transformation osteurop¤ischer unternehmen: grundlagen — rahmenbedingungen —...
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TrommsdorfflSchuchardt . Transformation osteuropaischer Untemehmen
Volker Trommsdorff/Christian A. Schuchardt
Transformation o steurop ai scher Untemehmen Grundlagen - Rahrnenbedingungen -Strategien
Mit Fallbeispielen
unter Mitarbeit von Marc Drtiner, Ulrich Lessmann, Ingrid Ritter und Eduard Schmuklermann
GABLER
Prof. Dr. Volker Trommsdorff ist Inhaber des Lehrstuhls fiir Marketing an der Technischen Universitat Berlin und Wissenschaftlicher Direktor der Forschungsstelle fiir den Handel Berlin (Fill) e.V.
Prof. Dr. Christian A. Schuchardt ist Inhaber des Lehrstuhls fiir ABWL, insbesondere Absatzwirtschaft unter den Bedingungen des Gemeinsamen Marktes (Euromarketing), der Hochschule Bremen.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Trommsdorff, Volker: Transformation osteuropaischer Unternehmen : Grundlagen - Rahmenbedingungen -Strategien ; mit Fallbeispielen / Volker Trommsdorff ; Christian A. Schuchardt. Unter Mitarb. von Marc Driiner ... - Wiesbaden : Gabler, 1998 ISBN-13: 978-3-409-12267-2 DOl: 10.1007/978-3-322-82442-4
AIle Rechte vorbehalten
e-ISBN-13: 978-3-322-82442-4
© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GmbH, Wiesbaden, 1998 Lektorat: Ulrike wrcher / Annegret Heckmann
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Vorwort
Das vorliegende Buch ist Ergebnis eines Forschungsprojekts, das von 1993 bis 1996 an
der Technischen Universitat Berlin in Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle fiir den
Handel Berlin e.V. (FfH) durchgefiihrt wurde. Es beschreibt die Transfonnation osteu
ropaischer planwirtschaftlicher Betriebe in marktwirtschaftliche Unternehmen und er
kIart ihre unterschiedlichen Erfolgsgrade in Abhangigkeit von natiirlichen, rechtlichen
und wirtschaftspolitischen Spezifika der betreffenden osteuropaischen Lander, von
Branchen, BetriebsgroBen und Ressourcen, insbesondere aber in Abhangigkeit vom Ma
nagement des Transfonnationsprozesses, darnit von Osteuropa-typischen Einstellungen,
Kompetenzen und Verhaltensmustern, die wiederum historisch und kulturell gepragt
sind. Letztlich werden Handlungsempfehlungen fiir das Management abgeleitet - auch
von westlichen Unternehmen, die sich nach der Offnung der osteuropaischen Lander
seit Ende der 80er Jahre neuen Chancen und Risiken der Kooperation gegenilbersehen.
Unser Dank gilt zunachst der Volkswagen-Stiftung, die das Projekt groBmgig und ad
ministrativ flexibel gefdrdert hat. Die Sprachkenntnisse, das Institutionen-Netzwerk und
das Organisationstalent des auf Osteuropa spezialisierten Teams der FfH waren eine
wichtige Voraussetzung fiir das Gelingen des Projekts. Wir danken dafiir Frau Dr. Sabi
ne Mielke, Herrn Jfugen Piskac und Frau Dr. Ingrid Ritter. Herr Eduard Schmukler
mann hat das Projekt als freier Mitarbeiter durch seine nativen Sprach- und Landes
kenntnisse untersrutzt. Ihm gilt besonderer Dank. Ffu untersrutzende Recherchen und
die Auswertung von Publikationen, Dokumenten und Interview- und Symposiumsmit
schriften danken wir den Studenten Romana Arkita, Irina Bulkin, Sabine Glanzer, Uwe
Gralapp, Cornelius Grilger, Jaqueline Liese, Peggy KreHer, Sebastian von Oertzen, Rei
ner Piske, Bernd Schnurrenberger, Christiane Uffrecht und Stefan Wintels. Besonderer
Dank gebUhrt dem zustandigen Wissenschaftlichen Mitarbeiter Ulrich Koppelt Getzt
Lessmann) und dem von der VW-Stiftung als Stipendiat gefdrderten Doktoranden Marc
Drilner. Durch die Nennung am SchluB besonders hervorgehoben, aber wegen der Vie 1-
zahl leider nur anonym, danken wir allen Gesprachspartnern in kooperierenden Institu
tionen und Sample-Finnen, die in groBer Offenheit ihre Erfahrungen und Kenntnisse zur
Verfiigung gestellt haben.
Die Autoren
v
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ................................................................................................. XIII
Tabellenverzeichnis ....................................................................................................... XV
Abkfuzungsverzeichnis ............................................................................................... XVII
1 Einflihrung ...................................................................................................................... 1
2 Grundlagen der Transformation ..................................................................................... 5
2.1 Begriff der Transformation ...................................................................................... 5 2.1.1 Definition und Abgrenzung ............................................................................... 5 2.1.2 TransformationsgeschwindigkeiL. .................................................................... 7 2.1.3 Transformationsebenen ..................................................................................... 7 2.1.4 Transformationsphasen ...................................................................................... 8 2.1.5 Konversion ....................................................................................................... 12
2.2 Transformationsansatze ......................................................................................... 14 2.2.1 Der makrookonomische Transformationsansatz nach EUCKEN ...................... 14
2.2.1.1 Aufbau eines Preissystems ........................................................................ 15 2.2.1.2 Primat der Wlihrungspolitik ...................................................................... 16 2.2.1.3 Offene Mfukte .................................... '" ..... , ............................................... 17 2.2.1.4 Privateigentum .......................................................................................... 17 2.2.1.5 Vertragsfreiheit und Hafiung ..................................................................... 18 2.2.1.6 Konstanz der Wirtschaftspolitik ................................................................ 19
2.2.2 Betriebliche Transformationsansatze ............................................................... 20 2.2.2.1 Management of Change ............................................................................ 21 2.2.2.2 Innovationsmanagement. ........................................................................... 23
2.2.2.2.1 Bestimmung der Transformationsausgangssituation .......................... 24 2.2.2.2.2 Ideen fUr die ProzeB- und Strukturtransformation .............................. 26 2.2.2.2.3 Auswahl der Ideen .............................................................................. 27 2.2.2.2.4 Bestimmung der Transformationsstrategie ......................................... 28 2.2.2.2.5 Operationalisierung der Transformationsstrategie .............................. 29 2.2.2.2.6 Diffusion und Umsetzung der Transformationsstrategie .................... 29 2.2.2.2.7 Phasenubergreifende Probleme bei Transformationsprozessen .......... 31
2.2.2.3 Business Reengineering ............................................................................ 34 2.2.2.4 Evolutionstheoretisch gepragte Managementansatze ................................ 37 2.2.2.5 Organisationstheoretische Ansatze ............................................................ 38
2.2.3 Individuelle Transformationsansatze ............................................................... 42 2.2.3.1 Ebenen der personlichen Transformation .................................................. 43 2.2.3.2 Ansatze zu personlichen Transformationsprozessen ................................. 45
2.2.3.2.1 Vorwissenschaftliche Ansatze ............................................................ 45 2.2.3.2.2 Sozialwissenschaftliche Ansatze ......................................................... 46
2.2.3.3 Typen der personlichen Transformation ................................................... 48
VII
3 Zwei Fallstudien zur Einfiihrung ................................................................................. 49
3.1 Rakonfi .................................................................................................................. 49 3.1.1 Historie ............................................................................................................ 49 3.1.2 Planung ............................................................................................................ 54 3.1.3 Strategie ........................................................................................................... 55 3.1.4 Marktforschung ............................................................................................... 55 3.1.5 Produktpolitik .................................................................................................. 56 3.1.6 Preispolitik ...................................................................................................... 57 3.1.7 Kommunikation .............................................................................................. 57 3.1.8 Distribution ..................................................................................................... 59 3.1.9 Beschaffung ..................................................................................................... 60 3.1.10 Rechnungswesen und Controlling ................................................................. 61
3.2 Newskaja Kosmetika ............................................................................................. 62 3.2.1 Historie ............................................................................................................ 62 3.2.2 Struktur ............................................................................................................ 63 3.2.3 Planung, Organisation und Personal ............................................................... 65 3.2.4 Strategie ........................................................................................................... 66 3.2.5 Marktforschung ............................................................................................... 66 3.2.6 Produktpolitik .................................................................................................. 67 3.2.7 Preispolitik ...................................................................................................... 69 3.2.8 Kommunikation .............................................................................................. 70 3.2.9 Distribution ..................................................................................................... 71 3.2.10 Beschaffung ................................................................................................... 73
4 Rahmenbedingungen der Transformation .................................................................... 75
4.1 Allgemeine Gegebenheiten ....................................................................................... 75 4.1.1 RuBland ........................................................................................................... 76 4.1.2 Ukraine ............................................................................................................ 77 4.1.3 Belarus ............................................................................................................. 79 4.1.4 Baltischer Raum .............................................................................................. 80
4.1.4.1 Lettland ..................................................................................................... 81 4.1.4.2 Estland ...................................................................................................... 82 4.1.4.3 Litauen ...................................................................................................... 83
4.2 Wirtschaftspolitische und rechtliche Rahmenbedingungen .................................. 85 4.3 Kulturell bedingte Wertvorstellungen, soziale Bindungen und Beziehungen ....... 87
4.3.1 Traditionelle und neue Werte im Wettbewerb ................................................ 88 4.3.1.1 Sowjetische Werte .................................................................................... 88 4.3.1.2 Kulturdimensionen nach HOFSTEDE ......................................................... 89
4.3 .1.2.1 Machtdistanz und hierarchische Ordnung .......................................... 90 4.3.1.2.2 Religiose Werte .................................................................................. 91 4.3.1.2.3 Kollektivismus .................................................................................... 91 4.3 .1.2.4 Soziale Gerechtigkeit und Beziehungswerte ...................................... 92 4.3.1.2.5 Unsicherheitsvermeidung ................................................................... 93
VIII
4.3.1.3 Werte und Transformation ........................................................................ 93 4.3 .1.3.1 Leistungsorientierung und Selbstverantwortung ................................ 93 4.3.1.3.2 Ideal der sozialen Gerechtigkeit .......................................................... 95 4.3.1.3.3 Einstellung zur Marktwirtschaft ......................................................... 95
4.3.1.4 Werte am Arbeitsplatz ............................................................................... 96 4.3.1.4.1 Arbeitswerte und -motivation in der ehemaligen Sowjetunion .......... 96 4.3.1.4.2 Verlinderungen seit den Reformen ...................................................... 97 4.3.1.4.3 Arbeitsmotivation und betriebliche Sozialleistungen ......................... 98 4.3.1.4.4 Ehrlichkeit und Diebstahl am Arbeitsplatz ......................................... 99
4.3.2 Soziale Bindungen und Beziehungen ............................................................ 100 4.3.2.1 Hierarchische Ordnung ............................................................................ 100 4.3.2.2 Macht und Bfuokratie .............................................................................. 101 4.3.2.3 Mafia ....................................................................................................... 103 4.3.2.4 Betriebliche Beziehungen ....................................................................... 108
4.3.2.4.1 Vertikale Strukturen und Informationsmangel ................................. 108 4.3.2.4.2 Tradition von Scheinaktivitaten ........................................................ 108
4.3.3 Der russische Manager im Wandel. ............................................................... 111 4.3.4 Geschaftsbeziehungen ................................................................................... 113
4.3.4.1 Geschaftsethik ......................................................................................... 113 4.3.4.2 Business-Schicht und Untemehmertum .................................................. 114 4.3.4.3 Der neue russische Untemehmer ............................................................. 116
4.4 Privatisierung ....................................................................................................... 119 4.4.1 Privatisierungsziele ........................................................................................ 119 4.4.2 Privatisierungsmethoden ............................................................................... 120 4.4.3 Privatisierungshindernisse ............................................................................. 122 4.4.4 Die russische Voucher-Privatisierung ........................................................... 123 4.4.5 Stand der Privatisierung in RuBland .............................................................. 124 4.4.6 Privatisierungsspezifika anderer Llinder ........................................................ 128
4.4.6.1 Ukraine .................................................................................................... 128 4.4.6.2 Baltischer Raum ...................................................................................... 131 4.4.6.3 Belarus ..................................................................................................... 133
4.4.7 Betriebliche Aspekte der Privatisierung ........................................................ 134 4.4.7.1 Umverteilung des Staatseigentums ......................................................... 134 4.4.7.2 Machtstellung der Direktoren .................................................................. 135 4.4.7.3 Stellung der Aktionare ............................................................................ 136 4.4.7.4 Banken und Holdings im PrivatisierungsprozeB ..................................... 137 4.4.7.5 Privatisierung und betriebliche Transformation ...................................... 139
4.5 Business-Infrastruktur .......................................................................................... 141 4.5.1 Kommunikation ............................................................................................. 142
4.5.1.1 Konsumentenverhalten ............................................................................ 142 4.5.1.2 Kommunikationspolitik. .......................................................................... 146
4.5.1.2.1 Medien .............................................................................................. 147 4.5.1.2.2 Werbeaktivitaten osteuropliischer Untemehmen .............................. 153 4.5.1.2.3 Weitere Elemente der Kommunikationspolitik ................................ 156
IX
4.5.2 Beschaffung und Distribution ....................................................................... 157 4.5.2.1 Infrastruktur ............................................................................................ 159
4.5.2.1.1 Verkehrsinfrastruktur ........................................................................ 159 4.5.2.1.2 Telekommunikation .......................................................................... 164
4.5.2.2 Beschaffung ............................................................................................ 165 4.5.2.2.1 Wahl der Lieferanten ........................................................................ 165 4.5.2.2.2 Qualitat und ZuverHissigkeit... .......................................................... 166 4.5.2.2.3 Preis- und Zahlungsproblematik ....................................................... 167
4.5.2.3 Distribution im TransformationsprozeB .................................................. 169 4.5.2.3.1 Indirekter Absatz .............................................................................. 169 4.5.2.3.2 Direktabsatz ...................................................................................... 174
4.5.3 Marktforschung ............................................................................................. 177 4.5.3.1 Marktforschung in der zentralen Planwirtschaft ..................................... 177 4.5.3.2 Marktforschung im TransformationsprozeB ........................................... 180
4.5.3.2.1 Marktforschungsinstitute .................................................................. 180 4.5.3.2.2 Hauptrichtungen der Marktforschung .............................................. 182 4.5.3.2.3 Methoden der Marktforschung ......................................................... 183
4.5.4 Finanzierung .................................................................................................. 185 4.5.4.1 Das Finanzsystem in der zentralen Planwirtschaft ................................. 185 4.5.4.2 Finanzierung im TransformationsprozeB ................................................ 186
4.5.4.2.1 Zahlungsverkehr ............................................................................... 187 4.5.4.2.2 Fremdkapitalbeschaffung und Kreditwesen ..................................... 188 4.5.4.2.3 Eigenkapitalbeschaffung und WertpapierbOrsen .............................. 192
5 Empirische Untersuchung .......................................................................................... 195
5.1 Methodik .............................................................................................................. 195 5.1.1 Datenerhebung .............................................................................................. 195
5.1.1.1 Inhaltliche Zielsetzung ............................................................................ 196 5.1.1.2 Deutsch-osteuropiiischer F orschungskontext. ......................................... 196 5.1.1.3 Erhebungsphasen .................................................................................... 198 5.1.1.4 Erhebungsinstrumente ............................................................................ 199
5.1.1.4.1 FragebOgen fUr die schriftliche Befragung ....................................... 199 5.1.1.4.2 Leitfaden fUr personliche Interviews ................................................ 199 5.1.1.4.3 Symposien ........................................................................................ 200
5.1.2 Datenbasis ..................................................................................................... 200 5.1.2.1 Anzahl und Auswahl der befragten Unternehmen .................................. 200 5.1.2.2 Struktur der Stichproben ......................................................................... 201
5.1.2.2.1 GroBe der Unternehmen ................................................................... 202 5.1.2.2.2 Gesellschaftsform ............................................................................. 202 5.1.2.2.3 Branchenbezug ................................................................................. 203 5.1.2.2.4 Kontakt mit westlichen Beratern ...................................................... 203
5.1.2.3 Qualitat der Datenbasis ........................................................................... 204 5.1.2.4 Datenauswertung .................................................................................... 205
5.1.3 Transformationserfolg ................................................................................... 206
x
5.1.3.1 Uberblick: Erfolgskriterien und Messung ............................................... 206 5.1.3.1.1 MeBbereich und MeBdimensionen .................................................... 206 5.1.3.1.2 MeBzeitpunkt .................................................................................... 206 5.1.3.1.3 ReferenzgroBen ................................................................................. 206
5.2 Problemfelder der betrieblichen Transformation ................................................. 207 5.2.1 Veriinderungen des betrieblichen Umfelds .................................................... 207
5.2.1.1 Crititical Incidents ................................................................................... 207 5.2.1.2 Zusammenarbeit mit Institutionen .......................................................... 210
5.2.2 Strategie ......................................................................................................... 211 5.2.3 Organisation ................................................................................................... 214 5.2.4 Marktforschung ............................................................................................. 218 5.2.5 Marketing-Mix .............................................................................................. 220
5.2.5.1 Produktpolitik .......................................................................................... 220 5.2.5.1.1 Produktionsprogramm ....................................................................... 220 5.2.5.1.2 QualiUit. ............................................................................................. 222 5.2.5.1.3 Know-how ......................................................................................... 223
5.2.5.2 Preispolitik .............................................................................................. 224 5.2.5.3 Kommunikationspolitik ........................................................................... 226 5.2.5.4 Distributionspolitik ................................................................................. 228
5.2.6 Beschaffung ................................................................................................... 231 5.3 Erfolgsfaktoren der Transformation ..................................................................... 233
5.3.1 Erfolgsmessung ............................................................................................. 233 5.3.2 Transformationstypen .................................................................................... 236
5.3.2.1 Prospect-Untemehmen ............................................................................. 236 5.3.2.2 Prisoner-Untemehmen ............................................................................ 237 5.3.2.3 Ignorant-Untemehmen ............................................................................ 238 5.3.2.4 Loser-Untemehmen ................................................................................. 239
5.3.3 Entwicklung eines Erfolgswirkungs-Modells ............................................... 240 5.3.4 Erfolgsfaktor Marketing ................................................................................ 244 5.3.5 Erfolgsfaktor Technologisches Know-how ................................................... 248 5.3.6 Erfolgsfaktor extemer EinfluB ....................................................................... 251
5.3 .6.1 Privatisierung .......................................................................................... 253 5.3.6.2 Rechtsform .............................................................................................. 253 5.3 .6.3 Kooperationen ......................................................................................... 254
5.4 Zusammenfassung ................................................................................................ 258
6 UnterstUtzung der betrieblichen Transformation ....................................................... 259
6.1 Zusammenfassung kritischer Problemfelder der Transformation in Osteuropa .. 259 6.2 Strategische Empfehlungen fUr Transformationsuntemehmen ............................ 261
6.2.1 Allgemeine Empfehlungen ............................................................................ 262 6.2.1.1 Bestimmung der Transformationsausgangssituation .............................. 262 6.2.1.2 Ideen fUr die ProzeB- und Produkttransformation ................................... 265 6.2.1.3 Bewertung und Auswahl der Ideen ......................................................... 267 6.2.1.4 Transformationsstrategie ......................................................................... 267
XI
6.2.2 Marketingstrategische Empfehlungen fUr Loser-Untemehmen .................... 269 6.2.2.1 Strategie .................................................................................................. 269 6.2.2.2 Marketing-Mix ........................................................................................ 272
6.2.2.2.1 Marktforschung ................................................................................ 272 6.2.2.2.2 Produktpolitik ................................................................................... 272 6.2.2.2.3 Preispolitik ........................................................................................ 273 6.2.2.2.4 Kommunikationspolitik .................................................................... 273 6.2.2.2.5 Distributionspolitik ........................................................................... 274
6.2.3 Marketingstrategische Empfehlungen fUr Prospect-Untemehmen ............... 275 6.2.3.1 Strategie .................................................................................................. 275 6.2.3.2 Marketing-Mix ........................................................................................ 280
6.2.3.2.1 Marktforschung ................................................................................ 280 6.2.3.2.2 Produktpolitik ................................................................................... 281 6.2.3.2.3 Preispolitik ........................................................................................ 282 6.2.3.2.4 Kommunikationspolitik .................................................................... 282 6.2.3.2.5 Distributionspolitik ........................................................................... 284
6.2.4 Marketingstrategische Empfehlungen fUr Prisoner-Untemehmen ................ 285 6.2.5 Marketingstrategische Empfehlungen fUr Ignorant-Untemehmen ................ 286 6.2.6 Kooperationsstrategien fUr aIle Transformationsuntemehmen ..................... 288
6.2.6.1 Situation .................................................................................................. 288 6.2.6.2 Voraussetzungen ..................................................................................... 289 6.2.6.3 Feasibility ............................................................................................... 290 6.2.6.4 Vertragsverhandlung ............................................................................... 291 6.2.6.5 Technologietransfer ................................................................................ 293 6.2.6.6 Personal und Marketing .......................................................................... 293
6.2.7 Zusammenfassung ......................................................................................... 294
7 Ausblick ..................................................................................................................... 295
Literaturverzeichnis ...................................................................................................... 297
Anhang .......................................................................................................................... 321
XII
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Alternative Wirtschaftsordnungen ....................................................................... 5 Abb. 2: Ebenen und Akteure von Transfonnationsprozessen ........................................... 8 Abb. 3: Phasenschema der Transfonnation ....................................................................... 8 Abb. 4: Wirtschaftsleistung im Vergleich zu 1989 (=100) fUr 1996 ................................. 9 Abb. 5: Wachsturnsraten (BIP) einiger Transfonnationslander 1996 ............................. 10 Abb. 6: Konstituierende Prinzipien marktwirtschaftlicher Wirtschaftsordnung ............. 15 Abb. 7: Problemdruck im Management .......................................................................... 22 Abb. 8: Strategische Situationsanalyse ........................................................................... 25 Abb. 9: Geschiiftsfeldsegmentierung nach ABELL (1980) mit fiktivem Beispiel ........... 29 Abb. 10: Partizipation und Kategorisierung von Transfonnationsbeteiligten ............... 30 Abb. 11: Evolutionares Business Reengineering ............................................................ 35 Abb. 12: Strategische Transfonnationsoptionen ............................................................. 42 Abb. 13: Entwicklung des Produktionsvolurnens ........................................................... 52 Abb. 14: Organigrarnrn RAKONFI •................................................................................... 53 Abb. 15: Untemehrnensstruktur ...................................................................................... 63 Abb. 16: Produktrnix in Prozent des Jahresurnsatzes 1994 ............................................. 68 Abb. 17: Vertriebsstruktur des Untemehrnens ................................................................ 72 Abb. 18: Mittel-Osteuropa .............................................................................................. 75 Abb. 19: Business-Schicht in RuBland .......................................................................... 115 Abb. 20: Privatisierung als Bestandteil einer iibergeordneten Refonn ......................... 119 Abb. 21: Klassifikation von Transfonnationsuntemehrnen .......................................... 120 Abb. 22: Privatisierungshindernisse .............................................................................. 122 Abb. 23: Typische Struktur eines voucherprivatisierten Untemehrnens ....................... 123 Abb. 24: Sumrne der Verkaufspreise privatisierter Untemehrnen in Millionen US$ ... 125 Abb. 25: Durchschnittlicher Verkaufspreis auf Dollarbasis ......................................... 125 Abb. 26: Aktioniirsanteile der Bevolkerung verschiedener Lander .............................. 127 Abb. 27: Wachsturn der Untemehrnensneugriindungen ................................................ 128 Abb. 28: Entwicklung der Aktienanteile an privatisierten Untemehrnen ..................... 135 Abb. 29: Zeitungen in groBeren Stadten der russischen Regionen ............................... 151 Tab. 30: Fachverbande in RuBland ............................................................................... 155 Abb. 31: Organisation des sowjetischen Handels ......................................................... 158 Abb. 32: Verlagerung der EngpaJ3bereiche russischer Untemehrnen ........................... 169 Abb.33: GroBe der Untemehrnen nach Anzahl der Mitarbeiter .................................. 202 Abb. 34: Rechtsfonnen der Untemehrnen wahrend der zweiten Erhebungsphase ....... 202 Abb. 35: Branchen der Sarnple-Untemehrnen .............................................................. 203 Abb. 36: Veranderungen des betrieblichen Umfelds .................................................... 209 Abb. 37: Auftragsakquisition ........................................................................................ 210 Abb. 38: Zusarnrnenarbeit mit extemen Institutionen ................................................... 210 Abb. 39: Veranderungen der Mitarbeiterzahlen von 1990-1995 ................................... 215 Abb. 40: Personalabbau von 1990-1995 ....................................................................... 217 Abb. 41: Marktforschungsaktivitaten ............................................................................ 219 Abb. 42: Genutzte Infonnationsquellen ........................................................................ 219
XIII
Abb. 43: Veranderung des Produktionsprogramms ...................................................... 220 Abb. 44: Vergleichende Bewertung der Qualitat der eigenen Produkte ....................... 223 Abb. 45: Vergleichende Bewertung des Know-hows ................................................... 224 Abb. 46: Vergleichende Bewertung des eigenen Preisniveaus ..................................... 225 Abb. 47: Kommunikation ............................................................................................. 227 Abb. 48: Absatzgebiete ................................................................................................. 229 Abb. 49: Beschaffilng ................................................................................................... 231 Abb. 50: Chancen :fUr osteuropmsche Transformationsuntemehmen ........................... 232 Abb. 51: Risiken :fUr osteuropmsche Transformationsuntemehmen ............................. 233 Abb. 52: Transformationstypen .................................................................................... 236 Abb. 53: Prospect-Untemehmen ................................................................................... 237 Abb. 54: Prisoner-Untemehmen ................................................................................... 238 Abb. 55: Ignorant-Untemehmen ................................................................................... 239 Abb. 56: Loser-Untemehmen ....................................................................................... 240 Abb. 57: Wirkungsgefiige der untersuchten Variablen ................................................. 242 Abb. 58: Wechselwirkung der "effektiven Marketingabteilung" ................................. 244 Abb. 59: Wechselwirkung des "technologischen Know-hows" .................................. 248 Abb. 60: Wechselwirkung des "extemen Einflusses" ................................................. 252 Abb. 61: Gliederungsschema :fUr die Strategiediskussion ............................................ 259 Abb. 62: Transformationsphasenvorgehen ................................................................... 262 Abb. 63: Wettbewerbsorientierte StrukturlProduktpositionierung ............................... 268 Abb. 64: Firmenlogo KIEWERFABRIKFORHAuSHALTSCHEMIE .................................. 273 Abb. 65: Outsourcing Illustration Elektropribor ........................................................... 275 Abb. 66: Change Team ................................................................................................. 278 Abb. 67: Visitenkarten von NEWSKAJA COSMETIKA .................................................... 284
XIV
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Merkmale verschiedener Wirtschaftsordnungen ................................................... 6 Tab. 2: Ausgewiihlte makro- und mikrookonomische Faktoren zur
Transformationsphasenbestimmung ................................................................... 11 Tab. 3: Phasen des Transformationsprozesses ................................................................ 24 Tab. 4: Methoden der Ideenfindung ................................................................................ 26 Tab. 5: Ansoff-Matrix ..................................................................................................... 28 Tab. 6: Kompetenzbedingungen fUr Innovationsprojekte ............................................... 31 Tab. 7: Hemmnisse und Risiken wab.ren der Transformationsphasen ............................ 32 Tab. 8: Personale Transformationshemmnisse und Abbawnoglichkeiten ...................... 32 Tab. 9: Typen und Machtquellen von Transformationspromotoren ............................... 33 Tab. 10: Gedanken- und Umsetzungsschritte eines Business-Reengineering-Projekts .. 36 Tab. 11: Arten organisatorischen Lernens ...................................................................... 38 Tab. 12: Ansatze organisationstheoretischer Transformationsforschung ....................... 39 Tab. 13: Ausgabenstruktur .............................................................................................. 64 Tab. 14: Preisspiegel kosmetischer Produkte yom September 1995 .
in St. Petersburger Geschaften .......................................................................... 69 Tab. 15: Preisstruktur ...................................................................................................... 70 Tab. 16: Allgemeine Daten RuBlands ............................................................................. 76 Tab. 17: Allgemeine Daten der Ukraine ......................................................................... 78 Tab. 18: Allgemeine Daten Belarus ................................................................................ 79 Tab. 19: Allgemeine Daten Lettlands ............................................................................. 81 Tab. 20: Allgemeine Daten Estlands ............................................................................... 82 Tab. 21: Allgemeine Daten Litauens ............................................................................... 83 Tab. 22: Ausgewahlte Wirtschaftsdaten .......................................................................... 85 Tab. 23: Ausgewiihlte Rechtsdaten ................................................................................. 86 Tab. 24: Kulturdimensionen nach HOFSTEDE ................................................................. 90 Tab. 25: Privatisierungsarten ......................................................................................... 121 Tab. 26: Privatisierungsmethoden 1995 ........................................................................ 122 Tab. 27: Summe der jahrlich privatisierten Unternehmen ............................................ 125 Tab. 28: Branchenstruktur privatisierter Unternehmen ................................................. 126 Tab. 29: Stand der FIG in RuBland im Januar 1996 ...................................................... 139 Tab. 30: Ausgabenverteilung der russischen Haushalte 1994 ....................................... 142 Tab. 31: Motive fUr Vorratskaufe in den GUS- Staaten 1992 .................................... 142 Tab. 32: Faktoren der Kaufentscheidung russischer Konswnenten in Prozent.. ........... 143 Tab. 33: Die zehn groaten Werbetreibenden im russischen Fernsehen 1995 ............... 148 Tab. 34: Die zehn groaten Werbetreibenden im russischen Fernsehen 1996 ............... 149 Tab. 35: Giitertransport nach Verkehrstragern in RuBland 1992 .................................. 160 Tab. 36: Tagliche Waggonladungen inter- und ex-GUS ............................................... 162 Tab. 37: Versorgung mit Telefonhauptanschliissen pro 100 Einwohner ...................... 164 Tab. 38: Okonomische Kennziffern des Handels
nach sowjetischen Unionsrepubliken 1988 ..................................................... 172 Tab. 39: Inhalte der Lander-, Produkt- und Firmenmarktforschung ............................. 179
xv
Tab. 40: Befragte Sampleunternehmenje Untersuchungsphase ................................... 201 Tab. 41: Anteile der Material- und Lohnkosten an den Gesamtkosten ........................ 226 Tab. 42: Problemfelder der Transformation in Osteuropa ............................................ 259 Tab. 43: Kriterienbewertung der Unternehmensanalyse (Loser versus Prospect) ........ 263 Tab. 44: Kriterienbewertung der Konkurrentenanalyse ................................................ 264 Tab. 45: Kriterienbewertung der Marktanalyse ............................................................ 264 Tab. 46: Kriterienbewertung der Umweltanalyse ......................................................... 265 Tab. 47: Erweiterte ANsoFF-Matrix .............................................................................. 268
XVI
Abkiirzungsverzeichnis
AGgT ....................................... Aktiengesellschaft geschlossenen Typs AGoT ....................................... Aktiengesellschaft offenen Typs AH ........................................... AuBenhandel ARM ........................................ AuBenhandelsmonopole AHO ........................................ AuBenhandelsorganisation bfai ........................................... Bundesanstalt fUr AuBenhandelsinformationen BIP ........................................... Bruttoinlandsprodukt BSP .......................................... Bruttosozialprodukt Est ............................................ Estland FIG .......................................... finanziell-industrielIe Gruppen GmbH ...................................... GeselIschaft mit beschriinkter Haftung GUS ......................................... Gemeinschaft unabhangiger Staaten HB ........................................... Handelsblatt HIK .......................................... Handels- und Industriekammer (russische Schreibweise) Let ............................................ Lettland Lit ............................................ Litauen OP ............................................ Osteuropa-Perspektiven OWC ........................................ Ost-West-Contact PR ............................................ Public Relations REWE ...................................... Rechnungswesen Rus ........................................... RuBland t ................................................ Zeit UdSSR ..................................... Union der sozialistischen Sowjetrepubliken Ukr ........................................... Ukraine WiRO ...................................... Wirtschaft und Recht in Osteuropa
XVII
1 Einrlihrung
Seitdem Ende der 80er Jahre das politische und wirtschaftliche System des damaligen
Ostblocks zerfallen ist, wandeln sich planwirtschaftliche "Betriebe" in Osteuropa zu
marktwirtschaftlichen "Untemehmen".
Die schlagartig oder stufenformig neuen, tendenziell marktwirtschaftlichen Rahmenbe
dingungen haben enorme betrieblichen Veranderungen initiiert. Sie sind teilweise re
volutionar gelaufen, oft turbulent und erratisch, vielfach auch behutsam bis schHifrig,
jedenfalls sehr unterschiedlich nach Verlauf und Erfolg. Wertneutral werden diese An
passungsprozesse als "betriebliche Transformation" bezeichnet.
Derartige Transformationsprozesse sind auBerordentlich komplex. Sehr viele Faktoren
unterschiedlicher Aggregationsebenen sind interaktiv an der Gestaltung und den Ergeb
nissen der betrieblichen Transformation beteiligt. Eine betriebswirtschaftlich-problem
orientierte Untersuchung der Erfolgsfaktoren dieser Prozesse bewegt sich zwangsliiufig
auBerhalb des Paradigmas des strengen kritischen Rationalismus: Theoretisch abgelei
tete Hypothesen nach Kriterien der angewandten Statistik zu testen, verbietet sich schon
aeshalb, weil es keine in sich geschlossene Theorie der betrieblichen Transformation
gibt.
Die Untersuchung muB sich aber nicht auf das unverbindliche Niveau der Hermeneutik
begeben, sondem kann den Anspruch auf Theorieentwicklung in der Phase des Entdek
kungszusammenhangs erheben. Das dazu erforderliche methodische Instrumentarium
(intensive Fallstudien im zeitlichen Liingsschnitt, Critical-incidents-Befragung, Cross
impact-Analyse usw.) gehOrt zu den etablierten Methoden explorativer wissenschaftli
cher Beschreibung und Erklarung komplexer dynamischer Systeme (wie PROBST,
GOMEZ 1991; VESTER 1993). Ais theoretisches Fundament konnten wir Theorieansiitze
des Wandels heranziehen (lnnovationsmanagement, Reengineering, Change Manage
ment, volkswirtschaftliche Transformationsansiitze) und neue spezifische Transformati
onsforschung (wie GUTMANN 1991, LOSCH 1992).
So haben wir, gestiitzt auf partiale Theorieansatze, das Phiinomen betrieblicher Trans
formationsprozesse in Osteuropa in seiner ganzen Komplexitiit zu erfassen gesucht und
in einer Uingsschnittanalyse ein bewuBt ganz heterogenes Sample von Transformati
onsuntemehmen in besonders interessanten Uindem, Branchen und BetriebsgroBen un
tersucht. "Interessant" meint mer dreierlei: 1) das kommerzielle Interesse westeuropai
scher Untemehmen an kiinftigen Markt- und Kooperationsbeziehungen mit osteuropiii
schen Partnem, die als geographische Nachbam hohe Marktpotentiale erschlieBen
konnten, 2) das okonomische Interesse am Entstehen mittelstandischer Untemeh
mensstrukturen in Osteuropa und 3) das wissenschaftliche Interesse an der Rolle des
Marketingmanagement im TransformationsprozeB von kiinftig besonders marketingin
tensiven Untemehmen, primiir also der Konsumgiiterindustrie.
Hinsichtlich des zu untersuchenden Phanomens gehen wir damit, verglichen mit schon
vielfach analysierten volkswirtschaftlichen Transformationsaspekten wie dem der Pri
vatisierung (z.B. WELTBANK 1997) auf eine tiefere, untemehmerisch operationalere
Ebene. Andererseits gehen wir iiber spezifischere, auf Branchen oder Lander einge
schriinkte, Untersuchungen hinaus, die sich z.B. mit dem Einzelhandel in RuBland be
fassen (z.B. BARBERIS u.a. 1996). Einen datentechnisch mit unserer Analyse vergleich
baren, aber auf RuBland und einen fiiiheren Zeitpunkt im TransformationsprozeB be
schriinkten, Ansatz verfolgt WEBSTER (1994).
Vielfach wird die Dbertragbarkeit ostdeutscher Transformationserfahrungen auf Ost
europa diskutiert. Das Fehlen eines "groBen Bruders" wie Westdeutschland fUr Ost
deutschland und entsprechender Transferzahlungen ist das bisher wichtigste Argument
gegen die Obertragung. Nicht weniger bedeutsam sind aber die kulturellen Bedingwl
gen. Osteuropiier sehen sich einem ungleich groBeren technologischen, wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Wandel gegeniiber. Marktwirtschaftliche Praxis lag zur Wende in
Ostdeutschland nur halb so weit zuriick wie in Osteuropa. Dazu kommen die geographi
sche und die kulturelle Niihe zum Westen. Entsprechend ist das unterschiedliche be
triebliche Transformationsverhalten z.B. in baltischen und russischen Untemehmen zu
erkliiren.
Transformationsprozesse in osteuropiiischen Untemehmen sind multifaktoriell, interak
tiv und heterogen, und diese Vielfalt sollte nicht durch ein restriktives Forschungsdesign
ausgeblendet werden, sondem ganzheitlich, aber differenziert gesehen werden. So miis
sen auch Wechselwirkungen zwischen Faktoren unterschiedlicher Aggregationsebenen
2
betrachtet werden, namlich zwischen Umfeldveriindenmgen, betrieblichem Wandel und
personalen Entwicklungen. Unser Untersuchungsgegenstand, die betriebliche Transfor
mation, hiingt von Transformationen der Rahmenbedingungen und der beteiligten Per
sonen ab und wirkt auf diese zuriick: Der politische Wandel von der Planwirtschaft zur
Marktwirtschaft fiihrt zum Wandel der Unternehmensfiihrung, diese fiihrt zu marktori
entiertem Mitarbeiterverhalten. Umgekehrt ermoglicht dieses Verhalten die marktorien
tierte Unternehmensfiihrung, und diese untersrutzt die Systemveriindenmg zur Markt
wirtschaft.
Auf der Basis dieser Differenzienmg werden im Kern des vorliegenden Buches Erfolgs
faktoren der Transformation exploriert und diskutiert. Die Empirische Basis ist haupt
sachlich eine 2'i2-1ahres-Liingsschnittuntersuchung durch eine teilstrukturierte person
liche 2-Wellen-Befragung von 24 Transformationsunternehmen in RuBland, dem Balti
kum, von Belorus und der Ukraine. Zur Messung des Markt- und Transformationser
folgs wurden Indikatoren gebildet.
Die Kombination der dichotomisierten Auspragungen dieser Indikatoren ergibt vier
Transformationsunternehmenstypen (Gefangene/StarsN erliererlIgnoranten). Zum Bei
spiel sind "Gefangene" solche Unternehmen, die trotz erfolgreicher Transformations
anstrengungen keinen Markterfolg erzielen, weil Branchen- und Umfeldbedingungen
das verhindern. Ein erfolgreicher TransformationsprozeB ist eine notwendige, aber nicht
himeichende Bedingung fur den marktwirtschaftlichen Erfolg ehemals planwirtschaftli
cher Unternehmen.
Hypothesen tiber die Transformationserfolgsfaktoren werden tiber Kontrastgruppen
analysen exploriert. FUr aIle Transformationstypen geltende Erfolgsfaktoren sind eine
professionelle Marketingabteilung, gutes technologisches Know-how und gute Bezie
hungen zu ausliindischen, insbesondere westlichen, Unternehmen. Uber so generelle
Erfolgsfaktoren hinausgehende Situations- und Transformationstypen-spezifische Er
folgsfaktoren werden exploriert. Damit entsteht eine - vorsichtig zu verallgemeinernde -
Grundlage fur Entscheidungshilfen im Transformationsmanagement.
Ausgehend von den Transformations-Startbedingungen (finanzielle, technologische,
menschliche Ressourcen) werden situationsspezifische Transformationsstrategien vor-
3
geschlagen. In Verbindung mit den gefundenen Transfonnationstypen wird die in der
volkswirtschaftlichen Transfonnationsdiskussion gestellte Frage der adaquaten Ge
schwindigkeit und Transfonnationsart auf die betriebliche Ebene tibertragen und in
StrategievorschHige fUr Transfonnationsuntemehmen und westliche Kooperationspart
ner umgesetzt.
Damit glauben wir, einen bestmoglich wissenschaftlich fundierten Beitrag fUr die vielen
noch bevorstehenden betrieblichen Transfonnationsprozesse innerhalb und auBerhalb
der untersuchten Lander zu leisten. Als Bestandteil der Betriebswirtschaftslehre steht
dieser Beitrag dem Transfer tiber unsere Zielgruppen (Manager, Untemehmensberater
und Studierende) in die Untemehmen zur Verfiigung. Dartiber hinaus mag er indirekt
dazu dienen, die wirtschaftspolitischen und soziookonomischen Rahmenbedingungen in
Transfonnationslandem besser auf das Schltisselziel auszurichten, schnell zu einer ge
sunden Untemehmenslandschaft zu gelangen.
4
2 Grundlagen der Transformation
Eine Analyse der betrieblichen Transformationsprozesse im Systemwandel sollte ihren
theoretischen Hintergrund explizieren. Mit Beginn der Perestroika und den ersten Trans
formationsbemiihungen lag keine umfassende Theorie des Systemwandels vor, weder
auf der volkswirtschaftlichen noch auf der betriebswirtschaftlichen Ebene (WAGNER
1991, 17f.). Die vorIiegende Analyse muG sich daher auf Theoriefragmente beschran
ken. Nach einigen definitorischen Abgrenzungen werden zunachst Ansatze der volks
wirtschaftlichen Transformationsforschung skizziert, dann ein ordnungspolitischer
Rahmen der Transformation vorgestellt und schlieBlich die der vorIiegenden Untersu
chung zugrundeliegenden betriebswirtschaftlichen Ansiitze des Wandels erIautert.
2.1 Begriff der Transformation
2.1.1 Definition und Abgrenzung
Der Begriff "Transformation" wird fiir den Ubergang einer Zentralverwaltungs
wirtschaft in eine Marktwirtschaft verwendet, wie er gegenwartig in vielen Lander Mit
tel- und Osteuropas zu beobachten ist. Zur genaueren Beschreibung dieses Uberganges
bedarf es der Definition der Ausgangs- und Zielzustande einer solchen Transformation.
Unterscheidbare Typen bezeichnet Schuller 1991, siehe Abb. 1.
Staatseigentum Syndikalistisches
Privateigentum Eigentum
TYPC1 TYPC2 ..................................
TYPA
J TYPC3
.................................. TYPB TYPC4
Abb. 1: Alternative Wirtschaftsordnungen (SCHULLER 1991,22)
Die Merkmale, anhand derer diese Wirtschaftssystemtypen unterschieden werden, sind
zusammengefal3t in Tab. 1.
5
Tab. 1: Merkmale verschiedener Wirtschaftsordnungen (ScHilLLER 1991, JENS 1993)
Typ Wirtschaftsordnung Merkmale Beispiel
Planwirtschafl zenlrale Wirtschaftsplanung, hierarch i- Ehemalige UdSSR
A sches Bildungssystem, gUterwirtschaftliche Bilanzen. Mengenplanung, staatseigene Betriebe, Planerfiillung durch SoIl·lst-Vergleiche und zenlrale burokratisch· autoritare Lenkung.
8 Kombination von nicht vollzugsver- gewinnorienlierte betriebliche Ergebnis- Ungam von 1968-88 bindlicher zenlraler Wirtschaftspla- rechnung. Allerdings herrscht Staatsei-nung und zentralisierter Betriebspla- genlum an den Betrieben und eine umfas-nung sende staaViche Preisregulierung vor.
C1-4 MarklwirtschaftJiche Ordnungen dezenlrale Wirtschaftsplanung, Preise C1: Ex-Jugoslawien (Typen Cl-4 unterscheiden sich bilden sich spontan auf den Marklen, C2:USA hinsichtlich der Bedeutung des betriebliche Ergebnisrechnung ist am C3: Deutschland staaVichen Einflusses auf das Wirt- Gewinn- oder Ergebnisprinzip orientiert C4:Schweden schaflsgeschehenl bis 1990
Unter Transfonnation einer Wirtschaftsordnung im volkswirtschaftlichen Sinne versteht
man den Ubergang yom Typ A, bzw. Typ B zu einem der Typen C.
In Anlehnung an eine Unterscheidung nach Zweck und Mittel von Innovationen (BAKER
et al. 1967, 160; HAusCHILDT 1993, 7ff.), lassen sich folgende Transfonnationstypen
unterscheiden, die fUr die makrookonomische wie die mikrookonomische Ebene gelten:
• "Mittelinduzierte Transfonnation": Der Zweck ist unverandert, aber es werden neue
Mittel zur Erfiillung dieses Zwecks angeboten.
• "Zweckinduzierte Transfonnation": Es entsteht ein neuer Zweck, der mit unveran
derten Mitteln befriedigt wird.
• "Radikale Transfonnation": In diesem Typ sind die Zwecke neu gesetzt und zugleich
werden neue Mittel zur Erfiillung dieser Zwecke angeboten.
• "Inkrementale Transfonnation": Zwecke und Mittel bleiben im Prinzip unverandert.
Die Transfonnation besteht in einem veranderten (verbesserten) Zweck-Mittel
Verhaltnis.
In der vorliegenden Untersuchung wird von einer "radikalen" Transfonnation des ma
krookonomischen Systems ausgegangen. Eine Transfonnation ist somit eine einschnei
dende, grundlegende Anderung der vorherrschenden Wirtschaftsordnung. Graduelle
Systemveranderungen, wie die Freigabe nur einiger Preise oder die Privatisierung des
6
Handwerks werden hier nicht als Systemtransformation bezeichnet, unabhangig von
ihren Auswirkungen auf das Untemehmensverhalten.
2.1.2 Transformationsgeschwindigkeit
Der Ubergang von einem Zustand A oder B einer Wirtschaftsordnung in einen Zustand
C kann aufverschiedene Weise geschehen (SCHULLER 1991, 64ff.), wobei sich typische
Transformationsmuster erkennen lassen. Kriterien dieser Transformationstypen sind die
Geschwindigkeit des Ubergangs, die mehr oder weniger starke staatliche Lenkung so
wie exteme Einfliisse. Allgemeingilltige Transformationsmuster oder gar Standardemp
fehlungen existieren dagegen bisher nicht, zumal historische Beispiele fehlen und von
einer interdisziplinar angelegten Theorie der Transformation noch nicht die Rede sein
kann, aus der solche Muster und Empfehlungen abgeleitet werden konnten (GUTMANN
1991,63).
1m Mittelpunkt der bisherigen Diskussion steht die Frage nach dem giinstigsten zeitli
chen Ablauf der Transformation, insbesondere nach der Beurteilung eines schockartigen
im Vergleich zum graduellen Vorgehen (THIEME 1991; SCHULLER 1991; JENS 1993).
Bei einer "Schocktherapie" werden die zentralen ordnungspolitischen Grundentschei
dungen fur eine Marktwirtschaft und Demokratie zum gleichen Zeitpunkt getroffen (Big
Bang) (GLASTETTER 1995, 458). Beispielhaft fur eine Schock-Transformation war die
Ubemahme der Gesetze der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Einigungsver
trages in Ostdeutschland am 2. Juli 1990. Bei einer graduellen Transformation wie z.B.
in Ungarn werden einzelne Eckpfeiler einer institutionellen Ordnung schrittweise gean
dert. Die Transformation ist dann ein mehrstufiger, zeitlich gestreckter ProzeJ3.
2.1.3 Transformationsebenen
Transformation spielt sich nicht nur auf staatlicher Ebene ab, sondem wird entscheidend
vom Verhalten nichtstaatlicher 1nstitutionen und Marktteilnehmer beeinfluJ3t. Eine
marktwirtschaftliche Konstitution ist nur eine notwendige Voraussetzung fur die erfolg
reiche gesellschaftliche Transformation. Transformationsprozesse konnen somit nicht
allein "Top-down" durchgefiihrt werden. Wechselwirkungen zwischen den Systemele
menten sind Bestandteile und Determinanten der Transformation. Abb. 2 skizziert Ebe
nen und Akteure eines Transformationsprozesses.
7
Umfeld
Betriebe
Personen
----Wandel der Rahmenbedingungen
----Betriebliche Transforrnationsphasen
Entwicklungsphasen des Individualverhaltens
Marktwirtschaft
marktorientierte Untemehmensfiihrung
marktgerechtes Verhalten
Abb. 2: Ebenen und Akteure von Transformationsprozessen (eigene Darstellung)
2.1.4 Transformationsphasen
Unabhangig von der Wahl des Transformationsvorgehens (schockartig oder graduell)
konnen verschiedene Transformationsphasen unterschieden werden. Phasenschemata
werden sowohl fiir volkswirtschaftliche als auch betriebswirtschaftliche Transformati
onsprobleme verwandt (SCHULLER 1991; HANDEL 1994; SCHUH 1994; VANDERMERWE
1995). Nicht Dauer und Intensitat, sondem Verlaufsmuster von Transformationsprozes
sen weisen RegelmiiBigkeiten auf (HANDEL 1994, 64). Sie konnen in einem Vier
Phasen-Schema abgebildet werden. Abb. 3 stellt den typischen Output-Verlauf des pro
duzierenden Sektors dar.
Output Wahrnehmung (Planwirtschaft)
Regeneration (Wachstumsphase)
Abb. 3: Phasenschema der Transformation (eigene Darstellung)
t
In der Wahmehmungsphase fiihrt nachhaltiger wirtschaftlicher Riickgang in der Plan
wirtschaft zu Transformationsdruck und ideologischer Krise. Die Schrumpfungsphase
ist durch Absatz- und Beschaffungprobleme, Umsatzriickgange und Produktionseinbrii
che gekennzeichnet. Untemehmen werden zur betrieblichen Umgestaitung und Neuori-
8
entierung gezwungen und privatisiert, saniert oder liquidiert. 1m Rahmen dieser Anpas
sung soHen vor aHem groBe, unrentabel arbeitende und bislang meist monopolistisehe
Betriebe zu marktorientierten Unternehmen transformiert werden. Sehaffen Unterneh
men diesen Turn-around, so folgt dem drastisehen Einbrueh eine Waehstumsphase mit
Konsolidierung.
Die meisten Transformationslander haben flinf bis sieben Jahre naeh dem Systemweeh
sel die Konsolidierungsphase noch nieht erreieht. RuBland ist Ende 1996 wohl am Ende
der Sehrumpfungsphase angekommen, doch ist ein nachhaltiger Aufsehwung noeh nieht
in Sieht. 1m Vergleieh zu 1989 betragt die Wirtsehaftsleistung nur noch etwa 50%. Abb.
4 gibt einen Dberbliek tiber den Stand der Umbauverluste versehiedener Transformati
onslander (o.V., WiRO 6/1996,223).
Polen . :\'i-' ;": . ',>. ':.\ ,,, .... ,,.: :;;: "~:...I 97
Slowei1ien ' ,; ',' 94 Ungarn 86
Tschechien 85
Kroalien 84
Slow. Rep. 84
Rumanien 81
Eslland 74
Letland 54
Belarus 54
RuBiand 49
Ukraine .,': 43
Ulauen 42
Annenien 37
Georgien ' .. ,,;:. I 17
0 20 40 60 80 100
Abb. 4: Wirtschaftsleistung im Vergleich zu 1989 (=100) fiir 1996 (o.V., WiRO 6/1996, 223).
Diese Wirtsehaftsleistungsdaten lassen keinen eindeutigen RtieksehluB auf den Stand
des Transformationsprozesses zu. So besagt der vergleiehsweise geringe relative Wert
der Wirtsehaftsleistung von RuBiand im Vergleich zu Rumanien nieht, daB die rumani
sche Transformation weiter fortgesehritten ist. Vielmehr ist die Sehrumpfungsphase
noch nieht abgesehlossen, da die Privatisierung noch unvoHstandiger ist.
9
Abb. 5 zeigt Transfonnationslander, die sich 1996 in der Wachstumsphase befinden.
Polen und Slowenien haben die Transfonnationsverluste von der Plan- zur Marktwirt
schaft so gut wie ausgeglichen (o.V., WiRO 611996, 223).
Kroatien ,', .. :'. ,17 EsUand :::1~;:':- "1 6
Polen .~ ;: 5,5 : Tscl1echien
. 5,5 :
Slow. Rep. 5 Stowenien . ': : .... ~··:r <": ;.:1':. '1 4,5: Rumanien '..r,:. '~. 4,5 :
Utauen 4 Leltand ':.3
Ungam 3 Butanen ,:\ . .::!.-',,- .1: 2,5 : RuBiand 0
Ukraine 0
0 2 3 4 5 6 7 Prozen!
Abb. 5: Wachstumsraten (BIP) einiger Transformationsliinder 1996 (gesch.) (WiRO 6/1996, 223)
Wird der gesamte produzierende Sektor einer Transfonnationswirtschaft langfristig be
trachtet, so wird im Fall erfolgreicher Transfonnation mit der Konsolidierungsphase ein
hOheres als das planwirtschaftliche Niveau erreicht (vgl. Abb. 3), vor allem weil dann
bereits aus wenigen groBen Monopolbetrieben viele kleinere, effizientere Unternehmen
entstanden sind.
Wiihrend der Transfonnation bestimmen das sozial-kulturelle, das politisch-rechtliche,
das 6konomisch-finanzielle und das technologisch-industrielle Umfeld den Fortgang der
betrieblichen und gesamtwirtschaftlichen Transfonnation. Sind diese Umfeldfaktoren
bekannt, so kann bestimmt werden, in welcher Phase sich eine Volkswirtschaft befindet
(HANDEL 1994, 65).
Tab. 2 zeigt unternehmensexterne und -interne Faktoren, anhand derer die Phasenzuge
hOrigkeit tendenziell bestimmt werden kann. Die externen Faktoren sind nach den ord
nungspolitischen Prinzipien von EUCKEN (vgl. 2.2.1) gegliedert.
10
Tab. 2: Ausgewlihlte makro- und mikroiikonomische Faktoren zur Transformationsphasenbestimmung (eigene Darstellung)
Planwirtschaft Schrumpfungsphase Wachstumsphase Preissystem staaUich vorgegeben Preisfreigaben
Wiihrungspolitik Staatsbank abh. Zentralbank, Aufbau 2-stufiges erste Privatbanken Bankensystem
,keine' Inflation starke Inflation dem Wachstum an-gepaBte Inflation
kein Kapital- und Auktionen und SOr- Enlwicklung Kapital· Kreditmarkt senentstehungen und Kreditmarkt
Offene Markte AuBenhandelsmo- Abbau der AHM Liberalisierter AH nopole (AHM)
Beginnende Zunehmend auslandi-Investitionstatigkeit sche Investitionen
Wetlbewerb (W) kein offener W harterW,sunnvalof starker, aber regu-the fittest lierterer W Aufkommen auslandi- Auslandischer W in schen Ws fast allen Branchen
keine Kunden-, son- Produkte werden von starkere Kundenori-dern Planorientierung Kunden gekauft entierung
Privateigentum kein Privateigentum PrivatisierungsprozeB reale, echte Privati-(kaum externes sierung (in· und aus-Kapital) landische ext. Kapi-
ta.lbeteiligungen) Konkursgesetzge- Durchsetzung von bung Konkursen
Untemehmensneu-griindungen
Rechtsordnung Entstehung relevanter Beginn der Durch-Rechtsnormen setzbarkeit
Konstanz der ,kein' staatliches starkes Anwachsen lang same Konsolidie-Wirtschaftspolitik Defizit des staatlichen Defi- rung auf hohem
zites Niveau Marketing staaUiches Beschaf- Wegfall der Beschaf- Aufbau neuer Zuliefe-
fungs- und Absatz- fungs- und Distributi- rer- und Kunden-monopol onssysteme strukturen
Suche neuer Zuliefe-rer und Kunden Suche von Marketing- Umsetzung der un-und Transformations- ternehmensspezifisch strategie en Transformations-
strategie Produkt Planvorgaben eigene Produktent- Markteinffihrung
wicklungen und neuer Produkte -modifizierungen
Preis staatlich vorgegeben eigene Preisfestset- Preisgestaltung nach zung Kosten- oder/und
Marktgesichtspunkten Organisation planwirtschaftlicher Erarbeitung einer Existenz von Marke-
Betrieb Umorganisationsstra- tingdirektor/ tegie -abteilung
Gewinnphase
Effektives 2-stufiges Bankensystem moderate Inflation
Effektiver Kapital- und Kreditmarkt Intemationale Ab-kommen
Einbindung in den intemationalen W Unternehmen ist ,Customer driven' Markteintritt und Marktaustritt jederzeit m6glich
Effektives Rechts-system Versuch des schrilt-weisen Abbaus staat-Iicher Defizite Gefestigte Beschaf-fungs- und Absatzbe-ziehungen
Produktrnanagement
marktwirtschaftlich geffihrtes Untemeh-men
Aufbau neuer Abteilungen:Planung und Strategie, Marketing/Kommunikation, ReWe/Controlling, Beschaffung
11
2.1.5 Konversion
Konversion ist der ProzeB der Umgestaltung von militiirisch genutzten finanziellen,
materiellen und personellen Ressourcen fUr zivile Zwecke. Bisher bearbeitete Ge
schaftsfelder werden in einem ein- oder mehrstufigen ProzeB ganz oder teilweise durch
neue Geschaftsfelder substituiert. Dabei bilden die frei werdenden Ressourcen die Basis
fUr neue Geschaftsfelder, d.h. die Untemehmenskapazitaten bleiben im wesentlichen
erhalten (BRIXLE 1993, 92). In Abgrenzung zum Transformationsbegriff enthalt der Be
griff der Konversion eine ethisch-normative Komponente, die mit dem getliigelten Wort
"Schwerter zu Ptlugscharen" umschrieben wird (W ALLMANN 1994, 16). Die Aufgaben
von Konversion und Transformation sind jedoch im Prinzip gleich, sie Iiegen in der
strukturellen Anpassung der planwirtschaftlich gepragten Wirtschaftsstruktur an markt
wirtschaftliche Bedingungen (OPITZ 1993, 137). Konversion ist eine Spezialform der
Transformation.
Problemfelder der Konversion sind
• die Freisetzung von staatlichen Militiir- und Riistungsaufwendungen fUr zivile Zwek
ke sowie deren okonomisch und sozial zweckmaBiger Einsatz,
• die zivile Verwendung bisher militiirisch genutzter Produktions-, Forschungs- und
Dienstleistungskapazitaten und die EingIiederung der entsprechenden Arbeitskrafte,
• die Wiedereingliederung von Militiirpersonen in zivile Tatigkeiten sowie die zivile
Nutzung militiirischer Gebaude, Anlagen, Liegenschaften und Standorte
(Truppeniibungs-, SchieBplatze u.a.),
• die Nutzung militiirischer Technik fUr zivile Zwecke und die Wiedergewinnung von
Material und Rohstoffen aus denaturierten Waffen, Munition und militiirischen Aus
riistungen sowie
• die zivile Rekonstruktion jener regionalen und kommunalen Strukturen, die im Zu
sammenhang mit Militiir- und Riistungsobjekten entstanden sind (ENGELHARDT
1990).
Nach den bisherigen Erfahrungen dauert der KonversionsprozeB mehrere Jahre. Vor
aHem sind strategische Geschaftsfelder zu finden, die Marktchancen und Wettbewerbs
vorteile bieten. Daraus ist die Produktions-Um- und Neuprofilierung zu bestimmen.
Diese erfordert neben der arbeitsplatzbedingten Qualifizierung von Personal investive
12
MaBnahmen und VorIeistungen. Aufgrund der in einigen Rustungsbetrieben der ehema
ligen UdSSR vorhandenen spezifisch miliUirischen Fertigungstechnologie und einer
sehr groBen Fertigungstiefe ist das AusmaB an Reorganisation und Umprofilierung die
ser Untemehmen betrachtlich.
Die besondere Rolle der Konversion im TransformationsprozeB osteuropaischer Staaten
ergibt sich aus dem groBen Anteil des Rustungskomplexes der Sowjetunion an der Ge
samtproduktion, insbesondere im Hochtechnologiebereich. Wie groB dieser Anteil tat
sachlich war, laBt sich nicht genau bestimmen (CHECINSKI 1992, 332); allgemein wird
angenommen, daB sich das Gros des technologischen Know-hows der Sowjetunion hier
konzentrierte. Die Hoffnung, dieses wissenschaftliche Potential fUr den Zivilbereich
nutzen zu kannen, konnte bislang nur in wenigen Einzelfallen erfiillt werden. Die Kon
versionsuntemehmen sehen sich okonomischen Problemen gegenuber, die aus eigener
Kraft unlosbar scheinen:
• Ruckgang der staatlichen Aufirage: 1995 wurden, in Kaufkraft gemessen, nur 20%
des Verteidigungshaushalts von 1988 ausgegeben (o.V., FAZ 26.8.1996,4),
• Abwanderung der besten und am hOchsten qualifizierten FOhrungskrafte (Brain
drain) (KATSCHALIN, KARASJOVA 1993,63),
• fehlende Kredite rur Investitionen zur Produktionsumstellung (ebd., 63),
• fehlende Absatzorgane und mangelndes okonomisches Know-how (ebd., 64).
Die seitens der Regierung initiierten Konversionsprogramme konnten bislang bei wei
tern nicht zufriedenstellend umgesetzt werden. Das 1992 verabschiedete Gesetz zur
Konversion (CHECINSKI 1992,331) konnte die Erwartungen nicht erfiillen. Ehemalige
Rustungsbetriebe unterIiegen aufgrund der erklarten Untersrutzungsbereitschaft der Re
gierung, die aus der auBen- und sozialpolitischen Relevanz des Themas folgt, anderen
Transformationsbedingungen als andere Untemehmen. Da das Ziel der vorIiegenden
Arbeit auf der Analyse der Transformation kleinerer und mittlerer Untemehmen liegt,
andererseits aber auch Konversionsuntemehmen im Sample enthalten sind, wird an ge
eigneter Stelle auf spezielle Aspekte dieser Untemehmen hingewiesen.
13
2.2 Transformationsansatze
Art und Tempo der Wandlungsprozesse sind in den verschiedenen Uindem unter
schiedlich, weil die wirtschaftliche, technologische, soziale und politische Lage und der
historisch-kulturelle Kontext sehr verschieden sind. Als Theoriebasis wUnschenswert
ware ein allgemeingiiltiger Kriterienkatalog zu einer lUckenlosen Analyse relevanter
Transformationsaspekte und zur Beurteilung des Reformablaufs in den verschiedenen
Uindem.
Die Wissenschaft war auf den TransformationsprozeB nicht vorbereitet, hatte insofem
auch keine "Theorie der Systemtransformation", weder auf der volkswirtschaftlichen
noch der betriebswirtschaftlichen Ebene (LOSCH 1992, 656f.). Transformationspolitik ist
jedoch in jedem Fall Ordnungspolitik (GLASTETTER 1995, 457). Zur Bestimmung des
Bezugsrahmens der vorliegenden Untersuchung werden ordnungspolitische Kriterien,
verschiedene betriebliche Ansatze des Wandels und Implikationen fUr die betroffenen
Individuen vorgestellt.
2.2.1 Der makrookonomische Transformationsansatz nach EUCKEN
Als theoretische Grundlage bieten sich die von WALTER EUCKEN 1952 formulierten
ordnungspolitischen Empfehlungen zur Etablierung einer marktwirtschaftlichen Wett
bewerbsordnung an (vgl. Abb. 6). Diese basieren auf historischen Erfahrungen seit
Mitte des 18 Jahrhunderts. EUCKENS Uberlegungen waren nicht ideologisch motiviert,
sondem waren der Versuch, empirische Beobachtungen zu "Prinzipien" zu verdichten
(EUCKEN 1990, 18f.).
Die Empfehlungen enthalten staatspolitische Grundsatze, konstituierende und regulie
rende Prinzipien fUr die Wirtschaftspolitik. Als Wirtschaftsordnung wird die Gesamtheit
der systernkonstitutiven und -steuemden Elemente des Wirtschaftsgeschehens bezeich
net, sowohl idealtypisch als auch in der konkreten Umsetzung (PETERS 1993, 10). Die
systernkonstituierenden Prinzipien zielen auf Bedingungen zum Autbau einer markt
wirtschaftlichen Ordnung, die regulierenden Prinzipien dienen der Erhaltung der Funk
tionsfahigkeit einer Marktwirtschaft. Die Prinzipien sind interdependent und dynamisch,
was die isolierte Betrachtungsweise erschwert, aber auch die Notwendigkeit ihrer si
multanen Umsetzung im Rahmen des Transformationsprozesses erklart (SCHRADER,
14
LAASER 1992, 64f.; DORR. 1990, 5ff.). Ihre heutige Relevanz wird von Erfahrungen in
den Reformlandem eindrucksvoll bestatigt (GUTMANN 1991,70).
FUNKTIONSFAHIGES PREISSYSTEM - Abbau von Preissubventionen - Liberalisierung der Preisbildung auf Faktor- und GOterrnarkten
I I I I I
W~~~Y!if. OFFENE PRIVAT- RECHTS- KONSTANZD. MARKTE EIGENTUM ORDNUNG WIR~gf~~FTS-LI K
I I I I -. Aulbau eines Abbau der AuBen- Verfassungsrecht- Implementierung Makrookon. Rah-zweistufigen handelsmonopole Iiche Stellung des einer WirtschaftS- menbedingungen Bankensystems
Liberalisierung des Eigentums rechtsordnunQ
Budgetdisziplin der Primatder Privatisierung
fHandels-, Zivll-, AuBenhandels nsolvenz-, Wett- Fiskalpolitik
GeldwertstabilitiU bewerbsrecht u.a.) Zugehorigkeit zu Zulassung auslan- Effektivitat der
Entwickluns von internationalen discher Invesloren T ransformations- offenllichen Kapital- un Organisationen spezifische Rege- Verwaltung Kreditmarklen Entwicklun~ des lungen \Altlasten,
Inlernalionale Ko- ftrivalen Se tors Restilu ionsan- Aussagen zur p'oli-operationsvertrage Unlernehmens- spriiche usw.) lischen Slabilitat
neugriindungen) und zum Demokra Effektive Rechts- tisierungsprozeB infrastruklur
Durchsetzbarkeit
~bb. 6: Konstituierende Prinzipien marktwirtschartIicher Wirtschartsordnung (eigene Darstellung)
Nachstehend werden Euckens Prinzipien behandelt, jeweils zunachst allgemein, dann
spezifisch im Hinblick auf die Transformation in Osteuropa.
2.2.1.1 Autbau eines Preissystems
Ein funktionsfahiges Marktpreissystem auf der Basis vollstandiger Konkurrenz ist das
oberste Grundprinzip der Wirtschaftsverfassung (EUCKEN 1990,254). Es impliziert freie
Preisbildung im Wettbewerb. Vordringliches Anliegen ist es, Wettbewerbsbeschran
kungen und Monopole abzubauen und die Markte wettbewerblich zu gestalten (PETERS
1993, 83). Der Preismechanismus in einem marktwirtschaftlichen System koordiniert
Angebot und Nachfrage, erfiiIlt die Informationsfunktion und garantiert effiziente AIlo
kation der verfiigbaren Ressourcen (SCHRADER, LAASER 1992, 24). Neben der Hand
lungs- und Entscheidungsfreiheit der Marktteilnehmer ist ein Sanktionsmechanismus
Voraussetzung, u.a. in Gestalt eines Konkursrechts, der den Marktaustritt der Wirt
schaftssubjekte systemkonform regelt (SCHRADER, LAASER 1992, 25).
15
Zentrale Elemente der Umgestaltung der Preisbildung sind der Abbau von Preissubven
tionen und die Ab16sung administrativer Preissetzungen auf den Faktor- und Giiter
markten (EGGER et al. 1992, 36f.). Eine rasche Liberalisierung der Preise entlastet den
Staatshaushalt durch den Abbau von Subventionen und sichert ArbeitspHitze durch nied
rige Reallohne (EGGER et al. 1992, 37f.).
2.2.1.2 Primat der Wiihrungspolitik
Ein stabiler Geldwert ist zur Verwirklichung einer funktionsfahigen Wettbewerbsord
nung notwendig. Erst diese Stabilitat ennoglicht es dem Preissystem, die wirtschaftliche
Entwicklung effizient zu koordinieren (EUCKEN 1990, 257). Wamend Geldwertstabilitat
als gesamtwirtschaftliches Ziel weltweit akzeptiert ist, besteht Dissens hinsichtlich des
kurzfristigen Trade offs zwischen Inflation und Beschiiftigung (ISSING 1992, 356). Mo
netare Stabilitat erfordert institutionelle Rahmenbedingungen. Dazu ist u.a. ein zweistu
figes Bankensystem mit einer von der Regierung unabhangigen Zentralbank erforder
lich, die geldpolitischen Zielen verpflichtet ist (SIEBERT 1992, 133). Urn die faktische
Selbstandigkeit der Zentralbank zu erreichen, ist gesellschaftlicher Konsens, der die
Sicherung des Geldwertes als wirtschaftspolitisches Primat akzeptiert, notwendig
(HERMANN-PILLATH 1991, 20). Bei der Durchsetzung dieses Zieles ist die Notenbank
mit dem Dilemma konfrontiert, daB eine zu restriktive Geldpolitik wirtschaftliches
Wachstum nicht ausreichend alimentiert, wamend eine zu expansive Geldpolitik die
Inflationsneigung erhOht.
Urn den rur sozialistische Lander charakteristischen Kaufkraftiiberhang abzubauen, ste
hen vier Altemativen zur Auswahl (PETERS 1990,388): Geldabwertung, Preisliberalisie
rung, Erweiterung des Warenangebots und Verkauf von Staatseigentum. Diese Ma/3-
nahmen sind im Zusammenspiel der ordnungspolitischen Krafte miteinander zu kombi
nieren. Angesichts der hohen intra-industriellen Verschuldung, insbesondere der Staats
betriebe, wird der Privatisierung des Bankensystems hohe Prioritat eingeraumt, urn rur
effizienten Umgang mit dem Faktor Kapital die Umwandlung von Depositen in Investi
tionskapital zu institutionalisieren (NEuMANN 1992, 168) und die Soft budget con
straints der Untemehmen zu "verhiirten" (WELFENS 1992, 73). Zudem ist die Konverti
bilitat, d.h. das Recht zum freien und unbeschriinkten Umtausch in andere Wiihrungen,
rur den Abbau von Investitionsrisiken von gro/3er Bedeutung (SCHRADER, LAASER
1992, 44). Die Theorie der optimalen Wiihrungsraume lehrt, daB im Falle regionaler
16
Divergenzen in der wirtschaftlichen Entwicklung, fehlender Lohn- und Preisanpassun
gen und mangelnder Mobilitat der Produktionsfaktoren die Einfiihrung einer eigenen
Wahrung sinnvoll ist (HERMANN-PILLATH 1991,21). Die Abkoppelung ehemaliger Re
publiken der Sowjetunion von der Rubelzone in Form nationaler Wahrungsreformen
findet hier ihre theoretische Legitimation. Das Vertrauen in- und auslandischer Markt
teilnehmer in die Glaubwiirdigkeit der Wahiungspolitik wird durch die erfolgreiche Im
plementierung dieser MaBnahme gestarkt und bildet die Basis fUr eine autonome Geld
politik.
2.2.1.3 Offene Miirkte
Der Staat und gesellschaftliche Interessengruppen verfiigen iiber diverse tarifare und
nichttarifare Handelshemmnisse, urn den intemationalen Konkurrenzdruck zu mindem
(EUCKEN 1990,264). Die MOE-Reformlander streben an, sich auBenwirtschaftlich zu
Offnen, urn die (Re-) Integration in die intemationale Arbeitsteilung zu beschleunigen
und intemationale Direktinvestitionen zu attrahieren. Obgleich die Auswirkungen von
Handelshemmnissen auf die nationale Giiterversorgung von vielen Faktoren bestimmt
wird (SENTI 1992, 126 ff.), ist die Offnung des Binnenmarktes ein unverzichtbares Ele
ment dauerhaften Wachsturns, vor allem fUr kleinere Lander (WELFENS 1992, 8).
Der Grad der auBenwirtschaftlichen Offnung kann gemessen werden an der Menge an
Im- und Exportbeschrlinkungen, der Freiheit des Kapitalverkehrs und der ZugehOrigkeit
zu intemationalen Organisationen (SCHRADER, LAASER 1992, 46f.).
2.2.1.4 Privateigentum
Teil des Transformationsprozesses ist die Uberfiihrung von Staatseigenturn in Privatei
genturn, insbesondere die Ubertragung der Verfiigungsgewalt iiber die Produktionsmit
tel (JENS 1993, 161). Anreiz- und Sanktionsmechanismen werden durch Ergebnisver
antwortung geschaffen, wettbewerbliche Strukturen durch die Entflechtung der mono
polistischen Kombinate (BORNSTEIN 1994, 235). Die rasche Schaffung privaten Eigen
turns ist geboten, urn den Strukturwandel zu forcieren (BALZER 1993, 264) und urn die
realwirtschaftliche Anpassung zu beschleunigen (SIEBERT 1992, 133). Dieser ProzeB
moB durch eine Privatisierung "von unten" begleitet werden. Erst durch die Neugriin
dung vieler Untemehmen werden effiziente Wettbewerbsstrukturen begriindet (EGGER
17
et al. 1992,44). Der Zuflufi ausHindischen Kapitals ist angesichts der geringen Kapital
bildungsfahigkeit ein zentraler Erfolgsfaktor der Privatisierung (ANDREFF 1994, 116).
Die Privatisierungsmodelle spiegeln die Ziele der Transformation wider (BORNSTEIN
1994,235). Unabhfulgig von dem zugrundeliegenden Vorgehen sollten drei Bedingun
gen erfiillt sein: die Standardisierung und die institutionelle Verankerung der Privatisie
rungsablaufe, der Aufbau des Finanzsektors sowie stabile politische Verhaltnisse, die
auch unpopulare Entscheidungen durchzusetzen gestatten (EGGER et al. 1992, 43).
Der Privatisierungsgrad und das Privatisierungstempo sind das Ergebnis politischer
Zielvorgaben. Trotz erheblicher Unterschiede in den Entwicklungen war die Privatisie
rungsgeschwindigkeit in den MOE-Lfuldem zunachst schleppend (KLos 1993,48). Ur
sachen waren die Zielkonflikte zwischen einer Maximierung der Privatisierungserlose
und einer Reduzierung der sozialen Folgekosten, desweiteren der Mangel an Privatisie
rungs-Know-how, die hohe Verschuldung der Staatsbetriebe, okologische Altlasten, die
Zuriickhaltung auslfuldischer Investoren aufgrund unzureichender Rahmenbedingungen
sowie der Umfang des zu privatisierenden Staatsvermogens (ROGGEMANN 1992, 50ff.;
BORNSTEIN 1994,236, 254f.).
2.2.1.5 Vertragsfreiheit und Haftung
Vertragsfreiheit und Haftung fur untemehmerisches Handeln sind unentbehrliche
rechtspolitische Institute der Wettbewerbsordnung (EUCKEN 1990, 275ff.). EUCKEN hat
die Bedeutung eines ungehinderten Marktzutritts im Prinzip der offenen Markte formu
liert. Dariiber hinaus ist der Marktaustritt als Sanktions- und Haftungsmechanismus zu
nennen (TUCHTFELDT, FRlTZ-AI3MUS 1992, 237f.). Das Wirtschaftsrecht in den MOE
Staaten sollte daher die Freiheit wirtschaftlicher Tatigkeit und des privaten Eigentums
garantieren sowie ein umfassendes Gesellschaftsrecht und wettbewerbsrechtliche
Grundlagen einschlieBlich des Konkurs- und Vergleichsrechts. Ais Grundlage sollte ein
allgemeines Handels- und Zivilrecht geschaffen werden (ROGGEMANN 1992, 39f.).
Die Erfahrungen in den fun[ neuen Bundeslandem haben eindringlich gezeigt, daB ne
ben der Frage nach der Durchsetzbarkeit des Rechts (SCHRADER, LAASER 1992, 5) fur
Investoren die Klarung der Eigentumsrechte an Grund und Boden, die Effektivitat der
18
verwaltungstechnischen Infrastruktur, die Klfuung der Ubemahme und Bewertung von
Altlasten und die arbeitsrechtlichen Folgen der Privatisierung von groBer Bedeutung
sind (HORN 1991, 35ff.). Den rechtlichen Rahmenbedingungen sind die steuerlich be
deutsamen Bestimmungen fUr in- und auslandische Investoren zuzurechnen (FUEST
1993, 106). Investitonsschutz- und Doppelbesteuerungsabkommen erhOhen zusammen
mit Gewinntransfer-Regelungen die Sicherheit einer Auslandsinvestition. Weitere kon
stituierende Prinzipien der Wirtschaftspolitik zum Aufbau einer Wettbewerbsordnung
sind eine wettbewerbsfordemde Art der Vertragsfreiheit, ein Haftungsrecht fUr die Fol
gen von getroffenen Planentscheidungen und allgemein eine berechenbare, "konstante"
Wirtschaftspolitik.
Vertragsfreiheit ist fur die Lenkung des alltaglichen Wirtschaftsprozesses durch voll
standige Konkurrenz unentbehrlich. Sie sollte jedoch insoweit beschrankt werden, als
das der Konstituierung der Wettbewerbsordnung dient. So sollten Vertrage als unzulas
sig betrachtet werden, die die Vertragsfreiheit Dritter beschranken - etwa die Bildung
von Monopolen oder Kartellen (EUCKEN 1990, 276f.), zu denen die neu entstehenden
FIG (finanziell-industrielle Gruppen) in RuBland zahlen.
Die Haftung erfiillt wahrend des Aufbaus der Wettbewerbsordnung wichtige Funktionen
(EUCKEN 1990, 280f.). Sie tragt zur vorsichtigeren Kapitaldisposition bei, wirkt gegen
die Konzentration und steigert die Funktionsfahigkeit des Leistungswettbewerbs. Haf
tung muB wirtschaftsverfassungsrechtlich geregelt werden. Der Haftungsmechanismus
regelt die Zugriffsmoglichkeiten auf das Vermogen des Schuldners und den Mark
taustritt der Wirtschaftssubjekte als Konsequenz ihrer Fehlentscheidungen.
2.2.1.6 Konstanz der Wirtschaftspolitik
Untemehmerisches Handeln ohne Risiko ist undenkbar. Es ist Aufgabe des Staates,
Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen politische Unsicherheitsmomente auf ein
kalkulierbares MaB reduziert sind (EUCKEN 1990, 287). 1m Vordergrund der Reform
programme intemationaler Organisationen steht eine solide Haushaltspolitik. Zur Finan
zierung des staatlichen Budgets bedarf es einer funktions- und leistungsfahigen Ver
waltung mit einem zumindest wettbewerbs- und anreizneutralen Gebiihren- und Steuer
system (FUEST 1993, 109). Umfang und Struktur der Ausgaben ergeben sich unmittelbar
19
aus dem Staat zugeschriebenen Funktionen. In einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist
der Aufgabenurnfang des Staates eng definiert. Dieser umfaBt grundsatzlich die Bereit
stellung offentlicher Guter, die innere und auBere Sicherheit, die Gestaltung gesetzlich
bestimmter Rahmenbedingungen sowie die Sicherung des Existenzminimurns der BUr
ger (SCHRADER, LAASER 1992, 31).
1m Wettbewerb urn auslandisches Kapital wird die politische Stabilitat der Transforma
tionsokonomien und deren Berechenbarkeit als ein zentraler Standort- und Erfolgsfaktor
der Transformation beurteilt (EGGER et al. 1992,43). Bei unkalkulierbaren Risiken un
terbleiben Investitionen mit einem langfristigen Investitionshorizont (PETERS 1993, 85).
Die ersten Erfahrungen zeigen zwar Reformerfolge in der makrookonomischen Stabili
sierung und der Liberalisierung des AuBenhandels, aber auch Defizite in der Neudefini
tion des Staates. Wesentliche Hemmnisse sind gesellschaftliche und politische Wider
stiinde, Defizite im Bereich der institutionellen Infrastruktur und Mangel an qualifizier
tern Hurnankapital (WOHLMUTH 1992, 46f.).
AIle Prinzipien mussen zusarnmenspielen, isolierte Anwendung einzelner Prinzipien
verfehlt den Erfolg (EUCKEN 1990,291).
2.2.2 Betriebliche Transformationsansitze
Mit einer Ubertragung westlicher Managementrnethoden allein konnen die betrieblichen
Umstrukturierungsprobleme nicht gelOst werden. In westlichen Wirtschaftssystemen
bewiihrte Managementansatze setzen "westliche" Rahmenbedingungen voraus. Dagegen
herrschen in Transformationslandem meist unklare rechtliche und wirtschaftliche Rah
menbedingungen und andere sozio-kulturelle Landesspezifika (EKIERT 1992, 78). Jede
Ubertragung von Managementkonzepten uber Kulturkreise hinweg erfordert kulturan
passende MaBnahmen (DOLFER 1991; HOFSTEDE 1980, 1993).
