ueber stricturen im thränennasenkanal ohne ektasie des thränensacks

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Uebe St ictu en im Thrhnennasenkanal ohne Ektasie des Thr nensacks, Von Otto Becker. Der Einfluss, welchen eine Verengerung oder ein Ver- schluss des Thriinennasenkanals auf die Conjunctiva des Auges austibt, wird allgemein in der Weise aufgefasst, dass wegen der erschwerten oder behinderten Fortleitung der Thr~nen in die Nase zumtchst eine Stauung der Thriinenfltissigkeit im Thr~nensacke stattfindet. Ein liingeres Verweilen dieser Flfissigkeit im Thriinensacke soll dann zu einer Zersetzung derselben ftihren, und dieses zersetzte Sekret die Veranlassung zu entztind- licher Erkrankung der Schleimhaut des Sackes und con- secutiv der Bindehaut und der Lidr~nder geben. Eine solche Stauung im Thriinensack muss se.lbstverstiindlich yon Anfaug an yon einer Ausdehnung des Sackes be- gleitet sein. Driickt man deshalb mit dem Finger auf den ausgedehnten Thranensaek, so ffihlt man, class sich derselbe bei dem Druck entleert, und in vielen F~llen sieht man den Inhalt des Sackes aus den Thranenpunkten in den Bindehautsack regurgitiren. Lfisst sich tier In- halt des Thriiaensacks durch Druck in die Nasa ent- leeren, so kann nur eine Strictur, kein Verschluss des v. G-raefe'~ Archiv f. Ophthalmologie XIX~ 3. ~3

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Uebe St ictu en im Thrhnennasenkanal ohne Ektasie des Thr nensacks,

V o n

Ot to Becker .

Der Einfluss, welchen eine Verengerung oder ein Ver- schluss des Thriinennasenkanals auf die Conjunctiva des Auges austibt, wird allgemein in der Weise aufgefasst, dass wegen der erschwerten oder behinderten Fortleitung der Thr~nen in die Nase zumtchst eine Stauung der Thriinenfltissigkeit im Thr~nensacke stattfindet. Ein liingeres Verweilen dieser Flfissigkeit im Thriinensacke soll dann zu einer Zersetzung derselben ftihren, und dieses zersetzte Sekret die Veranlassung zu entztind- licher Erkrankung der Schleimhaut des Sackes und con- secutiv der Bindehaut und der Lidr~nder geben. Eine solche Stauung im Thriinensack muss se.lbstverstiindlich yon Anfaug an yon einer Ausdehnung des Sackes be- gleitet sein. Driickt man deshalb mit dem Finger auf den ausgedehnten Thranensaek, so ffihlt man, class sich derselbe bei dem Druck entleert, und in vielen F~llen sieht man den Inhalt des Sackes aus den Thranenpunkten in den Bindehautsack regurgitiren. Lfisst sich tier In- halt des Thriiaensacks durch Druck in die Nasa ent- leeren, so kann nur eine Strictur, kein Verschluss des

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Thriinennasenkanals vorhanden sein. Regurgitirt die Flilssigkeit in den Bindehautsack, so ist beides miiglich. Die regurgitirende Fltissigkeit ist entweder Mar und fadefiziehend oder hat den blennorrhoischen Charakter. In dem ersten Falle handelt es sich am due einfache Ektasie, in dem andern um eine Blennorrhoe des Thriinen- sackes. Letztere ist fast ausnahmslos von einem chro- nischen Bindehautkatarrh und einer Lidranddrfiseneat- ziindung begleitet.

Die Beschwerden, welche die einfaehe Ek~asie mit sieh bringt, bestehen ausschliesslich ira Thriinentr~ufeln, bei der Blennorrhoea sacci laerimalis treten noch die objectiven und subjectiven Symptome des Katarrhs und der Lidrandentziindung hinzu.

Hat in dem einen wie in dem anderen Falle die husbuchtung des Thrlinensacks einen hSheren Grad er- reicht, so fallt sie als Geschwulst schon dem betrachten- den Auge auf und wird daher nicht leicht iibersehen. Es giebt abet FiiIle genug, in denen als Ursache des Thranentraufelns und des Katarrhs erst durch den zu- ffihlenden Finger das Thi~anensackleiden erkannt wird. Gilt es ja doch als eine nicht genug zu beherzigende Regel, bei jedem chronischen Katarrh der Bindehaut, ins- besondere aber wenn er einseitig ist, auf Thri~nensack- blennorrhoe zu untersuchen. Findet man eine solehe, so ist damit gegeben, was welter zu gesehehen hat. Wie aber, wenn man' sie nicht findet? Ist bei Abwesenheit einer vermehrten Ansammlung yon Sekret im Thrfinen- sack der Schluss in allen Fallen erlaubt, dass der Thrimennasenkanal vollstiindig durchgangig ist, und nicht Stricturen in demselben die Ursache des chronischen Katarrhs sind.

