zur nosologischen stellung des granuloma gangraenescens

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Zeitschrift fiir Krebsforschung, l~d. 58, S. 698--706 (1952). Zur nosologischen Stellung des Granuloma gangraenescens*. Von G. VOGEL, Karlsruhe. Mit 5 Textabbildungen. In den letzten 50 Jahren wurden in der Weltliteratur wiederholt F~lle eines eigenartigen Krankheitsbildes besehrieben, dessen ~tiologie trotz eingehender pathologisch-anatomischer wie auch bakteriologischer Untersuchungen bis heute unklar geblieben ist. Es handelt sich um eine diffus wuchernde, zu gangr/in5sem Zerfall neigende Neubildung im Be- reich des Nasen-l~achenraumes mit Ubergreifen auf die MundhShle. Sie ist gekennzeichnet durch flis Fortschreiten, nur m~$iges Tiefenwachstum, fehlende Verk/s und h~iufiges Verschontbleiben der regioniren Lymphknoten. Bei anfiinglich geringer Beeintr/~chtigung des Allgemeinbefindens zeigt das Leiden einen malignen, progredienten und fast jeder Therapie trotzenden Charakter. Seit der ersten Publi- kation durch McBaIDE im Jahre 1896 sind etwa 40 Mitteilungen er- schienen. Die heute gebr~uchlichste Bezeichnung ffir die skizzierte Er- krankung, Granuloma gangraenescens, wurde 1929 yon Kl~AlYS vor- geschlagen; der yon Voss inaugurierte Begriff des progredienten rnalignen Granuloms hat sich nicht eingebiirgert. Die Beobachtung eines eigenen, dem Formenkreis dieses reeht sel- tenen Leidens zuzurechnenden Erkrankungsfal]es i yon Krankheits- beginn bis zur Obduktion hat uns wegen der grol~en diagnostischen Schwierigkeiten verunlaftt, die gesamte Kasuistik der We]t]iteratur einer kritisehen Naehpriifung zu unterziehen. Wir sind dabei zu einer K1/~rung der nosologisehen Stel]ung dieser Neubildung gelangt, die im fo]genden vorge]egt und begriindet werden soU. Der 30jithrige Kranke ]itt vor der Aufnahme an rezidivierender Erkiiltung mit Heiserkeit, Schluckbeschveerden und Fieber. Er stand zuniichst wegen L~ryngitis und Perichondritis kurzfrisfiig in stationgrer ~Behandlung. Bei der 2. Aufnahme nach einem halben Jahr bo~ er eine Schwe]lung an Nasenwurze] und innerem Augenwinkel. Bei der operativen Freilegung der rechten KieferhShle zeigte sich eine granulierende Entztindung der Schleimhaut mit l~ekrose und Fi-brose der knSchernen, einer verlagerten Siebbeinzelle entnommenen Anteile. Mit dem Auf- treten septischer Temperaturen setzte eine fStide Sekretion mit Sequestrierung der linken unteren Nasenmuschel ein, die sich nicht0 beeinflussen lieB. Mehrere Probe- excisionen im Verlauf der n/~chsten Wochen ergaben immer wieder nur das Bild einer granulierenden Entzfindung mit gewucherten ttistiocyten, Reticulumzellen * Referat gehaRen auf der 36. Tagung cler Deutschen Gesellschaff0fiir Pathologie am 7. Juni 1952 in Freiburg i. Br. i lVfir die {~berlassung des Krankenblattes sind wir Herrn Prof. M. WEbEr, Leiter der Itals-Nasen-Ohrenklinik der Stidt. KmnkenanstMten Karlsruhe, zu groBem Dank verpflichtet.

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Zeitschrift fiir Krebsforschung, l~d. 58, S. 698--706 (1952).

Zur nosologischen Stellung des Granuloma gangraenescens*. Von

G. VOGEL, Karlsruhe.

Mit 5 Textabbildungen.

