschaft trug den Keim der eigenen Zerstörung bereits in sich. Ihre führenden Köpfe reagier-ten zu langsam auf die Umwälzungen der industriellen Re vo lu tion. Unser atlantisches System hat die sozialen und militärischen Kon-flikte nicht überlebt.

Nach 1945 rissen neue totalitäre Systeme die Gesellschaf-ten auseinander und brachten furchtbares Elend über die Völker

Die europäische Welt beiderseits des Atlantiks sollte endlich den Blick in die Zukunft richten. VoN JoHN C. KoRNBLUM

Vergebliche Hoffnung. Für ihre Verdienste bei der Einleitung des Friedens- prozesses im Nahostkonflikt erhielten Shimon Peres und Jassir Arafat 1994den Friedensnobelpreis.

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ermöglicht hätten. In der Folge wurden die USA zum Garanten der Weltordnung

und zum Depot aller schlechten Eigenschaften, die man der eu-ropäischen Seele ausgetrieben hatte. Für die Amerikaner wurde es immer schwieriger, die richtige Balance zwischen beidem zu finden. Interessanterweise war der einzige US-Präsident, der noch mehr kritisiert wurde als der kriegerische George Bush, der Pazi-fist Jimmy Carter.

Akut wurden diese Differenzen in der Vietnam-Ära und er-neut im Zuge der dramatischen Auseinandersetzung über den NATO-Doppelbeschluss Anfang der 1980er. In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts waren dann die Würfel gefallen: Die USA wurden zunehmend rastlos als führende Kraft eines multilatera-len Gebildes, das augenscheinlich weder Ziel noch Richtung hat-te. Und Europa, immer nervöser durch die Ungewissheiten nach dem Kalten Krieg, klammerte sich fest an die eigene wohl struktu-rierte Welt. Eine tief gehende transatlantische Entfremdung war unvermeidlich.

Unter der ungewohnten Bürde der Weltführerschaft bezichti-gen die USA die Europäer bereitwillig der militärischen Schwäche und politischen Verzagtheit. Viele Europäer nutzen das „Rambo-hafte“ der Amerikaner als perfekten Kontrast zur eigenen, neu-en, friedlichen Identität. Wenn sie ihren Ängsten in der immer schwieriger werdenden Welt einen Namen geben wollen, spre-chen sie oft von „amerikanischen Verhältnissen“.

Die Folge davon ist, dass Amerikaner wie Europäer immer provinzieller werden. Beide Seiten brauchen den Dialog, stattdes-sen verbringen wir die Zeit damit, unsere Unterschiede zu defi-nieren. Doch wenn wir kein historisches Bewusstsein dafür ent-wickeln, warum wir füreinander wichtig sind, sind wir gefährlich schlecht für die Herausforderungen der neuen Zeit gerüstet.

Zum Glück wird wohl der Rest der Welt die atlantischen Na-tionen vor sich selber retten. Sie können die kleinlichen Debatten, die kreuz und quer über den Atlantik hinweg geführt werden, nicht nachvollziehen. Stattdessen fordern sie eine internationale, offen zugängliche Ordnung, die auf eine konkrete Agenda zielt und nicht auf die vergangenheitsbezogenen Neurosen des Westens.

WENN WIR UNS NICHT endlich mit den Überlebensthemen im neuen Jahrtausend beschäftigen, werden die atlantischen Nati-onen eben gezwungenermaßen ihre überholten Visionen aus der Nachkriegszeit aufgeben müssen. Nichts von all dem kommt von selbst, doch einige Politiker fangen an, eine neue Vorstellung von Zukunft zu entwerfen. Zu den Weitsichtigsten gehören interes-santerweise Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy. Im Machtgefüge Europas sind beide Außenseiter. Vielleicht sehen sie Dinge, die andere nicht sehen.|

Übersetzung: Andreas Bredenfeld

Europas. Die atlantische Brücke hatte aufgehört zu existieren. Die Völker waren in ihrer Trostlosigkeit isoliert und sollten die nächs-ten 45 Jahre hindurch geteilt bleiben.

Der Bruch mit der Vergangenheit war so total, dass Europäer wie Amerikaner vergaßen, wie es sich angefühlt hatte, in den na-türlicheren Gemeinschaften des 18. und 19. Jahrhunderts zu leben. Milan Kundera nannte diesen historischen Gedächtnisschwund

„Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins.“ Genau hier liegt die Ironie der atlantischen Welt von heute.

Statt zu helfen, dass wir zusammenwachsen, drängen uns unsere zahlreichen Institutionen auseinander. Unsere strikt auf Verträgen gegründete Gemeinschaft hat eine emotionsfreie Stabilität entste-hen lassen, die weder den Amerikanern noch den Europäern ein Verständnis ihrer Gemeinsamkeiten vermittelt.

Beständig ist einzig der ablehnende Blick zurück. Nach wie vor fürchten sich Europäer wie Amerikaner vor dem explosiven Wesen des europäischen Völkergemisches. Das Kernstück der at-lantischen Kooperation ist die gemeinsame Entschlossenheit, eine Wiederholung der vergangenen Katastrophen zu verhindern. So-gar eine so wichtige Innovation wie der Euro wurde nicht als In-strument der Einigung gesehen, sondern als Garantie dafür, dass es in Europa nie wieder zu Kriegen käme. Unser heutiges System wurde hastig zusammengeschustert, um Kriege zu verhindern. Zum Aufbau eines tieferen Identitätsgefühls taugte es nie.

John F. Kennedy hat dieser formalistischen atlantischen Welt eine Vision gegeben, als er 1962 eine Zwei-Säulen-Allianz vor-schlug, die auf der Gleichheit von Europa und den USA beruht. Doch was wie ein großer Schritt voran aussah, war in Wirklichkeit einer zurück: Europa könnte demnach seine Selbstachtung nur wiedererlangen, indem es sich als ein von den USA getrenntes Ge-bilde definiert. Und nicht zu sein wie Amerika ist nach wie vor ein starker Antrieb Europas.

Bei allen Unzulänglichkeiten bot die Nachkriegsordnung die Möglichkeit, eine westliche Allianz gegen die sowjetische Bedro-hung zu schmieden. Doch nach dem Ende des Kalten Krieges kam beiden Seiten des Atlantiks allmählich zu Bewusstsein, dass sie die Welt aus zwei drastisch verschiedenen Blickwinkeln heraus betrachtetet hatten. Wenn wir uns heute fragen, warum Europäer und Amerikaner so häufig verschiedene Zukunftsvisionen verfol-gen, dürfen wir nicht vergessen, wie viel gemeinsame Identität in den letzten einhundert Jahren verloren gegangen ist.

Besonders abträglich war der historische Gedächtnisverlust für die Europäer. Sie wuchsen im Denken auf, dass ihre einstige Größe nur durch die multilateralen, konsensorientierten Ideale der Römischen Verträge, dem Gründungsabkommen der Eu-ropäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1957, wieder aufleben könnte. Europa begann, sich als „neue Friedensmacht“ zu präsen-tieren und betrachtete Selbstvertrauen, Patriotismus, Opferbereit-schaft als Eigenschaften, welche die Katastrophe überhaupt erst

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Vita & Publikationen

FRANZISKA BRANTNER arbeitet derzeit mit an einem Projekt zu „Rethinking Europe in a Non-European World” am European Studies Center, St. Antony’s College in Oxford und schreibt an ihrer Dissertation über die Rolle der Europäischen Union in der aktuellen UN-Reform. Von 2004 – 2007 war sie Promotionsstipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung.

VERÖFFENTLICHUNG: „Double Standards at The Human Rights Council”, in: Telos, Juni 2007.

Plädoyer für koordinierte Mehrstimmigkeit statt einstimmiger Blockierung. VoN FRANZISKA BRANTNER

D ies ist ein Plädoyer dafür, die europäische „Einstimmigkeit“ in der Außenpolitik nicht als non plus ultra zu verstehen, son-

dern sie immer dann zu verfolgen, wenn sie möglich erscheint und zur Durchsetzung europäischer Außen- und Sicherheitspolitik beiträgt. Die Vorzüge einer koordinierten Mehrstimmigkeit wer-den oft unterschätzt – oder man traut sich Vielseitigkeit nicht zu.

Der europäische Integrationsprozess bedient sich seit jeher zweier Methoden, der Harmonisierung und der Anerkennung von Unterschieden. Ein Beispiel: Entweder wir definieren ein ein-heitliches europäisches Reinheitsgesetz für Bier, das in ganz Eu-ropa gilt (Harmonisierung). Oder wir erkennen an, dass die Bri-ten nicht nur ein Bier trinken, das die Deutschen verschmähen, sondern auch, dass es sogar nach Deutschland importiert werden darf – nach dem Prinzip: „Wenn ihr das trinkt, wird es auch uns nicht um die Ecke bringen, wir vertrauen euren Gesundheitsäm-tern.“ Wobei unser Vertrauen durch gemeinsame Mindeststan-dards abgesichert ist. Beide Methoden, Harmonisierung und An-erkennung, haben Vor- und Nachteile. Der anfängliche Fokus auf Harmonisierung hat sich mit der Zeit zur gegenseitigen Anerken-nung hin verschoben.

Im Gegensatz dazu beschränkt sich die EU-Außenpolitik bis jetzt auf die Harmonisierungsstrategie. Europa soll mit einer Stimme sprechen, Henry Kissinger soll endlich eine Telefonnum-mer bekommen, unter der er im Krisenfall Europa anrufen kann. Doch ist diese Strategie heute noch gerechtfertigt? Vor allem: Ist sie erfolgreich?

Als Reaktion auf die europäischen Differenzen über den Irak-Krieg und auf US-Außenminister Rumsfelds Unterscheidung zwi-schen Altem und Neuem Europa wird heute alles daran gesetzt, ge-schlossen aufzutreten. Für die Philosophen Jürgen Habermas und Jacques Derrida war die generelle Ablehnung des Irak-Kriegs in der europäischen Bevölkerung ein Beweis dafür, dass es so etwas wie eine europäische Wertegemeinschaft gibt. Doch in der Außen-politik zählen nun mal nicht die Umfragen sondern Regierungen,

Ein Städtename wird zum Begriff. Das 1997 in Kyoto verabschiedete Abkommen verpflichtet die Industrienationen, ihre Schadstoffemissionen bis zum Jahr 2012 weltweit auf ein Niveau von fünf Prozent unter dem Stand von 1990 zu senken.

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BRAUCHT EURoPA EINE TELEFoNNUMMER?

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gegriffen. Diese sind aber meist dominiert von Ländern, die eine internationale Menschenrechts- und Freiheitspolitik blockieren. Dies ist in der UNO zu einem Problem geworden, wie nicht nur in der Sudan-Frage deutlich wird sondern auch in der Internationa-len Atomenergiebehörde (IAEO).

Die EU als Gegenmodell zu den USA aufzubauen – auch dies wird scheitern. Die Europäer sind nicht nur ‚Gut-Menschen’ und die Amerikaner ‚Schlecht-Menschen’. Zum Teil beruht diese

„Blockkonfrontation“ auf der tiefer liegenden Spannung zwischen „europäischen“ und universellen Werten. Um sich den Amerika-nern gegenüber abzugrenzen präsentiert sich Europa gern als die gute normative Macht. Menschenrechte, Demokratie etc. werden herangezogen, um die „europäische“ Identität zu beschreiben oder gar zu begründen. Gleichzeitig fordern die EU jedoch Län-dern wie China gegenüber ein, dass eben diese Werte universell seien! Langfristig kommt Europa damit in eine Zwickmühle. Denn wenn die Einhaltung der Menschenrechte und das Leben in einer Demokratie Europa definiert, könnte auch Südafrika zur EU gehö-ren. Das Problem ist, dass intern behauptet wird, diese Werte sei-en kontext-spezifisch, gleichzeitig aber in der Außenpolitik erklärt wird, sie seien universell. Doch ein solch wesenhafter Diskurs zur EU-Identität führt langfristig in die Sackgasse. Er wird herangezo-gen, um bestehende Differenzen zu übertünchen.

Warum gibt es diese Unterschiede unter den 27 Mitgliedern? Sie beruhen auf verschiedenen ökonomischen Interessen und an-ders gelagerten Abhängigkeiten. Die Gasabhängigkeit von Russ-land ist nicht bei allen EU-Staaten gleich groß. Nicht zu vergessen sind die Differenzen durch rechte und linke Regierungen. Aber der zentrale Grund sind historische Erfahrungen: Polen werden Russen gegenüber immer andere Empfindungen haben als Portu-giesen. Das ist normal, europäische Geschichte ist gezeichnet von Kriegen. Um aber trotzdem eine gemeinsame Grundlage zu ha-ben, wird an die „europäischen“ Werte appelliert. Der Preis eines solchen Essentialismus ist potenziell, gerade in Zeiten massiver Attacken auf die Universalität der Menschenrechte durch funda-mentalistische Strömungen, hoch.

SCHLUSSFoLGERUNGEN

1 Wir sollten aufhören, nach der „einen“ EU-Identität zu suchen. Auch die krampfhafte Fahndung nach der „einen gemeinsa-

men europäischen Stimme“ in der Außenpolitik sollten wir auf-geben. Das Zusammenleben von Vielfalt in einem friedlichen, rechtlich geregelten Rahmen, basierend auf solidarischen Min-deststandards, ist wahrscheinlich das, was uns wirklich als Euro-päer ausmacht.

2 Wenn wir die wichtigste Stärke der EU darin sehen, durch Verhandlung und nicht durch Kriege Konflikte zu lösen, mit

und diese waren sich eben nicht einig. Prägend war allerdings die Erfahrung, dass weder Blair als „Ja-Sager“, noch Schröder und Chirac als „Nein-Sager“ Einfluss auf George W. Bush hatten. Die von vielen Europäern gezogene Konsequenz: Nur wenn wir mit einer Stimme sprechen, haben wir etwas zu sagen (mit dem unter-schwelligen Verständnis: gegenüber den USA).

