06 arzt 2-13 mf enzler
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MEDIZIN FORUM
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung weist variköse Verände-
rungen unterschiedlicher Ausprägung auf, und etwa 15% aller
Personen zeigen therapiebedürftige Varizen. Laut der Bonner
Venenstudie von 2003 hat in Deutschland jeder sechste Mann
und jede fünfte Frau eine chronisch-venöse Insuffi zienz. CVI
tritt zwar auch als post-thrombotisches Syndrom als Folge der
Tiefen Venen-Thrombose (TVT) auf, weit häufi ger ist sie aber
verursacht durch pathologischen Refl ux bei primärer Varikose.
Bei der Varikose sind die Venenklappen von Stammvenen – der Vena saphena magna (VSM) oder parva (VSP) – nicht mehr schliessfähig
und können ihre Funktion als Ventile nicht erfüllen. Die Folge ist venöser Refl ux in die Peripherie und damit eine venöse Hypertension, die beson-ders beim Sitzen und Stehen wirksam wird. Blutserum wird aus den Ve-nen ins Gewebe gepresst und führt zu Schwellungen. Längerfristig werden auch Proteine und Blutzellen eingelagert, besonders im Bereich der Fes-seln (Gamaschenzone). Dies führt zu Verfärbungen und Verhärtungen der Haut und des Unterhautgewebes, zur so genannten Dermato-Liposklero-se. Der Metabolismus der Weichteile wird kompromittiert, die Entstehung von Hautnekrosen in Form eines Ulcus cruris ist eine mögliche Folge.
Behandlung
Ziel jeder Behandlung ist es, den venösen Rückfl uss zu reduzieren oder auszuschalten. Dafür stehen mehrere Methoden zur Verfügung:
Die Kompressionsbehandlung mit Bandagen oder Kompres-sionsstrümpfen hilft , der venösen Hypertension entgegen zu wirken und die Symptome, aber auch längerfristige Folgen, zu vermindern. Periodi-sches Hochlagern der Beine sowie Gehen und Laufen wirken in dieselbe Richtung und unterstützen den Eff ekt der Kompression.
Die Prinzipien der chirurgischen Behandlung von Krampfadern wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts defi niert: Die insuffi ziente Vena saphena magna wird in der Leiste, unmittelbar an der Mündung ins tie-fe Venensystem, ligiert. Bei Parva-Insuffi zienz unterbindet man die Mün-dung der Vena saphena parva in die Vena poplitea. Die insuffi zienten Stammvenen werden danach mit Hilfe eines Drahtes (Stripper) aufgefä-delt und aus dem Körper herausgezogen. Danach werden oberfl ächliche Varizen durch Stichinzisionen mit Hilfe von Häkchen aus dem Subku-tangewebe entfernt (Phlebektomien). Diese Eingriff e erfolgen meistens im Operationssaal in Teil- oder Vollnarkose.
Etwa seit 15 Jahren gibt es ein wachsendes Angebot an Alternati-ven zur traditionellen Operation: Bei der endovenösen Th ermoablation werden die Refl ux führenden Stammvenen mit Hilfe spezieller Katheter durch Anwendung von Hitze zum Schrumpfen und zum Verschluss ge-bracht. Unter Ultraschallkontrolle wird die Vene punktiert – meistens die VSM am Unterschenkel. Mittels Seldinger-Technik wird dann ein Kathe-ter der Vene entlang bis an die sapheno-femorale Junktion in der Leiste vorgeschoben. Es folgt die ultraschall-gesteuerte Infi ltration von Tumes-zenz-Lokalanästhesie entlang dem Verlauf der VSM. Dann wird der Ka-theter unter Abgabe von Wärmeenergie nach distal zurückgezogen.
Zur Erhitzung der Vene verwendet man eine Heizspirale ( ClosureFast) oder Laser-Licht. Eine Inzision in der Leiste oder der Knie-
Die Zukunft gehört endovenösen Verfahren
Neue Behandlungsmethoden bei der Varikose
kehle ist nicht mehr nötig. Phlebektomien von Seitenästen erfolgen in herkömmlicher Technik, aber ebenfalls in Tumeszenz-Anästhesie.
Diese Eingriff e werden fast ausnahmslos ambulant in Praxen durch-geführt. Vollnarkose oder Spinalanästhesie sowie die Notwendigkeit von Operationssaal und Spitalbett entfallen. Die Patienten kehren kurz nach der Behandlung zurück nach Hause – oder zur Arbeit!