Zwei Falle, welche ich in tier letzten Zeit behandel~ habe, beweisen, dass jener Schluss nicht berechtigt ist.

1. Ein bejahrter College wird ti~st seit meinem Auf-

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enthalt in Heidelberg yon mir an chronischem Katarrh des rechten Auges und haufig recidivireader Blephara- denitis behandelt. Derselbe datirt jedoch sein Leiden schon aus viel frtiherer Zeit. Genau erinnert er sich mindestens 18 Jabre nicht bloss best~ndig an dem Auge zu leiden, sondern auch yon den verschiedensten Augen- firzten daran behandelt zu sein. Wie aus den mir mit- getheilten ~tlteren Recepten hervorzugeben scheint, und wie mir mitgetheilte schriftliche heusserungen beweisen, wurde das Leiden yon den meisteLl Aerztea fiir ~tgyptische Augenentztinduag gehalten. Eine l~icht ganz unbetracht- liche Entwickelung des PapillarkSrpers liess auch reich in denselben Irrthum verfatteu, obwobl ich yon Anfang an zu wiederholten Malen den Thrauensack untersuchte. Erst als trotz aller Miihe und Sorgfalt nach jahrelanger Behandlung das Uebel nicht weichen wollte, entschloss ich reich, dig Durchgi~ngigkeit des Thranenableitungsapparates zu untersuchen, obwohl ich niemals die leiseste Spur yon Sekret aus dam Thdtnensack butte austreten sehen und daher die hnnahme, dass es sich dennoch um Stricturen ira Thranennasenkanal handelte, ganz ohne alle Berech- tigung schien.

Ich wiihlte zu der Untersuehung ein Verfahren, welches ich in der Klinik meinen ZuhSrern zu demon- striren pfiege. Wenn man namlich das obere Thranen- rShrchen zuerst mit einer konischen Sonde erweitert, so gelingt es auch in den Fallen, wo der Thriinenpunkt kaum siehtbar ist, mit der Bowman'schen Sonde Nr. 1 ohne alle Schwierigkeit bis in die Nase vorzudringen. Dieser Versuch fiel bei dem Patienten negativ aus. Ich legte mir nun die Frage vor, ob die UnmSglichkeit, in dieser Weise mit tier Sonde bis in die Nase zu gelangen, als Beweis dafiir gelten k6nne, das Stricturen vorhanden seien. Bei einer grossen Anzahl you Patienten, deren Thriinenapparat wegen Abwesenhei~ aller Symptome ftir

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normal gelten musste, gelangte ich jedesmal ohne alle Schwierigkeit bis in die Nase. Als ieh darauf bei unserem Patienten das obere ThranenrShrchen schlitzte, zeigte sich denn auch, dass sowohl beim Uebergang vom Sack in den Kanal als in der N~he seiner Miindung in die Nase eine betr~chtliche Strictur bestand. Eine in der gew~hnlichen Weise durch mehrere Woehen fortgesetzte Behandlung mittelst der Bowman'schen Sonde hatte dann den fiberraschenden Erfolg, dass der so lange Jahre bestandene Katarrh ohne gleichzeitige Anwendung an- derer Mittel heilte. Die Heilung ist jetzt, etwa 2 Monate nach dem Beginn der Sondirungen, so ~ollstiindig, dass auch yon der Papillarhypertrophie nichts mehr zu sehen ist.

2. Ein 58jiihriger Kaufmann aus F., welcher Zeit seines Lebens sich in den verschiedensten grossen Stiidten aufgehalten hat, wandte sich einige Zeit darauf an reich, indem er mir erzithlte, er leide seit 30 Jahren an Katarrh beider Augen und kiinne yon demselben nicht befreit werden, obwohl er sich in Paris, in London, in Neapel und in Berlin habe behandeln lassen. Aus der Sammlung yon Rceepten, die er mir vorwies, liess sich allenfalls ein Autographen-hlbum der berfihmtesten Augen~rzte zusammenstellen.