Wegen ihrer besonderen Relevanz fUr die Transformation in osteuropruschen Unter
nehmen werden die Theorien des Management of Change, das Innovationsmanagement,
das Business Reengineering, evolutionstheoretische Managementansatze und weitere
ausgewiihlte organisationstheoretische Ansatze als gedankliche Fundierung der Trans-
20
formationsprozesse herangezogen. Kriterien, die der Auswahl der Ansatze zugrunde
liegen sind
• die erfolgreiche Problemlosung (Bewahrtheit),
• die Realitatsnahe ihrer Aussagen,
• deren Gehalt und
• Generalisierbarkeit.
All diesen Ansatzen ist gemein, daB sie nicht fiir Probleme eines osteuropaischen Trans
formationsuntemehmens entwickelt wurden. Als alleiniges Gedankengerust greifen des
halb aIle hier diskutierten Managementansatze zu kurz und sind nur partikular geeignet,
unsere Untersuchung auf eine theoretische Grundlage zu stellen. Sie bedfufen einer lan
der- und kulturspezifischen sowie Transformations-situationsspezifischen Adaption.
Entgegen dem ganzheitlichen, problemorientierten Ansatz der vorliegenden Untersu
chung liefem sie nur fragmentarische Anregungen fiir spezifische Transformationspro
bleme. Umso mehr muB der nach Anregungen und Erklarungen suchende Transformati
onsforscher und -manager ein breites Spektrurn unter den Theorien des Wandels ins
Auge fassen.
2.2.2.1 Management of Change
Der Wandel der Untemehmensumwelt hat wachsende Komplexitat der Beziehungen der
untemehmensintemen und -extemen Systemelemente zur Folge. Einfaches lineares Ur
sache-Wirkungsdenken ist inadaquat (BLEICHER 1995, 19). Verschiedene Manage
mentansatze umfassen und ein neues Verstandnis von Wandlungsprozessen propagieren
die Begriffe "Management of Change", "Changemanagement" oder auch "Business
Transformation" (BLEICHER 1995; KLIMECKI 1994; ULRICH 1994; GOUILLART, KELLY
1995), die inhaltlich ahnlich sind. Dariiber hinaus ist der Wandel der Individuen, insbe
sondere die Veranderungen der Wertvorstellungen der in den Untemehmen tatigen Mit
arbeiter, ein wichtiger Aspekt bei der Realisierung eines Organizational-change
(KLIMECKI 1994, 9).
Entstanden sind diese Ansatze unter dem Problemdruck westlichen Managements. Die
Globalisierung, Konzentrationsprozesse und technologische Umbruche zwingen die
Wirtschaft zu einer Beschleunigung ihrer Leistungsprozesse. Die benotigte Reaktions-
21
zeit bei steigender Komplexitiit und die vorhandene Problembewiiltigungszeit bei zu
nehmender Dynamik des Umfelds laufen in einer Schere auseinander.
Anpassungszeit
1900
Benotigte Reaktionszeit bei stelgender Komplexital
Verfugbare Problembewaltigungszeit bei zunehmender Dynamik
2000 Wachsende Komplexitat und Dynamik des Umfelds
Abb. 7: Problemdruck im Management (nach BLEICHER 1995,26)
Ein "Management von Veranderungen" in osteuropiiischen Untemehmen wird dringend
benotigt. Das Reaktionszeit-Problembewiiltigungszeit-Dilemma gilt fur osteuropiiische
Untemehmen in besonderem MaBe.
Trotz und wegen der hoheren Komplexitiit und der zunehmenden Dynamik des Wandels
gibt es Anzeichen fur einen Paradigmawechsel im Management, den folgende organisa
torische Entwicklungstendenzen kennzeichnen (BLEICHER 1994, 139; 1995, 40f.):
• vom MiBtrauen zum Vertrauen als Bestandteil der Untemehmensphilosophie,
• yom technokratischen Fi.ihrungsverstandnis des entscheidungsfreudigen Machers zu
einem mehr evolutorischen und kooperativen Fi.ihrungsverstandnis,
• von Arbeitsteilung und Spezialisierung zur Bildung von flexiblen, temporiiren Ar
beitsgruppen mit breiten Aufgabenfeldem,
• Dezentralisierung und Orientierung auf die Human-Ressourcen,
• von einer Fokussierung "harter" Managementfaktoren zu einem strategischen Mana
gement des Humanpotentials,
• vom Gleichgewichtsstreben rationaler Optimierung zu Entrepreneurship und Intra
preneurship,
• Entwicklung kleiner, teilautonomer, innovativer Produkt-lMarkteinheiten innerhalb
groBer Untemehmen und
• von tiefgreifender Spezialisierung zur Generalisierung von Aufgaben und Verant
wortung.
22
Diese Tendenzen einer tiefgreifenden Umgestaltung von Untemehmen (Management of
Change) werden konkretisiert durch die "Lemende Organisation" (GoMEZ u.a. 1994,62;
MOLLER-STEWENS, PAUTZKE 1996, 185f.; PROBST, GILBERT 1994, 306f.; SCHREYOGG,
Noss 1995, 178), das Innovationsmanagement (WITTE 1973, 1976; HAUSCHILDT 1993;
GEMUNDEN, WALTER 1995; TROMMSDORFF 1995), das Business Reengineering
(SERVATIUS 1994B; BRECHT, HESS, OSTERLE 1995; HAMMER 1995; WOMACK, JONES
1997) und evolutorische Ansatze (SERVATIUS 1994a, b; STRASSER 1991; ULRICH,
PROBST 1988; MALIK 1993; KLIMECKI, PROBST, EBERL 1994; LAZLO 1992; LEONHARDT
1994).
2.2.2.2 Innovationsmanagement
Eine Transformation ist fUr das betreffende Untemehmen immer eine Innovation. Die
Theorie des Innovationsmanagement liefert Anregungen fUr die Losung von Transfor
mationsproblemen. Wesentliche Elemente sind identisch, so bei den Innovationsphasen
(THOM 1980; MICHEL 1990; TROMMSDORFF 1995), den Widerstanden gegen Innovatio
nen (NIEDER, ZIMMERMANN 1992; HAUSCHILDT 1993) und den Promotoren von Inno
vationen (WITTE 1973; LEDER 1989; BITZER, POPPE 1993; HAUSCHILDT 1993). Analog
der volkswirtschaftlichen Phasenbetrachtung der Transformation (vgl. Abb. 3) wird der
Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit, die betriebswirtschaftliche Trans
formation ehemals planwirtschaftlicher Untemehmen, mit Hilfe des Phasenschemas von
Innovationsprozessen untersucht. Dabei gehen wir jeweils zunachst darauf ein, wie die
Phasen urspriinglich fUr Produktinnovationen inhaltlich und methodisch ausgerullt sind,
und dann auf Anpassungen fUr die betriebliche Transformation in Osteuropa, die ja zum
erheblichen Teil die Produktinnovation einschlieBen. Die operative und strategische
Umsetzung wird in Kapitel6. vertieft.
Phasenkonzepte orientieren sich meist an der Struktur von Planungs- und Entschei
dungsmodellen (ROGERS 1983, 135ff.; BOHNISCH, 1979, 18ff.). In einem sehr groben
Zweiphasenschema werden Ideengenerierung und Ideendurchsetzung unterschieden. Oft
wird die Ideendurchsetzung noch in Ideenakzeptierung und -realisierung differenziert
(THOM 1980; 53, MICHEL 1990, 11). FUr detailliertere Analysen werden die Phasen
weiter unterteilt (SCHMITT-GROHE, 1972, 50ff.; ALLESCH, POPPENHEGER, 1986, 22ff.).
FUr diese Untersuchung wird die Diffusion (BROCKHOFF 1992, 30) explizit mit in den
Phasenansatz aufgenommen.
23
Tab. 3 zeigt ein Phasenschema der Innovation, das die Probleme eines betriebswirt
schaftlichen Transformationsprozesses abbildet. Urspriinglich fUr Produktinnovationen
entwickelt, wird der Phasenansatz fUr den TransformationsprozeB urn Struktur-lProzeB
innovationen erweitert.
Tab. 3: Phasen des Transformationsprozesses (in Anlehnung an TROMMSDORFF 1995, 4f.)
Bestimmung der Ideen fUr die Pro- Auswahl der Bestimmung d. Operationalisie· Diffusion und Transformations· zen· und Slruktur· Ideen Transforma· rung der Umsetzung der ausgangssituation transformation tionsstrateQie Stra_tegie Strategie
Z Analyse der Ideen fUr Struktur- Konzentration Entscheidung Struktur·lPro· Diffusion der
I strategischen IProzeB· und auf potentiell fUr eine Strate- zeB· und Pro- Produktinnova-
E Situation Produktinnova· erfolgreiche gie u nd deren duktinnovation tion, Umsel-
L tionen Ideen Ausformu· operationalisie- zung der MaB-lierunQ ren nahmen
V Analyse potenti- Ideen kennen au 5 Wirtschaftlichk Aufbauend auf Siru ktu r -/Pro- MeinungsfUhrer a eller Abnehmer· dem Untemeh- eitsanalyse = strategischer zeB- und Pro- ansprechen R markle, Umfeld- men kommen Wertanalyse Silualionsanaly duktentwick -G entwicklung, der (push) oder vom aus Sichl der se und Ziel- lung geschiehl E eigenen Poten- Markt (pull) kom- Kunden. vorstellungen parallel mit H liale und der men werden Strate- vorherigen E WeHbewer- gien bestimml Phasen N berpoten tiale
Starken-/Schwa- push: Teamar- Feasibility- Strategleop- - SchniHstellen- 8esondere chen-Analyse beit, Vorschlags- studie: tionen ergeben management Kommunikati-
wesen, Qualitals· Markldalen sich mit Hilfe • Make or Buy· onsmannah· Chancen· zirkel, Freiraume, sammeln, f.?lgender Entschei· men zur Errei· IRisiken· Analyse Abbau von Krea· Investition s· Uberlegungen: dungen chung der
tivilats· rechnungen, • Ansoff·Matrix • Festlegung d. Meinungs· M hemmnissen, Durchffihr· • Fiihrerschaft, Marketing·Mix fUhrer E Kreativitiits· barkeit bzgl. Wher/spiller • Bestimmung T techniken relevanter Res· Folger d.lnnovations· Zusammenar· H pu II: Berater oder sourcen wie • PreiS/Mengen· hehe aus Kun· beit mit Handel a Referenzfirmen Personal. versus densichl fUr D (Transformations· Werksloffe, Praferenz· komunika· E Benchmarking) Kapital, elc. strategie tionspolitische N Ansprache
PhasenObergreifende Diffusionsprobleme d. Slruktur·/ProzeBinnovation: Widersland im Unlemehmen, Zeitrisiko
Die weitere Untergliederung dieses Abschnitts richtet sich nach den Phasen aus Tab. 3.
2.2.2.2.1 Bestimmung der Transformationsausgangssituation
Zur Bestimmung der 1st-Situation des Untemehmens im Markt werden fUr jedes Ge
schaftsfeld einzeln aIle relevanten Untemehmens-, Wettbewerber-, Markt- und Umwelt
daten erfaBt und schrittweise verdichtet. 1m ersten Schritt werden eine Stiirken
ISchwachen-Analyse und eine Chancen-lRisiken-Analyse ersteIlt (ARNOLD, SABISCH
24
1992, 7; HOEPFNER 1991, 63ff.; MACHARZINA 1993, 226ff.). Die Ergebnisse dieser bei
den Analysen werden schlieBlich weiterverdichtet zu einer zweidimensionalen Darstel
lung der strategischen Situation (Portfolio). Wenn auf diese Weise aIle Geschaftsfelder
als Portfoliopositionen dargestellt sind, liegt ein einfaches Bild der strategischen Aus
gangssituation des Transformationsuntemehmens vor. Abb. 8 zeigt das Schema der
strategischen Situationsanalyse.
Untemehmung Wettbewelber Kunden Umwel!
Potential Konkurrenten _ ~
Markt- Umwelt-Analyse Analyse Analyse Analyse
+ + + + StMlen I Chancen I
Schwachen- Risiken-Analyse Analyse
I ~ Portfolio OIl I Analyse
Abb. 8: Strategische SituationsanaIyse (TROMMSDORFF 1995, 5)
Eine institutionalisierte, zukunftsorientierte Situationsanalyse erfordert die Antizipation
von DiskontinuWiten der Untemehmensumwelt. 1m Diskontinuitatenmanagement
(MACHARZINA 1993, 244ff.) haben sich einfache Lebenszykiusmodelle zur Antizipation
bevorstehenden Wandels an. Beispiele flir solche Modelle sind das technologische S
Kurvenkonzept (FOSTER 1982; TWISS 1988; BROCKHOFF 1993), Technologielebenszy
klusmodelle (ROUSSEL 1984; LITTLE 1988) und das Branchenlebenszykiusmodell
(TUSHMAN, ANDERSON 1986; BENKENSTEIN 1989). Auf diesen Konzepten aufbauende
Typologien werden von UTTERBACK, KIM (1985), TUSHMAN, ANDERSON (1986) und
WEISS (1989) vorgeschlagen. Aufbauend auf der Unterscheidung in Produkt- oder Pro
ze13diskontinuitat werden mit Hilfe weiterer Kriterien verschiedene Diskontinuitatstypen
erkllirt. TUSHMAN, ANDERSON (1986, 443) unterscheiden kompetenzzerstOrende und -
verstlirkende Produkt- und ProzeJ3diskontinuitaten.
Zur Sensibilisierung fUr und zum Umgang mit Veranderungen ist eine Auseinanderset
zung mit den Erkenntnissen und der Methodik des Diskontinuitatenmanagements auch
fUr osteuropaische Untemehmen sinnvoIl, zumal das in ehemals planwirtschaftlichen
Untemehmen keine Rolle gespielt hat.
25
2.2.2.2.2 Ideeo itir die Proze8- nod Strukturtraosformatioo
Wenn das Innovationsproblem erkannt ist, miissen Ideen zur Losung gefunden werden.
Kreativitat, die Flihigkeit Neues zu finden, ist gefragt. Eine Klassifizierung von Kreati
vitatstechniken bietet sich an, urn die Ideenfmdung situationsabhangig gezielt anzuge
hen (GESCHKA, LAUDEL 1992, 70):
• Ideengenerierung durch Forderung der Intuition oder systematisches Vorgehen,
• Ideengenerierung durch Abwandlung vorliegender Losungsansatze oder durch Kon
frontation mit scheinbar problemfremden Wahrnehmungen.
Tab. 4 gibt einen Uberblick iiber verschiedene Methoden der Ideenfindung.
Tab. 4: Methoden der Ideenfindung (GESCHKA 1986, 150)
Vorgehensprinzip zur Ideenausl6sendes Prinzip Kreativitatsforderung Verbindung Gegeniiberstellung
Verstarkung der Intuition intuitive Assoziation intuitive Konfrontation
• wechselseitige Assoziation Brainstorming • Reizwortanalyse • Analogiebildung • klassisches Brainstorming • Exkursionssynektik • spontane Eingebung • Schwachstellen-Brainstorming • Bildmappen-Brainwriting
• Parallel-Brainstorming • Visuelle Konfrontation in der Gruppe • Semantische Intuition
Brainwriting • Methode 635 • Ringtauschtechnik • Brainwriting-Pool • Kartenumlauftechnik • Galerie-Methode • Ideen-Delph i
Systemalisch-analytisches systematische Abwandlung systematische Konfrontation Vorgehen • Morphologisches Tableau • Morphologische Matrix
• Ordnung der • Sequentielles Tableau • Systematische Reizobjektermittlung Problemelemente • Sequentielle Morphologie
• Kombinalion der • Modifizierende Morphologie Losungselemente (Attribute Usting)
• Variation der • Progressive Abstraklion
· Losungselemente Gezielte Lenkung der DenkvorQanQe
Techniken der Ideenfindung werden bisher fast nur fUr Produktinnovationen angewandt.
Sie sind aber auch fUr Struktur-lProzeBinnovationen, insbesondere die Transformation,
erfolgversprechend. Allerdings finden sich besonders in osteuropaischen Transformati
onsuntemehmen Barrieren gegen die Anwendung von Kreativitatstechniken:
• Nutzen nicht unmittelbar einsichtig, Management erwartet sofortige Erfolge,
• inadequate Einstellung gegeniiber Gruppenarbeit, autoritarer Fiihrungsstil und
• Verfahrensregeln der Kreativitatstechniken widersprechen eingefahrenen Verhal
tensmustem.
26
Synektische Methoden stellen die hOchsten Anspriiche an die Teilnehmenden. Dazu
notwendige untemehmensexteme Schulungen sind in Osteuropa wenig realistisch. Ein
weiteres, speziell in Osteuropa virulentes Problem ist, daB hierarchisch heterogen auf
gebaute Gruppen Hemmungen bei der Durchfiihrung zeigen.
2.2.2.2.3 Auswahl der Ideen
Die vorliegenden Transformationsideen werden in einem ersten "Screening" auf poten
tiell erfolgreiche Ideen reduziert. Die verbleibenden Ideen werden einer Wertanalyse
(auch aus Kundensicht) unterzogen und in einer abschlieBenden Feasibilitystudie auf
Wirtschaftlichkeit gepriift (TROMMSDORFF 1995, 5).
Die Wertanalyse dient besonders der Vermeidung von "Over-Engineering". Es sollen
die Qualitatsdimensionen eines Produktes aufgedeckt werden, die aus Kundensicht die
Funktionstiichtigkeit nicht beeintrachtigen und daher zu Gunsten geringer Kosten ent
fallen konnen. Sinnvoll ist die Wertanalyse in Transformationsuntemehmen nicht nur
zur Vermeidung iiberfliissiger Produktleistungen, sondem auch zur systematischen, auf
Kundenbediirfnissen aufbauenden Produktmodifikation. Folgende Fragen helfen dem
Transformationsmanager, die Produktaltemativen zu analysieren (NIESCHLAG, DICHTL,
HORSCHGEN 1994, 272):
• Welche Funktionen muB das Produkt aus Kundensicht erfiillen?
• Welche Hilfsfunktionen nimmt es wahr?
• Welche Kosten verursacht es?
• 1st die Funktion des betreffende Elements unabdingbar?
• Konnte die Funktion durch ein anderes, billigeres Element ohne Funktionsbeein
triichtigung iibemommen werden?
• Welche Kostenersparnis bringt das?
Ideen miissen nach Erfolgs- und Hygienekriterien gepriift werden. Erfolgskriterien sind
notwendig und hinreichend fUr Erfolg, Hygienekriterien nur notwendig, aber nicht hin
reichend. Eine Formalisierung der Erfolgskriterien durch Scoringmodelle, die ohne Pro
bleme mit der osteuropaischen Denktraditionvereinbar sind, erleichtert die Objektivie
rung. Zu diesen gehOren beispielsweise :
27
• technische Machbarkeit,
• Kosten,
• Marktchancen (Marktgr6Be, -wachstum, -qualitat),
• Marktrisiken (Substitution, Kannibalisierung, Imitation durch Wettbewerb) und
• Umfeldrisiken.
2.2.2.2.4 Bestimmung der Transformationsstrategie
Bei der Strategiefindung sind tiber produktbezogene Entscheidungen hinaus gesamtun
temehmerische Entscheidungen zu treffen. Strategische Hilfestellungen bei solchen
Grundsatzfragen gibt die Produkt-Markt-Matrix nach ANSOFF (1966) und das Schema
zur Geschaftsfelddefinition nach ABELL (1980).
Tab. 5: Ansoff-Matrix (Ansoff (1966)
aller Markl neuer Markl
alles Produkt Marktdurchdringung Marktentwicklung
neues Produkt Produklenlwicklung Diversifikation
Abgeleitet aus der strategischen
Situationsanalyse und den grund
satzlichen Zielvorstellungen erfolgt
die Strategieentscheidung, die das
Ob und Wie der Produktinnovation
beinhaltet (TROMMSDORFF 1995, 5).
Das Wie der Produktinnovation
wird in einem weiteren Schritt spezifiziert. Hierbei hilft die Geschaftsfeldsegmentierung
mit dem Geschaftsfeld-Schema nach ABELL (1980). Eine Produktinnovationsstrategie
erfordert zugleich eine Entscheidung tiber den angestrebten Markt (Kundengruppen),
tiber die Produkteigenschaften (aus Nutzersicht, im Sinne von Problem16sungen) und
die dafiir ben6tigten Technologien und Kompetenzen (Skills). Das ABELL-Schema stellt
diese Entscheidungsaltemativen bildlich dar.
Zu den gesamtuntemehmerischen Entscheidungen, die Transformationsmanager in die
ser Phase zu treffen haben, geh6rt die Formulierung einer Untemehmensphilosophie. In
ihr spiegelt sich ein Minimalkonsens der Werthaltungen aller beteiligten Transformati
onspartner wider (FRITZ 1992,156; ROGGEBERG 1995,34).
28
Produkteigenschaiten
z.B. Obertragungsqualitiit
Technologien
Institute
Kundengruppen I
Handel I
Abb. 9: Geschafts(eldsegmentierung nach ABELL (1980) mit fiktivem Beispiel
2.2.2.2.5 Operationalisierung der Transformationsstrategie
Die ausformulierte Strategie, bestehend aus urnfassenden Entscheidungen wie Make-or
Buy- undloder Kooperationsentscheidungen, wird technisch und organisatorisch opera
tiona1isiert (TROMMSDORFF et al. 1995, Iff). Insbesondere wird die F&E-Abtei1ung mit
der Konstruktion und die Marketingabtei1ung mit der Marktvorbereitung befa13t. Die
Gestaltungsvariablen des Marketing (produkt-, Preis-, Kommunikations- und Distribu
tionspolitik) werden untereinander abgestimmt.
2.2.2.2.6 Diffusion und Umsetzung der Transformationsstrategie
Am Ende des Innovationsprozesses steht die Umsetzung und Durchsetzung, insbesonde
re die Einfiihrung der neuen Produkte am Markt und die Realisierung der Prozel3-
IStrukturinnovation im Untemehmen. Fiir die Marktdurchsetzung hat der Diffusionspro
zel3 (Ausbreitung einer Innovation in einem sozialen System) herausragende Bedeutung.
Wahrend im Marketing die Diffusionstheorie nur marktseitig angewendet wird, kann sie
im Transfromationsprozel3 auch und zuvorderst auf das sozia1e System "Untemehmen"
angewendet werden. Betei1igte an diesem DiffusionsprozeB sind Anbieter, Meinungs
fuhrer, Diffusionsagenten und Adoptoren. Meinungsfiihrer und spielen marktseitig und
untemehmensintem eine zentra1e Rolle im DiffusionsprozeB. Sie haben EinfluB auf Ein
stellungen, Meinungen und Verha1tensweisen der von der Innovation betroffenen Grup-
29
penmitglieder und mtissen mit Hilfe von Promotoren durch interne und externe Kom
munikationsmaBnahmen besonders angesprochen werden.
Widerstiinde, Barrieren und Hemmnisse behindern die Durchsetzung der Innovation
(HAUSCHILDT 1993, 90ff.). VANDERMERWE (1995) beschreibt die Widerstande gegen
Transformationen mit Hilfe der Erkenntnisse der Diffusion von Neuprodukten. Auch
Partizipation im TransformationsprozeB ist mit dem Diffusionsphasenkonzept darstell
bar (V ANDERMERWE 1995, 87).
2,5%
Innovators Opinion Early Late Laggards leaders acceptors acceptors
Diffusion der Transformation bei den Mitarbeitem
Abb. 10: Partizipation und Kategorisierung von Transformationsbeteiligten (in Anlehnung an VANDERMERWE 1995,88)
Die Typisierung und die empirisch gewonnenen Daten beruhen auf einer Untersuchung
tiber Verhalten von Unternehmensmitgliedern im Verlaufe von Veranderungen in west
lichen Unternehmen (VANDERMERWE 1995,88). Vergleichbare Befunde sind bei der
Untersuchung in osteuropruschen Transformationsunternehmen zu erwarten.
Auch zur Aufrechterhaltung der Innovativitat nach dem Transformationsanschub sind
hohe Anforderungen an die Beteiligten gestellt. Personelle, soziale und organisatorische
Erfolgsbedingungen der Innovation, und damit auch der Transformation hat
DREESMANN (1994, 63) zusammengestellt.
30
Tab. 6: Kompetenzbedingungen fiir Innovationsprojekte
Bedingungs- Fachliche PersOnliche Konstrukuve Soziale Methoden Partizipative ebene Kompetenz Kompetenz Kompetenz Kompetenz Kompetenz Kompetenz
Individuum Qualifikation Reife, emotia- Intelligenz Offenheil, Methoden Verantwortung, Wissen nale Slabllitat Kreativilat Kommunikati- Instrumente Entscheidungs-Erfahrung Flexibilitat ons-!Koope- Verfahren wille, Mitwir-
rationsbereit- kung schaft
Soziales Qualifika- Gruppenidenti- Erfahrungs- Unterstiizung Funktionaler Aktivitats-Umfeld tionsniveau fikation mil
Innovation austausch Arbeilsstil orientierung
Organisalo- Qualiftka- Innovations- Informations- Partizipativer Projekl- Entscheidungs-rischer tionsanfor- kultur management Fiihrungsstil management freiraum Rahmen derungen Innovations- Komplexilat Nutzen Gestaltbarkeil Soziale Wir- Systematik Beherrsch-system kung barkeit
2.2.2.2.7 Phaseniibergreifende Probleme bei Transformationsprozessen
Ein typisches phaseniibergreifendes Transforrnationsproblem ist das Zeitrisiko, da der
Zeitbedarf der Tatigkeiten in den Phasen schwer prognostizierbar ist. Zeitiiberschreitun
gen fuhren zu uberrniiBiger personeller und finanzieller Bindung von Ressourcen, zu
spater Wettbewerbsfahigkeit, frtihzeitigem Aufkommen von Wettbewerbern und ErhO
hung des innerbetrieblichen Widerstands gegen die Veriinderung. Als Folge der kom
plex vernetzten Entwicklungen im transforrnierenden System kommt es wiihrend des
gesamten Prozesses zu Unsicherheiten, Risiken und Konflikten (SITTER 1995, 50).
Die Theorie des Innovationsmanagement liefert Erklarungen fur das Entstehen und den
Abbau von Transforrnationshemmnissen (NIEDER, ZIMMERMANN 1992, 374). Tab. 7
zeigt phasenspezifische Hemmnisse und Risiken, wobei die Transforrnationsphasen hier
auf vier Hauptphasen komprimiert sind. Die Bewaltigung dieser Risiken verteilt sich bei
Transforrnationen auf das gesamte Unternehmen (BACHMANN, MOLL 1992, 251).
31
Tab. 7: Hemmnisse und Risiken wiihren der Transformationsphasen (in Antehnung an BITZER
1990,258; CHMIELEWICZ 1991, 87; DLUGOS 1991, 67; ZWEIPFENNIG 1991,6)
Ideen fur die Proze~- Beslimmung der Operationalisierung der Umsetzung der und Strukturtrans- T ransforma- Transformationsstrategie T ransforma-
fomation lionsstrategie tionsstrategie personale fehlende Kreativitiit, Bereichsdenken, mangelnde technische Widersliinde der von Hemmnis· schlechtes Untemeh- Neid, MiBgunst Qualifikation Veriinderungen be-seiRisiken mens klima troffenen Milarbeiter organisatori- hiiufige Sterungen, unflexible, transfor- Koordinationsprobleme fehlende organisatori-sche Hemm- keine transformations· mationsunfreundliche der zusammenarbeiten- sche Voraussetzungen n isseiRi siken freundliche Atmosphii- Kommunikati- den Bereiche zwischen Veranda-
re, kein Einsatz von onsstruktur rungsplanem und -Innovationslechniken, umsetzem keine Weiterbildungs-ma~nahmen
technische kein Einsatz von ungenugende Pra- verallele, unzureichende Schniltstellenprobleme Hemmnissel Innovationstechniken sentations-medien fur Ausstaltung mit vorh. Technologi-Risiken Ergebnisse oder en, mangel haft vorbe-
Vorschliige reitete Mitarbeiter finanzielle fehlende finanzielle ~ein Anreizsystem bei finanzielle Engpiisse bei unvorhergesehene Hemmnissel Anreize fur kreati ve UbemahmeiAnnahme Realisierung, IIIiquiditiit, Kosten und Umfeld-Risiken Mitarbeiter, Finanzbe- der Veriinderungen, Konkursgefahr entwicl<lungen, llliqui·
dart ex-ante nichl Finanzbedart ex-ante ditiit, Konkursgefahr abschiitzbar schwer abschatzbar
Personale Transformationshemmnisse und denkbare Abbaumoglichkeiten stellt Tab. 8
dar.
Tab. 8: Personate Transformationshemmnisse und Abbaumoglichkeiten (eigene DarsteIIung nach Hauschildt 1993)
Hemmnisart Hemmnis- Hemmnis- MaBnahmen zum Abbau personaler Hemmnisse iiul!.erung ursachen EinzelmaBnahmen iibergreifende MaBnahmen
F iihigkeitsbarriere: kein Wissen zu wenig Bildung, zu Verbesserung von • Aus-, Fort-, ==- nich! kennen wenig Information Information und Wei!erbildung
Kommunikation F ahigkeitsbarriere keine festhallen an Gewohn- Anwendung von • Seminare, Work-==- nichl kennen Kreativiliit tem, Tabus und Werten, Kreativitiitstechniken shops, Zirkel
blockieren Bereitschafts- keine kein Interesse, kein [nformation, Partizipation, • Motiva!oren barriere Motivation Impuls, kein Bediirfnis, Pramiensysteme, => nicht wollen keine Akzeptanz Fiihrungsgrundsatze • Promotoren Berei!schafts- keine Furcht, Angst .kein Verlierer", Einsatz barriere Sicherheil von Hygienefaktoren, • Hygienefaktoren => nichl wagen Einsatz der Psychoiogie
Jede Verlinderung ist Chance und Bedrohung fUr die Mitarbeiter (RUEPP 1993, 27). In
dieser Situation sind "Agenten des Wandels", "Change Agents" oder "Transformations-
32
agenten" hilfreich, die das Transformationsprojekt gemeinsam mit den beteiligten Mit
arbeitem steuem und unterstUtzen. Die Mitarbeiter sollen sich von bisherigen Auffas
sungen, Werten und Erfahrungen losen und schnell neue Kompetenzen, Initiativen und
innovative Aktivitaten zeigen, obwohl sie die Bedrohung ihrer Arbeitsplatze erleben
und ihre bisherigen Netzwerke zusammenbrechen (v. ROSENSTIEL 1994, 6f.).
WITTE (1973) hat im Rahmen seiner groBen Untersuchung zum Innovationsmanage
ment ein Konzept zur Uberwindung und Handhabung von Widerstiinden entwickelt, das
Promotorenmodell. Promotoren sind Personen im Untemehmen, die
• den InnovationsprozeB starten und aktiv fcirdem,
• sich mit personlichem Engagement einsetzen,
• ihr Aktivitatsniveau nicht absinken lassen und
• eng mit dem Team zusammenarbeiten.
Vertiefende Literatur findet sich bei WITTE 1976, 1988; HAUSCHILDT, CHAKRABARTI
1988; HAUSCHILDT 1989,1993; BITZER, POPPE 1993; GEMUNDEN, WALTER 1995.
Nicht nur sachlich-technische Hindernisse erschweren den VeriinderungsprozeB, ergiinzt
und verstarkt werden sie durch personelle Hindernisse. Yom Wandel betroffene
"Opponenten" spielen die Rolle des Verhinderers. Ihren Widerstand konnen
"Promotoren" iiberwinden. Nach ihren EinfluBquellen werden verschiedene Typen von
Promotoren definiert (vgl. Tab. 9).
Tab. 9: Typen und Machtquellen von Transformationspromotoren (in AnIehnung an HAUSCHILDT,
CHAKRABARTlI988, 383; GEMUNDEN, WALTER 1995, 975)
Machtpromotor Fachpromotor ProzeBpromotor
• gegen Willensbarrieren • gegen Fahigkeitsbarrieren • gegen Strukturbarrieren • hierarchisch oben • hat Expertenwissen • hat Organisationskenntnis • gibt Ressourcen • enlwickelt A1ternativen • kennt aile Wichtigen Leute • setzt Prioritaten • kennt kritische Details • schaff! Verbindungen • blockert Opposition • beurteilt externe Losungen • iiberbnickt Sprachbarrieren • Personalentscheidungen • realisiert Konzepte • planVorganisiert den Ablauf
In Erganzung zu diesen drei Promotorentypen existiert ein Beziehungspromotor, der
inter-organisationelle Promotoraufgaben wahrnimmt. Dieser nutzt ein vorhandenes
Netzwerk und besitzt die Fiihigkeiten, neue Netzwerkbeziehungen aufzubauen.
33
Promotoren konnen Innovationswiderstiinde u.a. dadurch iiberwinden, daB sie Oppo
nenten in den VeranderungsprozeB einbinden (WITTE 1976, 324, KALUZA 1982, 408).
Opponenten
• wehren sich gegen Veranderungen,
• schaffen organisatorische Oppositionsfelder,
• verzogem / verhindem den InnovationsprozeB,
• bleiben im Hintergrund,
• decken Informationsliicken auf,
• antizipieren Widerstande und Risiken und
• stellen Wirksamkeit der MaBnahmen in Frage.
WITTE unterscheidet fiinf empirisch signifikante Promotoren-Strukturen, die Gespann
struktur, einseitige Machtpromotoren, einseitige Fachpromotoren, Personalunion von
Fach- und Machtpromotoren und Strukturen ohne Promotoren. Empirische Befunde
zeigen eine hohe Uberlegenheit der Gespann-Struktur (WITTE 1973, 19ff.). Die am
TransformationsprozeB beteiligten Gruppen unterscheiden sich durch ihr Unterstiit
zungs- bzw. Widerstandsverhalten. Je nachdem, ob sie einen unterstiitzenden oder
hemmenden EinfluB haben, kann das Promotoren- und das Opponenten-Gespann un
terschieden werden. Organisatorische MaBnahmen konnen Promotoren-Strukturen for
dem, insbesondere individuelle Freiraume, Teamarbeit und spezifische Kommunikati
ons- und Kooperationsformen fUr Promotoren.
In ehemalig planwirtschaftlichen Organisationen sind ausgepragte Promotorenstruktu
ren vorhanden, nicht nur in Form von "Seilschaften". Es ist eine Herausforderung des
Transformationsmanagements, sie zu erkennen und transformationsforderliche Teile
solcher Strukturen zu nutzen und hinderliche Strukturen zu beseitigen.
2.2.2.3 Business Reengineering
Modemes, westliches Management wurde und wird in Osteuropa vielfach als Allheil
mittel fUr aile anstehenden Transformationsprobleme gesehen, nicht nur von einheimi
schen Untemehmen, auch von westlichen Untemehmensberatem und Managementtrai
nem (PIEPER 1993, If.). Fiir keinen Managementansatz gilt dies so wie fUr das Business
Reengineering, das zu Beginn der 90er Jahre, zeitgleich mit den ersten Transformati-
34
onsbemiihungen in Osteuropa, popular wurde (WOMACK, JONES 1991; HAMMER,
CHAMPY 1995; CHAMPY 1995; HAMMER 1995).
Business Reengineering soIl helfen, dem Wandel oder den Veranderungen der Unter
nehmensumwelt, die auf die Unternehmen einwirken, durch radikales Umdenken und
Verhaltensanderung der Mitarbeiter zu begegnen. Dazu soIlen die geschiiftlichen Pro
zesse fundamental iiberdacht und umgeformt werden mit den Zielen Kostensenkung,
Qualitatssteigerung, Serviceverbesserung und Effizienzsteigerung.
Wichtigste Elemente des Business Reengineering sind a) die ProzeBorientierung, u.a.
durch ProzeBverantwortliche und ProzeBteams (GAITANIDES 1994, OSTERLOH, FROST
1994, HAMMER, CHAMPY 1995), b) der Abbau von Innovationswiderstanden (MORRIS,
BRANDON 1994), c) der Einsatz von Promotoren ("Leader") (DIXON 1995), und d) einer
Projektorganisation fUr die Umsetzung des Reengineering.
HAMMER und CHAMPY (1995, 16) sind der Uberzeugung, daB Business Reengineering
in kleinen, vorsichtigen Schritten nicht zu verwirklichen ist. Neben diesem radikalen
Ansatz, mit der "Cowboymentalitat" Veranderungen schnell und bedingungslos durch
zufiihren (SERVATIUS 1994b, 11), wird eine gemiiBigtere Variante, das evolutionare Re
engineering, diskutiert.
Radikale umgestaltung von Schliisselprozessen
VOIIlandene lItruklur iindert slch scMt\weise
Business Reengineeri1g
RadOOiie Vemnderungen
EvokJIorische Managemenlansalze
Kontinuief1iche Veroesserungen
Abb. 11: EvoIutionlires Business Reengineering (nach SERVATIVS 1994b, 12)
35
Veriinderungen sollen beim evolutionaren Reengineering nicht radikal in Quanten
spriingen erfolgen, sondem in einem kontinuierlichen, andauemden ProzeB. Das Ziel
der Kosten-, Qualitats-, Service- und Innovationsf'iihrerschaft wird jedoch auch beim
evolutionaren Reengineering angestrebt. Die Aufgabe, neue, am Kunden ausgerichtete
Untemehmensprozesse aufzubauen, urn wettbewerbsstark aufzutreten, ist oberstes Ziel
des evolutionaren Reengineering. Nur bei der Losung dieser Aufgabe unterscheidet sich
das evolutionare Reengineering yom Business Reengineering. Abb. 11 zeigt, wo das
evolutionare Reengineering zwischen dem klassischen Reengineering und den (noch
vorzustellenden) evolutionstheoretischen Ansatzen einzuordnen ist.
Tab. 10: Gedanken- und Umsetzungsschritte eines Business-Reengineering-Projekts
SERVATIUS 1994 HAMMER 1995 KonER 1995
1. Schrilt
2. Schrilt
3. Schrilt
4. Schritl
5. Schrilt
6. Schrilt
7. Schrilt
8. Schrilt
Die Reengineering-Ansatze sind fur westliche Untemehmensurnstrukturierungen ent
wickelt worden. Das gilt insbesondere fur die wiederkehrende Forderung nach einem
36
effizienteren Informationsmanagement, so daB eine vollige Ubertragung der Konzepte
auf Osteuropa zweifelhaft erscheint. Da die Literatur kein einheitliches Vorgehen fur die
Umsetzung eines Business-Reengineering-Projekts vorschUigt, werden in Tab. 10 ver
schiedene verstreut vorliegende Gedanken- und Umsetzungsschritte gegeniibergestellt.
2.2.2.4 Evolutionstheoretisch gepriigte Managementansiitze
Traditionelle Managementkonzepte und deren Weiterentwicklungen gehen auf die klas
sische Betriebswirtschaftslehre mit Gutenbergs faktortheoretischem Ansatz zurUck.
Ausgehend yom Rationalprinzip wurde dem dispositiven Faktor (Untemehmens
fiihrung) die Aufgabe zugewiesen, eine optimale Kombination der drei Elementarfakto
ren Werkstoffe, Arbeits- und Betriebsmittel zu planen und diese organisatorisch
gestalterisch umzusetzen. Diese mechanistische Systemkonzeption hat den impliziten
Anspruch auf exakte Ergebnisse mit Hilfe mathematischer Methoden. Daran wird zu
nachst kritisiert, daB eine exakte Steuerung des Untemehmens durch Planung anhand
von funktionalen Wirkungsmechanismen nicht moglich ist (GRIMM 1994, 17f.). Ent
sprechende Kritik findet sich in der Forderung 'nach einem Paradigmawechsel von der
Tradition des mechanistischen Ursache-Wirkung-Denkens hin zu einer Sicht offener
sozialer Systeme, die dem EvolutionsprozeB unterworfen sind (OESER 1989, 8).
Der traditionelle PlanungsprozeB mit den Managementaufgaben Zielformulierung, Pla
nung, Entscheidung, Durchfiihrung und Kontrolle wird als defizitar beschrieben. Be
griindet wird diese Kritik mit einem zu wenig prazisen Informationsstand, impliziten
Pramissen bei der Altemativenherleitung, dubiosen Ursache-Wirkungs-Beziehungen
und der Gefahr der "Paralyse durch Analyse" im Bemiihen, die zunehmend turbulente
Umwelt einzubeziehen. Eine starre Planung sei existenzbedrohend fur das Untemeh
men, weil sie Flexibilitatspotentiale verhindere (GRIMM 1994, 19f.). Diese Kritikpunkte,
die in einem im Vergleich zur osteurop1iischen Dynamik noch recht stabilen Umfeld
entstanden, ermutigen eine evolutionstheoretische Betrachtung der Transformationspro
zesse in Osteuropa. Die starre und die evolutorische Sicht sind jedoch nicht substitutiv,
sondem komplementar (BLEICHER 1995, 14).
Zu den Evolutorischen Managementansatzen zahlt die angewandte Chaostheorie
(PINKWART 1993; SERVATIUS 1994a, b), die Fortschrittsorientierung (KIRSCH 1990,
37
STRASSER 1991), der St. Gallener Ansatz (HAYEK 1972; SPRONGLI 1981; PROBST 1985;
ULRICH, PROBST 1988; MALIK 1993), das entwicklungsorientierte Management
(PROBST, NAUJOCKS 1993; KLIMECKI, PROBST, EBERL 1994), das lernfahige Untemeh
men (HOFBAUER 1992) und die Globale Orientierung (LAZLO 1992; LEONHARDT 1994).
Wiederkehrende Forderungen sind untemehmerische Flexibilitat und Lernfahigkeit.
Gestaltungsempfehlungen fUr innovationsfreundliche, lemende Organisationen
(KOHLER 1991; SATTELBERGER 1991; WOLFRUM 1994) sind auf Transformationsunter
nehmen iibertragbar. 1m Zusammenhang mit dem organisationalen Lemen werden
selbstorganisierende Prozesse favorisiert (GOMEZ 1990; WELTZ 1992; DOSI 1993). Tab.
11 zeigt verschiedene Arten organisatorischen Lemens.
Tab. 11: Arten organisatorischen Lernens (eigene Darstellung)
Zielsetzung der Typ des organisa- Lemstimuli Lemergebnisse Lemmechanismus Organisation torischen Lemens
Regeln intemer Organisations- Neuartige Proble- Intemes Justieren Reformulierung von Akti-Angelegenheiten anderung me 1m Sinne von liel: Kongruenz von on-Resultat-Bezieh u n gen und Operationen (,change') ,performance Verhalten mit Zielen, (auf Grundlage vorhande-
gaps' Standards, Quoten etc. ner Fahigkeiten der Orga-nisation)
Uberleben in der Organisations- Verwfrrendes Anpassung als liel der Akzeptanz neuer strategi-Umwelt entwicklung ,Puzzle' im Rah- Balance des Untemeh- scher Annahmen (durch
(,developmenr) men der Unter- mens mit der sich an- Umfeld-Monitoring und nehmenlUmweltbe demden relevanten strategische Neuorientie-ziehung Umwelt rung)
Vorbereitung auf Organisations- Schmerzhafte Antizipation der wahr- Vision eines neuen Kul-eine mOgliche transformation Anomalien scheinlichen lukunft turkems (durch Umgang lukunft durch Anderung von mit Unbekanntem)
Chara.kter bzw. Kultur der Organisation
2.2.2.5 Organisationstheoretische Ansiitze
Der organisationale Wandel ist traditionell Gegenstand organisationstheoretischer
Uberlegungen. In Tab. 12 werden einige zentrale Ansatze zur Beschreibung von Unter
nehmensveranderungen vorgestellt.
38
Tab. 12: Ansiitze organisationstheoretischer Transformationsforschung
Ausgangspunkt Annahmen I Hypothesen 8ewahrung Populatic?" Ecology • Historische. poIitische sozio-Okonomische und marl<tliche In mehreren Studien
HANNAN, Ansatz: Uber!eben F aktoren determinieren die Organisationsfonnen, denen ein weiterentwickelt, FREEMAN ist von extemem Fit strukturelles BenarrungsvennOgen immanent ist ganzheiUichere Sicht-
1977, 1984 der Organisation al>- • Starmen ist Ergebnis intemer sunk costs, vorhandener weise hat sich durch-hangig, Untersu- KommunikationsstJUkturen und Nonnen gesetzt, Wechselwir· chung v. Entstehung • Untemehmen sehen sich Stabilitaiserwartungen ihter Um· kungen zwischen und Niedergang von welt gegenliber. die sie erflillen mlissen, Umwelt und Unter· Oi!l3l1isaUonen • Deterministisches Verhaltnis 'M. Organisation und UmweH nehmen zulas~ Konsistenzansatz: • 1m Gegensatz zur kootingenztheoreUschen Forderung nach Mehrere Studien
MILLER, Mit Hille von Typo- schrittweisem Wandel (piecemeal change), wird radlkaler FRIESEN logien soil die Viel· Wandel (quantum change) favorisiert, troll erhOhter Orga-
1984 fait bestehender nisationskosten Organisationstypeo • Argumente gegen inkrementalen Wandel: Wandel nur reduziert werden v()((ibergehend, Desintegration, Widerstand (kognitiv, poIi·
tisch). OrganisaUonen besitzen momentum (Festhalten an bestehenden StJUkturen), das nur radikal zu andem ist
LEVY, MERRY Konsistenzansatz, Unterscheidung In planned change und second order change. Fallbeisplelhafte 1986 explizit organisaUo- Change benuht meis! nichl auf geplanten und explizit lormu· Oberpnifung
nale Transformation lierten Strategien. Second order change ist ein mulUdimen· sionaler, multilevel, qualitativer, diskontinuierticher, radikaler
I organisationeller Wandel Punctuated equili- 1.) OT tritt meist in kurzen, diskontinuierlichen Phasen des Hypolhesen wurden brium: Gleichge- Wandels auf emplrisch anhand
ROMANELU, wichtsmodell, in 2.) Kleine Veranderungen organisationaler Aktivitaten resul· einer Lebenszyklu·
TUSHMAN dem nach SICirungen Ueren nicht in einer fundamenlalen OT sanalyse von 25
1994 ein neues Gleich- 3.) Starke EinbuBen der kurzfristigen Performance einer Minicomputer-gewicht angestrebt Organisation fUhren eher zu einer radikalen OT herstellem in den wird, Unlersuchung 4.) GroBe Veranderungen im Umfeld einer Organisation USA untersucht radikaler Organisa- fUhren eher zu einer revolutionaren OT tionstransformation 5.) EinfUhrung eines neuen CEO erh6ht die Wahrscheinlich-
Hon kelt einer revolutionaren OT Proaktlve, marl<lin· Modellkomponenten: S·Kurvenkonzept, versch. Slufen der T.
VANDERMERWE duzierte Transfor· unterscheiden, Widerstanden mit dem Diffusionskonzept der 1995 mation. antizipaUve Produklinnovalion begegnen.lnhalt AntizlpaUve Transfor·
und reakUve mation (An ist essentiell fUr Marl<tfiihrer, Lemen zu Verges-Transformation sen, T.·prozesse haben 3 T.·Stufen: Aufregung, Schulung, In·
tegration, mit spezifischen Aufgaben, Nutzung des Diffusions· kon~ts zur Kalegorisierung von Transformationsbeleiligten
Ambidextrous Anforderung: Fiihigkeit, inkrementalen und revolutioniiren F allbeisplelhafte TUSHMAN, organization: Unler· Wandel zu gestalten, erfordert gegensatzliche Strukturen und Oberpriifung O'REILLY suchung inkremen· Prozesse in derselben Firma,
1996 talen und revolutio- Autonome Gruppen installieren, Anpassung der Unlemeh-naren Wandels. menskultur an die geforderte Aufgabenstellung (light-Joose-Ausgangspunkt ist Aspekt), Lemprinzip der Organisalion: Variation, Selektion, eine bestehende Retention Erfolgsposition Hauplproblem: Bereilschaft zur Kannibalisierung eigener
Produkte Prozesse Nutzung des Pro- • Prinzlpien eines PM sind universell anwendbar ,Management by jektmanagements • Problem der Entbilrokratisierung von Unlemehmen mit Hille Projects' ist prakUsch
PARTINGTON (PM) hir Produktin· der bestehenden Strukturen bedeulend, aber
1996 novationen, Be- • PM·TooIs: Proceduren: fUr die Aufrechlerhaltung eines theoretisch wenig schreibung inkre- best. Standards Plan ung: ein best. liel in einer best. ZeU. fundiert menlalen Unter· Mil best. Ressourcen erlangen, Definition des P. Ressour· nehmenswandels, cenallokatlon: P. mGssen unlemehmensintem um Res· PM als Basis eines sourcen kiimpfen Kontrolle: I.S.v. Feedback·Analysen Fo-Wandel manage- kus auf Events: Meilensteine miissen angepeill werden menls (PERT, CPM nutzen)
39
Der Ansatz des "Management by Project" (PARTINGTON 1996) ist dem in dieser Unter
suchung gewlihlten Transformationsphasenvorgehen lihnlich. Die zu definierenden Pro
jektkriterien (Ressourceneinsatz und Meilensteine) sind in ihrer Spezifitiit (MEYER
1994, 95f.) jedoch fur die Formulierung eines Transformationsprojekts zu streng. Das
Projektmanagement genugt den Anforderungen an Flexibilitat und Reagibilitat eines
Transformationsprozesses nicht. Innerhalb einzelner Transformationsphasen sind Pro
jektmanagementtechniken allerdings vorteilhaft.
Ein weiteres Argument gegen die Nutzung eines phasen- und bereichsubergreifenden
Projektmanagement in ehemals planwirtschaftlichen Untemehmen ist der Widerstand
der Generaldirektoren gegen die Abtretung von Kompetenz, die fur das Projektmana
gement essentiell ist. SHAW, FISHER und RANDOLPH (1991) haben die Auswirkungen
von Hierarchieabbau in Untemehmen der ehemaligen Sowjetunion und bei dem ameri
kanischen Telekommunikationsuntemehmen AT&T untersucht. Ergebnis dieser Unter
suchung war, daB die Wahrscheinlichkeit von Widerstand gegen das Projektmanage
ment um so gro/3er ist, je langer ein Untemehmen von extemem Wettbewerb ausge
schlossen war. Das ist bei osteuropaischen Transformationsuntemehmen die Regel
(SALMI 1996,41).
Weitere organisationstheoretische Ansatze sind gut fundiert und im westlichen Kontext
empirisch uberpriU't (ROMANELLI, TUSHMAN 1994, 1141ff.; TUSHMAN, O'REILY 1996,
9ff.). Fur osteuropaische Transformationsprobleme lassen sich Anregungen aus ihnen
ableiten. Dazu gehoren die schon auf makrookonomischer Ebene diskutierte Frage der
betrieblichen Transformationsgeschwindigkeit (z.B. Kontingenz- und Konsistenzansat
ze) und das bei den meisten Untemehmen anzutreffende Effizienz-Effektivitats
Dilemma: Transformationsuntemehmen sehen sich einem Dilemma operativ iiberle
bensnotwendiger und strategisch wUnschenswerter Entscheidungen gegenuber. Das Ma
nagement osteuropaischer Untemehmen ist hiiufig durch Unsicherheit, Orientierungs
mangel und kurzfristige Aktionen gekennzeichnet. Veranderungen der Umfeldfaktoren
wird eher reaktiv als antizipativ begegnet. Diskontinuitatenmanagement findet nicht
statt, kurzfristig notwendige MaBnahmen dominieren. Die Entwicklung von Strategien
fur langfristige Erfolgspotentiale spielt kaum eine Rolle.
40
Abgesehen von den transformationsimmanenten Umfeldproblemen stehen mangelnde
Effizienz und Effektivitat einer betrieblichen Transformation im Wege: Planwirtschaft
liche zentralistische Strukturen, hierarchisches Denken, eine bloB reaktive Haltung, die
traditionelle Mengen- und Produktionsorientierung, veraltete Produktionsanlagen und
mangelnde Motivation, unbefriedigende Produkte und Leistungen. Es gibt kaum Markt
forschung zur Ermittlung der Zielkundenwiinsche. Marketing war unter Verkaufer
marktbedingungen unnotig, seine Entwicklung ware eine effektive Investition, wfude
aber zunachst den kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolg beeintrachtigen (HEIMERL
WAGNER 1994, 346).
Zusammenfassend lautet das Dilemma: Effektivitatssteigernde MaBnahmen zur Verrin
gerung des internen Selektionsdrucks (Widerstand der bestehenden Strukturen) wie De
zentralisierung, Marktorientierung, Aus- und WeiterbildungsmaBnahmen erfordern In
vestitionsmitte1, die kaum zur Verfiigung stehen. Effizienzsteigernde MaBnahmen wie
Rationalisierung und Kostensenkung erhOhen den internen Selektionsdruck und gefalrr
den die Motivation (HANNAN, FREEMAN 1977, 930). Neben den internen Selektions
druck tritt starker externer Selektionsdruck insbesondere durch den Zusammenbruch
von Absatzmarkten. Er ist um so groBer, je dynamischer die Umfeldveranderungen sind.
Transformationsunternehmen haben in dieser Situation die strategischen Optionen der
Effektivitats- und der Effizienznotwendigkeiten auszuwiihlen und kOJ11binieren.
• Senkung des externen Selektionsdrucks bei konstantem kurzfristigen internen Selek
tionsdruck (Effizienzsteigerung)
• Senkung des internen Selektionsdrucks bei konstantem kurzfristigen externen Selek
tionsdruck (Effektivitatssteigerung)
• Kombination aus beiden.
Abb. 12 zeigt vier stratgeische Verhaltenstypen aus diesen beiden Optionen. MILES und
SNOW (1986) gehen von der These aus, daB sich Reactor-Organisationen, wie sie haupt
sachlich in Osteuropa anzutreffen sind, an einem der drei anderen Typen (Defender,
Prospector, Analyzer) orientiert sein mfissen.
41
hoch DEFENDER
effizienzorientierte Organisationen
o Transfonnation: Etablierung in stabiler
Nische ....
REACTOR ....
/--~ .. .. Kombination aus 0 und f)
.l trategische meuerung E
intemer Selektions
druck ANALYZER
" PROSPECTOR ~ Ir
Innovation als iangfristige effektivitatsorientierte Existenzsicherung Organisationen
niedrig
niedrig eidemer Selektionsdruck hoch
Abb. 12: Strategische Traosformatioosoptiooeo (oach HEIMERL-WAGNER 1994,352)
Eine ahnliche Typologie der in der vorliegenden Studie untersuchten Unternehmen und
den sich daraus ergebenden strategischen Implikationen wird in Abschnitt 5.3.2 und Ka
pitel 6 vorgestellt.
Eine weitergehende Darstellung der Theorieansatze des Change Management, des Inno
vationsmanagement, des Reengineering und des evolutorischen Management fiir Trans
formationsprobleme osteuropliischer Unternehmen findet sich bei DRONER (1997).
2.2.3 Individuelle Transformationsansiitze
Die wirtschaftliche Transformation in Osteuropa vollzieht sich nicht nur auf der makro
okonomischen und der betrieblichen Ebene, auch das einzelne Individuum ist im Kon
text seines betrieblichen und privaten Umfeldes einer grundlegenden Wandlung unter
worfen. Dabei kann von einer wechselseitigen Beeinfiussung, Forderung oder Behinde
rung der jeweiligen Transformationsprozesse ausgegangen werden. Wenn die "Trans
formation im Kopt" der Entscheidungstrager und Mitarbeiter nicht vollzogen wird, wer
den betriebliche und gesellschaftliche VeranderungsmaBnahmen blockiert und konnen
weder mittel- noch langfristige Wirkungen entfalten.
Ohne die friihzeitge Einbindung der Mitarbeiter in die Umstrukturierungsplanung und
die entsprechende Vorbereitung der "Brain ware" waren auch Wandlungsprojekte auch
42
in den an eine vergleichsweise hohe interne Dynamik gewohnten westlichen Unterneh
men zum Scheitern verurteilt (WITI 1996, S. 175, TROMMSDORFF 1995, S. 1 ff.,
GMONDEN, WALTER 1995).
Die bereits in Teil 2.2.2 angesprochene Diskussion fiber Innovationswiderstande bei
Wandlungsprozessen im Rahmen des Innovationsmanagement bestiitigen ebenfalls die
groBe Rolle, die personliche Wahrnehmung, Einstellungen, Motive, Wandlungsfahigkeit
und -bereitschaft fUr den Erfolg betrieblicher Veriinderungsprozesse hat. Fiir HAU
SCHILDT (1993) und WITI (1996, S. 22 ff.) ist beispielsweise die individuelle Verande
rungsbereitschaft der zentrale Erfolgsfaktor fUr den kreativen ProzeB und das Gelingen
unternehmerischer ProzeBinnovationen.
1m folgenden werden fUr die vorliegende Studie ausgewiihlte Ansatze vorgestellt, die
Ebenen, Prozesse und Typen der individuellen Transformation beschreiben bzw. erkla
renhelfen.
2.2.3.1 Ebenen der personlichen Transformation
Hauptproblem fUr die individuelle Wandlung im Rahmen einer gesellschaftlichen Sy
stemtransformation ist die Notwendigkeit einer gleichzeitigen Neuorientierung in meh
reren Lebensbereichen, wie Beruf, Privatleben oder Konsum, und in mebreren BewuBt
seinsebenen (bewuBtenlunbewuBten, kognitivenlemotionalen. Dabei wird eine Vielzahl
fUr die soziale Orientierung elementare Werte, Einstellungen, Vorstellungen, Kenntnisse
und Lebensstile in Frage gestellt und muB aufgrund widerspruchlicher Erfahrungen und
Informationen neu bewertet werden. Die hohe Dynamik gefahrdet zudem mUbsam ge
wonnene Privilegien, die der Einzelne versucht, fiber auBere und innere Veranderungen
hinfiber zu retten.
Grundsatzlich konfrontiert die gesellschaftliche und betriebliche Transformation den
Einzelnen mit einer Vielzahl von Veranderungen, die fUr Ihn sowohl positive als auch
negative Konsequenzen haben konnen. Sie eroffnet gleichzeitig Freiraume und Poten
tiale, aktiv neues Verhalten zu probieren und personliche Ziele konsequenter zu verfol
gen als zuvor. In anderen Lebensbereichen werden solche Freiraume reduziert. Damit
43
stellt sich das Problem der individuellen Transformation als multikausales Mehrebenen
problem.
Das Schichtenmodell von DULFER (1991, 210) stellt ein Geriist fUr die Systematisierung
unterschiedlicher EinfluBfaktoren auf das Verhalten des Managers dar. Es unterteilt die
betriebliche Umwelt in konzentrische Schichten, die sich von auBen nach innen zuneh
mend beeinflussen und in deren Zentrum der Manager mit seinem betrieblichen Inter
aktionsumfeld steht. Die einzelnen Schichten sind:
• Natiirliche Gegebenheiten
• Stand der Realitatserkenntnis und Verfahrenstechnik
• kulturell bedingte Wertvorstellungen
• soziale Bindungen und Beziehungen
• rechtlich-politische Normen
• Interaktionspartner und Leistungsbeziehungen
• Interne Ressourcen
Innerhalb der einzelnen Schichetn werden fUr jedes Land typsiche Umfeldfaktoren iden
tifiziert und deren EinfluB auf das Management bewertet (DULFER 1991, 198 ff.). Die
Anwendung des Schichtenmodells fUr die internationale Umfeldanalyse ermoglicht eine
systematische Darstellung typischer Faktoren fUr das Management und den internatio
nalen Vergleich, beispielsweise zwischen den Umfeldfaktoren in China und Osteuropa
(SCHUCHARDT 1994, 303).
Obwohl das System von DULFER (1991, 210) urspriinglich fUr die Darstellung nationa
ler Faktoren konzipiert war, die auf das Verhalten eines Auslandsmanagers wirken, ist
es auch fUr die Systematisierung von Ebenen geeignet, die den Transformationsprozel3
des Einzelnen beeinflussen, und die selbst im Bewul3tsein des Einzelnen einer Transfor
mation unterworfen sind. Die Ebenen des Schichtenmodells konnen also allgemein als
Ebenen der individuellen Transformation verstanden werden. Dies gilt insbesondere flir
die Ebenen "Soziale Bindungen und Beziehungen" und der "kulturell bedingten Wert
vorstellungen", mit Einschriinkungen auch fUr die Ebene "Stand der Realitatserkenntnis
und Technologie", wozu auch Sprache und Denkformen zu rechnen sind.
44
Die in der internationalen Managementliteratur kontrovers diskutierten Kulturdimen
sionen des Anthropologen HOFSTEDE (1993) stellen einen weiteren Ansatz fUr die Er
mittlung kulturspezifischer Wandlungsebenen dar. Die fiinf Dimensionen fUr den inter
kulturellen Landervergleich sind:
• Machtdistanz groB I gering
• Individualismus I Kollektivismus
• Maskulinitat I Feminitat
• Unsicherheitsvermeidung I Risikoneigung
• Europaische I Asiatische Denkformen
HOFSTEDE (1980, 1984) hatte in seiner 1993 aktualisierten empirischen Studie iiber 50
Lander in ihrer Auspragung beziiglich dieser Dimensionen bewertet und in Positionie
rungsmodellen gegeniibergestellt. Trotz der teilweise berechtigten Kritik an der empiri
schen Fundierung der landerspezifischen MeBwerte und der im Detail oft stark verein
fachten Operationalisierung der Indikatoren bieten die fiinf Basisdimensionen einen
anschaulichen Rahmen fUr die qualitative Diskussion fallbezogen gewonnener explora
torischer Daten.
2.2.3.2 Ansiitze zu personlichen Transformationsprozessen
FUr die Darstellung und Analyse der individuellen Transformationsprozesse werden im
folgenden ausgewahlte theoretische Ansatze dargestellt und bewertet.
2.2.3.2.1 Vorwissenschaftliche Ansiitze
Die personliche Wandlung als krisenhafter ObergangsprozeB von einem Zustand der
individuellen Entwicklung zu einem anderen ist eines der zentralen Themen des
Menschseins. Sie spielt daher auch in den meisten Schriften aller Traditionen zur per
sonlichen Entwicklung eine bedeutende Rolle. Ansatze zur personlichen Wandlung und
Transformation finden sich entsprechend seit dem Altertum in einer Vielzahl von philo
sophischen, religiosen, kiinstlerischen, mystischen und volkerkundlichen Oberlieferun
gen nahezu aller Kulturkreise. Beispiele finden sich in agyptischen, griechischen, romi
schen, indianischen oder asiatischen Dokumenten. GleichermaBen.
45
Das im asiatischen Kulturkreis verwurzelte "Buch der Wandlungen" (WING 1982) bei
spielsweise legt (wie die Mehrzahl der europaischen Uberlieferungen) eine personliche
Entwicklung nach einem mehr oder weniger komplexen Stufenmodell zugrunde und
gibt Handlungsempfehlungen fUr die jeweiligen Phaseniibergange.
Mythen und Dramen portratieren ebenfalls menschliche Wandlungsprozesse.Auf der
Suche nach vorwissenschaftlich iiberlieferten, individuellen Transformationsansatzen
bieten sich daher Heldenmythen und -dramen an. Der Anthropologe CAMPBELL (1978)
weist interessanterweise in seinem Werk "Der Heros in tausend Gestalten" eine nahezu
kulturunabhangige Wandlungslogik nach, die in unterschiedlichen Kulturkreisen in
HeIdenmythen tradiert wurde. Aus einer langjiihrigen weltweit kulturvergleichenden
Inhaltsanalyse von Marchen leitet er einen gleichartigen individuellen WandlungsprozeB
ab, den er als "HeIdenzyklus" bezeichnet. Dabei identifiziert er zunachst den Heiden
grundsatzlich als die Figur, die eine personliche Wandlung vorantreibt. Wiihrend des
Prozesses entstehen in fast allen Uberlieferungen drei Ebenen des Widerstandes, die der
sich Wandelnde iiberwinden muB. Die drei Ebenen des Widerstandes sind
• Tragheit, sich iiberhaupt auf den WandlungsprozeB einzulassen,
• Widerstand der von der Veranderung tatsachlich oder vermutlich bedrohten personli-
chen Qualitaten und
• tattsachlicher Verlust der durch die Wandlung aufgegebenen Qualitaten.
Interessant ist dabei, daB in den traditionellen Uberlieferungen der Protagonist selten
genau das erringt, weswegen er sich zunachst auf die Wandlung eingeIassen hat, was auf
eine auch betrieblichen Prozessen innewohnende Dynamik der Systeme hinweist.
2.2.3.2.2 Sozialwissenschaftliche Ansiitze
Ais Basis fUr eine sozialwissenschaftliche Analyse der individuellen Transformation
kommen indiviual- und sozialpsychologische Ansatze in Frage.
Die individualpsychologischen Ansatze zur Wandlung sind vor allem in der urspriing
lich stark psychoanalytisch ausgerichteten Entwicklungspsychologie und darnit in der
Psychologie Sigmund FREUDS und C. G. JUNGS begriindet. Wiihrend Freud im Rahmen
seines psychoanalytischen Ansatzes noch voneinem weitgehend triebgesteuerten Ent
wicklungsprozeB ausging, der durch die friihkindlichen Erlebnisse und erzwungene
Sublimierungen beeinfluBt wird, ftihrt JUNG (l985a, S. 7 ff.) eine steuemde Kraft des
46
kollektiven UnbewuBten ein, das unabhangig von der personlichen Geschichte, wachs
tums- und Konfliktsituationen pragt. Auch Jung greift fUr seine Argumentation auf
iiberlieferte Mythen und Marchen zuriick, in denen er Manifestationen der gesammelten
kollektiven Entwicklungserfahrung eines Kulturraumes sieht (JUNG 1985b). Injiingerer
Zeit beginnt sich auch in einigen psychologischen Schulen ein zunehmend prozessualer
Ansatz durchzusetzen (SCHELLENBAUM 1991). Die entwicklungspsychologischen Mo
delle gehen jedoch zumeist von selbstinduzierten und damit von personlichkeitsindu
zierten Veranderungsprozessen aus. Sie sind damit (ebenso wie die unterschiedlichen
Sozialisierungsmodelle mit Kindheits- und Pubertatsbezug) fUr eine Analyse der durch
eine Systemtransformation induzierten personlichen Wandlung nur begrenzt geeignet.
Weitere sozialpsychologische Ansatze zur Beschreibung individueller Wandlungspro
zesse finden sich beispielsweise in behavoristischen und kognitivistischen Lemtheorien
und in der Theorie des Konsumentenverhaltens (KROEBER-RIEL 1992, TROMMSDORFF
1993). 1m Sinne des "Marketing nach innen" (BRUHN 1995), das im Innovationsmana
gement eine Rolle spielt, kann die personliche Wandlung auch als gesellschaftlicher
oder innerbetrieblicher Diffusionsvorgang von Wissenselementen, Wahrnehmungen,
Einstellungen, Werthaltungen interpretiert werden, der in veranderten Verhaltenweisen
resultiert und durch Marketinginstrumente beeinfluBt wird. Ahnlich der produktbezoge
nen Marketingkommunikation entstehen durch das AufeinanderstoBen alter und neuer
Informationen, Realitatsinterpretationen, Werthaltungen und Einstellungen kognitive
und emotionale Dissonanzen, die ein Kommunikationskonzept gezielt auflosen kann.
Damit konnen auch die in der Theorie zum Konsumentenverhalten entwickelten Erkla
rungsansatze fUr eine Analyse und Interpretation der individuellen Transformationspro
zesse herangezogen werden. In Anlehnung an TROMMSDORFF (1993, S. 29 ff.) lassen
sich fUr die Beschreibung der individuellen emotionalen und kognitiven Prozesse grund
satzlich Zustandskonstrukte, wie
• Aktivierung,
• Involvement,
• Wissen,
• Einstellungen,
• Werte und
• Lebensstile unterscheiden von den Konstrukten, die die Stufen der Informationsverarbeitung beim
Empfanger beschreiben, wie
47
• Informationsaufnahme,
• Informationsverarbeitung,
• Entscheidungsfmdung und
• Verhaltensanderung.
Die Zustandskonstrukte korrespondieren mit den Ebenen der Transformation, wie sie
oben im Rahmen des Umweltschichtenmodells erHiutert wurden. Die ProzeBkonstrukte
werden als theoretischer Rahmen fUr die Diskussion der Transformation auf der indivi
duellen Ebene herangezogen und dienen gleichzeitig als gedankliche Grundlage fUr
mogliche Empfehlungen der Transformationsuntersrutzung.
2.2.3.3 Typen der personlichen Transformation
Dariiber hinaus lassen sich fUr die individuelle Ebene in Anlehnung an die Adoptionsty
pen im NeuproduktdiffusionsprozeB (ROGERS 1962) folgende Transformationstypen
identifizieren, die unterschiedlich auf neue Informationen, Werte, Interpretationen oder
auch Managementmethoden reagieren:
• Innovatoren
• Frtihadoptierer
• Frtihe Mehrheit
• Spate Mehrheit
• Nachziigler
Diese Transformationstypen reflektieren analog zu den Adoptionstypen ein unter
schiedliches Aufnahmeverhalten gegeniiber neuen Denk- und Handlungsmustern und
werden ebenfalls in der Diskussion der individuellen Transformation zugrunde gelegt.
48
3 Zwei Fallstudien zur Einitihrung
Bei der Generierung von durchschlagenden Faktoren fiir den Erfolg oder MiBerfolg von
Unternehmen in Osteuropa der Gegenwart mussen Infonnationen aggregiert und abstra
hiert und damit reduziert werden. Damit dem Leser der Blick fiir die kompIizierte
Wirklichkeit nicht verloren geht, seien zwei Fallstudien typischer Unternehmen der
weiteren (theoretischen) Analyse vorangestellt, so daB die reale Komplexitiit des Trans
fonnationsprozesses ehemalig planwirtschaftlich organisierter Unternehmen auf dem
Gebiet der GUS anschaulich gemacht wird.
Es wird dabei ein empirischer Fallstudienansatz zugrundegelegt. Die Fallmethode kon
zentriert sich im Gegensatz zu quantitativen Ansatzen der empirischen Sozialforschung
auf wenige spezifische Einzelfalle und sucht dort alle relevanten Faktoren zu erfassen.
Sie wird zu den induktiven Verfahren gerechnet und solI dem Leser in erster Linie der
Exploration dienen (TROMMSDORFF, WILPERT 1994), sie wird aber auch zur Abgren
zung von Problemfeldern und zur Ableitung von Hypothesen verwendet (Kapitel 6).
3.1 Rakonfi
AO Pischtschekombinat RAMENSKIJ
140100 Moskowskaja Oblast Gorod Ramenskoe Uliza Nowaja, Dom 6
3.1.1 Historie
Der Lebensmittelbetrieb wurde im Jahre 1935 fiir die Gemuseverarbeitung gegrundet
und stellt seit 1957 SiiBwaren her. Bereits 1986, zum Anfang der Perestroika, begann
das Management, die neu gewonnenen Freiheiten intensiv zu nutzen. Der Schwerpunkt
der Produktion wurde auf die Mangelware Schokoladenkonfekt ausgerichtet, der uber
durchschnittlich hohe "Gewinn" zum Teil fiir betriebliche Sozialleistungen und Pramien
verwendet. Seit dem Inkrafttreten des "Gesetzes uber den Staatsbetrieb" (1988) lasteten
Staatsauftrage nur noch etwa 90% der Produktionskapazitiiten aus. Daruber hinaus pro
duzierte Ware durfte der Betrieb an frei ausgewahlte Kunden verkaufen und dabei die
Preise in gewissen Grenzen aushandeln.
49
Der Direktor des Untemehmens, Alexander Schinkarew, besucht seit 1989 Weiterbil
dungskurse an einer Moskauer Businesschool. Er wollte so schnell wie moglich volle
wirtschaftliche Unabhangigkeit erreichen und tiberzeugte die Belegschaft, sich yom
Agro-Kombinat loszusagen und die Betriebsmittel zu pachten. Die Vorbereitungsphase
fUr diesen Schritt dauerte etwa ein Jahr. Einige Mitarbeiter, die marktwirtschaftlich
nicht aufgeschlossen waren und nicht als Miteigenrumer in Frage kamen, wurden ent
lassen. Dieses damals fast unglaubliche Verhalten zeigte die Entschlossenheit und den
Mut des Managements. Die Betriebsmittel sollten aus ktinftigen Gewinnen gekauft wer
den. Die Einschatzung ihres Werts war Gegenstand und Streitpunkt langer Verhandlun
gen mit den BehOrden. Ende 1990 war der Pachtvertrag geschlossen. Das Untemehmen
muBte zwar immer noch zu 80% Staatsauftrage ausftihren, doch war dafUr die Beschaf
fung der Rohstoffe groBtenteils gesichert. AuBerdem erhielt RAKONFI das Recht, den
Gewinn nach Abzug der Steuem frei zu verwenden und die Investitionspolitik selbstan
dig zu bestimmen.
Ab 1991 vvurde das QualitatsbewuBtsein der Mitarbeiter, vor allem durch Priimien fUr
niedrige AusschuBraten, gestarkt. Schwund durch Diebstahl, der frtiher trotz aller Kon
trollmaBnahmen zum Alltag gehOrte, gab es so gut wie nicht mehr, die Arbeitsdisziplin
verbesserte sich erheblich. FUr die Qualitatsprodukte des Untemehmens gab es genti
gend zahlungskraftige Handelskunden. Das Hauptproblem war die Beschaffung. Die
Engpasse wurden nicht mehr nur durch Lagerhaltung (dafUr wurden die Umlaufrnittel
als zu schade angesehen) ausgeglichen, sondem durch eine flexible Beschaffungspolitik
in der Lieferantentreue belohnt wurde.
Nach der Freigabe der Preise Anfang 1992 sank die Kaufkraft der Bevolkerung rapide,
und der Verbrauch von StiBigkeiten ging stark zurtick. Der Konkurrenzdruck wurde zu
diesem Zeitpunkt ebenfalls starker. In Moskau befinden sich mehrere groBe Untemeh
men, z.B. die Konditoreifabrik ROTER OKTOBER mit einem Produktionsvolumen von ca.
60.000 TonnenlJahr, die durch Kostendegressionsvorteile GroBhandler billiger belief em
konnen. Die nur 50 km von Moskau entfemte Fabrik RAKONFI produziert von ver
gleichbaren, nicht patentgeschtitzten Standardprodukten im Durchschnitt nur ca. 2.000
TonnenlJahr.
50
RAKONFI besaB bereits vielversprechende eigene Entwicklungen, wn sich gegenuber der
Konkurrenz zu profilieren, brauchte aber dringend Modernisierungsinvestitionen. Fiir
langfristige Kredite verlangten die Banken untragbar hohe Zinssiitze. In der Hoffnung
auf KapitalzufluB wurde die Rechtsform geandert: Mitte 1992 wurde eine AGoT
(Aktiengesellschaft offenen Typs) gegriindet, was sich als Fehlentscheidung erwies. Da
noch kein funktionsflihiger Wertpapiermarkt existierte und die Dividendenaussichten
gering waren, konnten kawn Investoren gewonnen werden. Die wenigen extemen Akti
eninhaber blockierten Modernisierungsentscheidungen, da sie ausschlieBlich an Speku
lationsgewinnen interessiert waren. Daher schien dem Direktor die Rechtsform der
AGgT (Aktiengesellschaft geschlossenen Typs) fUr die betriebliche Transformation bes
ser geeignet. Ende 1994 gelang es, praktisch alle Aktien wieder im Untemehmen zu
vereinigen und eine unabhangige Geschaftspolitik und Umstrukturierung anzugehen.
Aufgrund der Zunahme von Importen sank 1993 die Nachfrage nach RAKONFI
Produkten. Die Verbraucher waren auf die verlockend verpackten Riegel und Bonbons
aus dem Ausland neugierig und wollten die aus Filmen bekannten Attribute des
"westlichen Lebens" kosten. Auslandische SiiBwaren erreiehten einen Marktanteil von
30%, dazu kamen ca. 10% illegal importierte Waren. Da RAKONFI nieht uber ausrei
chend finanzielle Mittel verfiigte, wn die Produktionspalette schnell zu emeuem, wurde
vorerst mit bestehenden Produkten weitergearbeitet.
Das Management erkannte, daB die Tiitigkeit aller Untemehmensbereiche letztendlich
der Zufriedenheit der Kunden dienen sollte. So wurde z.B. die Auftragsabwicklung neu
definiert, langjiihrig gewachsene biirokratische Prozeduren wurden abgeschafft. Fiir eine
wirkungsvolle bereichsubergreifende Zusammenarbeit bei der Bearbeitung der Kunden
auftriige entwickelten sich zunehmend horizontale Informationsflusse.
Abb. 13 zeigt die Absatzentwicklung von 1991 bis 1995. Ais Erfolg bewertete das Ma
nagement die Tatsache, daB die Fabrik nicht einen Tag stillstand, alle produzierten Pro
dukte abgesetzt werden konnten und die Liquiditiit gesichert war, obwohl viele groBere
Untemehmen der Branche monatelang stillstanden und uberschuldet waren. Anderseits
verbreitete sich die emuchtemde Erkenntnis, daB die Emeuerung der Produktionspalette
und die Eroberung neuer Marktanteile mehrere Jahre dauem wiirde. Die als produkti
onsfeindlich angesehene Steuerpolitik des Staates, die Marktmacht der GroBuntemeh-
51
men und die sinkende Kaufkraft der Bevolkerung erwiesen sich als anhaltende Phano
mene. Vor allem Investitionen in das Hwnankapital wurden als strategische Notwendig
keit erkannt. Aile Fiihrungskrafte der mittleren Ebene lieBen sich auf Kosten des Unter
nehmens weiterbilden. Mit gezielten SchulungsmaBnahmen unterstiitzte der Direktor die
Entwicklung des Qualitats- und KostenbewuBtseins der Mitarbeiter.
Tonnen 2500 •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
2000 ~ •••••••••••••••••••••••••••••••••• --+
1500 ••••••••••••••••••••••••••••••• ~ ••••••••••
1000 •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
·500 •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
O+--------r------~~------,--------,
1991 1992 1993 1994 1995
Abb. 13: Entwicklung des Produktionsvolumens (eigene Darstellung)
Wegen des permanenten Krisenzustandes im Land erschien es besonders wichtig, die
Mitarbeiter finanziell und psychologisch zu unterstiitzen. Da die jiihrliche Dividende
eines Betriebsangehorigen nur etwa 30 bis 50 Dollar ausmachte, blieben die Lohne und
Geh1ilter die Hauptquelle der Existenz. Hauptanstrengung von RAKONFI war deshalb,
die Lohne jeden Monat regelmiillig auszuzahlen, wiihrend viele Untemehmen in RuB
land die Lohnzahlungen permanent verzogerten, wn andere Schulden zu begleichen.
Wegen der Preissteigerungen bei Lebensmitteln pachtete das Untemehmen Anbauland
von der Gemeinde und iiberlieB jedem seiner AngehOrigen kostenlos ein Grundstiick fiir
den Gemiiseanbau. RAKONFI iibemahm auch die Kosten fUr die Betreuung der Kinder
der Mitarbeiter und forderte die Verpflegung in der eigenen Kantine zu 70%. Durch
diese betrieblichen Sozialleistungen kann die Produktivkraft der RAKONFI-Belegschaft
voll fiir das Untemehmen genutzt werden, da niemand zur Existenzsicherung einen
zweiten oder gar dritten Job annehmen muB, wie dies in RuBland z.Zt. die Regel ist.
1994 setzte sich die GewiBheit durch, daB RAKONFI am Markt bestehen kann. Zwar la
gen die Absatzzahlen noch ein Drittel unter dem Niveau von 1991, aber der Umsatz
wurde iiberwiegend mit hochwertigen Produkten zu adaquaten Preisen erzielt. Alle min-
52
derwertigen Produkte waren aus der Produktpalette eliminiert. Das Unternehmen hatte
keine Schulden und finanzierte bedeutende Investitionen aus Gewinnen, z.B. den Kauf
einer modernen Verpackungslinie und von LKWs sowie den Bau von Garagen.
Das Unternehmen verdankt seinen Erfolg vor allem dem wirtschaftlichen Talent, der
Energie und der sozialen Intelligenz des Direktors Alexander Schinkarew. Seine cha
rismatische PersBn1ichkeit trieb den Wandel im Unternehmen voran. Er erklarte den
Mitarbeitern seine Vision und begeisterte sie, fUr ihre Verwirklichung einzutreten. Er
ging oft in die Abteilungen und die Werkhalle, ermutigte die Mitarbeiter und erklarte
ihnen den Sinn der Veranderungen. In Anbetracht des permanenten Wandels im Umfeld
war es dringend notwendig, fUr die Transformation im Unternehmen eine Gruppe von
selbstverantwortlich handelnden Akteuren heranzubilden. Das mittlere Management er
hielt den Uberblick tiber den gesamtbetrieblichen Leistungserstellungsprozel3 und die
Kompetenz, in enger Zusarnmenarbeit miteinander alle bereichstibergreifenden Proble
me selbstandig zu IBsen. Der Direktor mischt sich seitdem in ihre alltaglichen Aufgaben
nicht mehr ein. Er zwang die Mitarbeiter nicht zum Wandel, sondern baute geduldig
ihre inneren Widerstande abo Er lernte selbst dazu und scheute sich nicht, Fehler einzu
gestehen. Er wurde schon seit Jahrzehnten als echte Vaterfigur aufgrund seiner ruhigen,
humorvollen Art geschatzt. Die Mitarbeiter sind emotional an ihn gebunden, weil er nie
ihr Vertrauen durch Machtmil3brauch enttauschte - z.B. betragt sein wamend der Priva
tisierung erworbener Aktienanteil nur 4%.
