unterrichten und prüfen mit dem statistiklabor: ein erfahrungsbericht

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DOI 10.1007/s11943-008-0040-0 Originalveröffentlichung Wirt Sozialstat Archiv (2008) 2: 145–164 Unterrichten und Pr ¨ ufen mit dem Statistiklabor: Ein Erfahrungsbericht Amit Ghosh · Ulrich Rendtel Angenommen: 26 Juni 2008 / Online ver¨ offentlicht: 18 Juli 2008 © Springer 2008 Zusammenfassung Aus der statistischen Praxis ist der Computer heute nicht mehr wegzudenken. In der statistischen Lehre dagegen wird der PC h¨ aufig noch nicht ad¨ aquat genutzt. Dieser Artikel beschreibt Entwicklung, Einsatz und Evaluation eines PC-gest¨ utzten Lehrkonzepts, das in der statistischen Grundausbildung am Fachbe- reich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universit¨ at Berlin erstmals im Winterse- mester 2004/05 eingesetzt wurde. Abschliessend wird die Zukunft dieses Konzepts diskutiert. Stichw¨ orter Statistiklabor · Blended-learning · E-learning · Statistik im Grundstudium Abstract Computers are an essential element in the daily work of any statistician to- day. With regard to statistical teaching at university level, the situation is completely different. This article describes a project aiming at the integration of statistical soft- ware in introductory statistic courses at the Freie Universit¨ at Berlin. It focuses on the conceptional phase, the pilot-project, the first deployment at large scale during the winter-term 2004/2005 and the evaluation of the concept. Finally the future of the concept is discussed. Keywords Statistical lab · Blended-learning · E-learning · Undergraduate statistical teaching JEL classification A22 A. Ghosh · U. Rendtel () Institut f¨ ur Statistik und ¨ Okonometrie, Fachbereich Wirtschaftwissenschaft, Freie Universit¨ at Berlin, Garystr. 21, 14195 Berlin, Deutschland e-mail: [email protected] 13

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Page 1: Unterrichten und Prüfen mit dem Statistiklabor: Ein Erfahrungsbericht

DOI 10.1007/s11943-008-0040-0

O r i g i n a l v e r ö f f e n t l i c h u n g

Wirt Sozialstat Archiv (2008) 2: 145–164

Unterrichten und Prufen mit dem Statistiklabor:Ein Erfahrungsbericht

Amit Ghosh · Ulrich Rendtel

Angenommen: 26 Juni 2008 / Online veroffentlicht: 18 Juli 2008© Springer 2008

Zusammenfassung Aus der statistischen Praxis ist der Computer heute nicht mehrwegzudenken. In der statistischen Lehre dagegen wird der PC haufig noch nichtadaquat genutzt. Dieser Artikel beschreibt Entwicklung, Einsatz und Evaluation einesPC-gestutzten Lehrkonzepts, das in der statistischen Grundausbildung am Fachbe-reich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universitat Berlin erstmals im Winterse-mester 2004/05 eingesetzt wurde. Abschliessend wird die Zukunft dieses Konzeptsdiskutiert.

Stichworter Statistiklabor · Blended-learning · E-learning · Statistik imGrundstudium

Abstract Computers are an essential element in the daily work of any statistician to-day. With regard to statistical teaching at university level, the situation is completelydifferent. This article describes a project aiming at the integration of statistical soft-ware in introductory statistic courses at the Freie Universitat Berlin. It focuses on theconceptional phase, the pilot-project, the first deployment at large scale during thewinter-term 2004/2005 and the evaluation of the concept. Finally the future of theconcept is discussed.

Keywords Statistical lab · Blended-learning · E-learning · Undergraduate statisticalteaching

JEL classification A22

A. Ghosh · U. Rendtel (�)Institut fur Statistik und Okonometrie, Fachbereich Wirtschaftwissenschaft, Freie UniversitatBerlin, Garystr. 21, 14195 Berlin, Deutschlande-mail: [email protected]

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1 Die statistische Grundausbildung im Wandel

Die letzte große technische Innovation in der statistischen Grundausbildung ereig-nete sich in den 70er Jahren mit der Einfuhrung des Taschenrechners. Sowohl imUnterricht als auch in der Klausur bot der Taschenrechner dem Dozenten neueMoglichkeiten. Seitdem sind ca. 30 Jahre vergangen, in denen sich in der Statistik vielverandert hat: Efron fuhrte den Bootstrap ein und bereicherte damit die Resampling-Verfahren nachhaltig. Der Bereich der multivariaten Verfahren entwickelte sich auf-grund der Verfugbarkeit geeigneter Hard- und Software sprunghaft und fand damitbreite Anwendungen in der Praxis. Auch wenn dies bei Weitem keine erschopfendeAufzahlung der erzielten Fortschritte ist, so heben diese Beispiele die immer engerwerdende Verflechtung zwischen rechenintensiven statistischen Verfahren und derEntwicklung der Informationstechnologie (IT) hervor. Aus dem Alltag des Statis-tikers sind PCs heute nicht mehr wegzudenken. Die IT unterstutzt alle Bereiche desstatistischen Forschungsprozesses, von der Erhebung der Daten uber die Auswertungbis hin zur Prasentation der Ergebnisse – in vielen Fallen verlauft dieser Prozess mitt-lerweile ganzlich ohne Medienbruch. Teure und nur von Spezialisten zu wartendeServer werden dabei nur fur besonders daten- bzw. rechenintensive Projekte benotigt.Ein Großteil der Auswertungen kann problemlos von ublichen Buro-PCs bewaltigtwerden. Dazu gibt es eine breite Auswahl an geeigneter Statistik-Software. Auch dieOpen-Source-Community hat Programme entwickelt (allen voran ,,R“) die mit derkommerziellen Konkurrenz in vielen Bereichen mithalten konnen und neue Algorith-men und Methoden oft sogar schneller implementieren. Dadurch erhoht sich auch dasInnovations-Tempo, so dass Anwender heute oft schneller von neuen Forschungser-gebnissen profitieren als noch vor wenigen Jahren.

Diese Entwicklungen haben die Arbeit der Statistiker – in der Praxis wie in derForschung – im Vergleich zu den 70er Jahren nachhaltig verandert. Eine Lehre, diediese neue Realitat nicht widerspiegelt, kann dem Anspruch auch fur die Praxis aus-zubilden nicht mehr gerecht werden. Zwischen Lehre und Praxis/Forschung klafftan einigen Universitaten inzwischen eine Lucke, die sich nur durch grundlegendeVeranderungen schließen lasst. Naturlich betrifft dieses Problem nicht nur die Statis-tik. Aufgrund ihrer starken Pragung durch die neuen Moglichkeiten der IT ist dieStatistik jedoch starker davon betroffen als andere Facher.

Seit einigen Jahren wird man in der (universitaren) Lehre standig mit dem Schlag-wort ,,E-Learning“ konfrontiert. Die anfanglich haufig geaußerte Erwartung, dass dieLehre durch E-Learning gleichzeitig besser und billiger wurde, konnte sich nichtbestatigen. Anders als beim schnellen Aufstieg und Untergang der Expertensystemejedoch, hat beim E-Learning aber nach der Euphorie eine Phase der Konsolidie-rung eingesetzt. E-Learning bietet zwar viele neue Moglichkeiten. Um daraus aberNutzen fur die Anwender zu stiften, sind gleichermaßen sorgfaltig konzipierte undqualitativ hochwertige Inhalte sowie eine professionelle technische Umsetzung erfor-derlich.

Durch umfangreiche Forderprogramme, z. B. durch das Programm ,,Neue Me-dien in der Bildung“ des Bundesministeriums fur Bildung und Forschung (BMBF)1,

1 Weitere Informationen unter: http://www.medien-bildung.net.

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durch EU-Forderprogramme und teilweise erganzende Forderung auf Univer-sitatsebene entstand bei den Betroffenen mit der Zeit ein gewisser Druck, sich mitdem Thema auseinanderzusetzen. Anfangs herrschte große Verunsicherung, weilviele die Ziele der Forderprogramme dahingehend missverstanden, dass der Do-zent durch entsprechende E-Learning-Angebote uberflussig werden sollte. Dabeiwar dies – zumindest im Rahmen der im Folgenden thematisierten universitarenPrasenzlehre – gar nicht beabsichtigt. In diesem Bereich (Stichwort: ,,Blended-Learning“) soll der Dozent in der Lehre durch E-Learning lediglich unterstutztwerden. Wahrend bei den ersten E-Learning-Projekten ein Großteil der Ressourcenin die Losung technischer Probleme investiert werden musste, konnten Projekte ausspateren Forderrunden haufig bereits auf vorhandene Infrastruktur (z. B. Learning-Management-Systeme oder Content-Authoring-Systeme2) zuruckgreifen. Der Fokusruckte in dieser Phase eher auf die Qualitat der erstellten Materialien. Nach Ab-schluss vieler Projekte wurde klar, dass die großte Hurde noch bevorstand: Wennes nach Ablauf der Forderung nicht gelingt, die erstellten Materialien auch dauer-haft in die Lehre zu integrieren und deren Weiterentwicklung bzw. Aktualitat zusichern – Stichwort: Nachhaltigkeit – wird von vielen Projekten nicht viel mehrals eine verwaiste Projektseite im Internet ubrig bleiben. Doch die Integrationder E-Learning-Materialien oder -Konzepte stellt die Verantwortlichen vor vieleProbleme.

