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factum 7 I 2011 11 POLITIK/ISRAEL Warum ist Israel so wichtig? Die Frage, ob Gottes Wort und damit Gott selbst zuverlässig und vertrauenswürdig ist, steht und fällt mit der Israelfrage. Geistlich und weltpolitisch haben wir keine Zukunft ohne Israel. Johannes Gerloff D as jüdische Volk ist ein Volk wie je- des andere, wird viel behauptet. Is- rael ist ein Staat wie jeder andere, heisst es – meist gefolgt von der Frage: «Wa- rum darf man Israel eigentlich nicht kri- tisieren …?» Dabei steht kein Staat die- ser Welt so in der Kritik wie Israel. Wobei natürlich immer prophylaktisch betont wird, dass eine Kritik an Israel nichts mit Antisemitismus zu tun hat. Theologisch wird diese Aussage-Ten- denz vielfältig untermauert. Dafür steht zum Beispiel der Beitrag des württem- Israelische Jugendliche demonstrieren in Itamar bei Nablus gegen die Pläne der Palästinenser, vor der UNO-Vollversammlung die Anerkennung des West- jordanlands und des Gaza-Streifens als autonomen Staat zu beantragen. bergischen Pfarrers Jochen Vollmer im Deutschen Pfarrerblatt. Er bringt eine solche Fülle von Unwahrheiten gegen Israel in Stellung, dass er gleich von ei- ner islamistischen Webseite aufgegrif- fen wurde, die ganz unverhohlen dem Mullah-Regime in Teheran und der ra- dikal-schiitischen Hisbollah-Miliz im Libanon huldigt. Es geht längst nicht mehr um ein Schweigegebot, das deutsche und christ- liche Schuld durch die Schoah angeb- lich verordnet. Sondern es geht um den gebotenen Widerstand gegen uralte Denkstrukturen, die den Massenmord am jüdischen Volk unter Federführung des Landes der Reformation erst mög- lich gemacht haben. Diese Denkstruk- turen feiern jetzt – allen kirchlichen Ver- lautbarungen zum jüdisch-christlichen Verhältnis zum Trotz – ganz offensicht- lich fröhliche Urständ. Israel ist in der Bibel kein Nebenthema für Spezialisten, sondern ein zentrales Anliegen. REUTERS/NIR ELIAS

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factum 7I2011 11

POLITIK/ISRAEL

Warum ist Israel so wichtig?Die Frage, ob Gottes Wort und damit Gott selbst zuverlässig und vertrauenswürdig ist, steht und fällt mit der Israelfrage. Geistlich und weltpolitisch haben wir keine Zukunft ohne Israel.

Johannes Gerloff

das jüdische Volk ist ein Volk wie je-des andere, wird viel behauptet. Is-

rael ist ein Staat wie jeder andere, heisst es – meist gefolgt von der Frage: «Wa-rum darf man Israel eigentlich nicht kri-tisieren …?» Dabei steht kein Staat die-ser Welt so in der Kritik wie Israel. Wobei natürlich immer prophylaktisch betont wird, dass eine Kritik an Israel nichts mit Antisemitismus zu tun hat.

Theologisch wird diese Aussage-Ten-denz vielfältig untermauert. Dafür steht zum Beispiel der Beitrag des württem-

Israelische Jugendliche demonstrieren in Itamar bei nablus gegen die Pläne der Palästinenser, vor der unO-Vollversammlung die Anerkennung des West-jordanlands und des Gaza-Streifens als autonomen Staat zu beantragen.

bergischen Pfarrers Jochen Vollmer im Deutschen Pfarrerblatt. Er bringt eine solche Fülle von Unwahrheiten gegen Israel in Stellung, dass er gleich von ei-ner islamistischen Webseite aufgegrif-fen wurde, die ganz unverhohlen dem Mullah-Regime in Teheran und der ra-dikal-schiitischen Hisbollah-Miliz im Libanon huldigt.

