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5.2 Mehrrechtsstaaten Problem: Kollisionsnorm verweist auf Recht eines anderen Staates mit territorialer oder personaler Rechtsspaltung Lösung: 2 Alternativen 1. Alternative: Zwischenschaltung des Binnenkollisions- rechts der lex causae (wenn vorhanden) 2. Alternative: Regelung durch IPR der lex fori zT unmittelbare Anwendung territorialer Anknüpfungspunkte (Durchgriff) bei interlokaler Rechtsspaltung iÜ (sonstige Anknüpfungspunkte, interpersonale Rechtsspaltung): engste Verbindung PD Dr. Oliver Mörsdorf 1

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5.2 Mehrrechtsstaaten

• Problem: Kollisionsnorm verweist auf Recht eines anderen Staates mit territorialer oder personaler Rechtsspaltung

• Lösung: 2 Alternativen 1. Alternative: Zwischenschaltung des Binnenkollisions-

rechts der lex causae (wenn vorhanden)

2. Alternative: Regelung durch IPR der lex fori zT unmittelbare Anwendung territorialer Anknüpfungspunkte

(Durchgriff) bei interlokaler Rechtsspaltung

iÜ (sonstige Anknüpfungspunkte, interpersonale Rechtsspaltung): engste Verbindung

PD Dr. Oliver Mörsdorf 1

Einzelne Rechtsquellen

• Unions-IPR/Staatsverträge zT: primär Binnenkollisionsrecht, sekundär: Durchgriff/

engste Verbindung (zB Art. 36, 37 EuErbVO, Art. 33, 34 EüGüVO; Art. 48, 49 KSÜ)

zT Durchgriff, vgl Art. 22 Rom I-VO, 25 I Rom II-VO

• Art. 4 III EGBGB • bei interlokaler Rechtsspaltung + territorialer

Anknüpfung: Durchgriff (vgl. Art. 4 III 1 HS 1: ohne die maßgebende zu bezeichnen“); Problem: Gesamtverweisung bei einheitlichem IPR (str)

• iÜ primär Binnenkollisionsrecht (Art. 4 III 1 HS 2); sekundär: engste Verbindung (Art. 4 III 2 EGBGB)

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5.3 Statutenwechsel • Def. Durch Wechsel des Anknüpfungskriteriums

bedingter Wechsel des anwendbaren Rechts

• Voraussetzung: wandelbares Statut zB Art. 7 I (vgl aber Art. 7 II), 14 I EGBGB, Art. 43 I EGBGB (zT)

nicht: Art. 15 I EGBGB, Art. 43 EGBGB (zT); Art. 4 I Rom II-VO

• Folgen grds (vgl. Art. 43 I EGBGB) ex nunc-Wirkung des Neustatuts

• Fortgeltung abgeschlossener Tatbestände (ggf Transposition, arg ex Art. 43 II EGBGB)

• nicht abgeschlossener Tatbestand: Voraussetzungen = Neustatut; ggf Anerkennung von unter Altstatut verwirklichten TB-Elementen (vgl Art. 43 III EGBGB)

Ausnahme: Rückwirkung des Neustatuts (vgl. Art. 3 II Rom I-VO)

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5.4 Probleme bei der Anwendung fremden Rechts

• Anpassung (Angleichung)

• Transposition

• Substitution

PD Dr. Oliver Mörsdorf 4

Anpassung (bzw. Angleichung)

• Problem: Normwidersprüche durch Kombination verschiedener Statute zur Klärung eines komplexen Rechtsverhältnisses (zB Güterstatut/Erbstatut in Bezug auf Erbquote der Ehefrau)

• Erscheinungsformen Normenmangel

Normenhäufung

• Lösung Kollisionsrechtlich

sachrechtlich

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Beispiel Normenhäufung

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Deutschland

Erbrecht:

§ 1931 I BGB = 1/4

Güterrecht:

§ 1371 BGB = 1/4

insgesamt: 1/2

Arizona

Erbrecht:

1/2 +50.000 $

Güterrecht:

nichts

insgesamt: 1/2 + 50.000 $

Erbstatut: Arizona

1/2 +50.000 $

Güterstatut: Deutschland

1/4

insgesamt:

3/4 + 50.000 $

Kombination

Beispiel Normenmangel

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Deutschland

Güterrecht:

materieller Auskunftsanspruch

(§ 1379 BGB)

Prozessrecht:

Beibringungs-grundsatz

insgesamt: Ermittlung des Zugewinns (+)

Griechenland

Güterrecht:

Kein materieller Auskunftsanspruch

Prozessrecht:

Amtsermittlung

insgesamt: Ermittlung des Zugewinns (+)

Güterstatut: Griechenland

Kein materieller Auskunftsanspruch

Prozessrecht: Deutschland (lex fori)

Keine Amtsermittlung

insgesamt:

Ermittlung des Zugewinns (-)

Kombination

Transposition/Substitution • Transposition

• Problem: Übertragbarkeit von auf Grundlage eines anderen Rechts begründeten Rechtsverhältnissen in Rechtsverhältnis des anwendbaren Rechts (lex causae)?

