vereinigung europäische r journalisten e.v. mir san mir...
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V e r e i n i g u n g E u r o p ä i s c h e r J o u r n a l i s t e n e . V . Mir san mir-
aber wer?46. Andechser Europatag
der Paneuropa-Union Deutschland
TEXT:Paneuropa-Union Deutschland
Wievie l Veränderung ver t ragen und wiev ie l Indent i tä t
brauen Bayern, Deutschland und Europa.
Was s ind d ie kul ture l len , recht l iche und geist ige Grundlagen
unseres Zusammenlebens?
Wer setz t d ie Maßstäbe, d ie uns Fre ihe i t und Stabi l i tä t s i -
chern?
15. bis 16. Oktober 2016im Bibliotheksaal, Kloster Andechs
Johannes KijasBundesgeschäftsführer
Das Spannungsverhältnis zwischen europäischem und einzelstaatlichem Recht beleuchtete der Mitbe-
gründer des European Law Institute, der Rechts-wissenschaftler Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen. Die EU sei zwar sowohl
eine Rechts- als auch eine Wertegemeinschaft, werde aber in einer breiten Öffentlichkeit bloß als Brüsseler Bürokratie verstanden. Der scheinbare
Widerspruch zwischen der Tatsache, daß die Nati-onalstaaten Träger der EU seien, und der Existenz demokratisch legitimierter Gemeinschaftsorgane lasse sich nur dadurch auflösen, daß beide sich
vom Bürger ableiteten. Das Bundesverfassungsge-richt habe der Kompetenzübertragung auf die eu-
ropäische Ebene bestimmte Grenzen gezogen, die ohne neue Verfassung nur schwer zu überschreiten wären, akzeptiere aber in wesentlichen Punkten die Auslegungskompetenz des Europäischen Gerichts-
hofes in Luxemburg.
In der Frage des Außenhandelsabkommens CETA mit Kanada ergebe sich die EU-Zuständigkeit aus
dem Binnenmarkt und sei daher durch die Verträge gedeckt. 70 Prozent aller Rechtsakte, die die Par-lamente der Mitgliedstaaten verwirklichten, seien nichts anderes als europäisches Recht: „Ein hö-
herer Souveränitätsverzicht geht kaum“, so der im nordböhmischen Aussig geborene Wissenschaftler. Graf Westphalen sprach sich für einen innereuro-päischen Rechtsdialog aus, der die verschiedenen Rechtstraditionen zusammenführe und so die Basis des europäischen Rechts stärke. Der Internet-Ka-pitalismus gefährde die Handlungs- und Durch-setzungsfähigkeit der politischen Institutionen.
Dieses Problem müsse angegangen werden, denn Wirtschaft habe kurzfristige Profitziele, während Po-litik einen langfristigen Ordnungsrahmen schaffen
müsse, der sich am in der Katholischen Soziallehre verankerten Gemeinwohl orientiere.
Die digitalen und globalen Herausforderungen sei-en nationalstaatlich überhaupt nicht zu bewältigen,
was zu europäischem Handeln zwinge.
Die tausendjährige Geschichte der Deutschen in der übernationalen Rechtsordnung des Heiligen
Römischen Reiches skizzierte Prof. Peter Claus Hartmann.
Das deutsche Volk sei ein Herzstück Europas und werde es auch in Zukunft bleiben. Seit Karl dem
Großen und den Ottonen habe sich für die größte Nation unseres Kontinents eine föderative Struktur bewährt und nicht der zentralistische Nationalstaat. Trotz gewisser politischer und militärischer Schwä-chen habe die bis 1806 bestehende Reichsstruktur zu einer einzigartigen kulturellen Vielfalt mit einer Fülle von eigenständigen Zentren und drei gleich-
berechtigten Konfessionen geführt.
Nationale und religiöse Minderheiten hätten oftmals gerade in kleinen Territorien des Reiches
Nischen für eine freie Entfaltung gefunden. Im Reichstag, ohne den der katholische Kaiser nicht habe entscheiden können, hätten der katholische
und der evangelische Corpus, also die jeweili-gen, von Kurmainz und Kursachsen geleiteten,
Wahlkörperschaften einander in Religionsfragen nicht überstimmen dürfen. Das antizentralistische Subsidiaritätsprinzip habe sich in der Gründung
von Reichskreisen niedergeschlagen, die regional Entscheidungen getroffen hätten. Reichskammer-
gericht und Reichshofrat hätten eher Mediation betrieben als strikte Urteile gefällt.