Es geht längst nicht mehr um ein Schweigegebot, das deutsche und christ-

liche Schuld durch die Schoah angeb-lich verordnet. Sondern es geht um den gebotenen Widerstand gegen uralte Denkstrukturen, die den Massenmord am jüdischen Volk unter Federführung des Landes der Reformation erst mög-lich gemacht haben. Diese Denkstruk-turen feiern jetzt – allen kirchlichen Ver-lautbarungen zum jüdisch-christlichen Verhältnis zum Trotz – ganz offensicht-lich fröhliche Urständ.

Israel ist in der Bibel kein Nebenthema für Spezialisten,sondern ein zentrales Anliegen.

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Weder behauptet die Heilige Schrift noch das jüdische Volk für sich selbst auch nur den geringsten Grad der Sünd-losigkeit. Insofern haben sich Juden, wie alle anderen Menschen auch, kla-ren ethischen Massstäben kritisch zu stellen. Theologisch ausgedrückt: Den Menschen ist bestimmt, einmal zu ster-ben, danach aber das Gericht (Hebr. 9,27).

Die Propheten der Bibel sprachen al-lerdings von einer Rückkehr des Volkes Israel in das Land Israel. Diese Rückkehr findet seit mehr als einem Jahrhundert unbestreitbar statt. Seit einigen Jahren lebt die grösste jüdische Gemeinschaft weltweit in dem kleinen Land zwischen Jordan und Mittelmeer. Zweifellos ist der Staat Israel ein Ausdruck jüdischer Existenz, etwa vergleichbar einer Sy-nagoge. Eine Synagoge ist kein Heilig-tum, sondern einfach ein Versamm-lungs- und Lehrgebäude. Ganz genauso ist der Staat Israel an sich nicht mehr als der bürokratische Versuch, eine Gesell-schaft zu ordnen und zu schützen – wie jeder andere Staat auch.

Wer allerdings den Staat Israel mehr als andere vergleichbare Länder kriti-siert, ihn noch dazu verallgemeinernd, klischeeverhaftet, ignorantisch oder gar hasserfüllt delegitimiert, tut dasselbe wie eine Synagoge verbrennen. Damit vergeht er sich am Volk Israel selbst,

für dessen Existenz eine Synagoge oder eben auch der Staat Israel stehen – und darüber hinaus an jedem, der sich mit diesem Volk identifiziert. Insofern hat der moderne Staat Israel eine abgelei-tete Sonderstellung, die sich aus der Sonderstellung des jüdischen Volkes er-gibt.

Im Blick auf die biblische Prophetie ist Israel nicht wie jeder andere Staat zu sehen, insofern er eine Konsequenz der verheissenen Rückkehr des jüdischen Volkes aus der weltweiten Diaspora in das Land Israel darstellt.

Einmal abgesehen davon, dass der moderne Staat Israel in vielerlei Hin-sicht an vorderster Front einer Ausei-nandersetzung steht, deren Fokus die gesamte westliche Kultur und ihr Wer-tesystem ist, bleibt für Christen und Bi-belleser die Frage: Warum ist Israel ei-gentlich so wichtig? – Dazu möchte ich drei Thesen zur Diskussion stellen:

1. Israel ist der Schlüssel zum Herzen GottesWarum vermitteln die Medien so eine verzerrte Darstellung der Situation im Nahen Osten? – Ein Grund dafür ist, dass sie nicht die Situation hier be-schreiben und was die Menschen im Orient bewegt, sondern Fragen beant-worten, die Europäer oder Amerika-ner stellen. Natürlich kann ich mir die

Frage beantworten lassen, was Jeru-salems Einwohner zum VfB-Stuttgart denken, und möglicherweise werde ich eine ganze Reihe interessanter oder gar amüsanter Antworten erhalten. Nur: Zum Verständnis Jerusalems trägt diese Fragestellung in keiner Weise bei. Wenn ich verstehen will, was andere bewegt, muss ich die Annahme, ihnen sei wich-tig, was mich bewegt, ganz bewusst zu-rückstellen, meine Fragen verschwei-gen, einfach still zuhören, am besten, wenn sie sich in ihrer Muttersprache, im kleinen Kreis der besten Freunde unter-halten.