I n den letzten 50 Jahren wurden in der Welt l i teratur wiederholt F~lle eines eigenartigen Krankheitsbildes besehrieben, dessen ~tiologie trotz eingehender pathologisch-anatomischer wie auch bakteriologischer Untersuchungen bis heute unklar geblieben ist. Es handelt sich um eine diffus wuchernde, zu gangr/in5sem Zerfall neigende Neubildung im Be- reich des Nasen-l~achenraumes mit Ubergreifen auf die MundhShle. Sie ist gekennzeichnet durch flis Fortschreiten, nur m~$iges Tiefenwachstum, fehlende Verk/s und h~iufiges Verschontbleiben der regioniren Lymphknoten . Bei anfiinglich geringer Beeintr/~chtigung des Allgemeinbefindens zeigt das Leiden einen malignen, progredienten und fast jeder Therapie t rotzenden Charakter. Seit der ersten Publi- kat ion durch McBaIDE im Jahre 1896 sind etwa 40 Mitteilungen er- schienen. Die heute gebr~uchlichste Bezeichnung ffir die skizzierte Er- krankung, Granuloma gangraenescens, wurde 1929 yon Kl~AlYS vor- geschlagen; der yon Voss inaugurierte Begriff des progredienten rnalignen Granuloms hat sich nicht eingebiirgert.

Die Beobachtung eines eigenen, dem Formenkreis dieses reeht sel- tenen Leidens zuzurechnenden Erkrankungsfal]es i yon Krankhei ts- beginn bis zur Obduktion ha t uns wegen der grol~en diagnostischen Schwierigkeiten verunlaftt, die gesamte Kasuist ik der We]t] i teratur einer kritisehen Naehpriifung zu unterziehen. Wir sind dabei zu einer K1/~rung der nosologisehen Stel]ung dieser Neubildung gelangt, die im fo]genden vorge]egt und begriindet werden soU.

Der 30jithrige Kranke ]itt vor der Aufnahme an rezidivierender Erkiiltung mit Heiserkeit, Schluckbeschveerden und Fieber. Er stand zuniichst wegen L~ryngitis und Perichondritis kurzfrisfiig in stationgrer ~Behandlung. Bei der 2. Aufnahme nach einem halben Jahr bo~ er eine Schwe]lung an Nasenwurze] und innerem Augenwinkel. Bei der operativen Freilegung der rechten KieferhShle zeigte sich eine granulierende Entztindung der Schleimhaut mit l~ekrose und Fi-brose der knSchernen, einer verlagerten Siebbeinzelle entnommenen Anteile. Mit dem Auf- treten septischer Temperaturen setzte eine fStide Sekretion mit Sequestrierung der linken unteren Nasenmuschel ein, die sich nicht0 beeinflussen lieB. Mehrere Probe- excisionen im Verlauf der n/~chsten Wochen ergaben immer wieder nur das Bild einer granulierenden Entzfindung mit gewucherten ttistiocyten, Reticulumzellen

* Referat gehaRen auf der 36. Tagung cler Deutschen Gesellschaff0 fiir Pathologie am 7. Juni 1952 in Freiburg i. Br.

i lVfir die {~berlassung des Krankenblattes sind wir Herrn Prof. M. WEbEr, Leiter der Itals-Nasen-Ohrenklinik der Stidt. KmnkenanstMten Karlsruhe, zu groBem Dank verpflichtet.

Zur nosologischen Stellung des Granuloma gang~aenescens. 699

und Nekrose (Abb. 1). Im Verlauf yon 3 Monaten entwickelte sieh eine Ulceration am harten Gaumen mit Gaumenperforation, spgter eine Perforation des Septums und eine kraterfSrmige Ulceration im Bereich der reehten Nasolabialfalte mit Freiliegen des Oberkieferknochens. Bald darauf erblindete der Erkrankte auf dem reehten Auge. Ers~ kurz vor dem Tod kam eine schmerzhafte Schwellung yon Joehbein, Ohr- und Halsgegend mit Lymphknotenvergr6Berung entlang des grogen Kopfnickers und der Schliisselbeingrube hinzu. Der Tod erfolgte an absce~ dierender Pnenmonie.