So sei ein Mitteleuropa der Regionen entstanden, das der EU in vielfacher Hinsicht als Vorbild dienen
könne und selbst in der Schlußphase seiner tau-sendjährigen Geschichte nach dem Westfälischen Frieden 160 Jahre bestanden habe, während der Deutsche Bund nur 51 Jahre existierte, das klein-
deutsche Reich der Hohenzollern 48, die Weimarer Republik 15 und das so genannte Dritte Reich 12
Jahre.
Bayerns Justizminister Wilfried Bausback
meinte, der Freistaat sei weit mehr als ein ausge-zeichnet funktionierendes Gemeinwesen: Er sei Heimat auf den Fundamenten des christlichen
Abendlandes. Der Rechtsstaat habe kulturelle Wur-zeln, zu denen vor allem die Würde des Menschen,
die Freiheit der Person, die Gleichheit und das Recht auf selbstbestimmtes, aber auch verantwor-
tetes Leben gehörten.
Bausback würdigte die Friedensfunktion der euro-päischen Einigung am Beispiel seines Großvaters
und seines Vaters, die in den ersten und in den zweiten Weltkrieg hätten ziehen müssen, wobei
sein Vater dreimal verwundet worden sei. Er stellte drei brennend aktuelle Fragen an die europäische
Einigung: „Ist der Brexit ein Menetekel an der Wand? Wird Europa es schaffen, seine Außengren-
zen zu sichern? Und schaffen es die EU und ihre Mitgliedstaaten, gleichzeitig die damit verbundene
humanitäre Aufgabe zu lösen?“
Der Minister setzte sich in seinem Referat mit der aktuellen Debatte um eine europäische, deut-
sche und bayerische Leitkultur, mit den durch die Integration von Flüchtlingen entstandenen Her-
ausforderungen sowie mit der Verteidigung einer einheitlichen Rechtsordnung gegen Versuche, in Deutschland Sonderrechte aus anderen Kultur-kreisen zu verankern, auseinander. Als Beispiel
erwähnte er die Eheschließung von Minderjährigen, die es nicht nur im islamischen Raum gebe.
Zudem legte er dar, daß es 2015 allein in Bayern von einem Jahr zum nächsten statt 400 unbeglei-
teten Jugendlichen plötzlich 16 000 gegeben habe, was eine völlige Umstellung der Justizverfahren
nötig gemacht habe.
Andechs. „Die EU hat nur als verbindliche Rechts-gemeinschaft und als echte Föderation mit starken
Gemeinschaftsinstitutionen eine Zukunft.“ Dies erklärte der CSU-Europapolitiker
und Präsident der Paneuropa-Union Deutschland,
Bernd Posselt, beim 46. Europatag dieser ältesten europäischen Einigungsbewegung im oberbayerischen Kloster Andechs. Eine bloße zwischenstaatliche Zusam-menarbeit sei intransparent und nicht effizient.
Handlungsfähig werde die EU durch die Gemein-schaftsmethode, also durch Mehrheitsentschei-dungen im Rat und durch echte Entscheidungs-kompetenzen für das Europaparlament in allen Politikbereichen, die nicht national oder regional geregelt werden könnten. Europa brauche zwar
keinen Zentralismus, aber mehr Verbindlichkeit der Entscheidungen.
Dem Bundesverfassungsgericht warf Posselt die „Restauration nationalstaatlichen Denkens“ vor. Die Bayerische Verfassung spreche vom bayerischen Volk, die deutsche vom deutschen, „also warum
soll es dann nicht als drittes Element eine Art europäisches Staatsvolk aus vielen verschiedenen
Sprachgruppen geben?“
Franz Josef Strauß habe die Europäische Gemein-schaft als „größeres Vaterland“ bezeichnet und vor zu viel Nationalstaat mit der Aussage gewarnt: „Wer
nur ein Europa der Vaterländer anstrebt, wird am Schluß Vaterländer ohne Europa haben.“ Egois-
mus schade mittel- und langfristig immer vor allem einem selbst. Dies zeige sich bei der vom tsche-chischen Ex-Präsidenten Václav Klaus verfochte-nen radikalkapitalistischen „Marktwirtschaft ohne
Attribute“, gegen die es die Soziale Marktwirtschaft zu stärken gelte, aber auch beim Nationalismus,
der „geschichtspolitisch verbrämter kollektiver Egoismus“ sei.
Festliches AbendessenLiteratische-musikalisches
Bühnenprogrammmit Anna Knechtl
Adalbert-Stifter-Verein
„Wer ist ‚uns’ – Fragen zu einer europäischen Leitkultur“ moderierte der internationale Paneuropa-Vizepräsident Dr. Dirk Hermann Voß (Mitte)
Die Münchner Wirtin Birgit Netzle, Erzbischof Želimir Puljić, Consuelo Gräfin Ballestrem,Ungarischer EU-AbgeordneterGyörgy Hölvényi,Prälat Christoph Kühn