In diesem Artikel wird ein moglicher Weg vorgestellt, der am FachbereichWirtschaftswissenschaft der Freien Universitat Berlin erprobt wurde. Es handeltsich um einen Blended-Learning-Ansatz. Dabei wurden Komponenten aus demBMBF-Projekt ,,Neue Statistik“3 nach einer Pilotphase in die regulare Statistik-Grundausbildung integriert. Hier wird auf die bisherigen Erfahrungen, aufgetreteneProbleme und Perspektiven dieses Ansatzes eingegangen.

Zunachst wird von dem langeren Piloteinsatz berichtet, der der Planung des ei-gentlichen Einsatzes vorausging. Darauffolgend wird das gewahlte Einsatzkonzeptbeschrieben. Es schließt sich eine Schilderung der Vorbereitungsphase an. Danachwerden die Erfahrungen aus dem Einsatz dargestellt. Im Rahmen einer Evaluationwird uber die Eindrucke der Studierenden und der Dozenten berichtet. Neben diesemqualitativen Teil werden auch quantitative Daten, u. a. aus Befragungen der Studie-renden und Nutzungsstatistiken des Learning-Management-Systems (kurz: ,,LMS“)einbezogen. Es folgt ein Fazit. Die Ausfuhrungen schließen mit einem Ausblick aufdie Anforderungen der Zukunft, die im konkreten Fall durch die Umstellung der Aus-bildung am Fachbereich auf den Bachelor und die damit einhergehenden steigendenTeilnehmerzahlen gepragt sind.

2 Learning-Management-Systeme wie Blackboard, WebCT oder Moodle dienen der Organisation vonKurs-Materialien im Intranet bzw. Internet und unterstutzen die Kommunikation zwischen den Studie-renden und den Dozenten. Content-Authoring-Systeme werden bei der Erstellung von elektronischenLerninhalten eingesetzt. Dabei stellen sie Funktionen zur Verfugung, die es den Autoren auf einfacheArt ermoglichen, Texte zu schreiben und diese mit multimedialen Elementen anzureichern. Die miteinem Content-Authoring-System erstellten elektronischen Lerneinheiten sollten idealerweise in einemstandardisierten Format vorliegen, welches die Inhalte vom spateren Layout weitgehend entkoppelt.3 Weitere Informationen sind uber die Webseite des Projekts unter http://www.neue-statistik.de verfugbar.

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2 Ausgangssituation

Aus Sicht der Autoren kann eine ,,datenferne“ universitare Grundausbildung denAnspruchen der statistischen Praxis nie vollends gerecht werden. Diese Erkennt-nis motivierte in den letzten Jahren viele Dozenten, multimediale Lernmaterialienzu erstellen, die entweder isoliert verwendet oder im Rahmen großerer Projekte zukompletten Lernumgebungen gebundelt wurden. Am Fachbereich Wirtschaftswis-senschaft der Freien Universitat Berlin bestand bereits fruh ein Interesse an derAnreicherung der statistischen Grundausbildung durch PC-Unterstutzung. Erste Er-fahrungen wurden im Rahmen der Beteiligung an dem Projekt ,,Statistik interaktiv!“gesammelt. Im Jahr 2000 ging aus dem Projekt eine gleichnamige Software samtBegleitbuch hervor. Anhand einer durch Videos motivierten Fallstudie zum ThemaLarmschutz wurden Grundbegriffe der deskriptiven Statistik problemorientiert ein-gefuhrt. Die Anwendung konnte am PC mithilfe der Software von den Studierendengeubt werden. Die Software eignete sich gleichermaßen zur Losung anderer Aufga-ben aus dem Bereich der deskriptiven Statistik. Zum damaligen Zeitpunkt standeneiner Integration der Software in die Lehre insbesondere zwei Grunde entgegen: DieSoftware deckte nur einen Teil des Stoffs ab. Im Curriculum wurde die deskriptiveStatistik in der ersten Halfte der Statistik I behandelt. Fur die zweite Halfte des Se-mesters sowie fur die gesamte Statistik II-Vorlesung ware ein Einsatz nicht infragegekommen. Außerdem boten die ca. 70 PC-Platze des Fachbereichs, die sich auf vierPC-Pools verteilten, nicht ausreichend Kapazitat fur die ca. 250 Teilnehmer der Vor-lesung. Man entschied sich, auf freiwilliger Basis ein vorlesungsbegleitendes vonstudentischen Tutoren geleitetes ,,Multimedia-Tutorium“ anzubieten. Die Teilnehmerdieser Veranstaltung sollten die Vorlesung/Ubung, das ,,klassische“ Tutorium undzusatzlich (zwei Semesterwochenstunden) das Multimedia-Tutorium besuchen. AlsAnreiz fur diesen Zusatzaufwand bekamen die Teilnehmer der Zusatzveranstaltungdie Gelegenheit, ca. 30% der Klausur am PC mit Hilfe von ,,Statistik interaktiv!“ zuschreiben. Dieses Modell sollte dazu dienen, erste Erfahrungen mit dem Einsatz derSoftware zu sammeln.

Im Fall eines positiven Echos bei den Studierenden, so die Vermutung, wurde dieNachfrage nach Multimedia-Tutorien stetig steigen. Pro Semester bewarben sich zwi-schen 50 und 60 der ca. 250 Vorlesungsteilnehmer fur das Multimedia-Tutorium.Da der großte PC-Pool jedoch nur 20 Platze bot und die Personalsituation keineSpielraume fur die Betreuung weiterer Veranstaltungen bot, mussten die Teilnehmerausgelost werden. Trotz eines positiven Feedbacks bevorzugten es einige Teilnehmerder Multimedia-Tutorien, die klassische Klausur zu schreiben, ohne auf ihre Erfah-rungen mit der Software zuruckzugreifen.

Auch am im Jahr 2001 begonnenen Projekt ,,Neue Statistik“ beteiligte sich derFachbereich. Neben der langwierigeren Erstellung von Lernmodulen brachte das Pro-jekt bereits im Folgejahr erste Java-Applets und Flash-Animationen hervor. Das alszentraler Bestandteil des Projekts entwickelte Statistiklabor – eine Art flexiblererNachfolger der Statistik interaktiv!-Software – stand in einer Testversion erstmalszum Wintersemester 2002/03 zur Verfugung.

Das Statistiklabor stellt den ganzen Funktionsumfang der Open Source-SoftwareR uber ein graphisches Benutzerinterface zur Verfugung. Bei der Erstellung der Soft-

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ware stand jedoch klar der Einsatz in der Lehre im Vordergrund. Das Statistiklabororientiert sich an einem didaktischen Konzept, welches zum Ziel hat, dem Lernen-den einen flexiblen und problemorientierten Ansatz zur Statistik zu ermoglichen. DasStatistiklabor beinhaltet einzelne Elemente (z. B. Datensatz-Import, Zufallszahlen-generator, Datensatz-Objekt, R-Kalkulator, Graphik-Wizard, Daten-Export, Text-feld), die uber Pfeile (sog. Konnektoren) miteinander verbunden werden. Dabeientsteht eine visuelle Reprasentation der zur Durchfuhrung einer statistischen Ana-lyse erforderlichen Schritte. Uber die Moglichkeit R-Pakete und Benutzerbibliothe-ken einzubinden, kann das Statistiklabor vom Dozenten flexibel erweitert werden.Die Benutzung von fur den Anfanger umstandlichen R-Funktionen (z. B. zum Er-zeugen von Graphiken) wird durch die Benutzeroberflache des Statistiklabors ob-solet. Gleichzeitig bleibt das volle Leistungsspektrum von R uber den im Statis-tiklabor enthaltenen R-Kalkulator erhalten. Das Statistiklabor wurde im Jahr 2003mit dem Medida-Prix4 ausgezeichnet und liegt mittlerweile in der Version 3.7vor.