Ansgedehnte und wiederholte bakteriologische und serologisehe Untersuchungen hatten w/~hrend der langen Krankheitsdauer stets ein negatives Ergebnis. Nut einmal wurde kurz vor dem Tod aus dem N~senabstrich B. Proteus geziichtet. Die Blutsenkungsgesehwindigkeit hielt sich monatelang auf Werten um 30/50, mn erst in den letzten Tggen mit 70/120 eine wesentliche Besehleunigung zu edahren. Die Leukocytenzghl schwankte in engen Grenzen dauernd um 5800, nut vor Ein- setzen der gntibiotischen Therapie und nach Auftreten der Pneumonie zeigte sieh eine Vermehrung auf 11000. Im Differentialblutbild war eine zunehmende Links- versehiebung bemerkbar, zuletzt 48% Stabkernige bei einer Lymphopenle yon 2%. Auff~llig war aneh das Verhalten der Monoeyten, die mit 7--14% nicht unerheblieh vermehrt waren.

Das Resu]tat der Obduktion entsprach weitgehend der eben angefiihrten Mini- schen Symptomatologie: Es lag, wie nun erstmals eindeutig festzustellen war, ein nekrotiseher Tumor des Nasen-~achenraumes, der rechten Kieferh6hle, der rechten Orbita, der Siebbeinzellen und des Keilbeink6rpers vor. Kontinnierliche Meta- stasen wurden in den oberen Halslymphknoten, im subeutanen Fettgewebe his zur Sehulter, Gesehwulstabsiedlungen auch in der Leber gefunden.

Die feingewebliche Untersuehung zeigte, dab es sich bei der Geschwulst um ein Retothelsarkom handelte mit reeht wechselnder Struktur. Der Tumor ist naeh der t~OVLETschen Klassifikation Ms reife Form zn bezeiehnen, nach der yon 0m- vEI~_~ vorgeschlagenen Gruppierung, welche unter Bertieksieh~igung der embryo- nalen Entwicklung des Lymphknotenretieulums die Retothelsarkome dem je- weiligen ontogenetisehen Differenzierungsgrad des Reticulums entspreehend ein- teilt, im groi~en und ganzen den polymorphzelligen Formen zuzuordnen. Aueh hier f/~llt wieder die Wandlungsf~thigkeit der spezifischen Geschwulstzelle auL die besonders den retothelialen Tumoren des Nasen-Bachenraumes eigen ist.

Naeh diesem Sektionsergebnis haben wit Schnitte und Material der voran- gegangenen Probeexeisionen einer eingehenden Kontrolle unterzogen nnd im wesengliehen wieder nut grannlierende Entztindung mit Nekrose festgestellt, an wenigen Stetlen jedoch auch Nester gewucherter lgeticulumzellen mit zier]ichem argentophilem Fasernetz ohne die Zeichen maligner Entartung (Abb. 1).

Unsere Erfahrungen, die UnmSgliehkeit , bei diesem Krankhei t s - prozel~ trotz zahlreieher Probeexeisionen int r~ v i t am die Diagnose eines Neoplasmas stellen zu kSnnen, deeken sieh mi t denen aueh anderer Untersueher . Allerdings sollten die fiir ein entziindliehes Granulom ungewShnlieh ausgedehnten Nekrosen und die auff/illige Ret ieu lum- zellwueherung doeh in erster Linie an ein retotheliales Blas tom denken lassen. Die Si lber impr~gnat ionsmethoden erweisen sieh bei der Dif- ferentialdiagnose yon besonderem Wert .

Setzen wit makroskopisehe u n d mikroskopische B e f u n d e unserer eigenen Beobaehtung in Beziehung zu den bisher mitgete i l ten Erkran- kungsf~tllen, so m6ehten wir dies t u n hinsiehtl ieh der Frage, ob an

700 G. VoosL:

der Bezeichnung Granuloma gangraenescens fiir ein Krankheitsbild sui generis festgehMten werden daft, oder ob diesem Begriff nurmehr eine beschreibende Bedeutung zukommt.

Hierbei scheiden zun~chst alle die Fi~l]e aus, welche nieht die typische Symptomatologie aufwiesen oder nut unzureichend untersucht wurden.