Tatsächlich gibt es herausragende Beispiele dafür, was die EU erreichen kann, wenn sie sich vereint einem Ziel verpflichtet. Ge-nannt seien hier die Etablierung des Internationalen Strafgerichts-hofs und die Formulierung des Kyoto-Protokolls, das die EU trotz oder gegen amerikanische Interessen durchgesetzt hat. Und wenn man vom Irak-Krieg absieht, spricht die EU de facto meist mit ei-ner Stimme: in der Handelspolitik, wichtiger Bestandteil jeder Au-ßenpolitik, und auch zu Menschenrechten in den Foren der UNO. Einstimmigkeit bringt oft Nutzen – sie kann aber auch einen Preis haben.

Einigkeit geht nicht immer mit Einfluss einher. Gerade dafür ist die europäische Menschenrechtspolitik in der UNO ein Beispiel. Wie eine Studie des neuen European Council on Foreign Relations zeigt, sinkt die Zustimmung der übrigen UN-Mitglieder zu EU-Positionen parallel zur Zunahme europäischer Einstimmigkeit.

Das hat viele Gründe. Ein altes Argument ist, dass die Euro-päer mehr Zeit damit verbringen, miteinander um Kommata zu ringen, als Partner im Süden zu gewinnen. Und welches Gewicht hat schon eine gemeinsame Stimme, die nichts aussagt? Unter den 27 EU-Staaten und bei dem weiter bestehenden Einstimmig-keitsprinzip im neuen Reformvertrag ist sie oft nur der kleinste gemeinsame Nenner, und dieser ist häufig inakzeptabel. An den Frauenrechten wird dies deutlich: Die Europäische Union vertritt mittlerweile Positionen in der UN-Frauenrechtskommission, die nicht mehr als fortschrittlich durchgehen können. Die nordischen EU-Länder tendieren deswegen zur Aufspaltung der EU und einer Wiederbelebung der „Nordic group“, um etwa mit Chile, Neusee-land, Südafrika gemeinsam gegen Polen und Irland vorzugehen. Und warum sollten sie nicht? Warum muss die EU mit einer Stim-me sprechen? Wo ist der Zwang? Wo der Nutzen?

Zu neuen Themen, die eine internationale Antwort erfor-dern, haben die 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union oft keine gemeinsame Position. Bei der internationalen Kodifizierung der Bedeutung von Menschenrechten im Kampf gegen den Ter-rorismus sind die wegweisenden Staaten heute Kanada und die Schweiz. Uns sollte klar sein: Der kleinste Nenner einer wirklich gemeinsamen Außenpolitik wird auf Nuklearpolitik basieren und interventionistisch sein.

Vielleicht noch wichtiger: Wenn die Europäer als Block auftre-ten, sehen sich andere Länder oft gezwungen, ebenfalls Allianzen und Partnerschaften einzugehen. Oft wird dann auf existierende Strukturen wie die G77, ein Zusammenschluss von Ländern der Dritten Welt, oder die NAM (Bewegung der Blockfreien) zurück-

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Komplexität produktiv umzugehen, wird deutlich: Alle Ergebnisse sind Kompromisse. Unverkennbar wird dann, dass es nie eine EU-Politik geben wird, die nicht verbesserungswürdig wäre. Aber der Zwang zur Einstimmigkeit bringt die Gefahr mit sich, dass nur der winzigste gemeinsame Nenner formuliert wird. Der aus ge-genseitiger Anerkennung abgeleitete Toleranzanspruch ist daher ein Plädoyer für Mehrheitsentscheidungen in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

3 Wenn man sich darauf mittelfristig nicht einigen kann, gibt es Auswege. Die erste Konsequenz wäre, den ausschließlichen

Fokus auf „eine Stimme“ zum potenziellen Inhalt dieser Stimme hin zu verschieben und zur Frage der möglichen Auswirkungen des „Mit einer Stimme sprechen“. Dies kann zu Mehrstimmigkeit führen. Können wir von ihr nicht profitieren?

4 Die offensichtlichste positive Möglichkeit ist eine „good cop/bad cop“ Rollenverteilung, die unterschiedliche Allianzen und

historisch gewachsene Einflussmöglichkeiten nutzt. Beispiel dafür wäre die europäische Reaktion auf die Orangene Revolution in der Ukraine. Solch eine Koordinierung setzt voraus, dass Vielfalt als Stärke anerkannt und nicht negativ gewertet wird.

5 Eine solche Einstellung würde die Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik vereinfachen, etwa in der euro-

päischen Nachbarschaftspolitik. Bis jetzt krankt diese an mangeln-der Führung, da sie hauptsächlich von der Kommission geleitet wird. Nun kommt vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy der Vorschlag einer Mittelmeerunion, in der sich hauptsächlich die Mittelmeerländer der EU mit ihren Partnern von Jenseits-des-Meeres zusammentun sollen. Der Aufschrei ist groß. Aber war-um? Wenn die Bedingung respektiert wird, dass diese Partner-schaft grundsätzlich für alle EU-Mitglieder offen ist und bleibt, kann es doch ein Vorteil sein, wenn sich Länder mit neuem Willen den Herausforderungen solcher Partnerschaften stellen.

6 Die Mindeststandards für die gegenseitige Anerkennung sind in den Verträgen bereits vorgegeben: Jedes EU-Land muss

zu jedem Zeitpunkt allen Partnerschaften beitreten können, In-formationen gehen an alle. Die Idee ist: Man einigt sich auf ge-meinsame Mindeststandards, und darüber hinaus gibt jeder sein Vetorecht gegen andere Herangehensweisen auf und koordiniert, wenn möglich, eine Rollenverteilung. Nur traut sich keiner, diese Vielfalt der Herangehensweise wirklich effektiv zu nutzen – das Mantra der einen Stimme ist zu groß. Doch könnten wir nicht viel-leicht mehr zum Frieden weltweit beitragen, wenn wir nach außen demonstrierten, dass in der Außenpolitik Vielfalt friedlich gelingt und Komplexität gestaltet werden kann? Vielleicht ist dies wesent-lich wichtiger als der Kampf um einen EU-Außenminister.|

»Die Europäische Union als Gegenmodell zu den USA aufzubauen – auch dies wird scheitern.«

Friedenssicherung. Die Bundeswehr verabschiedet die zweite KFOR-Einheit vor ihrem Einsatz bei der internationalen Truppe mit UN-Mandat und NATO-Führung im Kosovo, Juli 1999.

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»Für eine Erneuerung der transatlantischen Allianz einzutreten heißt ja nicht, Vasallentreue der Politik

der USA gegenüber zu üben. Aber aller Kritik zum Trotz gibt es eine besondere Nähe Europas zu den USA,

die sich aus den gemeinsamen wirtschaftlichen und politischen Grundlagen ergibt.« (Ralf Fücks)

»Demokratie existiert nicht nur jenseits des Atlantiks. Sie gibt es auch in Japan, Indien, Brasilien, Südafrika …

Das transatlantische Verhältnis ist ein Unikat, vor allem wegen seiner Geschichte. Eine Exklusivität für Beziehungen zwischen demokratischen Staaten kann es nicht beanspruchen.« (Jürgen Trittin)

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Vita & Publikationen

DIETER RULFF ist freier Publizist und lebt in Berlin. Nach vielen Jahren bei der TAZ war der Politologe zuletzt leitender Redakteur der Wochenzeitung Die Woche. Er ist verantwort-licher Redakteur von Vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik.

der EU gegen die transatlantische Allianz auszuspielen. Das wür-de zu einer neuen sicherheitspolitischen Spaltung Europas führen. Es gibt drei strategische Gründe, die transatlantische Allianz weiterzuentwickeln: erstens ist sie immer noch der militärische Sicherheitsschirm für Europa; zweitens bildet sie als Allianz von Demokratien eine Alternative zu einem autoritären Entwicklungs-modell, das in der Welt zunehmend Freunde findet – von China, Russland und dem Iran bis nach Lateinamerika; drittens hat sie ein stabiles materielles Fundament in einer dichten wirtschaft-lichen, wissenschaftlichen, kulturellen Integration beider Seiten.

Trittin: Wir müssen uns aber auch klar machen, dass sich das Verhältnis zu den USA, und zwar nicht zwischen Deutschland, sondern zwischen Europa und den USA, und damit zur Nato seit dem Ende der Bipolarität geändert hat. Das Zeitalter der Unilate-ralität ist nicht eingetreten. Es gibt eine multipolare Welt, deren unterschiedliche Pole unterschiedliche Werte und ökonomische Interessen aufweisen. Entsprechend unterschiedlich sind die Beziehungen.

Viele sehen die USA nicht als das funktionierende demokra-tische und rechtsstaatliche System, das sie ja sind. Die USA wer-den identifiziert mit Abu Ghraib, Guantanamo, mit unilateralem Angriffskrieg, auch mit einer feindlichen Haltung gegen Kuba. Das ist ein erhebliches Problem. Ich bezweifle, dass es im europä-ischen Interesse ist, damit identifiziert zu werden, denn es macht einen Teil der Wertefundierung auch Europas unglaubwürdig, wie Rechtsstaatlichkeit, Universalität.

Fücks: Für eine Erneuerung der transatlantischen Allianz einzutre-ten heißt ja nicht, Vasallentreue der Politik der USA gegenüber zu üben. Aber aller Kritik zum Trotz gibt es eine besondere Nähe Eu-ropas zu den USA, die sich aus den gemeinsamen wirtschaftlichen

Dieter Rulff: Gibt es Joschka Fischers Diktum noch, dass es keine grüne, sondern nur eine deutsche Außenpolitik gebe?

Trittin: Das hat auch für ihn nie gestimmt. Es gibt natürlich eine grüne Außenpolitik. Sie hat sich über die Jahre gewandelt, aber im Kern immer den Anspruch gehabt, die Ursache für Krieg und Leid zu mindern und eine aktive Friedenspolitik, die auf Gewalt-verzicht und -minimierung zielt, zu betreiben.

Fücks: Zu grüner Außenpolitik gehört auch ein erweiterter Sicher-heitsbegriff, der Armutsbekämpfung, Klimaschutz und Mensch-enrechte einschließt. Wir stehen für die Einbettung der Bundes-republik in die europäische Gemeinschaft und das transatlantische Bündnis sowie für den Vorrang multilateraler Arrangements vor nationalen Alleingängen.

Trittin: Zudem ein klares Bekenntnis zur Sicherheit des Staates Israel.

Fücks: Ich möchte noch die „responsibility to protect“ nennen, also die Verpflichtung der Völkergemeinschaft, gegen massive Menschenrechtsverletzungen, ethnische Säuberungen oder Geno-zid vorzugehen und nicht Halt zu machen vor dem Postulat der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten.

Rulff: Zur Zeit der alten Bundesrepublik war die Bünd-nistreue zu den USA Staatsräson. Die Grünen haben sich schon damals nicht daran gehalten und in der zweiten Hälfte des rot-grünen Regierens war eher die Ablehnung der US-Politik Staatsräson. Sind die Grünen keine Atlantiker?

Fücks: Der Begriff ‚Bündnistreue’ beschreibt nicht das, worum es geht. Ich bin durchaus für eine Emanzipation der EU gegenüber den USA, ich bin nur dagegen, eine stärkere weltpolitische Rolle

»ES GIBT KEINE GRüNE AUSSENPoLITIK.« oDER DoCH? Diskussion mit Jürgen Trittin, außenpolitischer Sprecher der Grünen und ehemaliger Umweltminister, und Ralf Fücks, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung. MoDERATIoN: DIETER RULFF

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als Gegenprojekt zur Nato. Die Nato agiert nicht außerhalb des Völkerrechts und nicht gegen die UN, sondern kann ein wichtiger Produzent von Ordnungsmacht im Rahmen der Vereinten Natio-nen sein. Dafür ist sie noch auf lange Zeit unverzichtbar. Afgha-nistan ist ein beredtes Beispiel.

Trittin: Es ist klar, dass nur die Nato solche Einsätze wie Afgha-nistan fahren kann. Es geht nicht um Nato ja oder nein, sondern um deren Grenzen. Die Hauptkrisengebiete befinden sich im Nahen und Mittleren Osten und auf dem afrikanischen Kontinent. Wenn Stabilisierung eine der Hauptherausforderungen für uns ist, dann muss die Frage sein: Was sind die Instrumente dafür?

Das ist genau das Problem, das die Nato heute hat. Schon di-rekt vor der eigenen Haustür wurde sie als stabilisierendes Instru-ment nicht akzeptiert. So richtig es ist, dass sie zurzeit die einzige Macht ist und auf Dauer nicht komplett zu ersetzen sein wird, so sehr ist es für uns von existenzieller Bedeutung, die Strukturen der UN und auch die eigenständigen Strukturen innerhalb der EU zu stärken.

Da sind wir beim Zielkonflikt: Wir haben 15 000 Soldaten im Auslandseinsatz. Da ist man mit den Kapazitäten schnell am Ende und bei der Frage: Was hat Priorität? Ich würde sagen: UN zuerst. Was ist eigentlich mehr im europäischen Interesse? Das ist doch der Aufbau einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicher-heitspolitik. Die hat übrigens gegenüber allen anderen Bündnis-sen einen Vorteil: Sie verfügt über Ansätze demokratischer, sprich: parlamentarischer Kontrolle.

Fücks: Ich würde der Beschreibung der heutigen Weltlage als multipolarer Welt so nicht folgen. Wir haben eine plurale Staaten-welt. Aber „multipolar“ ist ein Ordnungsbegriff, der zu einer klas-sischen Gleichgewichtspolitik führt. In dieser Logik wäre die EU

und politischen Grundlagen ergibt. Und bei realistischer Betrach-tung können viele globale Probleme nur gelöst werden, wenn EU und USA gemeinsam auftreten, von der Klimapolitik bis zur Ver-hinderung der atomaren Bewaffnung Irans. Wenn wir uns da aus-einander dividieren, werden beide nichts ausrichten.

Rulff: Sie haben den Kopf geschüttelt?Trittin: Demokratie existiert nicht nur jenseits des Atlantiks. Sie gibt es auch in Japan, Indien, Brasilien, Südafrika… Das transat-lantische Verhältnis ist ein Unikat, vor allem aber wegen seiner Geschichte. Eine Exklusivität für Beziehungen zwischen demokra-tischen Staaten kann es nicht beanspruchen.