Durch die Verfugbarkeit des Statistiklabors konnte der PC-Einsatz im Winter-semester 2002/03 erstmals auch in der Statistik II fortgefuhrt werden. Dabei ließsich – im Gegensatz zur Statistik I – der gesamte Themenumfang der Statistik II-Veranstaltung (Verteilungsmodelle, Schatzen, Testen, Regression) mit der Softwareabdecken. Der Piloteinsatz wurde bis zum Sommersemester 2004 fortgefuhrt unddabei in einigen Nuancen variiert. Aus dieser Pilotphase konnten wesentliche Er-kenntnisse gewonnen werden:

• Aufgrund des positiven Feedbacks und der Mundpropaganda stieg die Nachfragenach den Multimedia-Tutorien – gemessen an der Gesamtzahl der Teilnehmerder Vorlesung – zunachst an, stagnierte dann jedoch bei ca. 30%. Um zu unter-suchen, ob die Scheu vor zusatzlichem Aufwand (2 SWS) Hauptursache fur dieZuruckhaltung vieler Teilnehmer sein konnte, wurde im Sommersemester 2004testweise eine Statistik I-Veranstaltung angeboten, in deren Rahmen sich die Teil-nehmer zwischen klassischem und Multimedia-Tutorium entscheiden konnten. ZuBeginn des Semesters besuchten etwas mehr als 50% der Vorlesungsteilnehmerdie Multimedia-Variante der Tutorien. Am Ende des Semesters legten ca. 45%der Studierenden die Abschlussklausur teilweise am PC ab. Fur etwa die Halfteder Vorlesungsbesucher waren offensichtlich andere Grunde entscheidungsrele-vant.

• Uber das verwendete LMS Blackboard stand den Teilnehmern der Veranstal-tung testweise auch ein Online-Skript in Form von Lernmodulen aus dem Pro-jekt ,,Neue Statistik“ zur Verfugung. Dieses Zusatzangebot nutzten jedoch nurwenige Teilnehmer intensiver. Ein Grund ist in der anderen Schwerpunktset-zung sowie der teilweise von der Vorlesung abweichenden Notation zu se-hen. Als weiteren Grund gaben viele Studierende an, zwar gerne mit dem PCzu arbeiten, jedoch beim Lesen von langeren Texten gedruckte Vorlagen zubevorzugen.

4 Der Medida-Prix wird von der Gesellschaft fur Medien in der Wissenschaft (GMW) ausgeschrieben,weitere Informationen unter http://www.medidaprix.de.

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3 Das neue Einsatzkonzept

Im Verlauf des Pilotprojekts wurde die Hoffnung einer ,,sanften“ Umstellung auf dasMultimedia-Konzept enttauscht. Obwohl ca. die Halfte der Veranstaltungsteilnehmerden PC-Einsatz – sofern dieser keinen Mehraufwand bedeutet – einer klassischenVeranstaltung vorzogen, gab es unter den restlichen Studierenden offenkundig auchSkeptiker. Um unter den Studierenden vor einer moglichen umfassenden Umstellungdes Lehrkonzepts keine Verunsicherung zu schuren, wurde auf Befragungen zur ge-naueren Ursachenermittlung verzichtet.

Auf Seiten des Lehrstuhls kam man zu der Uberzeugung, dass in der Pilotphaseausreichend Erfahrungen gesammelt wurden, um die zweigleisige Strategie aufzuge-ben und das Multimedia-Konzept verpflichtend fur alle Studierenden in der Lehre zuverankern. Um dies konsequent umzusetzen, sollte dabei ein ganzheitlicher Ansatzverfolgt werden, der die Verwendung des Statistiklabors sowie weiterer multimedia-ler Komponenten nicht langer nur auf die Tutorien beschrankt. Um der Bedeutung derAusbildung am PC Ausdruck zu verleihen, sollten die neuen Komponenten gleicher-maßen in die Vorlesung/Ubung integriert werden. Da aus Erfahrung der Autoren beivielen Studierenden die Bedeutung bestimmter Inhalte großtenteils an deren Klau-surrelevanz gemessen wird, sollte idealerweise ein PC-Einsatz auch im Rahmen derKlausur stattfinden. Der absehbar hohe Aufwand der Umstellung wurde als vertretbarzur Erreichung der verfolgten Ziele angesehen:

• praxisnahe, zeitgemaße Ausbildung (vgl. Rendtel 1998)• Modernisierung des Curriculums (Simulationen, Bootstrap, multiple lineare Re-

gression)• mehr Beispiele mit realen Daten• weniger Zeiteinsatz furs Rechnen, mehr Zeit furs Verstehen.

Finanzielle Mittel aus einem E-Learning-Forderprogramm der Freien Universitatkompensierten zwar den zusatzlichen Aufwand in der Vorbereitungsphase, mittel-fristig musste ein Betrieb nach dem neuen Konzept jedoch mit den regular zurVerfugung stehenden Ressourcen realisierbar sein. Diese Restriktion erforderte ins-besondere eine Umschichtung beim Personaleinsatz. Es war absehbar, dass dieobligatorische Verwendung des Statistiklabors eine Flankierung durch zusatzlicheBetreuung erforderte. Der Piloteinsatz hatte gezeigt, dass einigen Teilnehmern desMultimedia-Tutoriums grundlegende Kenntnisse im Umgang mit PCs bzw. derenBetriebssystem fehlten.5 Diese Kenntnisse mussen zunachst vermittelt werden, dasie eine notwendige Voraussetzung fur den produktiven Umgang mit Anwendungs-software darstellen. Wahrend die Statistikgrundausbildung bisher insbesondere un-terschiedliche mathematische Vorkenntnisse der Teilnehmer berucksichtigen musste,kommen im Rahmen des neuen Konzepts unterschiedliche PC-Vorkenntnisse alszusatzlicher heterogenitatsstiftender Faktor hinzu.

Da auf die Heterogenitat der Studierenden in einer Vorlesung mit ca. 250 Teilneh-mern nur in begrenztem Umfang eingegangen werden kann, musste eine intensivepersonliche Betreuung außerhalb der Vorlesung stattfinden. Dabei sollte den Studie-

5 Die Kenntnisse haben sich jedoch bis heute stark verbessert.

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renden eine großere Eigenverantwortung abverlangt werden. Weil keine zusatzlichenPersonalkapazitaten zur Verfugung standen, kam nur eine gezieltere Allokation dervorhandenen Ressourcen in Betracht. Als Losung wurde die Anzahl der vorlesungs-begleitenden Tutorien von sechs auf drei pro Woche reduziert. Um diesen Prozesstransparent zu gestalten, wurde diese Veranstaltungsform in ,,Großubung“ umge-tauft. Um ,,schwachere“ Studierende intensiver und individuell betreuen zu konnen,wurden zusatzliche Arbeitsgemeinschaften eingeplant. Die Betreuung dieser 45-minutigen AGs erfolgte je nach Bedarf durch ein bis drei Tutoren an drei Terminenpro Woche. Im Gegensatz zur Vorlesung und den Großubungen wurde der Besuch derAGs ausdrucklich als freiwillig deklariert. Regelmaßige am PC zu losende Hausauf-gaben erganzen das Konzept als weitere Komponente. Ziel ist, die Studierenden zumaktiven und kontinuierlichen Arbeiten zu motivieren und gleichzeitig bereits wahrenddes Semesters eine objektive Selbsteinschatzung des erzielten Lernfortschritts zuermoglichen. Letzteres setzte eine Korrektur der Hausaufgaben durch die Tutorenvoraus. Um den Aufwand dafur zu beschranken, sollten Hausaufgaben jeweils furzwei Wochen gestellt werden. Die Bearbeitung der Aufgaben sollte idealerweise inGruppen von zwei bis vier Personen erfolgen. Die ursprungliche Planung, Punkteaus dem Hausaufgabenbetrieb auf die Klausur anzurechnen bzw. eine gewisse Min-destpunktzahl zur Bedingung fur eine Klausurteilnahme zu machen, stand nicht mitden Vorgaben der Diplomprufungsordnung des Fachbereichs in Einklang.6 DiesePlane wurden zugunsten einer Regelung aufgegeben, die Teilnahmeanreize dadurchsetzt, dass nur Gruppen, die eine sinnvoll bearbeitete Losung eingeschickt haben,die Musterlosungen der Aufgaben vom Lehrstuhl erhalten. Abbildung 1 liefert einenUberblick uber Veranderungen im Rahmen der Umstellung.