Die Struktur des Unternehmens ist hierarchisch, mit voneinander abgesonderten Spezi
alabteilungen und ausschliel3lich vertikalem InformationsfluJ3 (Abb. 14).
I Direktor Rechtsberater J I
I I I I I Hauptingenieur II Stellvertreter fUr Technologie II Stellvertreter fUr Okonomie II Hauptbuchhalter I
I I 1 I I Produktion I Entwicklungslabor Planung I Vertrieb I
und Beschaffung Qualitiitskontrolle Buchhaltung
Abb. 14: Organigramm RAKONFI
53
3.1.2 Planung
Noch 1991 wurden Beschaffimg, Herstellung und Absatz zu 90% von der zentralen
PlanbehOrde festgelegt. Die stark schwankende Nachfrage, das Fehlen langfristiger
Auftrage, unbekannte Lieferungs- und Zahlungstennine, unvorhersehbare Anderungen
von Preisen und Steuem erschweren vor allem die Finanzplanung erheblich. Zu Beginn
wurden die Ergebnisse von 1994 analysiert. Der Gesamtumsatz betrug 6.315 Mio. Ru
bel (ca. 2,1 Mio. US$), der Gewinn nach Abzug der Steuem 659 Mio. Rubel (ca.
220.000 US$). 5% davon wurden in Fonn von Dividenden ausgeschiittet, der Rest in die
Modemisierung des Untemehmens investiert.
AnschlieBend werden die Nachfrage und der dringende Investitionsbedarf geschatzt und
die Entwicklungen im Umfeld prognostiziert. Auf dieser Grundlage werden der Ge
samtumsatz unter Annahme einer 10%-igen Wachstumsrate und der Gewinn nach Steu
em geplant. Daraus erreehnet sieh die geplante Menge eines fiktiven Produktes mit der
durehsehnittliehen Rentabilitat des vergangenes Jahres und es wird die Menge unter
Berucksiehtigung der saisonalen Sehwankungen auf slas Monatsniveau herunter gebro
chen. Alles, was produziert wird, muB abgesetzt werden, der Lagerbestand darf 10%
nieht uberschreiten. Ausgehend yom Produktionsplan werden die Beschaffungsmengen
festgelegt, da die meisten Produkte identische Rohstoffe benOtigen.
Die monatlieh~n Einnahmen im Finanzplan ergeben sieh aus zu laufenden Preisen be
werteten geplanten Produktionsmengen. Die Ausgaben werden aufgrund der bekannten
monatlichen Zahlungsverpfliehtungen (Lohne, Steuem usw.) und des geplanten Investi
tions- und Beschaffungsbedarfs festgesetzt. Die Sicherung der tagliehen Liquiditat ist
von zentraler Bedeutung, da kurzfristige Uberbruekungskredite wegen des hohen Zinses
nieht in Frage kommen. Da sieh Geld aufgrund der Inflation grundsatzlieh nieht als
Wertspeieher eignet, ist der Kassenbestand auf 10 Mio. Rubel begrenzt ist. Bei Einnah
menubersehussen werden Rohstoffe mit hoher Haltbarkeit bevorratet. 1m FaIle eines
Liquiditatsengpasses bittet die Fabrik ihre Lieferanten urn Stundung oder ihre Kunden
urn vorzeitige Bezahlung. Dabei helfen die vertrauensvollen Beziehungen zu den Ge
schaftspartnem.
54
3.1.3 Strategie
RAKONFI sucht seine Absatzmiirkte hauptsachlich in der russischen Provinz, insbesonde
re im Norden des Landes, und konzentriert sich auf die Herstellung von Qualitatspro
dukten. Verpackung und Design der Produkte sollen ihre nationale Herkunft und die bei
den meisten Russen von Kindheit an bekannten Geschmacksrichtungen hervorheben.
Die Produktion wird allmiihlich auf selbstentwickelte und patentgeschiitzte Produkte
urngestellt. Ein Innovationsmanagement wird institutionalisiert. In der Zwischenzeit
wurde die hohe Qualitat der Standardprodukte gesichert und versucht, die Kostenvor
teile der Konkurrenten aufzuholen.
Eine hohe Bindung der Hauptkunden und Lieferanten an das Untemehmen wird ange
strebt. Das Management wird weiterhin in selbstandigem und verantwortungsbewuBtem
Handeln geschult, die Verantwortung der Facharbeiter fur die Endprodukte wird durch
Job rotation gestiirkt. Das Untemehmen wird mit modemer Informationstechnologie
ausgerustet, urn die Anpassungsfahigkeit zu verbessem. Die vorhandenen Datenbanken
sollen erweitert und mit einem einheitlichen EDV -Netz verbunden werden.
3.1.4 Marktforschung
Der stellvertretende Direktor fur Okonomie ist personlich fur die Marktbeobachtung
verantwortlich und verarbeitet die von verschiedenen Mitarbeitem gesammelten Daten.
Aufgrund der eingegangenen Kundenauftrage und der taglichen Verkaufszahlen beur
teilt er die aktuelle Nachfrage und sucht nach GrUnden fur Schwankungen. Es gibt eine
EDV -Kundendatenbank, die Kaufgewohnheiten und spezielle Wiinsche der bei jeder
Bestellung ausfiihrlich befragten Kunden festhiilt. Hauptinformationsquellen sind Han
delsmessen, sie spiegeln das Angebot der Konkurrenz und die Anforderungen des Han
dels am besten wider. Weitere wichtige Informationsquellen sind Zeitungen, die eine
landesweite Konkurrenzbeobachtung ermoglichen, sowie Fachzeitschriften, die Anre
gungen fur Produkt- und Verpackungsideen geben.
Der Verkauf auf Wochenmiirkten in verschiedenen Regionen wird als F eldtest benutzt.
Auch das kleine Firmengeschaft dient dem unmittelbaren Kontakt mit Verbrauchem.
Die Fabrik fiihrt keine speziellen Verbraucherumfragen durch, da man sich davon keine
grundsatzlich neuen Erkenntnisse verspricht. Die in Gesprachen geaul3erten Wiinsche
55
und Einstellungen der Verbraucher sind noch sehr homogen. FUr die Entwicklung neuer
Produkte und Verpackungsmuster reichen nach Meinung der Geschaftsfiihrung qualita
tive Daten derzeit aus. Den Aussagen der Handelskunden wird weit groBere Bedeutung
beigemessen als denen der Konsumenten.
3.1.5 Produktpolitik
Nach Meinung der Geschaftsfiihrung sind die russischen Verbraucher durch die aggres
sive Werbung westlicher Produkte animiert, "den Geschmack des westlichen Lebens"
zu testen. Anderseits werden in RuBland oft westliche Waren mit auslaufenden Haltbar
keitsfristen abgesetzt, was bei den Verbrauchem Enttauschung bezUglich der Qualitat
bewirkt. In letzter Zeit besinnt man sich auf die traditionellen russischen SiiBigkeiten,
die aus Naturstoffen hergestellt sind.
Vnter EinfluB der westlichen Werbung und durch Vergleich mit westlichen Waren ent
wickelte sich bei den russischen Verbrauchem eine grundsatzlich andere Einstellung zur
Verpackung. Friiher wurden ohne Bedenken auch unverpackte Bonbons gekauft, wenn
sie gut schmeckten, wiihrend heute die alte russische Verpackung aus minderwertigem
Papier mit bleichen Farben auch bei sehr gut schmeckenden SiiBigkeiten nicht mehr
akzeptiert wird. Die Moskauer Konkurrenten haben einen groBen Vorsprung in der Ver
packung, zumal sie zum Teil schon fiiiher mit westlichen Verpackungsmaschinen aus
geriistet waren und das Papier mit modemem Design direkt von westlichen Lieferanten
bekommen. RAKONFI ist dagegen gezwungen, daB Papier zu hOheren Preisen tiber Ver
mittler einzukaufen, weil die Bestellmenge fUr eine direkte Belieferung nicht ausreicht.
Das Verpackungsdesign fUr die selbstent-wickelten Produkte wird gemeinsam mit einer
Werbeagentur entworfen. FUr die Muster auf den Pralinenpackungen werden tiberwie
gend Motive aus russischen Miirchen gewiihlt.
Es wurden Produkte entwickelt, die modem und ansprechend aussehen, durch ihre Neu
artigkeit neugierig machen sollen, aber gleichzeitig geschmacklich den Verbraucher an
die "siiBen Erlebnisse" seiner Kindheit erinnem. So ist der Schokoladenriegel LAKOMKA
(Nascher) ein Verkaufsschlager im oberen Preissegment geworden. Daneben wurden
preiswerte bunte Dragees in durchsichtiger Plastikverpackung, die Spielzeugtiere nach
bildet, entwickelt. Bei allen Produkten wird auf sehr hohe Qualitat geachtet. Da die Er-
56
teilung eines Patents auf ein neues Produkt fiber ein Jahr dauert und keinen landesweiten
Schutz der Rechte garantiert, steht das Innovationsdenken im Vordergrund: RAKONFI
will stets neue Produkte entwickeln und Nachahmem voraus sein.
3.1.6 Preispolitik
Preise werden grundsatzlich in Verhandlungen mit den Kunden gebildet. Als Anhalts
punkt dient eine monatlich aktualisierte Preisliste, die aufgrund der Abschatzung der
Nachfrage und des Vergleichs mit der Konkurrenz entsteht und die saisonale Nachfrage
schwankungen beriicksichtigt. Die untere Preisgrenze bilden die vollen Selbstkosten.
Die auch von vielen Konkurrenten hergestellten Standardprodukte werden etwas billiger
angeboten als die der Konkurrenz. Dagegen werden die originellen selbst entwickelten
Produkte im hOheren Preissegment positioniert. Sprunghafte .Anderungen der Preise
werden vermieden, urn das Vertrauen der Endverbraucher zu erhalten. Eine kontinuier
liche Preispolitik ist nur bei direkter Verbindung zum Einzelhandel moglich, denn die
GroBhandler treiben die Preise willkiirlich in die Hohe. RAKONFI versucht, die kleinen
und unerfahrenen provinziellen Einzelhandelsuntemehmen mit Hilfe von fairen Rabatt
und Skontovergiinstigungen zu treuen Geschaftspartnem und Vertretem der Interessen
der Fabrik in den Regionen zu machen.
3.1.7 Kommunikation
Der Kommunikationspolitik wird groBe Bedeutung beigemessen. Der Direktor investiert
viel in das Vertrauen der Geschaftspartner, Verbraucher und Mitarbeiter; Aufgrund
spektakularer Medienberichte und der eigenen alltaglichen Erfahrung ist das Vertrauen
der Offentlichkeit in die Anstandigkeit der russischen Untemehmer und in die Qualitat
ihrer Lebensmittelprodukte erschiittert, denn etwa ein Drittel der im Land verkauften
Lebensmittel ist minderwertig bis unbrauchbar, weil Hersteller und Handler die gesetz
lich vorgeschriebenen Qualitatszertifikate von korrupten Beamten kaufen.
RAKONFI bemiiht sich seit 1990 intensiv urn intelligente Public Relations, urn das Image
eines innovativen, integeren, nationalen Herstellers aufzubauen und zu pflegen. Die
Fabrik ist auch mit mehreren Messediplomen ausgezeichnet worden. Das Management
ist der Meinung, daB in RuBland ein Untemehmen nicht mit Hilfe der im Westen fibli
chen Mittel glaubwiirdiger gemacht werden kann. Das Prahlen mit den eigenen Tugen-
57
den nach amerikanischer Art ist der traditionellen russischen Bescheidenheit fremd und
wirkt abstoBend. Es wird versucht, die Innovativitat und humane Gesinnung des Unter
nehmens in einer Welt des "wilden Kapitalismus" herauszustellen und zieht immer wie
der die Aufmerksamkeit der Medien auf sich. 1m Laufe der Jahre sind mehrere Zei
tungsartikel in der Moskauer und der regionalen Presse erschienen. Vor dem Verkauf
einer groBen Menge ihrer SiiBwaren durch den GroBhandel der Gebietsstadt Tschel
jabinsk im November 1994 schrieb z.B. die Stadtzeitung einen begeisterten Artikel fiber
RAKONFI. Danach waren die Produkte der Fabrik schnell ausverkauft. Am eigenen
Standort Ramenskoje mit etwa 100.000 Einwohnern ist das Unternehmen :fii.r seine
langjiihrige, nicht geheuchelte Wohltatigkeit im Waisenhaus und der Behindertenschule
sowie :fii.r die Frische und Qualitat seiner SiiBwaren gut bekannt.
Die Verpackung ist nach Ansicht der Geschaftsleitung zu Zeit das wichtigste Kommu
nikationsmedium mit dem Endverbraucher. Frfiher standen Name und Adresse der Fa
brik nur sehr klein auf dem Einwickelpapier. Auf der neuen Verpackung wird seit 1994
das neue Firmenlogo abgedruckt. Der Verbraucher behiilt die geanderte Abkfirzung des
vollen Firmennamens "Ramenskaja Konditorei-Fabrik" leicht im Gedachtnis. Die bunte
Verpackung des Schokoladenriegels LAKOMKA zeigt in der Mitte den patentierten Pro
duktnamen und einen darauf sitzenden Gassenjungen. Die neuen Pralinenpackungen
zeigen die Pralinen auf einem Teegeschirr aus dem traditionellen russischen Porzellan
GSCHEL, das :fii.r seine Qualitat berfihmt ist und ebenfalls in Ramenskoje hergestellt
wird. Es wird versucht, das gute Image des "russischen MeiBen" auf die eigenen Pro
dukte zu fibertragen.
Das Unternehmen schaltet regelmiiBig auf den Handel gerichtete kurze sachliche Ver
kaufsanzeigen in den regionalen Zeitungen. Die Endverbraucher werden durch Spots in
der preiswerten Rundfunkwerbung der regionalen Sender des Moskauer Gebietes ange
sprochen. Fernsehwerbung ist:fii.r das Unternehmen zu teuer. FUr auch von der Konkur
renz hergestellte Standardprodukte wird prinzipiell keine Werbung gemacht, wei! man
damit mehr der Konkurrenz diene als dem eigenen Unternehmen. Nationale Imagewer
bung zur Produktpositionierung wird :fii.r unbezahlbar gehalten. Die Positionierung der
Produkte erfordert sowohl Qualitats- als auch KommunikationsmaBnahmen, aber die
Geschaftsleitung will zuerst aIle Moglichkeiten der Qualitatsverbesserung durch auf
wendige ModernisierungsmaBnahmen ausschOpfen, bevor sie in die Imagewerbung in-
58
vestiert. Nach Ansicht der Geschliftsfiihrung wird zur Zeit keine Werbung fUr LAKOMKA
benotigt, da die 300 Vertragskunden die Kapazitiit voll auslasten. Man will lieber alle
freien finanziellen Mittel in die Anschaffung neuer Maschinen investieren, urn eine Pro
duktionsausweitung zu erreichen.
3.1.8 Distribution
Wegen der Zollbeschriinkungen entfallen 95% des Umsatzvolurnens auf RuBland, der
Rest wird in andere GUS-Staaten geliefert. Hauptabsatzgebiet sind die naheliegenden
Regionen der russischen Provinz mit der Tendenz zur Ausbreitung nach Norden, wo die
Bevolkerung mehr als in anderen Regionen traditionellen russischen Werten verbunden
ist. Wegen der erheblichen regionalen Kaufkraftunterschiede wird das Sortiment regio
nenspezifisch segmentiert. Die Zusammenarbeit mit dem GroBhandel brachte wegen
hoher Handelsspannen iiberwiegend negative Erfahrungen. Fiir den Aufbau eines eige
nen Vertriebsnetzes fehlen Geld und Kenntnisse der ortlichen Verhiiltnisse. Verkaufs
niederlassungen aufzubauen ist kostspielig und auch fUr finanzstarke Hersteller schwie
rig, weil die ortliche Administration ortsansassige Untemehmen vor Konkurrenz von
auBen schiitzt. Der Schwerpunkt wird folglich auf den Aufbau der direkten Beziehungen
mit dem Einzelhandel gelegt, mit dem Schwerpunkt, vertrauenswiirdige Kunden auszu
wahlen und an sich zu binden.
1m Westen iibliche langfristige Liefervertriige sind wegen der hohen Unsicherheit des
russischen Umfelds eine Seltenheit, es wird ad hoc bestellt und geliefert. Die Nachfrage
nach SiiBigkeiten schwankt in RuBland saisonal. Das Fehlen gesicherter Kundenauftriige
erschwert die Finanz- und Produktionsplanung erheblich. Daher ist das Kundenrnana
gement fUr RAKONFI iiberlebenswichtig. Es wird versucht, auch mit Neukunden langfri
stige und vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen. Wegen der Schwierigkeiten bei der
Bonitiitspriifung und der Durchsetzung von Forderungen wird bei Neukunden urn Vor
kasse gebeten. Dem Kunden wird die Eimiiurnung von Skonto nach einer Probezeit in
Aussicht gestellt, weil der Einzelhandel an chronischem Geldmangel leidet. RAKONFI
fordert die vertragliche Kundenbindung durch Vorzugsbehandlung: Wenn sich ein
Handler in der nachfrageschwachen ersten lahreshiilfte zur Abnahme der vereinbarten
lahresmenge verpflichtet, sichert er sich fUr die Zeiten der erhOhten Nachfrage Liefe
rungspriiferenzen. 1995 hatte das Untemehmen ca. 300 solcher Rahmenvertriige abge-
59
schlossen. Das genaue Sortiment wird kurzfristig vereinbart und verbindlich bestellt.
Wenn notwendig, werden die Maschinen innerhalb eines Tages auf die Produktion be
stellter Waren umgeriistet und notfalls Sonderschichten gefahren. GroBere Abnehmer
holen die Waren direkt bei der Fabrik abo Um kleinere Einzelhandelsunternehmen preis
wert zu belief ern, kaufte die Fabrik drei LKWs.
Ein Drittel des Umsatzes wird mit langfristig bewiihrten Kunden erzielt. Sie werden
vertrauensvoll auf Kredit beliefert. Wenn RAKONFI Liquiditatsschwierigkeiten hat, be
gleichen diese Kunden sogar Rechnungen der Fabrik bei ihren Lieferanten. So bezahlte
z.B. ein Kunde fiir die Lieferung des neuen Verpackungspapiers, dafiir bekam er als
erster die SiiBwaren in der neuen Verpackung. Die originellen selbstentwickelten Pro
dukte der Fabrik sind begehrt, doch nur in begrenzter Menge herstellbar. Deswegen be
wegt das Unternehmen ihre Kunden dazu, die Modernisierung zinsgOnstig zu kreditie
ren und sich dadurch eine V orzugsbelieferung zu sichern.
Uber den Aufbau eines eigenen AuBendienstes wird schon lange nachgedacht, aber die
Zeit dafiir ist nach Meinung der Geschaftsfiihrung noch nicht gekommen. Es ist schwie
rig, verkaufsgewandte und vertrauenswiirdige Mitarbeiter fiir den AuBendienst zu fin
den. Die Nachwuchskrafte fiir den Vertrieb werden erst noch geschult.
Der Absatz der Produkte ist nicht mehr ausschlieBlich Aufgabe der Kommerzabteilung,
sondern auch anderer Fach- und Fiihrungskrafte. In den letzten zwei Jahren wurden sie
in den nachfrageschwachsten Monaten Januar und Februar von ihren alltaglichen Auf
gaben teilweise befreit und verkauften seIber die Waren auf den Wochenmarkten des
Moskauer Gebiets. Auf diese Weise kommen sie dem Endverbraucher naher und sam
meln wertvolle Erfahrungen.
3.1.9 Beschaffung
Die Beschaffung ist fiir die Fabrik dank der flexiblen Lieferantenpolitik schon lange
kein EngpaB mehr. Mit der Halfte der Lieferanten existieren enge langfristige Beziehun
gen. Der Lagerbestand an Rohstoffen reicht gerade fiir zwei Wochen. Bei einem uner
warteten Ausfall gibt es fiir jede Position alternative Beschaffungsvarianten. Der Bedarf
an Rohstoffen und insbesondere an Verpackung wird zu 20% aus dem Westen gedeckt.
60
Die Preise gleichen sich an, aber Qualitiit und Service der westlichen Lieferanten sind
hOher. Die Bezahlung erfolgt durch Gegengeschafte mit Schokoladenprodukten.
3.1.10 Rechnnngswesen nnd Controlling
Bei galoppierender Inflation war es vordringlich, die Selbstkosten zu bestimmen. Be
reits vor der Perestroika wurde eine Kalkulation nach staatlichen Verordnungen durch
gefiihrt, wobei die Kostendaten jedoch nicht fiir die Preiskalkulation, sondern aus
schlieBlich zum Zweck der Rechnungslegung verwendet wurden. Die Buchfiihrung
wurde sehr ernst genommen, da bei Fehlern in der Bilanz Anklage auf Veruntreuung
drohte. Die Kostenrechnung driickte dagegen eher politische MaBgaben aus als be
triebswirtschaftliche Tatbestande. Die Preise waren von der PlanbehOrde festgelegt, die
tatsiichlichen Selbstkosten unbekannt.
Bei RAKONFI wurde bald die Notwendigkeit eines managementorientierten internen
Rechnungswesens erkannt, da die nach dem herkommlichen System ermittelten Ko
stendaten ein verzerrtes Bild ergaben. Die Hauptbuchhalterin schuf 1992 ein hauseige
nes System des internen Rechnungswesens, welches im Laufe der niichsten Jahre konti
nuierlich verbessert wurde. Der EinfluB der Hauptbuchhalterin ist stark geworden. Sie
bestimmt die Finanzpolitik und muB in der Flut der widerspriichlichen staatlichen Ver
ordnungen die gesetzestreue Rechnungslegung sicherstellen und dem Unternehmen eine
moglichst freie Verfiigung iiber seine finanziellen Mittel ermoglichen.
Alle Bestands- und Preisveranderungen werden tiiglich erfaBt und beim Errechnen der
Kostendaten automatisch beriicksichtigt. Das System unterscheidet strikt zwischen Da
ten fiir die externe Rechnungslegung und solchen fiir das Management. So werden z.B.
die Kosten der selbstgebauten Lagerhalle in der Bilanz unterbewertet, urn die hohe
Vermogenssteuer zu reduzieren. Dagegen bekommen die Entscheidungstriiger reale, an
den Marktpreisen orientierte Kostendaten. Bei Rohstoffen ist fiir das Management der
aktuelle Marktpreis von Bedeutung, fiir die Bilanz dagegen der Anschaffimgspreis. Das
Kostenmanagement wird durch staatliche Verordnungen iiber riickwirkende Steuerande
rung en erheblich erschwert. Die Se1bstkosten der langst verkauften Produkte erhOhen
sich dadurch unerwartet, folglich muBte die Differenz mit einer PreiserhOhung anderer
Produkte ausgeglichen werden.
61
Die Materialeinzelkosten betragen im Durchschnitt 75% der Selbstkosten, die Lohnein
zelkosten mit Sozialabgaben ca. 7%. Die gesamten Gemeinkosten haben einen Anteil
von 18%. Trotz der permanent steigenden Energiepreise bleiben Energiekosten infolge
der sUindigen Verbesserungen der Technologie unter 10% der Gemeinkosten. Jede Ko
stenart wird monatlich auf Ubereinstimmung von Soll- und Istkosten kontrolliert. Der
Begriff des Controlling ist bei RAKONFI unbekannt. Benutzt wird ein aus praktischer
Notwendigkeit heraus entstandenes System der Kostenkontrolle. Die Sollkosten werden
nach Vergangenheitsdaten als produktbezogene mengenmaBige Standards geplant. Die
Istkosten werden aufgrund der gemessenen Verbrauchsmengen errechnet. Auch die
Produktions-, Absatz- und Finanzkennzahlen werden monatlich geplant und kontrolliert.
Wegen der vergangenheitsbezogenen Planung der Istkosten handelt es sich urn einen
selbsttauschenden 1st-1st Vergleich, wobei die Unwirtschaftlichkeit der Vergangenheit
in die Zukunft fortgepfianzt wird. Die Deckungsbeitragsrechnung als Instrument des
Kostenmanagements ist nicht bekannt. Dennoch steigert das betriebliche Kostenrech
nungssystem das Kostenbewu13tsein, wei! ermittelte Abweichungen analysiert und nach
Grunden und Verantwortlichen gesucht wird.
3.2 Newskaja Kosmetika
AO Newskaja Kosmetika pro Obuchowskoj oboronij 80 193 029 St. Petersburg Rufiland
3.2.1 Historie
Die Firma wurde 1851 unter dem Namen ARKONA gegrOndet. Bis 1917 produzierte
ARKONA Seifen und Kerzen. Mit der Oktoberrevolution veranderten sich zunachst nur
Firmenbezeichnung und -struktur, erst nach 1945 wurde die Produktionspalette urn
Zahnpasten, Cremes und andere kosmetische Artikel erweitert. Zurn Zeitpunkt der Un
tersuchung ist NEWSKAJA KOSMETIKA der zweitgr6fite Hersteller solcher Produkte in
RuBland. Neben den Hauptprodukten Seife, Zahnpasta und Creme, wird Shampoo, Gly
zerin und Vaseline hergestellt.
62
1991 mietete die Belegschaft den Betrieb als V orstufe der Privatisierung. So konnten
friihzeitig Teile der Beschaffung, des Absatzes und der Mittelverwendung des Investiti
onsfonds statt zentralgeplant nach den Vorstellungen des Managements erfolgen. Ein
Jahr spater wurde NEWSKAJA KOSMETIKA als zwanzigster russischer Betrieb privatisiert
(AGgT). Die Privatisierung verlief nicht auf Voucherbasis (vgl. 4.2), sondern der Be
trieb wurde unter den eigenen Mitarbeitern ohne Kapitalzuflu13 aufgeteilt. Die Vorteile
dieser Art der "Schenkungs-Privatisierung" lagen zum einen in der Schnelligkeit ihres
Vollzugs bei geringen Transaktionskosten, zum anderen konnten die Schwierigkeiten
des Mangels an privatem Geldvermogen umgangen werden, und die Interessen der Be
triebsangehorigen blieben gewahrt. Alle Aktien werden von Mitarbeitern des Unter
nehmens gehalten. 1m Sommer 1995 verfligte keiner der zu diesem Zeitpunkt 460 Ak
tieninhaber fiber ein Kontrollpaket. Die Dividende betragt 5-7%, der verbleibende Ge
winnanteil flieBt jeweils zur Halfte in den Umlaufmittelfonds und in Anlageinvestitio
nen. Nachteil dieser Privatisierungsmethode ist fehlendes Investitionskapital und die
daraus folgende mangelnde Innovativitat des Unternehmens.
3.2.2 Struktur
I Vorstand Aufsichlsral I I
I Generaldireklor I I
I I I I Direklor fur Qualitalssicherung I I Technischer Direklor I Markelingdireklor I Hauplbuchhalter J
I I I J J Beschaffung I F&E J Planung I Buchhaltung I Marketing & Design
Abteilung fUr Arbeil Vertrieb und Lohn
I :
I Produklion J
Abb. 15: Unternehmensstruktur (eigene Darstellung)
NEWSKAJA KOSMETlKA ist ein mittelstandisches Unternehmen. Vor der Perestroika ar
beiteten dort 480 Mitarbeiter, 1995 hatte das Unternehmen 620 Mitarbeiter, davon 400
in der Produktion. Die aktuelle Unternehmensstruktur ist in Abb. 15 dargestellt. Es gibt
63
kein Produktgruppenrnanagement, die Struktur ist zentralistisch. Der Generaldirektor ist
die zentrale Machtfigur, er fallt aile wichtigen Entscheidungen in Abstimmung mit den
vier Fachdirektoren. Die teilweise komplexen Aufgabenbereiche der Fachdirektoren
erklaren sich aus der Denkweise des Managements, das Unternehmen streng Top-down
zu organisieren. Macht und Verantwortung werden auf moglichst Wenige verteilt. Die
Transformation zu moderneren Organisationsstrukturen ist noch nicht fortgeschritten.
Die Abteilung fUr Marketing und Design ist fUr Marktforschung, die Organisation von
Messen, Werbung, Preisbildung (Anfertigung von Preisspiegeln) und die Gestaltung des
Produktprograrnrns verantwortlich, die Vertriebsabteilung fUr den Warentransport, die
Vertriebsanalyse und die administrative Abwicklung der Lieferungen.
Tab. 13: Ausgabenstruktur (eigene Darstellung)
Ausgaben Anteil an den Gesamtausgaben Malerial 67.0% Personal 15.6% Energie 6.1%
Kredillilgung 3.2% Steuem 8.1%
NEWSKAJA KOSMETIKA ist wie viele
russische Produktionsunternehmen ma
terialintensiv, die Lohnkosten spielen
eine untergeordnete Rolle. Der kompa
rative Lohnkostenvorteil wird jedoch
durch die im Vergleich mit westlichen
Uindern deutlich niedrigere Arbeitsproduktivitat relativiert. Der lahresumsatzIBe
schiifiigten betrug bei NEWSKAJA KOSMETIKA 1994 lediglich ein Achtel des entspre-
chenden Werts fUr die deutsche chemische Industrie.
Es gibt zur Zeit in RuJ3Iand 18 Hersteller kosmetischer Produkte, die einen Marktanteil
von etwa 30% haben. Den groBten Teil des Marktes nehmen Billigprodukte aus WeiB
ruBland und der Ukraine ein, 10% des Kosmetikmarktes werden durch westliche Im
porte abgedeckt. Der russische Hauptwettbewerber ist das Werk SVOBODA in Moskau,
wo u.a. Cremes und Zahnpasten produziert werden. Die wichtigsten intemationalen
Konkurrenten sind HENKEL, SCHWARZKOPF, P&G, ELIDA GIBBS COSMETIC, UNILEVER,
WELLA und BEIERSDORF. Die Marktanteile von NEWSKAJA KOSMETIKA liegen bei den
Hauptprodukten Seife, Creme und Zahnpasta GUS-weit zwischen acht und zwolf Pro
zent. Die Nachfragesituation hat sich verscharft, die Bevolkerung gab 1995 real nur
50% des Votjahresniveaus fUr Kosmetika aus. Ais Reaktion auf diese Marktsituation hat
das Unternehmen versucht, Marktanteile durch die ErschlieBung neuer Absatzgebiete
innerhalb der Russischen Foderation zu gewinnen.
64
3.2.3 Planung, Organisation und Personal
Vor Glasnost und Perestroika oblag die Planung einer staatliehen Kommission, die in
Abstimmung mit dem aktuellen Fiinfjahresplan liber Plankennziffern Produktionsvo
lumen, Produktprogramm, die Zulieferer und die finanziellen Mittel vorgab. Bis heute
ist die Planung zentral organisiert, auf der Grundlage von Vergangenheitsdaten gibt die
Planungsabteilung quartalsweise vier Globalplane heraus: den Produktions-, Finanz-,
Absatz- und Besehaffungsplan. Jede Abteilung entwiekelt auf der Grundlage dieser Pla
ne eigene Teilplane, die von der Planungsabteilung und dem Generaldirektor koordiniert
und kontrolliert werden. Die Plane mlissen wegen der stark sehwankenden Naehfrage
kurzfristig korrigiert werden. Bei Neuentwieklungen wird unter Leitung des teehnisehen
Direktors ein teehniseher Plan erstellt. Das Bliro fUr Marketing und Design entwiekelt
regelmaBig Sortimentsplane und ist verantwortlieh fUr die Absatzplankontrolle.
Es ist erklartes Unternehmensziel, aus GrUnden der Arbeitsplatzerhaltung monatlieh
eine bestimmte Menge zu produzieren. Die Unternehmenspolitik ist darauf ausgeriehtet,
Entlassungen nur als allerletztes Mittel zur wirtsehaftliehen Gesundung einzusetzen. Die
Mitarbeiter werden aber oft in andere Abteilungen umgesetzt. Eine absatzorientierte
Planung wird wegen der Gefahr des sich versehleehternden Arbeitsklimas bei sporadi
scher Produktion nieht in Betraeht gezogen.
Der Fiihrungsstil ist patriarehaliseh, aIle wiehtigen Entseheidungen laufen liber den Ge
neraldirektor. Jede Abteilung hat ihren Leiter, der die Abteilungsarbeit koordiniert. Je
der Mitarbeiter hat ein klar abgesteektes Aufgabenfeld und feste Zeitvorgaben. Teamar
beit oder Ansatze von ProzeBorientierung sind weder in der Art der Fiihrung noeh in der
U nternehmensstruktur verwirklieht.
Weiterbildung ist bisher nur in geringem MaBe durehgefiihrt worden, lediglieh einige
Fiihrungskrafte erhalten Englisehkurse auf Firmenkosten. Naeh Meinung des Generaldi
rektors sollten die Fiihrungskrafte seinem Beispiel folgen und sieh anhand der tagliehen
Erfahrung selbst aus- und weiterbilden. Der Motivationseffekt einer Weiterbildung und
Aufgabenanreieherung wurde von der Unternehmensleitung nieht erkannt.
6S
3.2.4 Strategie
NEWSKAJA KOSMETlKA will vor allem das untere und mittlere Einkommenssegment
bedienen. Zur Marktanteilshaltung bzw. -ruckeroberung gegeniiber der seit 1992 er
starkten westlichen Konkurrenz wird die Strategie der Kostenfiihrerschaft verfolgt.
Markenbildung und ein Vordringen in Nischen zur ErschlieJ3ung besserverdienender
Segmente sind seit langerem geplant, aber bisher wegen mangelnden Know-hows und
Investitionskapitals nur in Ansatzen verwirklicht. International sind die Produkte auf
grund von Qualitats- und Designproblemen nicht konkurrenzfamg. Fiir den Export in
die dritte Welt sind die Produkte zu teuer, die Preise in Hartwiihrung haben sich wegen
der Kostensteigerungen im eigenen Land seit 1991 vervierfacht. Marktdurchdringung
solI durch die geographische Erweiterung der Warendistribution auf alle Gebiete der
GUS und eine hOheren Dichte im Distributionsnetz realisiert werden.
3.2.5 Marktforschung
Seit 1992 erkannte das Unternehmen die Notwendigkeit von Marktanalysen und glie
derte die Abteilung fiir Marketing und Design in die Unternehmensstruktur ein. Auf
grund des spiirbar wachsenden Konkurrenzdrucks auslandischer Anbieter vergab
NEWSKAJA KOSMETIKA im Mai 1993 an das STAATLICHE HANDELSINSTITUT DER
RUSSISCHEN FODERATION den Auftrag, die Marktlage fur seine Produkte detailliert zu
untersuchen und eine Marketingstrategie zu erarbeiten. Die Konsequenzen aus den Er
gebnissen dieser Studie waren erste Produktmodifikationen und -neuentwicklungen so
wie eine Konzentration auf die Produkte, die den groJ3ten Absatz versprachen.
Die gut ausgebildete Marketingleiterin der Firma baute ein GroJ3- und ein Einzelhan
delspanel auf. Die Panels werden regelmaBig zur Nachfrageentwicklung einzelner Pro
dukte, zu Produktkonzepten (Design, Verpackungsart und -groJ3e), zur Qualitat und
nach Verbesserungsvorschlagen befragt. Aus den Ergebnissen der Erhebungen werden
in der Marketingabteilung V orschlage zur Programmgestaltung und Produktneuent
wicklung herausgearbeitet.
Die Abverkaufe jedes Geschafts werden in der Marketingabteilung wochentlich analy
siert, man kann so die "Hits und Nieten" aktuell identifizieren und schnell reagieren.
Durch ein Marktforschungsinstitut werden jiihrlich Telefonbefragungen bei 2.500 Fa-
66
milien zu Bedarfsanalyse, Kaufmotiven und der Positionierung der Produkte bei den
Endverbrauchem durchgefiihrt. Die wichtigsten in- und ausHindischen Konkurrenten
und deren Marktanteile sind NEWSKAJA KOSMETIKA bekannt. Die Marktforschung solI
weiter ausgebaut werden.
Es treten zum Teil Probleme bei der Abstimmung von Handels- und Endverbraucher
wUnschen auf. Wenn z.B. nach einer Bedarfsanalyse ein Markt fUr eine Tages- und eine
Nachtcreme ausgemacht wird, ist es schwierig, dem Handel zu erkHiren, warum eine
zusatzliche Creme ins Sortiment aufgenommen wurde. Die Strategie der Positionierung
mehrerer Marken unter einer Dachmarke ist dem Handel unbekannt.
Weitere Informationsquellen sind Sekundardaten, z.B. die monatlichen Berichte aus
dem Institut fUr Konjunktur und Marktforschung fiber Marktvolumina und Verkaufs
zahlen in den Regionen, Messen sowie Kundenbefragungen im eigenen Geschaft. Bei
Neuentwicklungen werden Markttests unmittelbar vor der Markteinfiihrung mit 100-200
Probanden durch ein Marktforschungsinstitut durchgefiihrt. Die Ware wird diesen zum
Test auf Geschmack, Qualitat, Geruch, Farbe, Produktnamen und zur Zielgruppenbe
stimmung kostenlos abgegeben. Die neuen Produktkonzepte werden aber erst am Ende
des Innovationsprozesses getestet, so daB sie nicht schon in der Entwicklungsphase zur
kundengerechten Gestaltung der Produkte beitragen.
3.2.6 Produktpolitik
Trotz Absatzschwierigkeiten in 1991 stellte NEWSKAJA KOSMETIKA zunachst weiterhin
die alten Produkte mit denselben Verpackungen her. Erst der massive Markteintritt
auslandischer Konkurrenten seit 1992 und die daraufhin deutlich spiirbaren Marktan
teilsverluste gaben den AnstoB, neue Produkte und Verpackungen zu entwickeln. Die
russischen Konsumenten gewannen in dieser Zeit schnell Vertrauen zu westlichen Kos
metikprodukten, die mit exzellenter Aufmachung und meist unter hohem Werbedruck
eingefiihrt wurden, so daB sie bereit waren, die bis zu sechsmal hoheren Preise fUr diese
Waren zu akzeptieren.
NEWSKAJA KOSMETIKA reagierte mit der Verbreiterung des Produktprogramms und
marktgerechter Gestaltung der Produkte. Bestehende Produkte wurden modifiziert, In-
67
novationen in einer neu gesehaffenen F&E-Abteilung geplant. Dort befassen sieh seehs
Mitarbeiter mit der Entwieklung neuer Rezepturen, zwei mit dem Produktdesign. Der
Markt wurde naeh versehiedenen Kriterien wie z.B. Alter, Gesehleeht, Beruf oder
Hauttyp segmentiert. Neuprodukte wurden erst naeh ihrer Fertigentwieklung einem
Markttest unterzogen; die Konsurnenten in die Produktentwicklung einzubeziehen, wur
de als unnotig eraehtet.
1994 wurde eine neue Produktionslinie fUr Seife gekauft. Mehrere neue Pflegeserien
wurden entwiekelt, die Produktpalette urn insgesamt neun Creme- und Seifensorten er
weitert. 1995 produzierte das Untemehmen dreiBig versehiedene Cremes und zehn Sei
fenarten. Taglieh wurden 40 Tonnen Seife, 80.000 Tuben Zahnpasta und ca. 85.000
Paekungen Creme hergestellt. Erfolgreiehe Produkte wurden unmodifiziert beibehalten.
Creme 24%
48%
Shampoo 3%
Vaseline und Glyzerin
4%
Abb. 16: Produktmix in Prozent des Jahresumsatzes 1994 (eigene Darstellung)
Seit Ende 1993 war der Aufbau von Marken geplant. Neuentwiekelte Produkte versueht
man als Monomarken unter der Daehmarke NEWSKAJA KOSMETIKA anzubieten. Da der
Markenaufbau kaurn dureh Werbung und Verkaufsforderung unterstUtzt wurde und das
Untemehmen die Probleme einer modemen Verpaekungsgestaltung seit Jahren nieht
bewaltigt, kann man bisher kaurn von der Einflihrung von NEWSKAJA KOSMETIKA
Marken spreehen. Allerdings wird von der inlandisehen Konkurrenz ebenfalls noeh kei
ne erfolgreiehe Markenpolitik betrieben, und deren Qualitat und Produktdesign entspre
ehenb dem von NEWSKAJA KOSMETIKA.
68
Urn die Anmutung der Produkte zu verbessem und sich auf diese Weise von anderen
russischen Anbietem abzuheben, sieht das Management die Verbesserung des Pro
duktdesigns weiterhin als vordringliche Aufgabe an. Qualitatsverbesserungen konnen
dann sowohl dem Handel als auch den Endverbrauchem glaubhafter gemacht und das
Image des Billiganbieters tiberwunden werden.
NEWSKAJA KOSMETIKA ist bemtiht, die eigene Produktqualitat an die der intemationalen
Konkurrenz anzunahem. Es gibt strenge Richtlinien bei der Qualitatskontrolle, die Mit
arbeiterzahl in diesem Bereich wurde mehrmals erhOht. Es werden ausschlieBlich nattir
liche Grundkomponenten verarbeitet.
Die Fertigungstiefe hat sich seit der Perestroika nicht verandert. Eine Konzentration auf
Kernkompetenzen erweist sich aufgrund der gro/3en Schwierigkeiten bei der Suche nach
Zulieferem, die den Qualitats- und Zuverlassigkeitsanspruchen von NEWSKAJA
KOSMETIKA gentigen wfuden, und des drohenden Verlustes von Arbeitsplatzen als
schwierig.
3.2.7 Preispolitik
Der Preis ist beim tiberwiegenden Teil der russischen Konsumenten das wichtigste
Kaufentscheidungskriterium. Die Preisfreigabe erfolgte noch vor der Privatisierung. Das
Management setzte danach neue Preise "nach Gefiihl" fest. Die Distributionskanale
wurden erst nach der Preisfestlegung erschlossen.
Tab. 14: Preisspiegel kosmetischer Produkte yom September 1995 in St. Petersburger Geschiiften (Durchschnittspreise in Rubel auf 100g der Produkte normiert)
Produktgruppe NEWSKAJA KOSMETlKA russische Konkurrenz auslandische Konkurrenz
Zahnpasta 1,700 2.285 11.100 Creme 4,300 3.320 13,250 Seife 1.550 1.800 3.050
Nach der Einfiihrung eines modemen Rechnungswesens 1993 konnte die Preisermitt
lung nach dem Zuschlagverfahren (Kosten des Produkts + in der Aktionarsversammlung
abgestimmter Gewinnaufschlag) erfolgen. Die Leitpreise der inlandischen Konkurrenz
haben teilweise ebenfalls Einflu/3 auf die Preisbestimmung, die Preise der westlichen
69
Anbieter werden grundsatzlich unterboten. So ordnet sich der Preis in sein russisches
Konkurrenzumfeld ein, westliche Produkte sind bis zu sechsmal teurer.
NEWSKAJA KOSMETIKA ist wie viele andere russische Unternehmen gezwungen, antizi
pativ PreiserhOhungen aufgrund von Inflationserwartungen und erwarteter Kostenstei-
Tab. 15: Preisstruktur (eigene Darstellung)
Verkaufspreis ab Werk 100% GroBhandelsaufschlag + 25% Verkaufspreis ab GroBhandel 125% Einzelhandelsaufschlag + 25% Einzelhandelsverkaufspreis 150%
gerungen vorzunehmen. So werden bei der
Kalkulation der Preise monatlich 15% Infla
tion mitberucksichtigt. Mit Rabatten kann
nur gegenuber dem Handel argurnentiert
werden, da Preisaktionen in den Geschaften
von den russischen Konsurnenten mit abge
laufener Haltbarkeitsdauer oder minderer Qualitat (bzw. Ausschul3produktion) gleichge-
setzt werden. NEWSKAJA KOSMETIKA gab bisher keine Preisempfehlungen an den Han
del, in Zukunft mochte das Unternehmen aber bier mehr Einflul3 ausuben. Es ist geplant,
in Nischen hOherpreisig zu verkaufen.
3.2.8 Kommunikation
Vor Glasnost und Perestroika wurde Marktkommunikation als unnotig erachtet, da der
Absatz nicht vom Unternehmen selbst betrieben wurde und der Kunde im Geschaft oh
nebin mit den wenigen angebotenen Produkten Vorlieb nehmen mul3te. Aber auch zum
Zeitpunkt der Befragungen hat NEWSKAJA KOSMETIKA die Relevanz von Verbraucher
kommunikation noch nicht erkannt. Das Unternehmen betreibt eine Push-Strategie, urn
seine Produkte mit Hilfe handelsgerichteter Absatzforderung in den Markt zu drucken.
Da der Endverbraucher wisse, daB die Qualitat hoch sei, werde keine Werbung benotigt,
so die Meinung der Unternehmensleitung 1995. Werbung sei zur Zeit nur eine Sache
westlicher Firmen. Es verwundert nicht, daB der Schwerpunkt der Werbekonzeption auf
der Erstellung von Handzetteln mit Produktinformationen lag und kein Werbebudget
festgelegt wurde. Jede MaBnahme wird vom Generaldirektor einzeln beurteilt und ge
nehmigt.
Verantwortlich fOr die Marktkommunikation ist die Leiterin des Buros fOr Marketing
und Design. Die Aufgaben urnfassen die Organisation von Messeteilnahmen, Handels
werbung, Marktforschung, Preiskalkulationen und V orschlage zur Gestaltung des Pro-
70
duktprogramms. Beim Entwurf von Produktinformationen, Gebrauehsanweisungen und
Ausstellungskatalogen fUr Messen wird mit Werbeagenturen zusammengearbeite1.
NEWSKAJA KOSMETIKA nimmt regelmaBig an Messen in Moskau und den wiehtigsten
Regionen teil. Produktwerbung wird dem GroBhandel fiberlassen, der Werbeprospekte
herausgibt und Gewinnspiele veranstaltet. GroBhandler werden halbjahrlieh fUr zwei
Tage zu einem Workshop naeh S1. Petersburg eingeladen, Themen sind Beurteilungen
der Produktkonzepte, Abverkaufsanalysen, Qualitiits- und Liefermangel, Wiinsehe und
Kritik des Handels und antizipierte Endverbraueherbediirfnisse aus der Sieht des Han
dels. Am Abend wird in einem Hotel eine Feier veranstaltet, wo die Ergebnisse des Ta
ges noeh einmal in entspannter Atmosphiire reflektiert werden konnen. Auf diese Weise
erhiilt NEWSKAJA KOSMETIKA wiehtige Rfiekkoppelungen fiber sein Vorgehen am
Markt.
Seit 1994 arbeitet das Untemehmen an seiner Corporate Identity. Bisher wurden ein
neues Firmenlogo und ein einheitliehes Design yom Briefkopf bis zum Messestand
entwickelt.
3.2.9 Distribution
Vor der Perestroika ziihlte der Absatz nieht zu den Aufgabenbereiehen der Betriebslei
tung. Es gab eine staatliehe Absatzgarantie, die Endkundenstruktur war im Betrieb
weitgehend unbekann1. Ein staatlieher Distributeur, in dessen Zentrallager man nur
"fiber die StraBe" zu lief em brauehte, plante und organisierte die Verteilung in der ehe
maligen Sowjetunion. Mit der Preisfreigabe 1991 konnte NEWSKAJA KOSMETIKA nieht
nur die Preise selbst bestimmen und sein Produktionsvolumen planen, sondem war ge
zwungen, Abnehmer selbst zu finden und zu belief em.
Ais Folge dieses "Sprungs ins kalte Wasser" sank das Produktionsvolumen zuniiehst
massiv, da die alten Zentraleinkiiufer des ehemaligen staatliehen Distributionssystems
keine Mittel mehr hatten. Einige dieser Zentraleinkiiufer etablierten sich als GroBhand
ler, und bis Ende 1992 konnte NEWSKAJA KOSMETIKA seinen Absatz dureh die Auswahl
einiger geeigneter GroBhandler und eigene Akquisition von Einzelhandelsgesehiiften
wieder steigem. Das ehemalige staatliche Zentrallager wird heute yom Untemehmen
71
selbst genutzt, ein eigenes Geschaft erOffnete dort 1992. Die Transportabteilung fUr die
lokale Verteilung per LKW wurde in den Vertrieb eingegliedert. Uberregional wird zu
80% per Balm ausgeliefert, die Fabrik hat einen eigenen BalmanschluB. Ein Plan von
1994, in den drei Folgejahren selbst regionale Verkaufsniederlassungen zu schaff en, war
bis zum Sommer 1995 noch nicht umgesetzt.
Die Struktur des Vertriebs auf dem Stand 1995 ist in der Abb. 17 dargestellt. Die direkte
Lieferung an den Einzelhandel erfolgt per Abholung, zum GroBhandel wird selbst gelie
fert. Der eigene Vertrieb setzt sich aus den Umsatzen von Bartergeschaften (incl. der
Belieferung der stadtischen Gas-, Wasser- und Elektrizitatswerke zur Versorgung ihrer
Mitarbeiter) und dem Verkaufim eigenen Geschaft zusammen.
Einzelhandel 30%
Vertrieb iiber GroBhandel
60%
Abb. 17: Vertriebsstruktur des Unternehmens (eigene Darstellung)
60% der Distribution werden iiber 15 GroBhandler in RuBland (z.B. in Moskau, Wolgo
grad, Omsk, Twer) und je einen in Belarus und der Ukraine realisiert. Diese GroBhand
ler verfiigen iiber umfassende Kontakte zum Einzelhandel und vertreiben auch Konkur
renzware. 25% sind die iibliche Handelsmarge. Die Anforderungen, urn GroBhandler fUr
NEWSKAJA KOSMETIKA zu werden, sind ein hoher Bekanntheitsgrad in der Region, sehr
gute Bonitiit und die Kapazitat, Produkte von NEWSKAJA KOSMETlKA im Wert von min
destens 300.000 DM monatlich umzusetzen. NEWSKAJA KOSMETlKA versucht intensiv,
u.a. bei Messen und iiber person1iche Kontakte, weitere vertrauenswiirdige GroBhandler
zu tinden.
72
Die Schaffung eines eigenen AuBendienstes wird von der Geschaftsfiihrung als nicht
sinnvoll erachtet, da dies zu teuer sei und auBerdem die GroBhandler die Verhaltnisse
vor Ort besser kennen. Man hofft, daB die Ausweitung der Distribution fiber den GroB
handel eine landesweite und effiziente Belieferung der vielen Einzelhandler ermogli
chen wird. NEWSKAJA KOSMETIKA unterhalt bereits sehr enge Beziehungen zu seinen
Distributionspartnem. Die Absatzplanung erweist sich wegen der stark schwankenden
Nachfrage dennoch als schwierig.
Die Absatzgebiete beschranken sich auf die GUS-Staaten, wobei 95% der Produktion
direkt in RuBland abgesetzt werden. Es gibt starke Distributionsunterschiede zwischen
den Regionen, z.B. werden in Karelien zehnmal mehr einheimische Produkte im Ver
gleich zu Importwaren abgesetzt als in St. Petersburg. Diese landlichen Gegenden sollen
in Zukunft durch die GroBhandler sHirker erschlossen werden. Die Untemehmensleitung
sieht es auBerdem als strategisches Ziel an, die verlorenen Markte in WeiBruBland und
der Ukraine zurUckzugewinnen.
3.2.10 Beschaffung
Vor Glasnost und Perestroika erfolgte die Beschaffung zentral fiber Moskau. Schon aus
dieser Zeit stammen die Probleme mit Lieferfristen bei der Beschaffung von Investiti
onsgfitem. In der Transformationsphase kamen zu der geringen Lieferzuverlassigkeit
und langen Lieferzeiten sehr kurze Zahlungsziele bei teilweise im Vergleich zur auslan
dischen Konkurrenz hOheren Preisen hinzu. Das Untemehmen sah sich gezwungen,
langjahrige Lieferbeziehungen aufzulOsen und neue Lieferanten zu suchen. In Zeiten der
Planwirtschaft wurde NEWSKAJA KOSMETIKA von 280 ausschlieBlich russischen Betrie
ben beliefert, 1995 waren schon 80% der nun 430 Lieferanten auslandische Firmen (vor
allem aus Polen, Osterreich, Deutschland, Frankreich, Tschechien, Schweden, Finnland,
den Niederlanden), nur noch 5% aus GUS-Staaten. Eine ErhOhung auf 500 Zulieferer
war geplant. So wurden beispielsweise Fette, Aluminium, Tenside, Farben und Emul
gator aus dem Ausland beschafft. 1m Sommer 1995 gab es bei diesen Importen eine
ZollerhOhung, so daB weitere Veranderungen der Lieferantenstruktur abzusehen sind.
Auf dem Grundstoffmarkt setzen monopolistische Anbieter willkfirlich immer wieder
hahere Preise fur Gas, Wasser, Benzin usw. fest. Das Untemehmen reagierte mit dem
AbschluB von Kompensationsgeschaften mit diesen Lieferanten.
73
4 Rahmenbedingungen der Transformation
Da sechs Lander in die Untersuchung einbezogen wurden, ist die Darstellung des Trans
formationswnfelds sehr komplex. Sie wird im folgenden nicht erschOpfend, sondem
problemorientiert dargestellt. Nach einem knappen Uberblick tiber die natiirlichen Ge
gebenheiten und geschichtlichen Hintergriinde der Lander (4.1) werden die fur das Ver
Abb. 18: Mittel-Osteuropa
4.1 Allgemeine Gegebenheiten
stehen der Transformation auf per
soneller Ebene bedeutsamen kultu
rellen Werte, sozialen Bindungen
und Beziehungen in 4.2 vertieft. Die
wichtigsten wirtschaftspolitischen
und rechtlichen Normen unterliegen
einer besonders hohen Dynamik, so
daB fur weiterfiihrende Fragen auf
die Literatur verwiesen werden muB.
Sie werden im Rahmen der aus
fiihrlichen Darstellung der Privati
sierungsprozesse in 4.3 angespro
chen. Die Marketinginfrastruktur
(4.4) wird wegen ihrer hohen Rele
vanz flir die Kernfragen der Unter
suchung eingehend behandelt.
Einige demographische und geographischen Daten sollen einen kurzen, aber diffe
renzierten Eindruck tiber die Lander vermitteln. Osteuropa ist keine Einheit; die Sowjet
union war ein politischer, kein kultureller ZusammenschiuB von Staaten. Abb. 18 zeigt
die Untersuchungslander in der Ubersicht. Aufgrund seiner Vormachtstellung in der
ehemaligen Sowjetunion und der tiberproportionalen Vertretung in dem vorliegenden
Sample nimmt RuBland breiteren Rawn in der folgenden Darstellung ein. Flir eine ein
gehendere Beschaftigung mit osteuropaischen Landem sei auf die angefiihrte Literatur
verwiesen.
75
4.1.1 RuHland
Seit der Souveranit~tserkUirung am 11.6.1990 sind in der Russischen Foderation aile
Strukturen fUr einen selbsllindigen Staat geschaffen worden. Als einziger Staat der ehe
maligen Sowjetunion proklamierte RuBland keine UnabMngigkeit. Nach dem August
Putsch 1991 war RuBland Hauptakteur im Bemtihen urn neue zwischenstaatliche Struk
Tab. 16: Allgemeine Daten RuOlands (o.V., bfai 1996a)
Fli:iche 17,1 Mio. Qkm Bevi:ilkerung 147,2 Mio. (Mille 1996) Bevi:ilkerunosdichte 8,61 Einw.lqkm Wi:ihruno Rubel Wechselkurs (Monatsdurchschnill 9/96) 10M = 3,566 Rubel Infialionsrate (%)(Prognose 1996) 30-35 BIP ie Einwohner in US$ (Proonose 1996) 2.938
turen auf dem Gebiet der ehe
maligen UdSSR und Initiator
fUr die Griindung der Gemein
schaft UnabMngiger Staaten
(GUS). RuBland ist ein Vie!
vOikerstaat. Rund 100 ver
schiedene Volksgruppen sind
auf dem Territoriurn der Foderation zu Hause, die kulturelle Vielfalt ist Grund fUr ethni
sche Konflikte. Mit der Ost-West-Ausdehnung von 9000 km und der von Nord-Sud
Ausdehnung von 4000 km werden mehrere Zeit- und Landschaftszonen urnspannt. Die
Klimabereiche reichen von arktischen bis sUbtropischen Zonen. RuBland ist reich an
Flussen, tausende Inseln befinden sich im Norden und Osten des Landes. Die groBten
Seen sind der Baikal in Sudostsibirien und der Ladoga und der Onega sudlich von Ka
relien. Die multinationale Foderation ist administrativ in 21 Republiken gegliedert. Die
Beziehungen zwischen den f6derativen Organen der Staatsmacht und staatlichen
Machtorganen der Republiken basieren auf dem Fordervertrag yom 31. M~z 1992. Auf
der Ebene unterhalb der Republiken urnfaBt die Foderation sechs Regionen, 49 Gebiete
und elf autonome Kreise als Verwaltungseinheiten. Moskau hat den Status einer Region
und St. Petersburg den eines Gebietes. Die Republiken haben eigene Verfassungen, in
den Regionen und Gebieten gel ten eigene rechtliche Verordnungen (SCHULUS 1994,
1 If.). Daher ist der russische Markt regional sehr differenziert zu betrachten. GroBe re
gionale Diskrepanzen bestehen z.B. in der lokalen Steuerpolitik, in der infrastrukturellen
Entwicklung und der industriellen Struktur. Als Erbe der friiheren Arbeitsteilung beste
hen noch heute regionale industrielle Schwerpunkte, der Differenzierungsgrad der Pro
duktion ist, wie in allen osteurop~ischen Undem, relativ gering.
GroBuntemehmen und deren hohe regionale Konzentration kennzeichnen die russische
Industriestruktur. Die Industrie ist im westlichen RuBland (in erster Linie in den Bal-
76
lungsraumen Moskau und St. Petersburg), im Uralgebiet sowie im siidlichen Sibirien
konzentriert. Die marktwirtschaftliche Umgestaltung fiihrt zu einer deutlichen Verande
rung der Industrieregionen. Wichtigste Bereiche der investitionsgiiterlastigen Industrie
sind die Energie- und Brennstoffindustrie, die Metallerzeugung sowie der Maschinen
bau mit jeweils rund 20%-igem Anteil an der Gesamtproduktion. Mittelstandische
Strukturen fehlen in den meisten Gebieten Osteuropas, eine Ausnahme ist z.B. der We
sten RuBlands. Die gesamte Produktion formiert sich durch die Entstehung des privaten
Sektors neu, ganze Industriesektoren werden sich kiinftig regional verlagem, neue Sek
toren entstehen.
Haupt-Femverkehrstrager ist die Eisenbahn, das Strafiennetz auBerhalb der Zentren ist
unzureichend. Der Giiterumschlag in den Hafen (Nordliches Eismeer, Ostsee, Schwar
zes Meer, Pazifik) betragt 100 Mio. t, rund 40% des UdSSR-Wertes von 1989.
Entgegen verhalten optimistischer Prognosen intemationaler Finanzinstitutionen hat in
RuBland auch 1996 kein Wirtschaftswachstum eingesetzt. Der Riickgang des BIP und
der Investitionstatigkeit hat sich gegeniiber den Vorjahren sogar beschleunigt (DIW 51-
52/96, 842).
Die okologische Situation in der Russischen Foderation ist unbefriedigend. Besonders
wegen fehlender Finanzierungsmoglichkeiten werden Umweltschutzmafinahmen ver
nachlassigt. Hohe Schadstoftkonzentrationen in der Luft, besonders in stadtischen Re
gionen, sowie Wasser- und Bodenverschmutzungen sind die Folge.
4.1.2 Ukraine
Die Ukraine wurde am 25.12.1917 proklamiert und war seit dem 30.12.1922 Teil der
UdSSR. Am 16.07.1990 erklarte sich die Ukraine souveran. Die Unabhangigkeits
erklarung folgte am 24.08.1991. Die Ukraine vertrat in der GUS die strikteste Position
nationaler Souverarutat und stand mit ihrer antizentralistischen Haltung in Opposition
zur Vormachtstellung RuBlands. 1996 sind, insbesondere in der Ost-Ukraine, Tenden
zen zum WiederanschluB an RuBland zu beobachten. Die Ukraine, im Westen der osteu
ropaischen Tiefebenen gelegen, grenzt an RuBland, Belarus, Maldowa, Rumaruen,
Slovenien und Polen und wird im Siiden durch das Schwarze Meer mit der Halbinsel
77
Krim begrenzt. Der Djnepr durchmiBt die Ukraine von Norden nach SUden und ist die
wichtigste WasserstraBe und Wasserkraftquelle. Klimatisch herrscht ein gemaBigtes
Kontinentalklima, an der Sfidkiiste der Krim ist es sUbtropisch.
Das Land hat durch seine geographische Lage zentrale Bedeutung fUr den Verkehr. Es
ist Transitland sowohl von Nord nach Sfid (Verbindung zwischen Ostsee und Schwar
zem Meer) als auch in West-Ost Richtung. FUr den Tourismus sind die Halbinsel Krim,
die Karpaten und Kiew attrak-
Tab. 17: Allgemeine Daten der Ukraine (o.V., bfai 1996b) tiv. Die Krim war im sowjeti-
Flache Bevolkerung Bevolkerungsdichte Wahruno Wechselkurs (1.10.96) Inflationsrate (%) (Prognose 1996) BIP je Einwohner in US$ (19951
603.700qkm 51,7 Mio. (1995) 86 Einw./qkm Griwna (seit 2.9.96) 10M = 1,15 Griwna 50
698
schen System bevorzugter Feri
en- und Alterssitz verdi enter
Funktioniire. Der Anteil von
Russen an der Bevolkerung ist
daher in dieser Region beson
ders hoch.
Die Ukraine wird oft als eine der geeignetesten GUS-Wirtschaftsregionen fUr westliche
Investitionen erachtet. Standortvorteile sind die relativ hochentwickelte und differen
zierte Industrie und das niedrige Lohnniveau. Tatsiichlich erlebt die Ukraine jedoch seit
der Unabhangigkeit eine anhaltende wirtschaftliche Talfahrt ohne Aussicht auf Besse
rung. Geringe Stabilisierungstendenzen waren Mitte 1994 zu beobachten, die sich je
doch nicht fortsetzten. Die Regierung versucht, die Transformation durch vertikale
Branchenentwicklungsprogramme zu lenken und die Kontrolle fiber neu entstehende
Untemehmensgruppen zu erlangen. Der Strukturwandel wird so weitgehend blockiert
(DIW 30/96, 507).
Ahnlich wie in Belarus stellt die Angleichung der russischen bzw. turkmenischen Roh
stoffpreise an das Weltmarktniveau ein zentrales Hindemis der ukrainischen Wirtschaft
dar. Kaum ein Untemehmen ist in der Lage, die Energie- und Rohstoffpreise zu zahlen.
Die eigene Energieerzeugung nimmt immer mehr ab, was die importierte Energiekrise
weiter verstiirkt. Die energieintensiven Produktionszweige batten demzufolge die stiirk
sten Einbriiche zu erleiden.
78
4.1.3 Belarus
Belarus (WeiBruBland) wurde am 1.1.1919 gegriindet und trat Ende des Jahres 1922 der
UdSSR bei. Die SouveramUitserkHirung der Republik Belarus erfolgte am 27.7.1990,
die Unabhangigkeitserklarung am 26.8.1991. Das Territorium ist administrativ in die
Tab. 18: Allgemeine Daten Belarus (o.V., bfai 1996c)
Flache 207.600qkm Bevolkerung 10,3 Mio. (1995) Bevolkerungsdichte 49,8 Einw.lqkm Wahrung WeiBrussischer Rubel (BRB) Wechselkurs (30.9.96) 10M = 8.121,37 BRB Inflationsrate (%)(1995) 709 BIP je Einwohner in US$ (1995) 2.272
sechs Gebiete Minsk, Gomel,
Brest, Witebsk, Mogilev und
Grodno gegliedert. Ais westli
cher Teil der osteuropruschen
Tiefebenen ist Belarus ein iiber
wiegend flaches, mit Siimpfen
und Mooren bedecktes Land mit
gemiiBigt kontinentalem, aber feuchtem Klima. Die Landessprache ist belorussisch, eine
dem russischen naher als dem ukrainischen stehende ostslawische Sprache. Ahnlich wie
in der Ukraine sind die Transitverbindungen in Nord-Siid- sowie in Ost-West-Richtung
von ausschlaggebender verkehrstechnischer Bedeutung. Hauptverkehrstrager ist die
Eisenbahn, Hauptumschlagplatz ist Brest. Der intemationale Flugverkehr ist schwach
entwickelt.
1m Zuge der aufgewiihlten Nationalitatenszene beim Zerfall der Sowjetunion bestanden
im Vergleich zu den meisten anderen Republiken keine nennenswerten interethnischen
Konflikte. In Belarus ist die nationalistische Bewegung eher schwach ausgepragt, und
obwohl die Grenzziehung zu den Nachbarstaaten nicht genau den ethnischen Gegeben
heiten entspricht, erklarte das Parlament den Verzicht auf Grenzrevisionen. Die latenten
Gebietsanspriiche zwischen Belarus und Litauen wurden ebenfalls nicht politisch gel
tend gemacht. Ende 1996 neigt Belarus zum WiederanschluB an RuBland.
Rohstoffarmut kennzeichnet die Industriestruktur, Roh- und Grundstoffindustrien exi
stieren kaum. Schwerpunkte in der verarbeitenden Industrie liegen im Maschinen- und
Fahrzeugbau, der Elektrotechnik (40% der Industrieproduktion), der Nahrungsmittel
und Textilindustrie und der Chemischen Industrie. Belarus ziihlt zu den stark industriali
sierten Republiken der ehemaligen UdSSR, verfiigt aber gleichzeitig iiber einen hohen
Anteil landwirtschaftlicher Arbeitskrafte. Die Landwirtschaft ist trotz ungiinstigen Kli
mas und schlechter Bodenbeschaffenheit relativ hoch entwickelt. Durch die Arbeitstei-
79
lung in der ehemaligen Sowjetunion ist die Viehzucht stark ausgepragt. Die Republik
verlor durch die Tschemobyl-Katastrophe mehr als 260.000 Hektar an landwirtschaftli
cher Nutzf1ache.
Der TransformationsprozeB wird durch starkes MiBtrauen der Regierung gegentiber
marktwirtschaftlichen Institutionen und Regelsystemen bestimmt. Die Reformen wer
den durch eine Ftille staatlicher Eingriffe blockiert. Absatz- und Energiemarkte werden
vor allem durch eine enge Anbindung an RuBland gesucht, obwohl der hohe Ausbil
dungs stand und die geographische Lage eine Orientierung an den mitteleuropaischen
Reformstaaten (Tschechien, Ungarn, Polen) ermoglichen. Belarus hat sich damit, anders
als seine Nachbarstaaten, gegen weltwirtschaftliche Offnung und Anbindung an West
europa entschieden (DIW 45/96717).
4.1.4 Baltischer Raum
Die Reformstaaten als homo gene Einheit zu betrachten, ist vor allem gegentiber dem
Baltischen Raum ein Fehler. Diese Region ist nicht nur kulturell und okonomisch ganz
andersartig als RuBland und die anderen Lander, sondem auch in sich sehr uneinheitlich.
Wirtschaftlich gibt es ein spfubares Nord-Stid-Gefalle, zusatzlich besteht innerhalb die
ser Lander ein starkes Gefalle zwischen stadtischen und landlichen Regionen.
Investitionsvorteile aller baltischen Staaten sind die Uberschaubarkeit der Lander und
die relativ schnell voranschreitende Transformation, die westlich orientierte Mentalitat
der Bevolkerung, die Nahe zu Westeuropa (Anbindung tiber die Ostsee) und das niedri
ge Lohnniveau bei vergleichsweise hohem Bildungsniveau. Eine zusatzliche Ver
besserung wurde durch das am 1.1.1995 in Kraft getretene Freihandelsabkommen zwi
schen den baltischen Staaten und der Europaischen Union erreicht. Danach konnen alle
Waren, mit Ausnahrne von Stahl, Eisen, Textilien und landwirtschaftlichen Produkte
zollfrei und ohne Kontingentbegrenzung in den EG-Raum exportiert werden. Dieses
Abkommen ist einer der ersten Schritte zum Beitritt der baltischen Staaten in die EU.
Westliche Investoren schreiben diesen Landem eine Bruckenfunktion zur GUS zu, was
aus Sicht dieser Lander infolge der gegenseitigen Abwendungstendenzen und Rivalita
ten nur eingeschrankt zutrifft.
80
4.1.4.1 Lettland
Zu Zeiten der UdSSR war Lettland eine der am weitesten entwickelten Sowjetrepubli
ken. Der TransforrnationsprozeB und die LoslOsung aus der Abhangigkeit von den ehe-
maligen Sowjetrepubliken ging mit einer tiefen Wirtschaftskrise einher. Dennoch zeigt
die wirtschafliche und politische Lage erste Stabilitatserfolge. Lettland ist mit iiber 3900
Tab. 19: Allgemeine Daten Lettlands (o.V., bfai 1996d)
Flache 64.600Qkm Bev61kerung 2,5 Mio. (1995) Bev61kerungsdichle 38,7 Einw.lqkm WahrunQ Lal (Ls) Wechselkurs (30.9.96) 10M = 0,364 Ls Inflalionsrale (%) (Prognose 1996) 19,8 BIP je Einwohner in US$ (1995) 1.715
Seen (davon 300 gr6Bere) und
12.400 Wasserlaufen das Land
der Seen und Fliisse. Der gr6Bte
See ist der Lubanas (90 qkm), der
langste FluB ist die Gauja (452
km), der wirtschaftlich bedeu
tendste FluB ist die Daugava. Die
Ostseekiiste im Westen des Landes miBt rund 500 km. Klimatisch ist das Land vom
Atlantischen Ozean beeinfluBt, der mit zahlreichen Hoch- und Tiefdruckgebieten fUr
Temperaturschwankungen sorgt. Sonnentage sind relativ selten.
FUr den lettischen Transport sind die Hafen von Riga, Ventspils und Liepaja auBerst
wichtig. Die Hafen von Ventspils und Liepaja haben gegeniiber den iibrigen Ostseeha
fen den wirtschaftlichen Vorteil, standig eisfrei zu sein. StraBennetz und -qualitat sind
zufriedenstellend. Die 2.400 km langen Eisenbahnstrecken verlieren fUr den Waren
transport zunehmend an Bedeutung.
1m Zuge der Arbeitsteilung der ehemaligen Sowjetunion war Lettland auf bestimmte
Erzeugnisse spezialisiert; Rohstoffe, Energietrager und zusatzliche Fachkrafte kamen
aus den anderen Teilen der UdSSR. In dieser Zeit erhOhte sich die industrielle Produkti
on urn ein Vielfaches, das Volumen der Landwirtschaft verdoppelte sich. Beide Sekto
ren hatten durch die Umwandlungsprozesse starke EinbuBen zu verzeichnen. Die wich
tigsten Industriesektoren sind Nahrungsmittelindustrie (33%), Metallverarbeitung
(17,5%), Leichtindustrie (13,5%), Energiewirtschaft (10%), Chemieindustrie (9,5%)
und Holz-, Papier- und Zelluloseproduktion (7%).
Lettlands landwirtschaftliche Nutzflache von 2.474 Mio. ha wird zu 68% zurn Anbau,
zu 28% als Wiesen und Wei den und zu vier Prozent fUr Dauerkulturen genutzt. Nahezu
81
die H1ilfte der Flache leidet unter FeuchtigkeitsiiberschuB und muB entwassert werden.
Die lettische Landwirtschaft konzentriert sich auf Viehwirtschaft, speziell Milcherzeu
gung, Mastrindhaltung, Schinkenproduktion sowie Gefliigelhaltung. Rund 80% der
Pflanzenproduktion wird fUr die Viehzucht verwertet.
Lettland ist durch seine Geschichte mit der hanseatischen Tradition verbunden, was sich
schon in der Architektur widerspiegelt. Die Mehrheit der Bevolkerung ist protestantisch,
kulturell ist Lettland eher dem skandinavischen als dem slawischen Raum zuzuordnen.
4.1.4.2 Estland
Nach der Erlangung seiner Unabhangigkeit am 21.08.91 begann Estland mit dem Auf
bau funktionsfahiger marktwirtschaftlicher Strukturen. Der estnische Transformations
prozeB schreitet schneller voran als Tab. 20: Allgemeine Daten Estlands (o.V., bfai 1996e)
Fli:iche 45.226 qkm Sev61kerunq 1,56 Mio. (1994L Sev61kerungsdichle 33,7 Einw.lqkm Wi:ihrung Eslnische Krone (ekr) Wechselkurs (30.9.96) Feslkurs: 10M = 8 ekr Inflalionsrale (%) (Prognose 1996) 20,0 SIP je Einwohner in US$ (1995) 1.700
der der iibrigen Reformstaaten.
Estland hat sich mittlerweile zu
einem prosperierenden Staat ent
wickelt. Das nordosteuropaische
Land, an der Ostsee gelegen und
bis zum Finnischen Meerbusen rei
chend, ist die kleinste der drei baltischen Republiken. Rund 1500 Inseln saumen die
3.800 km lange Ostseekiiste. Etwa 20% der flachen und wasserreichen Republik besteht
aus Siimpfen und fUnf Prozent aus Seen. Das Land ist mit 150 Fliissen iiberspannt, le
diglich neun davon sind langer als 100 km. Infolge der wasserreichen Bodenbeschaffen
heit sind weite Flachen unbewohnbar. Das Territorium ist zu 30% von Mischwaldem
bedeckt.
Die estnische Infrastruktur ist zufriedenstellend. Das Verkehrsnetz verfUgt iiber 15.000
km AutostraBen, nur 8% davon sind HauptstraBen. Ein Ausbau des Netzes und der Bau
von Autobahnen hat begonnen. Der Gesamtfrachttransport wird zu 50% yom Seetrans
port bestritten, der Eisenbahntransport verliert an Bedeutung.
82
Zwischen den Esten und ihren baltischen Nachbarn besteht wenig Verwandtschaft. Est
land gehOrt zur finnisch-ungarischen Sprachfamilie, Lettland und Litauen zur indo
gennanischen Sprachfamilie.
Das estnische Yolk wird als stark, selbstbewuBt und stolz charakterisiert, was beispiels
weise in der Wertschlitzung der eigenen Wlihrung zum Ausdruck kommt und in der
Kraft, die Umwandlungsprozesse schnell und zielstrebig durchzufiihren (TuRNER 1994,
15).
4.1.4.3 Litauen
Unter dem Schutz des Deutschen Reiches wurde Litauen 1917 erstmals als unabhangi
ger Staat proklamiert. Nachjahrelanger polnischer und sowjetischer Besetzung wurde es
1940 in die Sowjetunion eingliedert. 1m Mai 1989 erklarte der oberste Sowjet die staat-
Tab. 21: Allgemeine Daten Litauens (o.V., bfai 19961)
Flache 65.300Qkm Beviilkerung 3,7 Mio. (1995) Beviilkerungsdichte 57 Einw.lqkm WiihrunQ Litas (LTL) Wechselkurs (30.9.96) 10M = 2,63 LTL Inflationsrate (%) (1995) 20,3 BIP je Einwohner in US$ (1995) 1.502 (eiQene BerechnunQ)
liche Souverlinitlit Litauens, die
Unahbhangigkeitserklarung er
folgte im Mlirz 1990. Litauen ist
die groBte, bevolkerungsreichste
und am dichtesten besiedelte Re
publik im Baltikum. Die offizi
elle Landessprache, Litauisch,
wird von drei Vierteln der Bevolkerung gesprochen. Ais Geschiiftssprachen sind Rus
sisch, Englisch und Deutsch verbreitet. Ein dichtes Netz an Fliissen prligt die Republik,
die langsten sind Nemunas (937 km) und Neris (510 km). An der Seekiiste im Westen
des Landes schlieBt sich ein Tiefland an, das nach Osten in ein Hiigelland iibergeht. Die
Wetterverhliltnisse sind ozeanisch, Litauen hat relativ kiihle Sommer und milde Winter.
1m Transportwesen besteht hoher Investitionsbedarf. Das Eisenbahnnetz ist iiber 2.000
km lang, die Bestande sindjedoch veraltet, die Anbindung an das intemationale Netz ist
unzureichend. Das StraBennetz miBt insgesamt 35.000 km Lange und solI aufwesteuro
pliischen Standard gebracht werden. Auch der Hafen von Klaipeda ist ausbauHihig, aber
er ist schon heute fUr Seetransporte nach Norden und Westen, sowie als Umschlagplatz
in Richtung GUS geeignet. Geplant sind der Bau einer Autobahn und der Ausbau des
Flughafens der Hauptstadt, womit eine unabhangige nationale Luftlinie angestrebt wird.
83
Litauen gehOrt wie Lettland zur indo-germanischen Sprachfamilie. Beide Volker sind
ethnisch eng verwandt und konnen sich iiber ihre Muttersprachen verstandigen. Den
noch zeichnen sie sich eher durch Unterschiede als durch Gemeinsamkeiten aus. Litauen
ist mit dem polnisch-katholischenlrussisch-orthodoxen Kulturkreis verbunden, Lettland
dagegen mit der protestantisch-hanseatisch-skandinavischen Kultur, was wesentliche
Unterschiede in der MentaliUit und Denkweise verursacht.
Litauen war bis 1940 ein Land mit reiner Argrarwirtschaft. Die konsequente In
dustrialisierung begann erst Ende der 60er Jahre, mit dem Vorteil, daB sich die Produk
tionsanlagen und Gebaude noch heute in einem akzeptablen Zustand befinden.
Die Wirtschaft Litauens verzeichnet die derzeit ungllnstigste Lage und die starksten
Produktionseinbriiche unter den baltischen Staaten. Viele bankrotte Staatsuntemehmen
existieren bei sinkender Produktivitat und steigenden Kosten weiter. Seit 1989
schrurnpfte die Produktion in allen Wirtschaftsbereichen urn ca. 50%. Der Dienstlei
stungssektor ist unterentwickelt, aber schnell entwicklungsfahig. Der Industriebereich
dominiert trotz starker EinbuBen und wird der wichtigste Sektor bleiben. Litauens stark
ausgepragte Industriestruktur bietet eine gllnstige Ausgangsposition fUr die kiinftige
Entwicklung. Profilbestimmende Industriebranchen sind die Textilindustrie, insbeson
dere Leinen aus eigenem Flachsanbau und Verarbeitung von Baurnwolle aus Usbeki
stan, die Baustoffindustrie, der Maschinenbau, insbesondere Werkzeugmaschinenbau,
Zerspanungs- und Landmaschinen, sowie die elektronische Industrie. Die Leichtindu
strie besteht vor allem aus Bekleidungs-, Schuh- und Stoffproduktion. Die Nah
rungsgiiterindustrie konzentriert sich auf Zucker, Speiseol, Milchpulver, Fleischwaren,
Friichte und Tierfutter (Ropp 1994, 9).
Litauen verfiigt iiber die einzige Erdolraffinerie im Baltischen Raurn. Um diesen Vorteil
weiter auszubauen und sich weiter aus der Abhangigkeit von russischen RohOllieferun
gen lOsen zu konnen, plant Litauen Investitionen im Energiesektor. Vorgesehen sind
Ausbauten der Raffinerie, ErschlieBung von Erdolfeldem, ErschlieBung und Nutzung
geothermischer Energie sowie Reduzierung der Schadstoffemission der Kraftwerke.
Dringender Investitionsbedarfbesteht in der Sanierung des Kraftwerksystems.
84
Die Landwirtschaft war in der Vergangenheit auf die Belieferung des russischen Mark
tes ausgerichtet und ist jetzt mit drastisch gesunkener Nachfrage bei starker Verteuerung
der Produktionsfaktoren konfrontiert. Rund 54% der gesamten LandesfHiche Litauens
dient der landwirtschaftlichen Nutzung, deren fruchtbarster Teil im Zentrum des Landes
liegt. Die Argrarreform der 1992er Regierung billigte den einzelnen Bauem nur kleine
Bewirtschaftungsflachen zu, was ihren Spielraum wesentlich einschriinkte.
4.2 Wirtschaftspolitische und rechtliche Rahmenbedingungen
In allen osteuropaischen Staaten kann beziiglich der Investitions- und AuBenhandels
bedingungen in Zukunft von Verbesserungen und einer Stabilisierung ausgegangen
werden, denn aIle Lander streben wegen erwarteter volkswirtschaftlicher Vorteile nach
auslandischen Investitionen. Obwohl rechtliche Unsicherheiten bestehen, sichem die
Regierungen gem dauerhaft gute Investitionsbedingungen zu. Bei der Investitionsent
scheidung sind kiinftige Entwicklungstendenzen sehr bedeutend. Wiihrend die balti
schen Staaten bereits groBe Fortschritte verzeichnen konnten, entwickelt sich die Trans
formation innerhalb der GUS, besonders in RuBland, Belarus und der Ukraine, schwer
fallig. Prognosen sind schwierig, doch kann man bei allen Staaten von einer Beibehal
tung der Reformkurse und der Bereitschaft zur Einfiihrung marktwirtschaftlicher Stru
kuren ausgehen.
Tab. 22: Ausgewiihlte Wirtschaftsdaten (in Anlehung an o.V., OP 1996/1997, I, 6ff.)