Es war richtig, dass Deutschland federführend mit der EU, am Ende mit Russland und 175 Staaten der Welt das Kyoto-Proto-koll ausgehandelt hat – gegen den massiven Widerstand der USA. Es war richtig, gegen den Widerstand der USA den internationa-len Strafgerichtshof durchzusetzen. Man muss bei der Verwirkli-chung eines effektiven Multilateralismus gerade den Widerspruch zu den USA samt massiver Konflikte aushalten.

Rulff: Das ist bei der Klimapolitik einleuchtend. Wesentlich schwieriger sind die Fragen militärischer Kooperation zu beantworten. Dort besteht nicht nur der Dissens zu den USA, sondern auch innerhalb Europas. Wer ist denn eigentlich der globale Akteur „Europa“?

Fücks: Unsere Differenz liegt nicht in der Frage, ob Europa sei-ne Ziele und Interessen gegebenenfalls auch gegen die USA ver-treten muss. Die Differenz liegt im Gewicht, das wir der Demo-kratiefrage für die Außenpolitik beimessen. Die transatlantische Allianz soll ein offenes Netzwerk von Demokratien sein, das sich global erweitert. Ich bin für eine starke europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, für eine europäische Armee. Aber nicht

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ein Machtpol wie die USA, wie China, Indien, Russland. Ich höre bei dir immer mit, dass es letztlich eine Äquidistanz geben sollte zwischen Europa und den anderen Machtpolen auf der Welt. Die-se Analyse teile ich nicht.

Trittin: Von Äquidistanz ist nicht die Rede. Wenn ich darauf be-harre, dass es zwischen den Polen der Welt jeweils spezifische Po-litik geben muss, schließt das nicht aus, dass es unterschiedliche Nähen gibt. Aber die Idee einer Allianz der Demokratien ist ers-tens eine klare Abkehr vom Versuch, die vorhandene multilaterale Struktur der Vereinten Nationen zu stärken; zweitens verkennt sie, dass diese Frage bei den potenziellen Partnern für solche Projekte völlig anders gesehen wird.

Du wirst Länder wie die ASEAN-Staaten oder die Länder La-teinamerikas nicht in eine solche Allianz kriegen, die von vielen als Angriff auf sich oder auf ihre Nachbarn gesehen wird. Die Erweiterung der Nato zu einer faktischen Gegenorganisation der UNO ist nicht vereinbar mit einem Ansatz, der diese multipolare Welt durch Verrechtlichung, das heißt durch Multilateralität, über-winden will.

Fücks: Klarstellung: Eine Allianz der Demokratien ist kein Gegen-modell zu den Vereinten Nationen, sondern ein politisches Netz-werk im Rahmen der UN. Wir sollten nicht das Ziel der Demokra-tieförderung aufgeben, nur weil Bush es diskreditiert hat.

Rulff: Wenn die europäische Kritik an den USA, zum Beispiel an deren militärischem Vorgehen in Afghanistan, ernst genommen werden will, müssten dann die Kritiker sich nicht selber stärker engagieren – auch Deutschland?

Trittin: Ich würde die Frage zuspitzen. Ich glaube, dass man in Afghanistan nur dann wirklich eine Rolle spielen kann, wenn man

als Shareholder an diesem Projekt einen ordentlichen Anteil hat. Ich kritisiere nicht, was die Vereinigten Staaten im Rahmen des Polizeiaufbaus tun.

Was ich aber kritisiere, ist, dass es außerhalb der Nato eine zweite Kommandostruktur gibt. Das heißt, dass in einem Gebiet, wo eine Nato-Operation stattfindet, eine andere und davon nicht gesteuerte und nur mangelhaft koordinierte militärische Operati-on stattfindet. Das halten übrigens Teile unseres Militärs, des briti-schen Militärs bis in die amerikanische Spitze des ISAF-Komman-dos von International Security Assistance Force (ISAF) hinein für einen Misstand, den es zu überwinden gilt.

Fücks: Wenn ich mich nicht irre, haben die Amerikaner sogar an-geboten, Opperation Enduring Freedom (OEF) in ISAF zu integ-rieren. Und genau das wäre richtig.

Trittin: Richtig.

Fücks: Das heißt natürlich auch: mehr militärische Verantwor-tung der Europäer.

Rulff: Auch der Deutschen?Trittin: Ja. Warum überlassen wir die Militärausbildung den USA? Das kann die Nato mindestens genauso gut wie die USA alleine. Warum findet das nicht statt?

Rulff: Bedeutet das weniger umstrittene Luftangriffe, die für erhebliche zivile opfer verantwortlich sind, und mehr Bodentruppeneinsatz, was bekanntlich mit mehr Einsatz risiken verbunden ist?

Fücks: Die Einsatzrichtlinien für Luftangriffe wurden aufgrund der Kritik der afghanischen Regierung und der UN bereits geändert.fo

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Trittin: Das Ziel der Europäer und Deutschlands war immer die Kontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde über das iranische Atomprogramm. Alle sechs beteiligten Mächte eint der Minimalkonsens, dass der Iran keine Atomwaffen haben soll. Doch es kommen noch sehr unterschiedliche Agenden hinzu. Es gibt in den USA das Ziel, dieses Regime zu stürzen. Es gibt bei anderen wirtschaftliche Interessen. Legitim ist nur eines: UN-mandatierte Sanktionen mit dem Ziel, die Iraner wieder unter die Kontrolle der IAEO zu bringen. Alles andere muss sich die Frage gefallen lassen, ob es mit dem Primat des Völkerrechts und der Vereinten Nationen vereinbar ist.

Fücks: Natürlich muss man anstreben, Russland und China mit ins Boot zu kriegen. Aber man sollte Sanktionen nicht von ihnen abhängig machen. Russland liefert Iran nicht nur nukleare Aus-rüstung, sondern auch Raketentechnik. Das ist ein doppeltes Spiel. Wenn wir die fatale Alternative „Iranische Atombombe oder Bom-bardierung des Iran“ vermeiden und die USA auf eine politische Lösung verpflichten wollen, müssen wir zu Sanktionen bereit sein, die das Regime in Teheran unter Druck setzen.

Trittin: Das unterstellt doch, dass die USA auf zivile Lösung setzen.

Fücks: Zumindest weiß ich, dass die USA nicht ausschließlich auf eine militärische Lösung setzen.

Trittin: Nicht ausschließlich heißt aber eben doch. Ich bin aus der Erfahrung mit dem Irak sehr zurückhaltend, was die Teil-nahme an der coalition of the willings angeht, wenn sich dabei auf weapons of mass destruction berufen wird. An Sanktionen, die der Kriegsvorbereitung dienen, sollte man sich nicht beteiligen. Zu-mal die dafür zuständige internationale Atomenergiebehörde Iran zum jetzigen Zeitpunkt bescheinigt, dass er voll umfänglich mit der IAEO kooperiert.

Trittin: Das ändert aber nichts daran, dass in Afghanistan weiter-hin außerhalb von ISAF und zum großen Teil auch ohne Kennt-nis der ISAF-Kommandeure solche Operationen stattfinden, die dieses Eskalationspotenzial haben. Die wirklich robuste Verteidi-gung des Aufbaus des Landes ist der Kern des Auftrages von ISAF. Das ist nicht einfach nur Peacekeeping, sonst könnten das auch an-dere machen. Das kann nur eine solche Organisation wie die Nato. Wir streiten nicht aus einer abstrakten antiamerikanischen Hal-tung für ein Modell. Doch nachdem die Vereinten Nationen die Gesamtkompetenz für Afghanistan ISAF gegeben hat, wollen wir konsequenterweise, dass deren militärisches Kommando diesen Stabilisierungs- und Sicherungsauftrag wahrnimmt.

Fücks: Ich glaube, die Hauptgefahr eines Scheiterns in Afghanis-tan liegt in der Halbherzigkeit des Engagements. Ist die demokra-tische Öffentlichkeit in Deutschland bereit, sich in einer langwie-rigen, gefährlichen und kostspieligen Mission mit den nötigen Mitteln zu engagieren? Halbherzigkeit führt in die Niederlage.

Rulff: Ein zweites Konfliktfeld, auf dem es Differenzen zwi-schen den USA und Europa gibt, ist Iran. Die USA wollen mit ihrem Embargo Druck ausüben, England und Frank reich ziehen mit. Was empfehlen Sie Deutschland?

Trittin: Deutschland muss die Linie verfolgen, die sechs zusam-men zuhalten.

Fücks: Das sollten wir anstreben. Aber willst du Russland und China faktisch die Entscheidungsbefugnis darüber geben, wie weit Sanktionen Iran gegenüber gehen? Von beiden wissen wir, dass sie zumindest ambivalente Interessen gegenüber Iran verfol-gen. Atomwaffen in den Händen des iranischen Regimes wären ein hohes Risiko für Frieden und Sicherheit in der Region. Das sehen auch alle Nachbarn so. Wenn sich der Sicherheitsrat nicht als handlungsfähig erweist, müssen die USA, Europa und Japan bei Sanktionen vorangehen, um Iran zum Einlenken zu bewegen.

Entwicklungspolitisches Forum der Heinrich-Böll-StiftungKongress, 27.-29. Februar 2008, Kronprinzenpalais, Berlin

KLIMA UND WANDEL IN AMAZONIENIm Mai 2008 ist Deutschland Gastgeber der 9. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention zumSchutz der Biologischen Vielfalt (CBD). Im Vorfeld der Konferenz befasst sich die Heinrich-Böll-Stiftung auf ihrem Kongress mit dem Thema Biodiversität am Beispiel Amazonien.Zahlreiche brasilianische und internationale Akteure diskutieren, ob der Erhalt des größtenTropenwaldgebiets der Welt entscheidend für den Schutz des Weltklimas ist. Im Mittelpunkt stehtdie Frage, wie in Amazonien die Bevölkerungen überleben, aber auch die Biodiversität und die rie-sigen Süßwasservorräte geschützt werden können.

Mit: Dr. João Paulo Capobianco (Staatssekretär, MMA), Wolfgang Cramer (PIK), Thilo Hoppe(MdB), Martin Kaiser (Greenpeace), Dr. Valmir Gabriel Ortega (SEMA, Umweltminister vonPará), Imme Scholz (DIE), Almir Suruí (COIAB), Letícia Tura (FASE) u.a.

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Fücks: Die IAEO hat Iran keinen Persilschein ausgestellt. Das Re-gime spielt auf Zeit, es gibt nach wie vor viele offene Fragen zu seinem Atomprogramm.

Rulff: Die in der früheren Bundesrepublik gepflegte „Kultur der Zurückhaltung“ in außenpolitischen Fragen ist inzwischen einer intervenierenden Politik gewichen. Bundeswehr und Polizei sind an den Grenzen ihrer Kapazi-täten, die zivile Hilfe hinkt den Erwartungen hinterher. Muss die Außen- und Verteidigungspolitik auch finanziell stärker ausgebaut werden?

Fücks: Deutschland muss seine Kapazitäten für internationale Politik stärken. Angesichts des Aufkommens neuer Mächte und einer Vielzahl regionaler Konflikte ist die Notwendigkeit einer ak-tiven Weltordnungspolitik enorm gewachsen. Europa muss eine präventive Stabilisierungspolitik übernehmen. Dafür müssen wir alle Instrumente stärken: Entwicklungshilfe, kulturelle Zusam-menarbeit, Demokratieförderung. Aber wir müssen auch in der Lage sein, gemeinsam mit anderen Europäern militärische Siche-rungsaufgaben zu übernehmen.

Rulff: Sie stimmen zu?Trittin: Man kann nicht von Globalisierung reden und sich auf den Nationalstaat des 19. Jahrhunderts zurückziehen.

Rulff: Sie wollen in der nächsten Regierungskoalition, sofern sie unter Beteiligung der Grünen stattfindet, zweitstärkste Kraft werden?

Trittin/Fücks: Klar doch.

Rulff: Würden Sie auch das Außenministerium haben wollen?

Trittin: Wir streiten für Mehrheiten. Wenn der Bär auf dem Tisch liegt, gucken wir, was für die Grünen wichtige Teile sind.

Rulff: Herr Fücks, Sie sind unbefangener: Ist das Außen-ministerium ein für die Grünen wichtiger Teil?

Fücks: Ja, sicher. Erstens ist es ein Gestaltungsressort, dessen Be-deutung noch zunehmen wird. Zweitens hat es ein spezifisches politisches Gewicht in der Öffentlichkeit. Sich das abhandeln zu lassen, hätte einen sehr hohen Preis.|

8. November. Auftritt von Osama Bin Laden und seinem Stellvertreter Ayman El Zawahiri in einer Videobotschaft nach dem Anschlag auf das World Trade Center.

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Vita & Publikationen

oLIVER THRäNERT leitet die Forschungsgruppe Sicherheits-politik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin. JüNGSTE VERÖFFENTLICHUNG: „Rüstungskon trolle und Nichtverbreitungspolitik”, in: Thomas Jäger/Alexander Höse/Kai

Oppermann (Hg.), Deutsche Außenpolitik. Sicherheit, Wohlfahrt, Institutionen und Normen, Wiesbaden 2007.

eine Sonderrolle einnehmen, würde Neu Delhi damit außerhalb des NPT als weitere Kernwaffenmacht anerkannt. Auch wenn ak-zeptiert wird, dass der Demokratie Indien eine immer größere Rol-le bei der Lösung einer Reihe internationaler Konflikte zukommt und das Land daher nicht dauerhaft als Außenseiter behandelt werden sollte: Aus der Sicht vieler Nichtkernwaffenstaaten ist die Anerkennung Indiens als Nuklearmacht durch die Hintertür ein schwerer Schlag.