Bei der Untersuehung land ich die Haut der Lider normal, die Augen in Thranen schwimmend, die Binde- haut von erweiterten Gefassen durchzogen, sehr massige Hypertrophic des PapillarkSrpers, aber eineausgesprochene Argyrose an beiden Augen. Die Thriinenpunkte lagen tier Conjunctiva bulbi an und waren weir geSffnet. Die Augen hatten eine Myopic yon '/7, S 2°/30, ftir die Ferne und die N~he bestand dynamisches Gleichgcwicht.

Bei einer Un~ersuchung der Thritnens~tcke fehlte jedes Zeichen ffir Ektasie dersclben. Indem ich aber mit der Bowman'schen Sonde Nr. 1 sondirte, blieb die- selbe am Anfange des Thr~nennasenkanals stecken. Ieh

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untersuchte nun 3 Tage hinter einander tiiglich den Thranensack immer mit demselben Erfolg. I)ann schlitzte ich an beiden Augen die oberen ThriinenrShrchen, durch- stiess die Strictnren and sondirte in der gewShnlichen Weise. Schon nach wenigen Tagen ftihlte der Patient eine ibm ganz nngewohnte Erleichterung, and nach einer Behandlung yon drei Wochen verliess er, mit dem Er- iolge sehr zufrieden, Heidelberg. Das Thr~inen hatte aufgehSrt, ein Geffihl liistigen Drucks, fiber das er ge- klagt hatte, war verschwunden. Wiederholt ~iusserte er sich, er fiihle sich wie befreit, wie erl6st. Das Aussehen der Bindehaut hatte sich nicht ge~tndert. In beiden Fallen stehe ich nieht a~, das Vorhandensein der auf die gewShnliche Art nicht naehzuweisenden Strictmen als die Ursache des lange Jahre bestandenen ehronischen Binde- hautkatarrhs anzusehen. Der •achweis der Stricturen gab die Berechtigung znm Schlitzen des Thranenriihr- chens, and die simple Behandlung nach der B o w m a n ' - schen Methode befreite die Patienten yon ihrem lastigen Uebel.

Ich glaube im Rechte zu sein, wenn ieh annehme, dass es nicht alien Fachgenossen bekannt ist, wie leicht man bei gesunden Individuen mit ganz dfinnen Sonden vom oberen Thritneni6unkt aus in die Nase eindringen kann. Mit ¥orsicht angestellt, ist tier Versnch nieht sehmerzhaft, und ich sollte meinen, dass mancher bisher als unheilbar betrachtete chronische Katarrh der Binde- haul, in der angegebenen Weise untersucht und behandelt, noch zur Heilung gebracht werden wird.

Meine an gesandenIndividuenangestelltenSondirungen sind zahlreich genug, um auszusprechen, dass in allen den Fallen, wo eine Sondirung mit der feinen Sonde ohne Schlitznng des ThranenrShrehens nicht gelingt, eine Strictur oder ein Verschluss des Thranenableitungs- apparates vorhanden ist.

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Allerdings k/~nnte man zu demselben Resultate ge M ]angen, wenn man yon der Nase aus sondirte. Auf die Ausft~hrbarkeit dieses Verfahrens hat in neuster Zeit Coccius wieder aufmerksam gemacht.*) Doch glaube ich nieht auf Widersl~ruch zu stossen, wenn ich das Ver- fahren als sehr schwierig bezeichne un~J annebme, dass nur eine sehr kleine Anzahl yon Augen~irzten mit Sicherheit yon der t~ase aus den Eingang in den Thr~nennasenkanat zu finden weiss. Schon aus diesem Grunde dfirfte es sich empfehlen, der oben angegebenen Methode der vor- l~ufigen Sondirung durch alas obere Thr~nenrShrchen eine gr6ssere Anwendung zu verschaffen.

Worauf es beruht, duss in manchen Fallen Stricturen des Thr~nennasenkanals nicht zur Ektasirung des Thr~nen- sackes ffihren, bin ich nicht im Stande anzugeben. Viel- leicht sind die Wandungen des Thranensackes in diesen F~llen rigider; vielleicht hindert das zur Gewohaheit ge- wordene ~usserst h~ufige Auswischen des Auges, wenn dabei zugleich jedesmal der Thrhnensack comprimirt wird, die allmhlige Ausdehnung desselben; vielleicht liegt es a,n dem allerdings nicht festgestellen Mechanismtls der Thr~nenabteitung. Die beiden yon mir beobachteten F~lle haben mir keine Anhaltspuukte fiir die Beantwortung dieser Frage gegeben.

*) Die Heflanstalt ft~r ~rme Augenkranke in Leiw.ig. 1870, p. 84.