Dasselbe gilt für unsere Beziehung zur Heiligen Schrift. Wir haben eine verzerrte Wahrnehmung vom Wort Got-tes, weil unsere Fragen die Antworten bestimmen. Wie werde ich erlöst? Wie werde ich geheilt? Wie werde ich be-gabt? Wie bewältige ich mein tägliches Leben? Wie finde ich Freunde und Le-benspartner? Wie überwinde ich meine Schwierigkeiten und werde meinen He-rausforderungen gerecht? Was ist der Sinn meines Lebens? Das sind die Fra-gen, die mich bewegen – und ich gehe in die Gemeinde, deren Pastor mir diese Fragen am attraktivsten beantwortet.

Zuerst einmal soll festgehalten wer-den, dass es völlig legitim ist, diese Fra-gen zu stellen, und dass die Bibel tat-sächlich entscheidende Antworten

Jerusalem: Wird die ewige Stadt geteilt?

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bereit hält. Ja, es ist wichtig, dass wir un-ser Leben nach der Heiligen Schrift aus-richten! Aber wenn wir unsere persönli-chen Anliegen zum letztgültigen Zweck erheben, entpuppt sich fromme Ego-zentrik als Götzendienst. Denn letzt-lich weltbewegend ist nicht, was mich erfüllt, sondern was Gott auf dem Her-zen liegt.

Nehmen Sie einmal ein Blatt Pa-pier und schreiben Sie auf, was Ihnen wichtig ist. Halten Sie Stichworte fest, die Ihre Anliegen treffend beschrei-ben. Dann schlagen Sie eine Konkor-danz auf. Sehen Sie nach, wie oft das, was Sie bewegt, in der Heiligen Schrift vorkommt – und vergleichen Sie, wie oft Worte wie «Israel», «Zion» oder «Jerusa-lem» in der Bibel erscheinen. Israel ist kein Nebenthema für Spezialisten, son-dern ein zentrales biblisches Anliegen. Die Gretchenfrage ist, ob unsere Frage-stellungen den Blickwinkel bestimmen, oder der Herzschlag Gottes.

Wenn wir den lebendigen Gott wirk-lich kennenlernen wollen, kommen wir an Israel nicht vorbei. Er identifiziert sich als «Gott Abrahams, Isaaks und Is-raels» und Paulus betont im Blick auf das jüdische Volk: «Gottes Gaben und Beru-fung können ihn nicht gereuen» (Röm. 11,29). Entscheidende Prinzipien, wie «Gott ist heilig», «Gott ist Liebe», «Gott ist treu» oder auch den von Luther neu

entdeckten Grundsatz eines Glaubens-lebens, «Sola gratia» (allein aus Gna-den), werden wir ohne Israel, seine Geschichte, sein Denken, sein Wesen, nicht verstehen. Israel ist der Schlüssel zum Herzen Gottes.

2. Israel erschliesst uns das Wort GottesDer Vorzug des jüdischen Volkes ist, so der Apostel Paulus: «Ihnen ist an-vertraut, was Gott geredet hat» (Röm. 3,2). Nach Röm. 9,6 gehört ihnen «η νοµοθεσια» (he nomothesia), was Luther schlicht mit «das Gesetz» wiedergibt – im Grunde aber nicht nur «die Thora», «die Weisung» oder «Zielsetzung» bein-haltet, sondern auch die Art und Weise, wie das Wort Gottes weitergegeben und bewahrt wird.

Wer die Bibel verstehen will, muss sich an das jüdische Volk wenden. Das beginnt mit dem hebräischen Urtext, den dieses Volk durch Jahrtausende hindurch mit erstaunlicher Genauig-keit bewahrt hat. Das gilt für die heb-räische Sprache und die Art und Weise der Schriftauslegung. Es ist kein Zu-fall, dass der lebendige Gott ein Volk er-wählt, seine Mentalität geprägt, seine

Sprache und Denkweise geformt hat, über Jahrtausende hinweg, um dann sein Wort diesem Volk anzuvertrauen – bis hin zu dem Wort, das Fleisch wurde (vgl. Joh. 1).