EbenfMls nicht aufgenommen werden jene Erkrankungsf~lle, die ein dem Granuloma gangraenescens zwar sehr ~hnliehes Erseheinungs- bild boten, histologisch aber eindeutig Ms andersartige Leiden zu deft- nieren waren. Hierzu gehSren die yon SCgLICTLE~ beschriebenen post-

Abb. 1. Ausschnitt a~ls Probeexcision rait gramflierender Entzfindnng und Nekrose.

encephMitischen Gesehwfirsbildungen mit kraterf5rmig granulierenden Defekten an der 1Nase, ferner die yon WEGES~R mitgeteilten Fii]le einer eigenartigen rhinogenen Granulomatose.

Die iibrigen Publikationen lassen sich nach ihren histo-pathologischen Befunden wie folgt gruppieren:

1. Die als Mykosis ]ungoides gedeuteten F~lle y o n SCHMALIX, BONI#E- LODDER und anderen Autoren. Sie so]len dem 3. Stadium der k]assisehen Form, dem Typ u entsprechen, w~ren eine Mykosis fun- goides d'embl~e. Die ]~eschreibung ihrer feingeweblichen Struktur zwingt uns, sie heute als l%etothelsarkome einzuordnen.

2. Die besonders im anglo-amerikanisehen Sehrifttum hgufig ange- ffihrten Plasmocytome. (Wir verweisen auf die ArbMten yon BERDAL, K E ~ Y , I%AWSO~.) Selten Rezidive bei nmltiplem Myelom, meist extramedull~ire Formen dieser p]asmazellig differenzierten Neoplasien retothelialer Genese, h~tufig nur partiell in die p]asmacellulare Reihe ent- wickelte Retothelsarkome.

3. Die yon Lfd~DI~ zusammengestellten und a]s Meristome bezeichneten primitiven Tumoren. Sie miissen wegen des nachgewiesenen feinen

Zur nosologischen Stellung des Granuloma ga~graenescsns. 701

reticulgren Fasergertistes ebenfalls fast alle den retothelialen Neubil- dungen zugerechnet werden.

4. Die grol]e Gruppe der unter der Diagnose Lymphogranulomatose verSffent]ichten Erkrankungs{glle (z. B. die Arbeiten yon H~SSE, Smu~M, TnZEL]S~A~N). Alle weiehen in ihrer feingeweblichen Struktur yon dem fiblichen Bfld ab, werden daher tefls als atypische, teils als parablasto- matSse Lymphogranulomatose, oft als Hodgkin-Sarkom angesproehen. Wenn man an der schon yon STER~BS.RG aufgestellten Forderung fest- hglt, als Lymphogranulomatose nnr sin wohlumschriebenes Krankheits- bild anzuerkennen, trotz flieBender Uberggnge zwischen Lympho- gTanulomatose und Neoplasma sine seharfe Trennung durehfiihrt und die Bezeichnung atypische Lymphogranulomatose vermeidet, so impo- niert keines der Krankheitsbflder als lokalisierte Lymphogranu]omatose, es handelt sieh fast immer um maligne, mit unterschiedlieh hochgradigen entzfindliehen Vergnderungen kombinierte Neubildungen.

5. sind die yon HEINEMAIqlq, SFRENGER, SCttWAB U. a. bearbeiteten und unter der Diagnose Malignes Granulom, entzi~ndlicher Tumor, Granuloma gangraenescens verSffentlichten Fg]le zu nennen , unter denen wit auch einige Dauerheflungen naeh radika]en Operationen und mas- siven Bestrahlungen finden. Auf Grund der Beschreibung des entnom- menen Materials und der Abbildungen handelt es sich zweilellos um Reticulosen mit Nekrose und durch die therapeutisehen MaBnahmen be- dhlgte Bindegewebsneubildung.

6. In die letzte Gruppe, die den grSBten Prozen~satz der Publikationen fiber dieses eigenartige Krankheitsbild ausmacht, sind die Fglle einzu- reihen, bei denen teilweise schon intra vitam oder oft erst durch die Ob- duktion der klinische Verdacht einer geschwulstartigen !Veubildung be- st~tigt wurde. (Hier sind v0rnehmlich die Arbeiten yon EIGLER ZU nennen.) Entweder wurden diese Tumoren als l%etothelsarkome erkannt oder es la{~t die Beschreibung der feingeweblichen Struktur heute keine andere Diagnose zu.