Zumal der NPT ohnehin von vornherein diskriminierend an-gelegt war. Fünf Vertragsstaaten wurde der Besitz von Kernwaffen erlaubt: den USA, der Sowjetunion (später Russland), Frankreich, Großbritannien und China. Alle anderen verzichteten. Sie taten dies in der Erwartung, dass die Kernwaffenstaaten ihrem im NPT gegebenen Versprechen nachkämen, Schritte zur nuklearen Abrüs-tung zu ergreifen. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde zwar zahlenmäßig tatsächlich abgerüstet, andererseits wurden jedoch Kernwaffen modernisiert. Außerdem weigern sich die USA, den symbolträchtigen umfassenden nuklearen Teststoppvertrag zu ak-zeptieren. So spitzt sich der Streit zwischen Kernwaffen- und Nicht-kernwaffenstaaten zu. Die NPT-Überprüfungskonferenz 2005 – solche Treffen finden alle fünf Jahre statt – konnte sich nicht auf ein substantielles Schlussdokument einigen.

Die Bindewirkung des NPT schwindet also. Dennoch soll-te ihm auch in Zukunft eine zentrale Stellung zukommen. Drei Gründe sind dafür ausschlaggebend: internationale Koalitionsbil-dung gegen mögliche Proliferateure, also Staaten, die sich illegal Atomwaffen verschaffen wollen; Transparenz und Vertrauensbil-dung; Stil der internationalen Politik.

DER FALL IRAN ist ein aktuelles Beispiel für internationale Koalitionsbildung angesichts drohender nuklearer Weiterverbrei-tung. Nachdem offenbar wurde, dass sich Teheran über viele Jahre nicht an seine Meldepflichten der Internationalen Atomenergie-behörde (IAEO) gegenüber gehalten hatte, reisten die Außenmi-nister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens 2003 in die iranische Hauptstadt. Ziel war es, Iran dabei zu helfen, selbst verspieltes internationales Vertrauen zurückzugewinnen. Dem

A nfang der 60er-Jahre malte der damalige US-Präsident John F. Kennedy das Schreckgespenst einer Welt mit mehr als 25

Kernwaffenstaaten an die Wand. Diese negative Utopie ist bisher zwar nicht Wirklichkeit geworden, doch nicht wenige Experten erwarten schon bald eine nukleare Lawine. Ihr Vertrauen in den Atomwaffensperrvertrag (NPT) scheint erschöpft.

Dieses Abkommen wird von seinen Befürwortern als Versuch beschrieben, mit Hilfe rechtlicher Regelungen den Zugang zur größten Zerstörungskraft, die der Mensch je entwickelt hat, zu be-grenzen. Auch wenn die Vereinbarung mittlerweile in die Jahre gekommen ist – der NPT trat 1970 in Kraft – kommt ihm auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine zentrale Rolle für die Organisati-on internationaler Sicherheit und Ordnung zu.

Gleichwohl ist unübersehbar, dass sich der NPT in einer tie-fen Krise befindet. Da sind zunächst die Problemfälle Nordkorea und Iran. Nordkorea ist als erstes Land dem NPT beigetreten, doch ungeachtet dessen hat es im Oktober 2006 eine Kernexplosion ge-zündet. Zwar ist es gelungen, Pjöngjang vom Einfrieren und ei-ner allmählichen Zerstörung seiner Atomanlagen zu überzeugen, doch inwieweit diese Vereinbarungen tatsächlich umgesetzt wer-den, bleibt abzuwarten. Bei Iran bestehen massive Zweifel, ob sein Atomprogramm – wie von dessen politisch-religiöser Elite behaup-tet – tatsächlich nur zivilen und keinen militärischen Zwecken dient. Der Weltsicherheitsrat hat einstimmig zwei Resolutionen verabschiedet, die Teheran dazu auffordern, u. a. sein Urananrei-cherungsprogramm einzufrieren. Obwohl diese Resolutionen mit Sanktionen bewehrt wurden, zeitigten sie bislang keinen Erfolg.

BEZüGLICH DER MITGLIEDSCHAFT ist der NPT das erfolg-reichste multilaterale Rüstungskontrollabkommen aller Zeiten: Alle Staaten haben ihn unterschrieben – bis auf drei Ausnahmen: Indien, Pakistan und Israel. Ausgerechnet diese drei verfügen über Kernwaffen. Nach dem Willen der USA sowie einiger Länder wie Frankreich, Großbritannien und Russland soll Indien sogar die internationale Zusammenarbeit bei der zivilen Nutzung der Kernenergie gewährt werden. Bisher galt: Technologiekooperation bekommt nur, wer auf Nuklearwaffen verzichtet. Sollte Indien nun

1. AUS EURoPäISCHER SICHT. VoN oLIVER THRäNERT

KNACK PUNKT AToM.24 szenarIen

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Land wurden umfangreiche wirtschaftliche Anreize versprochen. Teheran sollte allerdings die umstrittene Urananreicherung stop-pen. Iran sagte dies zunächst zu, stellte dann neue Forderungen, um sich schließlich wieder von den mit den Europäern getroffe-nen Vereinbarungen zurückzuziehen. In der Folgezeit gelang es den Europäern, die USA, Russland und China und damit alle fünf Veto-Mächte des Sicherheitsrates mit ins Boot zu holen. Dies, ob-wohl Moskau wie auch Peking im Iran massive wirtschaftliche und energiepolitische Interessen verfolgen.

DIESE INTERNATIoNALE KoALITIoN war die Voraussetzung für die einstimmige Verabschiedung der UN-Sicherheitsresolutio-nen, die Iran völkerrechtlich verbindlich zur Umkehr von seinem Atomkurs aufforderten. Ohne die vorherige Koalitionsbildung und ohne die Vorarbeit der Europäer wäre dies nicht gelungen. Die Koalitionsbildung wiederum wäre ohne die Existenz des NPT und die dadurch verankerte nukleare Nichtverbreitungsnorm kaum möglich gewesen.

Ein zweiter Grund, sich auch in Zukunft für einen starken NPT einzusetzen, ist Transparenz und Vertrauensbildung. Immer mehr Regierungen erwägen den Einstieg in die zivile Nutzung der Kernenergie. Man mag berechtigte Zweifel an diesem von vielen als „Renaissance der Kernenergie“ bezeichneten Prozess haben, eines steht jedoch fest: Ohne die Inspektionen der IAEO, die für ihre Arbeit 2005 den Friedensnobelpreis bekam, würde ein massi-ver internationaler Vertrauensverlust diese Entwicklung begleiten. In vielen Hauptstädten würde geargwöhnt, ob die zivilen Nuklear-projekte des Nachbarn nicht doch auch militärische Ziele beinhal-ten. Eigene geheime Programme wären die Folge.

Drittens schließlich ist der NPT in vielen Dokumenten und Reden zu Recht als Eckpfeiler der auf Kooperation abzielenden Nichtverbreitungspolitik beschrieben worden. Ohne diesen stün-den früher oder später auch die Übereinkunft über Chemie- und Biologiewaffen in Frage. Träte eine solche Entwicklung ein, ginge die gesamte Idee der vertraglich vereinbarten Beschränkung be-stimmter Rüstungen verloren.

UNABHäNGIG VoM NPT verzichten viele Staaten auf Kern-waffen – sei es, weil ihnen die technischen und finanziellen Mittel fehlen oder sie es für klüger halten, auf einen nuklearen Rüstungswettlauf mit den Nachbarn zu verzichten, oder weil sie es weiterhin vorziehen, sich unter den nuklearen Schirm eines Al-lianzpartners zu begeben. Ohne NPT würden wir also nicht auto-matisch in der einst von Kennedy beschriebenen Welt ankommen. Auf jeden Fall wäre diese Welt aber unsicherer als heute. Daher sollte alles getan werden, um den Atomwaffensperrvertrag nicht nur zu erhalten, sondern zu stärken.

Dazu gehört in erster Linie die Verbesserung der Kontrollmaß-nahmen. Das Zusatzprotokoll zu den IAEO-Sicherungsabkom-men beinhaltet umfangreichere Meldepflichten sowie erweiterte Zugangsmöglichkeiten für die Inspektoren. Leider haben sich erst weniger als die Hälfte der NPT-Mitgliedsstaaten zu seiner Inkraft-setzung entschlossen. Es bedarf also weiterer Überzeugungsar-beit. Auch die verschiedenen Ideen für den Aufbau internationaler Zentren für Urananreicherung und Wiederaufbereitung sollten weiterentwickelt werden. Dadurch könnte der Zugang zu diesen gefährlichen Technologien besser kanalisiert werden. All dies dürfte aber nur zu verwirklichen sein, wenn es beim iranischen Atomprogramm zu überzeugenden und kooperativen Lösungen kommt.|

»Gleichwohl ist unübersehbar, dass sich der Atomwaffensperrvertrag in einer tiefen Krise befindet.«

KNACK PUNKT AToM.Die Bindewirkung des Atomwaffensperrvertrags schwindet. Was ist er heute eigentlich noch wert?

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Vita & Publikationen

JING-DoNG YUAN ist Direktor des Ostasiatischen Nichtverbreitungsprogramms beim James Martin Center for Nonproliferation Studies, und Associate Professor of Internatio-nal Policy Studies des Monterey Institute of International Studies, USA. JüNGSTE VERÖFFENTLICHUNG: Co-Autor von „China and India: Cooperation or Conflict”, Lynne

Riener Publisher, 2003.

fällt mit der gleichberechtigten Implementierung von drei Fakto-ren: atomare Abrüstung, Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen und friedliche Nutzung der Kernenergie. Aus Sicht vieler Mit-gliedsstaaten, die keine Nuklearwaffen besitzen, wird der Aspekt der Nichtweiterverbreitung zu Lasten der anderen beiden Aspekte allzu stark betont. Überdies – so wird es weithin wahrgenommen – wird bei der Anwendung des Vertrags auf Israel mit zweierlei Maß gemessen.

Der Schaden, den der NPT durch den Nukleardeal der USA mit Indien erlitten hat, wird Folgen haben. Chinesische Kom-mentatoren kritisieren diesen Deal als deutliche Aufkündigung der Nichtweiterverbreitungspolitik durch die USA und als äußerst unguten Präzedenzfall. Dieser Nukleardeal wird die Handhabung der Streitfälle Iran und Nordkorea erschweren und erbitterten Widerspruch aus Teheran und Pjöngjang provozieren, wenn Wa-shington sie zur Aufgabe ihrer Atomprogramme auffordert. Auch wird womöglich Pakistan die gleiche Behandlung für sich fordern, die Indien zuteil wurde.

Gut möglich, dass weitere Länder diesem Beispiel folgen. Tat-sächlich besteht allgemein Konsens darüber, dass der von den USA und Indien vollzogene Nukleardeal ein schlechtes Beispiel für Län-der abgibt, die über hoch entwickelte Nukleartechnologie verfügen, auf die Entwicklung eigener Atomwaffen aber bewusst verzichten. Indien habe, betonen Kommentatoren, unter Missachtung des Sperrvertrags Atomtests durchgeführt und werde dafür belohnt.

DIE GLoBALISIERUNG, die Verbreitung von Technologien ein-schließlich so genannter nuklearer Dual­Use-Technologien und der vorhergesagte Zuwachs ziviler Kernenergie stellen das NPT-Regime vor erhebliche Herausforderungen. Der Weltmarkt für Kernenergie dürfte sich in den nächsten dreißig Jahren verdop-peln. Viele der neuen Reaktoren werden jetzt geplant – in China, Indien und den USA –, da die Nachfrage nach Energie steigt. Trotz der Vorteile für die Umwelt gibt es auch latente Risiken bei der Ausweitung der Kernenergie: hohe Anfangsinvestitionen, atoma-rer Abfall und dessen Lagerung, Proliferationsprobleme und – als größte Gefahr – nuklearen Terrorismus.

B ejing hat die Risiken der Proliferation von Massenvernich-tungswaffen erkannt und sich den Normen, Grundsätzen

und Positionen wichtiger internationaler Verträge und multilatera-ler Abkommen angenähert. Ein Hauptstreben Chinas ist die Stär-kung des bestehenden internationalen Nichtverbreitungsregimes für Nuklearwaffen, insbesondere des Atomwaffensperrvertrags (NPT), der heute gefährdeter ist als je zuvor.

Es gibt tief liegende politische Ursachen und eine wachsende technische Komplexität, die die Legitimität und Wirksamkeit des NPT-Regimes untergraben. Verschärft werden diese Nöte durch die wachsende Unzufriedenheit und Ernüchterung angesichts der von den großen Atomwaffenstaaten versprochenen nuklearen Abrüstung. Der NPT war schon immer mit dem Stigma der Un-gerechtigkeit behaftet – Atomwaffenbesitzer und nukleare Habe-nichtse –, das allenfalls durch das erklärte Ziel einer späteren Ab-schaffung der Massenvernichtungswaffen gemildert wurde. Auch wenn die USA und Russland nach Ende des Kalten Krieges ihre nuklearen Waffenarsenale drastisch reduziert haben, besitzen sie noch heute Tausende von einsatzfähigen strategischen und takti-schen Atomwaffen.

Der allgemein empfundene Stillstand der nuklearen Abrüs-tung, verstärkt durch die wachsende militärische Überlegenheit und den Unilateralismus der USA und deren Strategie der prä-ventiven Gewaltanwendung, schafft für viele Staaten den Anreiz zur Beschaffung von Nuklearwaffen: als Sicherheitsgarantie, Pres-tigesymbol und Zeichen des eigenen Großmachtstatus. Darüber hinaus könnte das Bemühen der USA, bunkerbrechende Atom-sprengköpfe mit geringer Sprengkraft zu entwickeln, dazu führen, die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen zu senken und das Unsicherheitsgefühl der Nichtatomstaaten zu erhöhen. Dadurch wird die Stärkung des NPT massiv erschwert, wie die jüngsten NPT-Revisionskonferenzen belegen.