Abb. 1 Organisation des Veranstaltungsbetriebs vor und nach der Umstellung

Als mogliche Problembereiche im Rahmen einer Umstellung auf das neueMultimedia-Konzept wurden insbesondere folgende Punkte identifiziert:

6 Dieses verpflichtende Prozedere im Hausaufgabenbetrieb wurde mit der Umstellung auf die Bachelor-Studienordnung eingefuhrt.

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• Einmalig erhohter Aufwand durch die Umstellung des Veranstaltungskonzepts:Die Umstellung erfordert insbesondere eine umfassende Uberarbeitung und Er-weiterung der Materialien fur die Vorlesung.

• Erweiterte Anforderungen an die Tutoren. Die Anforderungen an die Tutorensteigen durch die Umstellung. Neben der Betreuung großerer Gruppen in denGroßubungen wird zusatzlich zu einem umfassenden Verstandnis der Statistik undentsprechenden didaktischen Kompetenzen nun auch ein sicherer Umgang mit derIT verlangt.

• Mogliche negative Reaktion von ,,IT-avers“ eingestellten Studierenden: Es be-stand eine Unsicherheit bezuglich der Reaktion jener Studierender, die im Rahmender Pilotphase den PC-Einsatz systematisch gemieden haben.

• Organisatorische und technische Hurden: Neben der Notwendigkeit entsprechendausgestatteter Horsale fur Vorlesung und Großubungen stand insbesondere hin-ter der Organisation einer in Teilen PC-gestutzten Klausur in Großveranstaltungenmit bis zu 250 Teilnehmern ein großes Fragezeichen.

4 Die Vorbereitungsphase

Im Sommersemester 2004 startete die Vorbereitungsphase. Ziel war, die StatistikI-Vorlesung im folgenden Wintersemester nach dem neuen Konzept zu halten undparallel dazu die Statistik II-Vorlesung entsprechend vorzubereiten.

Nach einer ersten Abschatzung der Nachfrage nach den AGs wurden zu denAG-Terminen jeweils zwei benachbarte PC-Pools mit einer Gesamtkapazitat von 40PC-Platzen gebucht. Da davon ausgegangen wurde, dass eine AG hochstens einmalim Rahmen eines 2-wochigen Hausaufgabenzyklus besucht wird, ergab sich einerechnerische Betreuungskapazitat von 240 Teilnehmern. Diese Zahl schien gemessenan den Abschatzungen der tatsachlichen Nachfrage mehr als ausreichend.

Den Hauptteil der Arbeit nahm – wie erwartet – die Uberarbeitung der Vorle-sungsmaterialien in Anspruch. Die bestehenden Folien mussten um neue Themenwie Bootstrap und multiple Regression erganzt werden. Weitere Maßnahmen bestan-den in der Erganzung von neuen Beispielen mit echten Daten bzw. der Modifikationvorhandener Beispiele. Dazu musste zunachst nach geeigneten Datensatzen recher-chiert werden. Zur besseren Illustration wurden Screenshots aus dem Statistiklaborintegriert. Auf den Folien wurden Erklarungen zu wichtigen R-Funktionen eingefugt,ebenso auch in der Formelsammlung. Weitere Materialien (Java-Applets und einigeFlash-Animationen) wurden an passender Stelle eingebaut. Als zeitaufwandig erwiessich die Erstellung etlicher neuer Statistiklaboraufgaben fur die Großubungen sowieden Hausaufgabenbetrieb. Um in der Klausur ein zugiges Arbeiten mit dem Statis-tiklabor zu fordern, wurde eine kompakte vierseitige Befehlsreferenz zusammenge-stellt, die alle in den Vorlesungen Statistik I und II verwendeten R-Kalkulatorbefehlemit ihrer Syntax zusammenfasst. Bei der Einstellung neuer Tutoren wurde expli-zit im Vorstellungsgesprach auf die veranderte Situation (großere Gruppen, sichererUmgang mit dem PC) geachtet.

Einen Monat vor Beginn des Wintersemesters 2004/05 wurde im LMS Black-board ein virtueller Kurs angelegt, der alle veranstaltungsbegleitenden Materia-

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lien bundelte. Um Studierenden zusatzliche Hilfe beim Umgang mit dem Laborzu bieten, wurden einige Exemplare eines auf das Statistiklabor zugeschnittenenEinfuhrungsbuchs (Schlittgen 2005) fur die Lehrbuchsammlung der Bibliothek ange-schafft.

5 Der erste Statistikzyklus nach dem neuen Konzept

Zu Beginn des Semesters nahmen die Studierenden an einer schriftlichen Befragungteil. Dadurch erhielten die Studierenden erste Einblicke in den Prozess der Daten-gewinnung und beschaftigten sich auch mit Fragen der geeigneten Kodierung derDaten. Der gewonnene Datensatz diente als Basis fur weitere Auswertungen, an demdiverse im Rahmen der deskriptiven sowie der Inferenzstatistik erlernte Methoden de-monstriert wurden. Die im Fragebogen gestellten Fragen zu den Vorkenntnissen derStudierenden und deren IT-Ausstattung sollten zusatzlich den Informationsstand desLehrstuhls verbessern und u. a. die Planung der Klausur unterstutzen. Abbildung 2zeigt die Ergebnisse der Befragung in Bezug auf die PC- und Mathematikkenntnisseder Teilnehmer. Wahrend eine Aufschlusselung der Mathematikkenntnisse nach demGeschlecht keine systematischen Unterschiede zeigte, gab es bei den PC-Kenntnissendeutliche geschlechtsspezifische Unterschiede. Die Angaben basieren jedoch auf ei-ner Selbsteinschatzung der Studierenden.

In Bezug auf die IT-Ausstattung (Abb. 3) war insbesondere von Interesse, wieviele Studierende einen geeigneten PC/Laptop besaßen und somit nicht auf dieNutzung der PC-Pools zum Uben angewiesen waren. Weil das Statistiklabor ledig-lich Windows 2000/XP unterstutzt, wurde zusatzlich nach dem Betriebssystem desPCs/Laptops gefragt. Bei den Laptops wurde unterstellt, dass Gerate, deren Kauf zumBefragungszeitpunkt nicht mehr als 1,5 Jahre zurucklag, in Bezug auf Hardware undBetriebssystem ebenfalls zur Installation des Statistiklabors geeignet waren. Insge-samt besaßen gut 75% einen geeigneten PC oder Laptop.

Abb. 2 PC- und Mathematikkenntnisse (aufgeschlusselt nach Geschlecht) der Veranstaltungsteilnehmer,absolute Haufigkeiten

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Abb. 3 IT-Ausstattung der Studierenden

Weiterhin wurde nach dem Nutzungsverhalten gefragt. Jeweils knapp 90% derStudierenden gaben an, den PC regelmaßig zur gezielten Informationssuche im In-ternet und zum Lesen/Schreiben von E-Mails zu verwenden. Immerhin nutzen 65%auch regelmaßig Textverarbeitungsprogramme. Der Anteil derer, die regelmaßig miteiner Tabellenkalkulation arbeiten oder den PC zum Programmieren verwenden, lagdagegen nur bei 17 bzw. 8%. Dementsprechend waren nur geringe Vorkenntnissehinsichtlich der Arbeit mit Statistikprogrammen zu erwarten.

Einen Indikator fur die Mitarbeit wahrend des Semesters liefert die Aktivitatim Hausaufgabenbetrieb. Zu Beginn des Semesters registrierten sich in der Statis-tik I 103 Hausaufgabengruppen mit insgesamt 249 Teilnehmern. In der zu diesem

Abb. 4 Anzahl der eingereichten Hausaufgabenzettel (HA1, . . ., HA6) in den Kursen Statistik I und II

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Zyklus gehorenden Statistik II-Veranstaltung waren es noch 65 Gruppen mit 148 Teil-nehmern. Die Hausaufgaben wurden nach einem einfachen Schema bewertet: Fureine nicht bearbeitete Teilaufgabe gab es −0,1 Punkte, fur eine fehlerhaft bearbei-tete Teilaufgabe gab es Null Punkte und fur jede richtige Teilaufgabe einen Punkt.Zusatzlich zu den Punkten gaben die Tutoren bei Fehlern ein stichwortartiges Feed-back. Pro Semester waren sechs Aufgabenblatter zu bearbeiten. Abbildung 4 gibteinen Uberblick uber die Anzahl der eingereichten Losungen. Die Punkte konntenuber das Semester kumuliert werden. Die beste Gruppe erreichte in der Statistik I59 von moglichen 61 Punkten, in der Statistik II erreichten funf Gruppen 49 vonmoglichen 52 Punkten.