Die Sklerotherapie, eine chemische Verödung von Varizen, war um die Mitte des 20. Jahrhunderts stark verbreitet, wurde aber später von der Chirurgie teilweise verdrängt. Kurz vor der Jahrhundertwende wurde er-kannt, dass traditionelle Verödungsmittel wie Polidocanol viel wirksamer sind, wenn man sie mit Luft zu Schaum vermischt uns so in die Vari-zen injiziert. Eine wichtige Innova tion der Schaum-Sklerotherapie ist die Unterstützung durch bildgebende Sonographie. Sie ermöglicht einerseits die gezielte Punktion erkrankter Stammvenen oder Seitenäste. Dank der Echodichte des Schaums kann aber auch dessen Verbreitung genau be-obachtet werden. Mehr noch: Durch Veränderungen der Lage des Patien-ten und Manipulationen des Th eapeuten wie Massieren mit der Hand oder dem Schallkopf, kann der Schaum gezielt verfrachtet werden.
Die Schaum-Sklerotherapie eignet sich in besonderem Masse zur Be-handlung von Rezidiv-Varizen. Rezidiv-Operationen bergen von Mal zu Mal höhere Risiken, können aber heutzutage dank Schaum-Sklerothera-pie meistens vermieden werden. Nachteile der Schaum-Sklerotherapie sind, dass für eine erfolgreiche Behandlung oft mehrere Sitzungen nötig sind, und dass Misserfolg häufi ger ist als nach Stripping-Operation oder Th ermoablation.
Eine neue Variante der Sklerotherapie besteht in der Kombina-tion mit einer mechanischen Traumatisierung des Venen-Endothels. Im „Clarivein“-Katheter befi ndet sich ein schnell rotierender Draht mit einer abgewinkelten Spitze, die gegen die Gefäßsinnenwand schlägt und einen Spasmus erzeugen soll. Gleichzeitig wird konventionelles Sklerosierungs-mittel injiziert. Eine ganz andere Entwicklung zielt auf den Verschluss va-riköser Venen durch den Acrylat-Klebstoff Venaseal. Beide Systeme sind durchaus in der Lage, refl uxierende Stammvenen ohne Lokalanästhesie fast schmerzlos zum Verschluss zu bringen, sind allerdings noch wenig erprobt. Noch ist auch unklar, ob der Klebstoff vom Organismus völlig abgebaut wird.
Thermoablation
Die älteste Technologie zur endovenösen Th ermoablation wurde kurz vor der Jahrhundertwende unter der Bezeichnung VNUS Closure inau-guriert. Dabei wurden Radiowellen zwischen mehreren, leicht auseinan-der gespreizten „Antennen“ an der Spitze eines endovenösen Katheters
Prof. Dr. med.
Markus A. Enzler
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16 03 _ 2013 _ der informierte arzt
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übermittelt. Dies führte zur Erhitzung auf etwas über 100 Grad C und zum Verschluss der behandelten Stammvene. Die Prozedur war etwas langwierig und störanfällig, weil die Antennen nicht selten durch Blut-anteile verkleben und gereinigt werden mussten. Wenig später wurde die Th ermoablation durch Laser-Licht eingeführt, welches über Glasfasern in die Vene geleitet wird und sie dabei erhitzt und verschliesst. Die an-fänglich verwendeten Systeme emittieren Laser-Licht mit Wellenlängen um 800 Nanometer in axialer Richtung. Dabei wurden hohe Tempera-turen bis 800 Grad Celsius erzeugt. Die Behandlung führte zwar zuver-lässig zum Verschluss der Venen, nicht selten aber auch zu Perforationen der Venenwand. Folgen waren kleine Hämatome und Schmerzen. Eine wichtige Innovation im Jahre 2007 war ClosureFast, wo mit den be-reits erwähnten Radiowellen eine 7 cm lange Heizspirale kon trolliert auf 120 Grad erhitzt wird. Der Rückzug des Katheters erfolgt in Schritten von jeweils 6.5 cm nach jedem Heiz-Zyklus von 20 sec Dauer. Dieses Verfahren wurde weltweit bei mehr als einer Million Patienten ange-wendet und ist bis heute am weitesten verbreitet. Die Laser-Technik hat aber in den letzten Jahren ebenfalls erhebliche Verbesserungen erzielt. Beim System ELVeS Biolitec wird Laser-Licht mit einer Wellenlänge von 1470 Nanometer an der Katheterspitze ringförmig zur Venenwand um-gelenkt. Auf diese Weise gelingt ein zuverlässiger Verschluss der Vene mit Temperaturen von etwas über 100 Grad. Die Nebenwirkungen sind entsprechend milder als nach ursprünglichen Laser- Behandlungen und entsprechen etwa denen von ClosureFast.