RuBland Ukraine Belarus Lettland Litauen Estland
Wachstum (1) 1994 -12,5 -27,2 -20,0 0,6 1,0 4,7 1995 -4,0 -11 ,2 -10,0 -1 ,6 2 ,6 3,0
(geschatz1:j1996 -30 -8,0 -6,0 2,0 1,5 3 ,5
Inflationsrate (2) 1994 224,0 501,0 2500,0 35,9 72,1 47,7
1995 131,0 182,0 240,0 25,0 39,2 28,9 (geschatz1:11996 35,0 60,0 70,0 18,0 30,0 20,0
Arbeitslosenquote (3) 1994 2,6 0,3 2,1 12,0 10,0 8,0 1995 3,5 1,0 2,5 12,0 12,0 7,5
(geschatzl: )1996 4,2 3,0 3,0 11,0 11 ,0 7,0 - -(II mle Veranderung des SIP gegenuber VOI)iIhr In % Pl Jahresdurohschnittswerte in % PI Jahresendwer1e In %
Wegen der dynamischen Veranderungen und der guten Verrugbarkeit aktueller Daten
werden hier die rechtlichen und wirtschaftspolitischen Rahrnenbedingungen nur skiz
ziert. Tab. 22 und Tab. 23 zeigen Ausschnitte aktueller Wirtschafts- und Rechtsdaten
der untersuchten Lander. Das Material ist dem Jahrbuch 1996/97 "Osteuropa-Perspek-
85
tiven" (FAZ 1996) entnommen. Zur Vertiefung sei ANDROSCH (1996) empfohlen. Eine
fUr die genaue Analyse der aktuellsten Rechtsentwicklungen relevante Quelle ist die
Zeitschrift WIRTSCHAFT UND RECHT IN OSTEUROPA (WlRO).
Tab. 23: Ausgewiihlte Rechtsdaten (in Anlehung an o.V., OP 1996/1997, II, Sff.)
Rul1lland Ukraine Belarus lettland litauen Estland AGoT Mindestkapilal Mindestkapilal Mindestkapital Mindestkapital Mindestkapilal Mindestkapilal
(7/96) (6/96) 150 Mio. BLR 5000 LVL 100 000 Lt 40000EEK 759 Mio. Rubel 2,3 Bill. URK
AGgT Mindestkapilal Mindestkapilal Mindestkapilal Mindeslkapilal Mindestkapilal Mindestkapilal (7/96) (6/96) 10 Mio. BLR 5000LVL 10000 Lt 40 000 EEK 76 Mio. Rubel 1,153 Bill. URK
. KoSI 35% 30% 30% 20-25% 29% 26% EkSI 12%·30% 10%·50% 25% 18-35% 26% MwSI 20% 20% 20% 18% 18% 18% Import- 015% 15%-40% 2%·30% 20% i.d.R. 10% i.d.R. keine zolle Export- keine 010% 2%·30% Ld.R. keine 5%-50% i.d.R. keine zOlIe
Zu den wirtschaftlichen Rahmendaten gehOrt eine Betrachtung des osteuropaischen Hu
mankapitals. Die vielfach erwahnten Lohnkostenvorteile werden in Relation zu den Pro
duktivitatsnachteilen gesetzt und die weitere Einkommenspolarisierung angesprochen.
1m September 1996 betrug das durchschnittliche monatliche Einkommen 157 US$, was
einem Anstieg von 2% gegeniiber August und 42% gegeniiber September 1995 betragt.
In der Industrie betragt das durchschnittliche Einkommen 178 US$, in der Leichtindu
strie 78 US$ und in der Gasindustrie 561 US$. Die Einkommen im Gesundheits-, Erzie
hungs- und kiinstlerischen Bereich liegen etwas unter dem der Industrie (o.V., RUSSIA
TODAY, 8.11.1996).
Aufgrund des Alters der Anlagen, der iibertriebenen vertikalen Integration und des ver
besserungswiirdigen Managements dauert beispielsweise die Produktion eines Autos
zwischen drei und dreiBig mal so lange wie in westlichen Landem. Damit wird der
Lohnkostenvorteil in vie len Industrien durch die niedrige Arbeitsproduktivitat iiber
kompensiert (o.V., ST. PETERSBURG TiMES, 14-20.10.1996).
Bei GAZ z.B., einem russischer Automobilproduzenten, produzieren 96.000 Mitarbeiter
im Jahr 215.000 Autos. CHRYSLER ben6tigt fUr 1,8 Millionen Einheiten nur 125.000
86
Mitarbeiter (O.V., ST. PETERSBURG TIMES, 14-20.10.1996). Die Fertigungstiefe erreicht
bei AVTOVAZ 60%. Jeder der 200.000 Arbeiter hat 1996 im Schnitt 3,5 Autos produ
ziert, in Deutschland liegt der Vergleichswert etwa doppelt so hoch (o.V., FAZ
24.2.1997, 18). Arbeiter der amerikanischen Olfirma EXXON waren 1995 zwolfmal so
produktiv wie Arbeiter von GAZPROM (o.V., ST. PETERSBURG TIMES, 31.10.1996).
Ein GroBteil dieses Produktivitatsnachteils ist auf die schlechte Ausstattung der Indu
strie mit modernen Fertigungsanlagen, Automatisierungs- und Informationstechnologi
en zurUckzufiihren. Dazu kommt aber viel menschliche Ineffizienz. So benotigen russi
sche Unternehmen zwei oder drei Stunden fUr ein "kurzes" Meeting, das in den USA
nur eine % Stunde dauern wiirde (o.V., ST. PETERSBURG TIMES, 12.-18.3.1996).
Eine Studie des Instituts fUr Soziologie der russischen Akademie der Wissenschaften,
bei der 1500 Telefoninterviews durchgefiihrt wurden, zeigt, daB die Kluft zwischen arm
und reich groBer wird. 25% der Bevolkerung verdienen weniger als 54 US$ im Monat
und 10% verdienen mehr als 217 US$ im Monat. Einkommen fiber 15.000 US$ im Mo
nat wurden nicht mit in die Berechnungen aufgenommen, urn Verzerrungen zu vermei
den. Das durchschnittliche Einkommen einer Familie liegt bei 263 US$. Fast ein Drittel
der Befragten verdienen weniger als das Existenzminimurn von 63 US$ (o.V., Sr.
PETERSBURG TIMES, 9-15.1.1996).
4.3 Kulturell bedingte Wertvorstellungen, soziale Bindungen und Beziehungen
Dem Umweltscbichtenmodell von DOLFER (1991, 209 if.) folgend, werden in der Ebene
der kulturellen Wertvorstellungen alle Vostellungen, Werte und Wertesysteme zusam
mengefaBt, die die religiose, ethische und moralische Basis fUr Einstellungen und Ver
halten eines Landes, einer Volksgruppe oder einer Region bilden (zu Werten vgl.
SILBERER 1991, OPP 1983, TROMMSDORFF 1993, 183 if.). Die Ebene der sozialen Bin
dungen und Beziehungen umfaBt nach DOLFER (1991, 208) die sich aus den kulturellen
und religiosen Werten ergebenden famiWiren, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Beziehungsstrukturen.
Ein groBes Problem im Rahmen dieser Studie besteht aus der Eingrenzung der bier zu
betrachtenden Kulturkreise. Auf dem Gebiet der ehemaligen GUS findet sich eine Hille
87
an unterschiedlichen Kulturraumen, die unter anderem slawisch, baltisch, kaukasisch
und asiatisch gepragt sind. Bei allen Verschiedenheiten hat jedoch der russisch beein
flu13te Kulturraum in den Landem der ehemaligen GUS durch den hohen Anteil der sla
wischen Bevolkerung, die sprachliche Dominanz des Russischen, die Implementierung
russischer sozialistischer Wertvorstellungen, Prozesse und Strukturen eine deutliche
Pragung hinterlassen.
Daher solI nachfolgend die Diskussion und Analyse der russischen Kultur- und Wert
vorstellungen und der sich aus ihnen ergebenden typischen Beziehungsstrukturen im
Vordergrund stehen. Sie sind typische Einflu13faktoren im Sinne der Umweltfaktoren
von DOLFER (1981, 1991). Die Wertekategorien wurden zunachst aus der Literatur und
der aktuellen innerrussischen Wertediskussion abgeleitet und in Expertenworkshops
gruppiert und gewichtet. Die Darstellung entstammt also einem eklektischen Ansatz.
Fiir die exploratorische Forschung im betriebswirtschaftlich-anthropologischen Bereich
hat das den Vorzug, daB alle wesentlichen Faktoren aus unterschiedlichen Disziplinen
und Theorieansatzen einbezogen werden konnen.
4.3.1 Traditionelle und neue Werte im Wettbewerb
4.3.1.1 Sowjetiscbe Werte
Aufgrund der Vorherrschaft sozialistischer Werte und Strukturen wurden die sowohl in
Russland als auch in den anderen Staaten der GUS die vor 1918 existierenden kulturel
len Muster durch das staatlich vorgegebene Leitbild des sowjetischen Menschen iiberla
gert. 1m Rahmen des als "sozial-historisches Experiment" mit "menschlichem Material"
bezeichneten Umerziehungsprogramms der Fiihrung (NELSON, KUSES 1995, 140) wurde
ein Mensch angestrebt, der folgende Eigenschaften aufweisen sollte:
• entindividualisiert,
• personliche Interessen den kollektiven unterordnend,
• Zufriedenheit mit einfacher Bediirfnissbefriedigung nahe dem Existenzminimum und
• mit staatlich patemalistischer Orientierung.
In der aktuellen russischen Literatur finden sich Hinweise, daB einer daraus entstande
nen Mentalitat des "Sowjetmenschen" haufig die Verantwortung fUr das Scheitem
marktorientierter Reformen zugeschoben wird (AKSENOVA 1995, 185). Die Frage bleibt,
88
wie stark die Zwangssozialisierung von drei Generationen die verordneten ideologisch
nonnativen Werte im BewuBtsein der Bevolkerung tatsachlich verankem konnte.
Nach LEWADA (1992, 33) wurde bereits nach dem Ende der direkten Repressalien der
Stalin-Ara stillschweigend nicht mehr die Realisierung der sowjetischen Personlich
keitsmerkmale gefordert, sondem lediglich deren offentliches Bekenntnis. Dies diirfte
erheblich zu der fUr totalitare Systeme typischen Kultur der Lippenbekenntnisse und
Doppelmoral beigetragen haben, die in den Landem in den betrieblichen Strukturen und
Ablaufen bis heute zu beobachten ist.
Die oberflachlichen ideologischen Praktiken wurden jedoch nach dem Zerfall der
UDSSR ohne spiirbaren Widerstand der Bevolkerung sehr schnell verworfen (LEW ADA
1992, 296). Empirische Untersuchungen russischer Sozialforscher belegen bereits nach
wenigen Refonnjahren eine zunehmende Verdrangung des klassischen "Sowjettyps" in
gesellschaftliche Randgruppen hohen Alters oder niedrigen Bildungsstandes (KLJAM
KIN, LAPKIN 1995, 106, LEWADA 1992,290). DANILOVA (1995,130) findet keine spezi
fisch sowjetischen Werte mehr in der Bevolkerung und argumentiert, der
"Sowjetmensch" sei ein historisch begrenztes Phanomen. Entsprechend kommt auch
AKSENOVA (1995, 187) zu dem SchluB, die Bedeutung des mangelnden Selbstvertrau
ens und der spezifisch "sowjetischen" Mentalitat werde in bezug auf die MiBerfolge der
Transfonnation meist uberschiitzt, die objektiven Anpassungshindernisse im sozialen
und okonomischen Umfeld jedoch unterschiitzt.
1m Gegenteil ist in vielen Regionen der GUS eine Ruckbesinnung auf vor-sowjetische,
regionale und nationale Traditionen zu beobachten, die oft mit einer deutlich zur Schau
getragenen Kritik an den sowjetischen Mustem einhergeht. Die im weiteren diskutierten
empirischen Befunde weisen darauf hin, daB die traditionellen russischen Werte mit
vOriibergehenden Modifikationen durch die sozialistische Zeit erhalten geblieben sind
und bis heute das Verhalten der Akteure im Transfonnationsumfeld beeinflussen.
4.3.1.2 Kulturdimensionen nach HOFSTEDE
Der niederlandische Anthropologe HOFSTEDE (1980, 1993) bietet mit seinen in der Li
teratur zum intemationalen Management viel diskutierten Kulturdimensionen einen in-
89
teressanten Ansatz zum Vergleich russischer Werte mit denen anderer Lander.
HOFSTEDE (1993) entwickelt auf der Basis multivariater Datenmodelle Indizes fUr vier
hauptsachliche Kulturdimensionen. Diese sind
• Machtdistanz, zum Beispiel zwischen Mitarbeiter und V orgesetztem,
• die Bedeutung von Indiviualitatswerten,
• die gesellschaftliche Bedeutung maskuliner oder femininier Werte sowie
• die Einstellung zu Risiko und Unsicherheit.
Wenngleich die Dimensionen auf der Basis eines sehr eingeschriinkten Hypothesen
gerfrstes und Stichprobenumfangs ermittelt wurden, so geben Sie doch einen Anhalts
punkt fUr die Differenzierung russischer Werte, wie in Tab. 24 dargestellt.
Tab. 24: Kulturdimensionen nach HOFSTEDE
Kulturindizes -7 Machtdistanz Individualilal Maskulinital Unsicherheits-
Lander .J... vermeidung
RuBland 76 26 28 92
ehem. Jugoslawien 76 27 21 88
USA 40 91 62 46
Deutschland 35 67 66 65
Japan 54 46 95 92
Besonders flillt in RuBland die hohe Unsicherheitsvermeidung sowie eine ausgepragte
Machtdistanz auf, die allerdings in den Landem des ehemaligen Jugoslawien und in
Japan ebenfalls zu finden sind. Auffallig ist auch die geringe Bedeutung von Individua
lismus und Maskulinitat. Die Ergebnisse HOFSTEDES (1993) werden von divers en, nach
stehend angesprochenen empirischen Untersuchungen russischer Forscher gestiitzt.
4.3.1.2.1 Machtdistaoz nod hierarchische Ordonog
Wahrend in westlichen Landem das Erziehungssystem Eigenstandigkeit und kritische
Unabhangigkeit des Einzelnen fOrdert, ist die Erziehung in Russland auch heute noch
stark gepragt von hierarchischen Abhangigkeiten, Respekt und der Rolle des Lehrers
oder Vorgesetzten als Vorbild und weise Vaterfigur (LEWADA 1992, 112). Daraus Hillt
sich auf eine Dominanz von hierarchischen und Senioritatswerten schlieBen. Das korre
spondiert mit den Erkenntnissen von KAPLAN (1966, zitiert nach KNAPP 1992), der bei
der Analyse russischer Uno-Redebeitrage einen dominant deduktiven Redeaufbau und
90
damit hierarchische, vertikale Denkstrukturen identifizierte. Die traditionelle Dominanz
hierarchischer Werte spielt fUr die Auspragung der sozialen Bindungen und Beziehun
gen eine entscheidende Rolle und wird daher in Tei14.2 vertieft diskutiert.
4.3.1.2.2 ReligiOse Werte
Trotz der Vorherrschaft der christlich-orthodoxen Kirche vor 1917 bezeichnen sich nach
LEV ADA (1992, 242) im Jahre 1990 nur 7,5 % der Bevolkerung als religios, fast die
Halfte (49 %) lehnen religiose Autoritaten ab und verlassen sich auf den "gesunden
Menschenverstand". Trotzdem kann die hierarchische Orientierung, die Geduld und die
Dominanz sozialer Werte bei weiten Teilen der Bevolkerung als Erbe der viele Jahrhun
derte lang praktizierten christlich-orthodoxen Lehre angesehen werden. Interessant ist in
diesem Zusammenhang die Feststellung, daB sowohl Stalin als auch Lenin das christ
lich-orthodoxe Priesterseminar besuchten. Die strukurelle Ahnlichkeit des vertikal
hierarchischen orthodoxen Dogmas mit der im sowjetischen Staatsapparat praktizierten,
ideologiegestUtzten monohierarchlschen Biirokratie 11i.J3t zumindest auf eine wechselsei
tige Verstarkung hierarchischer Werte schlieBen.
4.3.1.2.3 Kollektivismus
STEPIN (1995, 77) sieht RuBland als kollektiv orientiertes Land, in der der Einzelne von
Kindheit an lernt, sich in seinen Bediirfnissen und Verhaltensweisen starker an der
"Wir-Gruppe" als Familienersatz zu orientieren. Die Unterordnung der individuellen
unter die kollektiven Interessen wird von einigen Autoren sogar als Fundament des rus
sischen Weltbildes bezeichnet (PANARIN 1995,71), das seit vielen Jahrhunderten als Be
standteil der christlich-orthodoxen Lehre die Werte der Bev6lkerung gepragt haben. Da
bei stehen wechselseitige hierarchische Verpflichtungsverhaltnisse im Vordergrund,
iihnlich wie im Konfuzianismus.
Die alte Tradition des engen Zusammenlebens in abgeschiedenen Dorfgemeinden mit
groBer Entfernung von der AuBenwelt kann als eine historische Wurzel der gemein
schaftlichen Mentalitat der Russen gesehen werden. Die Gemeinde diente einerseits als
wirtschaftliche Einheit mit kollektiver Arbeit ihrer Mitglieder, anderseits blieb sie als
stabile soziale Einheit in dem Veranderungen unterworfenen Umfeld konstant (SARU
BINA 1995, S.49). Die russischen Industriellen bauten seit Ende des neunzehnten Jahr-
91
hunderts intensiv die soziale Sphare ihrer Betriebe auf, errichteten Wohnungen, Kan
tinen und Krankenhauser fUr die Werktiitigen, urn ihre Arbeitsmotivation zu steigem.
IVANOV (1995, 250) klagt in diesem Zusammenhang die ehemalige sowjetische Macht
elite des Millbrauchs der kollektivistischen Orientierung der Menschen an und wirft ihr
vor, sie fUr ihre ideologisch verdeckte Ausbeutung ausgenutzt zu haben. Unabhiingig
davon setzte sich auch in der sowjetischen Zeit das traditionelle Verstiindnis des Be
triebs als ganzheitlicher sozialokonomischer Organismus fort. Trotz des Einbrechens
individueller Wertvorstellungen und vereinzelten Wohlstands haben jedoch auch im
derzeitigen Transformationsurnfeld kollektive Werte noch hohe Bedeutung.
4.3.1.2.4 Soziale Gerechtigkeit und Beziehungswerte
Soziale Gerechtigkeit und Beziehungswerte wichtiger einzuschatzen als die personliche
Karriere ist nach HOFSTEDE (1993, 101) Kennzeichen der Dominanz femininer Werte.
Dies ist nach STEPIN (1995, 78) auch tief im traditionellen russischen Wertesystem ver
wurzelt, von DOSTOJEWSKIJ beschrieben auch als "das Streben, allen Menschen der Erde
Bruder zu sein". Eine Dominanz von Beziehungswerten beobachtet bereits 1633 der
holsteinische Bibliothekar ADAM OLARIUS: "Deutsche besitzen eine starke Neigung, die
Zeit auszukaufen. Sie sprechen geradezu davon, daB es darauf ankomme, die Zeit zu
nutzen .... Den Russen ist eine solche Betrachtensweise etwas vollkommen Fremdes."
OLARIUS meint, Russen gehen mit der Zeit eher urn "wie mit einem Spielzeug" und
"haben eine unbiindige Freude am Gesprach" (RAUCH 1960, 58). DANlLOWA (1995,
121) schreibt hierzu, daB die Frage "wer bin ich" in RuBland weniger mit der Frage
"was habe ich erreicht?" sondem mit der Frage "was bin ich fUr ein Mensch?" gleichzu
setzen sei. LEV ADA (1992, 273, 336) ermittelt, daB fUr 75 % der von ihm befragten Rus
sen die Gesellschaft Anderer und die Geselligkeit einen sehr hohen Wert darstellt.
92
4.3.1.2.5 Uosicherheitsvermeiduog
Von dem Begriff des "russischen Roulette" konnte man spontan auf eine hohe Risiko
freude der russichen Bevolkerung schlieBen. In bezug auf Russland begriindet HOF
STEDE (1993, 136) eine situativ extreme Risikobereitschaft, zum Beispiel beim Autofah
ren, psychologisch mit dem Versuch, eine tiefer liegende Unsicherheit zu vermeiden.
AhnIich argumentiert PANARIN (1995, 69), der die schnelle, mitunter auch aggressiv, in
direkter Auseinandersetzung erfolgende Beseitigung unklarer Situationen als Unsicher
heitsvermeidung deutet.
Bei allen Einschriinkungen an der Universalitat von HOFSTEDES (1993) Ergebnissen
so lite der Hinweis auf stark kollektiv gepdi.gte Wertvorstellungen und eine hohe Unsi
cherheitsvermeidung bei der oft unkritischen Implementierung westlicher Manage
mentmodelle beriicksichtigt werden (PIEPER 1993, 236), deren Erfolg einen hohen Grad
individueller Unabhangigkeit, Unsicherheits- und Risikofreude voraussetzen.
4.3.1.3 Werte uod Transformation
4.3.1.3.1 Leistungsorieotieruog uod Selbstveraotwortuog
Gesellschaftliche Transformation bedeutet auch Wechselwirkung zwischen den Indivi
duen und dem sich andemden sozialen Umfeld. Das erklarte Ziel der okonomischen Re
formen in RuBland ist der Ubergang zu einer freien Gesellschaft mit der minimal not
wendigen Zahl administrativer Beschriinkungen, mit der Forderung des Untemehmer
geistes und mit der Freiheit der Menschen, ihr Schicksal in die eigenen Hande zu neh
men (SCHABANOVA 1995,81).
Sozialwissenschaftliche Umfragen belegen, daB entgegen verbreiteten Vorurteilen in der
ehemaligen Sowjetunion, trotz der kollektiven Orientierung, Eigeninitiative und Tat
kraft eine groBe Rolle spielten (KELLER, KNIGGE 1995, 58). 1m Rahmen einer landes
weiten Befragung im Jahre 1990 meinten 63% der Bevolkerung, daB man sein Gluck
mit seinen eigenen Handen schaffen musse (LEW ADA 1992, 316 ff., Frage 49). Fiir 55%
der Befragten (Gegenmeinung 36%) war es wichtiger, bei der Arbeit und in personli
chen Angelegenheiten Erfolge zu erzielen als MiBerfolge zu vermeiden (ebd., Frage 45).
59% der Befragten (Gegenmeinung 24%) schatzen initiative Menschen hoch (ebd., Fra-
93
ge 5), und 37% waren sogar bereit, selbst einen Fiihrungsposten zu fibemehmen. Bei
den Befragten dominierte die Meinung, daB "die zuverUissige, tagtiigliche Arbeit eines
jeden" der richtige Weg zur Bewiiltigung gesellschaftlich wichtiger Aufgaben ist (ebd.,
Frage 10) und daB man sich bei der Problemlosung nicht auf okonomische und politi
sche Scheinautoritiiten, sondem "auf den eigenen gesunden Menschenverstand srutzen
solIe" (ebd. Frage 33).
NAUMOV A (1995, 19) argumentiert, die Enttauschung fiber die nicht erfullten Erwartun
gen nach den zum Teil schockartig durchgefiihrten Reformen hatte die Menschen er
nfichtert und ihre Einstellung zur sozialen Realitiit schliissiger werden lassen. SMETANIN
(1995, 86) ermittelt in seiner Umfrage folgende Einschiitzungen von fUr den Lebenser
folg entscheidenden Faktoren:
• harte Arbeit,
• Aktivitiit und Untemehmungsgeist,
• personliche Beziehungen und
• guter Beruf.
Eine von der Russischen Akademie der Wissenschaft im Jahr 1993 durchgefiihrte reprii
sentative Befragung zeigt, daB eigene Schwachstellen wie mangelnde Untemehmungs
lust (26%), mangelndes Selbstvertrauen (19%), mangelnder Kampfgeist (16%), man
gelnde Risikobereitschaft (14%) durchaus von den Beteiligten selbst erkannt werden.
Dies ist fUr SCHABANOVA (1995, 87) ein Zeichen fUr die Bereitschaft zum Lemen.
In der Transformationspraxis werden jedoch die Grenzen der Verwirklichung der indi
viduellen Fiihigkeiten und Potentiale im sozialen und okonomischen Umfeld enger, wo
fUr KOSMARSKIJ, MALI EVA (1995, S.16) vor allem den MachtmiBbrauch der Obrigkeit
und die Verarmung der Bevolkerung verantwortlich macht. Werden weite Bevolke
rungsschichten unterbezahlt, unter ihrer Wiirde behandelt und aus dem aktiven okono
mischen Leben ausgeschlossen, erfolgt bei gleichzeitig mangelndem Verstandnis fUr die
Funktionsweisen einer indirekten marktwirtschaftlichen Ordnung nur eine kurzfristige
erzwungene Anpassung des Einzelnen. Diese kann schnell zu einer fundamentalen Kri
tik an den Reformen und der als negativ erlebten marktwirtschaftlichen Ordnung fiihren.
94
4.3.1.3.2 Ideal der sozialen Gerecbtigkeit
Materieller Reichtum wurde im zaristischen RuBland als von Gott zur Nutzung gegeben
betrachtet und konnte folglich nur durch die Ubemahme sozialer Verantwortung ge
rechtfertigt werden (SARUBINA 1995, 49). So standen nach einer Befragung von LEW A
DA (1992, 316 ff.) auch im Jahre 199049% der russischen Bevolkerung den Reichen
positiv gegenuber, sofem das Geld auf ehrliche Art und Weise verdient worden ist. Al
lerdings glaubten 40%, daB "man soviel Geld nicht ehrlich verdienen konne". Die Mehr
zahl der Befragten (67% gegen 26%) glaubte nicht, daB es eine Gesellschaft geben
konnte, in der es weder Not noch Leid gibt. Die als unehrlich und krirninell bezeichnete
Bereicherung der Machtelite seit Anfang der 90er Jahre wird jedoch nach Umfragen von
KLJAMKIN, LAPKIN (1995, 102) von der Mehrheit der Befragten entschieden abgelehnt.
FUr soziale Gerechtigkeit wird nach diesen Ergebnissen von den meisten Gruppen der
russischen Gesellschaft trotz des ideologischen Erbes Einkommensgleichheit nicht vor
ausgesetzt. Die absolute Mehrheit der Bevolkerung will danach nicht "in Armut gleich"
sein, sondem sieht die Aufgabe der Gesellschaft in der Erhaltung eines Wohlstandsni
veaus, das fur alle Menschen ein menschenwtirdiges Leben ermoglicht.
4.3.1.3.3 Einstellung zur Marktwirtscbaft
Nach einer von der Russischen Akademie der Wissenschaften im Jahr 1993 durchge
fuhrten reprasentativen Befragung akzeptierte die Mehrheit der Bevolkerung die Frei
heit des Untemehmertums und des Eigentums und erwartet von der sozialen Marktwirt
schaft eine Steigerung des Wohlstandes (SCHABANOVA 1995, 86). Mehr als 20% der
Bevolkerung erkliirten sich so gar selbst bereit, ein eigenes Untemehmen zu grunden.
Durch die zum Teil sehr kurzfristig durchgefuhrten Deregulierungen ohne die gleich
zeitige Schaffung funktionierender Institutionen fur eine indirekte Steuerung einer so
zialen Marktwirtschaft bekam die neue Ordnung fur viele Burger ein abschreckendes
Gesicht: Willkur der BUrokratie, Raubbau, Kriminalitat und Schwache der sozialen In
stitutionen, welche Rechte und Interessen der Menschen hatten schutzen sollen. Die
Praktiken des "Wilden Kapitalismus" stehen dem tief in der russischen Kultur verwur
zelten Ideal der sozialen Gerechtigkeit entgegen. Sie werden von der Bevolkerung ne
gativ wahrgenommen und mit dem Begriff der Marktwirtschaft identifiziert. STEPIN
95
(1995, S.81) kritisiert, daB der Staat einerseits das Staatseigentum fUr symbolische Prei
se an Neureiche verschleudere und anderseits durch seine Wirtschafts- und Sozialpolitik
groBe Teile der Bevolkerung in Armut und Elend treibe.
RESNIKOV (1995, 4) kritisiert in diesem Zusammenhang die ausschlieBliche Orientie
rung der okonomischen Reformen an makrookonomischen Strukturen, wobei die ent
scheidende Rolle des motivierten Menschen als Trager der Veranderungen verkannt
werde. Vor allem die Forderung der Kleinbetrlebe werde vemachlassigt. GATOVSKIJ
(1995, 121) argurnentiert, die okonomischen Reformen in RuBland werden so lange
fehlschlagen, wie die Menschen unter ihrer Wiirde behandelt werden, weil dadurch kein
Vertauen in die marktwirtschaftliche Ordnung wachsen konne.
In vielen Befragungen der Bevolkerung zeigt sich, daB die Mehrheit linke oder rechte
ideologisch-totalitiire Bestrebungen ablehnt (LEONARD 1995, 64): Vielmehr nimmt der
Wunsch nach einer der russischen Tradition entsprechenden, parteiiibergreifend rus
sisch-autoritiiren Entwicklung zu, die Autoritiit und Ordnung in den Vordergrund stellt
und doch die marktwirtschaftliche Tendenz fordert. Leitbild dieser Vorstellung ist eine
integrierende nationale Personlichkeit, die mittels weitreichenden Vollmachten Chaos
und organisierte Kriminalitat beendet und nach dem Modell der asiatischen "Tiger
staaten" das Land in einen modemen Industriestaat verwandelt.
4.3.1.4 Werte am Arbeitsplatz
4.3.1.4.1 Arbeitswerte und Arbeitsmotivation in der ehemaligen Sowjetunion
Die Einstellung der Biirger der ehemaligen Sowjetunion zur Arbeit integrierte okonomi
sche, soziale und ethische Aspekte. Die ablehnende Haltung der Arbeiter gegeniiber
ihrer schlecht bezahlten und schlecht organisierten offiziellen Arbeit in den sozialisti
schen Betrleben kann nicht als alleiniges Kriteriurn fUr die Einstellung der Menschen
zur Arbeit genommen werden. LEWADA (1992, 34 ff.) schreibt, daB viele Mitarbeiter oft
nur den Schein einer intensiven Tatigkeit am offiziellen Arbeitsplatz erweckten, urn der
zynischen Ausbeutung durch den Staat auszuweichen. Die Kraft wurde fUr die Regelung
personlicher Angelegenheiten gespart, zum Beispiel fUr die Ausfiihrung eines privaten
Auftrages unter heimlicher Nutzung staatlicher Produktionsmittel.
96
Der offizielle Lohn war selten ein Anreiz fUr die Steigerung der Produktivitat. Deswe
gen verlagerte sich die Leistungsmotivation aus dem Bereich des offentlichen Lebens in
den privaten Bereich. Die nebenbei betriebene Landwirtschaft brachte im Jahr 1989
59% des gesamten staatlichen Produktionsvolumens an Kartoffeln, 58% an Friichten
und Beeren und 30% an Fleisch und Gemuse (LEWADA 1992,84). Nach SAIZEW (1994,
185) wurde in der Schattenwirtschaft eine hohe Produktivitat und adaquate Entlohnung
erzielt. Annahemd 20 Millionen Beschiiftigte brachten bier etwa 30% der gesamtwirt
schaflichen Leistung der UdSSR hervor.
Die richtige Entlohnung erwies sich auch in der UdSSR als beste Arbeitsmotivation,
war jedoch fUr die Staatsbetriebe ideologisch nicht vertretbar. Fachmanmsches Wissen
und Konnen wurde nicht mit Geld oder mit gesellschaftlichem Status belohnt, wohl aber
mit Achtung. Qualifizierte Arbeiter, Ingenieure und Techniker machten Rationalisie
rungsvorschlage und arbeiteten oft zusatzlich ohne Entlohnung, wenn die Aufgaben sie
reizten. Viele Fachleute gingen deshalb in die Betriebe der Rustungsindustrie, und zwar
nicht nur der etwas besseren Bezahlung wegen, sondem auch aus dem Interesse, ihre
Fahigkeiten zu vervollkonunnen und effizient einzusetzen. Nach LAWRENCE,
VLACHOUTSICOS (1993, 14) wurden damals nur ca. 10% der produktiven und kreativen
Fahigkeiten der Arbeitnehmer genutzt.
4.3.1.4.2 Veranderungen seit den Reformen
Seit 1992 treiben unerwilnschte Nebeneffekte der okonomischen Reformen AngehOrige
der unteren Scbichten in die soziale Krise, was sich auch negativ auf die betriebliche
Arbeitsmotivation auswirkt. In den meisten Untemehmen wurde z. B. der Posten des
Sicherheitsbeauftragten eliminiert. Dadurch stieg die Zahl der Arbeitsunfalle erheblich
an (Saslavskij 1995, 50). Vor den Reformen war es durch den strukturbedingten Ange
botsuberhang an Arbeitsplatzen grundsatzlich moglich, nach einer Kilndigung eine an
dere Stelle zu finden. Derzeit erreicht die verdeckte Arbeitslosigkeit schatzungsweise
20%, in vielen Regionen mit ungOnstiger Produktionsstruktur liegt sie deutlich hOher
(Saslavskij 1995, 50). Sowohl in den staatlichen als auch in den privatisierten Unter
nehmen ist dadruch die Abhangigkeit der Mitarbeiter von der Untemehmensleitung er
heblich gestiegen.
97
Entsprechend den Erfahrungen in den mitte1europaischen Landem hatte die Verteilung
von Betriebsanteilen an die Mitarbeiter im Rahmen der kleinen Privatisierung keine
positiven Auswirkungen auf die Arbeitsmotivation (ERMOLAJEV 1994, 81). Zunachst
brachten die Aktien kein zusatzliches Einkommen, denn in den meisten Untemehmen
wurde keine oder eine sehr geringe Dividende ausgezahlt. Des weiteren hat der einze1ne
Aktionar keinen EinfluB auf die Untemehmenspolitik. Die Direktoren entlassen mit Hi1-
fe der gehorsam schweigenden Mehrheit die Widerspenstigen und iibemehmen deren
Antei1e (SASLA VSKIJ 1995, S.49). Die Gerichte sind mit Klagen von derart gekiindigten
Arbeitnehmem iiberlastet.
Die Demotivation der Arbeitnehmer wird durch die anhaltende Inflation verstarkt: 1m
Jahre 1994 sank das Reallohnniveau der bearbeitenden Industrie inflationsbedingt urn
50 % (SASLA VSKIJ 1995, 51). Die Arbeitsmotivation und die fUr eine modeme Indu
striegesellschaft notwendige Solidaritat zwischen Arbeit und Kapita1 wurde durch
mehrmonatige Verzogerungen der Lohnzah1ungen und andere Verletzungen der Arbeit
nehmerrechte zunehmend b10ckiert (ST ARIKOV 1996). Es ist der Solidaritat, dem per
sonlichen Verantwortungsgefiihl und der traditionellen Gedu1digkeit der russischen Be
vo1kerung zu verdanken, daB trotz der in vielen Untemehmen herrschenden Zustande
bisher keine groJ3eren Unruhen ausgebrochen sind.
4.3.1.4.3 Arbeitsmotivation und betriebliche Sozialleistungen
Die Arbeitnehmer suchen im Untemehmen ihre Identitat und begreifen sich a1s Mitg1ie
der der fami1ieniihnlichen "Wir-Gruppe". Die emotiona1e Bindung der Mitarbeiter an
das Untemehmen resultiert in einem erhohten Pflichtgefiih1, aber auch in der Erwartung,
daB das Untemehmen seinen AngehOrigen bei der Losung ihrer privaten Prob1eme, bei
spie1sweise bei der Kinderbetreuung und medizinisch hi1ft (POSEL 1995, 45). Besonders
da die sozia1e Ffusorge des Staates unzureichend ist, haben betrieb1iche Sozialleistungen
hohe Bedeutung fUr die Arbeitsmotivation. Je mehr nun der Zugang zu diesen Leistun
gen fUr die Mitarbeiter dadurch behindert wird, daB das Manamagement unkontrolliert
betrieb1iche Po1ikliniken, Kantinen, Erho1ungs-, und Ku1tureinrichtungen an Privatfir
men vermietet, wobei personliche Bereicherung nicht ausgeschlossen wird (SASLA VSKIJ
1995, 49), desto starker sind die Demotivationseffekte.
98
Eine yom Soziologischen Institut der Russischen Akademie der Wissenschaft durchge
fiihrte Befragung von Arbeitnehmem in Moskau (PATRUSCHEW, TEMNIZKIJ 1994, 57)
ergab die folgende Reihenfolge von EinfluBfaktoren der Arbeitsmotivation, die auch
dem in den vorigen Abschnitten diskutierten traditionellen Werten entspricht:
• Guter Verdienst
• Umgang mit Kollegen und Freunden
• Selbstverwirklichung durch Einsatz der Kenntnisse und Fiihigkeiten
• Anerkennung als nutzbringendes Mitglied der Gesellschaft.
Die Ergebnisse stUtzen die von HOFSTEDE (1993) ermittelte Bedeutung der von ihm als
feminin bezeichneten Beziehungswerte in der russischen Kultur.
Die Erfahrung erfolgreicher Joint-ventures in RuBland zeigt, daB die sinnvolle Nutzung
des Potentials der russischen Arbeitnehmer zur Steigerung der Produktivitiit bis zum
westlichen Niveau, zu Zufriedenheit der Belegschaft und zu eindrucksvollen Wertzu
wiichsen fiihrt (LAWRENCE, VLACHOUTSlCOS 1993, 14). Den Anreiz dafiir bildet eine
gerechte leistungsbezogene Entlohnung, die durch betriebliche Sozialleistungen unter
stUtzt wird
4.3.1.4.4 Ehrlichkeit nod Diebstahl am Arbeitsplatz
Das Stehlen von Privateigentum gilt traditionell in RuBland als moralisch iiuBerst ver
werflich. Ganz anders verhalt es sich bei staatlich-offentlichen Glitem, die "allen und
niemandem" gehOren. Diebstahl am Arbeitsplatz war in der Staatsbetrieben der ehema
ligen Sowjetunion weit verbreitetet und galt dort als Kavaliersdelikt: Das yom Staat
ausgebeutete Yolk nahm sich seinen nicht ausgezahlten Lohn als Naturalieniiquivalent
selbst (LEWADA 1992, 82). Die Veruntreuung staatlicher Mittel galt als einzige Ressour
ce im Uberlebenskampf gegen den iibermiichtigen Staat. Ahnlich der Einstellung zur
Schwarzarbeit war Diebstahl am Arbeitsplatz ein Phiinomen der Doppelmoral in der
tiiglichen Uberlebenspraxis. Trotz der Zunahme privatwirtschaftlicher Untemehmen
muB aufgrund der Langlebigkeit entsprechender Werte davon ausgegangen werden, daB
der Diebstahl von Arbeitsmaterialien ein typisches Problem bleibt.
99
4.3.2 Soziale Bindungen und Beziehungen
4.3.2.1 Hierarchische Ordnung
P ANARIN (1995, 69) macht ein emotionales Bediirfnis der Russen nach ausfiihrlichen
formellen und informellen Regeln, nach klaren Rollenverteilungen und einer starken
Zentralmacht dafiir verantwortlich, daB sich bei allen bisherigen gesellschaftlichen Mo
dellen in RuBland eine hierarchische Struktur und totalitare Macht der Biirokratie durch
gesetzt hat. WITTFOGEL (1962) beschreibt in einer (urnstrittenen) Analyse ebenfalls die
totalitare, russische Staatshierarchie in Analogie zu mechanistischen Gesellschaftsmo
dellen als hydraulische Gesellschaft und arbeitet AhnIichkeiten zwischen russischen und
chinesischen Despotien heraus (vgl. hierzu auch SCHUCHARDT 1994, 305). Er be
schreibt, daB die russische Kultur seit lahrhunderten eine monohierarchische Struktur
mit groBer Machtdistanz widerspiegelt: Der Staatsdiener war Kriegsherr, Richter, Pro
phet und Kaufmann zugleich. Der kurze industrielle Aufschwung RuBlands am Ende
des neunzehnten lahrhunderts geniigte nicht, urn eine breite Machtverteilung in der Ge
sellschaft herbeizufiihren. Die auf Privateigentum beruhende russische Wirtschaft stand
auch vor 1917 unter dem autoritaren EinfluB des Staates. Die absolute Uberlegenheit der
zaristischen Biirokratie auBerte sich beispielsweise in der totalen Kontrolle des gesam
ten Finanzwesens des Landes durch die Staatsbank (WITTFOGEL 1962, 236 f.).
Wie von uns bereits im Zusammenhang mit der Transformation Chinas herausgearbeitet
(TROMMSDORFF, WILPERT 1994,3; SCHUCHARDT 1994,4 ff.), erfordert eine Marktwirt
schaft als horizontale Ordnung vom Einzelnen ein grundsatzlich anderes Denk- und
Konflikt16sungsverhalten als eine vertikale, hierarchische Ordnung (vgl. hierzu auch
KIRSCH, MACK SCHEIDT 1988). In der russischen, traditionell hierarchisch gepragten
Kultur mit dem nach HOFSTEDE (1993) hohen Unsicherheitsvermeidungsindex wird die
UngewiBheit nicht als eine normale Erscheinung im Leben hingenommen, sondem pri
mar als Bedrohung empfunden und mit Hilfe von Gesetzen und Regeln bekampft. Ver
antwortliche Politiker, Staatsbeamte, Arbeitgeber und Arbeitnehmer einer solchen Pra
gung fiihlen sich wohl in einer klar strukturierten Umgebung, in der nichts dem Zufall
iiberlassen ist. Fiir einen dominant hierarchisch gepragten Menschen wirken nicht
hierarchische, horizontale und dezentrale Ordnungsprozesse als ungeordnet und chao
tisch. Sie 16sen erhebliche Unsicherheitsgefiihle und Unwohlsein aus und in der Folge
eine kritische Haltung gegeniiber den marktwirtschaftlichen Veranderungen.
100
HOFSTEDE (1993, 54) warnt entsprechend vor der ungeprUften Ubertragung westlicher
Wirtschaftsmodelle auf hierarchisch gepriigte Gesellschaften, da dies zu erheblichen
Ressentiments und unter Umstiinden zum Scheitem der Reformen f'iihren kann: Ohne
eine ausreichende Vorbereitung, Schulung und personliche Erfahrung mit horizontalen
Ordnungssystemen bleibt der hierarchisch gepriigte Einzelne in marktwirtschaftlichen
Strukturen orientierungslos. In einem solchen Umfeld sind eigene Wertesysteme,
Selbstverantwortung und Verhandlungsgeschick kritische Erfolgsfaktoren, die erst im
Verlauf der Transformation erlemt und geubt werden konnen.
4.3.2.2 Macht ond Burokratie
Die historische Erfahrung f'iihrte das russische Yolk zu der Auffassung, daB nur eine
starke zentrale Macht die Ordnung innerhalb des riesigen Reiches sichem konne. Die
Schwiichung der zentralen Macht hatte in der russischen Geschichte stets erbitterte sepa
ratistische Machtkampfe, Brutalitat, Barbarei und Chaos zur Folge. In der mentalen
Programmierung der Russen ist die Uberzeugung fest verankert, daB eine starke Obrig
keit politische und okonomische Macht, W ohlstand und gesellschaftlichen Status in sich
vereinen solI (STEPIN 1995, 79).
1m Gegensatz zur Entwicklung im Westen bildete auch die russische orthodoxe Kirche
kein Gegengewicht zu der absoluten staatlichen Macht. Die straffe staatliche Verwal
tung der kirchlichen Angelegenheiten f'iihrte zum Aufbau einer Art Staatskirchentum
(MOELLER 1979, 124). So beherrschte der russische Staat jahrhundertelang alle lebens
wichtigen Bereiche des menschlichen Zusammenlebens. Die Beziehung zur staatlichen
Macht und Obrigkeit war in der russischen Kultur weniger eine Frage der Politik, son
dem des personlichen Uberlebens.
Die sowjetische Gesellschaft behinderte auf anderer ideologischer Grundlage, aber ganz
im Sinne der russischen Tradition das Entstehen einer breiten Mittelschicht. Der buro
kratische Staatsapparat wurde zur herrschenden Klasse, welche die totale Macht schuf
und verteidigte. Das daraus entstandene gesellschaftliche System wurde oft als Appa
ratsstaat oder hydraulische Despotie (WITTFOGEL 1962,399,545) bezeichnet.
101
Seit der Reform Anfang der 90er Jahre ist nach Aussage russischer Sozialforscher die
Mehrheit der Bevolkerung wegen der emeuten Entfremdung der Obrigkeit vom Yolk
zutiefst enttauscht (KLJAMKIN, LAPKIN 1995, 101). Das MiBtrauen in alle Formen der
Obrigkeit, zentraler und lokaler, Legislative und Exekutive nimmt zu. Immer mehr Be
fragte nehmen die soziale Realitat nicht als eine geordnete Struktur, sondem als ein von
niemandem beherrschtes Chaos wahr (NAuMoVA 1995, S.l3). Dies verdeutlicht das im
vorigen Abschnitt erlauterte Fehlen von Verhaltens- und Interpretationsmustem fUr eine
weniger hierarchische Ordnung und daher die Notwendigkeit von breit angelegten Schu
lungs- und AutklarungsmaBnahmen in der Bevolkerung.
Tatsachlich brachte auch die aus dem Westen importierte Demokratie keine breite
Machtverteilung mit sich. Wegen der reformfeindlichen Position des Parlaments ver
zichtete die Regierung Jelzin auf die miihevolle Suche nach gesellschaftlichem Konsens
und konzentrierte statt dessen die gesamte Macht im Land in den Handen der ausflih
renden Gewalt, urn in voller Ubereinstimmung mit der russischen Tradition die Refor
men von oben durchzusetzen. Es entstand emeut eine Monopolbiirokratie, die den Auf
bau einer im russischen Grundgesetz deklarierten demokratischen Gesellschaft mit
breiter Machtverteilung in der Praxis verhindert (NELSON, KUSES 1995, l38). Wegen
der mangelhaften Entwicklung von unabhangigen, sich gegenseitig kontrollierenden
Machtzentren in Politik, Industrie oder Gewerkschaften existieren kaurn Gegengewichte
zu den monopolistischen Anspruchen des autoritaren Staatsapparates.
Insbesondere in den landlichen Regionen regieren die Gouvemeure de facto eigen
machtig in ihren Gebieten, in denen sie zuvor oft V orsitzende der Gebietskomitees der
Partei waren. In den Handen der Biirokratie liegt die uneingeschrankte Macht am Ort;
die Unabhangigkeit der ortlichen Legislative und des Gerichtswesens existiert in vielen
Fallen nur auf dem Papier. Beispielhaft fUr diese Entwicklung ist das Woroneschskom
Gebiet, wo nur in flinfvon 39 Kreisen neue Biirgermeister gewahlt wurden, wahrend die
ubrigen direkt aus der sowjetischen Zeit ubemommen wurden (SALlE 1994, 163). Ent
sprechend viele der ehemaligen Parteifunktionare sind Abgeordnete der ortlichen Le
gislative geworden.
In RuBland wird Macht traditionell hOher geschatzt als Geld. Fur GLASJEW (1994, 5)
bedeutet viel starker noch als in der sowjetischen Zeit die ZugehOrigkeit zur Machtelite
102
einen kaum kontrollierten Zugang zur Verteilung von Ressourcen und eine Quelle der
privaten Bereicherung. Die Durchfiihrung der okonomischen Reformen steht danach
mehr unter dem Zeichen der Umverteilung des Staatseigentums und dient weniger der
Steigerung der allgemeinen Wohlfahrt. Die These, dal3 die groBten Besitztiimer in Zei
ten gesellschaftlichen Umbruchs angehauft werden, hat sich nach Lwov (1995, 27) in
RuBland besUitigt. Er wirft der sowjetischen Machtelite und vielen Fiihrungskriiften vor,
ihren EinfluB unter den veranderten gesellschaftlichen Bedingungen durch legale Obernahme von Volkseigentum abgesichert zu haben, das sie de facto schon immer als eige
nes Eigentum benutzt habe. Auch das tragt zur Unzufriedenheit in der russichen Offent
lichkeit bei.
Bis heute ist damit in RuBland die politische Macht von der okonomischen Macht kaum
zu trennen. Gewinner bekommen alles, einen wiirdigen Ruhestand fiir Rentner gibt es
nicht. Auch heute wird argumentiert, daB deswegen die russische Machtelite im Ver
gleich mit der westlichen mehr zu verlieren habe und deshalb vor keinem Mittel zuriick
schrecke, die Macht zu erhalten (PANARIN 1995,69). In RuBland gibt es nach PANARIN
(1995, 69) traditionell keine breite Mittelschicht, die Machtelite halt zusammen und
entzieht sich der Kontrolle. Diese Auffassung PANARINS spiegelt ein in der russischen
Offentlichkeit oft anzutreffendes Ohnmachtsgefiihl des Einzelnen wieder, das Machtge
fiige wird als undurchschaubar und die Biirokratie als korrupt wahrgenommenen.
4.3.2.3 Mafia
Die Mafia als Begriff ist in der russischen Offentlichkeit seit Jahren ein offen und breit
diskutiertes Thema. Die Auspliinderung des Landes, offene Gewalt, Korruption und
Steuerhinterziehung sind Medienalltag. Das organisierte Verbrechen wachst in ord
nungspolitische Felder, in denen der Staat seine legitime Macht nicht ausiibt. Ange
sichts des raschen Eindringens der Mafia in nahezu alle Lebensbereiche wird nachfol
gend die Mafia als gesellschaftliches System und ihre historischen Wurzeln diskutiert.
Die russische Mafia kann weniger als eine Organisation von Kriminellen gesehen wer
den, eher als ein gewaltiger Korper der russischen Wirtschaft und der Politik, der sich
illegaler Methoden und der Dienste von Kriminellen bedient und ohne Riicksicht auf
Gesetz und Moral das Primat der individuellen Bereicherung verwirklicht. 1m Mittel-
103
punkt steht nach BEHR (1985, 247) primiir ein okonomisches, machiavellistisches Be
wuBtsein nach dem Prinzip "der Zweck heiligt die Mittel". Der groBe volkswirtschaftli
che Wert der Leistungen der Mafia, insbesondere auf dem Gebiet des Drogenhandels,
wird am Beispiel der asiatischen Anbaullinder und Regionen deutlich. Angesichts der
schwachen Investitionen in die russische Industrie wird das "Waschen" der kriminellen
Gewinne durch eine Kapitalanlage in die legale Wirtschaft von der Administration ge
duldet bis stillschweigend gefordert (NESTROV, WAKURIN 1995, 139). Eigens urn das
Geld der Partei zu waschen, wurden schon Ende der 80er Jahre viele Kreditinstitute ge
griindet. Selbst das russische Innenministeriurn bezeichnet den heutigen Bankensektor
als einen der kriminellsten Bereiche der russischen Wirtschaft (LUNEEV 1994, S.97).
Gewalttaten wie Mord und Raub erschuttem die Offentlichkeit. Die okonomischen
Hintergriinde des organisierten Verbrechens dringen weniger in das offentliche BewuBt
sein. Der Mafia geht es vor allem urn einen sicheren Geschaftsgang, die Aura von
Furcht und Schrecken wird aus Geschliftsgriinden erzeugt (BEHR 1985, 288). Gewalt an
der Oberflache kann man bekampfen, nicht aber das kriminelle Grundgeschaft. Die Be
kampfung der Mafia in RuBland ist nahezu aussichtslos, da sie bis zu 50% ihrer Ein
nahmen mit korrupten Teilen der Biirokratie teilt (ROSSJJSLOJE PREDPINIMATELSTVO
1995, 101) und ein betrachtlicher Teil der Polizei zu ihren Reihen gehort.
Die Einschrlinkung der hierarchischen Ordnung im Rahmen der Transformation hinter
laBt ordnungspolitisch ungeregelte Bereiche, in denen sich die Mafia als ebenfalls hier
archische illegale Ordnungsmacht etabliert. Sie tritt an die Stelle des Staates und kopiert
seine Herrschaftsform mit ihrer eigenen Biirokratie und ihren eigenen ungeschriebenen
Regeln (TRAUBOTH 1994, 30). Bandenkriege gehOren der Vergangenheit an, die Ein
fluBbereiche sind weitgehend zwischen den Gruppierungen aufgeteilt.
Eine Vielzahl von offiziell registrierten Sicherheitsfirmen, hinter denen die Mafia steht,
"offeriert" ihre Leistungen privaten und staatlichen Betrieben. Eine Ablehnung der
Schutzgeldangebote der Mafia wird mit Gewalt beantwortet und ist nicht anzuraten.
Verhandlungen uber die Konditionen sind jedoch ublich. Ais Altemativen sind Pau
schalgeld oder Gewinnbeteiligung (meist 10%) ublich. Das Untemehmen wird vor einer
Erpressung genau analysiert, alle notwendigen Daten werden durch legale und illegale
Recherchen gesammelt oder gekauft, Bankinformationen eingeschlossen. Die Mafia
104
nimmt ihr Geschaft ernst und leistet fiir das gezahlte Geld akzeptable Sicherheit und
Ordnung. BUNOV, NIKITOV (1995, S.48) berichtet beispielsweise vom Aufbliihen der
Hotelbranche nach Jahren der Unsicherheit, weil die beschiitzende Hand der Mafia ge
wohnliche Kriminelle verjagt habe.
Die sozialen Wurzeln der Mafia und des organisierten Verbrechen liegen in der sowjeti
schen Gesellschaft begrundet. LUNEEV (1994, 91) bezeichnet den Rechtsbruch so gar als
das traditionell staatstragende System, da die Parteibfuokratie fiir die Auspliinderung
des Landes, die zynische Versklavung des Volkes und die Ermordung von Millionen
von Menschen Verantwortung trage. Die Kriminalitat der Staatsbfuokratie auBerte sich
unter Stalin aufgrund der totalitiiren Kontrolle nicht in den fiblichen Formen illegaler
Bereicherung und Korruption. Es etablierte sich aber eine herrschende Klasse ahnlich
einer geschlossenen Kaste (LUNEEV 1994, 92), in die AngehOrige der unteren Klassen
nur mit dem Willen anerkannter FUhrer aufgenommen wurden. Der Erhalt der bevor
rechtigten Stellung sicherte eine besondere Versorgung und andere Privilegien wie
Dienstwagen oder eine Datscha.
Die jahrzehntelang in der UdSSR herrschende Parteibfuokratie hat nach SANTOS (1995,
147) ihre Macht zum Zweck der privaten Bereicherung genutzt, wo auch immer sich ihr
die Moglichkeit dafiir bot. Seit den sechziger Jahren bliihte der uneingeschriinkte MiB
brauch des Volkseigentums zu privaten Zwecken, der Verkauf von Amtsstellen im
Staatsapparat und die Korruption. LUNEEV (1994, 94) beklagt, daB sich seit dem Ende
der 80er Jahre fiir Staats diener zusatzliche Moglichkeiten der unkontrollierten Verru
gung fiber groBe materielle und finanzielle Ressourcen eroffneten.
Der Mangel an Giitern und Dienstleistungen ist ein zentrales Element der planwirt
schaftlichen Ordnung, der von der sowjetischen Machtelite in allen Lebenssphiiren ver
schiirft wurde (SALJE 1994, 33). Das Defizit wurde als Instrument der Steuerung des
V olkes sogleich nach 1917 bewuBt eingesetzt, urn die Menschen durch das staatliche
Brotmonopol rur ihre Brotration zur Arbeit zu zwingen. Nach SALJE (1994, 33) beruht
bereits seit den sechziger Jahren die Macht der Bfuokratie weniger auf Repressalien als
auf der Austeilung von Gebrauchsgiitern und der Zuteilung von Ressourcen.
105
Der weitreichende Mangel an Giitem des Higlichen Bedarfs veranlaBte Manager und Di
rektoren zu illegalen Aktivitaten. Der erfahrene Direktor verlor bei dringenden Beschaf
fungsproblemen seine Zeit nicht mit unnutzen Beschwerden, sondem fuhr in das fUr ibn
zustiindige Ministeriurn und suchte dort Mittel und Wege, den fUr die Zuteilung zustiin
digen Beamten zu korrumpieren. SALJE (1994, 19) berichtet, daB die Bestechungsgelder
zumeist nachtraglich durch Falschung von Produktionszahlen ausgeglichen wurden.
Ahnlich wie in den USA am Anfang des Jahrhunderts gab das durch ProhibitionsmaB
nahmen der Regierung Gorbatschows entstandene Defizit an Alkohol dem organisierten
Verbrechen einen Schub. Die BevOlkerung betatigte sich aufgrund des allgemeinen
staatlichen Handelsmonopols in dieser Zeit zunehmend im illegalen Handel und auf
dem Schwarzmarkt. Besonders begehrte Konsurnguter und Lebensmittel wurden in ille
galen Fabriken sowie in staatlichen Betrieben an der Statistik vorbei produziert und ver
kauft.
Die Umsatze des offiziellen Marktes wurden durch die des schwarzen Marktes weit
ubertroffen, dessen Umsatz im Jahre 1990 auf etwa 30% des offiziellen Umsatzes ge
schatzt wird (SCHULUS 1993,254). Teile der Staatsbtirokratie hatten ein starkes Interes
se am Fortbestehen der Schattenwirtschaft, die pradestiniert ist fur Korruption und das
ideale Betatigungsfeld fUr Erpressung und andere Formen des organisierten Verbre
chens bildet (DANILIN et al. 1994, 49). Die sowjetische Machtelite bediente sich fur die
Erreichung ihrer Ziele nicht nur krimineller Methoden, sondem auch der Vertreter der
kriminellen Welt. Die engen Beziehungen zwischen der Staatsburokratie und dem kri
minellen Milieu reichen weit in die Vergangenbeit. Die Administration der Gefangnisse
und Arbeitslager benutzte Kriminelle fUr die "Umerziehung" der politischen Gefange
nen. Ende der achtziger Jahre warb das KGB die Paten der kriminellen Welt aktiv zur
Zusammenarbeit, urn mit ihrer Hilfe die sich 6ffnenden neuen groBen Betatigungsfelder
der freien Wirtschaft zu erschlieBen (SALJE 1994,50).
Der Ubergang von der totalitaren zur demokratischen Gesellschaft fiihrte, unerwartet fur
die Offentlichkeit, zu einem gewaltigen Aufschwung der Mafia in RuBland. Das soziale
Gebilde der Mafia ist in seiner Struktur nach den Reformen nahezu dasselbe geblieben
und breitete sich in neue EinfluBspharen aus. Der Sieg der demokratischen Freiheiten,
die damit verbundene Einschriinkung der absoluten Macht der Btirokratie und die Be-
106
seitigung des Warendefizits lief en parallel mit der Stiirkung der Mafia. Nach Schiitzun
gen des russischen Innenministeriums steht die Halfte der russischen Wirtschaft unter
dem EinfluB der Mafia (SANTOS 1995, 147). Die Liberalisierung der Wirtschaft verlief
viel schneller als die Bildung der erforderlichen Regulationsinstitutionen und Kontroll
mechanismen.
Ein weiterer, fUr die Transformation entscheidender, Faktor ist das Defizit der freien
untemehmerischen Tatigkeit, die anstelle des Defizits der Waren einen neuen Macht
faktor fUr die Biirokratie konstituiert: BLINOV, NIKITOV (1995, 48) erlautem, daB die
Biirokratie die Rahmenbedingungen fUr die Privatisierung derart gestaltet, daB die Un
temehmer sich ihre wirtschaftliche Freiheit oft durch Korruption erkaufen mussen. Hier
fUr steht eine Vielzahl an Quellen fUr eine korrupte Bereicherung zur Verfiigung: das
Genehmigungsverfahren bei der Untemehmensgriindung, die Erteilung der Lizenz und
der Qualifikationszertifikate, die Vergabe von Krediten und Subventionen sowie die Ge
staltung eines weitgehend untemehmensfeindlichen Steuersystems: Ein Untemehmen ist
bei normalem Geschaftsverlauf selten in der Lage, alle geforderten Abgaben zu zahlen,
es muB folglich entweder direkt einen Steuerbeamten bestechen oder sich wegen steuer
licher Tricks erpressbar machen. Nach BLINOV, NIKITOV (1995, 48) werden schatzungs
weise 40% der falligen Steuem hinterzogen.
Der umfassende EinfluB der Mafia wird nach Untersuchungen von RUGE (1994, 14) von
den meisten russischen Managem ohne nutzlose Emotionen als gegebener Umweltfak
tor hingenommen. Die Untemehmer wollen Arbeitsbedingungen haben, unter denen sie
ihr Geschaft aufbauen k6nnen und nehmen die Schutzleistungen der Mafia als notwen
diges Dbel oder als ubliche Dienstleistung wie die einer Versicherung in Kauf. Bei dem
allgemeinen Rechtsnihilismus der russischen Gesellschaft schafft die Mafia anstelle der
Staatsgewalt eine "brauchbare Ordnung". RUGE (1994, 14) schreibt: "Eine Art Deutsch
land oder Schweden wird RuBland noch lange nicht werden. Vielleicht eine Art riesiges
Italien, wo die Mafia alle Parteien finanziert, die Statistiken nicht besonders zuverlassig
sind, die Steuermoral zweifelhaft ist, die Rahmenbedingungen eigentlich anders sind als
auf dem Papier und man trotzdem mit ihnen arbeitet".
107
4.3.2.4 Betriebliche Beziehungen
4.3.2.4.1 Vertikale Strukturen und Informationsmangel
Traditionell sind die innerbetrieblichen Beziehungsstrukturen in RuBland hierarchisch
gepragt (vgl. 4.3.1) und durch eine zentral auf die Person des Direktors zugeschnittene
Linienorganisation gekennzeichnet. Typisch fUr diese Strukturen ist die mangelnde hori
zontale Kommunikation und Koordination und geringe dezentrale Informations-, Hand
lungs- und Entscheidungskompetenzen. Entscheidungstransparenz und wechselseitiger
InformationsfluB sind selten. Information wird gem als Machtmittel zurUckgehalten.
Den oberen Fiihrungskraften kommt die Hauptlast der Verantwortung zu, ihnen werden
aber auch Moglichkeiten des MachtmiBbrauchs eroffnet. In diesem Klima bliihen die
Scheinaktivitaten.
4.3.2.4.2 Tradition von Scheinaktivitaten
Aufgrund der Unvollkommenheiten der planwirtschaftlichen Ressourcenzuteilung wa
ren Betriebsleiter einerseits gezwungen, im Interesse ihres Betriebes und ihrer Mitar
beiter an den offiziellen Planzahlen vorbei zu arbeiten. Gegeniiber den BehOrden wurde
jeodch zum Schein eine offizielle Kalkulation aufrechterhalten. Diese Tradition von
Scheinaktivitaten beeinfluBt bis heute das Geschehen in russischen Untemehmen.
Die historischen Wurzeln der Scheinaktivitaten sind in der Unerfiillbarkeit der ideolo
gisch-normativen sowjetischen Richtlinien begriindet. Die unerreichbaren gesellschaft
lichen Ziele, wie zum Beispiel "Das westliche Wohlstandsniveau in zwanzig Jahren er
reichen" oder "Die sozialistische Marktwirtschaft aufbauen" fiihrten zu von vornherein
unerfiillbaren Planvorgaben. So entstanden parallel zwei verschiedene Welten: die nor
mative Welt der Planwirtschaft und die reale Okonomie mit ganz anderen Spielregeln.
Die Steuerung des riesigen Landes von einem Zentrum aus war eine aussichtslose Auf
gabe. Das Plansystem bekampfte die unvermeidbaren Abweichungen yom Plan mit im
mer detaillierterer und strengerer, aber nutzloser Planung. Die standig wachsende Zahl
der einander widersprechender Betriebskennzahlen behinderte die normale Betriebsta
tigkeit immer mehr. Die glatte Erstattung des Berichtes, die Falschung der Statistiken
und Schonfarberei trat anstelle der gewissenhaften Erfiillung der Planvorhaben als Er
folgsmaB in den Vordergrund, denn auf dem Papier muBte alles stimmen (PRIGOSCHIN
108
1995, 76). Statt GegenmaBnahmen zur Abwendung von Planabweichungen wurden ein
fach die Plane geandert ("Und ist der Plan auch gut gelungen, vetdigt er doch noch Anderungen").
Der Hohepunkt der Farce wurde am Ende der siebziger Jahre erreicht, als jedes Mitglied
der Gesellschaft gezwungen wurde, einen individuellen "Leninskij Plan" auszuarbeiten
und unter Aufsicht der Partei schriftlich festzulegen. Die SchUler muBten sich ver
pflichten, einen bestimmten Notendurchschnitt zu erreichen und wochentlich vorge
schriebene gemeinntitzige Tatigkeiten auszufiihren. Die Arbeiter verpflichteten sich,
ihre Produktivitat zu steigem und sich regelmaBig fachlich und ideologisch weiterzubil
den. Obwohl die Plane selten erfiiIlt wurden, muBte man regelmaBig tiber ihre Ausfiih
rung auf der Versarnmlung des Kollektivs Rechenschaft ablegen. Die verschiedenen
ideologischen Rituale galten in den Augen der Partei als sozial notwendig und wurden
urn ihrer selbst willen ausgetibt. Der staatliche Zwang, immer wieder Komodie zu spie
len, entwickelte in jedem sowjetischen Menschen, die Kinder nicht ausgenommen, Ge
schicklichkeit in der Vortauschung von Betriebsamkeit (LEWADA 1992, 34 ff.).
Spatestens in den sechziger Jahren wurde klar, daB die Realisierung der ideologischen
Normen unmoglich war. Die soziale Ordnung beruhte zunehmend auf folgender Ab
machung: Gegen die geheuchelte, demonstrative Anerkennung der ideologischen Werte
raumte der Staat den Menschen eine Nische der privaten Existenz ein. Die Menschen
waren infolgedessen zu Scheinaktivitaten gezwungen, die ihre innere Grundhaltung gar
nicht beriihrten. Aus der Innenperspektive der Mitglieder der Gesellschaft hatte z.B.
"die kommunistische Arbeit" die Bedeutung von "wir tun so, als ob wir arbeiten, der
Staat tut so, als ob er dafiir bezahlt". Das Mitmachen auBerte sich in vorgetauscht begei
sterter Beteiligung an staatlichen Angelegenheiten. Die scheinbar vaterliche Ftirsorge
des totalitaren Staates konnte die BUrger nicht betrugen, die Menschen brachten dem
Staat nur scheinbar dankbare Unterordnung entgegen (LEW ADA 1992,34 ff.).
Die von Gorbatschow erklarte Perestrojka (abgeleitet aus dem russischen Wort flir
"Umstellung") wurde zuerst wie aIle anderen politischen Kampagnen der Vergangenheit
auf Anordnung von oben durchgefiihrt und setzte die Tradition der Scheinaktivitaten
fort. Die Parteinomenklatura wechselte am schnellsten die Farbe und forderte die Men
schen auf, sich urnzustellen. Die Leiter aller Ebenen muBten tiber die meist nur auf dem
Papier durchgefiihrten Veranderungen in der Organisationen berichten, urn nicht hinter
109
der Entwicklung zuriickzubleiben. Der Sarkasmus der Arbeiter auBerte sich in dem in
dieser Zeit gebrauchlichen GruB "Hast du dich schon umgestellt?" Statt der angekiin
digten Emeuerung der sozialistischen Gesellschaft wurden die finanziellen und materi
ellen Ressourcen vor den Augen des Volkes in die Schattenwirtschaft umgeleitet. Nach
SCHULUS (1993, 252) ging schatzungsweise ein Drittel des BSP jahrlich durch Fal
schungen von Produktionsziffem verloren.
Die Privatisierung der Staatsbetriebe wurde biirokratisch durchgefiihrt, die zustandigen
BehOrden wollten so schnell wie moglich die Erfiillung der Plane nach oben melden.
Der Wechsel der Eigentumsform wurde aus politischen Griinden zum Selbstzweck, oh
ne Riicksicht auf die Qualitat der durchgefiihrten Veranderungen. Die Aufgaben der
Sanierung und Umstrukturierung der Betriebe, die den eigentlichen Sinn der Reformen
bildeten, wurden nicht gelOst (KOSCHKIN 1995, 9). Die Privatisierung erweckte die Be
griffe AG und GmbH wieder zum Leben, sie anderte jedoch die Krafteverteilung in den
Untemehmen nicht. Die als das oberste Organ manifestierte Versammlung der Aktiona
re wird in den meisten Fallen nur pro forma abgehalten; der Direktor behalt die uneinge
schrankte Macht und bleibt eine patriarchische Fiihrungsgestalt. Der unter seinem Ein
fluB stehende Vorstand ist oft Marionette seiner Geschafte (RADIGIN et al. 1995, 56).
Die Rechte der Belegschaft und der Aktionare werden miJ3achtet, obwohl auf dem Pa
pier alles stimmt. Nach TORKANOVSKIJ (1994, 65) fiihlen sich in diesen Untemehmen
die Mitarbeiter hintergangen und glauben nicht mehr, daB ihre Vorgesetzten emsthaft
das betriebliche Leben verandem wollen.
BELJANOVA (1995, 20) wirft der russischen Regierung vor, die okonomischen Reformen
zu befiirworten, jedoch viele notwendige gesellschaftliche Institutionen nur auf dem
Papier entstehen zu lassen. Veranderungen werden in den meisten Fallen von der russi
schen Machtelite nur vorgespiegelt. Die aus der sowjetischen Zeit fortgesetzte Tradition
der Scheinaktivitaten verursacht MiJ3trauen gegeniiber der gesellschaftlichen und be
trieblichen Transformation (Lwov 1995,28). Das tatsachliche Ziel der fUr die Reformen
zustandigen Machtelite ist dernnach oft nicht die Reform, sondem die Bewahrung der
Machtstellung. Dieser Interessenkonflikt ist eines der Haupthindernisse der Transfor
mation.
110
4.3.3 Der russische Manager im Wandel
In der postsowjetisehen Zeit gegrtindete Untemehmen werden in aller Regel yom GrUn
der se1bst ge1eitet. Der Begriff des Managers als eines angestellten Gesehiiftsfiihrers
trifft allenfalls fUr die Direktoren der staatliehen und privatisierten Untemehmen zu. Seit
1992 wurde die staatliehe Kontrolle tiber die Staatsbetriebe praktiseh aufgegeben. Die
Direktoren entsehieden seitdem selbstandig aIle wiehtigen Fragen der Gesehiiftsfiihrung,
verfiigten uneingesehriinkt tiber betriebliehe Ressoureen und finanzielle Mittel und nutz
ten das Betriebsvermogen als Quelle der privaten Bereieherung (FODOROV, ZYGISCHKO
1995,75).
Die begrenzten offiziellen Verdienstmogliehkeiten in der sowjetisehen Wirtsehaft stell
ten zum anderen. fUr Betriebsleiter eine Versuehung dar, sieh aufgrund Ihrer Position
personliehe V orteile zu versehaffen. Beides fiihrte in vie1en Hillen zu der Auffassung,
ein Manager konne nieht dureh Rationalisierung seines Untemehmens zu Wohlstand ge
langen, sondem dureh gesehiekten MiBbraueh seiner Maehtposition.
Die marktwirtsehaftliehen Formen der Kontrolle tiber die Gesehaftsfiihrung, die ein
Gegengewieht zur abgesehafften staatliehen Kontrolle bilden sollten, sind noeh rudi
mentar entwieke1t, der EinfluB der Banken und Aktionare ist relativ gering. Die Direkto
ren haben infolgedessen gegenwiirtig groBere Freiheit als die Manager der westliehen
Marktwirtsehaften und geringere Verantwortung als die Leiter der planwirtsehaftliehen
Betriebe (BELJANOV A 1995, 18).
Naeh verbreiteter Auffassung sollte das Direktorengehalt in Abhangigkeit von der Un
temehmensgroBe bis 150 mal hoher als der Mindestlohn liegen (KOMAROV 7/1995, 77).
BELJANOV A (1995, 21) sehreibt, die meisten Direktoren handelten aussehlieBlieh aus
privatem Nutzenkalklil und seien nieht hinreiehend motiviert und verantwortungsbe
wuBt, urn ihre faktisehe Entseheidungsfreiheit zum Nutzen der Eigentlimer anzuwenden.
Daher stehe nieht die gewinnbringende Gesehaftsfiihrung, sondem der Erhalt ihrer
Maehtstellung im Mitte1punkt ihres Interesses.
Dies erkliirt aueh paradoxe Ergebnisse von Managementbefragungen tiber Zie1priorita
ten: Naeh mehreren Jahren der Reform haben die Untemehmenszie1e "Waehsturn der
Produktion" und "Sieherung der Arbeitsplatze" immer noeh viel groBere Bedeutung als
I 11
Steigerung der Produktivitat und Gewinne. Fiir die Bewahrung der Machtstellung der
Direktoren und der damit verbundenen Moglichkeit der privaten Bereicherung ist das
Uberleben der Untemehmen ausreichend. Eine Konkursgefahr ist eher hypothetisch.
Das Uberleben der Untemehmen hangt nach BELJANOVA (1995, 20) immer noch nicht
von Gewinnen und finanzieller Kraft ab, sondem in erster Linie yom Gewicht in der
sozialen Struktur der Regionen: Ein grofieres Produktionsvolurnen und eine hOhere Be
scbaftigtenzahl geben den Untemehmen ein grofieres Gewicht, urn Druck auf die zen
trale und die regionale Regierung auszuiiben.
Der EinfluB der Direktoren auf die Regierung wachst mit dem wirtschaftlichen Abstieg.
Zusammen mit der regionalen Administration, die eine Ausbreitung der Arbeitslosigkeit
fUrchtet, iiben die Direktoren im Namen des Kollektivs massiven Druck auf die Regie
rung aus, urn Privilegien und verbilligte staatliche Kredite zu erhalten (KOMAROV 1995,
79, DOLGOPJTOVA 1995, 20). Sie wollen die Verfiigungsgewalt iiber die betrieblichen
Ressourcen behalten, aber sich der Verantwortung unter Berufung auf die Rahmenbe
dingungen und die Zahlungskrise im Land entziehen. Die gegenseitige Verschuldung
der Untemehmen ist z.B. nach STARDUBOSVSKAJA (1995, 140) eine Taktik, den Nach
frageruckgang ohne wesentliche Anderung des Produktionsprogramms zu iiberwinden.
In der gegenwartigen Krisensituation ist die Rolle des Managers entscheidend: Er mUBte
Promotor des fundamentalen Wandlungspozesses sein. Die Fiihrungskrafte sollten fUr
die Aufgabe motiviert werden. Die besondere Rolle des Topmanagements in der Ausar
beitung und der Realisierung des Marketingkonzepts sowie der Durchfiihrung der be
trieblichen Transformation sollte durch einen gewichtigen Anteil am Gewinn belohnt
werden (KOSCHKIN 1995, 12).
1m Westen findet sich baufig die Vorstellung, daB es ein effizientes sowjetisches Mana
gement nie gegeben batte. Tatsachlich entstand jedoch unter den Bedingungen der Man
gelwirtschaft und der zentralen Kontrolle eine andere Art des Managements, das vor
wiegend auf Uberwindung der Engpasse und die Durchsetzung der Interessen der Be
triebe bei der zentralen und ortlichen Administration ausgerichtet war. Die Rande der
Direktoren waren mehrfach gebunden, trotzdem haben viele von ihnen wahre Wunder
vollbracht (LAWRENCE, VLACHOUTSICOS 1993, 10). An Fiihrungstalenten herrscht in
RuBland kein Mangel.
112
In sowjetischer Zeit waren die Direktoren Staatsdiener, aber viele ihrer Funktionen ent
sprachen den Aufgaben westlicher Manager. Die modeme Technologie erforderte tiefe
Fachkenntnisse, der iiberwiegende Teil der Direktoren hatte Ingenieurausbildung. Eine
vergleichende Untersuchung des russischen, deutschen und englischen Managements
stellte "verblUffende Gemeinsamkeiten" fest (EBERWEIN, THOLEN 1994, 138). Grundle
gende, weitgehend systemunabhangige Gemeinsamkeiten der Menschenfiihrung erfor
dem offenbar fast identische Kompetenzen, die sich russische Manager in der prakti
schen Erfahrung ohne theoretische Ausbildung angeeignet haben.
FUr eine erfolgreiche Transformation sind Agieren unter Unsicherheit, Kreativitat und
Flexibilitat entscheidende Personlichkeitsmerkmale. In westlichen Marktwirtschaften
laBt sich die Entscheidung bei der Einstellung eines Geschaftsfiihrers durch folgende
Faktoren absichem: Nachpriifung des Werdegangs, AusbildungsabschluB, der ein Min
destmaB an betriebswirtschaftlichen Sachkenntnissen sicherstellt und die Moglichkeit
einer Korrektur von Fehlentscheidungen (LAWRENCE, VLACHOUTSICOS 1993, 12). In
RuBland sind diese Faktoren nur selten gegeben, und es ist wegen geringer Kontroll
moglichkeiten schwierig, Fehlentscheidungen zu revidieren.
4.3.4 Geschaftsbeziehungen
4.3.4.1 Geschaftsethik
In RuBland dominiert nach wie vor eine eher negative Einschatzung des Untemehmer
turns. Die groBen russischen Finanzdienstleister erkannten als erste die Notwendigkeit,
in das Vertrauen der Kunden zu investieren, und legten Anfang der 90er Jahre ethische
Werte der Untemehmenstatigkeit in ihren Untemehmensleitlinien fest. Der Vorstand des
russischen Untemehmerverbandes rief seine Mitglieder zur Einhaltung der geschafts
ethischen Grundsatze auf. In seiner Sitzung im Juni 1995 wurden einige Mitglieder we
gen VerstOBen gegen die Richtlinien aus dem Verband ausgeschlossen (PoPov 1995, 85).
Ais moralisches Vorbild wird in den Medien der ehrenhafte russische Kaufmann aus
dem Anfang des 20. Jahrhunderts dargestellt, der sein Gewinnstreben mit auffalliger
Wohltatigkeit Offentlich rechtfertigt (SARUBINA 1995, 49). Institutionelle Koordinati
onsmange1 lassen sich aber nicht durch ethische Normen heilen. Ethik kann grundle
gende Fehlanreize im System nicht kompensieren, ansonsten verkommt sie zum Liik-
113
kenbiiJ3er fur den Ausgleich von Lenkungsdefiziten (HAX 1993, 776). Auch relativ ehr
liche Untemehrner in RuBland sind nach BRAGINA (1995, 90) zumeist gezwungen, fur
legale Aktivit1iten korrupte Beamten zu bestechen und die Dienstleistungen der Mafia
zur Sicherung ihren Rechte in Anspruch zu nehrnen.
GroBe Anstrengungen und groBen Einfallsreichtum braucht man im Umgang mit dem
kontraproduktiv wirkenden Steuersystem, bei dem die Steuem inklusive ortlicher Abga
ben bis zu 95% des Gewinns betragen (SCHMELJEV 1995, 29). Schiitzungsweise 40%
des gesamten russischen Geldumsatzes bilden unkontrollierte Barzahlungen (NESTE
ROV, WAKURIN 1995, 137). Handler und Dienstleister, die mit Bargeld agieren, haben
viel bessere Chancen als das produzierende Gewerbe, dem Steuerdruck auszuweichen.
So flieBt das Kapital kaum in die Produktion.
4.3.4.2 Business-Schicht nnd Unternehmertum
Die relativ kleine Zahl der neugegrundeten Untemehrnen kann man nicht als Indiz fur
den unzureichenden Stand der Transformation auf der individuellen Ebene heranziehen,
sie spiegelt nicht die potentielle Bereitschaft der Menschen zu untemehrnerischen Akti
vitiiten wider. So wollten laut einer Befragung der Moskauer Akademie fur Wirtschaft
und Soziales im Jahre 1993 unter Hunderten von Horem des Fachgebietes "Untemeh
mensfuhrung" etwa 70% ein eigenes Geschiift griinden, im Jahre 1995 dagegen nur
noch 7%, der Rest bevorzugte ein Angestelltenposition. Der Grund der Einstellungsan
derung war nach PoPov (1995, 82) nicht Mangel an Startkapital, sondem der wahrge
nommene Druck in Richtung auf ein kriminelles Leben mit Steuerhinterziehung,
Schrnier- und Schutzgeldzahlungen und Abhangigkeit von der Willkfu der ortlichen und
der zentralen Machtelite.
In dem widerspruchlichen russischen okonomischen und sozialen Umfeld sucht der
Untemehrnergeist nach adiiquaten, zum Teil seltsamen Formen der Geschiiftstiitigkeit.
Die klassische Definition des Untemehrners als Eigentfuner und Geschiiftsfiihrer eines
Gewerbebetriebes kann das Phiinomen des Untemehrnertums in RuBland nicht vollstiin
dig erfassen. Deshalb definiert die russische Akademie der Wissenschaften eine
"Business-Schicht" (SASLAVSKIJ 1995, 3) mit folgenden Merkmalen:
114
• Gewinnstreben
• Relative okonomische Entscheidungsfreiheit
• Selbstandigkeit, Eigenrisiko und Eigenverantwortung.
Eine empirische Untersuchung der russischen Akademie der Wissenschaft ergab, daB
diese Business-Schicht ca. 12 % der okonomisch aktiven Bevolkerung (=75 Mio.) um
faBt, was ein starkes Potential des Unternehmertums in RuBland verdeutlicht (SASLAV
SKU 1995, 3).