Neben dem Niveauunterschied, der in der geringeren Anzahl von Teilnehmern inder Statistik II-Veranstaltung begrundet liegt, fallt der unterschiedliche Verlauf auf:In der Statistik I sprangen viele Gruppen nach der Bearbeitung des dritten Aufga-benblatts ab, welches das letzte Aufgabenblatt vor den Weihnachtsferien war. In derStatistik II stieg die Anzahl der aktiven Gruppen zunachst sogar leicht. Etliche Grup-pen fassten die Entscheidung fur den Ausstieg vermutlich erst kurz vor der Klausur.

6 Die Klausur

Die Durchfuhrung einer PC-gestutzten Abschlussklausur im Rahmen einer Mas-senveranstaltung bildete die großte Herausforderung. Nachdem die Studierenden-Befragung zeigte, dass immerhin 30% der Veranstaltungsteilnehmer bereits zu Be-ginn des Semesters einen geeigneten Laptop besaßen, wurde der Entschluss gefasst,es den Studierenden zu ermoglichen, die Klausur am eigenen Laptop zu schreiben.Um die PC-Pools des Fachbereichs zu entlasten, ermutigte man die Studierenden

Abb. 5 Die Teilnehmer der Statistik I-Klausur beim Aufbau der mitgebrachten Laptops

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in den Veranstaltungen auch explizit zur Wahl dieser Option. Aus Gesprachen ginghervor, dass daraufhin einige Studierende die ohnehin fur das Studium geplante An-schaffung eines Laptops vorzogen. Wahrend des Semesters meldeten sich ca. 200Personen fur die Abschluss-Klausur uber das Prufungsburo an. Um den Raumbe-darf besser planen zu konnen, mussten sich Personen, die die Klausur am Laptopschreiben wollten, zusatzlich in eine weitere Anmeldeliste am Lehrstuhl eintragen.Durch die Eintragung in diese Liste versicherten die Studierenden, dass sie auf einenPlatz im PC-Pool verzichten und selbst fur die Funktionstuchtigkeit des mitgebrach-ten Laptops verantwortlich sind. 76 Personen trugen sich in die Liste ein.

Aufgrund mangelnder Kapazitaten wurde die Klausur in zwei zeitversetzten Grup-pen geschrieben. Die Gruppenzuteilung erfolgte durch den Lehrstuhl. Pro Durchlaufstanden knapp 90 PCs verteilt auf drei PC-Pools sowie maximal 45 Platze in einemseparaten Raum fur Laptops zur Verfugung. Die Laptop-Nutzer schrieben die Klau-sur in der modernisierten Cafeteria des Fachbereichs (Abb. 5), da dieser Raum uberausreichend Steckdosen verfugte. Obwohl ein Großteil der Laptops fur die Klausur-zeit von 120 Minuten auch ohne Anschluss an das Stromnetz hatte betrieben werdenkonnen, drangten im Vorfeld etliche Studierende ,,zur Sicherheit“ auf eine ausrei-chende Anzahl von Steckdosen.

In der Klausur waren insgesamt 120 Punkte zu erreichen, von denen genau dieHalfte auf den am PC zu losenden Teil entfielen. Auch die Klausuraufgaben fur denPC-Teil wurden auf Papier gestellt. Vor der Klausur wurden vier in der Veranstaltungbereits verwendete Datensatze benannt, die die Teilnehmer zur Klausur bereithal-ten sollten. Der Open-Book-Tradition bei Statistikklausuren am Fachbereich folgend,durften die Teilnehmer nun konsequenterweise neben gedruckten Materialien und ei-genen Aufzeichnungen auch Dokumente in digitaler Form nutzen. Ein Verbot vonMaterialien in digitaler Form ware auf den Laptops ohnehin kaum durchsetzbar ge-wesen. Die beiden Klausurgruppen bekamen unterschiedliche Aufgaben. Dabei wur-den u. a. andere Zahlen verwendet, die Aufgabentexte wurden teilweise komplett neugeschrieben, in den Laboraufgaben wurden Auswertungen mit anderen Datensatzenoder in demselben Datensatz, jedoch mit anderen Variablen durchgefuhrt.

Ein wichtiger Aspekt war die Vermeidung von Tauschungsversuchen. BisherigeErfahrungen mit PC-gestutzten Klausuren aus dem Pilotbetrieb zeigten zwar, dassauch hier die großte Gefahr vom ,,einfachen Abgucken“ – in diesem Fall vom Bild-schirm des Nachbarn – ausging. Im Gegensatz zu klassischen Klausuren sind diePlatzverhaltnisse in den PC-Pools haufig beengter. Nur in Ausnahmefallen ist esmoglich, zwischen zwei Teilnehmern einen PC-Platz nicht zu belegen. Diesem Pro-blem wurde durch zusatzliche Aufsichtspersonen begegnet. Weiterhin wurde auchinnerhalb der Klausurgruppen durch simple Vertauschung der Aufgabenreihenfolgeeine A- und eine B-Klausur mit unterschiedlichem Deckblatt erstellt, was das direkteAbgucken zumindest erschwerte. Ein auf dem Router des Netzwerks wahrend derKlausurzeit aktivierter IP-Filter unterband den Zugriff der PCs auf das Internet so-wie andere LAN-Segmente und verhinderte so technische Tauschungsversuche. Dengleichen Effekt sollte die temporare Abschaltung des WLANs der Universitat in derUmgebung des Laptop-Raums erzielen. An- und Abmeldungen an den PCs wurdenprotokolliert. Ein passiver WLAN-Scanner suchte vor und wahrend der Klausur per-manent nach Access-Points und Ad-Hoc-Netzen. Zusatzlich wurden die Studieren-

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den vor der Klausur darauf aufmerksam gemacht, dass jegliche Nutzung drahtloserKommunikationswege als Tauschungsversuch gewertet wird.

Wahrend sich die WLAN-Nutzung relativ gut kontrollieren lasst, stellen alterna-tive drahtlose Formen der Kommunikation in letzter Zeit eine zunehmende ,,Ge-fahr“ dar. Neuere Notebooks besitzen haufig interne Bluetooth-Adapter mit einerReichweite, die zumindest fur die Kommunikation innerhalb des Klausurraumsausreicht. Interne bzw. von außen kaum sichtbare GPRS- oder UTMS-Adapterwurden sogar theoretisch eine Kommunikation nach außen ermoglichen. DerartigeTauschungsversuche konnen nur durch großeren technischen Aufwand (Raume mitspeziellen Wanden, die Funk in relevanten Frequenzbandern dampfen oder teureFrequenzscanner) verhindert werden. Auf der anderen Seite darf nicht vergessenwerden, dass ein derartiger Tauschungsversuch penibel geplant sein und technischentsprechend umgesetzt werden muss. Da im Laptop-Raum wahrend der Klausur biszu funf Aufsichten anwesend sind, besteht ein nicht unerhebliches Risiko entdecktzu werden. Dadurch, dass die Aufgaben auf Papier gestellt werden, musste zudemder gesamte Aufgabentext zunachst auf den PC (z. B. durch Abtippen) ubertragenwerden, bevor er uber eine versteckte Drahtlos-Verbindung nach außen geschicktwerden konnte. Zum Bestehen der Klausur sind ferner 50% der Punkte erforderlich.Selbst wenn es gelange, im PC-Teil zu schummeln, ist man noch weit von einer gutenNote entfernt. Zuletzt sollte auch bedacht werden, dass technische Betrugsversuche(die Benutzung einer drahtlosen Kamera zum Abfilmen von Klausuren oder der Ein-satz eines unauffalligen Bluetooth-Headsets in Verbindung mit einem Handy) auchohne Laptop moglich sind und dagegen auch in klassischen Klausuren – neben denublichen Kontrollen durch die Aufsicht – noch keine speziellen Maßnahmen ergriffenwerden.