Bezfiglich des klinischen Verlaufes, der Symptomatologie, der Diffe- rentialdiagnostik und der Bakteriologie dieser Publikationen ist auf die grol~en. Kasuistiken yon ST]~WA~D, IH~r~ und JOtST]~N zu verweisen. Hervorheben wollen wir lediglich die immer dem eigent]ichen Krank- heitsgeschehen vorausgehenden ehroniseh-entzfindliehen Prozesse des Nasen-Raehenraumes und die resist auffa]lende Monocytose des peri- pheren Blares.

Die kritisehe Durchsicht der bisherigen VerSffentlichungen erbringt also den Nachweis, dal] jedem der nachprfifbaren Krankheitsprozesse sine Affektion des retothelialen Systems im ]3ereich des Nasen-Rachen- raumes, sine prim/s nicht systematisierte, teilweise entzfindliche l%eti- culose zugrunde lag: se]ten sin Tumor plasmacellul/s Differenzierung,

Z. Krebsforschung. ]3d. 58. ~7

702 C. Voo~n:

mitunter eine noch benigne Hyperplasie, gelegentlieh eine granulomatSse l%eticulose, n/~mlieh eine Lymphogranulomatose, meist ein 1NTeoplasma.

Zum Verstgndnis der formalen Genese erscheint uns die Histologie des Nasen-Rachenraumes yon besonderer Bedeutung. Das hier fiberaus stark ausgepragte lymphadenoide Gewebe zeigt, wie schon alte Unter- suchungen ergaben, eine besondere Anordnung. Es ist tells diffus, teils in KnStchenform gelagert, wobei Menge und Lokalisation der Lymphkn6tchen in den Sehleimh~uten gesunder Erwachsener stark varfieren; sie sind, 1--3 an der Zahl, dicht unter dem Epithel um die Mfindung der Sehleimdriisenausffihrungsg/s geordnet. Wiederholt dringen derartige Follikel mit ihrer Basis tiefer in die Submucosa vor und umseheiden die Drfisenalveolen. Die Schleimhaut im ganzen ist gegen die Tiefe zu durch eine elastisehe Grenzschicht oder eine straffe Submueosa scharf getrennt. Neuere Untersuchungen fiber die Bedeutung des subepithelialen lymphatischen Gewebes ffir die Entstehung und Aus- breitung der Larynxtuberkulose wiesen auf die besondere Rolle dieses Gewebes bei exo- und endogenen Schgden hin und zeigten, dab sich die fast immer im lymphatischen Apparat lokalisierten Herde wegen der Dicke der Grenzmembran in der Regel nach der Seite des geringsten Widerstandes, epithelwgrts, ausbreiten und exulcerieren.

Bei der etwas eingehenderen Beseh~ftigung mit der von uns beob- aehteten malignen Neubildung sind uns einige Besonderheiten auf- gefallen. W/~hrend EIGLER gl~ seinem Beobachtungsgut eine Beziehung zwisehen der histologisehen Struktur und dem klinisehen Ver]auf sowie der Strahlenbeeinflul~barkeit beobachtet haben will und auf diesen Befunden eine Typeneinteilung der Retothelsarkome der oberen Luft- wege aufbaute, seheint uns ein gesetzm/~l~iges Verhalten des ReticUlums insofern vorzuliegen, als eine Stadieneinteilung bezfiglich der rgumlichen Progredienz des Tumors mSglieh ist. Wir fanden stets im Gesehwulst- zentrum eine hochgradige Zellpolymorphie, wenig freie Zellen bei deut- licher retieul~rer Struktur mit erheblicher Verbreiterung eines neu- gebildeten argentophilen Fasernetzes in der Lamina propri~ mit mehr Verdrgngung als ZerstSrung der kollagenen Struktur, ausgedehnten Nekrosen, Fehlen entzfindlicher Infiltration (Abb. 2); welt in der Peri- pherie im makroskopisch Gesunden umschriebene Reticulumhyper- plasie der subepithelialen LymphknStehen bei intakter Faserstruktur (Abb. 3). Dazwischen eine diffuse, aueh auf die 5dematSse Submueosa fibergreifende Retieulose mit nut wenigen atypischen Elementen, reich- lich Plasmazellen und vielen plasmazell/~hnli6hen Zellformen, in Nach- barschaft des Gesehwulstzerfalles ein an den feingeweblichen Bau des Plasmocytoms erinnerndes Zellbild: eine fibro-reticulo-Syneytiale Neu- bildung mit massenhaft in den Maschenr~tumen liegenden Plasmazellen und plasmaeeliul/iren Retieulumzellen (Abb. 4). Diese Stadien unter-