Zweifellos ist das Neue Testament in griechischer Sprache in die nichtjüdi-sche Welt hinein gesprochen worden. Jesus von Nazareth hat durch seinen Tod am Kreuz den Segen Abrahams un-ter die Nichtjuden gebracht (Gal. 3,13 f.). Aber die Autoren des Neuen Testa-ments waren nicht zufällig ausnahms-los Juden, die Struktur ihres Denkens hebräisch. Paulus bekannte, alles zu glauben, «was geschrieben steht im Ge-setz und in den Propheten» (Apg. 24,14). Jesus beteuerte: «Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfel-chen vom Gesetz, bis es alles geschieht» (Matth. 5,18), und erklärte seinen Jün-gern im Blick auf die rabbinischen Au-toritäten seiner Zeit: «Auf dem Stuhl des Mose sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Alles nun, was sie euch sa-gen, das tut und haltet» (Matth. 23,2 f.). Die im hebräischen Alten Testament ge-prägten Denkstrukturen sind entschei-

Gazastreifen: Eine Rakete wird in Richtung israelischer Ortschaften geschossen.

Das jüdische Volk ist das Gerichtskriterium Gottes für die nichtjüdischen Völker, sagt die Bibel.

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Nahostpolitik

Die Sünde der Unentschiedenheit Eine verhängnisvolle Entwicklung: Der politische und moralische Relativismus raubt

dem Westen im israelisch-arabischen Konflikt die Orientierungsfähigkeit.

Von der Beantwortung der Israelfrage hängt viel für die betreffenden Menschen, Völker und Nationen ab.

dend für das Verstehen des Neuen Tes-taments.

Die Frage, ob Gottes Wort und da-mit Gott selbst zuverlässig und vertrau-enswürdig ist, steht und fällt mit der Is-raelfrage. Sollte Gott seinen Bund mit Abraham und dessen Nachkommen ver-ändert oder gar aufgelöst haben, hätte auch die christliche Kirche keine Hoff-nung.

3. Ohne Israel haben wir keine Zukunft«Wenn Israel untergeht, geht der Westen mit unter!» Diese Ansicht vertritt die re- die unO soll zum Staat verhelfen, einseitig.

der Bezug zu Gott erhöht die Verantwor-tung für das eigene leben und han-

deln», schreibt Gerd Held in einem leitarti-kel der «Welt». Er gebe starke Anstösse für «Berufsethos, Wirtschaftsgeist, Gesetzes-treue und künstlerische Exzellenz». nicht nur für das leben des Einzelnen sei das bedeut-sam, auch für das leben ganzer Völker. Wenn eine Gesellschaft im namen des Mul-tikulturalismus die Religion aus ihrer Mitte verbannen wolle, dann stehe «einiges auf dem Spiel». Er macht sich Sorgen, dass deutschland die moralischen Ressourcen, von denen es zehrt, verliert. heute wird das in aller dramatik sichtbar. Mit den Grundwerten zerfällt im Strudel der Ideologie des Relativismus die Orientie-rungsfähigkeit und Einigkeit. der Westen be-zahlt einen hohen Preis für seine Gottver-gessenheit. der Preis wird jeden tag höher.

das Abwenden des Westens von Israel ist eine verhängnisvolle Folge dieser konfusion. die unter kanzler Schröder angelegte Abkehr von der Westbindung legt unter Angela Mer-kel an tempo zu. Anstatt an der Seite von Grossbritannien, Frankreich und den uSA ist deutschland immer öfter auf linie mit län-dern wie china und Russland. dem europä-ischen, russischen, chinesischen und ara-bisch-islamischen Anliegen, das Ende der amerikanischen Vorherrschaft einzuläuten, hat sich auch Merkel verschrieben. Ein star-kes Europa soll die Epoche der (behaupteten) unipolaren Weltordnung unter amerikani-

scher Vorherrschaft beenden. dass dabei am Ende kein Europa der demokratien, sondern ein bürokratischer Moloch steht, wird zuneh-mend offenkundig. Mit dieser westlichen un-einigkeit wächst auch globale unsicherheit.