Keine Software lauft 100% stabil. Wenn wahrend der Klausur ungefahr 200Teilnehmer mit dem Statistiklabor arbeiten und etliche Laborszenarien erstellen,verandern, speichern und wieder offnen, kommt es gelegentlich zu Programm-absturzen. In diesen Situationen gilt es, die Studierenden zuerst zu beruhigen unddanach den entstandenen Schaden – insbesondere die verlorene Zeit – abzuschatzen.Bisher konnte immer einvernehmlich mit dem Betroffenen eine Nachschreibezeit ver-einbart werden, die sich an den Punktzahlen der verloren gegangenen Teilaufgabenorientierte.

Es stellte sich die Frage, ob dieser Aufwand tatsachlich gerechtfertigt ist. Dochauch in der Klausur ergeben sich durch die PC-Unterstutzung fur den Dozentenneue Moglichkeiten: Die Studierenden konnen z. B. im Bereich der Schatztheoriezuerst in einer klassischen Aufgabe ,,einfache“ Schatzfunktionen hinsichtlich ih-rer Eigenschaften beurteilen und anschließend eine Simulation durchfuhren, umdie Eigenschaften weiterer – beispielsweise auf Ordnungsstatistiken basierendenSchatzfunktionen – zu untersuchen. Im Bereich des statistischen Testens und der Re-gression konnen Aufgaben gestellt werden, die den Charakter einer kleinen Fallstudieaufweisen. Allerdings muss auch der Dozent erst einmal Erfahrung mit PC-gestutztenKlausuraufgaben sammeln. Deren Schwierigkeitsgrad lasst sich am Anfang schwereinschatzen. Dafur erhalt man die Moglichkeit, bestimmte Fahigkeiten zu uberprufen,die uber klassische Aufgaben kaum abgefragt werden konnen. Selbst wenn in klas-sischen Aufgaben z. B. SPSS-Outputs abgedruckt werden, ist der Studierende in ein

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bestimmtes Schema gepresst. Kann er dagegen in der Klausur selbst mit der Softwarearbeiten, muss er auch den Weg zur Losung eigenstandig finden. Dabei kann er imRahmen der Vorgaben selbst wahlen, welche Methoden er einsetzt.7

Obwohl sich auch durch die Einfuhrung des multimedialen Konzepts der No-tendurchschnitt nicht signifikant verandert hat, werden nach dem Empfinden derAutoren wesentliche zusatzliche Fahigkeiten vermittelt, die den Studierenden geradebeim Einstieg in den Beruf von Nutzen sein konnen. Ein aussagekraftiger Noten-vergleich ware nur im Rahmen eines aufwandigen Experiments moglich, welchessich im laufenden Vorlesungsbetrieb nicht ohne Weiteres durchfuhren lasst. Dennochkann die Evaluation neben einigen subjektiven Eindrucken der Dozenten und Studie-renden auch auf quantitative Daten bauen.

7 Evaluation des ersten Zyklus

Im Rahmen des ersten Veranstaltungszyklus, der nach dem neuen Konzept durch-gefuhrt wurde, fielen diverse Daten an: An der in der Statistik I durchgefuhrtenschriftlichen Befragung nahmen 249 Studierende teil. In der Statistik II wurde einezweite Befragung durchgefuhrt, in der die Studierenden nach ihrer Meinung zu demneuen Konzept befragt wurden (76 Teilnehmer). Zusatzlich lagen personalisierte Da-ten aus dem Hausaufgabenbetrieb vor. Das LMS Blackboard lieferte personalisierteDaten uber die Nutzung der einzelnen Inhaltsbereiche der Kurse Statistik I und Statis-tik II. Hinzu kommen die Klausurergebnisse, aufgeschlusselt u. a. nach PC-/Laptop-Nutzung, Klausurdurchgang und Klausurversion. Eine Zusammenfuhrung der Datenermoglichte eine grobe Verfolgung der Teilnehmer durch den Veranstaltungszyklus(vgl. Abb. 6). Die Drop-Out-Quoten liegen dabei im Bereich des am FachbereichUblichen. In der Statistik II ist die Anzahl der Teilnehmer generell geringer, weildiese Veranstaltung z. B. fur viele Magister-Studierende nicht obligatorisch ist.

Die weitere Analyse der Blackboard-Statistiken (Tabelle 1) zeigt eine hohe Kor-relation zwischen der Nutzung der einzelnen Inhaltsbereiche (mit Ausnahme desBereichs ,,Tools“ liegt die Korrelation bei ca. 0,65). Der erste Eigenvektor vermag74% der Gesamtvarianz der Zugriffe zu erklaren.

Um herauszufinden, welche Faktoren die Teilnahmeentscheidung bezuglich derKlausur beeinflussen, wurden verschiedene Logit-Modelle gerechnet. Einzig die An-zahl der im Hausaufgabenbetrieb erzielten Punkte erwies sich dabei als signifikant(p = 0,0014), was plausibel erscheint. Dagegen spielte uberraschenderweise die An-zahl der Zugriffe auf das LMS keine Rolle ( p = 0,9909).8

7 Ein Beispiel soll den Unterschied verdeutlichen: In einer ,,klassichen“ Klausur seien in einer Aufgabezum Themengebiet ,,Testen“ zwei unabhangige Stichproben gegeben. Es soll anhand der ersten Stich-probe exemplarisch eine Aussage uber die Verteilung der Daten getroffen werden. Dazu ist ein QQ-Plotgegeben. In der nachsten Teilaufgabe wird der SPSS-Output des Zwei-Stichproben-t-Tests abgedruckt.Dadurch ist dem Studierenden die erwartete Antwort auf die Frage nach der Verteilung eigentlich bereitsvorgegeben. In einer PC-Klausur kann der Studierende dagegen aufgefordert werden, entsprechend seinerAntwort auf die Frage nach der Verteilung selbst einen geeigneten Test auszuwahlen und durchzufuhren(z. B. also auch den Wilcoxon-Test, wenn er keine Evidenz fur normalverteilte Daten findet).8 Die detaillierten Ergebnisse der Logit-, sowie der im Folgenden erwahnten Regressionsanalyse sind aufAnfrage uber die Autoren erhaltlich.

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Abb. 6 Reproduzierte ,,Wanderung“ der Teilnehmer durch den ersten Veranstaltungszyklus. Die oberePfeilreihe in der Mitte reprasentiert Teilnehmer, die die Klausur bestanden haben, die darunterlaufendendunkleren Pfeile Teilnehmer, die die Klausur nicht bestanden haben

Tabelle 1 Nutzungsstatistiken des LMS Blackboard fur den Kurs Statistik I, Zugriffe pro Nutzer imZeitraum vom 1.10.2004 bis zum 31.3.2005

Bereich Mean Max Beschreibung

Information 23,58 109 Veranstaltungstermine, Literaturliste, ...Vorlesung 134,03 544 Materialien zur Vorlesung (Folien,

Laboraufgaben, Datensatze, Applets,Formelsammlung, ...)

Ubungsblatter 236,75 1029 Ubungsblatter mit Aufgaben fur dieGroßubungen und den Hausaufgaben

Statistiklabor 38,85 200 Download des StatistiklaborsTools 6,84 57 personliche Datei-Ablage

Gesamt 455,97 1713

Bezuglich des PC-Teils in der Klausur stellte sich vorab die Frage, ob es uberhauptgelingt, mit dem Statistiklabor differenziert Statistikkenntnisse abzufragen. Dabeiwurde die Befurchtung geaußert, dass evtl. stattdessen im Wesentlichen uberpruftwird, ob die Studierenden mit dem Statistiklabor selbst umgehen konnen. Tabelle 2zeigt die Korrelation der erzielten Punkte in den Aufgaben aus dem Laborteil.

Tabelle 2 Korrelationsmatrix der Punkte im Hausaufgabenbetrieb (,,AG-Punkte“) sowie im Laborteilder Klausur, der aus den Aufgaben 1, 2, 3 besteht (abgekurzt als ,,A1“, ,,A2“, ,,A3“). Die Variable,,Laborteil“ enthalt die Gesamtpunktzahl im Laborteil der Klausur

Statistik I AG-Punkte A1 A2 A3 Laborteil

AG-Punkte 1,00 0,03 0,17 0,21 0,19A1 1,00 0,40 0,31 0,76A2 1,00 0,21 0,75A3 1,00 0,69Laborteil 1,00

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Die erste Aufgabe behandelt einfache Probleme der deskriptiven Statistik, Auf-gabe zwei befasst sich mit empirischen Zusammenhangsmaßen, wahrend die dritteAufgabe diskrete Verteilungsmodelle zum Inhalt hat. Die verhaltnismaßig schwa-che Korrelation der in den Aufgaben erreichten Punkte legt nahe, dass verschiedeneKenntnisse zur Losung erforderlich sind – die grundsatzliche Fahigkeit zur Be-dienung des Statistiklabors kann also lediglich eine untergeordnete Rolle spielen.Uberraschend dagegen ist die sehr geringe Korrelation zwischen den im Laborteilder Klausur erreichten Punkten und dem Hausaufgabenbetrieb, der explizit auf diePC-Aufgaben in der Klausur vorbereiten sollte.