Eine zweite Herausforderung für das NPT-Regime hat mit der empfundenen Diskriminierung zu tun und damit, dass bei der Interpretation und Durchsetzung der im Vertrag festgelegten Verpflichtungen mit zweierlei Maß gemessen wird. Die Legitimi-tät des NPT als einer großen politischen Übereinkunft steht und

2. AUS CHINESISCHER SICHT. VoN JING-DoNG YUAN

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China sieht diese Herausforderungen, bleibt aber entschlos-sen, den Atomwaffensperrvertrag als unersetzbares internationa-les Instrument zu stärken. Eingedenk der politischen und techni-schen Ursachen, die diesen Herausforderungen zu Grunde liegen, sieht Beijing die Rettung der Atomwaffensperrpolitik in Folgen-dem: Es muss versucht werden, regionale Spannungen abzubau-en, Vertrauensbildung zu fördern und Sicherheitsmechanismen zu entwickeln, welche die Motive der Länder berücksichtigen, die aus Gründen der Sicherheit nach Atomwaffen streben. Staaten, die nukleare Waffen besitzen, sollten ihr Gelöbnis erneuern, dass sie keine Atomwaffen gegen Staaten einsetzen werden, die keine haben.

DIE GRoSSEN AToMMäCHTE SoLLTEN VoRANGEHEN und ihre nuklearen Waffenarsenale reduzieren. Sie sollten ebenfalls die Rolle minimieren, die den Atomwaffen in ihrer nationalen Verteidigungsstrategie zugedacht ist.

Die allgemeine Geltung als auch die Wirksamkeit des NPT müssen gestärkt werden. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) sollte unterstützt werden als maßgebliche internationale Instanz, die die Einhaltung der Vertragsbestimmungen durch die Mitgliedsstaaten überwacht, prüft und durchsetzt und die friedli-che Nutzung der Kernenergie erleichtert.

Es sollten mehr Mitglieder zur Ratifizierung des IAEO-Zusatz-protokolls ermuntert, ja angehalten werden, um die Sicherungs- und Überprüfungsmechanismen zu stärken. Die Mitgliedsstaaten müssen ihrerseits neu definieren, welche nuklearen Aktivitäten erlaubt und verboten sein sollen. Sie müssen die Interpretation des Artikels 4 des NPT über die friedliche Nutzung der Atomener-gie ernsthaft überdenken und zwingende Maßnahmen einführen, mit denen verhindert werden kann, dass ein Land zur Entwick-lung von Atomwaffen übergeht.

Und schließlich sollte im Umgang mit nuklearen Problemen, von Nordkorea bis Iran, anstelle von Sanktionen die Diplomatie das vorrangige Instrument bleiben.|

Übersetzung: Andreas Bredenfeld

China, die kommende Großmacht. In der Großen Halle des Volkes wird die Plenartagung des Volkskongresses in Beijing eröffnet.

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2002

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Asien trägt angesichts der zunehmenden Isolierung durch den Westen Früchte. Multipolarität heißt für Iran vor allem Gegen-macht zu den USA. Russlands und Chinas Konkurrenz zum Wes-ten hilft Teheran im Atomstreit.

Zur Ausweitung seines Einflusses in der Region unterstützt Iran vor allem solche Kräfte, die dem globalen Trend zur asym-metrischen Kriegsführung gegen reguläre Armeen folgen wie die palästinensische Hamas und die libanesische Hizbullah, deren Er-folg im Krieg gegen Israel im Sommer 2006 die iranische Propa-ganda als eigenen Sieg ausschlachtete.

Das oberste Ziel iranischer Außenpolitik ist die Unversehrt-heit seines Territorialstaats und seines politischen Systems. Kei-neswegs nur die amerikanische Präsenz in der Region, sondern deren allgemeine Instabilität sowie die historische Erfahrung im-perialistischer Eingriffe und die separatistischen Tendenzen unter Irans transnationalen Minderheiten wie Azeris, Kurden, Araber, Turkmenen und Belutschen gelten Teheran als Bedrohung. Nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ fordert Ahmadi-nedjad eine „aggressive Außenpolitik“ und wird darin von Revolu-tionsführer Khamenei unterstützt. Es geht um Regimesicherung angesichts der sich trotz aller Repressalien modernisierenden ira-nischen Gesellschaft.

Standhaftigkeit, Widerstand, Herausforderung und Einfluss sind dabei die zentralen Kategorien. Entspannung und Dialog, die die Außenpolitik der Ära Khatami markierten, sollen nur aus einer Position der Stärke heraus betrieben werden. Als positives Ziel wird „Gerechtigkeit unter den Nationen“ genannt. Aggressi-ve Selbstbehauptung paart sich mit Sendungsbewusstsein. Die Rechtfertigung von Einflusspolitik durch Sendungsbewusstsein zeigt eine strukturelle Ähnlichkeit zur vorherrschenden außenpo-litischen Haltung der USA ebenso wie das Denken in konfrontati-ven Dichotomien von Freund/Feind und gut/böse.

Ein klares Bild von dem, was alles Iran in der Region tut, ist schwer zu gewinnen. Um seinen Einfluss zu vermehren nutzt Te-heran Diplomatie, Handelsbeziehungen, Hilfen für Strukturent-wicklung und Wiederaufbau vor allem im Irak und in Afghanistan ebenso wie die Verbreitung revolutionär-islamistischer Ideolo-gie und die Unterstützung gleich gesinnter Staaten (Syrien) und Gruppierungen. Doch die intensiven Bemühungen um Einfluss

In der internationalen Politik und den Medien als Regional-macht behandelt zu werden, schmeichelt den Iranern und vor allem ihrer politischen Führung. Schließlich sieht der „20 Jahre Perspektivplan“, der noch während der Amtszeit Präsident Khata-mis erarbeitet wurde, vor, dass sich Iran bis 2025 zur überlegenen Führungsmacht der Region entwickelt. Innenpolitisch ist zwar umstritten, ob Ahmadinedjads Politik diesem Ziel gerecht wird, doch die im Perspektivplan formulierte Vision entspricht irani-schem Nationalempfinden.

Viele Iraner halten ihr Land allein schon aus geopolitischen, demographischen und historischen Gründen für eine regionale Führungsrolle prädestiniert. In der Tat verfügt Iran als eines der größten und mit siebzig Millionen Einwohnern eines der bevölke-rungsreichsten Länder des Mittleren Ostens über wichtige Poten-ziale. Seine Erdöl- und Erdgasressourcen sind für die internationa-le Energieversorgung zentral, und durch seine Lage zwischen der Arabischen Welt und Südasien, zwischen Zentralasien und dem Persischen Golf gewann Iran nach dem Zerfall der Sowjetunion geopolitisch zusätzliche Bedeutung. All dies mischt sich in eine historisch genährte Vision, der zufolge sich altpersische Zivilisati-on und Islam zu neuer Größe verschmelzen werden.

Der Realisierung dieser Vision entgegen stehen aus iranischer Sicht zuallererst die militärische Präsenz der USA in der Region und deren anti-iranische Politik. Paradox dabei ist, dass gerade die Zerstörung des Taliban-Regimes in Afghanistan 2001 und die Beseitigung Saddam Husseins im Irak 2003 durch die USA Iran mehr Spielraum als je zuvor beschert haben.

Irans gegenwärtiger Status in der Region resultiert wesentlich aus den politischen Entwicklungen nach Ende des Kalten Krieges. Als Supermacht konnten die USA zwar noch Regime hinwegfegen, doch die von Präsident Bush sen. nach dem ersten Golfkrieg 1991 verkündete „neue Weltordnung“ hat sich nicht verwirklicht. Ame-rikas Eingreifen schuf nur neue Konstellationen, an denen sich andere abarbeiten müssen und die für regionale Akteure neue Spielräume eröffnen. Und Iran versteht, sie zu nutzen.

Der zweite große Globalisierungsschub, der den Mittleren Osten in den 1990er Jahren erfasste, und die neue Tendenz zu Multipolarität begünstigen Irans internationale Position. Die Di-versifizierung seiner Beziehungen in Politik und Handel Richtung

Vita & Publikationen

JoHANNES REISSNER ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Iran sowie politische, kulturelle und soziale Entwicklungen in der Islamischen Welt. JüNGSTE VERÖFFENT-LICHUNGEN ZUM THEMA: „Iran – Regionale Großmacht oder Gernegroß?” in: Inamo

Nr. 50, Sommer 2007; „Iran: Wahlschlappe und Sanktionen. Hat iranische Politik Spielräume gewonnen?” SWP-Aktuell 2007. Eine Studie über Irans Selbstverständnis als Regionalmacht ist in Vorbereitung.

IRAN.Ziele Teheraner Außenpolitik – Strategien, diesen zu begegnen VoN JoHANNES REISSNER

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bedeuten nicht Steuerungskapazität. Dass Iran in der Region ideo-logisch und politisch zum unumgehbaren Faktor geworden ist, macht ihn noch nicht zur Ordnungsmacht. Irans Strategie besteht zuallererst im Ausnutzen von Gelegenheiten, und wie groß sein Einfluss tatsächlich ist, lässt sich nicht pauschal, sondern nur von Fall zu Fall abschätzen. Vor einer Überschätzung iranischen Ein-flusses ist ebenso zu warnen wie davor, in ihm die Quelle allen Übels in der Region zu sehen.

Nicht wenige der regionalpolitischen Ziele Irans sind mit westlichen Vorstellungen harmonisierbar. Die Regierung ist grundsätzlich stabilitätsorientiert, auch wenn „aggressive Außen-politik“ dem zu widersprechen scheint. Im Irak unterstützt Iran die gewählte, von den USA zunächst geförderte Regierung Maleki. Teheran tritt für einen geplanten und terminierten Abzug der USA ein und widersetzt sich einer Zersplitterung Iraks. In Afghanistan unterstützt Iran erklärtermaßen die Regierung Karzai. Für ein Si-cherheitssystem am Persischen Golf hat Iran letzten Winter Vor-schläge unterbreitet. Man sollte Teheran beim Wort nehmen. Der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten steht Teherans eigenen anti-imperialistischen und revolutionär-panislamistischen Bestre-bungen im Weg.

Der Atomstreit und Irans Leugnung des Existenzrechts Isra-els behindern eine Zusammenarbeit. Doch deswegen darf westli-che Politik die Potenziale für regionale und bilaterale Zusammen-arbeit nicht aus den Augen verlieren. Die Iraner brauchen klare Zeichen, dass man an ihnen interessiert ist, selbst wenn Ahma-dinedjad und seine Clique auf Abschottung setzen. Denn in der Gesellschaft und der politischen Elite Irans pulsiert eine reiche intellektuelle und politische Vielfalt, die im westlichen Bild vom Mullah-Staat ebenso unterdrückt wird wie in der iranischen Propa-ganda. Kriegsrhetorik nutzt nur den apokalyptischen Hardlinern, die möglicherweise einen Krieg weniger fürchten als anhaltende Sanktionen. Letztere müssen durch Anreize ergänzt werden, die in Iran auch als solche überzeugen und der Bevölkerung vermit-telbar sind. Irans unakzeptable Haltung gegenüber Israel lässt sich nur durch eine kluge Palästinapolitik neutralisieren, nicht durch Empörung.

Westliche Bemühungen um regionale Stabilität, die auch für Iran zentrale Bedeutung hat, müssen die Interessen aller regiona-len Akteure angemessen berücksichtigen. Von den USA und Is-rael geförderte Tendenzen zu regionaler Blockbildung mit Saudi-Arabien an der Spitze „moderater“ arabischer Kräfte gegen Iran und die „Extremisten“ sind ebenso wenig Stabilität fördernd wie arabisches Streben, Iran klein zu halten.

Anstatt Frontbildung nach dem bekannten Muster des Kal-ten Krieges zu verschärfen, muss der Westen begreifen, dass er Teil der Probleme ist und dass er nicht in der Lage sein wird, die unkalkulierbaren Folgen eines eventuellen Militärschlags zu bewältigen.| fo

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Präventivschlag. Präsident George W. Bush spricht nach der Besetzung Iraks im amerikanischen Zentralkommando in Katar vor GIs.

2003

Nach Europa! Afrikanische Flüchtlinge vor Spanien.

2004

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gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan. Seither hat das Netzwerk eine Reihe tödlicher Terroranschläge in der muslimi-schen Welt und in westlichen Ländern unterstützt oder selbst durchgeführt, der schlimmste davon richtete sich gegen die Verei-nigten Staaten am 11. September 2001. Der Gegenschlag der USA in Afghanistan hat nicht nur der Herr-schaft der Taliban ein Ende gesetzt, sondern auch Al-Qaida einen schweren Schlag versetzt. Ihr Gründer und Führer Osama bin Laden und der Vize-Kommandeur Ayman al-Zawahiri zogen sich in ihre permanenten Verstecke in den Bergen entlang der paki-stanisch-afghanischen Grenze zurück. Hunderte von Al-Qaida-Kämpfern wurden getötet oder inhaftiert.

Die anfänglichen Erfolge waren jedoch nicht von langer Dau-er. Ein Grund für das jüngste Wiederaufleben von Al-Qaida ist die rücksichtslose Gewaltanwendung der USA und ihrer Verbündeten

– insbesondere in den Kriegen im Irak und in Afghanistan. Damit haben sie es Al-Qaida ermöglicht, unter radikalisierten Muslimen immer neues Personal zu rekrutieren.

Von Beginn an haben die Führer von Al-Qaida auf die politi-schen und religiösen Empfindlichkeiten der Muslime gebaut. Die-se entzünden sich immer erneut an den ungelösten Konflikten in Palästina und Kaschmir, der Truppenpräsenz der USA in Saudi-Arabien und ihrer Unterstützung diktatorischer „Apostaten“ unter

D er von den Vereinigten Staaten geführte Krieg gegen den Ter-ror geht mittlerweile ins sechste Jahr, und noch immer gibt es

keine Anzeichen für eine entscheidende Niederlage von Al-Qaida. Im Gegenteil, das islamistische Terrornetzwerk scheint im kriegs-geschüttelten Afghanistan und im pakistanischen Stammesgürtel wieder aufzuleben. Auch auf den Kriegsschauplätzen des Irak hat Al-Qaida sich zu einem wichtigen Akteur entwickelt.