Handwerker 11%
Direktoren 32%
'Businessmen' 46%
Unterehmer 11%
Abb. 19: Business-Schicht in Ruilland (eigene Darstellung nach SASLAVSKlJ 1995,3)
Der Anteil des klassischen Unternehmers an der Business-Schicht macht jedoch nur
II % aus. Die Direktoren der Staatsbetriebe und der Privatunternehmen (32%) agieren
praktisch wie Unternehmer und realisieren private Gewinne, da der praktische EinfluB
der rechtmiilligen Eigentiimer gering ist (SASLAVSKIJ 1995,5, vgl. auch 4.3.2.4). In den
meisten der privatisierten Unternehmen konnen die verstreuten Aktionare keinen wirk
samen EinfluB auf die Direktoren nehmen, zumal diese im groBen Umfang die im Rah
men der Voucher-Privatisierung an die Belegschaft verteilten Anteilsscheine gekauft
haben und noch autkaufen.
Die offiziell registrierten Handwerker, die sich voll und ganz ihren Einmann
Unternehmen zuwenden, machen ebenfalls nur 11 % an der Business-Schicht aus, die
groBte unternehmerische Gruppe (46%) kann man als "part-time-businessmen" bezeich
nen, weil sie ihre Geschlifte zusatzlich zu ihrer offiziellen hauptberuflichen Tatigkeit
betreiben. In der Mehrheit gehen die Leistungen der "part-time-businessmen" an der
staatlichen Statistik vorbei. Sie reparieren Autos, bauen Hauser, kaufen im Ausland un-
115
verzollte Waren und handeln damit auf Wochenmarkten, niihen und reparieren Klei
dung. Einige beschaftigen sich damit nur abends und am Wochenende, andere wieder
urn den ganzen Tag, obwohl hauptamtlich voll beschaftigt sind. Nach Schatzungen von
Regierungsexperten machten im Jahre 1993 die nicht registrierten Handler etwa 40%
des Warenurnsatzes im Land, in den darauffolgenden Jahren vergroBerte sich der Anteil
noch (BRAGINA 1995,91).
Trotz der deklarierten okonomischen Freiheiten hat sich die Lage der kleinen und mitt
leren Unternehmen im Zuge der okonomischen Reformen im Land seit 1992 wesentlich
verschlechtert. Der monopolistische Druck der eng mit der ortlichen Biirokratie koope
rierenden GroBunternehmen verstarkte sich, die Direktorenlobby bewirkt, daB die zen
trale Macht mit ihrer Steuerpolitik und einer offenen Diskriminierung die Privatinitiati
ve im Kleinhandel verdrangt. Die Ersparnisse der GrUnder waren durch die anfaglich
hohe Inflation schnell abgewertet, die Banken vergeben an Kleinunternehmen kaurn
Investitionskapital.
Die Ordnungsdefizite blockieren eine mogliche positive Wirtschaftsentwicklung. Nach
SCHMELJEV (1995, 29) begnugen sich Millionen dringend benotigter potentieller Mittel
standler mit einem halblegalen Dasein, weil die Rahmenbedingungen fiir eine Unter
nehmensgrundung nicht stimmen. Die "Business-Schicht", die ca. 12% der okonomisch
aktiven Bevolkerung urnfaBt, zeigt das unternehmerische Potential des Volkes, das auf
seine Realisation wartet. Die These yom "homo sovieticus", dem die unternehmerische
Begabung vollstandig fehle, erweist sich damit als falsch. Nach ZANKER (1995, 246) ist
der "kapitalistische Instinkt" auch nach 75 Jahren Sozialismus noch lebendig.
4.3.4.3 Der neue russische Unternehmer
Den Kern der heterogenen "Business-Schicht" bildet mit fast 50% der klassische Unter
nehmer: Eigenrumer und Geschiiftsfiihrer eines offiziell registrierten Unternehmen. 1m
MassenbewuBtsein der Russen dominiert allerdings das kriminelle Bild des Unterneh
mers, weil man den brutalen, ungebildeten, mit seinem Reichtum prahlenden Typ aus
dem Alltag kennt. Dabei handelt es sich aber vornehmlich urn kleine Ganoven, die
Mehrheit der russischen Unternehmer zeigt sich selten in der Offentlichkeit. 1m Gegen
teil gehOrt der russische Unternehmer zu den joogsten und gebildetsten der Welt: Nach
Untersuchungen von PEREPELKIN (1995, 36) ubersteigt der Anteil an Akademikern
116
80%, etwa 30% der Untemehmer sind jiinger als 30 Jahre, 40% haben ein Alter zwi
schen 30 und 40, nur 30% sind alter als 40 Jahre. Mehr als 30% der GroBindustriellen
haben einen Doktortitel.
Ein verdeckter Privatsektor existierte als Schattenwirtschaft schon lange vor der Pere
strojka und erreichte gegen Ende der 80er Jahre einen 30%igen Anteil an der gesarnt
wirtschaftlichen Leistung der UdSSR (SAIZEV 1994, 185). Unter okonomischen und
sozialen Gesichtspunkten lassen sich vier groBe Griindungswellen unterscheiden:
1) Das im Jahre 1988 in Kraft getretene Gesetz "Uber das Genossenschaftswesen in der
UdSSR" ebnete trotz seiner ideologischen Kasuistik fUr untemehmerische Menschen
den legalen Weg in die Privatwirtschaft. Die ersten Griinder hatten wenig zu verlieren
waren risikobereit, weil sie mit ihrem sozialen Status unzufrieden waren und nach Un
abhangigkeit und Selbstverwirklichung strebten. Die Rechtslage der Privatuntemehmen
war noch keineswegs sicher. 1m Jahre 1989 folgende Regierungsbeschliisse begrenzten
ihre okonomische Freiheit erheblich, nicht einmal ihr Eigentumsrecht war gesichert. Die
ersten Untemehmer hatten ungewohnliche Ideen, lemten schnell und schafften in einer
Welt ohne Konkurrenz aus dem Nichts heraus Konzeme. Nach PEREPELKIN (1995,
35ff.) stammen fast 50% der GroBuntemehmer (Business-Elite) aus dieser ersten Welle.
2) Die zweite Griinderwelle (Hohepunkt Anfang 1990) wurde von der offiziellen An
kiindigung des Regierungskurses in Richtung Marktwirtschaft, den Erlassen tiber die
Griindung von AGs und GmbHs und der Vorbereitung der marktorientierten Rechtsak
ten tiber Privateigentum an Boden, Kapital und Produktionsmittel ausgelOst. Die mei
sten Untemehmer der zweiten Welle verfugten wie die der ersten tiber Geschatfsin
stinkt, strebten aber weniger waghalsig nach Selbstverwirklichung, sondem zielten urn
sichtig auf Erweiterung der Geschaftstatigkeit und der Gewinne. Dabei handelte es sich
nach SAIZEV (1994, 187) zumeist urn erfolgreiche Mitglieder der traditionellen Hierar
chien, die nun die Chance sahen, als Untemehmer noch mehr zu erreichen: Schatten
wirtschaftler, Hihige Funktionare der Partei, des Staatsapparats und des KGB. Die so
wjetische Nomenklatura konnte sich durch ihre Verfugungsgewalt tiber das Staatseigen
tum die besten Untemehmensanteile herausschalen, an Vertrauenspersonen tibertragen
und mit Parteigeldem finanzieren. Durch ihre Beteiligung an Untemehmensgriindungen
sicherte sich die "alte Garde" nach PEREPELKIN (1995, 35 ff.) ihre Altersversorgung und
tiberlieB es den ausgewahlten jiingeren Funktionaren, die Geschafte zu machen. Ihren
117
Erfolg verdanken die "Nomenklatura-Untemehmer" nicht nur der UnterstUtzung von
oben. Auch die organisatorische Kompetenz, personliche Beziehungen, Menschen
kenntnisse, Zielstrebigkeit sowie juristisches und okonomisches Vorwissen der jungen
Nachwuchsmanager waren dafiir entscheidend. Nach PEREPELKIN (1995,35 ff.) gehOren
40% der russischen GroBuntemehmer zu den Griindem der zweiten Welle.
3) Die Ende 1991 ausgeloste dritte Griinderwelle brachte nur etwa 10% der GroBunter
nehmer hervor und hatte Massencharakter. Nach der Zerschlagung des Putsches gegen
Jelzin im August 1991 war der Weg fiir radikale Wirtschaftsreformen frei.
4) Die Privatisierung der Staatsbetriebe 16ste 1993 die vierte, sehr bedeutende "Direk
torenwelle" aus. Die Direktoren der Staatsbetriebe, die sich als Eigentiimer fiihlten und
verhielten, wollten nun ihre Stellung rechtlich absichem, obwohl sie in der Regel nicht
tiber das notwendige Kapital verfiigten (PoPov 2/1995, 94). Oft nutzten sie geschickt
die Angste und das KollektivbewuBtsein der Arbeitnehmer aus: In % der privatisierten
Untemehmen blieb nach BeschluB der Belegschaft die Mehrheit der Aktien im Unter
nehmen. 1m AnschluB kauften die Direktoren hiiufig mittels Dberredung und Drohungen
die Aktien von der Belegschaft auf. Der EinfluB des Direktorencorps auf die Politik der
Regierung hat im Zuge der Privatisierung erheblich zugenommen.
In RuBland gab es Anfang der 90er Jahre zwei Wirtschaften, eine offizielle und nach
auBen tiberschuldete Rubelwirtschaft mit unkontrollierter Inflation und eine Devisen
wirtschaft mit vollig anderer Mentalitat, wo an den Btichem vorbei produziert und ver
kauft wurde. Das GroBkapital in RuBland befindet sich in den Handen der Banken;
Mitte der 90er Jahre schreibt IVANENKOV (1994, 21), daB die 20 groBten Banken des
Landes innerhalb kfuzester Zeit die gesamte russische Industrie aufkaufen konnten. Ins
Ausland sind schatzungsweise 70 Mrd. US$ abgewandert, die jahrliche Kapitalflucht
betrage bis zu 18 Mrd. US$. Das Geld wurde nicht untemehmerisch wertschopfend in
vestiert, sondem vor allem in Immobilien und sicheren Wertpapieren angelegt. Diese
Investitionspolitik deutet daraufhin, daB die russischen Untemehmer das Ausland lange
nicht als ihr Betatigungsfeld betrachteten (HODOV 1995, 154).
Das russische Untemehmertum hat jedoch ein groBes Potential und wartet auf bessere
Investitionsbedingungen in RuBland. Die sinkende Inflationsrate und die Stabilisierung
der Zahlungsbedingungen wird einen entscheidenden Beitrag dazu leisten.
\18
4.4 Privatisierung
Am Muster RuBlands werden bier die fur Ostreuropa spezifischen Ziele, Methoden,
Hindernisse und Fakten der Privatisierung ehemals sttalicher Betriebe beschrieben. Lan
derspezifische Besonderheiten der anderen Transformationsgebiete dieser Untersuchung
werden in 4.4.6 dargestellt.
4.4.1 Privatisierungszieie
Abhangig von der Zielsetzung werden unterscbiedliche Definitionen von Privatisierung
verwendet. In einem weiteren Sinne wird Privatisierung als jeder Transfer von Staatsak
tivitaten in private Hande bezeichnet. Enger gefaBte Definitionen beschreiben lediglich
die Umwandlung eines offentlichen in ein privates Untemehmen (KLENK et al. 1995, 7).
Die meisten Privatisierungsdefinitionen fokussieren hauptsachlich den rechtlichen Ver
fiigungsbereich (Property rights). Bei vielen PrivatisierungsprozeBen ist die Verande
rung der Rechtsform, bei gleichem Management und ohne Kapital- oder Know-how
Zustrom, die einzige Variable. Derartige Fromen sind nicht geeignet, urn den Erfolg
oder MiBerfolg der Untemehmenstransformation hinreichend zu erklaren und werden
hier nicht berucksichtigt.
Bildung eines stabilen ~ makroOkonomischen Umfelds II' -Konstanz der Wlrtschaftspolitik \ Herausbildung von
WeHbewerb • flit. Preissystem - Offene Markte + Privatisierung von
staaHichen Betrieben
- Privateigentum
Aufbau effizienter Instilutionen - Primat der WlIhrungspolitik -Rechtsordnung
I -+ Untemehmens
transformation
Abb. 20: Privatisierung als Bestandteil einer i1bergeordneten Reform (eigene Darstellung)
Die Privatisierung ist, neben weiteren ordnungspolitischen Kriterien, wie sie in 2.2.1
beschrieben wurden, ein notwendiges Element der Transformation. Abb. 20 verdeutlicht
die Zusanunenhange zwischen der Privatisierung, der Herausbildung von Wettbewerb,
1\9
der Schaffung eines stabilen makrookonomischen Umfelds und dem Aufbau effizienter
Institutionen, auf denen eine erfolgreiche Untemehmenstransformation aufbauen kann.
Die Privatisierung ist somit ein Element einer Reform, deren Einzelteile allein noch
keinen gesamtwirtschaftlichen Transformationserfolg garantieren. Private okonomische
AktiviUiten bediirfen einer gewissen StabiliUit, Vertdige mussen bindend und Anspruche
durchsetzbar sein. Weitere flankierende staatliche MaBnahmen sind die Errichtung von
Karnmem und Verbanden sowie die Gewiihrleistung sozialer Mindeststandards (KLENK
et al. 1995, 9). Ohne diese extemen Bedingungen ist eine betriebliche Transformation
zum Scheitem verurteilt. Andererseits sind gute Rahmenbedingungen und eine gelunge
ne Privatisierung noch kein Garant fUr eine erfolgreiche Untemehmenstransformation.
4.4.2 Privatisierungsmethoden
Ausgangspunkt osteuropaischer Privatisierungsprozesse waren Ubedegungen des Staa
tes, welche Untemehmen fUr eine Privatisierung in Frage komrnen und welche Privati
sierungsmethoden angewandt werden. Abb. 21 gibt einen Uberblick uber eine mogliche
Klassifikation von Transformationsuntemehmen.
slrategisch wichlig slrategisch weniger
wichlig
wettbewerbsf~hig Verbleib In
Staatsbesitz Prlvatisierung
Sanierungl nichl wettbewerbs- Verkauf Privatisierungl
f~hig Liquidation
Abb. 21: Klassifikation von Transformationsunternehmen (KLENK et al. 1995, 23)
DaB diese Klassifizierung nicht nur theoretischer Natur ist, sondem angewandt wurde,
zeigt das Gesetz der RSFSR "Uber die Privatisierung von staatlichen und komrnunalen
Untemehmen der RSFSR" yom 24.6.1992 und das "Staatsprograrnm der Privatisierung"
yom 11.6.1992. In dem Staatsprograrnm zur Untemehmensprivatisierung wird eine
Klassifizierung in unterschiedliche Privatisierungskategorien vorgenomrnen:
120
• Privatisierung verboten (z.B. Bodenschatze und Naturressourcen),
• Entscheidung durch russische Regierung oder Regierung der Republiken erforderlich
(z.B. Unternehmen der Waffen- und Munitionsindustrie),
• Entscheidung der GKI (Staatliches Komitee zur Verwaitung des staatlichen Vermo
gens RuBlands - Goskomimuschtschestwo) unter Hinzuziehung jeweiliger Fachmini
sterien, urn bspw. marktbeherrschende Unternehmen zu erkennen,
• Ubereinstimmung mit ortlichen Privatisierungsprograrnmen erforderlich (z.B. staatli
che Verkehrsbetriebe),
• Privatisierung nach Zustimmung der Belegschaft und
• Pflichtprivatisierung (z.B. GroB- und Einzelhandelsunternehmen).
Einige der interessantesten Unternehmen koomen nicht fur eine Privatisierung in Frage.
Es sind Unternehmen aus dem Rohstoffbereich oder militarisch-strategisch wichtige
Unternehmen mit vergleichsweise gOnstigen Transformationsvorausetzungen. Diese
Potentiale werden beim Verbleib im Staatsbesitz nur unzureichend genutzt.
Wettbewerbsfahige Unternehmen ermoglichen dem Staat Privatisierungserlose in Form
von Management-buy-outs und -buy-ins, auslandischen Kapitals in Form von Joint-ven
tures oder Fonds. Bei der Vermietung staatlichen Eigenturns werden ebenfalls Erlose er
Tab. 25: Privatisierungsarten (nach KLENK et al. 1995,25)
untemehmensintem untemehmensextem Management-buy-out Joint-ventures
Verkaufen Mitarbeiteraktien Management-buy-in Investmentfonds Coupons (vouchers)
Verschenken Coupons (vouchers) Volksaktien Fonds Leasing
Vermieten Management-Iease-out Franchising Vermietung Untervermietung
zielt, doch liegt das unterneh-
merische Risiko dann we iter
hin beim Staat. Die in Osteuro
pa populare Form der Vou
cherprivatisierung (auch Ku
pon- oder Gutscheinprivatisie
rung) erbringt keine Erlose fur
den Staat. Gutscheine (Vou
cher), die Aktienanteilen an zu
privatisierenden Unternehmen entsprechen, wurden an die Bevolkerung verteilt. Bei
dieser Variante werden Unternehmensstrukturen weitgehend beibehalten, externer Ein
fluB in Form von Management- oder Kapitalzustrom findet nicht statt. Externes Interesse
beschrankt sich meist auf das Spekulationspotential und nicht auf "Going-concern", d.h.
die Fortfiihrung dieser Unternehmen, wie in der Fallstudie RAKONFI gezeigt. Eine Sy
stematik der Privatisierungsarten zeigt Tab. 25.
121
In Tab. 26 sind die im Jahre 1995 verwandten Privatisierungsmethoden und -hiiufig
keiten aufgefiihrt. Die Struktur hat sich seit Beendigung der zweiten Privatisierungs
welle in 1994 nicht wesentlich geandert. Die Volksprivatisierung mit Vouchers und das
Management-lease-out spielen eine dominante Rolle. Die fUr Staat und Unternehmen
Tab. 26: Privatisierungsmethoden 1995 (http://www.marketrussia.com/privat.htm)
wiinschenswerten Unterneh-
mensverkaufe, die sogenannte
"Cash privatization", spielen
noch eine untergeordnete Rol
le, was nicht zuletzt mit der In
transparenz der Unternehmen
aufgrund fehlender Anwen
Methoden der Privatisierung 1995 in % Aus~abe von Aktien 44,8 Verkauf auf Auktionen 4,4 Tender 25,2 LiQu idierun~ 1,5 Pacht 21 ,1 Direktverkauf 3,0
dung internationaler Bilanzierungs- und Rechnungslegungsvorschriften zu tun hat. Die-
se Intransparenz wird vielfach von den Generaldirektoren aus Angst vor Machtverlust
noch gefordert, urn interressierte auslandische Investoren fernzuhalten.
4.4.3 Privatisierungshindernisse
Die gravierendsten Privatisierungshindernisse sind in Abb. 22 aufgefiihrt. Einige Priva
tisierungshindernisse werden kurz erlautert, andere sind selbsterklarend.
Fehlende staatliche soziale Unterstiilzung
Erwartete negative \ Beschaftigungseffekte
~
Inkompatibilitat des sozio-kulturelien
Hintergrunds
,/ Schlechte makrookono
mische und institutionelie Rahmenbedingungen
,Ausverkauf an _----t ... ~ Auslander
Privatisierung l' Ungenugende ....... r--__ Finanz. und
~ unzureichende administrative Hihigkeiten
t ungenugende Management·
fahigkeiten
Relativ ungiinstiges Investitionsklima
~italmarkte
Abb. 22: Privatisierungshindernisse (KLENK et al. 1995,34)
122
• "Ausverkauf an Auslander": Negative Spekulationserfahrungen der Anfangsphase
der Privatisierung, die in der osteuropiiischen Presse hochstilisiert wurden, schiiren
Angste vor dem Untemehmensverkauf. Eng damit verbunden ist die Befiirchtung vor
• "negativen Beschiiftigungseffekten": Diese Befiirchtung findet sich auf allen Hierar
chieebenen der Untemehmen. Jede Veranderung der Eigentiimerstruktur kann fiir die
Generaldirektoren bedeuten, daB sie durch eine neue Fiihrung ersetzt werden. Fiir die
Mitarbeiter konnen Entlassungen in groBem Umfang anstehen, so daB in den Unter
nehmen hiiufig ein Festhalten am Status Quo aller Beteiligten zu erkennen ist.
Das ausgepriigte Fiirsorgedenken vieler Direktoren und die sozialen Funktionen, die die
Betriebe unter sozialistischen Bedingungen inne hatten, fUhren vor dem Hintergrund der
• "feWenden staatlichen sozialen UnterstUtzung" und der
• "schlechten makrookonomischen und institutionellen Rahmenbedingungen"
dazu, daB die Fiihrung vieler Transformationsuntemehmen an dem Mitarbeiterbestand
festhiilt und auf Kiindigungen weitgehend verzichtet. Oft ist ein privatisierungsfeindli
ches Klima in gesellschaftlichen und innerbetrieblichen Bereichen vorhanden, da viele
der hochgesteckten Privatisierungshoffnungen nicht erfiilIt wurden.
4.4.4 Die russische Voucher-Privatisierung
1m Zeitraum zwischen Dezember 1992 und Februar 1994 wurden ca. 16.000 Untemeh
men tiber Voucher privatisiert, was etwa 60% des BSP und 50% aller zu privatisieren
den Aktiva entsprach. Nach Beendigung der zweiten Privatisierungswelle Ende Juni
1994 sah die Struktur der meisten voucherprivatisierten Untemehmen aus wie in Abb.
23 dargestellt (RADIGIN et al. 1995, 51).
Belegschafi 50%
Staat 20%
private Investoren
20%
Management 10%
Abb. 23: Typiscbe Struktur eines voucberprivatisierten Unternebmens (RADIGIN et at. 1995,51)
123
Das Problem des geringen extemen Privatisierungseinflusses in Fonn von Know-how
und Finanztransfers wurde weiter verscharft, da Belegschaft und Management versuch
ten, ihren 60%-igen Anteil an den Untemehmen weiter aufzustocken. Grund hierfiir war
die Furcht vor "unfreundlichen Ubemahmen" durch strategische Investoren, denen auf
grund der nicht-stimmberechtigten Aktien von Teilen der Belegschaft ein 38%-iger
Anteil der Aktien gentigt, urn die Kontrolle zu erhalten. Von den im Untemehmen vor
handenen 60-70% der Aktien halt das Management durchschnittlich 21%, der General
direktor hiiufig allein zwischen 5% und 7% (BOYCKO et al. 1995, 175).
4.4.5 Stand der Privatisierung in Ru8land
Die Ubergabe der Eigentumsrechte wurde beim GroBteil der ehemaligen Staatsbetriebe
bis zum Ende der ersten Privatisierungsperiode 1994 abgeschlossen, wodurch tiber
32.000 Aktiengesellschaften entstanden. Der Staat behielt die Mehrheitsbeteiligung in
1976 Untemehmen, die fUr die Sicherheit oder Infrastruktur des Landes besondere Be
deutung hatten. Der Anteil des Staates an den privatisierten Untemehmen lag Ende 1994
bei 13%.
Durch die Ubertragung des Eigentums war die betriebliche Sphiire von der staatlichen
fonnal getrennt. Die faktische Trennung fand jedoch viel friiher statt. Der Staat verlor
seit 1992, noch vor der fonnalen Ubertragung der Eigenturnsrechte, zunehmend seinen
direkten EinfluB auf die Untemehmen. Fast 90% der im Jahr 1993 befragten Direktoren
bestimmten nach eigenen Angaben vollig unabhangig yom Staat das Produktionspro
gramm, die Entlohnung der Beschiiftigten und die Investitionen (BELJANOVA 1995, 16).
Trotz der zahlenmiiBigen Erfolge der Privatisierung ist ihre Wirkung auf die Wirtschaft
des Landes stark urnstritten (RESNIKOV 1995, 3). 1m Vordergrund stand die fonnale
quantitative Erfiillung der Privatisierungsplane ohne Rticksicht auf die Qualitiit der
durchgefiihrten Veranderungen. Der Wechsel der Eigentumsfonn wurde aus politisc.:hen
Griinden zum Selbstzweck (KOSCHKIN 1995, 9).
Insgesamt wurden im Zeitraurn 1991 bis 1995 Untemehmen im Wert von 2,5 Billionen
Rubel verkauft. Das entspricht einem auf die jiihrlichen Wechselkurse urngerechneten
Volumen von 4,5 Milliarden US-Dollar. Abb. 24 zeigt, wie die Verkaufserlose nach der
ersten groBen Privatisierungswelle abgenommen haben.
124
Milionen $ 3000 2514 2500
2000
1500
1000
500
0 1991 1992 1993 1994 1995
Abb. 24: Summe der Verkaufspreise privatisierter Unternehmen in Millionen US$ (http://www.marketrussia.com/privat.htm)
Insgesamt wurden bis ZUlU 1.1.1996 ca. 120.000 staatliche Untemehmen privatisiert.
Das entspricht ca. 58% des ehemaligen staatlichen Sektors. Hiervon entfielen auf die so
genannte kleine Privatisierung ca. 100.000 Untemehmen mit weniger als 200 Beschaf-
Tab. 27: Summe der jiihrlich privatisierten Unternehmen (http://www.marketrussia.com/privat.htm)
Jahr 1991192 1993 1994 1995
verkaufle 48.295 40.519 23.811 6.172
Untemehmen
tigten (o.V., OP 1996/ 1997 II,
40). Bezieht man die Verkaufs
erl6se nun noch auf die jiihrlich
verkauften Untemehmen, so er
halt man den durchschnittlichen
Verkaufspreis eines Untemeh
mens. Nach einer ersten euphorischen Privatisierungsphase (199111992) werden nun in
zunehmendem MaBe Untemehmen mit hOherer strategischer Bedeutung privatisiert, die,
wie oben in Abb. 21 gezeigt, meist gr6Bere Wettbewerbsfahigkeit besitzen.
Millionen $ 40000 33668 31756 30000
20000
10000
0 1991-1992 1993 1994 1995
Abb. 25: Durchschnittlicher Verkaufspreis auf Dollarbasis (eigene Darstellung)
125
Weitere Griinde fUr hOhere Privatisierungserlose sind Lemeffekte der Privatiseure tiber
den wirklichen Wert und das Potential der Untemehmen sowie die absolut geringere
Anzahl an zu privatisierenden Untemehmen, die eine groBere Transparenz des Privati
sierungsmarktes zur Folge hat. Wichtigster Faktor bleibt allerdings, daB im Rahmen der
Gutscheinprivatisierung nur Verkaufserlose geUitigten werden, die tiber die kostenlose
Ausgabe der Vouchers an die Bevolkerung hinaus gehen. Aktien werden an exteme In
vestoren oder gegen Bezahlung an die Mitarbeiter verkauft. Trotzdem bleiben die Pri
vatisierungserfolge hinter den Erwartungen zuriick. In den ersten neun Monaten in 1996
wurden Untemehmen fUr 296 Millionen Dollar privatisiert. Obwohl dies fast 50% mehr
sind als im Vergleichszeitraum 1995, liegt diese Zahl nur bei 14% der erhofften insge
samt 2,2 Milliarden Dollar fUr 1996 (o.V., RUSSIA TODAY 24.1 0.1996). Tab. 28 zeigt
die Branchenherkunft privatisierter Untemehmen.
Tab. 28: Branchenstruktur privatisierter Unternehmen (http://www.marketrussia.com/privat.htm)
Wirtschafissektor 1993 1994 1995
Verarbeitendes Gewerbe 29,3 26,9 20,S Landwirtschaft 11,9 3,0 1,8 Transport & Kommunikation . 5.4 3,0 Bau!lewerbe 10,2 11,0 9,3 Handel 33,1 28,8 32,2 DiensHeistung 67 5,4 5,8 Maschinenbau 10,2 12,3 12,2 Andere 8,6 19,5 27.4
RuBland plant die Summe der zu privatisierenden Untemehmen 1997 weiter zu kiirzen.
1996 wurden 3.068 Untemehmen privatisiert, 1997 werden es nur noch 1.643 Unter
nehmen sein. Der PrivatisierungsprozeB solI in zunehmendem MaBe von den finanziell
industriellen Gruppen (FIG) getragen werden (o.V., RUSSIA TODAY 1.11.1996).
Gleich welche Privatisierungsvarianten und -methoden in Osteuropa weiterhin favori
siert werden, in den Transformationslandem ist eine vollig neue Aktionarskultur ent
standen. Schon heute zahlen Tschechien und RuBland zu den Landem mit den hochsten
Anteilen an Aktienbesitzem (bezogen auf die Einwohnerzahlen). Ahnliches ist fUr die
anderen Transformationslander noch zu erwarten.
126
Tschechien
Schweden
Ruf1land
Kanada
Norwegen
USA GroBbritanien
Schweiz
Taiwan
Finnland
Frankreich
Japan
Singapur
Niederlande
Deutschland
Belgien
Osterreich
8
0 10 20 30 40 50 60
Pozen! der Aktionare an der Bev61kerung
Abb. 26: Aktionarsanteile der Bevolkerung verschiedener Lander (o.V., WELT 9.11.1996, 21)
Trotz der hohen Anzahl russischer Aktionare hat sich das VersHindnis fur und das Ver
trauen in Aktien noch nicht ausreichend entwickelt. Die 10.000 Rubel-Voucher, die an
jeden Biirger ausgehandigt wurden, muBten bis Mitte September 1996 in Privatisie
rungszertifikate bei Banken umgetauscht werden. Jedes dieser Zertifikate konnte wie
derum in 20 Aktien von in Moskau registrierten Firmen eingetauscht werden. Dieser
Vorgang begann im Juni 1995. Doch bis zu dem Stichtag wurde nur die Halfte, ca.
33.000 dieser Zertifikate, bei Banken deponiert. Die Frist wurde abermals verlangert.
Der Verfall ihrer Rechte an diesen Aktien ist einem Teil der Bevi:ilkerung nicht bewuBt,
einem anderen gleichgiiltig (o.V., RUSSIA TODAY 20.11.1996).
Die Entwicklung der Untemehmensneugriindungen zeigt, daB die Wirtschaft RuBlands
nicht nur auf ehemaligen Staatsbetrieben fuJ3t. Fiir viele in- und auslandische Investoren
hat ein Engagement auf der "griinen Wiese" an Attraktivitat gewonnen. Soziale, i:ikolo-
127
gische und finanzielle Altlasten gibt es hier nicht. Insbesondere seit fUr Joint-ventures
keine speziellen Vergilnstigungen mehr existieren und diese einheimischen Unterneh
men im Gesellschaftsrecht faktisch gleichgestellt sind, favorisieren auslandische Unter
nehmen haufig Neugrilndungen in Osteuropa. Hinzu kommen zunehmende Auseinan
dersetzungen zwischen Joint-venture-Partnern. Russische Unternehmer drangen ihre
westlichen Partner aus dem Joint-venture, nachdem sie das Entscheidende fUr Kapital
und Management beigetragen haben. Solche Auseinandersetzungen werden zunehmend
brutal ausgetragen, bis hin zu Extremfallen wie der Ermordung eines amerikanischen
Joint-venture-Partners (o.V., WELT 12.11.1996). Abb. 27 zeigt die Entwicklung der
Unternehmensneugrilndungen.
1000000 897000 940000
800000
600000
400000
200000
1991 1992 1993 1994 1995
Abb. 27: Wachstum der Unternehmensneugriindungen (http://www.marketrussia.com/privat.htm)
4.4.6 Privatisierungsspezifika andere Lander
Nachdem bisher allgemeine Prinzipien der Privatisierung am reprasentativen Fall RuJ3-
lands erortert wurden, sind hier noch Besonderheiten der Privatisierung in den anderen
untersuchten Landern nachzutragen.
4.4.6.1 Ukraine
Das "Gesetz der Ukraine tiber Privatisierung des Vermogens staatlicher Betrieb" yom 4.
Marz 1992 (bestatigt am 27.4.94 unter der Nr. 242) bildet den rechtlichen Rahmen, urn
in der Ukraine eine vielfaltige, sozial orientierte Marktwirtschaft zu schaff en (VIZ 1995,
128
11). Urn den Untemehmen bei der Verbesserung ihres derzeitig schlechten technologi
schen Niveaus und beim Einsatz des vorhandenen Humankapitals eine gewisse Unter
smtzung zu gewiihren, ist beispielsweise vorgesehen, daB die durch Privatisierung er
zielten Ertdige u.a. fur
• die Kreditierung der technischen Umriistung der privatisierten Betriebe und
• die Entwicklung des Untemehmertums sowie Schaffung neuer Arbeitsstellen
verwendet werden (Artikel 23 des Privatisierungsgesetzes). Die 400 wichtigsten, fur die
Privatisierung vorgesehenen, Staatsbetriebe wurden in einer nach Branchen unterteilten
Liste zusammengefaBt.
1m Rahmen der sogenannten "Kleinen Privatisierung" werden kleine Dienstleistungs
und Handwerksbetriebe privatisiert. Voraussetzung ist, daB nur ein Kaufer auftreten
darf. Diese Untemehmen werden BetriebsangehOrigen zum Kauf angeboten, auf Auk
tionen oder durch Ausschreibungen veraufiert. Verantwortlich fur den Verkauf ist das
Ministerium fur Entstaatlichung des Eigentums und Entmonopolisierung, welches eng
mit dem Fonds fur staatliches Eigentum zusammenarbeitet. Auslandische natiirliche und
juristische Personen und Joint-ventures, die auf dem Gebiet der Ukraine registriert sind,
konnen ebenfalls als Kaufer auftreten. Die Bezahlung erfolgt in frei konvertierbarer
Wahrung. Eigens dafur bestimmt die ukrainische Nationalbank einen "Privatisierungs
umtauschkurs" .
FUr die sogenennte "GroBe Privatisierung" gibt der staatliche Vermogensfonds Zertifi
kate mit einem Nennwert von 30.000 Karbowanzen (Oktober 1995) heraus, die zum
Erwerb von Aktien berechtigen. Diese Aktien, die BetriebsangehOrige zu Vorzugsbe
dingungen erhalten haben, dUrfen bis zur Einfiihrung einer Nationalwahrung nicht ver
kauft oder anderweitig verauBert werden. Der Erwerb von Anlagevermogen durch Aus
lander und Inlander ist in dem am 5.3.1992 gebilligten allgemeinen Privatisierungsge
setz geregelt worden. Es verfolgt das Konzept einer gemischten Wirtschaft. Urn den
"Ausverkauf' an kapitalstarke Auslander zu verhindem, miissen Auslander einen 20 %
igen Aufschlag zahlen.
Nach Angaben des State Property Fund of Ukraine wurden bis 1995 90 ehemalige
Pachtbetriebe privatisiert, d.h. die Grundmittel wurden an die Pachtkollektive iiberge
ben. Diese Form der Privatisierung wurde bis zu diesem Zeitpunkt vorrangig betrieben.
129
Es betrifft vor allem Verkaufsstellen, Dienstleistungsunternehmen und kommunale Ein
richtungen. Der Verlauf dieser sogenannten kleinen Privatisierung wird jedoch als we
nig erfolgreich eingescWitzt. AuBerdem wurden 40 % der groBen Betriebe privatisiert
(POLIAKOV 1995).
Die bereits privatisierten Betriebe weisen in der Regel eine hOhere Wirtschaftlichkeit
auf als Staatsbetriebe. 1m September 1995 begann die Phase der Massenprivatisierung.
DafUr hat die Regierung eine Liste mit 8000 GroBbetrieben veroffentlicht, die privati
siert werden sollen. Ziel ist es, sie in offene Aktiengesellschaften umzuwandeln.
Einem erfolgreichen Verlauf des Privatisierungsprozesses stehen folgende Hemmnisse
entgegen:
• harter Widerstand im Parlament gegen den neuen Reformkurs von Prasident
Kutschman,
• Instabilitat des gesetzlichen Rahmens, da Gesetze nur kurze Gilltigkeitsdauer besit-
zen,
• Borsenhandel erst nach Einfiihrung einer neuen ukrainischen Wiihrung,
• PrivatisierungsprozeB dauert zu lange,
• Rolle eines GroBteils der Direktoren von ehemaligen Staatsbetrieben: Viele Direkto
ren von Unternehmen mit mehr als 70 Mitarbeitern waren dagegen, ihr Unterneh
men in eine Aktiengesellschaft offenen Typs urnzuwandeln. Ihr Ziel ist, moglichst
alle Aktien im Unternehmen zu behalten, sie schnell personlich von den Mitarbei
tern zurUckzuholen, urn dann "Alleinherrscher" zu sein. Gleiche Tendenzen gelten
fur Ministerialbeamte, iihnliche Tendenzen wie in den Privatisierungsprozessen rus
sischer Unternehmen festzustellen.
• Verabschiedung dringend erforderlicher neuer Gesetze wird durch "Direktoren
lobby" immer wieder verhindert.
• Hohe Arbeitslosenquote wirkt negativ auf Privatisierungserfolge. Gegenwiirtig ge
ben Arbeitslose ihre Anteilscheine an im Unternehmen verbleibende Mitarbeiter abo
KapitalzufluB wird somit unmoglich (POLIAKOV 1995).
130
4.4.6.2 Baltischer Raum
Das Ziel der Privatisierung besteht, wie auch in den anderen Transfonnationslandern, in
der Schaffung marktwirtschaftlicher Strukturen. Dazu gehOren u. a. :
• Entstehung einer Gesellschaftsschicht von Privateigentiimern und -unternehmern,
die einen immer groBeren okonomischen und gesellschaftlichen EinfluB gewinnen
und in immer starkerem MaS die Entwicklung von Marktbeziehungen vorantreiben.
• Schaffung rechtlicher und vennogensrechtlicher Grundlagen fUr interne und externe
Investitionen. Privateigentiimer wirken aktivierend auf diesen ProzeB.
• Schaffung eines starken Mittelstandes.
• Entstehung neuer Motivationen bei der Bevolkerung. Mit der Etablierung privater
Unternehmen wachsen die Anforderungen an die Arbeitseinstellung, Produktivitat
und QualitatsbewuBtsein.
• ErhOhung der wirtschaftlichen, vor allem aber der industriellen Leistungskraft.
• Modernisierung der Unternehmen. Dazu ist auslandisches Kapital erforderlich
(MELNIKAS, MELNIKAS 1995,27).
In allen drei baltischen Landern gibt es Bestrebungen, im Rahmen der Privatisierung mit
den Investoren Bedingungen zu vereinbaren wie z. B. die Sicherung einer bestimmten
Anzahl von Arbeitsplatzen, Investitionen und MarkterschlieBung. Damit bestehen zu
mindest theoretisch gute V oraussetzungen, die Wirtschaft der einzelnen Lander anzu
kurbeln. Beispielsweise werden in Lettland Verletzungen von Vereinbarungen finanziell
geahndet. So muB ein Unternehmen fUr jeden nicht gesicherten Arbeitsplatz Mittel fUr
Umschulung, Arbeitslosenvergutung und gesamtgesellschaftliche Zwecke zur Verfii
gung stellen (NAGLIS 1995, 82). 1m Unterschied zu RuBland, WeiBruBland und der
Ukraine erhoffen sich die Lander des baltischen Raums durch westeuropaische Investo
ren eine Reintegration in den westeuropaischen Wirtschaftsraum und eine schnelle, pro
fessionelle V orbereitung des Managements auf die Marktwirtschaft.
In Estland wurde Ende 1995 der PrivatisierungsprozeB nahezu abgeschlossen, 98% der
Betriebe des Kleingewerbes befinden sich in privater Hand (o.V., OP 1995/96, 62).
Auch die 300 als privatisierungsfahig eingestuften Staatsbetriebe wurden verkauft,
knapp die Halfte an auslandische Investoren. Die Transaktionen erfolgten als Verkauf
und uberwiegend mittels offentlicher und geschlossener Ausschreibung nur an Unter-
131
nehmen, die ein pIausibIes Unternehmenskonzept sowie Investitions- und Arbeitsplatz
garantien boten (o.V., OP 1995/96,62).
In Lettland sind bis 1995 50% der Unternehmen privatisiert. Weitere 200 Betriebe soI
len 1996 in private Hand gegeben werden. Dariiber hinaus fmdet eine wilde Privatisie
rung durch Verpachtung von Unternehmensteilen und Joint-venture-Griindungen statt.
Die Zahl der Unternehmen, die sich noch in Staatshand befmden, liegt zwischen 1.200
und 1.500. Eines der groBten Vorhaben der nachsten Zeit wird die Privatisierung des
Iettischen Gasversorgers LATVIJAS GAZE sein. Wichtig ist, einen starken Investor zu
finden, urn gegenfiber der russischen GAZPROM autark zu werden (NAGLIS 1995, 82).
Innerhalb der drei baltischen Lander bildet Litauen, bezogen auf die bereits erreichten
qualitativen Privatisierungserfolge, das SchluBlicht (Interview MELNIKAS 1995). Die bis
zum 1.4.1995 privatisierten 6.194 Unternehmen aus dem staatlichen Privatisierungspro
gramm haben nicht zu dem erhofften wirtschaftlichem Aufschwung gefiihrt.
Von diesen Unternehmen wurden
• 2.723 kleine und mittlere Untemehmen fiber inlandische Ausschreibungen,
• 2.670 kleinere Untemehmen fiber Auktionen,
• 12 Untemehmen fiber "Business plan tender" und nur
• 44 Unternehmen gegen Devisen
privatisiert (o.V., OP 1995/96,63).
Problematische Punkte sind:
• Standige Veranderung des gesetzlichen Rahmens: Beispielsweise gibt es bis heute
noch kein Gesetz, was den Verkauf des Staatsanteiles bei teilprivatisierten Unter
nehmen regelt. Die litauischen Privatisierungsgesetze seien die schlechtesten aller
ehemaligen Lander der So\\jetunion (Interview VIESULAS 1995).
• Die erste Phase der Privatisierung erfolgt in der Hauptsache auf der Basis von soge
nannten Investitionsschecks. Der Nachteil ist, daB die Schecks schnell zum Speku
lationsobjekt wurden, keine zusatzlichen Finanzmittel in die Staatskasse flossen,
keine emsthaften Investitionen getatigt werden konnen und keine Eigentiimer fUr die
Industrie und andere Spharen der GroBproduktion hervorgebracht werden, sondem
nur Eigentiimer von Kleinbesitz wie z.B. Wohnungen.
132
• Geringer Anteil westlicher Investoren: Damit stehen nicht genfigend Devisen zur
Verfiigung, urn die dringend erforderliche Modernisierung der Wirtschaft voran zu
bringen. AuBerdem wurde in einigen Hillen nicht, wie vereinbart, fmanzieH inve
stiert, sondem die Bezahlung erfolgte mit " ... alten, ausrangierten AusrUstungen des
auslandischen Investors" (Interview VIESULAS 1995).
• Die geplante Griindung eines staatlichen Privatisierungsfonds und einer Privatisie
rungsagentur kam bisher nicht zustande, was sich negativ auf die Transparenz und
Effizienz der litauischen Privatisierungspolitik auswirkt. Lediglich die LITHUANIAN
INVESTMENT AGENCY (LIA) wurde gegrundet, wird aber kaurn wirksam.
• Destruktive Politik der Regierung bei der Unterstutzung von bereits privatisierten
Untemehmen: So erhalten fast bankrotte Betriebe giinstige Kredite, andere (eine be
stimmte Lobby) seien bis zum Jahr 2000 von Steuem befreit (Interview VIESULAS
1995).
4.4.6.3 Belarus
Das Erreichte bleibt weit hinter den gesetzten Zielen zuriick. 1m Rahmen der kleinen
Privatisierung wurden bis 1994 900 von 10.400 Untemehmen privatisiert. Von den
mittleren und groBen Untemehmen konnten bis 1994 370 Untemehmen von 4.400 pri
vatisiert werden. Die Ursachen fur diese schleppende Privatisierung sind:
• Unentschlossenheit der Privatisierungspolitik der Regierung,
• unzureichende rechtliche Rahmenbedingungen, die vor aHem auslandische Investo-
ren abschrecken,
• geringe Akzeptanz der Privatisierung in WeiBruBland selbst,
• schleppend arbeitende Privatisierungsagentur,
• fehlende Informationen fiber die zu privatisierenden Untemehmen,
• fehlendes Restrukturierungs- und Privatisierungswissen,
• Intransparenz der Privatisierungsvorgange,
• Bremswirkung durch die entscheidenden Fachministerien,
• neues Privatisierungsgesetz vom 23.5.95 greift noch nicht,
• kaurn Privatisierung von Grund und Boden aufgrund der landwirtschaftlichen Lobby
im Parlament (o.V., OP 1995/1996,68).
133
4.4.7 Betriebliche Aspekte der Privatisierung
4.4.7.1 Umverteilung des Staatseigentums
Die Privatisierung begann mit der Verteilung der "Voucher" an die BevOlkerung, die
das Recht eines BUrgers auf den ihm zustehenden Anteil am Staatsvermogen verbriefte.
Infolge der ungewohnlich breiten Streuung der Eigenturnsrechte sind tiber 40 Millionen
Aktionare formelle Eigentiirner russischer Untemehmen geworden (BURKOV 1994, 13).
Der Nennwert eines Vouchers von 10.000 Rubel entsprach dem Anteil eines BUrgers am
Stammkapital der sowjetischen Wirtschaft in den Preisen der 70er Jahre, d.h. die Ge
samtsumme der an die BUrger ausgegebenen Voucher entsprach infolge der Inflation
nur wenigen Prozenten des Gesamtvermogens (JA WLINSKIJ 1995, 474).
Die Regierung erhoffte sich einen groBen ZufluB an extemem Kapital, weshalb die
zweite Variante der Privatisierung, bei der die Belegschaft 51% der Aktien des Unter
nehmens erwerben konnte, ungtinstigere Bedingungen fUr die Arbeiter beinhaltete. Der
Wert der Aktien betragt hierbei 170% des Nominalwertes, die Zahlung auf Raten ist
ausgeschlossen. Mindestens zwei Drittel der Werktatigen mtissen dieser Variante zu
stimmen (TORKANOVSKIJ 1994,60). Trotz der vielen Privilegien der ersten Variante, bei
der aber die Belegschaft die Mehrheitsbeteiligung nicht erwerben konnte, wurde sie nur
bei 24% der Untemehmen angewandt. Die Angst der Belegschaft vor extemem EinfluB
und eigenntitzigem Interesse der Direktoren, fiihrte dazu, daB bei 75% der Untemehmen
die zweite Variante Anwendung fand (KOMAROV 1995,79).
Die groBen Aktienbeteiligungen wurden zumeist nach vorheriger Absprache von den
Investmentfonds und Banken oft unter ihrem Marktwert erworben. Die neuen Eigentti
mer kiirnmerten sich in der Regel nicht urn strukturelle Veranderungen in den Unter
nehmen und warteten auf einen Anstieg der vollig unterbewerteten Anteile. Hieran hat
sich auch in der zweiten Periode der Privatisierung seit Mitte 1994 nichts geandert. Un
temehmerisch denkende Investoren finden sich selten. Aktienpakete wurden zumeist
zum Zweck des spekulativen Weiterverkaufs erworben. Die schwierige Informationsla
ge tiber die Kapitalstruktur der zu privatisierenden Untemehmen schreckte seriose Inve
storen haufig abo Die Direktoren hatten vielfach kein Interesse an betrieblicher Transpa
renz. Oft waren sie durch personliche Absprachen an bestimmte Kaufer gebunden. Ver-
134
steigerungen wurden dadurch zur Farce, der Kaufer und der unterbewertete Kaufpreis
waren im voraus bekannt (MARTYNENKO 1995, 49).
Nachdem RuBland nun von der internationalen Kreditagentur Standard & Poor's ein
"BB minus"-Rating fur langfristige auslandische Schuldverschreibungen bekommen
hat, haben groBe, international agierende Unternehmen deutlich verbesserte Moglich
keiten der Kreditfinanzierung. Hierzu gehoren Unternehmen der Telekommunikations-,
01- und Gasindustrie. Die f'Unffache Oberzeichnung der ersten, auf auslandischen
Markten handelbaren Aktien in Hohe von 374 Millionen Dollar von GAZPROM belegen
dies (o.V. RUSSIA TODAY, 14.11.1996).
4.4.7.2 Machtstellung der Direktoren
Seit Mitte 1994 steigt der Anteil der Manager und der privaten Investoren, der Beleg
schaftsanteil sinkt (RADIGIN et al. 1995, 53). Die Belegschaft, die tiber den GroBteil der
Aktien verfiigt, sollte die einfluBreichste Kraft in den privatisierten Unternehmen sein.
In der Realitat begreifen sich die Mitarbeiter nicht als die rechtmaBigen Eigentfuner.
60 50
c 40 I!l 30 £. 20
10 O+-'-L..--....... ----r-
Apr 94 Dec 94 Mar 95 Jun 95 Jun 96 geschatzt
• Belegschaft
• Manager
Aulleninvestoren
Staat
Abb. 28: Entwicklung der Aktienanteile an privatisierten Unternehmen (RADIGIN et al. 1995,53)
Sie nehmen ihre Stimmrechte in den Aktionarsversammlungen nicht wahr. Ihre Gleich
gtiltigkeit beruht auf der langen sowjetischen Tradition der Scheinaktivitaten und der
Uberzeugung, daB man sie sowieso betriigen wiirde (KOMAROV 1995, 75). Da fremden
Investoren aus Angst vor Massenentlassungen noch weniger vertraut wird, akzeptieren
die Arbeiter die de-facto-Eigentfunerstellung der Direktoren (RADIGIN et al. 1995, 57).
Der EinfluB der Direktoren umfaBt aIle Bereiche, z.B. bei der Festlegung der Lohne und
der Pramien, oder der Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Fast 80% der Beschaftigten
135
glauben daher, daB die Direktoren, unabhangig von der Eigentwnsform des Untemeh
mens, die realen Eigentiimer mit uneingeschriinkter Verfiigungsgewalt sind (GURKOV,
AVRAAMOVA 1995,27).
Viele Direktoren haben diesen de-facto-Zustand durch den Kauf groBer Aktienpakete
von der Belegschaft auch rechtlich legitimiert. Mittel dazu sind beispielsweise vorsatz
lich verzogerte Lohnzahlungen, Vemachlassigung des Arbeitsschutzes und unangemes
sener Druck auf die Arbeitsdisziplin. Mitarbeiter-Aktionare sollten so zur Kiindigung
bewegt werden. Die Uberlegung der Direktoren hierbei war, daB bei der geschlossenen
AG die Aktien der Gekiindigten dem Gesetz zufolge im Untemehmen verbleiben mus
sen und bei der offenen AG die Mitarbeiter wegen der Unterentwicklung des Wertpa
piermarktes ihre Aktien meistens nur fUr einen symbolische Wert verkaufen konnen.
Diese Aktien kaufen Direktoren zu stark unterbewerteten Preisen auf Kredit, durch
Ausnutzung betrieblicher Mittel, auf eigenen Namen oder teilen sie mit ihren Stellver
tretem (GURKOV, AVRAAMOVA 1995,28). Die gegenseitige Kontrolle des Direktoren
rates und des V orstandes findet nicht statt, da in beiden Organen dieselben Personen
sitzen (RADIGIN et al. 1995,56).
4.4.7.3 Stellung der Aktionare
Typische Verletzungen der Aktionarsrechte in privatisierten Untemehmen sind:
• Einfiihrung diskriminierender Regeln in den Satzungen,
• Verbot des Verkaufs der Aktien an Exteme,
• Verletzung. der Informationspflicht des Vorstands bei Einberufung der Versarnmlung,
• Emission der Aktien ohne ausdrUckliche Einwilligung der extemen Aktionare,
• Lenkung der Beschlusse der Hauptversarnmlung durch Drohung oder WahWilschung
(RADIGIN et al. 1995,64).
Der praktische EinfluB der Minderheitsaktionare auf die Geschiiftsfiihrung ist gering,
ihre Rechte und strategischen Interessen werden unzureichend geschUtzt, die Dividende
ist nicht erwahnenswert. Aktivitaten auslandischer Investoren werden nicht durch den
gesetzlichen Rahmen beschriinkt, sondem durch "informelle Hindemisse" vor Ort und
fehlende Beziehungen zur ortlichen Biirokratie (RADIGIN et al. 1995, 64).
136
Die Krafteverteilung zwischen den Direktoren und dem Privatkapital anderte sich in den
letzten Jahren stark und durchlief drei charakteristische Hauptphasen:
• strikte Trennung der EinfluBbereiche,
• Kooperation der gegenseitigen Interessen und
• direkte Konfrontation bei der Umverteilung des staatlichen Eigentums
(STARODUBOVSKAJA 1995,137).
4.4.7.4 Banken und Holdings im PrivatisierungsprozeO
Private Banken haben meist die Rechtsform einer AG, die in der Regel aus Beteiligun
gen groBer Untemehmen entstand, tiberwiegend zur Deckung des eigenen Bedarfs an
finanziellen Mitteln. 1m Laufe der Jahre haben zusatzliche Aktienemissionen allmiihlich
die Beteiligungen der Grtinderuntemehmen aus der Geschaftsfiihrung gedrangt und
zwangen sie in eine abhangige Stellung. Typisch ist die Lage bei einer der groBten und
einfluBreichsten Banken, der TWERUNIVERSALBANK mit 15.000 Aktionaren, darunter
von 200 Industrieuntemehmen. Die ftinf Untemehmen mit den groBten Aktienanteilen
halten ca. 21 % der Aktien, 32% liegen in Handen der Mitarbeiter der Bank. Analog den
Industrieuntemehmen wird dadurch in erster Linie die Machtstellung der Bankleitung
gestiirkt (RADIGIN et al. 1995, 62).
Die Investitionsattraktivitat der Industrieuntemehmen ist wegen ihres Krisenzustands
und der niedrigen Dividenden sehr niedrig. Die Sicherheit und der Ertragswert staatli
cher Wertpapiere ist wesentlich hOher. Demzufolge wird diese Anlageform von der Be
volkerung praferiert. Nur groBe institutionelle Investoren (Banken oder Fonds) konnen
sich die riskanten Industrie-Kapitalanlagen leisten (MELENTJEV 1995, 14).
Die Kreditwtirdigkeit von Transformationsuntemehmen ist gegenwiirtig sehr niedrig.
Motive und Fiihigkeiten des alten Managements werden negativ bewertet. Langfristige
Kredite werden nur vergeben, wenn auf die Geschiiftsfiihrung durch Mehrheitsbeteili
gung EinfluB genommen werden kann. GroBbanken haben seit Jahren aufgrund der Ka
pitalverflechtung langfristige Beziehungen zu vertrauten Untemehmen aufgebaut. Seit
Dezember 1993 existiert ein Rechtsrahmen fUr derartige Untemehmens-Bankverbindun
gen, die industriellen und finanziellen Gruppen (FIG) (MELENTJEV 1995, 17).
137
Die Bedeutung innerhalb der russischen Wirtschaft und der hohe Kapitalbedarf bei der
Privatisierung ehemaliger GroBkombinate erfordem besondere Privatisierungs- und Fi
nanzierungsformen. Die benotigten Ressourcen konnen durch Vereinigung mehrerer
industrieller Untemehmen und Banken in Form von FIG, ahnlich der japanischen Kei
retsus, aufgebracht werden (BATCHIKOV, PETROV 1995,4)
Japanische Keiretsus sind nicht aufbestimmte Branchen oder Produkte beschr1inkt, son
dem vereinigen groBe Hurnan-, Finanz-, Markt- und Produktpotentiale und setzen die
integrierten Ressourcen in innovative Technologien ein (SABEL, WEISER 1995, 296).
Die FIG URALSKlJE SAVODY, die seit 1994 aus zwei privaten Banken, einem Invest
mentfonds, einer Versicherungsgesellschaft, zwei groBen Handelsuntemehmen, zehn
Elektronikuntemehmen, einem Forschungsinstitut und einem Bauuntemehmen in der
Ural-Region besteht, zeigt iihnliche Bestrebungen. Durch die Konzentration der Res
sourcen und in Zusarnmenarbeit mit SIEMENS und PHILIPPS wurden mehrere bedeutende
Innovationen im Bereich der Elektronik hervorgebracht (BOTKIN, KOSLOV 1995, 151).
Ein weiteres Beispiel liefert die MENA TEP Bank, eine der bekanntesten russischen Ban
ken. 1995 erwarb sie fUr 35 Mio. US$ 70% der Aktien des Moskauer Nahrungsmittel
herstellers KOLOSS und gab sogleich fUr 34 Mio. US$ giinstige Investitionskredite an
das Untemehmen. Der Direktoremat, in dem die Bank tiber die absolute Mehrheit ver
rugt, muB jetzt die profitable Geschaftsfiihrung des Untemehmens sicherstellen, urn die
Rtickzahlung der Kredite zu gewahrleisten (o.V., owe 1995, 18).
Anderseits sind die FIG eine Bedrohung fUr den sich entwickelnden russischen Mittel
stand. Die horizontale Integration innerhalb der FIG ist weniger marktwirtschaftlich als
monopolistisch begriindet. Durch die Vereinigung industrieller GroBbetriebe, Handels
untemehmen und Banken entsteht eine marktmachtige Stellung, die Schltisselpositionen
in einzelnen Regionen und Branchen besetzen kann. Konkurrenz wird ausgeschaltet,
und Druck auf die Regierung wird ausgetibt (RADIGIN et al. 1995, 65). Neben dies en
FIG gibt es eine zahlenmaBig kleinere Gruppe, die eine Effizienzsteigerung durch Kon
zentration der Ressourcen in strategisch wichtigen Bereichen anstrebt. Sie betreibt akti
ve, teilweise so gar aggressive Marktpolitik (STARODUBOVSKAJA 1995, 143). Tab. 29
zeigt die Anfang 1996 in RuBland im Register fUr finanziell-industrielle Gruppen ge
meldeten FIG.
138
Die russische Regierung plant, strategisch wichtige FIG zu unterstUtzen. Ziel dieser In
dustriepolitik ist es, starke, wettbewerbsfaruge Unternehmen als Motor fUr die einheimi
sche Wirtschaft zu f6rdern. International ausgerichtete Wirtschaftsbereiche wie die
Kraftwerkstechnologie, Raumfahrt und Atomindustrie erhalten ebenfalls Beihilfen fUr
den internationalen Wettbewerb. Hochprofitable Branchen wie die russische 01- und
Gasindustrie soIlen keine direkten Hilfen erhalten (0. V. , RUSSIA TODAY, 29.11.1996).
Tab. 29: Stand der FIG in RuBIand im Januar 1996 (http://www.marketrussia.com/nlfigs.htm)
Finanzjell-Industrielle Gruppen (FIG) Anzahl der Unlemehmen Zahl der Beschaftigten (in Tsd.)
Inlerros, Moskau 24 306 Magnitogorskaya Stahl, Magnitogorsk 27 264 Nizhegorodskiye Automobiles, N. Novgorod 40 241 Volzhsko-Kamskaya FIG, Moskau 3 231 Metalloindustriya, Woronesch 13 206 East-Siberian-Group, Irkutsk 26 107 Unified Mining and Metallurgical Company, RF 9 97 AtomRudMel, Moskau 13 90 Ruskhim, Moskau 21 86 Socci, Woronesch 22 81 Russian Aviation Consortium, Moskau 8 71 Nosta-Truby-Gas, Novotroizk, Orenburg Region 6 59 Exokhim, Moskau 22 54 Svyatogor, Chelyabinsk 14 49 Sibir,Novosibirsk 18 48 Uralskiye Zavody, Izhevsk 20 46 Tulsky Promyshlennik, Tula 18 39 Edinstvo, Perm 18 30 Skorostnoy Flot, Moskau 18 25 Prompribor, Moskau 22 25 Soyuzagroprom, Woronesch 40 24 Zhilische, Moskau 13 21 Primorye, W1adiwostok 21 19 Unified Industrial-Construction Company, RF 21 10 Doninvest, Rostovna-Donu 6 10 Jewels of Ural, Yekaterinburg 9 3 Eurozoloto, Moskau 7 3
4.4.7.5 Privatisierung und betriebliche Transformation
Obwohl die quantitativen PrivatisierungspHine erfiiIlt wurden, entstand kein besseres In
vestitionsklima zur Effizienzsteigerung der Unternehmen (RADIGlN et al. 1995, 50).
Lediglich die Privatisierung der Handelsunternehmen brachte die erwarteten positiven
Effekte und bewirkte die ZerscWagung der Handelsmonopole und das Entstehen echter
Konkurrenz. Mit Handel lieJ3 sich ohne riskante Investitionen sofort Profit erwirtschaf
ten (WELISCHENKOV 1995, 7).
139
Die fonnal durchgefiihrte Privatisierung brachte kaurn KapitalzufluB mit sich, sondem
verschlechterte die finanzielle Lage der meisten Industriebetriebe. Aufgrund der fehlen
den Kontrolle der rechtmaBigen Eigentiimer entzogen die Direktoren den Untemehmen
finanzielle und materielle Ressourcen, z.B. durch die Vennietung von Lagerhallen, Pro
duktionsflachen und administrativen Gebauden (MARTYNENKO 1995, 46).
Neben den untemehmensintemen GrUnden gibt es eine Reihe objektiver Griinde, die die
gegenwartigen finanziellen Schwierigkeiten der Untemehmen erklaren. Die sinkende
Kaufkraft der Bevolkerung und die allgemeine Zahlungskrise beschleunigen den Nie
dergang vieler Untemehmen. Die Inflation entwertete zusatzlich die noch verfiigbaren
betrieblichen Umlaufmittel (PLATJOSCHNYJ 1994, 24). Nach der ersten "Zahlungsun
fahigkeitskrise" und dem von der Regierung verordneten gegenseitigen SchuldenerlaB
im Jahr 1992, ist die fonnelle "Nichtzahlung" der Schulden zur Strategie der Untemeh
men geworden. Nur etwa 20% der offiziell gemeldeten Schulden der Untemehmen sind
real, der Rest wird vorbei an den offiziell gemeldeten Geschiiftskonten gezahlt. Kleinere
Rechnungen werden bar beglichen, groBere Betrage tiber Auslandskonten. Mit Hilfe der
kiinstlich erzeugten gegenseitigen "Verschuldung" werden Steuerzahlungen vennieden
und verbilligte staatliche Kredite eingefordert (WELISCHENKOV 1995, 7).
Waren werden ohne reale zahlungsfahige Nachfrage weiterhin produziert und auf Kredit
in der Hoffnung verkauft, daB der Staat letztendlich die wachsenden gegenseitigen
Schulden ausgleicht wie im Jahr 1992 (DOLGOPJTOVA 1995, 14). Die Gefahr des Kon
kurses ist auch nach Verabschiebung des Konkursgesetzes sehr gering. Paradoxerweise
wachsen die verfugbaren liquiden Mittel der Untemehmen parallel mit der Verschul
dung (BELJANOVA 1995, 19).
Mit der Ubergabe der Eigenturnsrechte wurde ein hOheres Engagement der Betriebsan
gehorigen fur den UmgestaItungsprozeB angestrebt. Die Realitat der Privatisierung in
RuBland widerlegte die Vorstellung, daB das Miteigentum an Betriebsmitteln den Werk
tatigen BewuBtsein fur Eigentum verleiht. Aktienbesitz steigerte die Arbeitsmotivation
und das Qualitats- und KostenbewuBtsein der Belegschaft nicht. Der Kampf urn das Be
triebsvennogen beeintrachtigte den sozialen Frieden im Untemehmen. Auch in dieser
Hinsicht erwies sich die Privatisierung, wie sie in vielen Untemehmen in RuBland statt
fand, als nachteilig fur die betriebliche Transfonnation (TORKANOVSKIJ 1994, 60).
140
Die sozialen und wirtschaftlichen Ahnlichkeiten zwischen RuBland, WeiBruBland und
der Ukraine erlauben die Annahme, daB die mit vergleichbaren Methoden durchgefiihrte
Privatisierung in diesen Uindem iihnliche Ergebnisse bringt. Das bestatigen erste Re
sultate der Privatisierung in der Ukraine. Da sich die bisherigen Ausfiihrungen exempla
risch auf RuBland bezogen haben, finden sich in Anhang 4 Besonderheiten der nationa
len Privatisierungsbestrebungen auch der anderen untersuchten Lander.
4.5 Business-Infrastruktur
Die Business-Infrastruktur bilden exteme Institutionen und Rahmenbedingungen, die
direkt fur die betriebliche Leistungserstellung ben6tigt werden. Die betrieblichen Funk
tionen interagieren in unterschiedlichen MaBe mit extemen Institutionen: So werden
produkt- und preispolitische Entscheidungen fast ausschlieBlich untemehmensintem
getroffen und durchgesetzt, fur die Schaltung von Werbung dagegen benotigt ein Unter
nehmen zumindest die Dienste einer Agentur.
Schnittstellen zur Untemehmensumwelt sind
• fur Informationen: Marktforschung und Kommunikationspolitik, die auf exteme In
stitutionen wie Informationsanbieter, Werbeagenturen, Medien usw. angewiesen
sind,
• fUr Sachgiiter: Beschaffung und Distribution, die u.a. exteme Absatzmittler und -hel
fer in Anspruch nehmen,
• fUr Geld und Finanzdienstleistungen: Finanzierung, hier werden Borsen, Banken
usw. ben6tigt.
1m planwirtschaftlichen System waren diese Institutionen teils gar nicht, teils in anderer
Form als in marktwirtschaftlichen Systemen vorhanden. Systemtransformation bedeutet
u.a., daB die fur marktwirtschaftlich agierende Untemehmen notwendige Infrastruktur
entsteht. Untemehmen konnen nicht 10sgelOst von ihrem Umfeld transformieren. 1m
folgenden werden die Rahmenbedingungen und Institutionen und deren Entwicklung im
TransformationsprozeB beschrieben.
141
4.5.1 Kommunikation
4.5.1.1 KonsumentenverhaIten
Eine Studie der GfK vom Juli 1994 ergab, daB die meisten Haushalte mit ihrem Ein
kommen nur die grundlegendsten Ausgaben decken konnen (Tab. 30). Nach Berech
nungen des russischen Arbeitsrninisteriums lebten in RuBland 1992 5%, 1994 bereits
18% der Bevolkerung (26 Mio. Menschen) in extremer Armut, Tendenz steigend. 1996
lebte ein Drittel der Bevolkerung unter dem Existenzminimum (o.V., ST. PETERSBURG
TIMES, 9-15.1.1996).
Tab. 30: Ausgabenverteilung der russischen HaushaIte 1994 (o.V., VWD 1994, 7)
Einkommen .... Anteil der 8evolkerung ... niehl ausreiehend, urn noHge Nahrungsmittel einzukaufen 10% ... nur ausreiehend fUr Kauf von Nahrungsmitteln 31% ... ausreichend fUr Kauf von Nahrunllsmitteln und KJeidung 42% ... kann noch fUr andere Ausgaben verwendel werden 15% ... kann iiber das AIltagsbudgel hinaus noch zum Sparen verwendel werden 2%
In den anderen osteuropaischen Staaten ist die Situation iihnlich. Es kommt zu einer
Einkommenspolarisierung: 10% der russischen Haushalten verfugen tiber 75% des Ver
mogens des Landes (SASLA VSKIJ 1995, 49). Belarus bildet hier eine Ausnahrne, hier ist
die Differenzierung zwischen den Einkommensgruppen noch nicht so weit fortgeschrit
ten.
Der Binnenmarkt der osteuropaischen Lander war bisher ein Mangelmarkt, d.h. die
Nachfrage tiberstieg das Angebot deutlich. Dies hat anhaltende psychologische Folgen
fur das Kaufverhalten der Konsumenten (BARTA 1991, 64). Wegen der gesunkenen
Kautkraft und der Flut der importierten Waren kann der Eindruck entstehen, daB gegen-
Tab. 31: Motive fiir Vorratskiiufe in den GUSStaaten 1992 (NARSIKULOW 1992, 13)
Furchl, Ware isl nichl vorhanden, wenn sie benotillt wird Ware ist gegenwiirtig billiger als zukOnffig Weiterverkauf der Ware mit Preisaufschlag keine DurchfOhrung von Vorratskaufen
47,7% 19,0% 1,3%
27,9%
wartig AngebotstiberschuB vor
liegt, tatsachlich fehIt es jedoch
immer noch an bezahlbarer
Ware befriedigender Qualitat.
Produkte werden trotzdem
nach wie vor auf Vorrat gekauft .. Tab. 31 verdeutlicht den EinfluB der gelemten Anpas-
sungsmechanismen auf das Kaufverhalten. Die Nachfrage nach minderwertiger Ware ist
gesattigt: Die Bevolkerung praferiert eindeutig Qualitatsprodukte, insbesondere beim
142
Kauf langlebiger Gtiter (LAWRENCE, VLACHOUTSICOS 1993, 9). Nach einer Studie von
LEONIDOU wird die Qualitat bei der Kaufentscheidung immer wichtiger (Tab. 32).
Tab. 32: Faktoren der Kaufentscheidung russischer Konsumenten in Prozent (LEONIDOU 1992,81)
Lebensmiltel Kosmetika HH.-Reini- Kleidung und Eleklrische Elektroni-gungsmiltel Schuhe Gerale sche Gerale
Qualilal 90 63 69 70 78 73 Preis 52 41 33 44 44 48 Verfiigbarl<eil 52 37 51 26 45 36 DarslellungIPrasenlation 38 26 14 64 28 28 Herkunftsland 8 38 25 40 25 38 Verpackung 10 18 23 - 1 -Designvariationen 9 14 18 13 14 9 Marl<enname 6 29 19 16 22 27 Werbliche Unlersliilzung 1 3 5 1 2 3
Nur bei dem kleinen wohlhabenden Anteil der Bevolkerung spielen Markennamen, Pre
stige und Luxus eine entscheidende Bedeutung bei der Kaufentscheidung, auf den Preis
wird dabei wenig geachtet (ETTERSON 1993, 29ff.). Vor der Perestroika gab es in osteu
ropaischen Landem kaum Auswahl zwischen verschiedenen gleichwertigen Produkten.
Dadurch war eine Differenzierung durch symbolische oder psychologische Attribute
nicht notwendig. Produkte wurden vor aHem tiber ihre Funktionalitat definiert. Marken
bewuBtsein konnte sich daher kaum entwickeln (SCHONEBERG 1993, 42). In bezug auf
Marken und Images wird das Markengedachtnis der meisten osteuropaischen Konsu
menten, in Analogie zur EDV, als eine "fast noch leere Festplatte" beschrieben. Je frU
her es den Untemehmen gelingt, Marken "auf dieser Festplatte zu speichem", desto we
niger zeit- und kostenaufwendig ist dies und desto anhaltender ist die Wirkung
(SCHWEIGER, FRIEDERES 1994,512). Auch wenn gegenwmig die Nachfrage nach Mar
kenartikeln noch gering ist, sichert der Autbau von Markenimages Iangfristig Wettbe
werbsvorteile durch die Verankerung der Marken in der als kaufrelevant wahrgenom
menen Altemativenmenge (Evoked set).
Eine Studie der GfK-Rus im III. Quartal 1994 ergab, daB russische Konsumenten be
ginnen, Markenbilder zu entwickeln. Spontan konnten die Befragten sehr viele westli
che Markenprodukte nennen (SCHULUS, DEMIDOV 1995, Illf.). Das Herkunftsland ist
jedoch aIs Qualitatsindikator wichtiger aIs die Marke. Bei westlichen Produkten wird
gute Qualitat angenommen (SCHULUS, DEMIDOV 1995, 112). Westliche Markenpro
dukte werden aIs Statussymbole empfunden.
143
Da das Einkommen der meisten Konsumenten fUr den Kauf der originalen Markenarti
kel nicht ausreicht, werden gem billige, gefalschte Produkte gekauft, die HuBere Eigen
schaften der Markenprodukte aufweisen. Die meisten Fruschungen kommen aus dem
asiatischen Raum. SchHtzungsweise 50% der gehandelten Importwaren im Konsumgii
terbereich sind illegal (WELISCHENKOV 1995, 13). Die Umgehung von Schutzzollen
fiihrt u.a. dazu, daB russische Untemehmen weitere Preisnachteile haben.
Die osteuroprusche Bekleidungsbranche reagierte auf die ausloodische Konkurrenz mit
Markenpiraterie. Die Verabschiedung des Verbrauchergesetzes in RuBland verbesserte
in dieser Hinsicht die Lage der Konsumenten, da der Handel seitdem die Verantwortung
fUr falsche Informationen trHgt. Die praktische Handhabung des Gesetzes erwies sich
infolge der Korruption jedoch als HuBerst schwierig, denn der Handel kann sich durch
den Kauf gefalschter QualitHtszertifikate weitgehend absichem. Nicht das Fehlen ge
setzlicher Bestimmungen, sondem ihre mangelhafte praktische Durchsetzbarkeit fordert
die Markenpiraterie (KOSYREV, LOBATSCH 1995, 161). Die Bevolkerung deckt bis zu
70% des Bekleidungsbedarfs auf TOLKUTSCHKAS (WochenmHrkten), wo von Privatper
sonen zur Aufbesserung des Einkommens groBtenteils unverzollte ausloodische Waren
billig verkauft werden (SCHENNIKOVA 1995, 5). Die TOLKUTSCHKAS werden formal von
staatIichen Organen beaufsichtigt, in Wirklichkeit stehen sie jedoch unter der Kontrolle
der Mafia. Das Risiko, Plagiate zu kaufen, wird allein von den Konsumenten getragen.
Neben der klassischen Markenpiraterie werden westlich klingende Namen als Waren
zeichen verwendet, auch wenn die Marke gar nicht existiert. Russische Krawatten mit
dem Warenzeichen GANDSIN wurden z.B. von unerfahrenen osteuropHischen Verbrau
chern mit der weltbekannten Marke CARDIN verwechselt, sie wurden zu Verkaufsschla
gem. Gesetzliche Bestimmungen liber den Schutz von Warenzeichen werden z.B. da
durch umgegangen, daB man eigene Warenzeichen, die eine verblliffende AhnIichkeit
mit den Marken westlicher Produzenten aufweisen, beim Patentamt anmeldet. Betroffe
ne westliche Hersteller sind nicht selten gezwungen, den Markenpiraten das Recht auf
die "russische Variante" des eigenen Warenzeichens fUr viel Geld abzukaufen
(KOSYREV, LOBATSCH 1995, 167).
Es sind bereits erste Anzeichen fUr eine Rlickbesinnung der russischen Konsumenten
auf inIoodische Produkte festzustellen (SCHULUS, DEMIDOV 1995, 112). Ein GroBteil der
144
in RuBland verkauften ausUindischen KonsumgUter sind billige, minderwertige Erzeug
nisse, vorwiegend aus dem asiatischen Raum. Gewissenlose Handler fiihren mit Unter
stiitzung korrupter Beamter unbrauchbare Lebensmittel mit um mehrere Monate fiber
zogenen Haltbarkeitsfristen ein. SpektakuUire Medienberichte und eigene Erfahrungen
bewirkten bei Verbrauchem Enttauschungen beziiglich der Qualitat westlicher Waren.
Vor allem bei Lebensmitteln gibt es V orlieben fUr vertraute einheimische Produkte.
Obwohl z.B. ein Drittel der in RuBland verkauften SiiBwaren laut Zollstatistik aus dem
Ausland importiert wird, gewinnen traditionsreiche russische SiiBwarenhersteller all
mahlich ihre Marktanteile wieder (o.V., owe 6/1995, 16). Prinzipiell besteht eine Pra
ferenz fUr einheimische Produkte, wenn sie in der gewiinschten Qualitat verfiigbar sind
(GoOD, HUDDLESTON 1994, 13).
Die Einstellung gegenfiber Werbung war nach Erhebungen der GtK-Rus im III. Quartal
1994 bei 33% positiv, 26% neutral und 41% negativ (SCHULUS, DEMIDOV 1995, 112).
Die Einstellung russischer Konsumenten zur Werbung anderte sich von voller Ableh
nung zu Beginn der 90er Jahre in Richtung zunehmender Akzeptanz. Qualitative Studi
en zeigen, daB osteuropiiische Verbraucher werbliche Aktivitaten erwarten.
Ein wichtiger Grund fUr die geringere Wirksamkeit von Werbung in Osteuropa liegt
darin, daB in der Sowjetunion nur fUr allgemein erhiiltliche, d.h. schlecht verkaufliche
Produkte geworben wurde und diese Eigenschaft daher auch heute den beworbenen
Produkten unbewuBt zugeschrieben wird (PUES 1993, 45). Dazu kommen als Mangel
empfundene Eigenschaften von Werbung, vor allem
• Aufdringlichkeit und fehlende Professionalitat,
• Unterbrechungen von Femsehsendungen durch Werbeeinspielungen,
• unrichtige Informationen, da sich Preise sowie Liefer- und Zahlungsbedingungen
sehr schnell verandem,
• fehlende Informationen fiber den Tatigkeitsbereich des Werbungtreibenden, da oft
nur das Firmenlogo, ohne jede Botschaft, in der Werbung erscheint sowie
• die Unerschwinglichkeit der beworbenen Produkte, da zum Adressatenkreis der
Werbung nur die reicheren Konsumenten gehOren (WESSELOW 4/1992, 12f.,
SCHULUS 1993,35).
145
Diese Mangel resultieren daraus, daB Werber ohne professionelle Hilfe Werbekampa
gnen entwerfen. Meist erstellen sie Spots und Anzeigen selbst. Auch wird von der V or
stellung ausgegangen, daB die Werbung dann am erfolgreichsten ist, wenn sie in der
populiirsten Femsehsendung plaziert wird, unabhangig davon, welche Zielgruppe ange
sprochen werden soli (TSCHEKALOVA 1992, 10).
4.5.1.2 KommunikationspoIitik
In osteuropaischen Untemehmen fehlen bislang oftmals die in marktwirtschaftlichen
Untemehmen typischen Marketingbereiche, wie Werbung oder Marktforschung. Die
Notwendigkeit zur Restrukturierung wird in vielen Fiillen unterschatzt. So erklaren Be
triebsdirektoren bzw. Manager die Ursachen fUr die stellenweise extreme Verschlechte
rung der Absatzbedingungen mit Faktoren wie dem Einbruch des AuBenhandels, dem
Ruckgang der Kautkraft und fehlender Funktionsfahigkeit des Handels. Unterbewertet
werden dagegen die Faktoren Ineffizienz der Produktion und des Vertriebs, fehlendes
Marketing und Managementweiterbildung (TIETZ 1993, 340-342). Nach einer Studie
von MUSIENKO findet jedoch allmiihlich ein Umdenken statt. Fiir Untemehmen der ver
arbeitenden Industrie in RuBland treten beim Absatz ihrer Produkte folgende Probleme
auf:
• Die Zahl der GroBbetriebe ist rUcklaufig, der Anteil kleinerer, nichtstaatlicher Unter
nehmen steigt. Die absolute Anzahl der Kunden steigt.
• Zahlungsprobleme mit Kaufem aus anderen GUS-Staaten fiihren dazu, daB neue Ni
schen auf dem russischen Markt gesucht werden mussen.
• Datenerhebungsprobleme erschweren die Erstellung eigener Nachfrageanalysen.
Marktforschung wird als sehr kostenintensiv empfunden.
• Die Effektivitat der Werbung ist zu gering. Werbekampagnen sind in der Regel
schlecht vorbereitet, die eingesetzten Mittel entsprechen nicht den Zielen. Durch die
geltende Steuergesetzgebung sind die Werbekosten sehr hoch, da sie nur in geringem
Umfang steuerlich absetzbar sind (MUSIENKO 1994, 24-26).
Die Konkurrenz auslandischer Konsumguter, z.B. Pkw, Haushaltselektronik, Beklei
dung, Zigaretten und Schokolade, fiihrte 1995 bei betroffenen Branchen zu einem Pro
duktionsrUckgang von bis zu 60% (SCHENNIKOVA 1995,4). Viele Untemehmen begin
nen deshalb mit dem Aufbau neuer Absatz- und Kommunikationssysteme. Dabei haben
146
jedoch nur wenige Unternehmen eine klare Konzeption, die die Spezifik des Unterneh
mens und die Besonderheit des russischen Marktes beriicksichtigt. Die Methodenwahl
reicht vom Kopieren westlicher Lehrbiicher bis zur Ubernahme von Erfahrungen erfolg
reicher russischer Unternehmen (MuSIENKO 1994, 24ff.).
4.5.1.2.1 Medien
Femsehen
Das Fernsehen spielt in den osteuropaischen Landern eine groBe Rolle. 95% der russi
schen Haushalte besitzen ein SchwarzweiB- oder Farbfernsehgerat. 68% der Russen
sehen regelmiiBig fern, im Durchschnitt drei Stunden pro Tag (LEONIDOU 1992, 77f.). In
der ehemaligen UdSSR sendete die zentrale Rundfunkanstalt GOSTELRADIO drei uni
onsweite Programme, daneben wurden verschiedene Regionalprogramme und ein oder
zwei nationale Fernsehprogramme der einzelnen Republiken ausgestrahlt (KERP 1992,
22ff.). In den Grenzgebieten sind Programme aus den Nachbarlandern verfiigbar. Ge
genwiirtig konnen fast alle Satellitenprogramme empfangen werden. In den GroBstadten
ist privates Kabelfernsehen zunehmend verfiigbar (MEFFERT, HENSMANN 1993, 82ff.).
Auch in den baltischen Staaten haben sich inzwischen private Fernsehsender etabliert.