Durchschnittlich wurden im Laborteil der Klausur ca. 15 Punkte mehr erreichtals im klassischen Teil. Ein Grund ist darin zu sehen, dass die Empfehlung gege-ben wurde, die drei Laboraufgaben vor den klassischen Aufgaben zu losen. Da dieZeit knapp bemessen war, konnten einige Studierende die letzte(n) Aufgabe(n) ausdem klassischen Teil nur oberflachlich bearbeiten. Studierende gaben jedoch auchan, die Laboraufgaben wurden ,,mehr Spaß“ machen und hatten deshalb beim Ler-nen intensivere Aufmerksamkeit erfahren. Die Korrelation zwischen den im Laborteilund den im klassischen Teil der Klausur erreichten Punkten lag bei 0,55 (0,47 in derStatistik II).

Um die in der Klausur erreichte Gesamtpunktzahl zu erklaren, wurden verschie-dene Regressionsmodelle gerechnet. Dabei hatten die Klausurgruppe (p = 0,2995)sowie die Klausurversion ( p = 0,6717) keinen signifikanten Einfluss. Ebenfallskonnte kein signifikanter Unterschied zwischen PC- und Laptop-Nutzern festgestelltwerden (p = 0,1519). Dagegen ubten die Punkte im Hausaufgabenbetrieb sowie dieBlackboard-Nutzung einen positiven Einfluss aus (p = 0,0077 bzw. p = 0,0105).Insgesamt vermochte aber keines der aufgestellten Regressionmodelle mehr als 20%der Gesamtvarianz der Punkte zu erklaren. Offensichtlich haben nicht erfasste Fakto-ren (wie Fleiß, Begabung, Motivation etc.) einen erheblichen Einfluss.

Von den Veranstaltungsteilnehmern wurden insbesondere der Einsatz des Statis-tiklabors und des Blackboard-Systems zur Verwaltung aller Materialien sehr positivbewertet (Abb. 7).

Am Lehrstuhl bindet die Korrektur der Hausaufgaben und die Betreuung der AGsviele Ressourcen. In der Befragung sollte herausgefunden werden, inwiefern dies zurechtfertigen ist. 13% der Befragten gaben an, die AGs in den PC-Pools regelmaßigzu besuchen. Ebenfalls 13% besuchten die AGs nach eigener Angabe zumindesthaufig. Insgesamt 35% der Teilnehmer besuchten die AGs zumindest gelegentlich– diese Zahl entsprach auch der Einschatzung der Tutoren, die die AGs betreu-ten. Interessanterweise gaben knapp 50% der Befragten an, nie eine AG besuchtzu haben. In vielen Fallen besuchten alle Teilnehmer einer Hausaufgabengruppegemeinsam eine AG. Die Aufgaben wurden dann im Team gelost. Entstehende Fra-gen konnten so zuerst innerhalb der Gruppe diskutiert werden – nur, wenn Fragengruppenintern nicht abschließend geklart werden konnten, wurde ein Tutor hinzuge-zogen.

Kaum einer der Veranstaltungsteilnehmer hatte bisher Erfahrungen mit einer teil-weise am PC zu absolvierenden Prufung. Vor der Statistik I-Klausur bestand beivielen Veranstaltungsteilnehmern eine Verunsicherung bezuglich der Anforderun-gen und dem Ablauf der Klausur. Der Lehrstuhl stellte daraufhin kurzfristig eine

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Abb. 7 Bewertung einiger Komponenten des neuen Konzepts durch die Veranstaltungsteilnehmer. DieZahlen geben die absoluten Haufigkeiten wieder, n = 76

Probeklausur und veroffentlichte ein mehrseitiges Dokument, in welchem der Ab-lauf der Klausur detailliert erlautert wurde. In der Evaluationsbefragung – also inder Vorbereitungsphase auf die Statistik II-Klausur – wurden die Studierenden nachder subjektiv empfundenen Unsicherheit im Hinblick auf die Statistik II-Klausurim Vergleich zu anderen Grundstudiumsklausuren gefragt. Knapp 80% der Befrag-ten fuhlten sich zumindest ,,nicht unsicherer“. 45% fuhlten sich sogar ,,eher siche-rer“. Zusatzlich wurde gefragt, wie die Studierenden zum Umfang des PC-Teilsin der Klausur standen. Lediglich 10% empfanden den Umfang des PC-Teils von50% als ,,hoch“ oder ,,zu hoch“. Uber die Halfte der Befragten hatte sich sogareinen umfangreicheren PC-Teil gewunscht. Die anfangs bestehenden Unsicherheitenkonnten offenbar durch die getroffenen Maßnahmen großtenteils abgebaut werden.Der Umgang mit dem Statistiklabor scheint den Studierenden daruber hinaus zugefallen.

Gefragt nach einer Gesamteinschatzung des Konzepts im Vergleich zu anderenGrundstudiumsveranstaltungen gaben 75% der Befragten an, dieses ,,besser“ zu fin-den. Weitere 16% beurteilten das Konzept als ,,eher besser“, wahrend nur 3% dasKonzept als ,,schlechter“ bzw. ,,eher schlechter“ bewerteten.

Die in v. d. Lippe u. Kladobra (2008) in diesem Heft geaußerten Vorbehalte ge-genuber dem Einsatz von Statistik-Software im Grundstudium sehen die Autorendaher nicht bestatigt. Sicher ist der Fokus auf reale Daten kein ,,Allheilmittel“ gegendie beklagte Abneigung vieler Studierender gegenuber dem Fach Statistik als sol-ches. Die Studierenden eines wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereichs haben sichi. d. R. bewusst fur diese fachliche Ausrichtung entschieden. Sie lassen sich durchdie ,,Schonheit“ mancher Formeln und Beweise meist – anders als ihre Kommilito-nen an mathematischen Fachbereichen – nicht beeindrucken. Viele Statistikdozentenan sozialwissenschaftlichen Fachbereichen kampfen mit dem verbreiteten Vorurteil,

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Mathematik und Statistik seien lediglich Bestandteil des Curriculums, um Studie-rende zu argern oder ,,rauszuprufen“, hatten aber daruber hinaus keinen Wert fursspatere Studium oder gar den Beruf. Dagegen helfen auch die gut gemeinten Worteder Dozenten am Anfang eines Statistikzyklus im Grundstudium erfahrungsgemaßwenig. Haufig weicht dieses Vorurteil erst im Hauptstudium oder im Berufsleben derspaten Erkenntnis, dass es sinnvoll gewesen ware, sich im Grundstudium eingehen-der mit der Statistik zu beschaftigen. Auch wenn das neue Konzept es nicht vermag,bei allen Studierenden Begeisterung fur die Statistik hervorzurufen, so ermoglicht dieArbeit mit echten Daten am PC, die vielfaltigen Anwendungen und damit verbundendie Relevanz des Fachs besser und fruher zu erkennen. Die Erfahrung der Autoren ist,dass die Studierenden es dabei auch nicht ubel nehmen, wenn die Einfuhrung einesetwas komplexeren Beispiels einiger Erlauterungen bedarf, die uber das Gebiet derreinen Statistik hinausgehen und dafur die vielfaltigen Bezuge zu anderen Fachernaufzeigen.

Viele Studierende gaben an, dass ihnen die selbststandige Arbeit mit dem Statis-tiklabor ,,Spaß“ bereitet hat, was sich auch klar in den Evaluationsergebnissenwiderspiegelt. Naturlich darf es nicht nur um Spaß gehen. In diesem Zusammen-hang ist wohl die Befurchtung zu sehen, dass ein verstarkter IT-Einsatz zulastendes Verstandnisses der Methoden gehen konnte. Dabei ist keine Entweder-Oder-Entscheidung zu treffen. Der IT-Einsatz wird als probates Mittel zur besseren Ver-mittlung des Stoffs verstanden. Zweifelsohne ist das Verstandnis der Formeln einenotwendige Bedingung fur solide statistische Analysen. Nicht zu vernachlassigen istjedoch das Verstandnis fur Daten. Was hilft es, den Zwei-Stichproben-t-Test verstan-den zu haben, wenn man in der Praxis nicht in der Lage ist, die Bedingungen furdessen Anwendung zu prufen?