• Erscheinungsformen • Erbstatut vs lex rei sitae, Statutenwechsel (§ 43 I EGBGB,

vgl BGH NJW 1991, 1415)

• Handeln unter falschem Recht, zB Morgengabe; trust; aber: konkludente Rechtswahl prüfen (wo möglich)!

• Lösung: Umdeutung in Rechtsinstitut der lex causae (vgl. Art. 43 II EGBGB, Art. 31 EuErbVO)

• Substitution • Problem: Ersatz der inländischen Verwirklichung des

TB-Merkmals einer Norm der lex causae durch Auslandsvorgang (zB Beurkundung durch ausl Notar)?

• Lösung: (+) bei funktionaler Äquivalenz (BGH NZG 2014, 219)

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5.5 Korrektur der Verweisung (ordre public)

• Problem: Verweisung auf ausländisches Recht als „Sprung ins Dunkle“

• Lösung: Korrektur der Verweisung bei krassen Wertungswidersprüchen mit inländ Rechtsordnung („Rettungsleine“)

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Begriff/Rechtsquellen

• Begriff • zunächst (Frankreich): national zwingendes Recht; heute:

Korrektur der Verweisung (international zwingendes Recht) • Abgrenzung negativer/positiver ordre public

(Eingriffsnormen, vgl. Art. 9 Rom I-VO)

• Unterscheidung nach Rechtsquellen autonomes deutsches Recht

• besondere Vorbehaltsklauseln (zB Art. 13 II, III 1, 40 III Nr. 1, 2 EGBGB)

• Allgemeine Vorbehaltsklausel: Art. 6 EGBGB

Staatsverträge/Unions-IPR: keine bzw. dezentrale Regelung (zB Art. 21 Rom I-VO, Art. 26 Rom II-VO) gerichtet auf Verstoß gegen nationalen ordre public Unions-IPR: vorrangiges Primärrecht beachten

(Grundfreiheiten, Unionsgrundrechte)!

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insbes. Art. 6 EGBGB

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• Voraussetzungen für einen ordre public-Verstoß • Überprüfungsgegenstand: Ergebnis der Anwendung im

Einzelfall (keine abstrakte Normenkontrolle!) • Überprüfungsmaßstab: wesentliche Grundsätze des

deutschen Rechts, insbes. Grundrechte (S. 2) • Relation: offensichtliche Unvereinbarkeit; Kriterien?

• Schwere des Verstoßes (immer bei Grundrechten!) • Inlandsbezug/Gegenwartsbezug

• Rechtsfolge • Nichtanwendung der zum Verstoß führenden

ausländischen Norm • Lückenfüllung

• modifizierte Anwendung des ausländischen Rechts • hilfsweise: deutsches Recht

Fall • Fall 9: Der ägyptische Staatsbürger Achmed (A) ist mit der

deutschen Staatsbürgerin Dörte (D) verheiratet. Beide leben in Ägypten, wo D aus Verbundenheit mit A zum muslimischen Glauben übergetreten ist. Dies hindert A indes nicht daran, die D, derer er schon länger überdrüssig ist, durch Ausspruch der Verstoßungsformel („talaq“ = „Ich verstoße dich“) in die Wüste zu schicken. Einige Jahre, nachdem D enttäuscht in die Heimat zurückgekehrt ist, verstirbt A in Ägypten kinderlos. D beantragt beim inter-national zuständigen deutschen Nachlassgericht einen Erb-schein für ein in Deutschland belegenes Grundstück des A.

• Hinweis: Nach ägyptischem Recht erbt der überlebende Ehe-partner bei Religionsgleichheit einen feststehenden Anteil des Nachlasses.

• Abwandlung: D ist mit der Verstoßung einverstanden, weil sie gerne „frei“ sein möchte für ein neues Glück. Als ihr dieses Glück nach ihrer Rückkehr in die Heimat tatsächlich in Person des Franzosen Francois (F) begegnet, weigert sich der deutsche Standesbeamte, das Aufgebot zu bestellen, weil D noch verheiratet sei. Zu Recht?

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