Fernsehwerbung ist in RuBland seit 1988 zugelassen. Seitdem ist es auch den elektroni
schen und Printrnedien gestattet, direkt mit den Werbeinteressenten zu verhandeln und
die Preise nach eigenem Ermessen festzulegen. Bei allen Fernsehsendern wird nach
Auftraggebern fUr Werbung gesucht. Die populare Fernseh- und Rundfunkgesellschaft
OSTANKINO erlieB eine Anordnung, nach der 15% der Sendezeit fUr Werbung genutzt
werden konnen. Der Anteil der Werbung an der Gesamtsendezeit betrug jedoch im
September 1992 nur 3,8%, Tendenz steigend. Bei den anderen Fernsehanstalten liegt
dieser Anteil auf iihnlichem Niveau (WESSELOW 10/1992, 11). Die Preise liegen deut
lich unter Westniveau. Wiihrend in den USA eine nationale TV-Werbeminute durch
schnittlich 100.000 US$ kostet, miissen fUr Werbung in den popularsten Sendungen des
Senders OSTANKINO bisher nur 15.000 US$ bezahlt werden.
Das Fernsehen wird besonders von auslandischen Firmen fUr Werbespots bevorzugt
(o.V., bfai-Info Osteuropa 4/96, 33). Der Werbedruck auslandischer Unternehmen ist
147
ungleich hOher als der einheimischer Untemehmen. Weder 1995 noch 1996 findet sich
ein inHindisches Untemehmen unter den zehn gr6fiten Werbetreibenden.
Tab. 33: Die zebn griiOten Werbetreibenden im russiscben Fernseben 1995, Ausgaben fiir Fernsebwerbung in US$ (o.V., ST. PETERSBURG TIMES, 22-28.7.1996)
Rang Untemehmen Produkte Ausgaben
1. Mars-RuBland Mars, Snickers, Uncle Ben's, Whiskas, Pedigree 3.153.133 2. Procter & Gamble TIde, Ariel, Clerasil. Head & Shoulders 2.287.792 3. Stimorol Direl, Stimorol, V6 939.242 4. Polaroid Polaroid 880,000 5. Unilever Lipton, Orno, Signal, Lux, Sun Silk, Brooke Bond, Club 868,600 6. Wrigley WriQley, Orbit 752,208 7, NesUe Nuts, Nesouik 561 ,633 8. l6real Eiseve, Volume up, Casting, Plenitude 424.736 9. Matsushita Electronoics Panasonic Produkte 423.475 10. Schweppes Schwepoes, Vimto 415,800
1995 betrug die Summe der Werbeausgaben der 15 gr6fiten Werbetreibenden ca. 31
Mio. US$, 1996 bereits. 61 Mio. US$. Dies zeigt, daB sich die Intensitat des Werbe
wettbewerbs deutlich erhOht hat und es fur inlandische Untemehmen immer schwerer
wird, sich neben auslandischen Konkurrenten zu positionieren.
1994 betrugen die Werbeeinnahmen aller TV-Sender 394 Mio. US$, davon kamen 23
Mio. von (teilweise dubiosen) Anlageberatungsfirmen. Das Erste Programm OSTAN
KINO fakturierte Werbekosten von 13 Mio. US$, aber nur die Halfte davon ging beim
Sender tatsachlich ein. Innerhalb der Femsehsender hat sich ein untibersichtliches Be
ziehungsgeflecht zwischen Firmen und Kontaktleuten entwickelt. Werbespots k6nnen
zu jeder Tages- und Nachtzeit plaziert werden. Das Personal der Femsehanstalten ist
unterbezahlt, so daB Politik- und Sportredakteure auf eigene Faust Sendezeiten verkau
fen. Nachrichtensprecher verdienen dazu, indem sie vor dem Wetterbericht Firmenan
ktindigungen verlesen. Unterhaltungssendungen kaschieren ihren Werbecharakter nicht
(QUIRING 1995, 6).
Dieses undurchsichtige Werbegeschaft so lIte im Sender OSTANKINO, der im November
1994 in die Aktiengesellschaft GESELLSCHAFTLICHES RUSSISCHES FERNSEHEN urnge
wandelt wurde, im eigenen Interesse geordnet werden. Ende 1994 wurde ein Konsorti
urn, die REKLAMA-HoLDING, gegrundet, tiber das die Vertrage abgewickelt wurden.
Sogleich stiegen die Einnahmen des Senders auf das Siebenfache. 1m Februar 1995
148
wurde angekiindigt, daB zeitweilig uberhaupt keine Werbung ausgestrahlt wiirde, urn
den Zugang zu den Sendeplatzen neu zu regeln und korrupte Strukturen innerhalb und
auBerhalb des Senders aufzu16sen. Doch der Kampf gegen die Werbemafia hatte emste
Folgen. Am 1. Miirz 1995 wurde der populiire Femsehjoumalist und zugleich Exekutiv
Generaldirektor des Senders OST ANKINO, WLADISLA W LISTJEW erschossen. Die Polizei
meldete einen Auftragsmord. (QUIRING 1995,6; o.V., 1995b 152ff.).
Tab. 34: Die zehn gro8ten Werbetreibenden im russischen Fernsehen 1996, Ausgaben f"tir Fernsehwerbung in US$ (o.V., ST. PETERSBURG TIMES, 22-28.7.1996)
Rang Unternehmen Produkte Ausgaben 1. Procter & Gamble Camay, Old Spice, Alwavs, Pampers, Tide, Clearasil, Pantene Pro V 6.592.046 2, Mars·RuBland Lego, Pedigree, Whiskas, Mars, Snickers 2,641.042 3. Wriolev Wrigley, Orbit 1,795,875 4. Stimorol Direl, Stimorol 1.343.025 5. Nestle Nuts, Lion, Nescafe, Ma~mi, Nestl, Nesauik 1.322.688 6. Ferrero Nutelia, Raffaello, TIc-Tac, Kinder 1.222.226 7. Unilever Omo Liposyslem, Lux, Sun Silk, Brooke Bond, Timotei 1.208.517 8. Polaroid Polaroid 1.065.275 9. SamsunQ Electronics Samsung Produkte 1.043.025 10. C Pro Invite 1.040.000
Rundfunk
In der UdSSR war in fast allen Wohnungen ein Radiogerat mit ein oder zwei Program
men installiert. Daneben gab es 14 nationale Rundfunkprogramme. Inzwischen existie
ren auch viele private Radiosender. Rundfunk wird hauptsachlich im UKW-Bereich und
auf Mittelwelle gesende1. Der osteuropaische UKW-Bereich (65-76 MHz) stimmt mit
dem westlichen nicht uberein (84-108 MHz). So sind z.E. in RuBland Konkurrenzsender
entstanden, von denen einige im osteuropaischen UKW arbeiten, andere im westlichen
UKW -Bereich (OBOZREWATEL-AGENTUR 1993, 302). Die Privatisierung des ehemals
staatlichen Rundfunks trifft insbesondere die unteren Sozialschichten der Bevolkerung
und die Menschen in landlichen Gebieten, da flir den Radioempfang jetzt Gebiihren
gezahlt werden mussen (BECKER 1993, 709f.).
Die in RuBland weit verbreitete Meinung, daB zu den Rundfunkhorem vor allem Land
frauen hOheren Alters gehOren, widerlegte eine 1992 durchgeflihrte Untersuchung des
franzosischen soziologischen Instituts MEDIAMETRIE in Moskau und St. Petersburg.
70% (7,7 Mio.) der BevOlkerung von Moskau und S1. Petersburg horen Radio. Manner
und Frauen sowie Menschen mit hohem, mittlerem und niedrigem Lebensstandard sind
149
unter den standigen Horem anniihemd gleich verteilt. Der Anteil der BerufsHitigen be
tragt rund 68%, zwei Drittel der Horer sind Entscheidungstrager. Durchschnittlich wer
den taglich tiber 3~ Stunden Radio gehOrt. Menschen mit hohem Lebensstandard ver
bringen tiberproportional viel Zeit mit dem Horen von Radioprograrnmen (DENISSOW
1992,13).
Printmedien
In Osteuropa existieren viele nationale und regionale Printmedien. In Litauen z.B. gibt
es etwa 1.300 Masseninformationsmittel. Die BevOlkerung Osteuropas verbringt viel
Zeit mit dem Lesen von Zeitungen und Zeitschriften. In RuBland betragt die Leserrate
90% bei Zeitungen und 73% bei Zeitschriften, der durchschnittliche russische Haushalt
hat sechs Zeitungen und Zeitschriften abonniert. Das Interesse besteht hauptsachlich an
in- und auslandischen Nachrichten sowie an sozialen und historischen Artikeln (LEONI
DOU 1992, 77f.). Wahrend inlandische Untemehmen fur Werbung Printmedien bevor
zugen, ist die Aktivitat auslandischer Werbungtreibender hier noch gering. Das liegt vor
allem daran, daB die Druckqualitat oft schlecht ist und die meisten Publikationen nur im
Einfarbendruck erscheinen, zudem herrscht zeitweise Papiermangel (o.V., OWR 1993,
475f.). 1995 entfielen 70% des Umsatzes der estnischen Werbebranche auf Printmedien
(60% Tageszeitungen und 10% Zeitschriften) (o.V., bfai-Info Osteuropa 4/96,33).
Russen nehmen sich die Zeit, Zeitungen vollstandig durchzulesen. Intelligente kultur
spezifische Werbung in der Printmedien kann praktisch alle Zielgruppen wirksam errei
chen. Auch ist eine regionenspezifische Ansprache der Konsumenten tiber Printmedien
mit weniger Streuverlusten verbunden als Femsehwerbung. AuBerhalb von Moskau und
St. Petersburg existieren ca. 1100 Zeitungen. Nach Angaben des Mediendirektors von
BBDO fur RuBland sollten Werbekampagnen die kulturellen Besonderheiten der ver
schiedenen Religionen und Volksstfunme in RuBland beachten. So wird z.B. auf Wer
bung fur Hygieneprodukte fur Frauen in moslemischen Gebieten vollig verzichtet.
Die Preise fur einen Quadratzentimeter Zeitungsflache liegen zwischen 2,20 DM in In
formationszeitungen in Zentral-RuBland und sechs DM in politischen Zeitungen im
Femen Osten (o.V., ST. PETERSBURG TIMES, 4-10.11.1996).
150
Zentral-RuBland 32
18 14 Nord-RuBland
Siid-RuBland
Ural Region 32
Wolga Region
Sibirien
8 16 FemerOslen
48
52 52
40
80 80
• Werbe-/lnfomationsZeilungen Gesellschaftliche/PoliUsche Zeitungen
110 90
Abb_ 29: Zeitungen in grii8eren Stiidten der russischen Regionen (oS., ST. PETERSBURG TIMES, 4-10_11.1996)
MesseD uDd AusstelluDgeD
In der UdSSR war das Messewesen zentral geplant und riiumlich auf Moskau konzen
triert. Nur das damalige Leningrad spielte als weiterer Messeplatz eine Rolle. Das Mes
seprogramm wurde vom Fiinfjahresplan bestimmt. Die Zustiindigkeit fUr den Messebe
such lag bei den Industrieministerien. Sie durften Mitglieder der zustiindigen Aul3en
handelsorganisation einladen. Die Aul3enhandelsorganisationen (AHO) waren fUr siimt
liche Aul3enhandelsgeschafte eiDer Branche und damit fUr die teilnehmenden Aussteller
zustiindig (BETIERMANN 1992, 41).
Organisiert und durchgefuhrt wurden die Messen vom W/O EXPOCENTR, das damals
kein staatliches, sondem ein sogenanntes gesellschaftliches Untemehmen der Industrie
und Handelskammer war und lediglich das beschlossene Messeprogramm auszuruhren
hatte. 1991 wurde das W/O EXPOCENTR reorganisiert und in eine geschlossene Aktien
gesellschaft umgewandelt. Die Monopolstellung des W 10 EXPOCENTR wurde erstmals
1989 gebrochen, als in Litauen die unabhiingige Messegesellschaft LITEXPO gegrundet
wurde. Ais Messepliitze haben sich vor allem solche Stiidte entwickelt, in denen bisher
kleinere Fachmessen abgehalten wurden, sowie ehemalige Messestiidte, wie z.B. Ni
schnij Nowgorod (BETIERMANN 1992, 42).
151
AIle Messeveranstalter sind in ihrer Themenwahl frei. In den letzten Jahren hat die Zahl
der Messen und Ausstellungen stark zugenommen (o.V., OWR 1994b, 221). Aufgrund
der wachsenden Konkurrenz werden immer wieder Messen mit ahnlicher Thematik
zeitnah am gleichen Veranstaltungsort angeboten. Kurzfristige Messeabsagen aufgrund
mangelnden Interesses sind die Folge (BETTERMANN 1992, 43f.). Um dem Messewild
wuchs in den osteuropaischen Staaten ein Ende zu setzen, wurde 1991 mit fachlicher
Untersrutzung des Ausstellungs- und Messeausschusses der Deutschen Wirtschaft
(AUMA) ein Messeverband gegriindet, dem z.Zt. 15 Mitgliedsunternehmen aus den
GUS-Staaten sowie Estland und Lettland angehOren. Wichtigste Aufgaben des Verban
des sind die Koordinierung der Themen und Termine sowie die Verbesserung des Servi
ces (o.V., 1994a, 37f.). Auch die Besucherstruktur hat sich veriindert. Der potentielle
Besucherkreis hat sich urn ein Vielfaches erweitert und ist wesentlich heterogener zu
sammengesetzt als vor dem wirtschaftlichen Umbruch. Die staatlichen Fachbesucher
haben als Zielgruppe stark an Attraktivitat verloren, so daB jetzt verstiirkt private Fach
besucher angesprochen werden (KUNSTENAAR 1992, 17).
Messen bieten gute Gelegenheiten, Kontakt mit neuen Abnehmern, wie privaten Hiind
lern, Jungunternehmern und Vertretern nichtstaatlicher Organisationen aufzunehmen
deren Anzahl stiindig wachst. Da sich das Informationssystem, z.B. tiber Handelskam
mern, in den osteuropaischen Liindern erst im Autbau befindet, kommt Messen und
Ausstellungen auBerordentliche Bedeutung fUr die Informationsbeschaffung und Selbst
darstellung zu. Messeveranstalter stellen Werbemittel zur Verfiigung, wie z.B. Kunden
gutscheine f'iir einen Messebesuch, auf denen teilnehmende Unternehmen kostengiinstig
fUr ihre Produkte werben. Fach-, Wirtschafts- und Tagespresse veroffentlichen Sonder
hefte oder -beilagen zu wichtigen Messen und bieten Unternehmen die Gelegenheit, sich
im Rahmen der Anzeigenwerbung darzustellen.
Sonstige Werbetriiger
Moglichkeiten fUr AuBenwerbung sind in den osteuropaischen Liindern meist nur in
Stadten gegeben. In RuBland gibt es bereits viele Formen der AuBenwerbung, die von
Plakatwerbung tiber Verkehrsmittelwerbung und Leuchtwerbung bis zu Werbung auf
dem Startgeliinde des Kosmodroms in Plessezk sowie auf der Tragerrakete des kosmi
schen Dberseefluges "Europa-Amerika-500" reichen (WESSELOW 1111992, I Iff.). In
152
Kiew ist es seit 1994 schwieriger geworden, AuBenwerbung zu betreiben. Offiziell wur
den zwar keine Restriktionen verfiigt, Genehmigungen werden aber selten erteilt und die
Moglichkeit zur Errichtung von Plakatwanden wurden eingeschriinkt. Vor allem im
Stadtzentrum will man auf auffallige Werbung verzichten (0. V., OWR 1994a, 143ff.).
In Litauen ist Plakatwerbung noch nicht verbreitet.
In der Moskauer Metro ist eine Werbeagentur mit Tonwerbung aktiv. Die Metro wurde
urspriinglich als Luftschutzraum errichtet und mit verzweigten Funknetzwerken ausge
stattet. Seit 1988 wird diese Technik fur Tonwerbung genutzt. Diese Form der Werbung
ist sehr effektiv, da taglich acht bis neun Millionen Metrobesucher erfaBt werden. Etwas
ahnliches gibt es nur noch in Buenos Aires, wo allerdings ausschlieBlich Musik tibertra
gen wird (WESSELOW 511992,12).
In RuBland werden einfache Formen der Direktwerbung angewandt, in der Regel Mai
lings. Die Zuverlassigkeit der Postdienstleistungen ist nach Regionen unterschiedlich, in
Stadten ist sie i.d.R. zufriedenstellend. Die unmittelbare Verteilung von Werbeliteratur
tiber Boten, die von Haus zu Haus gehen, ist aufgrund der hohen Kriminalitatsrate nicht
realisierbar (o.V., OWR 1993, 475f.). Einwurf der Werbung in die Briefkasten bereitet
keine Schwierigkeiten, da die Eingangstiiren der groBen Wohnhauser unverschlossen
sind. Viele Firmen kommunizieren mit ihren Kunden oder Partnern tiberwiegend per
Fax. Daher stellt das Direct faxing im Moment die wirkungsvollste Art der Direktwer
bung dar (o.V., OWR 1994a, 143ff.).
4.5.1.2.2 Werbeaktivitaten osteuropaischer Unternehmen
Auf dem Werbemarkt war der produzierende Sektor bisher kaum vertreten. Werbung ist
trotz der international vergleichsweise gtinstigen Konditionen fur osteuropaische Unter
nehmen sehr teuer. 1992 entfielen bis zu 80% der Fernsehwerbung und bis zu 60% der
Zeitungswerbung auf Maklergeschafte, durch Borsen und Handelshauser sowie auf das
Finanzwesen durch Banken und Versicherungsgesellschaften, die sich diese Werbeform
leisten konnen (WESSELOW 4/1992, 12f.). Die meisten russischen Industriebetriebe ha
ben keine Werbestrategie und keinen Werbeetat. Aus Kostengriindern werden vornehm
lich lokale Medien genutzt. Die Disposition der knappen finanziellen Mittel kommt
meist weniger der Werbung zu, sondern dringend notwendigen Modernisierungen der
153
Produktion. Angesichts des Mangels an bezahlbaren hochwertigen Waren steht die Stei
gerung der Produktqualitiit iiber Investitionen im V ordergrund. Der bekannte russische
Nahrungsmittelhersteller KOLOSS lehnte eine Werbekampagne in Hohe von 20 Mio.
US$ ab, urn fUr das Geld eine Kartoffelverarbeitunsanlage zu kaufen (o.V., OWC
6/1995, 18).
Ziel der russischen Werbung ist es oft, das Image des Werbungtreibenden aufzubauen.
Begriindet wird dies damit, daB die Untemehmen einander erst kennenlemen miissen. In
der Werbung wird daher meist die Firma vorgestellt, jedoch nicht ihre Leistungen oder
Produkte. Unbegriindetes Eigenlob und fehlende Professionalitat priigen die Kampagnen
(SCHULUS 1993,35).
Werbeageotureo uod Fachverbiiode
In RuBland, in der Ukraine und in den baItischen Staaten existieren bereits viele einhei
mische Werbeagenturen. Vier von fiinf neugegriindeten Agenturen iiberlebten die erste
Kampagne nicht (DORNER 1993, 18). In RuBland lassen sich drei Arten von Werbe
agenturen unterscheiden:
• unabhiingige Werbeagenturen, die mit allen Massenmedien zusammenarbeiten,
• Werbeagenturen bei Massenmedien, z.B. die Werbeabteilungen von OSTANKINO und
RADIO Rox,
• Werbeagenturen, die vorwiegend nur mit einem Massenmediurn zusammenarbeiten
(OBOZREWATEL-AGENTUR 1993,300).
Etwa 20 f'iihrende intemationale Werbeagenturen sind in Moskau vertreten. Seit Januar
1989 fungiert OGIL VY & MATHER als dritter Partner des Gemeinschaftsuntemehmens
TISZA, an dem auch die ehemalige sowjetische Staatsagentur SOJUSTORGREKLAMA und
eine ungarische Firma beteiligt sind. YOUNG & RUBICAM griindete ein Joint-venture mit
der ehemals staatlichen Agentur VNESCHTORGREKLAMA. Weiterhin sind z.B. Mc CANN
ERICKSON, DMB & B, BBDO und SAATCHI & SAATCHI vertreten. Kunden der intema
tionalen Agenturen sind groBe ausliindische Werbungtreibende, mit denen bereits eine
jahrelange Zusammenarbeit besteht. Es gibt jedoch auch Beispiele fUr die Zusammenar
beit mit russischen Dienstleistem. SONY hat einen TV -Spot von einer russischen Agen-
154
tur produzieren lassen, SHARP arbeitet mit einem russischen Design-Studio zusarnmen
(SCHULUS 1994, 27f.).
In RuBland existieren bereits drei grof3e Fachverbande, die in Tab. 30 dargestellt wer
den.
Tab. 30: Fachverbiinde in RuBland (Schulus 1994, 27f.)
Verband der 1989 gegriindet; 80 Mitgliedsfirmen aus allen Bereichen (ehemalige staatiiche und hallJ. Werbefachleute staaUiche Strukturen, die inzwlschen in Aktiengesell-schaflen verwandelt wurden, privat
gefiihrte Agenturen, Messegesellschaften, Industriegesellschaflen bzw. ihre Werbeabtei-lungen, Handelshauser und Massenmedien); orientiert sich an den Vereinbarungen des .Intemationafen Kodex der Werba-praxis', an der Ausgestaltung des .Kodex der amerika-nischen Assoziation der Werbeagenturen' und der des ,Aligemeinen Slatuts der Weltfo. deration der Werbefachleute·.
Fonds zur Unterstiizung 1992 gegriindet; 100 verschiedene Agenturen vertreten;Durchfiihrung von Kongressen der Werbeproduzenten (seit Griindung zwei Kongresse) und Veranslaltung von Wettbewerben (bisher drei Vi-
deowettbewerbe). Assoziation der 1993 gegriindet; 18 Milglieder; wirtschafUich erheblich starker, da die Mitglieder iiber Werbe~enturen inlemationale Verbindungen sowie iiber umfassende Datenbanksysteme verfiigen
Rechtliche Bestimmungen in der Werbung
Die osteuropaischen Gesetzgeber regeln die Werbetatigkeit nor in geringem Maf3e. Mit
Ausnahme von Belarus besteht in allen untersuchten Landern ein mehr oder weniger
striktes Werbeverbot fur alkoholische Getriinke und Tabakwaren. In Lettland besteht
das Werbeverbot nor fur Tabakwaren, die Werbung fur Alkoholika ist in den Nacht
stunden gestattet. Auch in Estland gibt es Ausnahmen vom Werbeverbot fur diese Wa
ren: Die Bekanntgabe des Grof3handelsverkaufs sowie Werbung in den einschlagigen
Einzelhandelsgeschliften und auf Lieferwagen ist erlaubt. Einschriinkungen des Werbe
anteils in den Medien bestehen in der Ukraine und in RuBland. Nach einem russischen
Gesetzentwurf diirfen Werbeeinschaltungen bei Printrnedien 25% der Gesamtflache, bei
Radio- und Fernsehprograrnmen 15% der Sendezeit nicht ubersteigen (o.V., OWR
1994c, 256). Werbung darf in elektronischen Medien nicht in Filmen, Unterhaltungs-,
Kinder- und religi6sen Sendungen gesendet werden sowie nicht in Prograrnmen, die
kiirzer als 45 Minuten dauern (o.V., OWR 1994d, 266).
In der Ukraine ist die Werbezeit auf maximal 10% der Sendezeit beschriinkt, und Sen
dungen durfen nicht mehr als einmal in 30 Minuten fur Werbeeinschaltungen unterbro
chen werden. Es gibt in der Ukraine Einschriinkungen der Werbung fur bestimmte Pro-
155
dukte. FUr Arzneimittel, Kosmetika, Haushaltschemie sowie Lebensmittelprodukte und
-zusatze ist es nur gestattet zu werben, wenn fUr deren Anwendung und Verkauf eine
Erlaubnis der zustandigen GesundheitsbehOrde vorliegt (o.V., VWD 1995, 8). In RuB
land sind seit Oktober 1992 die Kosten, die Werbungtreibende als Produktions- und
Dienstleistungskosten angeben konnen, auf 2% der Selbstkosten begrenzt, was sich
hemmend auf die Werbeaktivitaten der Untemehmen auswirkt. Zudem mussen Unter
nehmen in Moskau seit November 1992 eine Werbesteuer in Hohe von 5% auf die Pro
duktionskosten eigener sowie bestellter Werbeleistungen abfiihren (OBDZREWATEL
AGENTUR 1993,304-305). Trotz der vielen gesetzlichen Einschrankungen der Werbeta
tigkeit ist die grundsatzliche Frage der Verantwortung fUr die Verbreitung irrefiihrender
Informationen unzureichend geregelt. Die haufig betriigerische und aggressive Werbung
spiegelt den vorherrschenden Rechtsnihilismus wider (BLINDV, NIKITDV 1995,49).
4.5.1.2.3 Weitere Elemente der Kommunikationspolitik
Public Relations
Der Unterschied zwischen Public Relations (PR) und Werbung muB in Osteuropa noch
definiert werden, da "Reklama" in den slawischen Sprachen sowohl Werbung als auch
PR bezeichnet. PR entwickelt sich in den osteuropaischen Staaten allmahlich zu einem
Instrument der Imagebildung, obwohl dies oft noch spontan und unbewuBt geschieht
(PETER 1994, 58). In RuBland stellt die Praxis des Story-Kaufs die Glaubwfudigkeit der
PR in Frage. Wahrend das Pressewesen friiher staatlich subventioniert wurde, fallt es
den Verlagen und Redaktionen heute schwer, die hohen Kosten durch Einnahmen, z.B.
aus Werbung, zu decken. Viele Verlage haben daher ein "Hidden Advertising" entwik
kelt: loumalisten werden beaufiragt, tiber ein lokales Untemehmen vorteilhafte Artikel
zu schreiben, die sie wiederum von dem betreffenden Untemehmen bezahlt bekommen.
Die Artikel erscheinen dann als regulare Nachrichtenmeldungen in der Zeitung oder
Zeitschrift. Gegenwartig sind diese positiven Pressemitteilungen eine populare und ko
stengiinstige Werbealtemative (BABAKIAN 1993,4).
Verkaufsforderung und Sponsoring
MaBnahmen zur Verkaufsforderung gewinnen in Osteuropa zunehmend an Bedeutung.
Hervorzuheben sind dabei Schonheitswettbewerbe, Konzerte junger Sanger sowie po-
156
puUire Femseh- und Glucksspiele. Auch SponsoringmaBnahmen werden in allen osteu
ropaischen Uindem durchgefiihrt. Vor allem das Sportsponsoring, sowohl von fiihren
den Sportmannschaften als auch von Volkssportfesten, und das Sponsoring innerhalb
von TV - und Rundfunksendungen wird eingesetzt. Von der Bevolkerung wird Spon
sorentatigkeit sehr positiv wahrgenommen (TSCHEKALOV A 1992, 10).
4.5.2 Beschaffung und Distribution
Das wichtigste zentrale Organ der Wirtschaftsplanung der UdSSR, die staatliche Plan
kommission GOSPLAN, steckte in Fiinfjahrespliinen den Rahmen ab, in dem sich die
Beschaffung und Distribution vollzog (DRZYMALLA 1991, 123 f.). Verhandlungen zwi
schen Instanzen auf allen Ebenen der administrativen Hierarchie bestimmten den ProzeB
der zentralen Wirtschaftsplanung. Die Planvorgaben erhielten die Betriebe in Form von
Kennziffem (HOHMANN 1985, 15f.). Das Prinzip der zentralen Wirtschaftsplanung er
forderte eine zentrale Verteilung der Produktionsfaktoren sowie feste Verrechnungsprei
se, die yom staatlichen Preiskomitee der UdSSR GOSKOMCEM verbindlich festgesetzt
wurden. Alle notwendigen Investitionen wurden zentral vorgegeben (GUMPEL 1983,
2 If.).
Die Betriebe besaBen keine Verfiigungsrechte uber Produktionsmittel. Alle zur Produk
tion notwendigen Materialien, Halb- bzw. Fertigfabrikate wurden durch das staatliche
Komitee fUr materiell-technische Versorgung GOSSNAB der UdSSR uber ein zentrales
Verteilungssystem vergeben (HOHMANN 1985, 13ff.). Die Bedarfsmengen ermittelten
die Betriebe auf der Grundlage der Produktionspliine und der vorgeschriebenen Ver
brauchsnormen. Da das Angebot mit der Nachfrage in den seltensten FaIlen uberein
stimmte, wurde der Ausgleich durch die Kiirzung der Produktionspliine oder die Zutei
lung geringerer als der angeforderten Mengen erreicht. Deshalb stellten die Betriebslei
ter haufig uberhOhte Inputanforderungen, was zu Informationsverzerrungen fiihrte (FINK
1972, 35ff.). Die Bestellung der Guter erfolgte entweder uber das verteilende Organ,
z.B. Ministerien, oder dem nachfragenden Betrieb wurde ein entsprechender Lieferant
zugewiesen (DIETZ 1985, 129ff.).
Die sowjetische Wirtschaft zeichnete sich durch einen hohen Grad vertikaler Integration
aus (WOHLMUTH 1991,4). Die Ineffizienz des Planungs- und Verwaltungssystems sollte
157
so ausgeglichen werden. Kombinate vereinigten Betriebe verschiedener Industriezweige
in einem Untemehmen, entweder tiber aufeinanderfolgende Stufen der Verarbeitung
oder tiber Hilfsbetriebe zum eigentlichen ProduktionsprozeB, z.B. Hersteller von Ver
packungsmaterial. Dadurch konnten die bestehenden Zulieferprobleme weitgehend ge
lOst werden (GUMPEL 1983, 98). Die Kooperations- und Zulieferbeziehungen wurden
durch die Kombinatsleitung bzw. tibergeordnete PlanungsbehOrde vertragsmaBig ge
staltet und kontrolliert, so daB die einzelnen Betriebe wenig EinfluB auf die Qualitat,
Termintreue und Lieferbedingungen austiben konnten. Die direkten zwischenbetriebli
chen Beziehungen bestanden nur in der Aushandlung der Details der Zulieferung (DIETZ
1985, 129ff.). Die Lieferbetriebe hatten praktisch keine Absatzprobleme, ihre Leistun
gen wurden von den PlanungsbehOrden, nicht von den Kunden, beurteilt. Um die Bezie
hungen zu den Lieferanten nicht zu gefahrden, verzichteten die Abnehmer oft auf mog
liche Sanktionen. Die formal verhiingten Geldstrafen wurden haufig von den staatlichen
Instanzen gedeckt (DIETZ 1985, 135f.). Die fehlende Konkurrenz unter den Lieferanten
zwang oft zur Abnahme minderwertiger Vorprodukte. Die Durchsetzung von Verbrau
cher- und Abnehmerinteressen wurde nicht erreicht (HAFFNER 1978, 158).
Ministerium des Handels der UdSSR
Ministerien des Handels der Unionsrepubliken
Ministerien des Handers der autonomen SRen
Handelsleitung der stadtischen Gebiets·
und ExekuUvkomitees
stadtische und 6rt1iche Handelsorgane
Geschiifle
Abb. 31: Organisation des sowjetiscben Handels (SEITZ 1991, 15)
GH und EH· Vereinigungen
Der Handel war straff und ausschlieBlich von staatlicher Seite geregelt. Abb. 31 illu
striert die damalige Organisation des Handels: In der UdSSR entfielen 1988 nur 6,9%
der volkswirtschaftlichen Gesamtbeschaftigung auf den Bereich des Handels (EU-
158
Durchschnitt zum gleichen Zeitpunkt: 15,4%). Der GroBhandel spielte eine untergeord
nete Rolle. So war 1990 der durchschnittliche Lagerbestand im Einzelhandel dreimal so
groB wie im GroBhandel (KAMP 1990, 10). Zu Beginn des Transformationsprozesses
bestanden im Distributionssystem drei Spezialisierungsbereiche:
• ProduktionsgutergroBhandel,
• Landwirtschaftlicher und industrieller Investitionsguter GroB- und Einzelhandel,
• Konsumguter-GroB- und Einzelhandel.
Der Konsumguterhandel unterteilte sich wiederum in
• staatlichen Handel, mit relativ hohem Spezialisierungsgrad - zustandig fUr die Stadt
bevolkerung (2000 Supermiirkte, 800 Warenhiiuser),
• genossenschaftlichen Handel, mit geringem Spezialisierungsgrad (5000 Warenhiiuser
mit kleiner Verkaufsfliiche) und
• privaten Kolchoshandel mit nur geringer Bedeutung.
Daneben existierte eine zunehmend an Bedeutung gewinnende Schattenwirtschaft, die
ca. 25 bis 30% des Einzelhandelsumsatzes abdeckte und dabei fUr das Funktionieren des
Systems unerliiBlich war (AHRENS et al. 1993, 173 ff.).
In bezug auf den AuBenhandel hatte der Staat mit wenigen Ausnahmen das Monopol.
Die AuBenhandelsorganisationen entschieden uber Import und Export der Produkte,
wobei hiiufig dem Binnenmarkt zum Zwecke der Devisenerwirtschaftung dringend be
notigte Guter entzogen wurden (GUMPEL 1983,22 ff.).
4.5.2.1 Infrastruktur
4.5.2.1.1 Verkehrsinfrastruktur
Bei der Betrachtung der Verkehrsinfrastruktur sind die sehr unterschiedlichen geogra
phischen Ausdehnungen der osteuropiiischen Lander zu beachten. Die zu bewiiltigenden
Entfemungen sind vor allem in der Russischen Foderation gewaltig. So betriigt die
Luftlinie zwischen Brest (Belarus) und Wladiwostok (RuBland) 10.450 km. 1992 gab es
folgende Aufteilung nach Guterverkehrsarten in RuBland:
159
Tab. 35: Giitertransport nach Verkehrstriigern in RuBland 1992 (HOLT 1993,24)
Verkehrstrager Schiene StraBe Schiff (aile) Pipeline Gesamt
Mio. km 2250 263 653 1070 4236
Neben der Dominanz der Schiene flillt besonders der geringe Umfang des StraBentrans
ports auf. Abgesehen yom Pipelinetransport sind die Relationen auf andere slawische
Lander Osteuropas anniihemd fibertragbar. Bei der Transportentscheidung gilt es, die
Vor- und Nachteile entsprechend den situativen Bedingungen abzuwagen. Branche,
FirmengroBe und Vorhandensein eines Fuhrparks beeinflussen die Entscheidung. All
gemeine Kriterien sind Kosten, Zuveriassigkeit und Lieferradius. 1m folgenden soli auf
die Infrastruktur der Verkehrstrager StraBenverkehr, Bahnverkehr, Schiffahrt und Luft
verkehr eingegangen werden.
Stra8enverkehr
Der GUtertransport auf der StraBe war in der UdSSR auf Zubringerdienste fUr die Bahn
und kurze Strecken beschrankt (BERNARD et al. 1991, 4). Die StraBen auBerhalb der
Umgebung der groBten Stadte und Industriezentren befinden sich in schlechtem Zu
stand. Daher ist der Nachttransport auf den meisten Strecken der osteuropaischen Lan
der gefahrlich. Dies veriangert die Beforderungszeiten (HOLT 1993,97). Die baltischen
Staaten verfiigen fiber ein relativ gutes StraBennetz. Eine gut ausgebaute Magistrale ist
z.B. die von Talinn fiber Vilnius und Kaunas fiihrende VIA BALTICA. Der Ausbau des
Tankstellennetzes entlang der Strecke wird von finnischen Investoren betrieben. Auch
in entlegeneren Teilen Estlands ist das StraBennetz ausreichend. In einzelnen Ortschaf
ten gibt es Probleme, da in Estland die Kommunen fUr ihre Infrastruktur zustandig sind
(bfai-Info: Estland 1994,1, Lettland 1994,1, Litauen 1994, 1.
In den slawischen Landem Osteuropas ist die Situation ungOnstiger, die Qualitat der
Verkehrswege nimmt in Richtung Osten ab (SIEBURGER 1993,9). Selbst auf der wichti
gen Verbindung MoskauiSt. Petersburg existieren keine Versorgungseinrichtungen wie
Ersatzteillager, Reparaturservices oder gut ausgebaute Raststatten.
Ein gut organisierter Werksverkehr, d.h. die Beforderung der Produkte mit dem eigenen
LKW-Fuhrpark, bietet den Vorteil, den Ablauf des Transportprozesses selbst in der
160
Hand zu haben. 1m Nahbereich gewahrleistet das groBere Flexibilitat. Die Anschaf
fungskosten fUr einen russischen LKW entsprechen gegenwartig denen fUr einen impor
tierten LKW, so daB die russische Regierung den inlandischen Kraftfahrzeugmarkt
durch ZollmaBnahmen schiitzt. FUr die unter Kapitalknappheit leidenden osteuropai
schen Unternehmen stellen Kaufund Unterhalt eines Fahrzeugparks eine Kostenbarriere
dar. Sie sind deshalb nicht immer die betriebswirtschaftlich beste Option.
1m TransformationsprozeB sind in den osteuropaischen Landern viele kleine und mittle
re Speditionen entstanden, deren Fahrzeugqualitat und Know-how sehr unterschiedlich
sind (HEIDTKE 1994,63). Die Qualitat der Speditionsleistung ist bei einheimischen Un
ternehmen oft nieht befriedigend. Das Transportgewerbe ist ein von kriminellen Kraften
bevorzugtes Betatigungsfeld. Auslandische Speditionen stellen eine zwar zuverlassige,
jedoch fUr viele Unternehmen zu teure Alternative dar. Auf dem osteuropaischen
Wachstumsmarkt fUr logistische Dienstleistungen werden auch auslandische Anbieter
zunehmend tatig. Die spezifischen Probleme, z.B. mangelnde Sicherheit, verlangen von
den Anbietern logistischer Dienstleistungen neuartige Losungen. So ist z.B. KOHNE &
NAGEL in RuBland dazu ubergegangen, den Transport von der StraBe auf die Schiene zu
verlagern. Wegen der haufigen Oberfalle aufLKW chartert das Unternehmen komplette
Zuge, die es mit starken Sicherheitsvorkehrungen ausstattet. Auslandische Kurierdienste
bauen zum Teil eigene Transportwege, weil in den GUS-Staaten ein flachendeckendes
Netz fehlt (o.V., owe I11995, 66f.).
Bahnverkehr
Die Eisenbahn war der wichtigste Verkehrstrager in der UdSSR (JAEHNE et al. 1987,
55). 1m Februar 1992 wurden die Sowjetischen Eisenbahnen, deren Verkehrsdiehte zu
den hOchsten der Welt zahlte, auf die neuen Republiken aufgeteilt. Wegen Oberalterung
und unzureichender Wartung ist der Zustand der Schienen und Fahrzeuge mangelhaft.
In RuBland stieg die Zahl der Schienenkilometer, auf denen Geschwindigkeitsbegren
zungen unabdingbar sind, von ca. 5000 im Jahr 1986 auf knapp 12.000 im Jahr 1992.
Auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR haben die Gleiskorper eine breitere Spurweite
(1.520 mm) als in Mitteleuropa (1.435 mm) (HEIDTKE 1994, 64). Wahrend es friiher
ublich war, die GUter an speziell dafiir ausgerichteten Grenzstationen umzuladen, wird
zunehmend mehr von der Moglichkeit des Fahrgestellwechsels Gebrauch gemacht.
161
Containerverladebahnhofe sind an den wichtigsten Knotenpunkten vorhanden (HOLT
1993, 68 ff.). Einen Uberblick uber das Bahnverkehrsprofil der osteuropaischen Lander
gibt Tab. 36.
Tab. 36: Tiigliche WaggoDladuDgeD iDter- UDd ex-GUS (HOLT 1993, 68)
nach: BaWscher Raum Belarus RuBland Ukraine Ex·GUS von:
Baltischer Raum 2664 180 1060 308 1771 Belarus 496 3429 1434 947 3412 RuBland 2608 1370 87776 7011 18199 Ukraine 674 1071 7387 36531 11435 Ex·GUS 3973 2831 17120 9136 .
1m Gegensatz zum LKW-Verkehr verzeichnet die Eisenbahn einen deutlichen Ruckgang
der Gutertransporte. Auch Unternehmen, die uber einen eigenen EisenbahnanschluB auf
dem Betriebsgelande verfiigen und mit Kiihlwaggons ausgestattet sind, wie die KIEWER
HAUSHALTSCHEMIE-FABRIK, nutzen diese immer weniger. Zum einen verlangt die Bahn
voll ausgelastete Container, was bei Absatzschwierigkeiten nicht immer moglich ist,
zum anderen ist die unklare Ermittlung der Frachtkosten Ursache dafiir, daB die Eisen
bahn als Transportmittel weniger attraktiv geworden ist.
Die Zuverlassigkeit des Bahntransports ist besonders im Vergleich zum StraBentrans
port hoch. Instandhaltungsprobleme und Verzogerungen, die durch die neuen Republik
grenzen auftreten, wirken sich jedoch zunehmend negativ auf die Transportzeiten aus.
Wiihrend in den baltischen Staaten die Bahn im Inlandsverkehr eine immer geringere
Rolle spielt (bfai Est, Let, Lit, 1994), ist sie in den slawischen Landern Osteuropas
weiterhin ein wichtiger Verkehrstrager. In der Ukraine ist eine Generaluberholung von
1000 Schienenkilometern und die Modernisierung des rollenden Materials geplant
(o.V., OST-MARKT 511996, 5).
Schiffahrt
Die Wasserwege der Binnenschiffahrt sind zwar sehr gut ausgebaut und teilweise auch
fiir hochseegangige Schiffe geeignet, jedoch aufgrund der klimatischen Bedingungen
nur im Sommer befahrbar. Der Seetransport ist fiir osteuropaische Unternehmen insbe
sondere im Zusammenhang mit dem Westexport ihrer Produkte interessant. Als Seeha
fen mit Containerumschlagmoglichkeiten sind die Hafen Riga (Let), St. Petersburg
(Rus) und Klaipeda (Lit) hervorzuheben, von wo Verbindungen nach Mukran (Rugen)
162
und Rostock bestehen, sowie der Schwarzmeerhafen Odessa (Ukr). Zwar wurde in diese
Hafen seit den siebziger Jahren stark investiert, aber durch den enormen Anstieg des
Ost-West-Verkehrs sind sie uberlastet. Da sich der GroBteil der Hafenstadte an der Peri
pherie der ehemaligen UdSSR befindet, ergibt sich nach deren Auflosung in dieser Be
ziehung eine fur RuBland ungtinstige Situation. Nur sieben der 18 wichtigsten Seehafen
befinden sich auf seinem Territorium (HOLT 1993 126).
Bedingt durch Kapazitatsprobleme ubersteigen die Umschlagkosten teilweise so gar das
westliche Niveau. Die Lagerraten betragen teilweise 0,50 US$ pro Tonne und Tag
(HEIDTKE 1994,65). 1m litauischen Hafen Klaipeda ist die Errichtung einer Sonderwirt
schaftszone geplant. Eine lnitiativgruppe aus 14 litauischen Firmen und Joint-ventures
erwartet davon einen wirtschaftlichen Aufschwung (o.V., MARKTE DER WELT 10/1996,
22). Trotz langer Umschlagzeiten konnen Transporte aus den osteuropaischen Landern
ins westeuropaische Ausland relativ ztigig abgewickelt werden. So benotigt die Fahre
Klaipeda - Mukran ca. 20 Stunden. Auch unter Sicherheitsaspekten ist diese Variante
dem Landtransport uberlegen.
Luftverkehr
Obwohl einige neue, unabhangige Fluggesellschaften entstanden sind, besteht in diesem
Bereich ein Kapazitatsproblem. In RuBland entsprechen Gerat und Betriebsflachen nur
zu 69% dem Bedarf. Allerdings sollen die wichtigsten Flughafen, nach Planen der Luft
fahrtabteilung des russischen Transportministeriums, in den nachsten Jahren saniert und
bis zum Jahr 2000 ausgebaut werden (o.V., owe 1194,44). Da die Finanzierung bis
lang ungekllirt ist, bleibt der anvisierte Zeitrahrnen fraglich. Entsprechende Plane gibt es
auch in den baltischen Staaten. Der Lufitransport ist in Relation zum Gewicht der zu
befdrdernden Guter die teuerste Transportvariante. Verzogerungen aufgrund von Er
satzteilmangel sind hliufig. Das Risiko beim Umschlag ist hoch, oft mussen Mitarbeiter
der Frachtgutadressaten zum Empfangsflughafen kommen (HEIDTKE 1994, 65). Osteu
ropaische Geschliftsmetropolen wie Moskau und St. Petersburg werden intensiv von
auslandischen Fluggesellschaften angeflogen. So flog die LUFTHANSA im Jahr 1994 mit
42 wochentlichen Flugen nach Moskau haufiger als nach New York (o.V., owe 111995, 76).
163
Lagerung und Verpackung
Die Neubeschaffung von Lagerraumen ist aufgrund von Gebaudemangel und Leerstand
durch Spekulationen vor allem in grofieren Stadten schwierig. Da es fUr den Bau geeig
neter Hallen an Finanzmitteln fehlt, wird Ware trotz des in den osteuropiiischen Landem
herrschenden harten Klimas oft im Freien gelagert. Die Verpackungsindustrie verfligt
noch nicht tiber das notwendige Know-how, vielfach werden z.B. Nahrungsmittel un
verpackt angeboten oder es wird improvisiert. Die Bedeutung sachgerechter und attrak
tiver Verpackung wird von den Untemehmen zunehmend erkannt. Umweltfreundliche
Verpackung entspricht aufgrund des bisherigen Mangels an F arbe und Form noch nicht
dem Geschmack der Verbraucher (o.V., ABSATZWIRTSCHAFT 711995, 29). Die Kombi
nation der Probleme von Transport, Lagerung und Verpackung bedeutet fUr die Unter
nehmen eine starke Behinderung im Bereich der physischen Beschaffung und Distribu
tion.
4.5.2.1.2 Telekommunikation
Eine modeme Infrastruktur im Telekomrnunikationsbereich ist Voraussetzung fUr er
folgreichen wirtschaftlichen Wandel. Der Versorgungsgrad mit Telefonanschltissen eig
net sich flir einen Vergleich, da dieses Komrnunikationsmittel Basisvoraussetzung flir
den Geschiiftsverkehr ist.
Tab. 37: Versorgung mit Telefonhauptanschliissen pro 100 Einwohner, Stand 1991 (BERLAGE et al. 1992,4)
Land RuBland Belarus Ukraine EsUand LetUand
Anzahl 13 13 11 20 15
Litauen
14
Der OECD-Durchschnitt belauft sich zum Vergleich auf 43 Hauptanschltisse pro 100
Einwohner. Zwischen wichtigen Ballungszentren und dem Land bestehen deutliche
Unterschiede. Fast 90% der Moskauer Haushalte verfligen tiber einen TelefonanschluB.
Die Zahl der Hauptanschliisse pro 100 Einwohner in Kiew liegt mehr als doppelt so
hoch wie im ukrainischen Landesdurchschnitt (CLEMENT et al. 1994, 79).
Aufgrund der Wirtschaftskrise fehlen den Staaten die fUr die geplante Modernisierung
im Telekomrnunikationsbereich notwendigen Investitionsmittel. So ist die Telekomrnu
nikations-Infrastruktur auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR mit Ausnahme der balti-
164
schen Lander bis heute auf dem Niveau des Jahres 1992 geblieben. Der Rfickstand der
osteuropiiischen Lander ist so groB, daB er mit eigenen Mitteln nicht behoben werden
kann. Aufgrund rechtlicher und politischer Risiken erfolgt jedoch ein Engagement aus
landischer Investoren eher zOgerlich. Die suboptimale Ausstattung beeintrachtigt die
Kommunikation der Unternehmen untereinander und den Export. So wurde ein inner
halb der Stadt Tallinn an 30 Adressen per Telefax versandter Brief nur von einer voll
standig emfangen (KALINOVA 1994, 72f.). Einen Ausweg bieten Mobiltelefone, die hau
fig eingesetzt werden. LedigIich in den baltischen Staaten geht die Modernisierung der
Telekommunikationsinfrastruktur ziigig voran, z.B. mit der Digitalisierung des Telefon
systems in Estland (o.V., bfai-info 211995, 19).
4.5.2.2 Beschaffung
4.5.2.2.1 Wahl der Lieferanten
In der Planwirtschaft war die Beschaffung trotz der formalen zentralen Mittelzuteilung
ein permanenter EngpaB. Die Konkurrenz urn knappe Giiter f'iihrte zum Berufsbild des
Beschaffungsmanagers (TOLKATSCH), der die Interessen des Unternehmens bei staatli
chen Institutionen und Lieferanten durchsetzte. Die Einkaufsabteilungen schickten ihre
Vertreter auf oft wochenlange Reisen zu den Lieferanten, urn die termingerechte Liefe
rung vor Ort zu fiberwachen. Gegenwartig steht eine flexible, marktorientierte Liefe
rantenpolitik mit der Erhaltung bestehender und dem Aufbau neuer Kooperationen im
Vordergrund. Dafiir ist es unurnganglich, eine funktionsfahige Beschaffungsabteilung
aufzubauen, die mit entsprechend ausgebildetem Team eine konsequente Beschaf
fungsmarktforschung betreibt und Beschaffungsmarktstrategien erarbeitet.
Mit der Einftihrung marktwirtschaftlicher Strukturen erhielten die Unternehmen die
Moglichkeit, Lieferanten selbst auszusuchen. In der Realitat laBt sich dies jedoch
schwer urnsetzen. In RuBland wurden die alten Ministerien in staatliche Aktiengesell
schaften urngewandelt, die fiber ein Netz von GroBhandelsbetrieben nach wie vor Macht
fiber die Unternehmen ausfiben konnen. Diese GroBhandelsbetriebe sind noch der alten
GOSSNAB-Denkweise verhaftet und schreiben den Unternehmen vor, an wen sie ihre
Erzeugnisse zu liefern haben (ASLAMAZJAN 1993,252). Die Hersteller von Vorproduk
ten, in der Regel groBe Kombinate, haben haufig eine Monopolstellung und diskriminie
ren mittelstandische Unternehmen mit relativ kleinem Liefervolurnen. Nicht selten ge-
165
stalten sie die Lieferbedingungen eigenmachtig urn und liefem von der Bestellung ab
weichende Produkte, z.B. Stoffe in anderen als den bestellten Farben.
Nach der Freigabe der Preise in RuBland spielten anfangs die Waren- und Rohstoffbor
sen eine bedeutende Rolle, konnten aber einen geordneten GroBhandel auf Dauer nicht
ersetzen. Inzwischen haben sie ihre Bedeutung verloren (PANKOV 1994, 82). Der Zerfall
der UdSSR und die Bildung einzelner unabhangiger Staaten wirkt sich negativ auf die
wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Untemehmen fast aller Republiken aus, wo
bei die Folgen fUr russische Untemehmen wegen des Rohstoffreichtums des Landes am
wenigsten drastisch sind. Wiihrend friiher Rohstoffe und Vorprodukte aus allen Republi
ken der UdSSR geliefert wurden, wird heute aufgrund der Zoll- und Zahlungsprobleme
verstiirkt nach Beschaffungsquellen im eigenen Land gesucht. Importwaren miissen mit
russischen Normen und Standards iibereinstimmen, was in der Wirkung einem prohibi
tiven Schutzzoll gleichkommt (0. V., MARKTE DER WELT 2/1996, 21).
Das Angebot an Rohstoffen und Vorprodukten iibersteigt gegenwiirtig die zahlungsHihi
ge Nachfrage, da die Preise auf Weltmarktniveau liegen. Messen und Ausstellungen
sind das wichtigste Kommunikationsmittel geworden, urn direkte Kontakte zu den Her
stellem am GroBhandel vorbei aufzubauen. Allerdings werden branchenspezifische Lie
ferantenmessen noch immer nicht in ausreichendem MaBe angeboten. IBM z.B. hat des
halb ein Netz eigener Organisationen aufgebaut, die im jeweiligen Land Seminare und
Tagungen fUr ausgewiihlte Lieferanten organisieren. Viele neu aufgebaute Hersteller
Lieferanten-Beziehungen sind wegen der sprunghaften Anderung der Preise kurzfristig,
woraus haufige Lieferantenwechsel resultieren. Die Untemehmen versuchen, die Bezie
hungen zu ihren bisherigen Zulieferem aufrechtzuerhalten. Sie hoff en, die oft langjiihri
gen Erfahrungen rur das Aushandeln gllnstiger Zahlungskonditionen nutzen zu konnen
und das Risiko des Vertragsbruchs zu reduzieren.
4.5.2.2.2 Qualitat und Zuverlassigkeit
Eine entscheidende Rolle bei der Qualitatssicherung der Endprodukte spielt die Giite der
V orprodukte. Bereits bei der Gestaltung von Liefervertragen miissen die fUr die Qualitat
relevanten Eigenschaften der Vorprodukte einbezogen werden. Hierzu gehOrt die Fest
legung von Normen und Standards, von MaBnahmen zur Qualitatskontrolle und Fehler-
166
vorbeugung. So gewinnt die gemeinsame Losung von Entwicklungsproblemen mit Lie
feranten an Bedeutung, z.B. im Rahmen einer Qualitatskooperation (PENDER 1994, 48).
Dem Aufbau langfristiger Beziehungen zu den Lieferanten kommt unter diesen Um
standen eine hohe Bedeutung zu. 1m Faile einer Monopolstellung oder permanenter Un
zuverlassigkeit der Lieferanten kann sich Eigenproduktion aIs vorteilhaft erweisen.
Aufgrund der in der Planwirtschaft ublichen hohen Fertigungstiefe haben viele Unter
nehmen die besten Voraussetzungen zur Erstellung von Vorprodukten im eigenen Werk.
Daher wird im Gegensatz zur Entwicklung im Westen die Fertigungstiefe tendenziell
vergroBert. Auch viele in RuBland tatige auslandische Firmen bzw. Gemeinschaftsun
ternehmen wie z.B. McDoNALD'S oder SALAMANDER erstellen die wichtigsten Vorpro
dukte selbst, da die Erfahrung gezeigt hat, daB Qualitatsprobleme am besten durch Ei
genproduktion zu lOsen sind (ROST 1992,11, GERLING 1992,306 f.).
Selbst bei Vorkasse, die in Osteuropa ublich ist, ist unsicher, ob die Ware nach Mengen
und Terminen vertragsgemaB geliefert wird (LEITNER 1994, 132). Nur wenigen Unter
nehmen ist es finanziell moglich, die Zuverlassigkeit des Wareneingangs mit groBen
Lieferungs- und Zahlungsvolumina zu sichern. Der Grund fiir diese Schwierigkeit Iiegt
einerseits im unzureichend entwickelten Verkehrssystem, z.B. bei internationalen
Transporten (Wartezeiten an den Grenzen). Andererseits ist das BewuBtsein der Wich
tigkeit termingerechter Lieferung bei den osteuropruschen Lieferanten noch nicht sehr
ausgepragt. Dariiber hinaus sind rechtIiche MaBnahmen bei Abweichungen hinsichtlich
der bestellten und gelieferten Mengen sowie bei Nichteinhaltung des Termins kaum
durchsetzbar. Der Aufbau eines lust-in-time-Systems, das in Polen und Ungarn bereits
funktioniert, wird in der GUS-Landern vorerst nicht reaIisierbar sein.
4.5.2.2.3 Preis- und Zahlungsproblematik
Preise konnen im Gegensatz zur Zeit vor der Perestroika frei ausgehandelt werden.
Fehlendes KostenbewuBtsein und unzureichende Kalkulationsgrundlagen behindern oft
eine zufriedenstellende Preisfindung (LEITNER 1994, 129). WestIiche Kunden erhalten
haufig einen Westmalus, d.h. die Lieferanten setzen die Preise hOher an als im Landes
durchschnitt. Sie gehen dabei von der Annahme aus, daB das Geschaft fiir die westli
chen Kunden trotzdem interessant sei, weil der Preis immer noch unter dem im Westen
liege.
167
Kennzeichnend ist der stfuldige Anstieg der Preise bei tendenziell sogar sinkender Qua
litat der V orprodukte. In RuBland werden die Preise stark vom System der GroBhandels
Untemehmen beeinfluBt, die iiberproportional hohe Handelsspannen auf die Produkte
legen, was zu einer Preissteigerung am Markt fiihrt (ASLAMAZJAN 1993, 252).
Die jahrelang von den meisten Untemehmen geduldete Uneinbringlichkeit der Forde
rungen aus Lieferungen und Leistungen hat bei einer angespannten Liquiditiit bei den
meisten Untemehmen Osteuropas zu permanenten Zahlungszieliiberschreitungen ge
geniiber ihren Lieferanten und sonstigen Glaubigem gefiihrt (BRUNS-WOSTEFELD 1994,
16). Die erweiterte Selbstandigkeit der Untemehmen bei der Wahl ihrer Marktpartner
tragt dazu bei, daB die Lieferanten nur noch auf lukrative Auftrage zahlungskriiftiger
Kunden eingehen (KOROVKIN 1992, 53 f.). Hinzu kommt, daB die Lieferanten ihren
Kunden i.d.R. keinen Zielkauf gewiihren. Sie verlangen die Zahlung von mindestens
30% des Betrages bei der Bestellung. Westliche Kunden werden bevorzugt, weil von
ihnen eine hOhere Zahlungsfahigkeit erwartet wird. Obwohl Beschaffungshindernisse
wie z.B. der Ausfall von Lieferanten bei dem gegenwiirtig breiten Angebot operativ
behoben werden konnen, sind angesichts der Finanzierungsprobleme langfristige ver
trauensvolle Beziehungen mit Lieferanten zu einem wichtigen strategischen Erfolgs
faktor geworden (GURKOV, AVRAAMOVA 1995,23, Fallstudie RAKONFI).
Bei Liquiditiitsschwierigkeiten der Kunden schaffen Bartergeschiifte Abhilfe. Untemeh
men, die einem Barter-Pool angeschlossenen sind, bieten ihre Waren und Dienstleistun
gen gegen Gutschrift auf ihrem Barter-Konto an und konnen im Gegenwert Lieferungen
und Leistungen anderer Barter-Untemehmens beanspruchen (HUSEMANN 1994, 30).
Derartige Tauschgeschiifte verursachen jedoch hohe Transaktionskosten und behindem
die Entwicklung von normalen Lieferant-Hersteller-Beziehungen (GUTNIK 1994, 2ff.).
In der herrschenden makrookonomischen Instabilitat mildem viele russische Untemeh
men ihre Probleme, z.B. Informationsbeschaffung, Auswahl der Lieferanten und Finan
zierung, durch ZugehOrigkeit zu informellen Netzwerken (SERGIENKO 1995, 154). Die
zu Beginn der Transformation akuten Beschaffungsprobleme wurden von den meisten
osteuropaischen Untemehmen gelost. Die Auswertung einer Befragung von 200 russi
schen Industrie Untemehmen aller Branchen zeigt eine zeitliche Verlagerung des Eng
paBbereichs in den Jahren 1991-1994. Die Beschaffung, die im Dezember 1991 noch fUr
168
88% der befragten Untemehmen einen Engpa/3 bildete, stellte im Januar 1994 nur noch
fUr 20% ein akutes Problem dar. Der Engpa/3 hat sich bei den meisten Untemehmen in
die Bereiche Absatz und Finanzierung verschoben (SAWAJALOW 1995,47).
90 ••••••...•.••.......•...............••.......•.. 80 • . •••...•.•••••...•••..............•••......... 70 60 50 40 30 20
1~~~~~~~==~~==~~==~ Dez 91 Jun 92 Dez92 Jun 93 Dez 93 Jun 94
~ Beschaffung
-Personal --Ir-Absalz
~ Finanzierung
Abb. 32: Verlagerung der Engpa6bereiche russischer Unternehmen (SAWAJALOW 1995,47).
4.5.2.3 Distribution im Transformationsproze8
4.5.2.3.1 Indirekter Absatz
Als Absatzmittler kommen in den osteuropaischen Landem hauptsachlich GroB- und
Einzelhande1 in Frage. Aufgrund der Profitabilitat des Handels war dies der erste Be
reich, der privatisiert wurde. Die aktuelle Situation des Hande1s ist re1ativ intransparent,
da Privatisierung oft nur dem Namen nach stattfand und Schattenwirtschaft in diesem
Bereich eine bedeutende Rolle spie1t. Insgesamt wurde im Zuge der Privatisierung das
staatliche Handelsmonopol zerschlagen, eine marktwirtschaftlich orientierte Struktur
des GroB- und Einzelhandels entsteht (WELISCHENKOY 1995, 7).
Gro6handel
Nach der Auf10sung der planwirtschaftlichen Hande1sbeziehungen entstand Anfang der
90er Jahre eine Situation, in der erste private Untemehmer durch Handelsgeschafte be
trachtliche Vermogen bildeten. 1991/92 gab es angesichts von Beschaffungsengpassen
Rohstoff- und WarenbOrsen. Sie ermoglichten eine kurze Periode des wirtschaftlichen
Aufschwunges, bis sie durch den GroBhandel abge10st wurden (PoPOY 2/1995, 94). In
den exportorientierten Branchen ist der GroBhandel finanziell und informell eng mit den
169
Produzenten verflochten. Handelsuntemehmen werden oft als Tochteruntemehmen ge
griindet, urn die Verkaufsstatistik fUr die SteuerbehOrde intransparent zu machen. Der
GroBhandel arbeitet aufgrund seiner Monopolstellung nicht selten mit Handelspannen in
Hohe von 50 bis 100% (BOGATYCH 1995,23).
Das Institut zur Erforschung der organisierten Markte INIOR, Moskau, fiihrt bei etwa
120 bis 150 privaten Handelsvermittlungs- und GroBhandelsfirmen regelmiiBig Befra
gungen durch. Ein GroBteil dieser Firmen ist nur wenig spezialisiert und bestreitet im
Durchschnitt 42% des Umsatzes in anderen Sektoren als dem Handel. Durchschnittlich
beschaftigen sie 20 bis 30 Mitarbeiter. 25% des Handelsurnsatzes wird mit Importwaren
erzielt. Der GroBhandel verzeichnet real steigende Umsatze. Die meisten befragten Un
temehmen wollen sich nicht langfristig am GroBhandelsmarkt etablieren, sehen dort
aber momentan gute Gewinnchancen (TuSCHNOV 1994, 22ff.).
Beim Absatz fiber den GroBhandel sind folgende Probleme zu beobachten:
• Es gibt kaurn GroBhandler, die aufnationaler Ebene operieren. Bine einheitliche Ab
satzstrategie und Preisstruktur wird erschwert.
• Neu entstandene Untemehmen sind oft sehr klein und haben geringe Verteilerkapa
zitaten. Kostensenkende Skaleneffekte konnen nicht erzielt werden.
• Der GroBhandel ist in logistischer Hinsicht unterentwickelt, die Qualitat des Liefer
service oft unzureichend.
Besonders negativ wirkt sich auch heute noch der Mangel an rationellen Umschlag
moglichkeiten aus. Auch Diebstahl und Verderb fiihren zu empfindlichen Verlusten.
Der russische GroBhandel verfiigt fiber viel Kapital und wird bei der Vergabe von
Bankkrediten bevorzugt. Die finanzielle Macht wird oft fUr den Autbau einer regional en
Monopolstellung benutzt, urn den Herstellem der Region Preise und Konditionen zu
diktieren. So entstehen Absatzschwierigkeiten der russischen Hersteller nicht nur auf
grund der Uberlegenheit des Angebotes der auslandischen Konkurrenz, sondem auch
wegen der starken Position des GroBhandels. Den GroBhandel interessieren Endver
braucherwiinsch wenig, er ist nicht am Verkauf der in der Regel billigeren einheimi
schen Produkte interessiert. Russische Produzenten sind deshalb gezwungen, fUr den
Absatz ihrer Produkte direkte Beziehungen zu den Einzelhandelsuntemehmen aufzu
bauen (PLA TJOSCHNYJ 1994, 17). Obwohl in den meisten Regionen ausgebaute GroB-
170
handelsstrukturen existieren, erfullt der GroBhandel die Rolle eines Absatzmittlers nur
unzureichend. Trotz der steigenden Transaktionskosten streben die Produktionsunter
nehmen zunehmend direkte Beziehungen mit dem Einzelhandel an oder bauen eigene
Vertriebsnetze auf (GURKOV, AVRAAMOVA 1995,24).
Einzelhandel
In Osteuropa kann der Einzelhandel in drei Hauptgruppen gegliedert werden:
• Industriewareneinzelhandel,
• Gemischtwareneinzelhandel und
• Lebensmitteleinzelhandel.
Daneben kann der Einzelhandel mit und ohne eigene Verkaufsflache (Kioske, Tank
stellen etc.) unterschieden werden (TIETZ 1992/1993, 131).
Einzelhandel mit eigener Verkaufsflache
Das Spektrurn reicht von kleinen Dorfgeschaften bis zu Kaufuausem. 1m Privatisie
rungsprogramm yom Juni 1992 wurde festgelegt, daB eine Ausgliederung der genossen
schaftlich organisierten Einzelhandelsgeschafte keiner Zustimmung der Mitarbeiter be
darf und somit fur den Einzelhandel die Moglichkeit der rechtlichen Selbstandigkeit
besteht. Bisher zentrale Dienste wie Buchhaltung oder Lohnabrechnungen muBten von
den Geschaften selbst iibemommen werden (VINCENTZ 1993, 79ff.). Der russische Ein
zelhandel wurde bis Mitte 1994 weitgehend privatisiert. GroBe Kaufuauser und Han
delsketten wurden in Aktiengesellschaften umgewandelt, kleine Einzelhandelsunter
nehmen verpachtet oder durch Auktionen verkauft. Auch in der Ukraine und Belarus
iiberwiegt gegenwartig der private Einzelhandel.
Ein Beispiel fur eine erfolgreiche Anpassung ist das Kaufuaus GUM am Roten Platz in
Moskau. Es verfugt iiber 70.000 qm Verkaufsflache und konnte 1992 eine Umsatzrenta
bilitat von nahezu 8% vorweisen. 1m September 1992 wurde das ehemals reine Devi
sengeschaft auf Angebote in Rubel erweitert. Die Anteile des Kaufuauses befinden sich
zu 51 % in der Hand der Mitarbeiter, 24% werden von verschiedenen Untemehmen ge
halten, die Stadt Moskau halt den Rest (AHRENS et al. 1993, 200). Schon frUh waren
westliche Firmen wie ESTEE LAUDER, NINA RICCI, YVES ROCHER und CHRISTIAN DIOR
vertreten (NOUZILLE 1992,47 ff.). Die Prasenz solch bekannter intemationaler Marken
171
zeitigt Ausstrahlungseffekte fUr osteuropiiische Untemehmen im GUM. Die erstklassige
Lage tut ein Ubriges. Ein Ergebnis davon ist, daB der Aufsichtsrat von GUM im Miirz
1994 eine Dividende von 300% ankiindigen konnte (o.V., ECONOMIST 12.3.1994,93).
Dem osteuropiiischen Einzelhandel feWt es an eigenen Umlaufmitteln. Aufgrund der
anhaltenden Inflation verweigem die Hersteller grundsiitzlich die Moglichkeit des Ziel
kaufs. Wenn Skonto eingeriiumt wird, betriigt die Zahlungsfrist hiiufig weniger als eine
Woche. Wegen der hohen finanziellen Unsicherheit konnen die Hersteller in der Regel
keine Vertriige mit festgelegten Lieferterminen und -mengen mit dem Einzelhandel ab
scWieBen. Es bleibt bei Rahmenvertriigen, die die Jahresabsatzmenge nur grob festle
gen, was zu Problemen bei der Absatz- und Finanzplanung fiihrt.
Ein weiteres Problem des Einzelhandels ist der Mangel an geeigneten Ladenriiumen.
Die Laden sind i.d.R. mit Waren iiberfiillt, iisthetische und funktionelle Warenpriisenta
tion liiBt sich kaum realisieren (TiETZ 199211993, 133). Die baltischen Staaten haben
hier einen Vorsprung. Da sich seitdem die Lage nur wenig verandert hat, kann eine Sta
tistik aus dem Jahr 1988 auch fUr die aktuelle Situation interessante Hinweise geben:
Tab. 38: Okonomische Kennziffern des HandeIs nach sowjetischen UnionsrepubIiken 1988 (Kamp 1990, 12)
Sowjetrepubliken Per-Capita·Umsatz Verkaufsfliiche je Umschlagszahl Personalstg (in 1000 Rubel) (SR) (RubeVJahr) 1000 Einw. (qm) (ohne Gastronomie) (ohne Gastronomie) Russ.Foo.SSR 1408 209 5.4 67,3 Ukrainische SR 1213 211 5,6 63,3 Belorussische SR 1414 222 5,9 72,4 Litauische SR 1609 175 6,3 80,1 Lettische SR 1851 199 6,1 75,7 Estnische SR 1965 194 7,1 87,3 UdSSRges. 1282 197 5,2 67,1
Der Vergleichswert fUr Verkaufsfliichen liegt in Westeuropa bei 1000 qmJ1000 Ein
wohner und in Westdeutschland bei 1200 qmJI000 Einwohner (TIETZ 199211993, 133).
Einzelhandel ohoe eigeoe Verkaufsfliche
Aufgrund des Mangels an Verkaufsfliichen hat der ambulante Einzelhandel einen wich
tigen Stellenwert in den osteuropiiischen Landem. Einfache Verkaufshiiuschen aus Holz
oder Aluminium (Kioske) offerieren ein breites Warenangebot. Sie sind in den osteuro-
172
piiischen Uindem sehr verbreitet und gewahrleisten die Versorgung der Bevolkerung
mit Basiskonsumgutem. Das Erscheinungsbild ahnelt sich in allen Nachfolgestaaten der
UdSSR, ist aber in den baltischen Staaten weniger stark ausgeprligt. Brennpunkte sind
die StraBen des Zentrums, Pllitze vor Metrostationen oder Freifllichen in der Nahe von
Geschliften. Kioske und Verkaufsbuden sind zum Symbol des modemen Moskau ge
worden Von den StadtbehOrden eingerichtete Verkaufspunkte innerhalb von Wohnge
bieten wurden vielfaltig nicht angenommen.
In unmittelbarer Umgebung der Kioske fmdet StraBenhandel an dauerhaften Standen
statt. In Moskau konnen drei Hauptzonen des StraBenhandels unterschieden werden: In
der Zentralzone werden hOherwertige Produkte angeboten. In der diese umgebenden
Zone stellen Druckerzeugnisse das Gros des Angebots. In der liuBersten Zone gibt es nur
noch kleinere Markte neben Metrostationen, mit hauptslichlich niedrigpreisigem Sorti
ment (VENDINA 1994, 15ff.). Folgende Warengruppen werden im StraBenhandel haupt
slichlich angeboten:
• Fertigwaren der industriellen Produktion (Textilien, Schuhe, Kosmetik, etc.),
• auslandische Erzeugnisse in Originalverpackung,
• Bucher und andere Druckerzeugnisse,
• unverpackte Lebensmittel wie Brot, Butter, Fleisch, Klise und Wurst.
Ein ukrainischer Untemehmer erzielt per Kiosk Tagesumslitze von ca. 200 US$ (o.V.,
ECONOMIST 19.2.1994, 72). Der Vorteil dieser Absatzvariante besteht in den relativ ge
ringen Kosten, der ublichen Barzahlung der Kliufe und der leichten Realisierbarkeit.
Selbst COCA-COLA errichtete Kioske als direkte Vertriebsstellen fUr seine Produkte
(TRAM, TURKS 1993,267). FUr hOherwertige Konsumguter ermoglicht der Kioskjedoch
keine angemessene Prlisentation.
Versandhandel
Da in den osteuropliischen Landem hliufig die Versorgungsstrukturen und Ladenfllichen
vor Ort fehlen, besteht starke potentielle Nachfrage nach Versandhandelsangeboten. Die
Voraussetzungen fUr den Versandhandel sind allerdings in der meisten Regionen man
gelhaft. 1m Moskauer und St. Petersburger Raum gibt es Anslitze fUr Versandhandel
nach westlichem MaBstab. Auch in den baltischen Staaten befindet sich diese Form des
173
Vertriebs im Aufbau, wobei die Entwicldung in Estland und Litauen weiter gediehen ist
als in Lettland.
Der Versandhandel wird durch folgende Faktoren behindert:
• Inlandslogistik: ZuverUissiger Transport kann nicht garantiert werden. Der Versiche
rungsschutz gegen Diebstiihle und BescMdigungen ist unzureichend.
• Postdienst: Die Versendezeiten sind lang, selbst Kataloge gehen oft verloren.
• Entge1t: Lieferungen per Nachnahme sind gegenwartig nicht durchzufUhren. Voraus
zahlung ist gangige Praxis, wird jedoch durch das MiBtrauen der Verbraucher gegen
fiber dem Versandhandelsunternehmen behindert (Befragung eines Experten der
QueUe Export Division).
4.5.2.3.2 Direktabsatz
Fabrikverkauf
Der Fabrikverkauf ist die fUr das Unternehmen einfachste Methode des Direktabsatzes.
Er bietet folgende Vorteile:
• Nutzung als Testmarkt mit sofortigem Feedback bei neuen Produkten,
• Direktkunden zahlen bar,
• kaum Verpackungs- und keine Versandkosten,
• geringer Verkaufspersonalbedarf und
• attraktive Preise durch Wegfall der Handelsspannen
(STRELLER 1993, 15).
Der Mehrzahl der osteuropaischen Produzenten betreibt Fabrikverkauf. Die Verbraucher
scheuen sich angesichts der niedrigen Einkommen nicht, stundenlange Fahrten zum
Fabrikgelande zu unternehmen und empfmden den Fabrikverkauf als attraktiv. Es be
stehen allerdings zwei Restriktionen: Bei Produkten, die aus Statusgrunden erworben
werden, mag die Einkaufsatmosphare unpassend sein und die Imagebildung gefahrden.
Ferner ist aufgrund des niedrigen Motorisierungsgrads eine gute Anbindung an das of
fentliche Personennahverkehrsnetz wichtig (WE SNITZER 1993, 123). Ein Beispiel fUr
erfolgreichen Fabrikverkaufist eine estnische Strickwarenfabrik, die ca. 10% ihres Um
satzes auf diese Weise erzielt. Die verlangten Preise liegen unter denen des Einzelhan-
174
dels, die PreisabschUige erreichen aber nicht die Hohe des Fabrikverkaufs von Marken
artiklem in Deutschland.
Eigene Verkaufsstellen
Werkseigene wie werksgebundene Verkaufsstellen ermoglichen die Kontrolle des Ge
samtsortiments und des Marktauftritts. Die Erweiterung des eigenen Sortiments durch
fremde Produkte, die oft durch Tauschgeschafte als Gegenleistung fUr eigene Produkten
erworben werden, ist vorteilhaft (AHRENS et al. 1993,245). So kann der Spielraum des
Untemehmens fUr Bartergeschafte erweitert werden.
Die Einrichtung von Filialen, die yom Untemehmen imagegerecht ausgestaltetwerden,
ist fUr anspruchsvollere Priisentation besser geeignet. Die Kosten dafUr sind allerdings
hOher als die fUr Kioske. Der Mangel an geeigneten Raumlichkeiten sowie steigende
Mieten und Betriebskosten stellen zunehmend ein Problem dar. Ein Franchising outlet
ist als werksgebundene Verkaufsstelle einzuordnen, da der Hersteller die eigene Marke
tingkonzeption vertraglich durchsetzen kann. Ais Franchisegeber kann ein Untemehmen
mit verhiiltnismaBig geringen finanziellen Mitteln schnell Expansion betreiben (SPECHT
1992, 188). Dieser Vorteil relativiert sich jedoch in den osteuropaischen Landem, da die
potentiellen Franchisenehmer oft fiber zu wenig Kapital fUr Ladenausbau und Beschaf
fung der Ware verfiigen (TRAM, TORKS 1993, 269).
Mobiler Verkauf
Besonders in diinnbesiedelten Landesteilen ist es schwierig, hinreichend prasent zu sein.
Oft erlaubt die in AuBenbezirken oder landlichen Gebieten vorhandene Kaufkraft nicht
die Einrichtung von Filialen. Urn von dieser Kaufkraft zu profitieren, bietet sich der
mobile Verkauf an. Dabei wird direkt yom LKW verkauft. Der Fahrer fungiert als Ver
kaufer und Akquisiteur. In Estland werden zur Lebensmittelversorgung auf dem Land
umgebaute Reisebusse als fahrende Verkaufseinheiten eingesetzt. Die Nachfrage nach
Food-Artikeln halt sich aber wegen der verbreiteten Selbstversorgung in Grenzen. Der
Einsatz von Reisenden kann zur Akquisition von Neukunden sinnvoll sein, insbesonde
re wenn die Produkte erklarungsbediirftig sind.
175
Der mobile Verkauf auf Wochenmarkten bringt wegen der spezifischen Kaufgewohn
heit der osteuropaischen Konsumenten gute Umsatze. Die russische Bevolkerung deckt
bis 70% des Bedarfes an Schuhen und Bekleidung auf Wochenmarkten (SCHENNIKOY A
1995,5). Allerdings lohnt sich die Teilnahme an Wochenmarkten wegen der notwendi
gen Schutzgeldzahlungen an die Mafia in vielen Fallen nicht.
Vertriebskooperation
Vertiebskooperationen sind zwischen osteuropaischen Unternehmen trotz ihrer Vorteile
wenig verbreitet (W ASILJEW 1996). Die Absatzorganisation stellt eine gravierende
Schwachstelle osteuropaischer Unternehmen dar. Statt umfassender Konzepte dominie
ren Einzelinitiativen und Improvisation. Eine entsprechende Ausbildung des zustandi
gen Personals ist teuer und ohne Hilfe eines westlichen Kooperationspartners oft nicht
zu verwirklichen.
Neben der Erweiterung des eigenen Sortiments durch fremde Produkte kann eine Ge
schaftsbeziehung zu einem westlichen Partner zum Absatz eigener Produkte genutzt
werden. Voraussetzung ist die Weltmarktfahigkeit der Erzeugnisse des osteuropaischen
Unternehmens. Die erforderliche Qualitat kann hiiufig nur mit Hilfe des auslandischen
Partners erreicht werden. Neben der Einnahme von dringend benotigten Devisen kann
vom Marketing-Know-how der Westfirmen profitiert werden. Ais Beispiel konnen die
mit SALAMANDER kooperierenden osteuropaischen Unternehmen genannt werden. 20%
der Produktion sind dabei fur den Export bestimmt (ROST 1992, 11). FUr westliche Un
ternehmen hangt die Entscheidung fur eine Kooperation stark von der Attraktivitat der
jeweiligen osteuropaischen Markte abo Die baltischen Staaten profitieren von dem mit
der EU getroffenen Freihandelsabkommen (o.V., WiRO 12/1993, 446). Baltische Un
ternehmen konnen dadurch leichter wieder an traditionelle Handelsbeziehungen, z.B. zu
den skandinavischen Landern, anknupfen.
176
4.5.3 Marktforschung
4.5.3.1 Marktforschung in der zentralen Planwirtschaft
Die durch Fehlplanung verursachte Uberproduktion war der AnstoB fUr die Entwick
lung der sogenannten Bedarfs- und Marktforschung. Darunter wurden Analyse und
Prognose der Bedarfsentwicklung im Inland, Untersuchung der Absatzmoglichkeiten
im sozialistischen Wirtschaftsgebiet sowie die Markt- und Konjunkturforschung im
nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet verstanden.
1964 harte der Anteil unverkiiuflicher Verbrauchsguter an der Produktion in der UdSSR
eine Hohe von 20% erreicht (DANKO 1974, 5). Mirte der 60er Jahre wurde in einem Ex
periment nachgewiesen, daB von den Unternehmen eigenstandig ausgearbeitete Produk
tionsplane auf der Grundlage von Bestellungen eine groBere Wirtschaftlichkeit erzielten
als die Produktionsvorgaben der Plankommissionen (PALUBINSKAS 1969,22). Deshalb
wurde 1965 das Allunions-Institut zur Erforschung der Nachfrage der Bevolkerung
nach Massenbedarfsartikeln und Konjunktur des Handels (WNIIKS) beim Handelsmi
nisterium der UdSSR gegriindet (DANKO 1974,5).
Die gesellschaftlich anerkannten Bediirfnisse nach Konsumgutern und Produktions
mirteln bildeten den Bedarf. "Rationelle Verbrauchsnormen" spiegelten den gesell
schaftlich angestrebten Bedarf der Zukunft wider (EHRLICH, WINKLER 1978, 19). Urn
z.B. eine Verbrauchsnorm fUr Fleisch zu entwickeln, wurden aus objektiven (z.B. Ei
weiB- und Kalorienbedarf) und subjektiven (z.E. Gewohnheiten) MaBsmben der fUr den
Planungszeitraum angestrebte Pro-Kopf-Verbrauch bestimmt (EHRLICH, WINKLER
1978, 20-27). Zur planmiiBigen Bedarfsentwicklung diente eine entsprechende Preis-,
Angebots- und Einkommenspolitik. Waren, die nicht zu den anerkannten Grundbediirf
nissen gehOrten, z.B. Delikatessen oder Autos, wurden nur in geringer Menge zu sehr
hohen Preisen oder mit langen Wartezeiten angeboten (EHRLICH 1975, 113f.).
Der sozialistische Staat plante Angebot und Nachfrage, indem die Nachfrager in zwei
Gruppen unterteilt wurden:
177
• sozialistische Produzenten, die staatlichen Planauflagen beziiglich Input und Output
unterlagen, und
• individuelle Konsurnenten, deren Nachfrageverhalten zwar schwerer geplant, dafiir
aber durch okonomische Hebel und ideologische Mittel beeinfluBt werden konnte
(WINKLER 1971,6).