Zur nosologischen Stellung des Granuloma gangraenescens. 703

schiedliehen Feinbaues zeigen sich nieht nur im Epipharynx und in der Nasenschleimhaut, wobei im Bereich sehmaler Schleimhaut fiber

A b b . '2. Z c n t r a l e r G e s c h w u l s t a n t e i l a u s d e m w e i c h e n G a m n c n m i t h o c h g r a d i g e r Z e l l p o l y m o r p h i e .

Abb. 3. iCiypopharynxhinterwand mit umschriebener l~eticulumhypcrl)lasie in der S~.tbmucos a.

knScherner Unterlage der cellulgr-differenzierte Typ vorherrscht, sondern auch in den Lymphknoten : Ulceration, vielgest~ltiges Zellbild hochgrudig atypisoher 1R.etothelien am Kieferwinkel, {3berwiegen der plasmoidalen

Z. Krebsforschm)g. Bd. 58. 47~

704 G. VOGEL:

Komponente bei fibrocellul~r differenzierter Neubildung entl~ng des Kopfnickermuskels, gutartige Reticulose paratracheal (Abb. 5).

Abb. 4. P c r i p h e r e r Geschwu!s tan te i ] aus dem E p i p h a r y n x m i t e iner dem P l a s m o c y t o m hhnlichen F e i n s t r u k t u r .

Abb. 5. N a s e n s c h l e i m h a u t im Bere ich des t m t e r e n N a s e n g a n g s rechts . Dif fuse Reticulose in der 5dema t6sen Submucosa .

Da das polymorphzellig-nekrotische Gewebsbild den Stellen erster klinischer Tumorm~nifestation entspricht, das der Reticulosen jfingsten Datums ist, scheint es uns erlaubt, yon den Stadien der r~umlichen Progredienz auf die formale Entwicklung zu schlie[ten.

Zur nosologisehen Stellung des Granuloma gangraenescens. 7 0 5

Bemerkenswert ist weiterhin das Fehlen von Geschwulstthromben, die kaum nsnnenswerte Gefi~13wandreaktion, das vorwiegend fl~ichen- hafte, verdr/~ngende Wachstum, eigenartig auch die geringe Milzreaktion. Auch fanden wir wiederum den besonderen Modus der Geschwulst- absiedelung, der ffir die malignen retothelialen Neubildungen typisch ist, auch fiir die Weiterentwicklung der leukgmischen und granulomatSsen Reticulosen zutrifft und eher der Ausbreitung einer Infektion (definiert als speziiische Wueherung ortsst/~ndiger Zellen an der Stelle des Haftens eines infekti5sen Agens) als der Metastasierung einer Geschwulst (blasto- matSse Wucherung ortsfremder verschleppter Zellen) gleieht. Manches sprieht fiir eine multizentrische Gesehwulstentstehung im Sinne der VIRc~Owschen Reiztheorie, unter anderem auch die multiplen Leber- metastasen mit ihrer ausgedehnten, durch keine lokale Superinfektion erkl/~rbaren Nekrose.