Al-Qaida nistet sich in Gegenden ein, in denen politische Ge-setzlosigkeit und eine heillose Sicherheitslage herrschen, um sich neu zu formieren und Operationen zu planen. Zu einer solchen Gegend ist in jüngster Zeit das pakistanische Grenzgebiet in Nord- und Südwasiristan geworden – eine sichere Operationsbasis für grenzüberschreitende Aktionen der Taliban gegen die US- bzw. Nato-geführten Truppen in Afghanistan. Doch weit schlimmer: In den letzten Monaten ist die nuklear hoch gerüstete Islamische Republik Pakistan selbst zu einem Sicherheitsrisiko geworden mit wachsenden politischen Turbulenzen – ein alarmierender Zu-stand, den Al-Qaida womöglich zur Realisierung ihrer weltweiten terroristischen Ambitionen nutzen könnte.

DAS WIEDERAUFLEBEN DER AL-QAIDAAl-Qaida entstand vor knapp zwanzig Jahren nach dem Ende des mit internationaler Unterstützung geführten Heiligen Krieges

Vita & Publikationen

ISHTIAQ AHMAD ist assoziierter Professor für Internationale Beziehungen an der Quaid-i-Azam Universität in Islamabad, Pakistan. Der ehemalige Journalist hat den Aufstieg der Ta-liban in Afghanistan Mitte der 90er-Jahre beschrieben. VERÖFFENTLICHUNGEN ZUM THEMA: „Gulbuddin Hekmatyar: An Afghan Trail from Jihad to Terrorism”, 2004.

AL-QAIDAS GLoBALES TERRoR-PoTENZIAL und die sich verschärfende Krise

im Atomstaat Pakistan VoN ISHTIAQ AHMAD

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den Führern muslimischer Regime. In ihren jüngsten Äußerun-gen begnügen sich Bin Laden und Al-Zawahiri jedoch nicht mehr damit, ihre Gefolgsleute zur gewaltsamen Beseitigung solchen

„Unrechts“ aufzurufen. Heute fordern sie den Untergang des Ka-pitalismus und ermahnen das Weltchristentum, sich dem Islam anzuschließen.

IRAK UND AFGHANISTANMögen derlei hochtrabende und weltumspannende Ziele auch ein Hirngespinst sein, ein Produkt der eifernden Phantasie Al-Qaidas, so ist es doch eine Tatsache, dass ihre Präsenz im Irak, wo die Ter-rororganisation bis zur US-Invasion 2003 nicht existiert hatte, und in Afghanistan, aus dem sie sich nach dem US-geführten Angriff 2001 praktisch zurückgezogen hatte, gegenwärtig zunimmt.

Das Sicherheitschaos, das durch die Invasion der USA ent-stand und von einer nicht enden wollenden Kette blutiger sek-tiererischer Zwistigkeiten gekennzeichnet ist, hat Al-Qaida die Möglichkeit eröffnet, im Irak Fuß zu fassen. Vor allem die Fedayin aus den Gebieten jenseits der Grenze des Irak zu Saudi-Arabien und Syrien haben es der Terrororganisation ermöglicht, sich in den von Sunniten dominierten Teilen des Irak neu zu formieren und Terroranschläge gegen die US-geführten Koalitionstruppen auszuführen.

Die Aufstockung der US-Truppen mag zur relativen Ruhe in Bagdad beigetragen haben. Doch das verbreitete Klima der Anar-chie, zusätzlich verschärft durch die angedrohte Invasion der Tür-kei in den Nordirak in ihrem Kampf gegen den Terror der Kur-dischen Arbeiterpartei PKK, wird Al-Qaida nur helfen, im Irak Wurzeln zu schlagen.

Nach der Niederlage Al-Qaidas in Afghanistan erklärten die Kommandeure der US-Operation „Enduring Freedom“ 2004 öf-fentlich, dass das Terrornetzwerk nunmehr für das Land keine Be-drohung mehr darstelle. Seit 2005 aber scheint Al-Qaida in dem vom Krieg zerrissenen Land ein Comeback zu gelingen, wie die vielen sorgfältig vorbereiteten, sehr öffentlichkeitswirksamen und speziell gegen ausländische Truppen gerichteten Terrorakte bele-gen – Selbstmordanschläge, Entführungen, Enthauptungen im irakischem Stil.

Marodierende Warlords, zunehmender Drogenhandel, die Unzulänglichkeit der Nato-Kampftruppen, ein ineffizienter Wie-deraufbau, unrepräsentative und korrupte Herrschaftsverhältnis-se sind nur einige der vielen Probleme Afghanistans. Sie tragen zu einer generellen, von den Taliban angeführten Aufsässigkeit bei und zum Wiederaufleben von Al-Qaida. Je mehr sich das Netz-werk im Irak und in Afghanistan festsetzt, umso leichter wird es in der Lage sein, internationale Terroroperationen durchzuführen

– zumal wenn die ausländischen Truppen sich zum Rückzug ent-schließen, ohne die Sicherheitsprobleme und die politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten gelöst zu haben. Und diese sind

Abschreckung. Pakistan zündet eine Rakete.

Nachrichten vom Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Pakistan

Das Büro Pakistan will zu Demokratisierung, politischer Partizipation und zum Abbau von Fundamen-talismen beitragen. Dies erfolgt durch Eigenaktivitäten wie multimedial begleitete Dialogprogramme, universitäre Kooperationen und politikberatende Forschungsarbeit. Die Bandbreite der Partnerarbeit reicht von Seminaren für Mullahs in der Provinz Sindh über politische Bildung von Frauen in den Stammesgebieten bis zur Fortbildung von Politikerinnen in Islamabad. AKTUELL: Dossier „Krise in Pakistan” unter www.boell.de

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2005

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durch den hemmungslosen Einsatz von Gewalt eher noch kompli-zierter geworden.

TURBULENZEN IN PAKISTANZum gefährlichsten Ort der Welt könnte Pakistan allerdings wer-den, sollte es Al-Qaida gelingen, ernsthaft in den Staatsapparat und das Sozialgefüge des islamischen Atomstaats einzudringen. Laut dem jüngsten „National Intelligence Estimate“, der Lageein-schätzung der US-Nachrichtendienste, haben Al-Qaida und die mit ihr verbundenen lokalen Gruppen radikaler Islamisten in den grenznahen Stammesgebieten Pakistans bereits fest Fuß gefasst. Über 80 000 pakistanische Soldaten haben in den letzten drei Jah-ren – wenn auch widerstrebend und zumeist auf Druck der USA – in Nord- und Südwasiristan gegen mit Al-Qaida verbundenen Pro-Taliban-Kämpfern Krieg geführt.

Aus Sicht von Al-Qaida und seinen pakistanischen Ablegern hat die Regierung von General Musharraf die Muslime verraten, als sie sich von der Taliban-Bewegung und dem Heiligen Krieg in Kaschmir abwandte, um fortan den Krieg der USA gegen den Terror zu unterstützen und einen Friedensprozess mit Indien ein-zuleiten. Auch in der allgemeinen Wahrnehmung wird Pakistans Kampf gegen religiösen Extremismus und Terrorismus im We-sentlichen als ein Krieg Amerikas und des Westens betrachtet.

Noch mehr hat die pakistanischen Massen verärgert, dass Musharraf die demokratischen Ansprüche der Menschen konse-quent missachtet und sich geweigert hat, das Amt des Armeechefs aufzugeben. Dabei ließ er vor fünf Jahren in inszenierten Wahlen eine gefügige Regierung wählen, in der er selbst das Amt des zivi-len Präsidenten übernahm.

Im März dieses Jahres entließ er den unbeugsamen Vorsit-zenden des Obersten Gerichtshofes. Doch der Prostest einer zu-nehmend selbstbewussten Zivilgesellschaft, die die Herrschaft des Rechts und die Oberhoheit der demokratischen Kräfte wie-derherstellen möchte, wurde immer schärfer und das Gericht setzte den obersten Richter wieder in sein Amt ein. Im Oktober ließ sich Musharraf dann mit Unterstützung der regierenden Pa-kistan Muslim League (PML)-Q wiederwählen. Allerdings wurde die Rechtmäßigkeit dieser Wiederwahl vom Verfassungsgericht in Frage gestellt.

Musharraf hatte also Grund zu befürchten, dass die Entschei-dung des Gerichtshofs zu seinen Ungunsten ausfallen könnte. So verhängte er am 3. November den Ausnahmezustand – ein Schritt, der die politische Unruhe verschärft. Die Sicherheitsdienste kön-nen sich seitdem nicht mehr der Extremismusbekämpfung wid-men, sondern haben Befehl, gegen die aufgebrachte Zivilgesell-schaft und die politische Opposition vorzugehen.

Doch selbst wenn der General auf wachsenden Druck der USA oder der eigenen Bevölkerung die Macht aufgeben würde, dürften die strukturellen Nöte des Landes dem Entstehen einer

reibungslosen Zusammenarbeit zwischen zivilen und militäri-schen Kräften im Wege stehen. Auf absehbare Zeit wird sich die politische Situation kaum stabilisieren lassen.

Die pakistanischen Sicherheitskräfte sind bereits jetzt vom Kampf gegen Extremisten und Terroristen überfordert und demo-ralisiert. Seit dem Kampf um die Rote Moschee in Islamabad im Juli 2007 sind mehrere Hundert Soldaten durch Selbstmordatten-tate und Bombenanschläge ums Leben gekommen. Im Distrikt Malakand, aus dem die meisten Extremisten stammten, die bei der Operation in der Roten Moschee getöteten wurden, müssen die Sicher heitskräfte gegenwärtig gegen Pro-Taliban-Kämpfer vorge-hen, die mit Al-Qaida im Bunde sind.

NUKLEARE BEFüRCHTUNGENHeute zeigen sich die USA über die Sicherheit der pakistani-schen Atomwaffen ähnlich beunruhigt wie in der Zeit nach dem 11. September 2001. Damals wurde die Sorge der USA durch die Nachricht ausgelöst, dass sich zwei pakistanische Atomwissen-schaftler zwei Wochen vor den Terroranschlägen auf das World Trade Center mit Bin Laden getroffen hätten, um die Möglichkeit auszuloten, wie Al-Qaida in den Besitz von Nuklearwaffen geraten könnte.

Seitdem hat Pakistan sein atomares Sicherheitssystem ver-bessert. Die Nuklearkontrolle wurde in die Hand der „National Command Authority“ gelegt, und die Zuständigkeit für atomare Einrichtungen und atomare Sicherheit der „Strategic Plans Divi-sion“ übertragen. Die Regierung hat nach eigenen Angaben das gleiche Permissive Action Link installiert, das auch von anderen Atommächten verwendet wird – eine kodierte Sperrvorrichtung, die eine nicht autorisierte Freigabe der Waffe unmöglich macht. Angesichts der strengen militärischen Kontrolle, der Pakistans Nuklearmaterial unterliegt, liegt die Möglichkeit, dass Al-Qaida es in ihren Besitz bringen könne, also in weiter Ferne.

Dennoch kann angesichts des sich rasch verschlechternden politischen Klimas und der höchst ungewissen Sicherheitslage des Landes die Sicherheit der pakistanischen Atomwaffenarsenale nicht garantiert werden. Damit nicht genug: Solange die Berich-te über Angehörige des pakistanischen Staatsapparates, die den Atomschmuggel durch den in Ungnade gefallenen Atomwissen-schaftler A. Q. Khan ermöglicht haben, nicht aufgeklärt sind, wird die internationale Gemeinschaft sich weiterhin Sorgen machen müssen: Das Nuklearwaffenarsenal könnte womöglich in die fal-schen Hände geraten – etwa in die Hände der Al-Qaida-Chefs. Denn baut Al-Qaida in den unruhigen Ländern Irak, Afghanistan und Pakistan ihre Macht weiter aus, so gibt es keinen Grund, war-um sie ihre terroristischen Tentakel nicht auch in Regionen jenseits des Persischen Golfs und Südwestasiens ausstrecken sollte.|

Übersetzung: Andreas Bredenfeld

32 szenarIen

Page 33: böll - boell.deun)ordnung.pdf · 2 Inhalt Das thema 4 DIE WIEDERHERSTELLUNG GLoBALER oRDNUNGSMACHT: EIN TASTENDER PRoZESS. Neue Herausforderungen nach dem Ende der bipolaren Weltordnung

D ie Eroberung des Nordpols hat begonnen. Am 2. August 2007 stießen zwei bemannte Mir („Frieden“)-Tauchkapseln bis auf

4 000 Meter in die Tiefe des Eismeers vor und platzierten unter dem Nordpol eine russische Flagge aus unzerstörbarem Titan. Die unscharfen Fernsehbilder von der Aktion erinnern an einen frü-hen James Bond. Die westliche Presse reagierte darauf wie auf den Sputnik-Schock. Der russischen Tauchkapsel folgte prompt ein dänisches Expeditionsschiff um nachzuweisen, dass der Pol sich in der „Ausschließlichen Wirtschaftszone der dänischen Kolonie Grönland“ befindet. Auch die anderen Arktisanrainer Kanada, Norwegen und die USA haben damit begonnen, ihre Territorialan-sprüche zu Meer lauthals zu proklamieren.

Wem der Nordpol gehört interessierte bisher die Öffentlich-keit kaum. Seitdem jedoch die arktischen Sommer immer wärmer und die Winter immer kürzer werden, beginnt das Eis in einer Re-gion zu tauen, die vormals weder wirtschaftlich interessant noch geostrategisch von Bedeutung war.

Die nördliche Seeroute an der arktischen Küste Russlands wurde schon zu Zeiten der Sowjetunion mithilfe nuklear betrie-bener Eisbrecher genutzt, um Rohstoffe von Ost nach West zu transportieren. Wenn sich das Eis wegen des Klimawandels wei-ter von der Küste zurückzieht, kann diese Route die Transitzeit für Tankschiffe vom Norden Russlands nach Asien und Nordamerika um zehn bis 15 Tage verkürzen. Großprojekte wie die Flüssiggas-produktion auf der nordsibirischen Jamal Halbinsel oder am Off-Shore-Gasfeld Shtokman sind davon abhängig. Die so genannte

Vita & Publikationen

SASCHA MüLLER-KRAENNER leitet die Europa-Repräsentanz der internationalen Na tur schutzorganisation „The Nature Conservancy”. JüNGSTE VERÖFFENT- LICHUNG: „Energiesicherheit – Die neue Vermessung der Welt”, München 2007.