Die gemachten Erfahrungen zeigen, dass dies fur einen Großteil der Studieren-den keineswegs trivial ist. Ein wesentliches Problem ist dabei offensichtlich, ein,,Gefuhl“ fur zufallige Unterschiede zu entwickeln und diese von systematischen Un-terschieden abzugrenzen. Wann sind z. B. in einem QQ-Plot sichtbare Abweichungenvon der Geraden zufallig? Wann unterscheiden sich zwei Boxplots systematisch?Fur einen guten Autofahrer reicht es nicht, die Verkehrsregeln zu kennen – eine ge-wisse Fahrpraxis ist unerlasslich. Genauso verhalt es sich nach Meinung der Autorenmit der Statistik. Naturlich abstrahieren auch die im Rahmen des neuen Konzeptsverwendeten Beispiele und Ubungen. Dennoch liegen sie naher an realen Problem-stellungen als ganzlich fiktive Beispiele. Durch den Einsatz realer Daten kommen dieStudierenden schon wahrend des Studiums mit Problemen wie Ausreißern (die z. B.regelmaßig durch bewusste Falschangaben, Ubertragungs- oder Kodierungsfehlerin der Studierendenbefragung entstehen), Missing-Values, Rundungs- und Gruppie-rungseffekten in Beruhrung. Auch wenn diese Themen aufgrund der beschranktenZeit nur tangiert werden, so wird bereits fruh ein Bewusstsein dafur geschaffen,dass reale Daten selten ,,perfekt“ sind. Der Blick auf die Daten im Sinne von Tu-key (1970) sollte der Anwendung inferenzstatistischer Methoden stets vorausgehen –dies wird im Rahmen des neuen Konzepts auch regelmaßig in der Klausur verlangt.Da ein Großteil der Studierenden der Wirtschaftswissenschaft im Hauptstudium Stu-dienschwerpunkte abseits der Statistik wahlt, sollten diese Kenntnisse zumindestansatzweise schon im Grundstudium vermittelt werden.

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8 Fazit

Aus Sicht der Teilnehmer kann aufgrund der Evaluationsergebnisse eine positiveBilanz gezogen werden. Auch wenn fast allen Besuchern der Vorlesung der un-mittelbare Vergleich zu einer Statistikausbildung ohne PC-Einsatz fehlt, werden diewesentlichen Vorzuge des neuen Konzepts erkannt und geschatzt. Zusatzlich zurspeziell auf das neue Konzept abgestimmten Veranstaltungsevaluation durch denLehrstuhl wurde die Veranstaltung auch einer standardisierten Evaluation durch denFachbereich unterzogen. Die Statistik II-Veranstaltung lag dabei bezuglich fast al-ler Bewertungskriterien uber dem Fachbereichsdurchschnitt im Grundstudium. Dabeizahlt die Statistik normalerweise nicht zu den beliebtesten Fachern im Grundstu-dium der Wirtschaftswissenschaft. Wie erwahnt, bestand nach den Erfahrungen ausdem Piloteinsatz die Befurchtung, dass einige IT-avers eingestellte Studierende einerImplementation des neuen Konzepts entgegenwirken konnten. Dies konnte jedochnicht beobachtet werden. Weder in der Evaluation des Lehrstuhls noch in der Eva-luation des Fachbereichs fand sich auch nur ein Kommentar, der den PC-Einsatzgrundsatzlich infrage gestellt hatte. Im Gegenteil – der Einsatz des Statistiklabors warGegenstand zahlreicher positiver Außerungen.

Auch aus Dozentensicht fallt das Fazit positiv aus: Die Durchfuhrung und Ge-staltung der Veranstaltung bereitet aufgrund der neuen Moglichkeiten und Freiraumedurch den PC-Einsatz mehr Spaß. In den AGs fand ein beidseitiger Lernprozess statt:Durch die vielen Fragen der Studierenden eroffnete sich auch fur den Dozenten dieMoglichkeit, die Probleme der Studierenden besser zu verstehen. Parallel wachsenallerdings die Anforderungen an die Dozenten. Neben den unterschiedlichen Mathe-matikkenntnissen sind nun auch die teilweise stark variierenden IT-Kenntnisse derVeranstaltungsbesucher zu berucksichtigen. Zuletzt besteht eine hohere Abhangigkeitvon der Technik in den Horsalen. Bei einem Ausfall des PCs, des LMS oder desBeamers ist Improvisationstalent gefordert.

Die Umsetzung des erarbeiteten Konzepts ist insgesamt gelungen. Der Aufwandwar dabei – wie erwartet – zunachst hoher als bei einer Veranstaltung nach demklassischen Konzept ohne PC-Einsatz, lag aber noch im Rahmen der Erwartun-gen. Mittlerweile ist bereits der sechste Zyklus nach dem neuen Konzept angelau-fen. Der Aufwand ist dabei von Semester zu Semester spurbar gesunken und liegtmittlerweile wieder im Rahmen des Gewohnten. Dabei bieten bestimmte Bereichenoch weiteres Rationalisierungspotenzial: Die Administration des Hausaufgaben-betriebs (Registrierung und Verwaltung der Gruppen sowie die Veroffentlichungdes Feedbacks) ließen sich durch eine passende Webanwendung oder bessere Un-terstutzung im Blackboard deutlich vereinfachen. In der Klausur wurde eine sichere,gleichermaßen fur Laptops und PC-Pools verwendbare ,,Klausurabgabe-Software“fur die digitalen Aufgaben den Prozess des Einsammelns der Losungen deutlichbeschleunigen.9

9 Auch diese Software wurde mittlerweile entwickelt und erfogreich eingesetzt.

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9 Ausblick

Fur die Studierenden und die Statistikdozenten ist das neue Konzept langst zurNormalitat geworden. Die Fortfuhrung der Lehre nach dem neuen Konzept stelltjedoch vor dem Hintergrund der Einfuhrung des Bachelors eine Herausforderungdar. Durch die Umstellung werden Kurse nur noch im Jahreszyklus angeboten. Inder Ubergangsphase werden zusatzlich zu den Bachelor-Studierenden noch einigeStudierende aus den alten Diplom-Studiengangen die Veranstaltung besuchen. Da-bei werden bis zu 500 Teilnehmer in der Vorlesung erwartet. Mit den bisher zurVerfugung stehenden Ressourcen kann eine PC-gestutzte Klausur am Fachbereichmit derartigen Teilnehmerzahlen nicht realisiert werden. Der Anteil der Laptop-Nutzer schwankte in den vergangenen Klausuren zwischen 33 und 45%. Es musstenalso ca. 200 PC-Platze zur Verfugung stehen. Eine Erhohung der Anzahl der Klau-surdurchgange ist organisatorisch nicht mehr zu bewaltigen. Großere PC-Pools undmehr Laptop-Raume scheinen unumganglich. In der Tat konnten im Sommersemester2007 vier Prufungsraume mit insgesamt 250 Laptop-Platzen in Betrieb genommenwerden.

Mittelfristig wird der Laptop zweifelsohne zur Standardausstattung eines Studie-renden zahlen – so selbstverstandlich wie heute der Taschenrechner. Spatestens dannwerden Klausuren nach dem Open-Book-Prinzip auch in großeren Studiengangenproblemlos moglich sein. Vorausgesetzt, dass bis dahin eine wirksame Kontrolleder drahtlosen Kommunikation moglich ist, werden entsprechende Klausuren dannaus Sicht der Universitat mit verhaltnismaßig geringem Aufwand realisierbar sein.Mit diesem Fokus wurde an der Freien Universitat die Einrichtung geeigneter zen-traler Lehr- und Prufungsraume realisiert. Die Nutzung dieser Kapazitaten fur an-dere Klausuranforderungen, z. B. Closed-Book Klausuren, wird in einem eigenenProjekt ,,e-Examinations“ gepruft, siehe www.e-examinations.fu-berlin.de. Die Vor-reiterrolle der Statistik in diesem Bereich hat dabei einen positiven Effekt aufdie Realisierung von Wunschen gehabt, die in Zeiten knapper Kassen nur geringeRealisierungschancen haben.

Literatur

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Wirt Sozialstat Archiv 2, in diesem Heft

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