Die reichliche Bildung plasmazell/~hnlicher Elemente in unserem Fall stellt keinen ungewShnlichen Befund dar. Sie ist nicht auf chroni- sche Entziindung zu beziehen, sondern eine Differenzierung des Retothel- sarkoms in eine h~imatopoetische Reihe. Es ist uns aus dem Sehrifttum bekannt, dab extramedu]l/~re Plasmocytome vorwiegend im Nasen- Rachenraum gefunden wurden, und aueh aus grol3en Kasuistiken geht der hohe Anteil plasmacellul~ir differenzierter Geschwiilste unter den Retothelsarkomen des Epipharynx und der NasenhShlen hervor. Man ist geneigt, diesen ]3efund ebenso als ortsgebundene Besonderheit zu werten wie die Tendenz der Geschwfilste, zu nekrotisieren, ohne dal3 eine histologiseh oder bakterologisch-serologiseh greifbare Infektion oder eine gef~13bedingte Ursaehe gefunden wird.

Die kritisehe Siehtung der bislang erschienenen VerSffentliehungen des als Granuloma gangraenescens bezeiehneten Krankheitsbildes und die eingehenden Untersuchungen an einem eigenen Fall von uleerierendem Retothelsarkom ergeben also, dab sich hinter dieser Diagnose weder ein selbstgndiger, bisher i~tiologisch noch unklarer KrankheitsprozeB ver- birgt, noch es sich um die Zusammenfassung bekannter, /~tiologiseh uneinheitlicher Leiden mit gemeinsamem Teilbild unter einer einheit- lichen Bezeichnung handelt, sondern dab Granulom und Gangri~n nur morphologische Substrate einer in begrenztem gahmen variierenden, nicht systematisierenden geticulose sind.

Beziiglich der formalen Genese dieser Reticnlosen d/irfen wir uns vor- stellen, dab die immer vorausgehenden chronisch-entziindlichen Affek- tionen zu vermehrter Inanspruchnahme des subepithelialen lympho- reticul~ren Gewebes fiihren mit daraus resultierender Proliferation. Diese hat die MSglichkeit, sich riickzubilden oder auf Grund schweren lang- dauernden oder erneut akuten Reizes zu einem Prozeg sui generis zu werden. In diesem Fall wird aus der Hyperplasie die Neubfldung. Die

Z. Xrebsforschnng. :Bd. 58. 47b

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n u n m e h r selbst~ndige Reticulose bleibt lokalisiert, k a n n als homologe, ausgereffte u n d zun~chst gutar t ige Geschwulst bei entsprechender Lokal isat ion u n d individueller Wachs~umstendenz infolge der be ka nn t e n Kompl ika t ionen durchaus zum letalen Ausgang fiihren, aber auch bei geeigneter Therapie noch ge]egentlich zur Aushei lung gebracht werden. Meist n i m m t die Neubi ldung aber bSsartigen Charakter an, wobei nn t e r den bis heute b e k a n n t e n Faktoren, die den Anstol~ zur mal ignen En t - a r tung geben, der in dieser KSrperregion h~ufigen bakterie]len Infek t ion eine n icht geringe Bedeutung beizumessen ist. Das so en t s t andene

Retothelsarkom zeigt in weitgehender Anpassung an die ana tomischen Gegebenheiten Gin vorwiegend fl~chenhaftes W a c h s t u m mi t ausgedehn-

ten Exulcera t ionen u n d Nekrosen, mi t nu r m~l~iger Neigung, in der fiir das retotheliale Gewebe eigenen Fo rm zu metastasieren. Klinisch wie histo-pathologisch formen also Blastom und infektiSs-entziindliche Vor- gi~nge das Bild; die gelegentlich beobachtete Lymphogranulomatose n i m m t auch hier wieder dig ihrem Wesen eigene Mittelstel lung ein. Bei den l~etothelsarkomen kommt es je nach dem Grad der Entdifferenzie- rung zu rein ret icul~ren oder plasmacellul~ren Neubi ldungen oder zu

gleichzeitigem Anspreehen beider Systeme.

Nach diesen Erkenntn i s sen scheint uns Gin Fes tha l ten an dem Be- griff Granuloma gangraenescens oder Malignes Granulom als Diagnose n icht mehr s ta t thaf t ; diese nichts pr~judizierenden und den therapeut i - schen Bemfihungen des behande lnden Arztes durchaus night fSrderlichen Bezeichnungen lassen sich durchaus entbehren.

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Prosektor Dr. G. VOGEL, (17 a) Karlsruhe, St~dt. Krankenanstaltem