Ende der 60er Jahre fanden demoskopische und psychografische Methoden westlicher
Provinienz Eingang in die sowjetische Wissenschaft (DEMIDOW 1992a, 11). Durch Be
schluB des XXIV. Parteitages der KPdSU 1971 wurde der Bedarf zum Ausgangspunkt
der Planung bestimmt. Darauthin wurde eine Reihe zusiitzlicher Organe eingerichtet:
• Bei den meisten Ministerien der verschiedenen Industriezweige der Konsurngiiterin
dustrie wurden im Laufe der niichsten Jahre Institute fUr Bedarfsforschung gegriin
det,
• das Ministeriurn fUr Handel richtete einen interministeriellen Koordinationsrat mit
einem eigenen Publikationsorgan ein, der die von den Instituten errechneten Ver
brauchsnormen bestiitigte,
• es wurde ein einheitliches System der Bedarfsforschung geschaffen, das ca. 3000
Einrichtungen von Handelsministerien bis Einzelhandelsverkaufsstellen urnfaBte
(SCHNEIDER et al. 1976, 99f.).
Die zustandigen Ministerien waren die einzigen Auftraggeber der Bedarfs- und Markt
forschungsinstitute. Sie legten die Produktionsprogramme fest (SCHNEIDER et al. 1976,
99f). Neben den zentralen Planungsorganen dienten die Forschungsergebnisse auch der
Industrie und dem Handel. Die Produktionsuntemehmen verwendeten die Daten, urn
ihre Anspruche auf benotigte Ressourcen und Investitionen gegeniiber den Planungsor
ganen zu begriinden, der Handel benotigte sie zur Untermauerung seiner Forderungen
nach Warenlieferungen (DEMIDOW 1992a, 9).
FUr die Bedarfs- und Marktforschung im Ausland war das dem Ministeriurn fUr AuBen
handel untergeordnete Forschungsinstitut WNIKIS zustandig. Es untersuchte okonomi
sche Entwicklungsprozesse auf intemationalen Warenmiirkten und in ausgewiihlten
Landem. 1m sozialistischen Wirtschaftsgebiet war die Bedarfs- und Marktforschung
yom Ziel der sozialistischen okonomischen Integration (SOl), d.h. der okonomischen
und wissenschaftlich-technischen Verflechtung der Volkswirtschaften der Lander des
178
RGW gepragt. 1973174 wurde im RGW eine Arbeitsgruppe Bedarfsforschung des Se
kretariats Handel gegrundet. Sie bestand aus den Direktoren der Marktforschungsinsti
tute der beteiligten Lander und trat ein- bis zweimal jahrlich zusammen, urn tiber Fra
gen der Methodik der Marktforschung und allgemeine Grundsatzprobleme zu beraten.
Die schlechte Ausstattung mit Hard- und Software zur Datenverarbeitung bewirkte je
doch, daB in den meisten Fallen auf einfache Marktforschungsmethoden zurUckgegrif
fen wurde, obwohl komplexere Methoden theoretisch bekannt waren.
Die Importnachfrage eines Landes nach Giitern aus dem sozialistischen Lager wurde
mit folgender Formel bestimmt:
Importnachfrage = geplanter Gesamtbedarf
.I. geplante Eigenproduktion
+ Export in RGW- und andere Lander
Aufgrund der fortschreitenden Spezialisierung der Lander entstanden langjahrige Han
delsvertrage zwischen den Landern des RGW (ANYSAS 1983, 113ff.).
Marktforschung im westlichen Sinne wurde nur fUr kapitalistische Auslandsmarkte be
trieben, da es notwendig war, das Angebot auf die dort herrschenden Bedingungen aus
zurichten (ULTSCH, BRAUER 1982, 5). Aus finanziellen Grunden wurden vorwiegend
ohne groBen Erhebungsaufwand erhiiltliche Informationen verwendet (EHRLICH, SPRIN
GER 1987,49). Die Hauptrichtungen in der Forschung sind in Tab. 39 zusammengefaBt.
Tab. 39: Inhalte der Lander-, Produkt- und Firmenmarktforschung (EHRLICH/SPRINGER 1987, 19-23)
Land • geographische Bedingungen und landesubliche Gepflogenheiten • Wirtschaftspolitik, Wirtschaftsentwicklung • AuBenwirtschaftspolitik, AuBenwirtschaftsbeziehungen
Produkt • Anwender- und Verbraucherbedurfnisse • Exportfiihigkeit • Marktbewiihrung • Gebrauchswertparameter vergleichbarer Produkte • Produktbezogene kommerzielle Parameter (Preis, Zahlungsbedingungen)
Firma • Produktion, Investition, Forschung und Entwicklung • Finanzlage, okonomische Position • Absatz-, Beschaffungs-, AuBenhandelsbeziehungen • Aufbaustruktur und Leitung
179
4.5.3.2 Marktforschung im TransformationsprozeB
1m Dezember 1988 wurde Untemehmen, Vereinigungen und Organisationen das Recht
eingeraumt, eigene Export- und Importoperationen sowie dazu notwendige Marktfor
schung durchzufiihren (SKLENAR 1990, 8). Die beabsichtigte Dezentralisierung der Ent
scheidungen trat jedoch nicht ein, da das notwendige Fachwissen bei einigen wenigen
Au13enhandelsexperten konzentrlert war und diese nicht gewillt waren, ihr Wissensmo
nopol aufzugeben. So wurden trotz der offentlich glaubhaft wirkenden Liberalisierung
die meisten Au13enhandelsgeschlifte weiterhin tiber die jeweilig zustandigen Organisa
tionen abgewickelt. Der Mangel an Weiterbildungsmoglichkeiten bewirkt, daB bis
heute viele Untemehmen auf teure exteme Informationsbeschaffung und zum Teil auf
dieselben alten Instanzen angewiesen sind (SOLODKOV 1994, 15).
Grundsatzlich fehlt in den Entscheidungsebenen der Industrie die Einsicht in die Not
wendigkeit der Marktforschung. Mogliche Ursachen dafiir sind, daB
• viele Untemehmen von Ingenieuren gefUhrt werden, fur die die Produktentwicklung
im Vordergrund steht und Marktforschung wenig Bedeutung hat,
• Untemehmen, die gegenwlirtig keine Absatzprobleme haben, die Notwendigkeit ei
ner langfristigen Absatzmarktsicherung nicht erkennen,
• theoretisches Wissen und praktische Erfahrung fehlen und
• die geringen finanziellen Moglichkeiten Marktforschung nicht erlauben.
4.5.3.2.1 Marktforschungsinstitute
Die in den osteuropaischen Landem existierenden Marktforschungsinstitute konnen
grob unterteilt werden in
• Institute, die aus fiiiheren Einrichtungen zur Bedarfs- und Marktforschung oder wis
senschaftlichen Instituten hervorgegangen sind,
• neu gegriindete Institute und Vereinigungen,
• andere neu gegriindete Untemehmen, die u.a. auch Marktforschungsleistungen an-
bieten.
Eine weitere Unterteilung ist nach auslandischer Beteiligung bzw. der Kooperation mit
einem westlichen Marktforschungsinstitut, wodurch westliches Know-how eingebracht
wird, moglich.
180
Zu den einheimischen Instituten zahlen insbesondere die ehemaligen Filialen von WNI
IKS. Eines der Nachfolgeinstitute ist die Firma PROFINDEX in Tallinn. Weitere aus
staatlichen Forschungseinrichtungen hervorgegangene Institute sind NIMZ in St. Pe
tersburg, das bis 1975 WNlIKS genannt wurde, NIMZ Moskau, das bis 1993 VNIIET
(Wissenschaftliches Forschungsinstitut fUr Okonomie, Organisation und Technologie
des Handels) hieB, das Ukrainische Institut fUr Marketing und auBenwirtschaftliche In
formationen in Kiew, das ehemals das Ukrainische Forschungsinstitut fUr Handel und
Gaststattenwesen war, sowie WNIPRIM (Allunions-Forschungsinstitut fUr Marktfor
schung und Marketing), das aus dem ehemaligen WNlIKS Moskau hervorgegangen ist
(DEMIDOW 1992b, 22).
Als Joint-venture von WNlPRIM Moskau und FINNSKI GALLUP in Helsinki griindete
sich das INFORMA TIONS- UND MARKETINGZENTRUM; aus einem Joint-venture eines
staatlichen Institutes des Ministeriums fUr Schwarzmetallurgie und einer niederlii.ndi
schen Firma entstand INFOMARKET (DEMIDOW 1992a, 22). In Zusarnmenarbeit von
NIELSEN MARKETING RESEARCH und dem renommierten Institut EKI aus Tallinn wer
den mehrere wiederkehrende Studien (Wirtschafts- und Handelsreport Baltikum, eine
Distributionsuntersuchung und eine Markenbekanntheitsstudie) angeboten. Aus wissen
schaftlichen Instituten bildeten sich das dem Ministerium fUr Arbeit unterstellte
VCIOM in Moskau (Allunionszentrum fUr Sozialforschung) und das Institut fUr So
ziologie ISAN Moskau (SCHONEBERG 1993, 43). VCIOM verfiigt tiber ca. 35 Regio
nalabteilungen auf dem Gebiet der gesamten ehemaligen So\\jetunion, allerdings sind
diese Beziehungen teilweise abgebrochen. Auch VCIOM arbeitet mit einem westlichen
Institut (SINUS, MOOchen) zusarnmen (DEMIDOW 1992b, 22). Daneben existiert eine
Reihe von anderen sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituten, die teilweise Unter
suchungen mit Marktforschungscharakter durchfiihren. Eine Ubersicht findet sich bei
SEREGYI, TSCHEREDNITSCHENKO (1994, 130£.).
Zu den neu entstandenen Untemehmen gehOrt das von der GfK AG Niimberg gegriin
dete Tochteruntemehmen GfK Moskau neben Niederlassungen der zypriotischen Insti
tutsketten AMER und MEMRB. Als wichtigste private Full Service-Institute, die auch
mit intemationalen Partnem zusarnmenarbeiten, gelten das MIC (MARKETING IN
FORMATION CENTER), Vox POPULI und ROMIR (RUSSIA PUBLIC OPINION & MARKET
RESEARCH) (SCHONEBERG 1993, 43). Eine Organisation zur F6rderung der Marktfor-
181
schung wurde in Gestalt der Allunions Marketing Assoziation 1990 in Moskau gegriin
det (DEMIDOW 1992b, 23).
Die Angebote der letztgenannten Untemehmensgruppe konnen nur bedingt der Markt
forschung zugeordnet werden. Es handelt sich hierbei urn Consultingfinnen (z.B.
ERNST & YOUNG VNESHKONSULT oder BALTINCONSULT GmbH Kaliningrad), die In
formationen tiber potentielle Partner, Preise, Infrastrukturen usw., aber auch Schulun
gen oder Kooperationsvermittlungen anbieten (SCHULUS 1994, 26), und Brokerfirmen
an den Borsen, die auf marktspezifische Informationen zur Beschaffung und zum Ab
satz bestimmter Gtiter spezialisiert sind (IOUDANOV 1992, 16). In- und auslandische
Industrie- und Handelskammem bieten den Untemehmen zunehmend Unterstlltzung.
So wurde z.B. im Herbst 1995 eine Vertretung der Deutschen Handelskammer in Minsk
erOffnet (RIETSCH 1995, 319).
Marktforschungsuntemehmen konzentrieren sich im Moskauer Gebiet. Zu Zeiten der
Planwirtschaft konzentrierte sich das Wissens tiber "Marktforschung" in Moskau und
bildete damit den gllnstigsten Ausgangspunkt fUr neue Aktivitaten. Der Entwicklungs
stand der Marktforschung ist auBerhalb RuBlands deutlich niedriger (EVANS, TOM
LINSON 1993, 121). Kleinere private Untemehmen, deren Leistungen hauptsachlich von
der mittelstandischen Industrie nachgefragt werden, zahlen zu ihrem angebotenen
Marktforschungsprogramm auch Messen, Werbung usw. Diese Gruppe ist sehr inho
mogen, so daB bei der Auswahl des Beratungspartners besonders auf Seriositat geachtet
werdenmuB.
4.5.3.2.2 Hauptrichtungen der Marktforschung
Den groBten Teil der Forschungsarbeit nimmt neben der politischen Meinungsfor
schung die sozialOkonomische und Verbraucherforschung ein (SCHONEBERG 1993,43).
Weitere Untersuchungen betreffen die Gesundheits- und Pharmamarktforschung sowie
die Medienforschung. Schon 1993 boten verschiedene Einrichtungen in Moskau, von
der Werbeabteilung einer Zeitung tiber ein Meinungsforschungszentrutn eines Femseh
senders bis zur Werbeagentur selbst, Werbewirkungsanalysen an (RAu-RATGEBER
1993,300). Sie werden bislang vomehmlich von Borsen, Banken, Versicherungen, Jo
int-ventures und auslandischen Firmen in Anspruch genommen (DEMIDOW 1992b,
182
23f.). Staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen, die frtiher die Hauptauftragge
ber fUr Projekte der Markt- und Sozialforschung waren, sowie osteuropaischen Unter
nehmen fehlen entweder die Einsicht in die Notwendigkeit der Marktforschung oder
das dafiir nOtige Geld.
Die meisten produzierenden Unternehmen miBtrauen der Kompetenz der Marktforscher
und versuchen sich selbst an verschiedenen MarktforschungsaktiviUiten. Die Hauptin
formationsquellen sind Messen, Befragungen der Handelskunden, Auswertung und
Analyse der Absatzzahlen aus dem Fabrikverkaufund dem VerkaufaufWochenmiirk
ten. Diese AktiviUiten werden jedoch i.d.R. ohne Marktforschungsstrategien und Bud
gets ad hoc betrieben. Der Meinung der Endverbraucher wird dabei geringe Bedeutung
beigemessen, entscheidend ist die Einschatzung der Handelskunden.
Marktforschung richtet sich dariiber hinaus auf KonkurrenzaktiviUlten, oft ausschlieB
lich auf die Preispolitik. Die Kostenstruktur der Konkurrenzunternehmen, ihre Be
schaffungsquellen, Produktionsmittel und Technologien sind in der Regel ausreichend
bekannt, denn die heutigen Konkurrenten gehOrten frtiher zu einem Fachministerium
und tauschten diese Informationen miteinander aus (GURKOV, A VRAAMOVA 1995, 24).
4.5.3.2.3 Methoden der Marktforschung
Bei der Datenerhebung werden im Prinzip die gleichen Methoden benutzt, die in west
lichen Instituten ublich sind, allerdings unterscheiden sie sich haufig in ihrer Anwen
dung sowie den verfiigbaren Hintergrundinformationen. So wurde bei der Befragung
der Institute NIMZ festgestellt, daB das westliche Marktforschungsvokabular nicht aus
reichend bekannt war (Befragung NIMZ St. Petersburg und NIMZ Moskau). Sekundiir
forschung wird hauptsachlich von auslandischen Firmen genutzt, die keinerlei Basis
wissen uber die sie interessierenden Marktsegmente besitzen (DEMlDoW 1992b, 24).
Bei NIMZ St. Petersburg wird bei 25 Prozent der Auftrage Sekundiirforschung genutzt.
NIMZ Moskau, das den Anteil auslandischer Auftraggeber mit 3 Prozent angibt, wen
det keine Sekundiirforschung an. Fiir osteuropaische Unternehmen ist die Notwendig
keit, diese Aufgaben an Institute zu delegieren, nicht gegeben, da sie die gesuchten Se
kundiirinformationen selbst mit geringen Kosten beschaffen konnen. Die amtliche Sta
tistik hat als Datenquelle einen niedrigeren Stellenwert als z.B. in Deutschland. Die In-
183
fonnationstiefe statistischer Daten ist aufgrund der wenig detaillierten Erfassung der
ZusHinde und der haufigen Manipulationen gering. Der offiziellen Statistik wie auch
der betrieblichen Statistik kann man nicht trauen, weil sie meistens zur Verschleierung
der wahren Zustande dient (ZENTZIS 1994,64). Unterschiede in der Zusammensetzung
und Berechnung statistischer Indikatoren sowie den Inhalten von Begriffen der Markt
forschung treten erst bei der Interaktion zwischen in- und auslandischen Instituten und
Untemehmen zutage.
Die wichtigste Art der Befragung ist das Telefoninterview. Diese Methode laBt sich
allerdings nur in GroBstadten anwenden, die im Gegensatz zu landlichen Gebieten und
Kleinstadten eine sehr gute Ausstattung mit Telefonen aufweisen. Die Durchfiihrung
von Face-to-face-Interviews in Wohnungen wird durch die hohe Kriminalitat und dar
aus resultierende Angst der Bevolkerung extrem erschwert. Schriftliche Befragungen
werden durch lange Postlaufzeiten behindert. Die Rucklaufquote betragt 5 bis 15%
(DEMIDOW 1992b, 24). Gruppendiskussionen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit
und bringen aufschluBreiche Ergebnisse hervor (EVANS, TOMLINSON 1993, 120).
Eine Ursache fur das kooperative Verhalten der befragten Konsurnenten kann darin lie
gen, daB die osteuropaischen Verbraucher zum ersten Mal urn ihre Meinung gebeten
werden und ihre Ansichten gem kundtun. Nach bisherigen Erfahrungen wurden jedoch
die besten Resultate mit Verbrauchem niedrigeren Bildungsstandes erzielt. Bestimmte
soziale Schichten und Berufsgruppen, z.B. Beamte, verhalten sich auf Grund der jahre
langen Angst vor offener MeinungsauBerung noch immer sehr zurUckhaltend
(DEMIDOW 1992b, 24). NIMZ St. Petersburg erwiihnt zusatzlich die Nachfrager- und
Expertenbefragung bei den angebotenen Leistungen, dort wird bei 35% der Erhebungen
auf die Befragung zurUckgegriffen, in Moskau sind es 20%. Eines der wenigen Ver
braucherpanels wird als Familienverbrauchspanel von NIMZ St. Petersburg gefuhrt.
Obwohl Marketing und damit auch Marktforschung an Universitaten und Hochschulen
inzwischen gelehrt werden, besitzen die wenigsten Dozenten die entsprechende Ausbil
dung. Nur wenige absolvierten ein Praktikum in westlichen Landem. Am Institut fur
Intemationale Bildung Berlin e.V., das sich auf Weiterbildung in den Gebieten Osteu
ropas spezialisiert hat, ist bisher noch keine Nachfrage nach Seminaren in Marktfor
schung verzeichnet worden. Erfahrene osteuropaische Untemehmer wiederum haben
184
aus Zeitmangel und wegen niedriger Honorare kaum Interesse, ihr Wissen weiterzu
vermitteln (SCHULUS 1994, 28). Auch die Angabe des Marktforschungsinstituts NIMZ
aus St. Petersburg, keinen Bedarf an WeiterbildungsmaBnahmen zu haben, besagt, daB
die Bedeutung des Fachwissens im Bereich der Marktforschung unterschatzt wird.
4.5.4 Finanzierung
4.5.4.1 Das Finanzsystem in der zentralen Planwirtschaft
In der UdSSR bestand ein Monobanksystem. Die Zentralbank GOSBANK als Kassen
zentrum aller Volkswirtschaften der Union wie auch die AuBenhandelsbank gehOrten zu
den Finanzorganen des sozialistischen Staates, die fur die Durchsetzung der Finanzpoli
tik verantwortlich waren (OKONOMISCHES LEXIKON 1996,281). Alle monetaren Strome
und BesHinde wurden durch die zentrale staatliche Planung dirigiert. Da die Zentralbank
tiber ein umfangreiches Filialnetz verfiigte, regelte sie auch den Zahlungsverkehr und
vergab Kredite. Neben der Zentralbank gab es noch einige Spezialbanken, z.B. Investi
tionsbanken zur Finanzierung langfristiger Investitionen, Sparkassen als Sarnmelstelle
von privaten Erspamissen sowie Landwirtschaftsbanken.
Die jahrlich im Staatshaushaltsplan und im Volkswirtschaftsplan festgelegten finan
ziellen Mittel bildeten den Finanzrahmen fur alle Glieder des volkswirtschaftlichen Pro
duktionsprozesses. Verbindlich fur alle Betriebe wurden Zinsen und Volumina fur Kre
dite, Umlauf mittel und langfristige Investitionskredite festgelegt. Die Eigenverantwor
tung der Betriebe beschrankte sich auf eine effektive Nutzung der materiellen und fi
nanziellen Ressourcen, ErschlieBung von Reserven und Verwirklichung des Sparsam
keitsprinzips entsprechend staatlich festgelegten Normen. Das Gesetz fiber den
Staatsplan fur die okonomische und soziale Entwicklung der UdSSR, gfiltig ab
1.1.1988, verlangte u.a. bereits die "Durchsetzung der vollen wirtschaftlichen Rech
nungsfiihrung und Eigenfinanzierung fur den GroBteil der Betriebe" sowie die "Senkung
der Selbstkosten durch Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts".
Die Untemehmen muBten 41 % der Nettoerlose an den Staat abfiihren, wobei Personal
kosten nicht als Kosten eingingen, sondem der sozialistischen Auffassung gemaB aus
dem verbleibenden Gewinn zu bestreiten waren (VEB OFZ ARBEITSMATERIAL 1988).
FUr die Vergabe von Krediten waren die Vorgaben des zentralen Plans und das Ver
handlungsgeschick der Untemehmensf'iihrer maBgeblich (BUCH 1993, 71). 1987 begann
185
die schrittweise Einftihrung des zweistufigen Bankensystems. Aus der ehemaligen Mo
nobank wurden Unterabteilungen ausgegliedert. Private Geschaftsbanken wurden zuge
lassen, die tiber die Kreditvergabe und die Zinsen unabhfulgig entscheiden konnten. Let
zere wurden meist von BehOrden und staatlichen Untemehmen gegriindet. Durch diese
Banken wurde der Zugang zu Krediten erleichtert (BUCH 1993, 72).
In den letzten Jahren vor dem Zerfall des Wirtschaftssystems gelang es den Lfuldem
Osteuropas nicht mehr, die Finanzierungssalden zwischen den Wirtschaftssubjekten zu
begrenzen. Sie waren jedoch nicht bereit, darauf mit marktwirtschaftlichen Reformen zu
reagieren und daraus resultierende Arbeitslosigkeit und ProduktionsrUckgang in Kauf zu
nehmen. Konkursreife Untemehmen wurden subventioniert. Die direkte Subvention der
Untemehmen tiber das Budget verstOBt i.d.R. gegen Ziele des Intemationalen Wah
rungsfonds (IWF). Mit Rticksicht auf weitere oder angestrebte Unterstiitzung z.B. durch
IWF -Transformationsfaszilitaten wurden Subventionen verschleiert, indem sie in zins
giinstige "Kredite" umgewandelt wurden. Mit dem Beginn der radikalen Reformen, der
Herstellung positiver Realzinsen und einer Verknappung von Staatskrediten wurde die
geringe Wahrscheinlichkeit der Rtickzahlung dieser Kredite offenkundig (RUHLE,
WINKLER 1994,23; DHAR, SELOWSKY 1994,44).
4.5.4.2 Finanzierung im Transformationsproze8
Die gesetzlichen Grundlagen fUr ein funktionsfahiges Finanzsystem aus Banken und
WertpapierbOrsen sind in den betrachteten Lfuldem inzwischen weitgehend gegeben.
Die Bankenlandschaft ist in den untersuchten Lfuldem Osteuropas sehr ahnlich. Neben
der Zentralbank, die aus der GOSBANK hervorgegangen ist, gibt es noch die groBen
staatlichen bzw. vom Staat kontrollierten Geschaftsbanken, Sparkassen und den groBen
Sektor der neu gegriindeten privaten Geschaftsbanken. Da in den baltischen Staaten bis
1991 keine eigenstfuldigen Kreditinstitute existierten, muBten sie hier erst gegriindet
werden (SCHWARZ, MOHME 1994, 668). Das geschah i.d.R. durch die Griindung von
Geschaftsbanken aus den ehemaligen Filialen der GOSBANK. Diese Banken wurden
als Spezialkreditinstitute oder Universalbanken gegriindet. In den Staaten RuBland,
Ukraine und WeiBruJ3land existierten Spezialbanken wie z.B. die AuBenhandelsbank
und die Landwirtschaftsbank noch aus der Zeit der UdSSR.
186
Es hat sich ein Universalbankensystem etabliert, das durch eine breite Palette an Ban
kleistungen gekennzeichnet ist (KAPITALMARKTE IN MOE 1994, 160, 177; SCHWARZ,
MOHME 1994, 667). Neben den normalen Bankleistungen konnen die Banken auch bei
entsprechender Lizensierung an Wertpapierhandel und -emission und am Devisenge
schaft teilnehmen (KAPITALMARKTE IN MOE 1994, 143-179). Private Geschiiftsbanken
mit einer soliden Kapitalstruktur und zunehmenden Marktanteilen gewinnen an Bedeu
tung. In Litauen gibt es neben den Banken noch eine unbestimmte Anzahl an legalisier
ten Untemehmen, die im Einlagen- und Kreditgeschiift tiitig sind (BOROCH, LOSCH,
1994, 28). In RuBland wird auslandischen Banken die Arbeit dadurch erschwert, dlill sie
nur eine Filiale errichten diirfen und dlill Privatkunden fur die Eroifnung eines Kontos
55.000 ECU einbringen mussen Co.V., OST-MARKT 5/96, 6).
Hier sollen drei Schwerpunkte der Finanzierung betrachtet werden: Zahlungsverkehr,
Kreditwesen in seiner Rolle als Fremdkapitalquelle wie auch fur kurzfristige Finanzie
rung und Wertpapierhandel in seiner Bedeutung fur die Eigenkapitalbeschaffung der
Untemehmen.
4.5.4.2.1 Zahlungsverkehr
In RuBland ist die Zentralbank fur die Organisation des Zahlungsverkehrs Zllstandig.
Mit dem starken Anstieg der Zahlungen waren die Zentralbank und ihre Niederlassun
gen uberfordert. Zahlungen dauerten oft Wochen, in Ausnahmen sogar Monate
(MOLLER 1994, 604). Ahnliche Bedingungen herrschten in der Ukraine aufgrund der
minderwertigen Telekommunikations- und Computemetze sowie schlecht ausgebildeter
Mitarbeiter (INVESTMENT GUIDE FOR THE UKRAINE 1993, 35). Seit 1994 erlebte RuBland
wegen der Lukrativitiit des Bankengeschiifts einen Bankenboom. Mitte 1995 konkur
rierten 2.500 uberwiegend private Banken miteinander. Viele russische Banken bieten
derzeit einen guten Service und stehen in Geschaftsbeziehungen mit westlichen Banken.
Die groBten unter ihnen betreiben sogar Filialen im Ausland Co.V., OWC 6/1995, 19).
Die wichtigsten Zahlungsstrome des Landes laufen durch zwanzig bis dreiBig GroBban
ken, die Uberweisungen erfolgen ohne Verz6gerung innerhalb weniger Tage. Die zah
lenmaBig groBte Gruppe der mittleren und kleinen Banken ist auf regionaler Ebene tatig.
Nicht selten haben diese Banken Zahlungsschwierigkeiten, wodurch Verzogerungen im
Zahlungsverkehr auftreten (W ASILJEW 1996).
187
WeiBruBland war das Testgebiet der UdSSR fUr die Erprobung vieler Innovationen im
Bankenbereich. Es verfiigt fiber ein voll automatisches Zahlungsvollzugssystem. Zah
lungen innerhalb des Landes benotigen in der Regel zwei Tage. In den baltischen Staa
ten sind Geldfiberweisungen unproblematisch; sie dauem in der Regel ebenfalls zwei
Tage. Settlementprozesse fUr groBe Interbankentransaktionen erfolgen zumindest in Est
land und Lettland auf Tagesbasis. Zahlungsverzogerungen werden dadurch gef6rdert,
daB sich die Banken nicht nur billig aus dem Float, d.h. dem Geldbestand, der den Ban
ken bei Oberweisungen und Schecks aus der Zeitdifferenz zwischen Gutschrift zugun
sten des Zahlungsempfangers und Belastung des Zahlungsauftraggebers entsteht, refi
nanzieren, sondem auch an den Zinsen verdienen, die aus der Kreditaufnahme von Un
temehmen zur Oberbruckung von Liquiditiitslficken stammen (MOLLER 1994, 604).
AuffaIlig ist die rapide Verbesserung der technischen Ausstattung von privaten Ge
schaftsbanken, die schnelle und transparente Transaktionen und verbesserte Dienstlei
stungen ermoglichen (BOROCH, LOSCH, 1994,28). Das russische Bankensystem benutzt
fUr die Datenfibertragung versUirkt Satellitenkommunikationsnetze. In letzter Zeit
kommt auch der Bankwechsel als Zahlungsmittel im fiberregionalen Geschaft zu An
wendung (W ASILJEW 1996). Trotz der verbesserten Moglichkeiten des Zahlungsver
kehrs sind Bar- und Bartergeschafte weit verbreitet. Die Griinde fUr den steigenden un
kontrollierbaren Umlauf der finanziellen Mittel sind mangelnde Zahlungsfahigkeit der
Untemehmen sowie Steuervermeidung und Intransparenz durch die Mafia
(WELISCHENKOV 1995, 4). Der GroBteil der Zahlungen zwischen den Rohstoffunter
nehmen und ihren ausliindischen wie auch russischen Geschaftspartnem Hiuft fUr die
SteuerbehOrde unsichtbar fiber ausliindische Banken (BOGATYCH 1995, 22).
4.5.4.2.2 Fremdkapitalbeschaffung und Kreditwesen
Die Verfiigbarkeit und Ausgestaltung (Zinsen und Laufzeit) von Krediten wird von In
flation, Kapitaldisposition, Risiken und Nachfrage beeinfluBt. 1m folgenden werden
zunachst die Auswirkungen der Inflation und der Kapitaldisposition fiber die Zinsen auf
die Einlagen- und Kreditstruktur betrachtet. AnschlieBend wird die fUr Osteuropa typi
sche Problematik der Bad Loans dargestellt.
188
Inflation und Kapitaldisposition
Mangelnde institutioneHe Voraussetzungen und ein nur wenig liquider Geldmarkt fOh
ren zu Schwierigkeiten bei der Geldmengensteuerung und vor aHem in WeiBruBland
und der Ukraine zu Inflation. Daraus resultierende negative Zinsen verhindem die Ent
stehung von langfristigen Einlagen in einheimischer Wahrung (o.V., DIW-WOCHEN
BERICHT 2511994, 423). In RuBland ist die Verzinsung der Bankeinlagen in Rubel nach
wie vor negativ. Bei fallenden Inflationsraten konnen je nach Anlagedauer bereits posi
tive Zinsen erzielt werden. Der offizieHe Refinanzierungszins ist positiv (o.V., DIW
WOCHENBERICHT 47-48/1994,816 ff.).
Die Kapitaldisposition ist ein entscheidender EinfluBfaktor fUr den Umfang der Kredit
vergabe. Sie wird wiederum von der Inflationsrate und dem Zinsniveau beeinfluBt. Die
inHindische Kapitaldisposition besteht aus den Ersparnissen der Untemehmen, des
Staates und vor aHem der Haushalte. Die Entwicklung der Ersparnisse hangt besonders
yom Einkommen abo Neben der inlandischen Kapitaldisposition bestimmen vor aHem
der Kapitalimport tiber Direktinvestitionen, Portfolioinvestitionen und intemationale
Kredite, die Kapitaldisposition eines Landes.
Die Direktinvestitionen sind gering (o.V., DIW-WOCHENBERICHT 47-4811994, 820),
und bei bilateralen Regierungskrediten ist ein drastischer Rtickgang zu verzeichnen
(0. V., DIW -WOCHENBERICHT 1911994, 296). Bilaterale Regierungskredite sind i.d.R.
Handelskredite, die nicht investitionswirksam werden. Daneben erhalt RuBland noch
SystemtransformationsfasziliHiten yom IWF. Das hohe russische Budgetdefizit nimmt
einen weiteren Teil der Kapitaldisposition in Anspruch. Die Situation der baltischen
Staaten ist leicht positiv, die der Ukraine und WeiBruBland auf allen Dimensionen als
negativ zu bewerten.
Die Ersparnisse der Untemehmen werden in Anbetracht der fUr aHe osteuropaischen
Lander schlechten Konjunkturaussichten und der groBen Probleme der Untemehmen
beziiglich der Restrukturierung wenig Bedeutung haben. Dariiber hinaus steHt der Ka
pitalabfluB aus Grunden der Steuervermeidung und Sicherung vor der Mafia insbeson
dere in RuBland, der Ukraine und in WeiBruBland eine weitere betrachtliche Schmiile
rung der inlandischen Kapitaldisposition dar. Schatzung tiber den bisherigen russischen
189
KapitalabfluB ins Ausland belaufen sich auf tiber 100 Mrd. US$ (o.V., HB 28.12.1994).
Die jlihrliche Kapitalflucht betragt bis zu 18 Mrd. US$. Das Geld wird kaum industrieH
investiert, sondem vor aHem in Immobilien und sichere Kapitalanlagen umgewandelt
(HODOV 1995, 154).
1m Bereich der Ersparnisbildung des Staates spielt vor aHem das Steuersystem eine
Rolle. Standige Gesetzesanderungen, eine tiberforderte Verwaltung und Willktir fiihren
zu erheblichen Steuerwiderstanden seitens der Untemehmen und Haushalte.
Bad Loans, Kreditsicherheiten
Als Resultat und als Verstarker des Kapitalmangels ist die Problematik der Bad Loans,
d.h. der Kredite, deren Rtickzahlung unwahrscheinlich ist, zu betrachten. Bei den Bad
Loans der Gegenwart spielen die Altkredite, die die Nachfolgebanken nach der Auf
spaltung der GOSBANK geerbt haben, keine Rolle. Die Realwerte dieser Kredite sind
nach den hohen Inflationsraten der vergangenen Jahre fast aufgezehrt (o.V., DIW
WOCHENBERICHT 19/1994, 310). Eine Ursache fUr den derzeitigen Bestand an Bad Lo
ans liegt in subventionierten Zentralbankkrediten, die von der Zentralbank tiber die Ge
schaftsbanken mit einem viel zu niedrigen Aufschlag und ohne jegliche Bonitatsprtifung
an die Untemehmen weitergegeben werden (o.V., DIW-WOCHENBERICHT 19/1994, 310-
311). Diese sogenannten weichen Kredite sind in RuBland, WeiBruBland, Ukraine und
im Landwirtschaftsbereich in Litauen tiblich.
Der Zinssatz fUr Zentralbankkredite ist weiterhin sehr niedrig, zum Teil im negativen
Bereich (DIW-Wochenbericht 47-48/1994, 818). Ein weiterer Grund fUr die Existenz
der Bad Loans ist die Kreditvergabepraxis der "Wildcat-Banken". Diese Banken, die in
ihrer tiberwiegenden Mehrheit in den Zeiten der Nichtregulierung entstanden sind, und
deren Aktionare haufig Untemehmen oder staatliche Institutionen sind, wurden mit dem
Ziel gegrtindet, den beteiligten oder befreundeten Untemehmen Kredite zu verschaffen.
Sie vergeben einen GroBteil ihrer Kredite an ihre Eigenttimer, ohne auf Kreditvergabe
richtlinien zu achten. Der Anteil der "Wildcat-Banken" am Gesamtbestand der russi
schen Banken betrug bis 1994, je nach Schatzung, bis zu 80 Prozent (JOHNSON 1994,
979). Ihre Grtindung ist nach der Einfilhrung von Bankengesetzen und -regelungen er
schwert.
190
Eine weitere Ursache fUr den hohen Bestand an Bad Loans ist eine diskretionare Kredit
politik seitens der Notenbanken in RuBland, WeiBruBland und der Ukraine. Die Zentral
banken fungieren als Kreditquelle fUr den Notfall, und gleichen vor allem bei staatlich
kontrollierten Banken Verluste aus Kreditgeschafien aus. Dies nimmt den Unternehmen
und der Bevolkerung den Anreiz, Banken auf Seriositat zu priifen. Die Bankenaufsicht
wurde zwar verbessert, sie bleibt aber ohne glaubWOrdige Konkursdrohung wenig wirk
sam. FUr RuBland gehen Schatzungen von bis zu 50 Prozent Bad Loans am Gesamtkre
ditbestand der Banken aus (RUHLE, WINKLER 1994, 37). Konkursgesetze, die in allen
Landern Osteuropas existieren, werden jedoch bisher nur in Estland konsequent ange
wendet (o.V., BALTIC NEWS, 1.-16.1.1995,5).
Eiolageo- ood Kreditstruktur
Kurzfristige Einiagen machen ca. 80 % der gesamten Bankeinlagen in heimischer Wah
rung aus (o.V., HB 5.12.1994). Auf dem Interbankenmarkt betragen sie selten mehr als
vier Wochen, fUr den Unternehmenssektor sind Laufzeiten bis zu drei Monaten ublich
(o.V., OSTEUROPA AUF REFORMKURS 12/1994,35; DIW-WOCHENBERICHT2511994, 423).
Langfristige Investitionskredite sind im Rubelbereich fast ausschlieBlich Zentralbank
kredite mit negativen Zinsen, deren Ausgabe jedoch eingeschriinkt werden solI. Unter
nehmen, die diese subventionierten Kredite nicht erhalten, das sind i.d.R. Neugriindun
gen, aber auch klein- und mittelstiindische Unternehmen, mussen sich uber die am
Markt angebotenen Kredite finanzieren. Dies hat zur Folge, daB Kredite fUr langfristige
Investitionen standig prolongiert werden mussen, falls sie uberhaupt erhiiltlich sind.
Langfristige Kredite, die nicht von der Zentralbank subventioniert sind, werden fast aus
schlieBlich an Unternehmen der Telekommunikations- und Rohstoffbranche vergeben.
Der beziiglich der Ertrage in der Transformationswirtschaft dominierende Handelssektor
bzw. Arbitragehandel fragt in der Regel kurzfristige Handelskredite nach, in heimischer
Wiihrung oder in Devisen. Da der Handel relativ lukrativ ist, konnen sich diese Unter
nehmen Kreditzinsen leisten, die andere Unternehmen nicht mehr bezahlen konnen
(BOLZ, POLKOWSKI 1994, 24, BOROCH, LOSCH 1994, 43). Der uberhOhte kurzfristige
Zins fiihrt dazu, daB viele durchaus rentable Unternehmen nicht in der Lage sind, kurz
fristige Liquiditatskredite oder langfristige Investitionskredite aufzunehmen.
191
Bei Kreditvergabe zwischen Untemehmen spielten Lieferantenkredite in den ersten Jah
ren des Transformationsprozesses eine wichtige Rolle. Die praktische Gefahr des Kon
kurses ist auch nach der Verabschiebung des Konkursgesetzes sehr gering, deswegen
gehOrt die Schuldenbegleichung immer noch nicht zu der Prioritiiten der Geschaftsfiih
rung (BELJANOVA 1995, 19). Schlechte Zahlungsmoral und seltene Anwendung der
Konkursgesetze fiihrten zu einem Rtickgang der Lieferantenkredite. Gegenwartig muB
die Ware sofort oder vorab bezahlt werden (o.V., DIW-WOCHENBERICHT 19/1994,313-
314). Leasing ist in den osteuropiiischen Staaten noch nicht weit verbreitet. 1m Sommer
1994 wurde in RuBland der Verband der Leasing-Gesellschaften gegrtindet, dem zu die
sem Zeitpunkt ca. 15 Untemehmen angehOrten (o.V., CENTRAL EUROPEAN Oktober
1994, 23). Schwerpunkte des Leasing sind Schiffe und AutoslLKW sowie Flugzeuge.
4.5.4.2.3 Eigenkapitalbescbaffung und Wertpapierbiirsen
In den Jahren 1992/93 wurde der Finanzierungsbedarf der russischen Untemehmen zu
ca. 50 % tiber die im Untemehmen zurUckbehalten Gewinne gedeckt, 14 % tiber Bank
kredite (BARD 1994, 157). In Estland wurden im Jahre 1993 ca. 70% der Investitionen
mit Eigenkapital finanziert, ca. 11 % tiber Bankkredite (BURGER, LENZNER 1994, 38).
Die Preissteigerungen in den folgenden Jahren fiihrten zur Entwertung der betrieblichen
Umlaufmittel. Bis zu 25% des Bilanzgewinns mtissen dafiir aufgewendet werden, die
inflationsbedingten Verluste an Umlaufmitteln zu kompensieren. Die Finanzierung
durch Abschreibung reicht wegen der gesetzlich vorgeschriebenen Buchfiihrung nicht
aus, urn die Produktionsmittel auf gleichbleibendem Niveau zu amortisieren und erst
recht nicht, urn sie zu emeuem (MELENTJEV 1995, 14). Sehr hohe Steuerforderungen
machen in vielen Landem Osteuropas die Gewinne zunichte und schriinken so die Fi
nanzierungsmoglichkeiten weiter ein bzw. bewirken Steuerhinterziehung. In RuBland
z.B. erreichen in vielen Regionen die Abgaben 95% der Gewinne (SCHMELEV 1995,29).
Privatisierungsbedingte Finanzierungsprobleme sind ausfiihrlich in Kap. 4 beschrieben.
Am finanzierungswirksamsten ist die Privatisierung in Estland. Die kleinen Untemeh
men wurden tiber Auktionen verkauft, die groBen Untemehmen tiber Ausschreibungen
(BURGER, LENZNER 1994, 16). Die gegenwiirtige Unterbewertung der Aktien laBt lang
fristig hohe Gewinne erwarten. FUr die an den Borsen gelisteten Untemehmen bedeutet
192
dies, daB fiber den mittel- bis langftistigen Kursanstieg der Aktie eine bedeutende Basis
fUr KapitalerhOhungen entsteht (o.V., CENTRAL EUROPEAN, 1211994, 111995, 18).
Mittelstiindischen Untemehmen wird zunehmend Venture-capital von ausliindischen
Investmentfonds zur Verfiigung gestellt (o.V., CENTRAL EUROPEAN 1211994, 111995,
20). Auch inliindische, staatlich kontrollierte, regionale Privatisierungs- bzw. Invest
mentfonds, die Beteiligungspakete jedoch fast ausschlieBlich ohne Kontrollmehrheit
erwerben sollen, stellen den Untemehmen damit Kapital fUr langftistige Investitionen
zur Verfiigung (o.V., DIW-WOCHENBERICHT 211995,60). Diese in Einzelfrulen wirksa
me Finanzierungsquelle hat jedoch, gemessen am landesweiten Bedarf an Kapital, ge
ringe Bedeutung.
Ein flir die Beteiligungsfmanzierung wichtiges Hindernis stellt die Kontrolle vieler Un
temehmen durch Management und Belegschaft dar, so daB sogar groBe Aktionare mit
einem 20%-igen Anteil keinen Vertreter in den Vorstand einbringen konnen
(MELENTJEV 1995, 15). Rechte und strategische Interessen der Minderheitsaktioniire
werden grob verletzt. Da angenommen werden kann, daB die Untemehmensleitung Ein
fluB nicht zugunsten von Eigenkapital aufgeben wird, werden viele bOrsenfahige Unter
nehmen dem Wertpapiermarkt fembleiben.
Der Wertpapiermarkt und die erforderlichen Institutionen sind in den untersuchten Liin
dem noch im Entstehen. RuBland verfiigt fiber ca. 60 Waren- und WertpapierbOrsen,
von denen jedoch nur 52 nennenswerte Wertpapierumsatze haben (KAPITALMARKTE IN
MOE, 1994 130). Fast jede der etablierten Borsen hat eigene Borsenzulassungsverfah
ren (o.V., CENTRAL EUROPEAN EMERGING SECURITY MARKET 1994,21). Am Abrech
nungstag mfissen Beauftragte von Kaufer und Verkaufer der Aktien der Aktieneintra
gung beiwohnen, unabhangig davon, ob sich das Register in Moskau oder in Wladi
wostock befindet (o.V., CENTRAL EUROPEAN EMERGING SECURITY MARKET 1994,20).
Dieser Aufwand macht den Aktienkauf fUr viele Interessenten unattraktiv. Fiir ausliindi
sche Banken gilt bis zum Juni 1999 das Verbot, mit russischen Wertpapieren zu handeln
(o.V., OST-MARKT 5/96, 6).
193
In allen osteuropaischen Landem werden schatzungsweise 80 Prozent der Aktienge
schafte auBerbOrslich als Tafelgeschafte abgewickelt (OTC-Markt)(KApITALMARKTE IN
MOE, 1994, 129).
Heute ist der Wertpapierrnarkt in den Landem Osteuropas noch kein Instrument, urn
einer breiten Basis von Untemehmen Eigenkapital zu beschaffen. (o.V., CENTRAL
EUROPEAN EMERGING SECURITY MARKET 1994, 27). Bisher werden Aktien zumeist von
Banken und Investmentgesellschaften gehandelt. Industrieuntemehmen sind bis auf ei
nige groBe Rohstoffuntemehmen und Untemehmen aus dem Kommunikations- und
Logistiksektor die Ausnahme (o.V., OSTEUROPA AUF REFORMKURS 1211994,38).
194
5 Empirische Untersuchung
Dieses Kapitel umfaBt die Erhebungsmethodik und die Ergebnisse der empirischen Un
tersuchung. In 5.1 werden die spezifische Situation osteuropruscher Managementfor
schung, die angepaBten Erhebungsmethoden und die zugrundeliegende Datenbasis dar
gelegt. In 5.2 sind die Ergebnisse aus den Interviews mit verantwortlichen Managem in
Osteuropa 1994 und 1995 sowie aus den schriftlichen Befragungen 1994 dargestellt.
5.1 Methodik
Die hier berichtete empirische Untersuchung zur Ermittlung typischer Probleme und
subjektiver ErfolgsmaBstabe und Erfolgsfaktoreneinschatzungen durch das Transforma
tions-Management folgt einern exploratorisch-deskriptiven Ansatz. Ebenfalls an diesem
Ansatz orientieren sich die Methodik der Datenerhebung und -auswertung sowie die
Sample-Auswahl fiir diesen Untersuchungsabschnitt. Die Methodik der ernpirischen
Untersuchung wird in drei Abschnitten dargestellt: Der erste Abschnitt beinhaltet die
Datenerhebung, hierbei vor allern deren Besonderheiten irn deutsch-osteuropaischen
Kontext. In einem zweiten Abschnitt werden die Datenbasis und die relevanten Charak
teristika der untersuchten Untemehmen erlautert. In einem dritten Abschnitt wird auf die
spezifische Methodik der Auswertung eingegangen.
5.1.1 Datenerhebung
Die Datenerhebung fiir diese Studie folgt irn wesentlichen der Methodik der exploratori
schen Erfolgsfaktorenforschung phasenbezogener Phanomene, wie sie von uns schon
fiiiher entwickelt und eingesetzt wurde (TROMMSDORFF, WILPERT 1991, 49ff.,
SCHUCHARDT 1994, 128ff.). Kemstiicke der Methodik sind ein (transformations
spezifisches) Phasenmodell (Teil 2.1.4), ein verhaltenswissenschaftlich orientierter, in
novationstheoretischer Ansatz (Teil 2.2.2), ein transformationsbezogener Erfolgsfak
torenansatz (Teil2.3) und ein intemationaler Erhebungsansatz.
Nachfolgend werden die besonderen Erhebungsaspekte erortert. Ausgehend von der
inhaltlichen Zie1setzung wird zunachst auf die Besonderheiten des deutsch-osteuropa
ischen Kontextes eingegangen und danach auf die einzelnen Erhebungsinstrumente.
195
5.1.1.1 Inhaltliche Zielsetzung
Eine der exploratorischen Zielsetzungen dieser Untersuchung ist es, Transformations
unternehmen fiber marketingrelevante Perspektiven zu erfassen, urn damit einen Fundus
fur die Ableitung weiterfiihrender Hypothesen zu erhalten.
Den Kern der Befragung bilden allgemeine Fragen nach Aufgaben und typischen Pro
blemen jeder Transformationsphase. Sie werden durch die in Kapitel 2 aus der Literatur
erarbeiteten problemspezifischen Fragestellungen ergiinzt. Zur Einordnung und Analyse
der Befragungsergebnisse beruglich der unterschiedlichen Strukturen und Auspra
gungen der Kooperationsvorhaben wurden damber hinaus Rahmendaten des lokalen
Umfeldes, der lokalen Institutionen und Verbande und der lander- und branchenspezifi
schen Besonderheiten erhoben. Die Rahmendaten waren fiberwiegend in Deutschland
nicht verfugbar und muBten vor Ort erhoben werden, zusatzlich zu den aufgaben-, pro
blem- und transformationsbezogenen Daten.
5.1.1.2 Deutsch-osteuropiiischer Forschungskontext
Die besonderen methodischen Schwierigkeiten liegen im interkulturellen Kontext be
grfindet, der sich durch die groBe physische und kulturelle Distanz zu den Befragungs
einheiten, die Unterschiedlichkeit der Lander und die eingeschrankte Zuganglichkeit der
ausgewahlten Transformationsunternehmen auszeichnet. Hinzu kommt die grundsatzli
che Kulturbezogenheit der Managementforschung und der Mangel an adaquaten Kon
zepten (SCHUCHARDT 1994,53 ff.).
FUr die Methodik der Datenerhebung identifiziert KUMAR (1988) mehrere StOrgr6Ben,
welche die Valididat internationaler, empirischer Studien beeintrachtigen k6nnen:
• kulturelle Vorurteile der Forscher,
• mangelnde kulturelle Anpassung der Erhebungsinstrumente,
• fehlende interkulturelle Vergleichbarkeit von Ergebnissen,
• mangelnde Zurechenbarkeit von Ergebnisbesonderheiten zu kulturellen Spezifika,
• problematische Stichprobenauswahl.
196
Die Gefahr, daB solche StorgroBen bei deutsch-osteuropaischer Empirie aufireten, ist
aufgrund der groBen interkulturellen Distanz grundsatzlich gegeben. Fiir die Wirt
schafts- und Sozialforschung im Osten sind zusatzliche Restriktionen zu beachten
(TROMMSDORFF, WILPERT 1991, 51):
• abnehmendes Vertrauen der Befragten gegeniiber westlichen Fremden,
• politische Zuriickhaltung und Absicherung,
• hoher Zeit- und Kostenaufwand fUr die Feldforschung
• Erwartungshaltung bezltglich gewiinschter Kooperationskontakte.
Moglichen kulturellen Vorurteilen wurde durch die Einbeziehung osteuropaischer For
scher, lokaler Partnerinstitute mit Feldforschungserfahrung sowie von russisch-stam
migen Projektmitarbeitem Rechnung getragen. Damit wurde auch die kulturelle Eig
nung der Erhebungsinstrumente sichergestellt. Die interkulturelle Vergleichbarkeit der
Daten wurde durch die gemeinsame Integration der Daten durch das deutsche und das
osteuropaische Forschungsteam gewahrleistet und durch russische Sprachkenntnisse der
Teammitglieder und ein ausfiihrliches zweisprachiges Glossar fUr die Verwendung in
Interviews untersrutzt.
Fiir die Erhebung wurde eine Kombination sich erganzender Methoden eingesetzt: Of
fene Interviews unter Einbeziehung der Critical-Incidents-Methode (FLANAGAN 1954)
mit einer untersrutzenden Fragebogenbefragung.
In Russland, WeiBruBland und der Ukraine wurden die Interviews und Fragebogenbe
fragungen in russischer Sprache abgehalten. In Estland, Lettland und Litauen wurden
bei den personlichen Interviews und den abschlieBenden Symposien Dolmetscher der
jewiligen Landessprachen eingesetzt. Die schriftliche Befragung erfolgte nach vorheri
ger Absprache wahlweise in englischer oder russischer Sprache.
Mit Ausnahme der deutschen Botschaft in Estland zeigten sich die deutschen und loka
len Institutionen hilfreich und kooperativ.
197
5.1.1.3 Erbebungspbasen
Die Untersuchung wurde sowohl in Form von schriftlichen und telefonischen Befra
gungen als auch durch pers6nliche Leitfadeninterviews bei ausgewiihlten Unternehmen
in den einbezogenen Landern durchgefiihrt. Die Erhebung erfolgte in vier Phasen.
Ziel der ersten Phase war die Kontaktaufnahme, Ermittlung erster Rahmendaten zur gro
ben Einordnung der verfiigbaren Unternehmen und deren Partnergesellschaften sowie
der Auswahl der untersuchten Unternehmen. Diese Erhebung erfolgte mittels einer
schriftlichen Kontaktaufnahme mit Projektdarstellung und Bitte urn Mitwirkung. Es
wurden 104 Unternehmen einbezogen. Aus den zur Mitwirkung bereiten Unternehmen
wurden insgesamt 33 fUr eine vertiefte exploratorische Befragung ausgewiihlt.
In der zweiten Untersuchungsphase wurden den 33 einbezogenen Unternehmen gemein
sam durch das deutsche und die osteuropliischen Teams vertiefende Fragen zu ausge
wiihlten Problemschwerpunkten gestellt. Die Auswahl der Schwerpunkte erfolgte so
wohl nach fachlichen (Marketing, Management) und transformationsrelevanten Kriteri
en. Die Erhebung der Daten in dieser Phase erfolgte durch Leitfadeninterviews, Frage
bOgen und Dokumentenanalysen.
Mit einer schriftlichen Nacherhebung in der dritten Phase wurde das Ziel verfolgt, feh
lende Daten zu ermitteln und Veranderungen in den Umfeldbedingungen nach dem Ab
schluB der ersten Interviews festzustellen. Aufgrund der teilweise dramatischen Trans
formationsgeschwindigkeit waren hier in einigen Flillen bereits nach wenigen Monaten
einschneidende Veranderungen festzustellen. Diese Erhebung wurde durch Fax
iibermittelte schriftliche FragebOgen sowie leitfadengestiitzte Telefoninterviews mit den
osteuropliischen Managern durchgefiihrt. Aus dieser Zwischenerhebung konnten insge
samt 24 Datenslitze fUr die Analyse verarbeitet werden.
In der vierten Phase erfolgte die abschlieBende pers6nliche Befragung der verantwortli
chen osteuropliischen Manager. Hierbei konnten aufgrund von Konkursen, Ar
beitsiiberlastung und Desinteresse einige~ Samplemitglieder nur noch 22 Unternehmen
des urspriinglichen Samples einbezogen werden.
198
5.1.1.4 Erhebungsinstrumente
Die genannten und im Rahmen der verschiedenen Untersuchungsphasen verwendeten
Erhebungsinstrumente waren
• FragebOgen (1 und 2) fUr die Vor- und Zwischenerhebung,
• LeiWiden fUr personliche Interviews und Telefoninterviews.
5.1.1.4.1 Fragebogen itir die schriftliche Befragung
Der Fragebogen (1) fUr die Kurzcharakteristik der Unternehmen (Vorerhebung 1993/94)
beinhaltete im wesentlichen erste Fragen zu den Rahmendaten der zu untersuchenden
Unternehmen. Ziel war die Identifikation fUr die Untersuchung geeigneter Transformati
onsunternehmen.
Auf der Basis der personlichen Leitfadeninterviews worden fUr die Erhebung in der
zweiten Phase schriftliche FragebOgen erstellt. Die Daten dienten der Ermittlung von
Transformationsentwicklungen und von personlich nicht abgefragten Daten. Aus befra
gungspsychologischen Griinden worde der Fragebogen in mehrere Abschnitte unterteilt,
und die komplexeren oder problematischeren Fragen, zum Beispiel zur Preisbildung,
ans Ende gestellt (Anhang 3).
5.1.1.4.2 Leitiaden itir personliche Interviews
Die Leitfaden fUr die zweite Phase (1994) dienten der ersten Ermittlung typischer Auf
gabenstellungen und Probleme in bezug auf Transformation im Marketingbereich der
Unternehmen. Die Fragen waren fUr das bearbeitete Fachgebiet Marketing gegliedert in
allgemeine Rahmen- und Branchendaten sowie in transformationsspezifische Daten zu
Umfeld, Strategie, Informationsbeschaffung und den vier Marketinginstrumenten. Er
ganzend worden kritische Problemfelder in fUr die Marketing-Transformation relevan
ten Bereichen wie Controlling, Organisation, Beschaffung und Kooperation abgefragt.
Die einleitenden Fragen nach Umfeldentwicklungen erwiesen sich wabrend der Befra
gung aufgrund der unterschiedlichen Denktradition der Manager als schwierig. Die ent
sprechenden Daten muBten durch die Interviewer daher zumeist indirekt wahrend der
Befragung zu anderen Themenbereichen mit ermittelt werden.
199
Der exploratorischen Zielsetzung folgend waren die Fragen offen gehalten und wurden
durch die Verwendung der Critical-Incidents-Methode unterstiitzt (FLANAGAN 1954;
BLOHM 1989; TROMMSDOFF, WILPERT 1991; SCHUCHARDT 1994). Mit dieser Methode
teilt der Befragte durch gelenkte Assoziation subjektiv besonders kritische und typische
Problemstellungen und Beispiele mit. Einige der befragten Manager hatten mit der Be
antwortung sehr ungelenkter Fragen Schwierigkeiten, was auf die eher reaktiv ausge
pragte Denkweise osteuropruscher Manager (KNAPP 1992; SCHUCHARDT 1994,305)
zuriickgefiihrt werden kann.
5.1.1.4.3 Symposien
Ergiinzend wurden in Moskau, Kiew und Riga regionale Symposien mit den einbezoge
nen Untemehmen und Vertretem lokaler Institutionen veranstaltet. Auf diesen Sympo
sien wurden erste Ergebnisse diskutiert und in bezug auf die weitere Verarbeitung und
Interpretation bewertet und ergiinzt. Die Untersuchungen und Symposien wurden in
mehreren Landem durch die lokale Presse kommentiert.
5.1.2 Datenbasis
5.1.2.1 Anzahl nnd Answahl der befragten Unternehmen
Fiir die Auswahl geeigneter Untemehmen fUr die Zielsetzung dieser Untersuchung wur
den mehrere Wege parallel beschritten. Zunachst wurden die lokalen Kooperationspart
ner und Marktforschungsinstitute sowie die Botschaften und Handelsvertretungen urn
Nennung geeigneter Untemehmen gebeten. Hierzu wurden Vorauswahlkriterien hin
sichtlich Branchenzugehorigkeit, GroBe und Transformationsstand gegeben. Ziel war,
pro Land funf bis sechs ehemalige Staatsuntemehmen im Anfangsstadium der Privati
sierung zu finden, die nach westeuropaischen Kategorien beziiglich Umsatz und Perso
nalstarke als Mittelstandsuntemehmen gelten wiirden. Produzierende Untemehmen des
Konsurnguterbreiches hatten die hOchste Prioritat. Es sollten jedoch nicht mehr als zwei
Untemehmen pro Land derselben Branche angehOren.
Einer ersten Auswahl geeigneter Untemehmen wurden dann in Phase 1 des Projektes
Pilotfragebogen zugesendet, urn auf der Basis der tatsachlichen Untemehmensdaten eine
fundierte Auswahlentscheidung treffen zu konnen. Hintergund fUr diesen Zwischen-
200
schritt war die mangelnde Verfiigbarkeit und VerlaBlichkeit relevanter Untemehmens
daten in den Ziellandem. Tab. 40: Befragte Sampleuntemehmenje Untersuchungsphase stellt die
Auswahl der befragten Untemehmen je Projektphase dar.
Die abnehmende Zahl der einbezogenen Untemehmen tiber die Erhebungsphasen ist
sowohl mit konkursbedingten Betriebsstillegungen als auch mit extrem positiven Ent
wicklungen im Marketing zu erklaren (LAlMA 1994/5), die dem Management ein weite
res Engagement in einem diesbeziiglichen Forschungsprojekt nicht mehr vordringlich
erscheinen lieB.
Tab. 40: Befragte Sampleunternehmen je Untersuchungsphase
Land I Branche Vorbefragung Personliche SchriftJiche Personliche Interviews Nacherhebung Interviews
RuBland 11 11 7 7 Food 3 3 2 2 Nonfood 6 6 4 4 IndustriegQter 2 2 1 1
Belarus 5 5 3 3 Food 1 1 - -Nonfood 1 1 1 1 IndustriegQter 3 3 2 2
Ukraine 6 6 5 3 Food 3 3 2 -Nonfood 2 2 2 2 IndustrieQiiter 1 1 1 1
EsUand 4 4 4 3 Food 2 2 2 1 Nonfood 2 2 2 2 Industriegiiter - - - -
Lettland 4 4 3 3 Food 2 2 1 1 Nonfood 2 2 2 2 IndustrieQiiter - - - -
Litauen 3 3 2 3 Food 1 1 - 1 Nonfood 1 1 1 1 Industriegiiter 1 1 1 1
5.1.2.2 Struktur der Stichprobeo
Entsprechend den Auswahlkriterien ergab sich, verteilt tiber die betrachteten Lander,
eine gewollt heterogene Stichprobe.
201
5.1.2.2.1 GroBe der Unternehmen
Die Samplebetriebe hatten zu Beginn der Untersuchung zwischen 100 und 5600 Mitar
beiter, im Durchschnitt waren es ca. 1000 (Abb. 33).
, o 1000 2000 3000
Milarbeiler
4000
Abb.33: GroBe der Unternehmen nach Anzahl der Mitarbeiter
5.1.2.2.2 Gesellschaftsform
5000 6000
13 der 22 Betriebe waren zu Beginn der Untersuchung bereits als Aktiengesellschaften
offenen (AGoT) und geschlossenen Typs (AGgT) bzw. GmbH privatisiert (Abb. 34).
AGgT(6)
Abb. 34: Rechtsformen der Unternehmen wiihrend der zweiten Erhebungsphase
202
Abb. 34 stellt die Rechtsformen der untersuchten Untemehmen wahrend der zweiten Er
hebungsphase dar. Bis zur dritten Phase wurden insgesamt 5 Untemehmen in privat
wirtschaftliche Rechts- und Eigentumsformen uberf'iihrt (3 in Estland, 1 in Lettland, 1 in
RuBland). Dabei handelte es sich ausnahmslos urn Aktiengesellschaften in Staatsbesitz,
die ganz oder teilweise in Privateigentum uberf'iihrt wurden.
5.1.2.2.3 Branchenbezug
Entsprechend dem exploratorischen Anspruch der Untersuchung wurden Betriebe aus
unterschiedlichen Branchen untersucht. Bei der Auswahl wurde Wert darauf gelegt, daB
vor all em Konsumguterhersteller (Food und Non-Food), jedoch auch einige Investiti
onsguterhersteller vertreten waren (Abb. 35).
Food (5)
Invest (5)
Abb. 35: Branchen der Sample-Unternehmen
Non Food (12)
Die Untemehmen waren in folgenden Branchen tlitig: Kunststoffverarbeitung, Maschi
nenbau, Elektronik, MeBtechnik, Medizintechnik, Textil- und Lederwaren, Kosmetik
und Nahrungsmittel und sonstige.
5.1.2.2.4 Kontakt mit westIichen Beratern
Sechs Untemehmen unterhielten Kontakte zu westlichen Untemehmensberatem, bei
fiinf von ihnen entstand dieser Kontakt erst wahrend der Projektlaufzeit. Diese Unter
nehmen befanden sich in RuBland, Lettland und der Ukraine.
203
5.1.2.3 QuaIitit der Datenbasis
Neben den traditionell politisch bedingten Informationsschranken in Osteuropa behin
derten auch die herkommliche Zuruckhaltung (bis zum Verschleierungsverhalten) und
die nach wie vor hiiufig anzutreffenden Scheinaktivitiiten der osteuropiiischen Manager
die Gewinnung realistischer, korrekter Daten. Durch unterschiedliche Landerbedingun
gen, Branchen, Transformationsphasen, UntemehmensgroBen und -strukturen sowie
Untemehmenskulturen gibt es Unterschiede in der Datenqualitat. Diese konnten teilwei
se durch die schriftliche Zwischenerhebung geheilt werden. Trotzdem blieb die Daten
basis zu einigen Bereichen luckenhaft und inhomogen, was deren Auswertung er
schwerte. Auf die geplante marketingbezogene Analyse ausgewiihlter Aufbau- und Ab
lauforgansiationsmerkmale muBte deshalb verzichtet werden.
Die Ergebnisse der Vorerhebung und der Fragebogenumfrage Ende 1994 liegen in Form
von ausgefiillten FragebOgen vor. Die Daten bestehen aus betriebswirtschaftlichen Un
temehmensdaten, Ratings von subjektiven Einschiitzungen und verbalen Erliiuterungen.
Je nach Kooperationsphase und Grad der Vertraulichkeit variiert die Beantwortungsrate.
Die Datenbasis der Fragebogenbefragung eignet sich daher bei manchen Fragen nur zu
qualitativen Analysen, was jedoch mit der der explorativen Zielsetzung vereinbar ist.
Die Ergebnisse der fallbezogenen Leitfadeninterviews sind in handschriftlichen und
getippten Befragungs- und Beobachtungsprotokollen sowie in Form von aggregierten
Fallstudien (vgl. Kap. 3) dokumentiert. Die ausgewiihlten Einzelfallstudien wurden im
Rahmen mehrtiigiger Aufenthalte vor Ort erhoben und durch individuelle Ruckfragen
korrigiert. Ihre Qualitiit ist gut. Die Querschnittsdaten aus der Leitfadenbefragung wur
den nach den Interviews in eine ubersichtliche Form ubertragen und durch Beobachtun
gen und Eindriicke der F orscher ergiinzt.
Prinzipiell kann man Erfolgsmessungen durch Insider oder durch Outsider durchfiihren
lassen. Das Untersuchungsdesign legt nahe, daB die Personen, die die Befragungen bei
den Untemehmen durchgefiihrt haben, auch die Erfolgsbewertung vomehmen. Durch
den Einsatz von Interviewerteams, standardisierten FragebOgen und einheitlichen Er
folgskriterien wurde dabei groBtmogliche Objektivitiit erreicht.
204
5.1.2.4 Datenauswertung
Die Untemehmen im Sample sind nach nach Branchen, Transformationsstand, GroBe,
Struktur und Strategie heterogen, was statistischen Parameteriesierungen vieler Varia
bIen des Datensatzes von vornherein widerspricht. Aufgrund der exploratorischen Ziel
setzung standen qualitative Auswertungsmethoden im Vordergrund. Zu einigen Frage
stellungen erwies sich jedoch die Anwendung einfacher quantitativer Verfahren als
sinnvoll und methodisch moglich. Die Methodik der Auswertung wird weiter unten,
nach den Erhebungsinstrumenten geordnet, dargestellt.
Die schriftliche Befragung beinhaltete deskriptive, offene und geschlossene Fakten
oder Einschatzungsfragen. Die geschlossen Fragen waren teils mit ,ja" oder ,,nein", teils
durch Ratings ("Schulnoten", Zustimmungsgrade etc.) zu beantworten. Sie waren in ei
nigen Hillen durch eine offene Zusatzfrage ergiinzt. Die Antworten in den Fragebogen 1
und 2 wurden ebeso wie die vergleichbaren quantitativen Daten aus den Leitfadeninter
views mit Hilfe eines Tabellenkalulationsprogramms (Excel) in Antworttableaus einge
geben. Die einzelnen Untemehmen waren den Zeilen zugeordnet, die Spalten den Fra
gen. Antworten auf geschlossene Fragen wurden mit 0 (Nein) und 1 (Ja) kodiert, Ra
tings mit den Zahlenwerten ,,1" bis ,,5". Umfangreichere Anworten auf offene Fragen
wurden in gesonderte Tabellen eingetragen, verglichen und moglichst gruppiert und
zusammengefaBt.
Die Auswertung der Antworttableaus erfolgte in den meisten FaIlen durch einfache
Ausziihlung, zum Beispiel: "Acht von 34 Untemehmen hatten keine Kontakte zu westli
chen Beratungsuntemehmen". Eine Gruppierung der Untemehmen nach Strategien oder
anderen betriebswirtschaftlichen Merkmalen war aufgrund der GroBe und Heterogenitat
des Samples nur in AusnahmefaIlen sinnvoll. Aus demselben Grund war die Anwen
dung statistischer Auswertungsverfahren wie Korrelations-, Kontingenz-, Cluster- und
Varianzanalysen ausgeschlossen.
Aufgrund der gegeniiber den Untemehmen zugesicherten vertraulichen Behandlung der
erhobenen Daten diirfen die untemehmensbezogenen Auswertungstableaus nicht publi
ziert werden. Die untemehmensbezogenen Daten der schriftlichen Befragungen wurden
als ergiinzende Grundlage fUr die Erstellung der vertieften Einzelfallstudien herange-
205
zogen, die als qualitatives Instrument fUr die Transformationsanalyse diente. Hauptin
formationsqueUe fUr diese Fallstudien waren jedoeh die vertieften Leitfadeninterviews
und die erganzenden Reeherehen wiihrend der mehrtiitigen Interviewbesuehe.
5.1.3 Transformationserfolg
5.1.3.1 Uberblick: Erfolgskriterien und Messung
5.1.3.1.1 MeObereich und MeOdimensionen
Die volkswirtsehaftliehe Transformationsforsehung befaBt sieh mit der Makroebene,
also dem Transformationserfolg der Gesamtheit aller Unternehmen. Da der Untersu
ehungsgegenstand der vorliegenden Untersuehung einzelne Unternehmen sind, ist
Transformationserfolg hier aufbetrieblieher Ebene zu messen, es geht also urn die Ziel
erfiiUung bei den Aufgaben der Wandlung des Betriebes aus dem alten System in ein
marktwirtsehaftliehes Unternehmen. Zur Besehreibung untersehiedlieher Transformati
onstypen soU dariiber hinaus der marktliehe Erfolg der Transformationsunternehmen
festgestellt werden, ohne den die Transformation nieht dauerhaft fortgesetzt werden
kann. Diese MeBdimensionen werden zu Beginn des t'iinften Kapitels ausfiihrlieh darge
stellt.
5.1.3.1.2 Me8zeitpunkt
Inwieweit ein Unternehmen eine erfolgreiehe Transformation durehlaufen hat, hangt
stark von dem Zeitpunkt der Erfolgsbewertung abo Hier findet sieh das oben besehrieben
Effizienz-Effektivitatsdilemma wider. Kurzfristiger monetarer Erfolg kann zu Lasten
des Aufbaus von iiberlebensnotwendigen Wettbewerbsvorteilen gehen. In der vorlie
genden Untersuehung wird versueht, eine ganzheitliehe, langssehnittorientierte Erfolgs
bewertung vorzunehmen.
5.1.3.1.3 Referenzgro8en
Ausgangszustand aller Untersuehungseinheiten war ein planwirtsehaftlieher Betrieb
osteuropaiseher Pragung. Der Zielzustand ist nieht zwingend ein marktwirtsehaftliehes
Unternehmen westlieher Vorstellung. Die Diskussion urn die mogliehe Herausbildung
einer eigenstiindigen, osteuropaisehen Marktwirtsehaft ist noeh nieht beendet. Dennoeh
206
ist es berechtigt, westliche Untemehmenszielsysteme heranzuziehen, urn ein ErfolgsmaB
fUr die Transformation zu gewinnen. Fiir die Erfolgsaussagen bieten sich weiterhin Zeit
und Betriebsvergleiche an.
5.2 Problemfelder der betrieblichen Transformation
1m folgenden werden die in den Befragungen ermittelten typischen Problemfelder und
kritischen Erfolgsfaktoren der Transformation im Oberblick dargestellt. Fiir weiterge
hende Ergebnisse aus der Befragung wird auf den Anhang verwiesen.
5.2.1 Veranderungen des betrieblichen Umfelds
5.2.1.1 Crititical Incidents
In einem transformierenden Wirtschaftssystem bedingt die Veranderung des Untemeh
mensurnfelds die Untemehmensstrategie entscheidend. Der Begriff "Umfeld" muBte
den befragten Managem i.d.R. erlautert werden: Faktoren, auf die man direkt keinen
EinfluB hat, die das Untemehmensgeschehen aber beeinflussen. Ungestiitzte Critical
Incident-Aussagen auf die Frage nach den wichtigsten Veranderungen (Abb. 36) geben
AufschluB uber Umfeldelemente, deren Einflusse als virulent empfunden werden. Diese
Art der Begragung fokussiert wahrgenommene Transformationsprobleme, die unmittel
bar spezifische Managementaktivitaten erwarten lassen.
Auf die Frage nach der Entwicklung der Branchensituation wahrend der Projektlaufzeit
antworteten elf Betriebe, die Lage habe sich verschlechtert, nur vier sahen eine Verbes
serung, davon drei aus Estland. Als wichtigste Veranderung wurde der Zusammenbruch
der friiheren Abnehmerstrukturen genannt. Zwolf Betriebe beklagten eine quantitative
und qualitative Verschlechterung der Nachfrage, insbesondere begriindet durch Kauf
kraftschwund der Bevolkerung. Vor all em Betriebe im Food-Sektor gaben an, daB sich
die Nachfrage zunachst auf Produkte mit niedrigem Preisniveau richtete, die in vielen
Fallen durch importierte Billigprodukte abgedeckt wurde (vgl. Fallstudie RAKONFI).
Diese Tendenz ist wahrend der Projektlaufzeit bereits rUcklaufig, die Bev61kerung fragt
wieder vermehrt einheimische Produkte nacho Ahnlich den Erfahrungen in Ostdeutsch
land findet eine Ruckbesinnung auf heimische Geschmacksrichtungen statt. Fur Moskau
und St. Petersburg gilt dies nur eingeschriinkt, da die Versorgungslage hier auch zu
207
planwirtschaftlichen Zeiten besser war als in der Provinz. Bei Verpackungen und Dar
reichungsformen orientieren sich die Konsurnenten allerdings an westlichen Standards.
1m Nonfood-Bereich, speziell bei Textilien, TeppichbOden, Mobeln, Unterhaltungse
lektronik und elektrischen Haushaltsgeraten, praferiert die einheimische Bevolkerung
Importe, die "besser", modischer und oft nur geringfUgig teurer sind als Inlandsproduk
teo Hinzu kommen die Attraktivitat bislang unbekannter Produkte und der Sortiment
seinfluB der Mafia auf den Handel, den sieben befragte Untemehmen beklagen. Die
verschlechterte Lage fiihrt zu Konkursen wie dem des lettischen Elektrogerate- und
Haushaltswarenherstellers STRAUME, der Nachfrage nach importierten Waren nicht be
gegnen konnte. In RuBland sank die Konsurngiiterproduktion 1995 im Vergleich zu
1994 urn 12%, die Textilproduktion urn 25% und die Bekleidungsbranche sogar urn
41% (o.V., bfai-Info Osteuropa 7/96, 9f.).
Mehr als die Halfte der Untemehmen, die das Problem des Kautkraftschwunds unge
stUtzt nicht nannten, gaben an, sie batten zumindest fUr Teilbereiche ihres Produktions
programms eine Monopolstellung. Obwohl acht Untemehmen die steigende Anzahl von
Konkurrenten als Grund fUr eine schlechtere Branchensituation anfiihren, war fUr diese
Untemehmen die neue Konkurrenz kein kritisches Problem.
Insgesamt behaupteten elf Untemehmen, Monopolisten zu sein. Zurnindest in fiinf Fal
len muB diese Einscbatzung bezweifelt werden, zumal zwei dieser Untemehmen iiber
Konkurrenten klagen. Der Begriff "Monopol" muB differenziert betrachtet werden.
Zwar gibt es Untemehmen, die eine marktbeherrschende Position haben, aber auch
vermeintlich monopolistische Untemehmen, die ihre Konkurrenz nicht wahrnehmen.
Beispielhaft hierfUr sind Aussagen von Generaldirektoren wie "wir haben keine Kon
kurrenz, wir sind die einzigen Produzenten hier in RuBland, aber die Leute kaufen lieber
auslandische Waren". So behauptet das Kiewer Untemehmen ALTSTOFFE auf die Frage
nach der Qualitat und dem technologischen Know-how, es habe keine Konkurrenz. Bei
der Frage nach der Preispolitik jedoch klagt es iiber billige Importe, die von den Kau
fern bevorzugt werden.
Drei der vier Untemehmen, die zumindest fUr Teilbereiche ihres Produktionsprogramms
faktisch ein Monopol besitzen, sind Investitionsgiiterhersteller in Markten mit hohen
Eintrittsbarrieren, z.B. Telekommunikation oder Kommunaltechnik. Das landesspezifi-
208
sche Know-how schiltzt in diesen Fallen vor Konkurrenz. So ist das russische Tele
kommunikationsuntemehmen ELEKTROPRIBOR das aufgrund landesspezifischer Stan
dards mittelfristig gegen auslandische Wettbewerber geschiitzt.
Ein Drittel der Sample-Untemehmen, mit einer Ausnahme alle aus dem Nonfood
Bereich, nannten als wichtigste Umfeldveranderungen unsichere Rahmenbedingungen
im rechtlichen, steuerlichen und politischen Bereich, z.B. Inflation, Quotenregelungen
und Zollschranken.
Konkurrenlen
Unsicherheil
Selbslandigkeil f.:ii1iWii.iW~~~3
Lieferanlen
Abb. 36: Verlinderungen des betrieblichen Umfelds (ungestlitzt, Mehrfachnennungen moglich)
Die Notwendigkeit, selbstandige Entscheidungen zu treffen, d.h. ohne Anleitung und
Vorgaben durch die Fachministerien, wurde ungestiitzt von sechs Gesprachspartnem als
wichtiges Problem genannt. Dabei handelte es sich ausschlieBlich urn kleine Be
triebseinheiten, die vor der Perestroika in groBe Kombinate eingebunden waren wie z.B.
der russische Krawattenhersteller GALSTUTSCHNAJA. Die selbstandige Kundensuche war
fUr neun der befragten Untemehmen eine gravierende Veranderung. Der Wegfall der zu
planwirtschaftlichen Zeiten iiblichen Abnahmegarantien wurde i.d.R. bedauert. Damals
wurden die Waren an ein Zentrallager geliefert, der eigentliche Kunde blieb fUr den
Produzenten anonym. Die ungewohnte Situation, auf eigene Initiative Kunden zu fin
den, ist ein groBes Problem. Oft wird auf alte personliche Kontakte zurUckgegriffen. Die
Verantwortung fUr die Akquisition neuer Aufirage lag in den meisten Fallen bei der
Betriebsleitung undloder der Vertriebsabteilung. In neun Fallen gab es entweder spezi
elle Mitarbeiter, die offenbar iiber gute Beziehungen zu potentiellen Auftraggebem ver
fiigten ("Ingenieur fUr Marketing", "Agent") oder Fabrikverkauf an die Bevolkerung
und an Mitarbeiter. Insgesamt wird die Kundensuche in den meisten Fallen unprofes
sionell und ad hoc betreiben - vom Generaldirektor bis zum LKW-Fahrer ist jeder
"verantwortlich" .
209
Direktor
Vertriebsabteilung
AuBendienst •• 0 10
sonstiges
Abb. 37: Auftragsakquisition (ungestiitzt, Mehrfachnennungen moglich)
5.2.1.2 Zusammenarbeit mit Institutionen
Die ungestiitze Frage nach der Zusamrnenarbeit mit betriebsextemen Institutionen er
gab, daB mehr als die Halfte der Untemehmen mit Handels- und Industriekamrnem zu
samrnenarbeiten, davon neun bereits bei Projektbeginn und weitere vier wahrend der
Projektlaufzeit. Dabei wurde allerdings in vielen Fallen Kritik an der Arbeitsweise der
Kamrnem geaufiert. Da die Kamrnem oft aus ehemaligen Fachministerien hervorgegan
gen sind, verfiigen sie tiber wichtige Kontakte und Informationen. Diese werden nicht
jedem in gleichem MaBe zuganglich gemacht und auJ3erdem von Mitarbeitem der
Kamrnem fur eigene Geschaftstatigkeiten genutzt. In einem Fall wurde der Vorwurf
laut, die zustandige HIK arbeite de facto als Exporteur und mache den angeschlossenen
einheimischen Untemehmen Konkurrenz.
HIKs 14
Branchenverbande
Werbeagenturen
Berater
Abb. 38: Zusammenarbeit mit externen Institutionen (ungestiitzt, Mehrfachnennungen moglich)
210
Als weitere wichtige Institutionen wurden Branchenverbiinde genannt, gefolgt von
Werbeagenturen und Beratem. Tatsiichlich hatten mehr Untemehmen Kontakte zu Be
ratungsuntemehmen, nannten sie aber nicht ungestiitzt. Diese Kontakte wurden vorwie
gend wahrend der Projektlaufzeit aufgebaut (Berater fiinf von sechs, Branchenverbiinde
sieben von elf, Werbeagenturen alle neun). Die relativ hohe Anzahl der Nennung von
Werbeagenturen ergibt sich daraus, daB Anzeigenschaltungen, auch fUr Kleinanzeigen,
nur iiber entsprechende Agenturen moglich sind. Die Zusammenarbeit bedeutet also
nicht, daB eine Werbekonzeption erarbeitet und umgesetzt wird.
Dariiber hinaus gab es, branchenabhiingig, vielfaltige Kontakte. Dazu gehOren z.B.
Arztevereinigung als Konsultationspartner bei Produktneuentwicklungen von medizini
schen Geriiten (OPTIMED), Lebensmittellabor als Qualitatskontrolleur fUr Gefliigel und
Gefliigelprodukte (VILNIUS POULTRY), Patentamt (RAKONFI), Banken und Botschaften.