WETTLAUF UM DIE ARKTIS.Wie kann die Konkurrenz um die Ressourcen im und unter dem Eismeer in friedliche Bahnen gelenkt werden? VoN SASCHA MüLLER-KRAENNER

„Herr Präsident, wie Sie vielleicht wissen, bin ich Lehrer”, schrieb Irans Präsi-dent Mahmoud Ahmadinedjad am 14. Mai 2006 an Präsident Bush. Ein Jahr später doziert er bei der UNO-Vollversammlung vor der Weltgemeinschaft.

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2007

Page 34: böll - boell.deun)ordnung.pdf · 2 Inhalt Das thema 4 DIE WIEDERHERSTELLUNG GLoBALER oRDNUNGSMACHT: EIN TASTENDER PRoZESS. Neue Herausforderungen nach dem Ende der bipolaren Weltordnung

2 Inhalt

Das thema4 DIE WIEDERHERSTELLUNG GLoBALER oRDNUNGSMACHT:

EIN TASTENDER PRoZESS. Neue Herausforderungen nach dem Ende der bipolaren Weltordnung. VoN JoSCHA SCHMIERER

PosItIonen9 »... WIR HABEN DIE FREIHEIT UNTER DEM BANNER DER DEMoKRATIE ZU oFT

MIT WAFFEN DURCHGESETZT.« Eine Dokumentation des „Princeton Project” zur Formulierung einer neuen amerikanischen Außenpolitik. VoN BASTIAN HERMISSoN

13 IDENTITäTSSUCHE. Die europäische Welt beiderseits des Atlantiks sollte endlich den Blick in die Zukunft richten. VoN JoHN C. KoRNBLUM

15 BRAUCHT EURoPA EINE TELEFoNNUMMER? Plädoyer für eine koordinierte Mehrstimmigkeit statt einstimmiger Blockierung. VoN FRANZISKA BRANTNER

18 »ES GIBT KEINE GRüNE AUSSENPoLITIK.« oDER DoCH? Jürgen Trittin und Ralf Fücks im Gespräch

szenarIen24 KNACKPUNKT AToM. Was ist der Atomwaffensperrvertrag heute wert?

1. Aus europäischer Sicht. VoN oLIVER THRäNERT 2. Aus chinesischer Sicht. VoN JING-DoNG YUAN

28 IRAN. Ziele Teheraner Außenpolitik und die Strategien des Westens. VoN JoHANNES REISSNER

30 AL-QAIDAS GLoBALES TERRoRPoTENZIAL VoN ISHTIAQ AHMAD

33 WETTLAUF UM DIE ARKTIS. Globale Konkurrenz um die letzten Ressourcen oder Durchsetzung internationaler Ordnungsmechanismen? VoN SASCHA MüLLER-KRAENNER

heInrIch-Böll-stIftung35 HINWEISE, PRoJEKTE, PUBLIKATIoNEN

Impressum

HerausgeberHeinrich-Böll-StiftungHackesche HöfeRosenthaler Straße 40/4110178 BerlinFon 030-2 85 34-0Fax 030-2 85 34-109E-Mail: [email protected]/thema

RedaktionsleitungElisabeth Kiderlen

RedaktionsassistenzEvelyn Hartig

MitarbeitRalf Fücks, Bastian Hermisson, Annette Maennel (V. i. S. d. P.)

ArtconceptBüro Hamburg Jürgen Kaffer, Sandra Klostermeyer

Gestaltungblotto design, Maria Riesenhuber

Druckagit-Druck, Berlin

PapierInhalt: Envirotop, matt hochweiß, Recyclingpapier aus 100 % Altpapier Umschlag: Enzocoat

BezugsbedingungenEinzelausgabe 4 Euro (inklusive Versand) zu bestellen bei oben genannter Adresse

heInrIch-Böll-stIftung

Die Heinrich-Böll-Stiftung in Nordamerika/Washington, D.C.2008 wird ein bedeutendes Jahr. Mit großer Aufmerksamkeit wird die internationale Ge-meinschaft die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen und den Aufbruch in eine Post-Bush-Ära verfolgen. Auch die Heinrich-Böll-Stiftung in Washington wird sich im Rahmen ihres transatlantischen Dialogprogramms intensiv mit den bevorstehenden Wahlen befassen. Mit Expertise und Politikbeobachtung unterstützt das 1998 gegründete Büro nordamerika-nische und internationale ProjektpartnerInnen, die Gesamtstiftung und das grüne Umfeld in Deutschland. Die Schwerpunkte des Büros liegen in der Beobachtung transatlantischer Außen- und Sicherheitspolitik, der Demokratieförderung und Friedenssicherung sowie Klima- und Energiepolitik. Weitere Themen sind Nachhaltiges Wirtschaften, Gender und Makroökonomie.

AMERIKAS SICHERHEITSPOLITIK UND IHRE GLOBALEN AUSWIRKUNGENSeit dem 11. September hat der Krieg gegen den Terrorismus oberste Priorität in der ame-rikanischen Sicherheits- und Außenpolitik. Die transatlantische Kooperation gestaltete sich in den vergangenen Jahren nicht einfach. Die Folgen des Irakkriegs, die Lage in Afghanistan, aber auch die Entwicklungen in Russland sowie der Umgang mit den aufstrebenden Mächten wie China und Indien erfordern eine Neubestimmung der Sicherheitskooperation. Gemein-sam mit amerikanischen Forschungsinstituten, Think Tanks, dem US-Kongress und relevan-ten Regierungsstellen, aber auch mit europäischen ExpertInnen und PartnerInnen aus Dritt-ländern arbeitet die Böll-Stiftung in Washington an einer Erneuerung der transatlan tischen Allianz. Im Vordergrund stehen der Nahost-Friedensprozess, gemeinsame Strategien gegen-über Russland, China und Iran sowie die Zukunft nuklearer Nichtverbreitungspolitik.

KLIMASCHUTZ IST ENDLICH IN DEN USA ANGEKOMMENIm Hinblick auf den Klimaschutz scheint es, als wären die beiden Amtszeiten von George W. Bush für die USA verlorene Zeit. Das Kyoto-Protokoll wurde abgelehnt und nationaler Klima schutz fand praktisch nicht statt. Doch vor allem auf der Ebene der Kommunen und der Bundesstaaten haben die USA gegenüber Europa kräftig aufgeholt. Spätestens seit Ex-Vizepräsident Al Gore mit dem Oscar und dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, ist der Klimaschutz in den USA zum Mainstream geworden. Mit Besuchsprogrammen und Fachgesprächen, wie bei den kürzlich in Santa Barbara und San Francisco abgehaltenen Klimakonferenzen, fördert das Büro den Austausch zwischen Experten aus Politik und Wis-senschaft auf beiden Seiten des Atlantiks. Insbesondere Kalifornien ist Motor eines neuen Klimaschutzbewusstseins, das sich nun auch seinen Weg in den US-Kongress bahnt. Das Büro der Böll-Stiftung setzt sich dafür ein, die deutschen Erfahrungen beim Klimaschutz und der Energiepolitik in die Debatte für eine US-weite Gesetzgebung einzubringen.

BIOTREIBSTOFFE UND NACHHALTIGER AGRARHANDELDie Agrarhandels- und Agrarpolitik der USA und der EU beeinflussen entscheidend die Entwicklung vieler Länder im globalen Süden. Das gilt insbesondere, wenn die laufende WTO Doha-Runde scheitern sollte und vor dem Hintergrund der Krise im Handelsmultila-teralismus. Im Rahmen des stiftungsweiten Themenschwerpunkts „EcoFair Trade Dialogue” arbeitet das Büro Washington an nordamerikanischen Agrarhandelsinitiativen sowie mit transatlantischen und internationalen KooperationspartnerInnen an Nachhaltigkeitskriterien für die Biotreibstoffproduktion und den Handel.

veranstaltungen Annapolis: Start oder Stolperstein zu einem nah-östlichen Friedensprozess? Diskussion, 23. Januar 2008, 19.30 – 21.30 Uhr, Berlin, Details: www.boell.de/veranstaltungen Responding to Iraq’s Displacement Crisis Conference, December 5/6th, Washington, D.C. In Cooperation with the Center for American Progress. Info: www.boell.org Agrofuels: opportunity or Danger? A Global Dialogue on U.S. and EU-Agrofuels and Agriculture Policies and their Impacts on Rural Development in North and South, December 12 – 14th, Berlin. In Cooperation with Germanwatch, Institute for Agriculture and Trade Policy, Actionaid, Coordination Sude, GRET and Agribusiness Accountability Initiative. Info: Christine Chemnitz, 030/285-34-312, [email protected]

WEBSITE www.boell.orgBüro der Böll-Stiftung in Washington, D.C.

PUBLIKATIONENNewsletter der Heinrich-Böll-Stiftung, Büro Washington, erscheint vierteljährlich und gibt einen Überblick über Aktivitäten und Publikationen des Büros. Zu bestellen: [email protected] oder unter www.boell.org

Addressing Iran’s Nuclear Ambitions Sanctions, Allies, and the U.S. Domestic Debate. Von Bidjan Tobias Nashat. Download: www.boell.org

The Debate over Fixed Price Incentives for Renewable Electricity in Europe and the United States, Spring 2007. Download: www.boell.org

The World Bank’s World Development Report 2008: Agriculture for Development. Response from a Slow Trade – Sound Farming Perspective. By Sophia Murphy und Tilman Santarius, October 2007, Download: www.ecofair-trade.org/de

Gender Justice. A Citizen’s Guide to Gender Ac-countability at International Financial Institutions. By CIEL, Gender Action and the Heinrich Böll Foundation, July 2007. Download: www.boell.org

BISHER SIND U. A. ERSCHIENEN:

— NEUER REPUBLIKANISMUS Die Zukunft der sozialen Demokratie

— KLIMAWANDEL Neue Ziele, Neue Allianzen, Neue Politik

— GRüNE MARKTWIRTSCHAFT Die große Transformation

— CHINA Volksrepublik China – Republik des Volkes?weitere Infos und zu bestellen unter: www.boell.de/thema

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wollen. Aber auch hier zeitigt der Unilateralismus der USA seine Nachteile. Bei der Ausweitung der Hoheitszonen in die rohstoff-reichen arktischen Gewässer sind die USA, bis sie die Konvention unterschrieben haben, nicht dabei.

DAS MoDERNE SEERECHT basiert auf der von Hugo Grotius 1609 erstmals vorgestellten Idee des Mare Liberum, des freien Meeres. Seitdem wurde der offene Zugang zu den Weltmeeren im-mer weiter eingeschränkt. Heute gilt bis zu einer Ausdehnung von 200 Seemeilen eine Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ). In-nerhalb dieser dürfen die Staaten Fischerei betreiben und Boden-schätze unter dem Meeresgrund ausbeuten. Außerhalb der AWZ enden theoretisch die nationalen Hoheitsbefugnisse und beginnt das gemeinsame Erbe der Menschheit. Über dieses walten die Ver-einten Nationen. Praktisch versucht eine Reihe von Staaten aber, ihre Wirtschaftszone weiter auszudehnen, vermutet wird, dass un-ter hoher See mehr und mehr Rohstoffvorkommen, vor allem aber Öl und Gas, gefunden werden.

Zwei rechtliche Schlupflöcher hat die Konvention. Ausgewei-tet werden kann die AWZ für den Fall, dass der Festlandsockel, vor dem das Küstenmeer in die Tiefsee abfällt, sich weiter als üblich ausdehnt. Noch beliebter ist die Methode, so genannte „natürliche Verlängerungen“ des Festlandssockels, also unter dem Meer be-findliche Gebirgszüge auszumachen. An ihnen entlang lässt sich theoretisch in jede Richtung die 200 Seemeilen breite AWZ aus-weisen. Wo der Festlandsockel beginnt oder endet ist nicht immer genau auszuweisen, vor allem wenn mehrere Länder sich einen Abschnitt des Sockels teilen. Was eine natürliche Verlängerung ausmacht ist im UN-Seerecht nur vage formuliert. So ist es kein Wunder, dass unterschiedliche Staaten die topografische Lage auf dem Meeresboden höchst unterschiedlich interpretieren.

Eine der innovativeren Institutionen im Völkerrecht ist der Arktische Rat (Arctic Council), in dem nicht nur alle Anrainerstaa-ten der Arktis Sitz und Stimme haben, sondern auch die Vertreter der indigenen Völker der Arktis vertreten sind. Der Arktische Rat ist in den vergangenen Jahren zu einer der wichtigsten Stimmen im Kampf gegen den Klimawandel und eine Rohstoffausbeutung geworden, die weder auf Mensch noch Natur Rücksicht nimmt. Mit Schweden, Finnland und Dänemark sind drei EU-Mitglieds-staaten im Rat vertreten, Deutschland genießt Beobachterstatus.

Letztendlich ist eine Weiterentwicklung des Seerechts notwen-dig, um nationale Territorial- wie gemeinsame Nutzungsansprü-che auf hoher See eindeutiger als bisher zu klären. Wünschens-wert wäre, dass zumindest küstenferne Teile des Eismeers solange unter einen ähnlichen Schutz wie die seit 1959 als Welterbe aus-gewiesene Antarktis gestellt werden, bis klar ist, welche Umwelt-auswirkungen eine wirtschaftliche Nutzung der dort verborgenen Rohstoffe haben wird – und ob sich das Weltklima deren Ausbeu-tung überhaupt noch leisten kann.|

arktische Brücke könnte zukünftig Russlands Eismeerhafen Mur-mansk mit der kanadischen Hudson Bay verbinden. Und wenn die Temperaturtrends sich über die nächsten zwanzig Jahre fortsetzen, könnte sich sogar die berühmte Nordwestpassage von Grönland nach Alaska für den Schiffsverkehr öffnen. Transportiert werden sollen auf diesen Routen Öl und Flüssiggas aus den unter der Ark-tis vermuteten gigantischen Lagerstätten.