Evidenz
Die konventionelle Operation mit dem Stripping insuffi zienter Stamm-venen und der Phlebektomie von Astvarizen avancierte in den hundert Jahren ihrer Existenz zum „Gold Standard“ der Varizenbehandlung. Diese Rolle wurde bis vor kurzem kaum in Frage gestellt oder wissen-schaft lich überprüft . Erst die neuen endovenösen Verfahren haben zu vergleichenden Studien animiert. Nur wenige erfüllen die zeitgemäs-sen Anforderungen von „randomized controlled trials“ und naturge-mäss sind die Beobachtungszeiten beschränkt. Immerhin stimmen fast alle Studien darin überein, dass die Resultate der endovenösen Th er-moablation denen des Strippings (mindestens) ebenbürtig sind. Kurz-fristig weisen sie zudem klare Vorteile auf, weil die Patienten nach dem Eingriff weniger Schmerzen haben und früher zu ihrer üblichen Tätigkeit zurückkehren. Repräsentativ ist eine randomisierte Ver-gleichs-Studie, publiziert von einer dänischen Autorengruppe um Lars Rasmussen im British Journal of Surgery (2011). 500 Patienten mit 580 insuffi zienten VSM wurden mit a) Laser oder b) Radiofrequenz oder c) durch Schaum-Sklerotherapie bzw. d) durch Stripping behan-delt. Die Schlussfolgerung der Studie lautet: „Alle Behandlungen waren wirksam. Die technische Versagerrate war am höchsten nach Schaum-Sklerotherapie, aber sowohl Radiofrequenz als auch Schaum waren assoziiert mit einer rascheren Erholung und weniger postoperativen Schmerzen als Laser und Stripping“. Bezüglich Laser ist diese Studie insofern überholt, als der Radial-Laser noch nicht zum Einsatz kam.
Gesundheitspolitik
Nach geltendem Schweizer Recht bezahlt die Grundversicherung aus-schliesslich Behandlungen, die in einer Positiv-Liste des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) aufgeführt sind. Die Th ermoablation befi ndet sich bisher nicht auf dieser Liste. Ein entsprechender Antrag wurde von der Union der Schweizerischen Gesellschaft en für Gefässkrankheiten im Sommer 2012 beim BAG eingereicht. Eine offi zielle Antwort ist bisher ausgeblieben. Einige Krankenversicherungen bezahlen die Th ermoab-
lation freiwillig bei privat oder halbprivat Versicherten. Damit kommen sie den Wünschen ihrer Kundschaft sehr entgegen und sparen erst noch viel Geld. Warum andere grosse Versicherungen diese kulante und kos-tenbewusste Praxis bis heute nicht übernommen haben, muss ihr Ge-heimnis bleiben.
In den USA wurde ausgehandelt, dass die endovenöse Th ermo-ablation besser honoriert wird als das konventionelle Stripping. Die-ser (meiner Meinung nach nicht gerechtfertigte) fi nanzielle Anreiz hat vermutlich dazu beigetragen, dass erkrankte Stammvenen heute in den USA zu etwa 95 % durch Th ermoablation behandelt und konventionelle Operationen kaum noch vorgenommen werden. Immerhin übernimmt auch das National Health System des United Kingdom die Kosten der Th ermoablation. Die Wahl des Verfahrens wird nicht durch fi nanzielle Anreize beeinfl usst. Auch unter diesem Regime hat die Th ermoablation in den letzten zwei Jahren einen rasanten Aufstieg verzeichnet.
Konklusion
Auf Grund der Literatur und der eigenen Erfahrungen mit Th ermoabla-tion (VNUS ClosureFast und ELVeS Biolitec Radial-Laser) an über tausend Patienten sind wir entschieden der Ansicht, dass die Zukunft den endove-nösen Verfahren gehört und dass die Rolle der konventionellen Chirur-gie kleiner wird. Die ausschliesslich ambulante Anwendung endovenöser Verfahren und die rasche Rückkehr in den Alltag bergen ein erhebliches Sparpotenzial für das Gesundheitswesen und für die Volkswirtschaft ins-gesamt. Man darf gespannt sein, wie lange es dauert, bis sich diese Erkennt-nis auch hierzulande bei Behörden und Th erapeuten durchgesetzt hat.
Prof. Dr. med. Markus A. Enzler
Venenzentrum am See, 8706 Feldmeilen
Take-Home Message
◆ Die konventionelle Operation mit dem Stripping insuffi zienter Stamm-
venen und der Phlebotomie von Astvarizen war während langer Zeit
der Gold-Standard der Varizenbehandlung
◆ Die endovenöse Thermoablation ist dem Stripping (mindestens)
ebenbürtig
◆ Die endovenösen Verfahren werden fast ausnahmslos ambulant in
Praxen durchgeführt , die Patienten kehren kurz nach Behandlung
zurück nach Hause oder an die Arbeit
◆ Die endovenösen Verfahren sind damit Patienten-freundlich, und die
Kosten sind tendenziell tiefer, schon wegen der konsequent ambulan-
ten Durchführung
Abb. 1: Li Unterschenkel
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punktiert und nach
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der informierte arzt _ 03 _ 2013 17