dem drängen der uSA, die Sanktionen gegen den auf kriegskurs mit Israel befind-lichen Iran endlich entschlossen mitzutra-gen, leistet deutschland, das noch immer der grösste westliche Exporteur in den Iran ist, so viel und so lange Widerstand, wie das gerade noch ohne öffentlichen Gesichtsverlust mög-lich ist. dem nAtO-Waffenembargo gegen li-byen im März verweigerte sich deutschland.

die Grenzen einer immer mehr gegen Is-rael gerichteten Politik lotet Aussenminister Westerwelle mit kalter Entschlossenheit aus.

Angela Merkel lässt ihn gewähren. Viel deu-tet darauf hin, dass sie diese Politik innerlich mitträgt. durch Wikileaks öffentlich gewor-dene dokumente zeigen, dass Merkel, wäh-rend sie sich öffentlich moderat äussert, bei Obama für härte gegen Israel wirbt. Im Si-cherheitsrat stimmte deutschland im Februar einer Resolution gegen die israelische Sied-lungspolitik zu, die nur durch ein Veto der uSA gekippt werden konnte.

der türkischen kriegsrhetorik und Aufwie-gelung gegen Israel setzte deutschland kein

klares Wort entgegen. Zu einem Israel-Soli-daritäts-kongress kam kein einziges kabi-nettsmitglied. Man übt sich in postmoderner «neutralität», als sei alles relativ, als habe ir-gendwie jeder recht. Seit dem Machtantritt Merkels hat sich ein «präzedenzloser Erd-rutsch gegen Israel» in Bewegung gesetzt, meint Eldad Beck, Berlin-korrespondent der israelischen tageszeitung «Jedijot Achronot».

die deutschen hocken «tatenarm auf dem Schaukelpferd der Weltgeschichte», sagt der Autor und liedermacher Wolf Biermann. Er kritisierte dieses «Sich-aus-allem-heraushal-ten, diese scheu-schlaue, lebensdumme ta-tenlosigkeit im Streit der Welt» als ein in der Praxis «folgenschweres lassen». nur wo der radikale Relativismus den gesunden Men-schenverstand ausgehebelt hat, können Poli-tiker mit derlei «aggressiver Ignoranz» (Bier-mann) Zustimmung ernten. Eine Mehrheit der deutschen hält den jüdischen Staat für die grösste Bedrohung des Weltfriedens.

deutschland wollte die Juden, die in vie-lerlei hinsicht ein Segen für das land wa-ren, nicht im land haben. Es wollte die Ju-den überhaupt nicht und machte sich daran, sie zu vernichten. heute stellt sich deutsch-land nicht klar an die Seite Israels. das ist eine ernste Sache. Bekommt deutschland, das die Juden nicht wollte, heute an deren Statt türkische Muslime? die Aufhebung der Visa-Pflicht für türken, von der türkei gefor-dert, wird spätestens nach der nächsten Bun-destagswahl kommen. Wird diese Zuwande-

nommierte britische Journalistin Me-lanie Phillips. Vor fast zehn Jahren war bereits aus Kreisen des deutschen Ver-fassungsschutzes zu hören: «Israel führt einen Krieg an unserer Stelle.» Diese säkularen Stimmen denken nicht im Traum daran, die Bibel zu Rate zu zie-hen, stellen aber eine erstaunlich klare Sicht unter Beweis. «Das Heil kommt von den Juden», hatte Jesus der Sama-ritanerin am Jakobsbrunnen bei Si-chem vor 2000 Jahren versichert (Joh. 4,22). Das Präsens dieses Satzes sticht ins Auge. Jesus Christus erklärte nicht:

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rung ein Segen für das land sein? Auch in den uSA kippt die Stimmung. nur zehn Pro-zent der Obama-Wähler wollen, dass der Prä-sident Israel unterstützt. Mehr als 70 Prozent der Wähler der demokraten meinen, der Prä-sident solle die historische Verbindung mit Is-rael beenden. James Zogby vom «Arab Ame-rican Institute» frohlockt: «die traditionelle uS-Politik gegenüber dem israelisch-paläs-tinensischen konflikt hat keinen parteiüber-greifenden Rückhalt mehr.» der konsens, die einzige blühende demokratie des nahen Os-tens zu unterstützen, bricht auseinander, so auch Jeff Jacoby vom «Boston Globe».

der Zerfall der westlichen Gemeinschaft – Rückgang der Freiheitsrechte, politische kon-fusion, die Finanz- und Wirtschaftskrise – sind eine Folge der Abwendung von ihrem mora-lischen Fundament. Mit dem politischen Re-lativismus macht sich der Westen in einer Zeit der Entscheidung der Sünde der unentschie-denheit schuldig. Menschen, Völker, nationen müssen in der Israelfrage Position beziehen. Von der Beantwortung dieser Frage hängt viel ab. «Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen», spricht die Bibel zu Israel und bezeichnet die Feinde Isra-els als Feinde Gottes (Psalm 83,3). Am «last-stein Jerusalem» werden sie sich die hände wundreissen (vgl. Sach. 12,3).

Man kann die Orientierungs- und Vernunft-losigkeit Europas nur geistlich erklären. Im Brief an die Römer schreibt Paulus: «und da es die Menschen nach ihrem eigenen urteil nicht nötig hatten, Gott anzuerkennen, hat Gott sie ihrem Verstand preisgegeben, der zu keinem vernünftigen urteil mehr fähig ist, so-dass sie dinge tun, die sie nie tun dürften.»

Thomas Lachenmaier

Geschick Israels», erkennt der württem-bergische Pfarrer Dr. Heiko Krimmer in seiner Auslegung des Propheten Sa-charja.1

Aber Gott geht bei der Berufung Ab-rams noch einen Schritt weiter: «Ich will segnen, die dich segnen, und ver-fluchen, die dich verfluchen» (1. Mose 12,3). Krimmer sieht – wiederum ausge-hend von Sacharja – «bis heute die ‹ge-heime› Grundlinie der Weltgeschichte: Das Wohl und Wehe der Völker ent-scheidet sich an Israel».

Das jüdische Volk ist das Gerichtskri-terium Gottes für die nichtjüdischen Völker. Das kommt besonders deutlich zum Ausdruck im vierten Kapitel des Propheten Joel. Für die Zeit, «da ich das Geschick Judas und Jerusalems wen-den werde» (V. 1), sieht der Prophet vo-raus, wie der Schöpfer des Universums alle Heiden zum Gericht versammelt (V. 2). Massstab für seine Entscheidung ist ihr Verhalten gegenüber «meinem Volk» und «weil sie mein Land geteilt haben» (Verse 2 f.). Diese biblische Grundlinie greift schliesslich auch der wiederkom-mende Christus auf (Matth. 25,31–46).

Er macht das Verhalten der Nicht-juden gegenüber «meinen geringsten Brüdern» zum Kriterium dafür, ob sie als «Ziegen» zur «ewigen Strafe» ver-dammt oder als «Schafe» in das «ewige Leben» eingehen werden. Die Bezeich-nung der «Schafe zu seiner Rechten» als «Gesegnete meines Vaters» (Vers 34) ist unüberhörbar ein Rückbezug auf den im Abrahamssegen gesetzten Massstab.