Verbesserte Technik, höhere Energiepreise und das wärme-re Klima führen dazu, dass die Öl- und Gasförderung in großen Teilen der Arktis rentabel geworden ist. Nach Schätzungen der Geologischen Bundesbehörde der USA soll ein Viertel der noch unentdeckten Vorräte an fossilen Energien in der Arktis liegen. Geklärt werden muss bis dahin allerdings noch, wem die Arktis gehört. Wo im Nordpolarmeer die Hoheitsgebiete der Anrainer-staaten aufeinander treffen ist völkerrechtlich umstritten. Die Ab-grenzung ist umso schwieriger, weil die Unterwassergeografie des Eismeers nur unzureichend kartografiert ist und es zahlreiche klei-nere unbewohnte Inseln und Felsen gibt, auf die bisher niemand Anspruch erhob. Inzwischen haben aber die Anrainerstaaten be-gonnen, ihre Hoheitszonen so weit wie möglich auszuweiten.

Seitdem vor der nordrussischen Küste und dem norwegischen Spitzbergen, in der Baffin Bay zwischen Kanada und Grönland und in der Beaufortsee im Westen Kanadas und vor Alaska Öl und Gas vermutet werden, arbeiten die Kartografen auf Hochtouren. So hat Dänemark eigenen Angaben zufolge einen Unterwasserausläufer Richtung Nordpol entdeckt und begründet damit einen Anspruch auf diesen symbolträchtigen Punkt. Dänen und Kanadier haben beide ihre Flaggen auf der unbewohnten Hans Insel in der Baffin Bay gehisst. Kanada zankt mit den USA über die Grenzziehung in der Mitte der Beaufortsee. Den größten Teil arktischer Nordküste besitzt Russland. Aber das attraktivste Gebiet mit den meisten bis-lang entdeckten Energievorkommen zieht sich von Nordnorwegen über die Inselgruppe Spitzbergen bis zum Pol.

Rapide erhält der Streit um die Arktis eine militärische Di-mension. Kanada wie die USA haben damit begonnen, ihre Kriegsmarine mit eisbrechenden Schiffen auszurüsten, um ihre Hoheitsansprüche im Zweifelsfall auch geltend machen zu kön-nen. Neben der EU ist auch die NATO dabei, sich – vor allem auf Wunsch Norwegens – eine arktische Dimension zuzulegen. Dabei sollte klar sein, dass sich die Interessen der Nordatlantikstaaten an den Fischgründen, Schiffsrouten und der Rohstoffexploration im Eismeer nicht mit Kanonenbooten verteidigen lassen.

SCHIEDSINSTANZ über alle diese Streitpunkte sollte eigentlich die Internationale Seerechtskonvention sein, die unter der Ägide der UN ausgehandelt wurde. Allerdings wurde diese noch nicht von allen Staaten ratifiziert. Prominentester Außenseiter sind wieder einmal die USA, die sich durch den Hamburger Seege-richtshof nicht in die nationale Souveränität hineinregieren lassen

34 szenarIen

»Rapide erhält der Streit um die Arktis eine militärische Dimension.«

Page 35: böll - boell.deun)ordnung.pdf · 2 Inhalt Das thema 4 DIE WIEDERHERSTELLUNG GLoBALER oRDNUNGSMACHT: EIN TASTENDER PRoZESS. Neue Herausforderungen nach dem Ende der bipolaren Weltordnung

2 Inhalt

Das thema4 DIE WIEDERHERSTELLUNG GLoBALER oRDNUNGSMACHT:

EIN TASTENDER PRoZESS. Neue Herausforderungen nach dem Ende der bipolaren Weltordnung. VoN JoSCHA SCHMIERER

PosItIonen9 »... WIR HABEN DIE FREIHEIT UNTER DEM BANNER DER DEMoKRATIE ZU oFT

MIT WAFFEN DURCHGESETZT.« Eine Dokumentation des „Princeton Project” zur Formulierung einer neuen amerikanischen Außenpolitik. VoN BASTIAN HERMISSoN

13 IDENTITäTSSUCHE. Die europäische Welt beiderseits des Atlantiks sollte endlich den Blick in die Zukunft richten. VoN JoHN C. KoRNBLUM

15 BRAUCHT EURoPA EINE TELEFoNNUMMER? Plädoyer für eine koordinierte Mehrstimmigkeit statt einstimmiger Blockierung. VoN FRANZISKA BRANTNER

18 »ES GIBT KEINE GRüNE AUSSENPoLITIK.« oDER DoCH? Jürgen Trittin und Ralf Fücks im Gespräch

szenarIen24 KNACKPUNKT AToM. Was ist der Atomwaffensperrvertrag heute wert?

1. Aus europäischer Sicht. VoN oLIVER THRäNERT 2. Aus chinesischer Sicht. VoN JING-DoNG YUAN

28 IRAN. Ziele Teheraner Außenpolitik und die Strategien des Westens. VoN JoHANNES REISSNER

30 AL-QAIDAS GLoBALES TERRoRPoTENZIAL VoN ISHTIAQ AHMAD

33 WETTLAUF UM DIE ARKTIS. Globale Konkurrenz um die letzten Ressourcen oder Durchsetzung internationaler Ordnungsmechanismen? VoN SASCHA MüLLER-KRAENNER

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HerausgeberHeinrich-Böll-StiftungHackesche HöfeRosenthaler Straße 40/4110178 BerlinFon 030-2 85 34-0Fax 030-2 85 34-109E-Mail: [email protected]/thema

RedaktionsleitungElisabeth Kiderlen

RedaktionsassistenzEvelyn Hartig

MitarbeitRalf Fücks, Bastian Hermisson, Annette Maennel (V. i. S. d. P.)

ArtconceptBüro Hamburg Jürgen Kaffer, Sandra Klostermeyer

Gestaltungblotto design, Maria Riesenhuber

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BezugsbedingungenEinzelausgabe 4 Euro (inklusive Versand) zu bestellen bei oben genannter Adresse

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Die Heinrich-Böll-Stiftung in Nordamerika/Washington, D.C.2008 wird ein bedeutendes Jahr. Mit großer Aufmerksamkeit wird die internationale Ge-meinschaft die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen und den Aufbruch in eine Post-Bush-Ära verfolgen. Auch die Heinrich-Böll-Stiftung in Washington wird sich im Rahmen ihres transatlantischen Dialogprogramms intensiv mit den bevorstehenden Wahlen befassen. Mit Expertise und Politikbeobachtung unterstützt das 1998 gegründete Büro nordamerika-nische und internationale ProjektpartnerInnen, die Gesamtstiftung und das grüne Umfeld in Deutschland. Die Schwerpunkte des Büros liegen in der Beobachtung transatlantischer Außen- und Sicherheitspolitik, der Demokratieförderung und Friedenssicherung sowie Klima- und Energiepolitik. Weitere Themen sind Nachhaltiges Wirtschaften, Gender und Makroökonomie.

AMERIKAS SICHERHEITSPOLITIK UND IHRE GLOBALEN AUSWIRKUNGENSeit dem 11. September hat der Krieg gegen den Terrorismus oberste Priorität in der ame-rikanischen Sicherheits- und Außenpolitik. Die transatlantische Kooperation gestaltete sich in den vergangenen Jahren nicht einfach. Die Folgen des Irakkriegs, die Lage in Afghanistan, aber auch die Entwicklungen in Russland sowie der Umgang mit den aufstrebenden Mächten wie China und Indien erfordern eine Neubestimmung der Sicherheitskooperation. Gemein-sam mit amerikanischen Forschungsinstituten, Think Tanks, dem US-Kongress und relevan-ten Regierungsstellen, aber auch mit europäischen ExpertInnen und PartnerInnen aus Dritt-ländern arbeitet die Böll-Stiftung in Washington an einer Erneuerung der transatlan tischen Allianz. Im Vordergrund stehen der Nahost-Friedensprozess, gemeinsame Strategien gegen-über Russland, China und Iran sowie die Zukunft nuklearer Nichtverbreitungspolitik.

KLIMASCHUTZ IST ENDLICH IN DEN USA ANGEKOMMENIm Hinblick auf den Klimaschutz scheint es, als wären die beiden Amtszeiten von George W. Bush für die USA verlorene Zeit. Das Kyoto-Protokoll wurde abgelehnt und nationaler Klima schutz fand praktisch nicht statt. Doch vor allem auf der Ebene der Kommunen und der Bundesstaaten haben die USA gegenüber Europa kräftig aufgeholt. Spätestens seit Ex-Vizepräsident Al Gore mit dem Oscar und dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, ist der Klimaschutz in den USA zum Mainstream geworden. Mit Besuchsprogrammen und Fachgesprächen, wie bei den kürzlich in Santa Barbara und San Francisco abgehaltenen Klimakonferenzen, fördert das Büro den Austausch zwischen Experten aus Politik und Wis-senschaft auf beiden Seiten des Atlantiks. Insbesondere Kalifornien ist Motor eines neuen Klimaschutzbewusstseins, das sich nun auch seinen Weg in den US-Kongress bahnt. Das Büro der Böll-Stiftung setzt sich dafür ein, die deutschen Erfahrungen beim Klimaschutz und der Energiepolitik in die Debatte für eine US-weite Gesetzgebung einzubringen.

BIOTREIBSTOFFE UND NACHHALTIGER AGRARHANDELDie Agrarhandels- und Agrarpolitik der USA und der EU beeinflussen entscheidend die Entwicklung vieler Länder im globalen Süden. Das gilt insbesondere, wenn die laufende WTO Doha-Runde scheitern sollte und vor dem Hintergrund der Krise im Handelsmultila-teralismus. Im Rahmen des stiftungsweiten Themenschwerpunkts „EcoFair Trade Dialogue” arbeitet das Büro Washington an nordamerikanischen Agrarhandelsinitiativen sowie mit transatlantischen und internationalen KooperationspartnerInnen an Nachhaltigkeitskriterien für die Biotreibstoffproduktion und den Handel.

veranstaltungen Annapolis: Start oder Stolperstein zu einem nah-östlichen Friedensprozess? Diskussion, 23. Januar 2008, 19.30 – 21.30 Uhr, Berlin, Details: www.boell.de/veranstaltungen Responding to Iraq’s Displacement Crisis Conference, December 5/6th, Washington, D.C. In Cooperation with the Center for American Progress. Info: www.boell.org Agrofuels: opportunity or Danger? A Global Dialogue on U.S. and EU-Agrofuels and Agriculture Policies and their Impacts on Rural Development in North and South, December 12 – 14th, Berlin. In Cooperation with Germanwatch, Institute for Agriculture and Trade Policy, Actionaid, Coordination Sude, GRET and Agribusiness Accountability Initiative. Info: Christine Chemnitz, 030/285-34-312, [email protected]

WEBSITE www.boell.orgBüro der Böll-Stiftung in Washington, D.C.

PUBLIKATIONENNewsletter der Heinrich-Böll-Stiftung, Büro Washington, erscheint vierteljährlich und gibt einen Überblick über Aktivitäten und Publikationen des Büros. Zu bestellen: [email protected] oder unter www.boell.org

Addressing Iran’s Nuclear Ambitions Sanctions, Allies, and the U.S. Domestic Debate. Von Bidjan Tobias Nashat. Download: www.boell.org

The Debate over Fixed Price Incentives for Renewable Electricity in Europe and the United States, Spring 2007. Download: www.boell.org

The World Bank’s World Development Report 2008: Agriculture for Development. Response from a Slow Trade – Sound Farming Perspective. By Sophia Murphy und Tilman Santarius, October 2007, Download: www.ecofair-trade.org/de

Gender Justice. A Citizen’s Guide to Gender Ac-countability at International Financial Institutions. By CIEL, Gender Action and the Heinrich Böll Foundation, July 2007. Download: www.boell.org

BISHER SIND U. A. ERSCHIENEN:

— NEUER REPUBLIKANISMUS Die Zukunft der sozialen Demokratie

— KLIMAWANDEL Neue Ziele, Neue Allianzen, Neue Politik

— GRüNE MARKTWIRTSCHAFT Die große Transformation

— CHINA Volksrepublik China – Republik des Volkes?weitere Infos und zu bestellen unter: www.boell.de/thema

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DAS MAGAZIN DER HEINRICH-BÖLL-STIFTUNGAUSGABE 3, 20074 EURO

THEMA

Außenpolitik nach dem Ende des Kalten Krieges

DIE NEUE WELT(UN)oRDNUNG

Die Heinrich-Böll-Stiftung ist eine Agentur für grüne Ideen und Projekte, eine reformpolitische Zukunftswerkstatt und ein in-ternationales Netzwerk mit weit über hundert Partnerprojekten in rund sechzig Ländern. Demokratie und Menschenrechte durchsetzen, gegen die Zerstörung unseres globalen Ökosys-tems angehen, patriarchale Herrschaftsstrukturen überwinden, in Krisenzonen präventiv den Frieden sichern, die Freiheit des Individuums gegen staatliche und wirtschaftliche Übermacht verteidigen – das sind die Ziele, die Denken und Handeln der Heinrich-Böll-Stiftung bestimmen. Sie ist damit Teil der

„grünen” politischen Grundströmung, die sich weit über die

Bundesrepublik hinaus in Auseinandersetzung mit den tradi-tionellen politischen Richtungen des Sozialismus, des Liberalis-mus und des Konservatismus herausgebildet hat. Organisatorisch ist die Heinrich-Böll-Stiftung unabhängig und steht für geistige Offenheit. Mit 27 Auslandsbüros verfügt sie über eine weltweit vernetzte Struktur. Sie kooperiert mit 16 Landesstiftungen in allen Bundesländern und fördert begabte, gesellschaftspolitisch engagierte Studierende und Graduierte im In- und Ausland. Heinrich Bölls Ermunterung zur zivilge-sellschaftlichen Einmischung in die Politik folgt sie gern und möchte andere anstiften mitzutun. www.boell.de

»Die USA, mächtiger denn je, haben heute weniger Ordnungsmacht als während der Blockkonfrontation. Der Fehler der Bush-Administration war nicht, die Notwendigkeit globaler Ordnungsmacht zu erkennen, sondern die Illusion, eine uneinholbar überlegene Militärmacht in eine solche umsetzen zu können.« JoSCHA SCHMIERER