Der Apostel Paulus schliesslich er-gänzt diese biblische Grundlinie des Segensauftrags Israels noch um einen weiteren Aspekt. Möglicherweise hatte er beobachtet, dass eine für das aus-erwählte Volk äusserst schmerzhafte Trennung vom verheissenen Land im-mer ein Heilsangebot, eine «Gnaden-zeit», für die nichtjüdische Welt bein-haltet. Das gilt für die Gefangenschaft in Ägypten, die Gott gegenüber Abram zu einer Zeit, als dieser noch gar keine Nachkommen hatte, voraussagt und be-gründet, «denn die Missetat der Amori-ter ist noch nicht voll» (1. Mose 15,16). Das noch nicht einmal als Volk konsti-tuierte Israel musste also «vierhundert Jahre» lang (Vers 13) das Land Israel verlassen und eine sehr leidvolle Erfah-rung machen, damit Gott seinen Heils-

plan mit den Amoritern in Kanaan voll-enden konnte.

Ein ähnliches Muster wird während des babylonischen Exils sichtbar, wenn wir etwa das Verhältnis der jüdischen Elite – repräsentiert durch Daniel – mit den Herrschern im Zweistromland be-denken, wie es das biblische Buch Da-niel beschreibt. Die Diaspora des jü-dischen Volkes in den vergangenen zweitausend Jahren und die damit ver-bundene Leidensgeschichte war ebenso begleitet von einem atemberaubenden Heilsangebot für die gesamte Völker-welt: Das Evangelium von Jesus Chris-tus wird gepredigt bis an die Enden der Erde.

Paulus fasst zusammen: «Durch ih-ren Fall ist den Heiden das Heil wider-fahren» (Röm. 11,11), um dann – typisch rabbinisch – (qal vachomer), in einem argumentum a minori ad maius, einem Schluss vom Offensichtlichen auf das Schwere, zu argumentieren: «Wenn aber schon ihr Fall Reichtum für die Welt ist und ihr Schade Reich-tum für die Heiden, wie viel mehr wird es Reichtum sein, wenn ihre Zahl voll wird» (Vers 12). Der Apostel sieht im Rückblick – und das wiederholt er mit anderen Worten noch einmal in Vers 15 –, dass «die Verwerfung» Israels «die Ver-söhnung der Welt» ist. Daraus schliesst er, prophetisch in die Zukunft blickend: «Was wird ihre Annahme anderes sein als Leben aus den Toten!»

Der griechische Begriff «ζωη εκ νεκρων» (zoe ek nekron), der nur an dieser Stelle im Neuen Testament vor-kommt, deutet eine atemberaubende Erweckung der nichtjüdischen Welt an.2 Pfarrer Krimmer erkennt im Propheten Sacharja: «Die Heilsvollendung in Israel wird Auswirkung auf die ganze Welt, auf alle Völker haben.» n

1 Heiko Krimmer: «Ich habe Dich erwählt. Israel im Licht des Propheten Sacharja», Holzgerlingen, SCM Hänssler

2 Vergleiche dazu die Wortwahl des Paulus in Röm. 6,13 und die ausführliche Argumentation in meinem Buch «Verflucht und von Christus getrennt. Israel und die Heidenvölker. Eine Studie zu Römer 9–11.» Holzgerlingen, Hänssler Verlag, 3. Auflage 2007, 127–154.

«Das Heil ist von den Juden gekommen. Jetzt bin ich da – und das jüdische Volk irrelevant.» Nein, die Gegenwartsform in der Aussage Jesu greift auf, was Gott schon Abram erklärt hatte: «Sei ein Se-gen!» Das ist ein Gebot Gottes an sei-nen Auserwählten (1. Mose 12,2). Sinn der Erwählung und grundlegender We-senszug der Nachkommen Abrahams, Isaaks und Jakobs ist, Segensträger zu sein: «In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden» (1. Mose 12,3). «Das Heil für die ganze Erde, für alle Völ-ker ist untrennbar verbunden mit dem

das neue Buch des Autors heisst «die Palästinen-ser. Volk im Brennpunkt der Geschichte», ISBn 978-3-7751-5537-9, ScM hänssler.

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