Eines extemen Marktforschungsinstituts bedient sich lediglich ein Untemehmen -
NEWSKAJA KOSMETlKA, St. Petersburg. Fiir dieses Untemehmen fiihrt das Forschungs
institut NIMZ in St. Petersburg Kundenbefragungen zur Akzeptanz ihrer Produkte
.durch, vorwiegend zu Neuentwicklungen.
5.2.2 Strate~e
Die strategische Planung und das Marketingmanagement war in den untersuchten Un
temehmen nicht nach westlichen MaBstiiben zu messen. Die Gespriichspartner wurden
aufgefordert, die entscheidenden Faktoren zu nennen, die ihre Situation beschreiben.
Auf diese Frage nach den Chancen und Risiken, Stiirken und Schwiichen wurde in kei
nem Fall das Ergebnis einer systematischen Situationsanalyse priisentiert, auch wenn
vereinzelt das Instrumentarium durchaus bekannt war (z.B. ELEKTROPRIBOR, KA
MERTON). Die Einschiitzungen erfolgten ad hoc und waren sehr allgemein gehalten.
Immerhin zeichnen die angesprochenen Aspekte und die Anzahl der Nennungen ein
Bild der Selbsteinschiitzung der Untemehmen.
Bei der Einschiitzung der Lage iiberwogen die Risiken, Chancen wurden nur wenige
gesehen. Mit zehn Nennungen war die Instabilitiit des politischen und rechtlichen Um
felds das grofite Risiko, gefolgt yom Auftreten von Wettbewerbem und Kaufkraft-
2Il
schwund. Diese Einschatzung deckt sich mit jenen der Umfeldveranderungen (vgl.
5.2.1). 1m Zusammenhang mit der wirtschaftspolitischen Instabilitat werden Argumente
wie z.B. Angst vor der Regierung, stiindige Anderung von Gesetzen und steigende Steu
erbelastungen angefiihrt, fast ausschlieBlich von russischen, weiBrussischen und ukrai
nischen Untemehmen genannt - von den baltischen Untemehmen klagte nur BAL TEX
2000 tiber dieses Problem. Als weitere Risikofaktoren mit vereinzelter Nennung wurden
Rohstoffmangel bzw. starker Preisanstieg bei Rohstoffen, Verzogerungen bei der Priva
tisierung und Zahlungsprobleme genannt.
Chancen sahen nur sehr wenige Untemehmen. Knapp ein Viertel nannte das groBe
Nachfragepotential in der ehemaligen Sowjetunion, dreimal wurde ein westlicher Ko
operationspartner als Chance gesehen. Exportchancen in intemationale Miirkte wurde in
keinem Fall genannt, die Untemehmen konzentrieren sich auf die heimischen Miirkte
und schatzen ihr geringes Potential im intemationalen Vergleich realistisch ein.
Dies wird auch durch die genannten Starken und Schwachen bestatigt. Am meisten ge
nannte Stiirken waren der Kosten- und daraus folgende Preisvorteil gegentiber Importen,
die Bekanntheit der Produkte im eigenen Land und eine relativ hohe Qualitat. Weiterhin
wurden je dreimal eine Monopolstellung, ein guter Mitarbeiterstamm und Flexibilitat in
der Produktion genannt. Vereinzelte Untemehmen sahen ihre Starke im Standort, in
bestehenden Westkooperationen, gutem technischem Know-how und guten Bezie
hungsnetzwerken.
Ais groBte Schwachen wurden veraltete Technologie und fehlende Liquiditat am haufig
sten genannt. Es folgten Organisations- und Personalfaktoren. Vereinzelt wurden
Schwachen an Qualitat, Gemeinkosten und abgebrochenen Geschaftskontakten genannt.
Schlechtes Management, fehlende Marktkenntnis und fehlendes Marketingwissen wur
den jeweils nur einmal genannt.
Eine schriftlich fixierte und umfassend ausgearbeitete Untemehmensstrategie lag nur in
einem Fall vor (ELEKTROPRIBOR), die Aussagen zu diesem Thema wurden von den Ge
sprachspartnem frei entwickelt. Zum Zeitpunkt der ersten Befragung dominierten bei 20
Untemehmen im strategischen Untemehmenskonzept
212
• Veranderungen des Produktionsprogrammes hinsichtlich Diversifikation, Qualitat,
Design, Flexibilitat und Saisongerechtheit,
• Erhalt des Untemehmens und seiner Mitarbeiter und
• Autbau von Kooperationsbeziehungen, urn sich damit den erforderlichen Technolo
gietransfer und KapitalzufluB zu sichem.
Nur zwei Untemehmen waren tiber die Projektlaufzeit hinweg beziiglich ihrer Zukunft
vollig ratlos. Bei der zweiten Befragung waren vereinzelt erstmals Ansatze eines
marktwirtschaftlich orientierten untemehmerischen Denkens festzusteIlen, z.B. plante
dann ein Konversionsbetrieb, dessen Schwerpunkt bei der ersten Befragung noch auf
dem Erhalt von Arbeitsplatzen gelegen hatte, die Flexibilisierung der Produktion, die
Entwicklung neuer, modemer Produkte mit Hilfe eines amerikanischen Kooperations
partners, die Einfiihrung einer Teilkostenrechnung und die Bildung von Profit centers.
Trotz dieser ersten positiven Ansatze in Richtung Marktwirtschaft fehlte eine langfristi
ge, auf den Markt ausgerichtete Untemehmensphilosophie.
Am Ende der dritten Befragung wurden aIle Gesprachspartner gebeten, ihre drei groBten
. Wiinsche zu nennen. Die durch die entspannte und informelle Atmosphare am Ge
sprachsende geschaffene Offenheit sollte genutzt werden, urn bislang nicht geauBerte
Probleme oder Bediirfnisse zu erfassen.
• FUr sechzehn Untemehmen bestand der groBte Wunsch nach Schaffung stabiler ge
setzlicher Rahmenbedingungen. Dieser Wunsch wurde von fiinfUntemehmen an er
ster Stelle und von sieben an zweiter Stelle genannt.
• Elf Untemehmen wUnschten sich den Erhalt ihres Betriebs, verbunden mit der Er
haltung der Gesundheit ihrer Mitarbeiter und einer Qualifizierung, vor allem der
Mitarbeiter der ersten und zweiten Leitungsebene. Dieser Wunsch stand dreimal auf
Rang 1 und fiinfmal auf Rang 2.
• Ftinf Untemehmen wUnschten sich zahlungsfahige Kunden und steigende Kaufkraft
der Bevolkerung.
• Dariiber hinaus wUnschten sich die Untemehmen im einzelnen ehrlichere Ge
schaftspartner, Kapital fUr dringend benotigte Investitionen, leistungsgerechte Ent
lohnung, sinkende Rohstoffpreise, bessere Beziehungen zu staatlichen Institutionen,
hOhere gesellschaftliche Akzeptanz der untemehmerischen Tatigkeit.
213
5.2.3 Organisation
Wichtig fUr einen erfolgreichen Weg von der Plan- zur Marktwirtschaft ist fUr die Un
temehmen die Schaffung von effizienten Betriebsstrukturen. Gerade das scheint fUr die
Mehrzahl der Untemehmen problematisch zu sein. Traditionell waren sowjetische Un
temehmen streng hierarchisch organisiert. Noch heute steht meistens ein Generaldirek
torlPdisident als zentrale Machtfigur an der Spitze, der gemeinsam mit den jeweiligen
Fachdirektoren alle wichtigen Entscheidungen trifft. Typisch fUr diese Untemehmen ist
ausgepragtes Hierarchiedenken und die Besetzung aller Managementfunktionen mit
alten "Kadem", wodurch innovative Impulse aus dem "mittleren Management" unter
driickt werden.
Von elf Untemehmen liegen Organigramme vor, davon sechs sowohl zur Be
triebsstruktur zu planwirtschaftlichen Zeiten als auch nach der Privatisierung. Daraus
wird ersichtlich, daB
• sich die Bezeichnung der Untemehmensleitung verandert hat (von "Direktor/Gene
raldirektor" auf "Rat der Direktoren der Aktiengesellschaft", "Prasident der Aktien
gesellschaft"),
• kaum Veranderungen in der hierarchischen Struktur stattgefunden haben,
• wenig innerbetriebliche Rationalisierungen durch Reduzierung der Abteilungen und
Aufgabenkonzentration durchgefiihrt wurden und
• in drei Untemehmen Marketingabteilungen eingerichtet wurden.
Mehr als die Halfte der Untemehmen hat in der Zeit zwischen dem Beginn der Pere
stroika bis zum Beginn der Untersuchung ihr Personal reduziert. Dieser Effekt kam je
doch in einigen Fallen dadurch zustande, daB das jetzige Untemehmen aus einem friihe
ren Kombinat ausgegriindet wurde (z.B. KAMERTON, OPTIMED, KUHLKOMBINAT). Die
BetriebsgroBe hat einen starkeren EinfluB auf den Personalabbau als der Privatisie
rungszeitpunkt. Es gibt nicht privatisierte GroBUntemehmen, die den groBten Teil ihres
Personals abgebaut haben (z.B. RADIOTECHNIKA fiber 90%), ebenso gibt es privatisierte
und relativ kleine Untemehmen, die Personal eingestellt haben (z.B. NEWSKAJA
KOSMETIKA).
214
ALda 1-!I1,I!IIII~-
SlranTe ~!!!!jpllll!lll--
~~o~~~"~-~-~-------Baltex =~i-~ Juveel
Tallinn Mlat ~!!!~~Poultry
KuroApcratura~~~~~~~~ Audejas 1-
Budrrasch ,.. ••
t-laushatscherre
Altstoffe
Belsbez
l<arerton ~~~~ L.Jtxlnilia
KDhlkorrtlinat
~~~---------------NeY.skaja
Galstut&:hnaja
Rarrenskoje
TAO'J
8ektrop1bor +---~----~--~----~--~r---~-~-,
o 1(00 12000
.va1900
. 1993 1995
Milarbeileranzahl
Abb. 39: Veriinderungen der Mitarbeiterzahlen von 1990-1995
Wahrend, mit Ausnahme von KAMERTON, aBe befragten Untemehmen mit mehr als
1.000 Beschaftigten bereits zu Beginn des Projektes ihre Mitarbeiterzahl stark reduziert
hatten, liegt der Personalabbau bei kleinen und mittleren Untemehmen durchschnittlich
bei 15%. Sechs dieser Untemehmen haben sogar wahrend der Projektlaufzeit die Mitar
beiterzahl erhOht bzw. Strukturveranderungen vorgenommen. Ein eindeutiger Zusam
menhang zwischen Personalabbau und Branche, Region, Transformations- und Markter
folg wurde nicht festgesteBt.
215
Hauptgrund fUr den Personalabbau ist der starke Umsatzriickgang. Zurn Beispiel hat die
TALLINN MEAT COMPANY (Tallinn, Estland) zwischen 1993 und 1995 die Mitarbeiter
zahl von 935 auf 380 reduziert; im gleichen Zeitraurn sank der Umsatz von 373 Mio.
EK auf 120 Mio. EK. Ein weiterer Arbeitsplatzabbau wurde in diesem Unternehmen
durch die Privatisierungsvereinbarung zum Arbeitsplatzerhalt verhindert.
Weitere Griinde sind Ausgliederung (Outsourcing) von einzelnen Betriebsteilen (z.B.
landwirtschaftliche Einheiten, einzelne Schifisbesatzungen, einer Handelsstufe, ... ),
Strukturveranderungen (Automatisierung), durch vorzeitige Pensionierung und Verrin
gerung des Verwaltungspersonals zugunsten produzierender Bereiche. Die meisten Un
ternehmen verfiigen noch tiber soziale Einrichtungen wie Kindergarten, Erholungshei
me, Betrlebsktichen usw., wodurch der Anteil des nichtproduktiven Personals sogar ge
stiegen ist.
Problematisch ist fUr einzelne Unternehmen (z.B. BUOMASCH und ELEKTROPRIBOR) die
Abwanderung von hochqualifizierten Fachleuten. Das niedrige Lohnniveau in den Un
ternehmen veranlaBt einen Teil dieser Mitarbeiter, entweder zu besser zahlenden aus
landischen Konkurrenzfirmen tiberzuwechseln oder sich als selbstiindige Handler mit
einem hOheren Einkommen als in den Unternehmen zu betatigen.
Der Personalabbau hat sich im Laufe der Untersuchung verlangsamt. Wiihrend bei Pro
jektbeginn zw61f Unternehmen im Vergleich zur Planwirtschaft ihr Personal urn 40%
und mehr reduziert hatten, nahmen am Ende des Projekts nur noch zwei Unternehmen in
gr6Berem MaBe Personalabbau vor. Einer davon wurde erst 1995 privatisiert (TALLINN
MEAT), beim zweiten (KURO ApPARATURA) entschloB sich das Management durch den
EinfluB eines westlichen Kooperationspartner zu einem rigorosen Personalabbau. Sechs
Unternehmen planten weitere Entlassungen.
216
>40%
20% - 40%
<20% 14
Abb. 40: Personalabbau von 1990-1995
Typisch fUr die befragten Untemehmen ist, daB der Personalabbau ausgesprochen zo
gerlich betrieben wird, wobei zumindest vordergriindig versucht wird, soziale Harten zu
vermeiden. So kaschieren Untemehmen durch Betriebsferien oder verlangerten Urlaub
fUr einen Teil des Personals eigentlich notwendige Entlassungen (z.B. OPTIMED). Sie
zahlen in diesen Hillen etwa zwei Drittel des bisherigen Lohnes, wenn es die finanzielle
Situation des Betriebs erlaubt. Allerdings gibt es auch personliche Griinde der Direkto
ren, einen hohen Personalstand zu halten: Sie haben damit ein Druckmittel gegentiber
Behorden, urn Transferzahlungen oder Steuererleichterungen zu erhalten. AuBerdem
halten sie in vielen Hillen am Status Quo fest und verhindem eine effektive und mark
torientierte Untemehmensfiihrung, weil sie von in ihren Positionen privat profitieren
konnen.
Die Frage nach der Anzahl der in einer Marketingabteilung Beschaftigten wurde unter
schiedlich beantwortet. Sechzehn Untemehmen verfugen nach eigenen Angaben tiber
eine Marketingabteilung. Bei der Bewertung dieser Aussagen muB allerdings eine Ten
denz zur Beantwortung nach sozialer Erwtinschtheit beriicksichtigt werden. In den vor
liegenden Organigrarnmen ist nur in einem Fall das Vorhandensein einer Marketingab
teilung festgehalten (NEWSKAJA KOSMETIKA). Das Spektrum reicht von einem Marke
tingingenieur als Alleinvertreter bis hin zu komplexeren Strukturen mit z.B. Marketing,
Marktforschung, Kundenakquisition und Vertrieb. Feststellbar ist, daB die Untemeh
men, die mit ihren Produkten aufwestlichen Markten prlisent sind, auch tiber eine funk
tionsfahige Marketingabteilung verfugen.
217
5.2.4 Marktforschung
AIle befragten Untemehmen gaben an, Marktforschung zu betreiben, wobei sich die
Anzahl der angegebenen Aktivitiiten wahrend der Projektlaufzeit verdoppelt hat - von
19 Aktivitiiten auf 38. Unter Marktbeobachtungen fallen vor allem Sortimentsbeobach
tungen auf Messen und Miirkten. Hier holen sich die Untemehmen von den ausUindi
schen Anbietem Anregungen zum Modetrend, zu verarbeiteten Materialien und zur
Verpackung. Gleichzeitig erhalten sie auf den Wochenmiirkten und durch Handelsbe
fragungen Informationen tiber das Kaufverhalten der einheimischen Bevolkerung.
Das Hauptinteresse bei der Konkurrenzbeobachtung richtet sich auf den Preis. Teilweise
erkundigen sich Untemehmen telefonisch nach den Produktpreisen beim Mitbewerber.
Die bestehenden, langjahrigen guten, personlichen Kontakte sind dabei sehr hilfreich
(z.B. RAKONFI). AuBerdem werden Tageszeitungen fUr die Preisanalyse und Fachzeit
schriften fUr Produkt- und Verpackungsideen ausgewertet.
Kundenbefragungen werden selten, wenn dann vor allem bei Produktneuentwicklungen
durchgefiihrt. Das betrim einmal die Privatkunden. Zurn Beispiel haben NEWSKAJA
KOSMETIKA und HAUSHALTSCHEMIE Befragungen von Privatpersonen zu neuentwik
kelten Zahncremes und Kosmetika durchgefiihrt. Zurn anderen werden auch Industrie
betriebe oder gesellschaftliche Einrichtungen tiber Qualitat, Handhabbarkeit usw. der
Produkte befragt, z.B. befragt OPTIMED Arzte zur Handhabbarkeit von Endoskopen.
Marktforschung wird mit einer Ausnahme (NEWSKAJA KOSMETIKA) von den Untemeh
men selbst betrieben. Die genannten Griinde hierfiir sind:
• Untemehmen meinen, den Markt genau zu kennen,
• zu wenig Marktforschungsinstitute,
• fehlende fachliche Kompetenz,
• kein Geld, urn exteme Institute zu bezahlen.
Die Qualitiit der Befragungsmethoden muB vorsichtig beurteilt werden. Es ist anzuneh
men, daB eher unsystematische und unstrukturierte Gesprache als geplante und standar
disierte Interviews durchgefiihrt werden. Uber StichprobengroBen und -bildung konnte
keiner der befragten Manager Angaben machen.
218
'Mark!beobachtung'
Konkurrenzbeobachtung
Kundenbefragung
Abb. 41: Marktforschungsaktivitliten
15
ers\e Befragung
• dritte Befragung
Bei den Infonnationsquellen flir das Beschaffen der notigen Marktdaten iiberwiegen
Messen, gefolgt von Publikationen (Fachzeitschriften), AuBendienst und eigene Markt
forschung. Gestiitzt abgefragt, wurden diese vier Quellen von mehr als 50% der Unter
nehmen auf Rang eins oder zwei gesetzt. Bei der Nennung "AuBendienst" als drittwich
tigster Infonnationsquelle (zwolfNennungen) ist der Begriffin einem weiteren Sinn zu
verstehen, da an anderer Stelle nUT vier Untemehmen angaben, einen eigenen AuBen
dienst zu haben. Verbande und HIKs spielen eine unbedeutende Rolle (fiinfNennungen
auf den Rangen vier und fiinf).
Messen
Publikationen
Aul1endiens\
eigene Erhebungen
pers6nliche Beziehungen
sonstiges
Abb. 42: Genutzte Informationsquellen (Mehrfachnennungen moglich)
19
219
5.2.5 Marketing-Mix
5.2.5.1 Produktpolitik
5.2.5.1.1 Produktionsprogramm
Die Vedinderungen des Produktionsprogramms werden in zwei Phasen betrachtet: Zu
Beginn der Untersuchung wurde abgefragt, welche Veranderungen es seit dem Ende der
Planwirtschaft und wwend des Befragungszeitraums gegeben habe. Die meisten Un
temehmen haben Ihr Produktionsprogramm erweitert. AuffaIlig ist, daB die Anzahl der
Strukturveranderungen, also gleichzeitige Erweiterung und Verringerung in unter
schiedlichen Sparten, stark zugenommen hat. Daraus ist zu schlieBen, daB die Produkti
onsanpassung im Laufe des Transformationsprozesses differenzierter erfolgt, nachdem
in der Anfangsphase, kurz nach dem Ende der Planwirtschaft, zunachst eine einseitige
Ausweitung der Produktionsprogramme vorgenommen wurde.
Erweiterung
Struktur-veranderung
Verringerung 0
2
keine Anderung 0
Abb. 43: Veranderung des Produktionsprogramms
Die Hautgrtinde, die fur die Veranderungen genannt wurden, waren
• Anpassung der Produktion an Kundenbediirfnisse,
• Verbreiterung der Produktpalette und kleinere LosgroBen (Flexibilisierung) und
• saisonale Anpassungen.
Als Beispiel fur die Anpassung des Produktionsprogrammes an die Kundenwiinsche soli
AUDEJAS, Mobelstoffproduzent aus Vilnius, genannt werden. Die Mobel- und Dekostof
fe werden fur westliche und ostliche Kunden getrennt produziert. Sie unterscheiden sich
in Struktur, Material, Farbe und Design.
220
Weiterhin wurden erste Ansatze fUr einen hOheren Verarbeitungsgrad der Produkte im
Vergleich zwn Projektbeginn festgestellt, z.B. bei POULTRY FACTORY (Vilnius), die
ausschlieBlich frische und geraucherte Hiihnchen herstellten und heute insgesamt 20
verschiedene Verarbeitungsvarianten anbieten. Das Angebot an verarbeiteten Food
Produkten setzt bei den Verbrauchem ein geandertes Konsumtionsverhalten voraus. Als
Relilct der Mangelsituation zu planwirtschaftlichen Zeiten wird in privaten Haushalten
noch vielfach Rohware aufwendig verarbeitet und haltbar gemacht. So hat beispielswei
se das lettische Untemehmen AUDA den heimischen Markt bei Fischmarinaden tiber
schatzt. Die Kunden marinieren nach Einschatzung des Betriebs den Fisch noch selbst.
Es gibt jedoch auch Aussagen, wonach die einheimischen Konsumenten bei verarbeite
ten Foodprodukten Importe bevorzugen, da diese eine hOhere Qualitat besitzen,
schmackhafter und haltbarer sind.
Das sozialistische Wirtschaftssystem war durch eine hohe Fertigungstiefe der Unter
nehmen gekennzeichnet. Dies war eine Folge von Mangelsituationen, die aus planwirt
schaftlichen Unzulanglichkeiten der Versorgung vor allem mit Halbfabrikaten resul
tierte. Make-or-buy-Entscheidungen waren unbekannt. Entgegen der Erwartung, daB im
TransformationsprozeB durch zunehmende Arbeitsteilung und die freie Wahlbarkeit von
Zulieferem eine Tendenz zur Verringerung der Fertigungstiefe bestehe, haben sieben
Untemehmen die Fertigungstiefe erhOht und nur drei verringert. Die Zulieferstrukturen
sind in bezug auf mengenmaBige und zeitliche Zuverlassigkeit nicht ausreichend, Zulie
ferbetriebe haben ein geringes Interesse an vertraglicher Bindung. So hat z.B. der Kra
wattenhersteller GALSTUTSCHNAJA begonnen, auf sehr alten und bereits stillgelegten
Webstlihlen Jaquardstoffe zu produzieren, da die alten Beschaffungsstrukturen nicht
mehr bestehen und der Zukauf geeigneter Stoffe auf dem Weltmarkt zu teuer ist. Insge
samt ist aber zu erwarten, daB im Laufe des gesamtwirtschaftlichen Transformations
prozesses die Arbeitsteilung zunehmen wird.
Die Umstrukturierung des militarischen Sektors trifft besonders die Konversionsunter
nehmen (ELEKTROPRIBOR, KAMERTON) hart. Hier ist teilweise ein Totalausfall der bis
herigen Produktionsprogramme zu verzeichnen. Der Transformationsdruck ist in diesen
Untemehmen sehr hoch, so daB eine relativ schnelle Ausrichtung auf zivile Produkte
erfolgt. Da das technologische Know-how hier sehr hoch ist und diese Untemehmen
tiber hochqualifiziertes Personal verfiigen, wird i.d.R. angestrebt, weltmarktfahige Stan-
221
dards zu erreichen. Deshalb haben sich die befragten Unternehmen darauf konzentriert,
eine Marktnische zu tinden. So hat z.B. ELEKTROPRIBOR (Wladimir, RuBland), ein frU
herer Rustungsbetrieb fiir Luft- und Raumfahrt, die Produktion von Telefonnetzen zur
Verbesserung der Telekommunikationsinfrastruktur aufgenommen, vor allem in Hindli
chen Gebieten. Die Firma KAMERTON (Pinsk, WeiBruBland) stellt jetzt Siliciumschei
ben, Blutdruckmesser und elektronische Spiele her.
Sieben Unternehmen haben Service und Dienstleistungen eingefiihrt, wie z.B. Wartung
und Instandhaltung von Anlagen, Garantieleistungen oder Autbau eines fliichendecken
den Servicenetzes. NaturgemiiB ist hierbei kein Food-Hersteller vertreten, vier der Un
ternehmen sind Investitionsguterhersteller. Ein Beispiel fiir den Servicenetzautbau ist
KURO ApPARATURA, Vilnius. Der Hersteller von Einspritzpumpen fiir Dieselmotoren
hat wiihrend der Projektlaufzeit 16 Servicestationen im Gebiet der ehemaligen Sowjet
union aufgebaut. Dies ist allerdings ein Ausnahmefall, in der Regel werden Servicelei
stungen vom Betriebssitz aus vorgenommen. Bis auf eine Ausnahme legen die serviceo
rientierten Unternehmen Wert auf eine Qualitiitsstrategie.
5.2.5.1.2 Qualitat
National und GUS-intern hielten die meisten Unternehmen ihre eigenen Produkte flir
besser, nur fiinf Unternehmen meinten, ihre Produkte seien gleich bzw. schlechter. Drei
dieser Unternehmen waren noch nicht privatisiert. Allerdings uberschiitzen die Unter
nehmen die Qualitiit ihrer Produkte, da sie falsche VergleichsmaBstiibe (Billigprodukte)
oder willkiirliche, technologisch orientierte Kriterien anlegen. Ais Griinde fiir die quali
tative Ubedegenheit wurden wenig uberzeugende Faktoren genannt, wie z.B. eine Mo
nopolstellung, die Verarbeitung von Naturrohstoffen oder eine erhOhte Haltbarkeitsdau
er. Wiihrend der Projektlaufzeit gaben elf Unternehmen an, ihre Produktqualitiit weiter
verbessert zu haben. Vor allem den Foodproduzenten gelang es, Zertitizierungen gemiiB
einheimischem Lebensmittelgesetz, ISO 9000 bzw. EU-Hygienenorm fiir ihre Produkte
zu erhalten. Diese sind jedoch auch auf informellem Wege zu bekommen, so daB diese
Aussagen differenziert bewertet werden mussen.
International, d.h. im Vergleich zum Weltrnarkt, wurde die Qualitiit fast durchgangig als
schlecht eingeschiitzt. Nur vier Unternehmen hielten ihre Produkte fiir besser als impor-
222
tierte Ware, wobei in einem Fall (GALSTUTSCHNAJA) ostasiatische Textilimporte ge
meint waren, in zwei anderen Fallen (POULTRY FACTORY und KOHLKOMBINAT) ausliin
dische Tiefkiihlprodukte, die aufgrund unzureichender Lagerung an Frische eingebiillt
hatten. Diese Unternehmen zeichneten sich nicht durch hohes technologisches Know
how aus, so daB die Selbsteinschiitzung relativiert werden muB.
15 national 4
18 GUS-intern 2
0 besser
4 . gleich
international
10 • schlechter
Abb_ 44: Vergleichende Bewertung der Qualitlit der eigenen Produkte
Ais Griinde fUr die schlechtere Qualitat im internationalen Vergleich nannten die Unter
nehmen:
• unzureichende Qualitat der Rohstoffe, besonders aus RuBland (sechs Unternehmen),
• unzureichende Verpackung/Design (acht Unternehmen),
• Weggang von Fachkraften (ein Unternehmen).
5.2.5.1.3 Know-how
National und GUS-intern sind neun Unternehmen der Meinung, im Vergleich zu ihren
Mitbewerbern ein hoheres technologisches Know-how zu haben. Dabei handelt es sich
urn
• Unternehmen, die vermeintlich eine Monopolstellung besitzen(sechs Unternehmen),
• Investitionsgiiterproduzenten (drei Unternehmen),
• Unternehmen, die zwischen 1985 bis 1993 investiert haben (fiinfUnternehmen),
• Unternehmen mit westlichen Kooperationspartnern (drei Unternehmen).
223
national
GUS-intern
international
Abb. 45: Vergleichende Bewertung des Know-hows
9
9
••••• 11
besser
. gleich
• schlechter
1m intemationalen Vergleich sind selbst Konversionsuntemehmen schlechter mit
Know-how ausgestattet als ihre Wettbewerber. Hinzu kommt oft der unzureichende
Zustand der Gebaude. Fehlende Investitionsmittel veranlassen die Untemehmen, nach
finanzkrafiigen Investoren, moglichst aus dem westlichen Ausland, zu suchen. Immer
hin kniipfen elf Untemehmen ihre Kooperationsabsichten an die Hoffnung auf westli
chen Technologietransfer.
5.2.5.2 Preispolitik
Die Preislage wurde im Vergleich zur nationalen, zur GUS-weiten und zur intematio
nalen, d.h. westlichen oder femostlichen Konkurrenz, abgefragt. 15 Gesprachspartner
konnten differenzierte Angaben iiber die Preislage ihrer Produkte machen.
National schiitzten etwa gleich viele Untemehmen ihre Preislage hOher, gleich und nied
riger als die Konkurrenz ein. Aufgrund der erhobenen Merkmale konnen diese Gruppen
nicht unterschieden werden, so daB kein RiickschluB auf die isolierte Erfolgswirksam
keit der Preislage gezogen werden kann.
Sieben Untemehmen schiitzten ihre Produkte im GUS-Vergleich teurer em. Davon hat
ten fiinf keine konkurrenzorientierte Preiskalkulation. 1m Gegensatz dazu berucksich
tigten aIle acht Untemehmen, die ihre Preise nicht iiber denen der GUS-weiten Wettbe-
224
werber ansiedelten, die Konkurrenzpreise. Die beiden Gruppen unterscheiden sich be
ziiglich ihres Markterfolgs nicht nennenswert.
Elf Unternehmen siedelten ihre Preislage unter der der internationalen Konkurrenz an,
nur eines dariiber. Zwei Unternehmen (GALSTUTSCHNAJA und KAMERTON) differen
zierten nach ostasiatischem und westlichem Ausland. Ihre Preise lagen in Teilbereichen
fiber denen ostasiatischer Importe; es handelte sich dabei urn Textilien und elektronische
Uhren, also traditionelle ostasiatische Massenexportartikel.
national
GUS·intern
international
Abb. 46: Vergleichende Bewertung des eigenen Preisniveaus
11
h6her
_ gleich
I- niedriger
Die Mehrzahl der befragten Unternehmen praktiziert eine konkurrenzorientierte Preis
kalkulation, wobei jedoch in den meisten Fallen komplizierte kostenorientierte Kalkula
tionen angegeben wurde. Diese wurden jedoch nur fur externe Adressaten wie Aktiona
re und Steuerbehorden angefertigt. Das interne Rechnungswesen als Grundlage fur rea
listische Preisuntergrenzen ist in fast allen Fallen mangelhaft. Eine kundenorientierte
Preisgestaltung mit bewuBtem Einsatz der preispolitischen Instrumente, wie Preisdif
fernzierung oder Rabattstaffeln, gab es in keinem Fall.
Typisch fur die meisten der befragten Unternehmen ist, daB sie sehr hohe Materialko
sten, aber relativ niedrige Lohnkosten haben. Dieses zu planwirtschaftlichen Zeiten Gb
liche Verhliltnis ist weitgehend erhalten geblieben, Arbeitskraft ist nach wie vor billig.
Dieser komparative Lohnkostenvorteil, vor allem im internationalen Vergleich, ist je
doch zu relativieren, da die Arbeitsproduktivitat noch sehr niedrig ist. Die von den Un-
225
temehmen teilweise praktizierte variable Preisgestaltung bzw. Mischkalkulation (z.B.
POULTRY FACTORY) basiert weniger auf einer kostenorientierten Kalkulation als auf
einer gefiihlsmaBigen Anpassung der Preise an die aktuelle Marktsituation.Dabei wer
den zwei Preisstrategien deutlich. Zum einen wollen die Untemehmen moglichst unter
den Konkurrenzpreisen liegen, zum anderen werden bei steigender Nachfrage die Preise
erhoht. Die Gewlihrung von Rabatten wird nur von wenigen Firmen angewandt, bei
spielsweise von AUDEJAS bei Bestellungen von mehr als 10.000 qm Mobelstoff. Ein
Untemehmen (BAL TEX 2000) hat sofort nach der Privatisierung die Preise um 25% er
hOht. Mit den alten Kunden wurden "Transformationspreise" ausgehandelt. Insgesamt
ftihrt der Anstieg der Rohstoffpreise auch zur ErhOhung der Produktpreise in den Unter
nehmen.
Tab. 41: Anteile der Material- und Lohnkosten an den Gesamtkosten
Untemehmen Materialkostenanteil Lohnkostenanteil Branche
RAKONFJ 74% 7% Food
AUDEJAS 63% 25% Non Food
BUDMASCH 55% 23% Invest
5.2.5.3 Kommunikationspolitik
Die Notwendigkeit, absatzfordemde Kommunikation durchzufiihren, wird von den be
fragten Untemehmen sehr unterschiedlich gesehen. Untemehmen, deren Produkte zu
planwirtschaftlichen Zeiten bei den Verbrauchem sehr bekannt waren, glauben, daB
dieses Firmen- und Produktimage auch heute noch ausreicht (z.B. KOHLKOMBINAT,
AUDEJAS, AUDA). Sie halten nationale absatzfordemde Kommunikation und andere
MarketingmaBnahmen fur unnotig. Sie fiihren sie nur dann durch, wenn sie neue Pro
dukte vorstellen bzw. die Eroffnung eines firmeneigenen Geschliftes ankiindigen wol
len. In der Regel ist die Kommunikationspolitik eher handels- als verbraucherorientiert.
Die in Abb. 47 genannten KommunikationsmaBnahmen wurden nicht nach Qualitlit und
Intensitlit analysiert. Es wird lediglich ein Uberblick tiber das bekannte und benutzte
Instrumentarium gegeben. So ist z.B. die hohe Anzahl der Nennungen von "Medienwer
bung" vorsichtig zu interpretieren. In der Regel handelt es sich hier um regionale Print
werbung, meist textorientierte Kleinanzeigen, oder Horfunkwerbung. Die Resonanz
wird durchweg positiv beurteilt.
226
Beim Gros der Unternehmen hat sich allerdings wiihrend der Projektlaufzeit ein Wandel
vollzogen. Zu Beginn des Projektes dominierte unter den genannten absatzfdrdernden
MaBnahmen die Messebeteiligung, sowohl als Aussteller als auch als Besucher. Heute
kommen regionale Medienwerbung und kleine Werbetrager (z.B. Kalender, Trageta
schen, Kugelschreiber) hinzu. Damit sollen vor allem die GroBhandler angesprochen
werden. Der Endverbraucher als Zielgruppe spielt noch eine unbedeutende Rolle. Es
herrscht vielfach die Meinung, daB sich Werbung als Investition nicht auszahlt. Langfri
stige, imagebildende Wirkungsmechanismen werden nicht gesehen, Werbung wird al
lenfalls als Mittel zur kurzfristigen Abverkaufstimulation angesehen.
Medienwerbung 16
Messen
CD
POS·Promotion
persenliche Kontakte
Sponsoring
Direct Mail
Abb. 47: Kommunikation (Mehrfachnennungen mogJich)
Diejenigen Unternehmen, die ihre Produkte auf dem international en Markt absetzen
bzw. absetzen wollen, arbeiten mit differenzierten Werbebotschaften. Zum Beispiel
vermittelt RADIOTECHNIKA auf dem lettischen Markt die Werbebotschaft "Qualitat und
Service", im Ausland dagegen "Niedrige Preise und Naturholz". Daruber hinaus gibt es
eine Reihe von EinzelmaBnahmen, wie z.B. Vorstellung der neuen Kollektion durch
Modenschauen (z.B. LJUDMILLA, Sponsoring (z.B. KAMERTON: Herstellung von Uhren
mit speziellem Design fliT den "Rat der Kriegsveteranen" zum 50. Jahrestag des Sieges
tiber den Hitler-Faschismus, Mai 1995).
227
Die Verantwortung fiir die Marktkommunikation lag in vier Fallen von kleineren Unter
nehmen direkt beim Direktor, in immerhin zw6lf Fallen bei der Marketingabteilung und
in fiinf Fallen bei anderen Abteilungen wie z.B. der "Kommerzabteilung," "Ab
satzabteilung" oder "Verkaufsabteilung". Nur sieben Untemehmen gaben an, tiber eine
ausgearbeitete Werbekonzeption zu verfiigen. Immerhin 13 Untemehmen hatten ein
festgelegtes Werbebudget, das in drei Fallen gewinn-, in zwei Fallen kosten- und in acht
Fallen umsatzorientiert bestimmt wurde. Eine Ableitung des Budgets aus Marketinger
fordemissen gab es in keinem der untersuchten Falle.
Zum Zeitpunkt der ersten Befragung arbeitete kein Untemehmen mit Werbeagenturen
zusammen, bei der dritten Befragung neun. Zwei Untemehmen haben eine eigene Wer
beabteilung. Diese Untemehmen gaben an, Markenaufbau zu betreiben, unter den zw6lf
Untemehmen, die nicht mit Werbeagenturen, nur eines. Das BewuBtsein fiir die Not
wendigkeit von Markenaufbau und -fiihrung ist also vorhanden, auch wenn die Umset
zung nicht konsequent genug erfolgt. Dies liegt zum Teil auch in mangelhafter Aus
stattung und mangelndem Know-how der Agenturen begriindet. Sie sind vorwiegend fiir
das Entwerfen der Werbetexte im Rahmen der Medienwerbung sowie fiir die Schaltung
verantwortlich. FUr umfangreichere Arbeiten fehlt den Untemehmen das Geld.
Insgesamt: Professionelle Marktkommunikation ist langsam im Kommen, aber noch die
Ausnahme.
5.2.5.4 Distributionspolitik
Auf dem Gebiet der Distribution fanden fiir die Untemehmen seit dem Wegfall der
staatlichen Planwirtschaft gravierende Veranderungen statt. Es gibt keine Abnahmega
rantie durch Zentrallager des GroBhandels oder staatliche AuBenhandelsuntemehmen
mehr. Die Untemehmen sahen sich p16tzlich mit der bis dahin unbekannten Notwendig
keit konfrontiert, die Ware dem Kunden direkt anbieten zu mtissen. Zusatzlich wurde
das zusammenhangende Absatzgebiet der Sowjetunion in souverane Staaten mit Zoll
grenzen und eigenen Wahrungen aufgespalten. Aus diesem Grund wurden im Projekt
die Absatzgebiete nach heimischen, GUS-intemen und intemationalen Markten getrennt
betrachtet (Abb. 48). Die meisten Untemehmen belief em hauptsachlich heimische
Markte, wobei in den baltischen Staaten eine starkere Exportabhangigkeit, zusammen
228
mit der eher westlichen Orientierung der Wirtschaft, fUr eine sHirkere intemationale
Ausrichtung sorgt.
Diese Tendenz trifft fUr aIle Branchen zu. Allerdings bemiihen sich die baltischen, aber
auch die ukrainischen und weiBrussischen, Untemehmen urn die Riickgewinnung des
russischen bzw. GUS-Marktes. Sie sehen hierin langfristig gute Absatzchancen auf
Grund der GroBe des Marktes und des Nachfragepotentials. Allerdings ist der tatsachli
che Absatz noch weit von dieser Zielsetzung entfemt. Zurn Beispiel hat slch der Absatz
innerhalb der GUS bei AUOEJAS (Vilnius, Litauen) zwischen 1994 und 1995 von 70%
auf 45% verringert, bei TALLINN MEAT (Tallinn, Estland) von 30% auf 10%.
3
<20% 10
7 national
20-70% 5 . GUS • intemational
10
>70% 2
2
Abb. 48: Absatzgebiete
Mit Ausnahme von BUDMASCH (Kiew) und KAMERTON (Pinsk) exportiert bisher keiner
der befragten Untemehmen aus RuBland, WeiBruBland und der Ukraine Produkte in das
westliche Ausland. Die meisten von ihnen sehen realistisch, daB sie Absatzchancen
vorlaufig nur auf dem heirnischen Markt haben. Der Aufwand, ihre Produkte weltmarkt
fahig zu machen, ware unverhaltnismaBig hoch. Man erkennt, daB ein Verdrangungs
wettbewerb nicht gewonnen werden kann.
1m Vergleich zur Planwirtschaft hat sich die Anzahl der Kunden stark erhOht. Zurn Bei
spiel harte das Leningrader KOHLKOMBINA T (St. Petersburg) friiher pro Stadtbezirk ei-
229
nen Vertrag mit einem TORG (staatliche Handelsvereinigung), jetzt werden etwa 400
Kunden, uberwiegend kleine Geschafte, direkt beliefert.
Die Abnehmerstrukturen sind diffus und noch in der Entwicklung. Es gibt keine ein
deutige strukturelle und aufgabenbezogene Trennung zwischen GroB- und Einzelhandel.
Der Anteil des Absatzes an den GroB- und Einzelhandel versus an andere Abnehmer ist
branchenabhangig, teilweise sogar betriebsspezifisch, so daB allgemeingiiltige Angaben
wenig sinnvoll erscheinen. Ziel der meisten Untemehmen ist es, moglichst viel uber
direkte Kundenbelieferungen unter Umgehung von Zwischenhandlem und Agenten ab
zusetzen - die Distributionsfunktion des Handels wird aufgrund uberhOhter Handels
spannen als uberflussig bzw. zu teuer angesehen. Daher ist die Anzahl der Transaktio
nen fUr die einzelnen Untemehmen sehr hoch, oft mit jedem Kunden einzeln.
Neun Untemehmen verfiigen uber ein firmeneigenes Vertriebsgeschaft, in dem sie einen
Umsatz von "wenig" bis etwa 15% tatigen. Die Investitionsgiiterhersteller belief em mit
einem Anteil von 90 bis 100% die weiterverarbeitende Industrie bzw. kommunale Repa
raturstiitzpunkte. Der Mobelstotlproduzent Audejas liefert etwa 35 bis 45% seiner Pro
dukte an die Mobelindustrie. Zwei Untemehmen (OPTIMED und Kiihlkombinat) lief em
80 bzw. 40% ihrer Produkte an staatliche Einrichtungen wie z.B. medizinische Einrich
tungen, Armee, Kindergarten.
Der Einsatz von AuBendienstmitarbeitem ist noch relativ wenig verbreitet. Es ist
schwierig, vetrauenswfudige und verkaufsgewandte Mitarbeiter fUr den AuBendienst zu
bekommen. AuBerdem scheinen Begriff und Inhalt der Aufgaben von Mitarbeitem im
AuBendienst nicht eindeutig klar zu sein. So werden auch regionale GroBhandler als
AuBendienstler bezeichnet.
Die Transport- und Telekommunikationsinfrastruktur wird von den Untemehmen in der
Regel als ausreichend angesehen. Vier Untemehmen haben Probleme mit dem Trans
port, nur drei mit der Telekommunikation. Die logistischen Probleme bei der Distributi
on in Osteuropa werden von westlichen Untemehmen haufig uberschiitzt, da sie die in
formellen Verbindungen der ortsansiissigen Untemehmen nicht kennen bzw. Nutzen
konnen.
230
5.2.6 Beschaffung
Eine sehr bedeutende Veranderung fUr die Unternehmen seit dem Wegfall der zentralen
staatlichen Planung auf dem Gebiet der Beschaffung war die Notwendigkeit der eigen
standigen Suche nach Lieferanten. Bis dahin wurden fUr jeden Betrieb im Rahmen der
festgelegten Planaufgaben auch die ben6tigten Lieferungen an Rohstoffen und Halbfer
tigerzeugnissen staatlich zugeteilt, unabhangig von der Herkunft der Vorprodukte. Die
Unternehmen muBten sich jedoch auch damals pers6nlich mit den Lieferanten uber
Termine und Mengen einigen.
national 9
4 gestiegen GUS-intem 6 • gleichgeblieben
.gesunken
intemational 4
Abb. 49: Beschaffung
Das Gros der Unternehmen bezieht den uberwiegenden Teil seiner Vorprodukte von
nationalen Lieferanten (Abb. 49). Mit Ausnahme zweier estnischer Unternehmen und
einer russischen Firma, die mehr als 80% ihrer Vorprodukte importieren, liegt der An
teil von internationalen Zulieferungen unter 20%. Wahrend der Projektlaufzeit gab es
nur geringe Verschiebungen zwischen dem nationalen, GUS-internen und internationa
len Beschaffungsmarkt, wobei aber eine leichte Tendenz zu westlichen Lieferanten be
steht, da Qualitat, Mengen und Termine i.d.R. zuverlassiger eingehalten werden und
sich die inlandischen Preise dem international en Niveau angleichen. Allerdings gibt es
auch Ausnahmen: TALLINN MEAT bezog z.B. 1994 noch 100% seiner Vorprodukte von
internationalen Markten, 1995 nur noch 10%. Staatliche Beschaffungsgarantien gibt es
nicht mehr. Dadurch mussen diverse Roh- und Betriebsstoffe aus dem Ausland durch
inlandische Produkte ersetzt werden, da die n6tigen Devisen feWen. So fiihrt z.B. bei
231
der Vilnius POULTRY FACTORY (Vilnius, Litauen) der Wegfall eiweiBreichen Futtermit
tels (Mais) aus Amerika zu Ernaluungsproblemen bei der Kiickenmast Infolgedessen
gab es Ubedegungen, gemeinsam mit einem ortsansassigen Unternehrnen eine eigene
Futtermittelproduktion aufzubauen, da in Litauen kein Mais angebaut wird.
Das zu Projektbeginn noch mehrfach genannte Problem des Rohstoffmangels gehOrt
weitgehend der Vergangenheit an. Heute belastet es z.T. nur noch drei Unternehrnen
(AL TSTOFFE, Kiew; AUDEJAS, Vilnius und KAMERTON, Pinsk).
Die wesentlichsten Zulieferprobleme lassen sich wie folgt zusammenfassen:
• schlechte Qualitat der Rohstoffe, vor aHem aus RuBland (sechs Nennungen),
• schlechte Liefertreue, besonders der russischen Lieferanten (drei Nennungen),
• ErhOhung der Rohstoffpreise, fur Produkte aus dem Ausland (einschlieBlich GUS
Lander) (vier Nennungen),
• geringe finanzieHe Mittel, besonders fehlende Devisen, aber Kauf fast ausschlieBlich
durch Vorkasse bzw. Barzahlung (sieben Nennungen).
Daruber hinaus wurden hohe Importz6He (international und friihere Sowjetunion) bzw.
mangelnde PaBfahigkeit von bestimmten Zulieferteilen aus RuBland beklagt, deren
Verwendung fur Exportartikel in das westliche Ausland vorgesehen ist.
Abb. 50 und Abb. 51 zeigen abschlieBend die Chancen und Risiken fur die weitere
Entwicklung aus Unternehrnenssicht.
Firmenpotential
Flexibilila! der Produktion
Kooperationen
Monopols!ellung
Abb. 50: Chancen fiir osteuropiiische Transformationsunternehmen
232
16
Die sehr gute Bewertung des eigenen Finnenpotentials griindet meist auf der Vorstel
lung, Lohnkostenvorteile gegeniiber auslandischen Konkurrenten zu haben und, wie in
Abb. 44 und Abb. 45 gesehen, Qualitats- und Technologievorteile (verglichen mit ein
heimischen Konkurrenten), bei vergleichbaren Preisen (vgl. Abb. 46). Diese meist un
zutreffenden Einschatzungen beruhen auf nicht oder mangelhaft durchgefiihrten Analy
sen der Wettbewerbssituation.
politische Instabililiit
steigender Wettbewerb
Organisationsstruktur
verallele Technologien
Abb. 51: Risiken fiir osteuropiiische Transformationsunternehmen
8
8
Die Risiken fur die Untemehrnen werden hauptsachlich auBerhalb des Untemehrnens
gesucht und gefunden. Tatsachlich stellt die politische Instabilitat mit turbulenten Rah
menbedingungen groBe Anforderungen an die Reagibilitat der Untemehrnen. Dies und
der steigende Wettbewerb konnte bei Antizipation dieser Entwicklungen allerdings auch
als Chance fur die Untemehrnen verstanden werden.
5.3 Erfolgsfaktoren der Transformation
5.3.1 Erfolgsmessung
Urn die erfolgskritischen Faktoren des Transfonnationsprozesses zu erkennen, wurden
die Untemehrnen nach dem Kontrastgruppenansatz in erfolgreiche und nicht erfolgrei
che unterteilt. Gangige pagatorische ErfolgsmeBgroBen wie ROI, Gewinn, Umsatz usw.
konnten nicht verwendet werden, da sie nicht durchgangig erhoben werden, denn viele
Untemehrnen konnten undloder wollten keine zuverlassigen und differenzierten Anga-
233
ben fiber ihre Umsatz- und Gewinnsituation machen. Ansonsten sind die Daten u.a.
durch hohe Inflationsraten in der Aussagekraft eingeschrankt. Dies lag zum einen an
unzureichenden Buchhaltungs- und Kostenrechnungsverfahren, zum anderen an man
gelnder Auskunftsbereitschaft einiger Gesprachspartner, die aus privatisierungstechni
schen GrUnden die "wahre" Umsatz- und Kostenstruktur im Dunkeln lassen wollten.
Urn dennoch eine Erfolgsbestimmung vomehmen zu konnen, wurden eigene Erfolgsin
dizes entwickelt. Dabei wurden Transformationserfolg und Markterfolg unterschieden.
Zwar war ein positiver Zusammenhang zwischen Transformationsgrad und Markterfolg
zu vermuten, es konnen aber auch Untemehmen am Markt erfolgreich sein, ohne zu
transformieren, z.B. wenD. sie sich in einer Monopolsituation befinden. Andererseits
konnen Untemehmen, die bei der Ausrichtung auf die Marktwirtschaft relativ weit fort
geschritten sind, durch das turbulente Umfeld (z.B. Mafia-EinfluB, spontane rechtliche
Veranderungen, usw.) an der Realisierung von Markterfolg gehindert werden. Daher ist
es sinnvoIl, den EinfluB der potentiellen Erfolgsfaktoren aufbeide Erfolgsarten getrennt
zu betrachten.
Der Transformationserfolg wurde durch Indexbildung auf der Basis folgender dichoto
mer Variablen (JalNein) bestimmt, so daB aIle Untemehmen einen Transformationser
folgsindex zwischen Null und Eins erhielten:
• Sinnvolle Anpassung der Mitarbeiterzahlen,
• Konkurrenzorientierung,
• Marktorientierung der Neuprodukte und Produktmodifikationen,
• Aufnahme von Service und Dienstleistungen,
• Keine ausschlieBliche Marktbearbeitung durch den Generaldirektor,
• Sinnvolle Anpassung der Absatzgebiete,
• Abbau von Transformationswiderstanden und
• Existenz von Promotoren der Transformation.
FUr den Markterfolg wurden analog folgende Variablen zu einem Index zusammenge
faBt:
234
• Umsatz im Untersuchungszeitraum nicht gesunken,
• Ausreichende LiquidiUit bei Eigen:6nanzierung aus Umsatzen,
• Investitionslage,
• Summe der Abnehmer im Vergleichszeitraum nicht gesunken,
• Keine Probleme, Produkte abzusetzen,
• Keine Probleme, Produkte abzusetzen und Preise zumindest gleich hoch wie die der
Konkurrenz,
• Chancen und Risiken werden optimistisch eingeschatzt uod hoher Planungskonsi
stenzindikator (PKI) und
• Kooperationsinteresse eines westlichen Partners.
Die Berechnung des Markterfolgsindex findet sich in Anhang 4.
Der im Markterfolgsindikator enthaltene Planungskonsistenzindikator (PKI) driickt aus,
in welchem MaBe im Untersuchungszeitraum geplante untemehmerische MaBnahmen
tatsachlich umgesetzt wurden. Der Grund fUr die Bildung dieses Indikators war die
Feststellung, daB bei der ersten Befragung nahezu aIle Untemehmen recht optimistische
strategische Ziele fUr die weitere Entwicklung ihrer Untemehmen angaben, aber nur bei
wenigen Untemehmen die Hoffnungen auf westliche Investoren, Absatz auf westlichen
Markten, Umsatzwachstum oder Nichtentlassungen wirklich gerechtfertigt schienen.
Mit Hilfe des Indikators solI die Realitatsnahe und Konsistenz der Planung ausgedriickt
werden. Die Fragen fUr den Index beriicksichtigten geplante Veranderungen beziiglich
der
• Mitarbeiterzahlen,
• Produkte,
• Fertigungstiefe,
• Zuliefererstrukturen,
• Absatzgebiete und Vertriebssysteme,
• Marktforschung und
• Investitionen.
Untemehmen mit einem hohen PKI planen demnach konsistenter, was auf eine realisti
schere Einschatzung der Umweltbedingungen und des eigenen Potentials hindeutet.
Wenn Untemehmen mit hohem PKI ihre Chancen und Risiken positiv beurteilten, wur-
235
de dies als Indikator fUr zu erwartenden Markterfolg angesehen. Auf diese Weise konnte
das schwer operationalisierbare strategische Erfolgspotential (opportunity window) als
Erfolgsdimension beriicksichtigt wurde.
5.3.2 Transformationstypen
Uber die ErfolgsmaBe fUr Transformations- und Markterfolg konnen aIle untersuchten
Untemehmen zweidimensional abgebildet werden. Trotz der HeterogeniUit nach Unter
nehmensgroBen, Branche und Herkunft wird so ein Vergleich der Untemehmen und
damit die Kontrastgruppenbildung zur Identifizierung von Erfolgsfaktoren moglich. Es
ergeben sich vier Transformationstypen:
niedrig niedrig
Abb. 52: Transformationstypen (eigene Darstellung)
5.3.2.1 Prospect-Unternehmen
hoch
Diese Firmen verzeichnen beim Durchlaufen des Transformationsprozesses Erfolg, und
es gelingt ihnen, diesen in Markterfolg urnzusetzen. In diesem Quadranten finden sich
acht der 22 untersuchten Untemehmen. Ein Beispiel ist der SiiBwarenproduzent
RAKONFI (vgl. Fallstudie 3.1). Unter der Leitung eines gegeniiber der Marktwirtschaft
aufgeschlossenen Managements wird behutsamer Markenaufbau betrieben, die Beleg
schaft ist motiviert, und die zunehmende westliche Konkurrenz zwingt das Manage
ment, sich an Kundenwiinschen zu orientieren und die Produktion kostenorientiert um
zugestalten. Ein groBer Teil der Gewinne wird fUr transformationsfordemde Investitio
nen genutzt. Neben diesen Faktoren wird der Markterfolg durch den hohen Bekannt-
236
heitsgrad der konsumnahen Produkte und die einsetzende Riickbesinnung der Verbrau
cher auf heimische Lebensmittel begiinstigt.
Typ1: Prospect-Unternehmen
Fallbeispiel: RAKONFI
- Land: - Branche: - Produkte: - Struktur:
RuBland, Ramenskoje, Oblast Moskau S(JBwarenproduktion Bonbons, Schokolade, Pralinen AGoT, 240 MA
EinfluBgroBen des Transformationserfolgs: - Marketingaufgeschlossener Direktor - Verhaltener Markenaufbau - Hohe Motivation der Belegschaft
.,.
--
- Hoher Transformationsdruck durch auslandische Konkurrenz (Mars, .. )
EinfluBgroBen des Markterfolgs: - Hoher Bekanntheitsgrad - R(Jckbesinnung der Verbraucher - Preisvorteil
Abb. 53: Prospect-Unternebmen
5.3.2.2 Prisoner-Unternehmen
....
Diese Firmen sind wenig markterfolgreich, aber transformationserfolgreich im Sample
fiinf von 22 Untemehrnen. Ihre Bezeichnung verdanken sie der Tatsache, daB sie durch
starke strukturelle undloder urnweltbedingte Einfliisse daran gehindert werden, sich aus
ihrer Situation zu befreien. Es gelingt ihnen nicht, den Teufelskreis aus nicht marktfahi
gen Produkten, fehlenden Gewinnen und mangelnden Investitionsmitteln fUr Produkti
onsveranderungen zu durchbrechen.
Ein typisches Beispiel ist der weiBrussische Konversionsbetrieb KAMERTON. Obwohl
das technologische Know-how sehr gut ist, die Untemehrnensleitung marktwirtschaftli
cher Betriebsfiihrung positiv gegeniibersteht, iiber gute betriebswirtschaftliche Kennt
nisse verfiigt, eine funktionsfahige Marketingabteilung eingerichtet hat und ein Joint
venture mit einem amerikanischen Partner betreibt, kann insgesamt nicht von Markter-
237
folg gesprochen werden. Die Elektronikprodukte, z.B. Uhren und Computerspiele, kon
nen trotz ihrer relativ hohen technologischen Standards mit den sehr preiswerten
femostlichen Importen nicht konkurrieren. Da friiher unter militiirischer Geheirnhaltung
produziert wurde, sind das Untemehmen und seine Produkte in der Bevolkerung nicht
bekannt. Zudem genieBen technische Produkte aus dem Ausland groBeres Vertrauen bei
den Verbrauchem als heimische Produkte. Die Produktivitat ist aufgrund der heteroge
nen Produktionsstruktur des ehemaligen Rustungsbetriebs, verbunden mit sehr hoher
Fertigungstiefe, hohem Personalstand und nichtproduktiven Betriebsteilen (Kranken
haus, Wohnungen usw.), gering. Notwendige strukturelle Anpassungen schreiten, vor
allem aus sozialpolitischen Griinden, nur langsam voran.
Typ 2: Prisoner-Unternehmen
Fallbeispiel: KAMERTON
- Land: Pinsk. Weir..rur..land - Branche: Elektronik - Produkte: Siliziumscheiben. Uhren. elektronische Spiele - Struktur: staatlich. 2500 MA. Konversionsbetrieb
EinfluBgroBen des Transformationserfolgs: - Sehr marktorientiertes Management - Gute Marketingabteilung - Joint-venture mit einem amerikanischen Partner
EinfluBgroBen des Markterfolgs: - Sehr starke auslandische Konkurrenz (Fernost) - Produktivitats- und Preisnachteil - Niedriger Bekanntheitsgrad
Abb. 54: Prisoner-Unternehmen
5.3.2.3 Ignorant-Unternehmen
...... ffiR2 1 4 3 - ... - ....
Dazu gehoren zwei der 22 untersuchten Untemehmen. Ihre Transformation ist nicht sehr
weit fortgeschritten. Dennoch sind sie relativ markterfolgreich, da sie eine starke Stel
lung auf lokalen Versorgungsmarkten bekleiden. Hier herrscht geringer Transformati
onsdruck, so daB man sich nicht zu tiefgreifenden Strukturveriinderungen genotigt sieht.
Als Beispiel sei der litauische Geflugelproduzent POULTRY FARM angefiihrt: Aufgrund
der Separation der baltischen Staaten und dem Zerfall des sowjetischen Wirtschaftssy-
238
stems haben sich fiir Litauen viele VersorgungskaniUe geschlossen. Waren des taglichen
Bedarfs mussen nun importiert werden. Eine nennenswerte Rind- und Schweinefleisch
produktion gibt es in Litauen nicht, da diese Bereiche in der sowjetischen Monostruk
turwirtschaft in landwirtschaftlich effektiveren Gebiete angesiedelt wurden. Der Ver
brauch von Geflugel ist deshalb stark gestiegen. Fiir tiefgefrorene Importware, z.B. aus
Holland, sind keine ausreichenden Lagermoglichkeiten vorhanden. Da es bereits Le
bensmittelvergiftungen infolge der unterbrochenen Tiefkiihlkette gab, sind die Verbrau
cher Importware gegenuber miBtrauisch und bevorzugen einheimische Frischprodukte,
obwohl diese teurer sind. Aus dieser Position heraus werden nur zogerlich MaBnahmen
zur Implementierung von Marketing-Know-how oder zur Beseitigung alter, ineffektiver
Strukturen untemommen.
Typ 3: IGNORANT-UNTERNEHMEN
Fallbeispiel: POULTRY FARM - Land: Vilnius, Litauen - Branche: GefiOgelproduktion - Produkte: GefiOgelproduke (Hahnchen, Wurst) - Struktur: AGoT, 528 MA
EinfluBgroBen des Transformationserfolgs: - Geringer Transformationsdruck - Probleme bei der Privatisierung, keine Strukturveranderungen - Unzureichendes Marketing - Trages Management
EinfluBgroBen des Markterfolgs: - Lokale Versorgungsfunktion - Starke Marktposition als Relikt sowjetischer Monostruktur - Vertrauensvorsprung gegenOber auslandischer Konkurrenz
Abb. 55: Ignorant-Unternehmen
5.3.2.4 Loser-Unternehmen
... 2 1 I
- 4 Gl .. -
Hier kommen ungiinstige Rahmenbedingungen und ein trages und gegen marktwirt
schaftliche Strukturen eingestelltes Management zusammen. Dieser Typ ist im Sample
sieben Mal (von 22) vertreten.
239
Exemplarisch sei der russische Textilproduzent T AON vorgestelIt: Ein patriarchalischer
Direktor, der seit Jahrzehnten unangefochten an der Spitze des mit 220 Mitarbeitem
kleinen Untemehrnens steht, hat sich auf Kosten der Belegschaft den Mehrheitsanteil an
den Aktien beschafft und halt an den iiberkommenen Organisations- und Produkti
onsstrukturen fest. Ideologisch verbramt, beklagt er das Ende der Planwirtschaft. Die
Produkte sind nicht an Kundenwiinschen orientiert, Materialien sind nicht in ausrei
chender Menge und Qualitat zu beschaffen. Auslandische Wettbewerber, vor alIem aus
femostlichen Billiglohnlandem, treffen den Geschrnack der Verbraucher besser und sind
preiswerter. Der ausbleibende Markterfolg wird fremdattribuiert: Nicht die eigene Un
tatigkeit, sondem die veranderten Rahrnenbedigungen sind aus Sicht des Direktors
Schuld an der Misere.
Typ 4: Loser-Unternehmen
Fallbeispiel: TAON - Land: - Branche: - Produkte: - Struktur:
RuBland, Oblast Moskau Textil Trikotagen AGgT, 220 MA
EinfluBgroBen des Transformationserfolgs: - Alter patriarchalischer Direktor - Widerstand gegen Marktorientierung - Schlechte Produkte (Design)
EinfluBgroBen des Markterfolgs: - Starke Konkurrenz aus Fernost und TOrkei - Preisnachteil
Abb. 56: Loser-Unternehmen
5.3.3 Entwicklung eines Erfolgswirkungs-Modells
."
3 I WI - -
1m AnschluB an die Entwicklung der beiden zentralen Erfolgsindizes wird nun unter
sucht, wie Erfolg und MiBerfolg (auf beiden Dimensionen: Markt- und Transformati
onserfolg) zu erklaren sind. Dieser Anspruch stOBt auf ein methodologisches Dilemma:
Einerseits enthalt er die Forderung nach "sauberer", isolierter Wirkungsbeschreibung al
ler einzelnen Erfolgsfaktoren der betrieblichen Transformation in Osteuropa. Das solI es
240
ermoglichen abzuschatzen, wie eine ManagementmaBnahme bei dem betreffenden Fak
tor den Erfolg beeinfluBt. Die Forderung entspricht dem naturwissenschaftlich-kartesia
nischen Denken und der (auch in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften vorherr
schenden) Philo sophie des kritischen Rationalismus. Andererseits enthiilt der Anspruch
nach ErkHirung von Erfolg und MiBerfolg von betrieblicher Transformation in Osteuro
pa auch die Notwendigkeit, die Komplexitiit und Dynamik des transformierenden Sy
stems zu berucksichtigen, seine Ganzheitlichkeit und Systemik zu wahren, das interde
pendente Zusammenwirken vieler Faktoren nicht durch Partialanalyse zu ignorieren.
Bei einem Untersuchungsgegenstand wie diesem ist kaurn eine ManagementmaBnahme
isoliert vorstellbar, sie ist (wenn auch vielleicht unbewuBt) Bestandteil einer - ihrerseits
komplexen - Strategie, denn die einzelne MaBnahme wirkt mit anderen MaBnahmen und
AuBeneinflussen parallel und sequentiell zusammen. Es ware wirklichkeitsfremd, die
MaBnahme isoliert nur als PartialeinfluB zu betrachten. DaB in komplexen Manage
mentsituationen nichtlineare Wirkungsbeziehungen, Fem- und Nebenwirkungen beach
tet werden mussen, kommt schon in popularen Metaphem zum Ausdruck: "kleine Ursa
che - groBe Wirkung", "steter Tropfen hOhlt den Stein", "richtige MaBnahme zur fal
schen Zeit", "sieht den Wald vor Biiurnen nicht" usw.
In der empirischen Erfolgsfaktorenforschung (vgl. CAPON, FARLEY, HOENIG 1990;
FRITZ 1992) wurden Komplexitiit, Systemik und Dynamik bisher selten konsequent be
achtet. Neben formalwissenschaftlichen Ansiitzen wie der Chaosforschung (TURNHEIM
1991; SERVATIUS 1994a, b) und der Katastrophentheorie sind vor allem zwei empirisch
methodologische Ansiitze zur Uberwindung dieses Mangels heranzuziehen, urn das Di
lemma zu uberwinden:
• fur die konfirmatorische (hypothesentestende) Forschung die Methodik zur quantita
tiven Schiitzung von Kausalstrukturen (JORESKOG 1977; BAGOZZI 1980; HIL
DEBRANDT 1983; HOMBURG 1995)
• fur die exploratorische (hypothesenfindende) Forschung die Methodik zur Formulie
rung, Abschatzung, Abbildung und Simulation vemetzter Systeme (VESTER 1993;
PROBST, GOMEZ 1991).
FUr die vorliegende Studie ist letzteres angezeigt. FUr eine angepaBte Anwendung dieser
Methodik wird folgendermaBen vorgegangen: AIle vorhandenen Informationen wurden
zu den oben eingefiihrten ErfolgsmaBen in Beziehung gesetzt. Das wichtigste Zwischen-
241
Zwischenergebnis ist eine Matrix (22 Untemehmen X 26 Variablen), in der alle Unter
nehmen mit allen verfiigbaren Variablen gegenubergestellt wurden. Anbang 5 zeigt die
se Matrix absteigend sortiert nach der Variablen "Transformationserfolg" (vorletzte
Spalte). Die in den Spalten dargestellten UntersuchungsgegensUinde ("Variablen") wur
den mit Hilfe von Unterkriterien gewichtet. Je hoher die Anzahl der Kreuze bzw. je na
her der Wert bei eins liegt, urn so starker ausgepragt ist die Variable.
Fur jede Variable wurde diese Matrix zun1ichst absteigend sortiert. Dann wurde mit
Kreuzvergieichen geprtift, welche Faktoren andere signifikant beeinflussen (cross im
pact analysis). Auf diese Weise konnten direkte Einflusse einzelner Variablen auf ande
re Variablen festgestellt werden, insbesondere auf den Transformations- und den Mark
terfolg. Es wurden nur die unabhangigen Variablen in ihren Wirkungen untersucht.
Wiederkehrende Wirkungsketten werden nur einmalig beschrieben. Abb. 57 zeigt das
durch Verknupfung aller untersuchten Variablen entstandene Wirkungsgeruge.
Privalisierung
Belegschaftsanteil > 50%
Rechtsform
Management \
OItenheit fOr MaJlrtwirtschaH
Interne Schulung
Stralegien
Exlemer EinfluB .. .. . - . . .. . . - .. - -- ... .. -Mangelnde
~ Kooperation +--+<6enge~---~
Absatzor- ' ganisation ~
,
• ,
Abb. 57: Wirkungsgertige der untersuchten Variablen
242
~
•
,
In dem Wirkungsgefiige werden die im Rahmen der Cross impact analysis festgestellten
Einfliisse visualisiert. Die Pfeile zeigen Einfliisse von Variablen auf andere Variablen.
Dies konnen sowohl einseitige als auch wechselseitige Beeinflussungen sein. Die dicken
grauen Pfeile zeigen jene Variablen, die direkt auf den Transformationserfolg
(durchgezogene Linie) oder den Markterfolg (gestrichelte Linie) wirken. Funktionale
Bereiche sind der Ubersicht halber in Gruppen zusammengefaBt (graue Ellipsen).
Ein GroBteil der Einfliisse, die nicht direkt darstellbar waren, werden iiber die Variable
"Management" beschrieben. So haben Messen an sich noch keinen positiven EinfluB auf
den Transformations- oder Markterfolg, sondern erst die sinnvolle Nutzung durch das
Management. Andererseits hat das Management keinen EinfluB auf die Inflationsent
wicklung und den damit einhergehenden Mangel an langfristigen Investitionskrediten.
Dieser hat aber einen direkten EinfluB auf den Transformations- und Markterfolg.
Anhand dieses empirisch explorierten Wirkungsstruktur-Modells werden nun einzelne
fUr das Transformationsmanagement besonders relevante Wirkungspfade und Teilgefii
ge herausgehoben und diskutiert. Transformations- und markterfolgskritische und -un
kritische Variablen werden eingehender beschrieben.
Die strenge KausaliUit der untersuchten Einfliisse ist nicht gesichert, dazu fehlen die
grundsatzlichen kausalmethodologischen Voraussetzungen (vgl. HILDEBRANDT 1983,
HOMBURG 1995). So bleibt die Diskussion strenggenommen auf wissenschaftlich ge
srutzte Plausibiliutt beschrankt. Bei widerspriichlichen Auswirkungen der Variablen in
unterschiedlichen Unternehmen sind vorsichtige, ggf. differenzierte Schliisse geboten.
Hier geschieht das u.a. durch Unterscheidung von Variablen in ,,notwendig" und
"notwendig und hinreichend" fUr den Transformations- und Markterfolg.
Grundlage aller nachfolgenden Analysen und Bewertungen waren die FragebOgen aus
drei Befragungswellen, externe Branchenuntersuchungen, Werbematerial der Unter
nehmen, von den Unternehmen erstellte Businessplane sowie die Interviewereinschat
zungen.
243
5.3.4 Erfolgsfaktor Marketing
Die zentralen Weehselwirkungen der Variablen "effektive Marketingabteilung" zeigt Abb.58.
Extemer EinfluB ~ --- -. - ---- ~ -. - -
Management
Abb. 58: Wecbselwirkung der "effektiven Marketingabteilung" mit weiteren TransformatioDSvariablen
.. •
Nachfolgenden Erlauterungen liegt die Untersuehungshypothese HeffM zugrunde, daB
"das Vorhandensein einer effektiven Marketingabteilung positiv auf den Transfonnati
ons- und Markterfolg wirkt".
Das Marketing als eine der zentralen Variablen der Transfonnation kann nieht dureh
einen Indikator allein operationalisiert werden. Neben obiger Hypothese existieren wei
tere, die den Marketingbereieh eines Transfonnationsuntemehmens besehreiben.
Gemessen wurde die Effektivitat der Marketingabteilung tiber die Indikatoren
"angemessene Mitarbeiterzahl", "zugeordnete Funktionen (Distributions-, Preis-, Kom
munikations-, Marktforsehungs-, Produkt- und Strategiefunktion)" und einer Bewertung
ihrer Aktivitaten (Kompetenz).
Eine effektive Marketingabteilung begiinstigt das Vorhandensein einer funktionsflihigen
Absatzorganisation. Eine Organisation des Absatzes war in planwirtsehaftliehen Zeiten
nieht erforderlieh. Die AbsatzkanaIe endeten am Torausgang der Betriebe. Der Vertrieb
war haufig eine reine Verpaekungsabteilung. Mit der Einfiihrung einer Marketingabtei-
244
lung und der Notwendigkeit der eigenverantwortlichen Distribution muBte auch eine
entsprechende Absatzorganisation geschaffen werden. Ais Indikatoren wurden das Be
stehen einer effektiven Absatzstruktur, eine Anpassung der Absatzgebiete an die veran
derten Umfeldbedingungen sowie das Vorhandensein eines eigenen Vertriebsnetzes
benutzt.
Die acht Untemehmen mit den besten Bewertungen der Marketingabteilung haben aIle
auch eine gute bis sehr gute Absatzorganisation. Organisatorisch besteht haufig eine
sehr enge Verbindung beider Abteilungen, was sich auch in den Verantwortlichkeiten
widerspiegelt. Andererseits gibt es keine Belege fur eine sehr guten Absatzorganisation
ohne eine effektive Marketingabteilung, daher konnte die These
H'''MI; Eine effektive Marketingabteilung bat einen wesentliehen EinOuB auf das Bestehen einer funktionsfahigen Absatzorganisation
erhartet werden.
Die absolut markterfolgreichsten Untemehmen erhielten die besten Bewertungen ihrer
Absatzorganisation. Allerdings waren auch drei Untemehmen mit einer sehr guten Be
wertung der Absatzorganisation nicht markterfolgreich. Lediglich ein monopolistisches
Untemehmen mit einer schlechten Absatzorganisation war sehr markterfolgreich. Damit
wird deutlich, daB es sich bei der Absatzorganisation zwar um eine notwendige, jedoch
nicht hinreichende Voraussetzung des Markterfolges handelt.
HAb$a .. : Eine funktionsfiihige Absafzorganisation und -gebietsanpassung ist notwendig, aber nieht hinreiehend fUr den Markterfolg.
Es besteht ein Zusarnmenhang zwischen einer effektiven Marketingabteilung und der
Anzahl und Giite von Messeteilnahmen. Da Messen schon zu planwirtschaftlichen Zei
ten der wichtigste und oftmals einzige Kontakt der Betriebe zu Lieferanten, Konkurren
ten und Abnehmem waren, spielen sie nach wie vor eine zentrale Rolle fur die Markt
kommunikation der Untemehmen. Als Indikatoren wurden die Anzahl der genutzten
Messen sowie deren Zweck (Informationsbeschaffung, Absatzf6rderung, Partnerkon
takte) herangezogen.
245
FUr Partnerkontakte und Konkurrenzanalysen sind Messeteilnahmen erfolgskritisch.
Zwar nutzen sieben der neun Untemehrnen mit den besten Marketingabteilungen Mes
sen intensiv, doch gibt es einige Untemehrnen, die dies trotz einer schlechten Marketin
gabteilung ebenfalls tun, vennutlich aus den erwiihnten historischen GrUnden. Messe
teilnahmen sind somit nicht ausschlieBlich das Resultat effektiver Marketingabteilun
gen. Eine effektive Marketingabteilung ist somit fUr die Nutzung von Messen im osteu
ropaischen Kontext weder notwendig noch hinreichend. Entscheidend wird die Funktion
der Marketingabteilung erst wieder bei der Betrachtung des Erfolges solcher Messeteil
nahmen. Die Art der Messeteilnahmen hat einen EinfluB auf den Markterfolg. Die ef
fektive Nutzung von Messeteilnahmen ist ein Indiz fUr die Effektivitat der Marketin
gabteilung. Die reine Messeprasenz hat keinerlei positive Wirkung auf Transfonnati
onsuntemehrnen, ein Unterschied zu planwirtschaftlichen Bedingungen. Mit der Bedin
gung einer intelligenten Vor- und Nachbereitung laBt sich die Hypothese fonnulieren:
HM .... : Mes eteilnahmen sind notwendig, aber nicht hinreichend f"tir den Markterfolg.
Ein weiterer Zusammenbang konnte zwischen einer effektiven Marketingabteilung und
Kooperationen mit westlichen Partnem festgestellt werden. Das Problem der Ursach
lichkeitsfeststellung bei Kreuzvergleichen wird hier deutlich. 1st es nun die effektive
Marketingabteilung und die daraus resultierende AuBenwirkung des Untemehrnens, die
das Untemehrnen als Kooperationspartner attraktiv erscheinen laBt, oder ist es der posi
tive EinfluB des westlichen Partners auf die Umgestaltung des Marketingbereichs? Auf
grund der mangelnden Auskunftsbereitschaft und -fahigkeit sind diese Fragen in dieser
Untersuchung nicht immer eindeutig zu beantworten, aber wir haben Anhaltspunkte fiir
eine dynamische Wechselwirkung zwischen "Ursache" und "Wirkung".
Die Intensitat der Kooperationen wurde mit Hilfe von vier Indikatoren gemessen. Das
emstgemeinte Interesse eines westlichen Untemehrnens an einer Zusammenarbeit ist ein
erstes Indiz fUr das Kooperationspotential der untersuchten Untemehrnen. Die Art der
Zusammenarbeit wurde durch den Umfang des Know-how-Transfers, der Kapitalzufuhr
seitens des westlichen Untemehrnens und der Untemehrnensverflechtung beschrieben.
Die Bildung eines Joint-ventures stellt die engste Fonn der Zusammenarbeit dar.
246
Von den :fiinf Untemehmen, die ein Joint-venture mit einem westlichen Partner einge
gangen sind, hatten vier eine sehr gute Bewertung ihrer Marketingabteilung, die Marke
tingaktivitaten des fiinften Untemehmens waren zumindest noch durchschnittlich. Es
handelt sich hierbei urn ein lokal sehr bekanntes Untemehmen, welches einen begrenz
ten Wettbewerbs- und Werbevorteil vor anderen Anbietem inne hat. Auf Dauer ist diese
Position allerdings iihnlich gefahrdet wie die der Ignorant-Untemehmen (vgl. Abb. 55).
Auch wenn der positive EinfluB eines westlichen Partners auf den Marketingbereich der
untersuchten Transformationsuntemehmen unstrittig ist, fiihren i.d.R. Anstrengungen
der osteuropiiischen Seite zu ersten Kontakten mit potentiellen westlichen Partnem.
Diese Feststellung wird auch von Forschungsergebnissen zu deutsch-osteuropaischen
Joint-ventures gestiitzt (TROMMSDORFF et al. 1995, 85ff.). Die Selektion des richtigen
Ortes (z.B. Messen, KooperationsbOrsen, Branchenpublikationen im Westen) und der
Art der Ansprache (personliche Interviews, Firmenbroschiiren) gewiinschter Gesprachs
partner ist daher Aufgabe des Marketing.
HdIIlU: Effektive Marketingabteilungen sind notwendig, aber nicht hinreichend fUr das Zustandekommen von Joint-ventures (vice versa).
Der EinfluB einer effektiven Marketingabteilung auf den Transformations- und Markter
folg konnte somit indirekt tiber die Zusammenhange mit einer westlichen Absatz- und
Gebietsanpassung, Messeteilnahmen und Kooperationen mit westlichen Partner belegt
werden. Weitere, hier nicht diskutierte, erfolgsrelevante Zusammenhange zwischen ei
ner effektiven Marketingabteilung und dem Transformationsverlauf existieren. Die
Multikausalitat des Transformationsphanomens erOffuet viele Variationen.
Die markt- und transformationserfolgreichsten Untemehmen weisen die besten Marke
tingaktivitaten auf. Ausnahmen bilden zwei Prisoner-Untemehmen, die sehr gute Mar
ketingaktivitaten entwickelt haben, wobei jedoch der Markterfolg ausgeblieben ist. So
mit kann die Untersuchungshypothese bestatigt werden, mit der Ausnahme der Prisoner
Untemehmen, bei denen speziellere Erfolgsfaktoren interveniert haben.
".fIlIl: Das Vorhandensein einer effektiven Marketingabteilung ist ootwendig, aber oieht hinreichend fUr Transformations- uod Markterfolg.
247
AIle Ergebnisse noch einmal im Uberblick:
Bine Abhangigkeit zwischen einer effektiven Marketingabteilung und ...
• einer aktiven Kommunikationpolitik • Messeteilnahmen • einer Anpassung der Absatzorganisation und -gebiete • Nutzung von Markenpotentialen • einer Qualitatsstrategie • Planungskonsistenz • Kooperationen
... konnte festgestellt werden.
5.3.5 Erfolgsfaktor Technologisches Know-how
Abb. 59 zeigt zu Beginn der Diskussion die Wirkungszusarnmenhange des technologi
schen Know-hows mit den relevanten Transformationsvariablen.
Ex1emer EinfluB
Abb. 59: Wechselwirkung des "technologischen Know-hows" mit weiteren Transformationsvariablen
---
-- ..
• • •
• , #
• , • •
Die Ausgangsiiberlegung zur Untersuchung des technologischen Know-hows war die
Vermutung eines Zusarnmenhangs zwischen dem technologischen Know-how und einer
sozialistisch monopolistischen Situation. Das heiBt, je h6her das technologische Know
how ist, desto eher war dieses Unternehmen unter planwirtschaftlichen Bedingungen
Monopolbetrieb. Die Transformationsnotwendigkeit und -willigkeit der Unternehmen
248
wird von ihrem technologischen Potential beeinfluI3t. Ergebnis dieser Uberlegung ist die
Untersuchungshypothese HTKH, "ein hohes technologisches Know-how wirkt positiv auf
den Markterfolg, aber negativ auf den Transformationserfolg".
Das technologische Know-how wird gemessen fiber einen Vergleich mit einheimischen
und auslandischen Konkurrenten und durch Interviewereinschatzung. Gute Bewertun
gen des technologischen Know-hows bedeuten nicht zwangslaufig eine positive Be
wertung nach westlichen Standards, sondem nur Relationen zu den wichtigsten Konkur
renten. Untemehmen, die fiber ein hohes technologisches Know-how verfiigen, konnen
qualitativ gute Produlcte herstellen, was sie im Vergleich zu anderen Untemehmen wett
bewerbsfahiger macht. FUr eine gewisse Zeit laBt sich hiermit ein Erfolg am Markt er
zielen, was den Druck zur Umstrukturierung vergleichsweise gering halt. Der Transfor
mationserfolg ist entsprechend niedriger.
Es gibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem technologischen Know-how und
einer qualitatsorientierten Strategie. Nur ein Untemehmen von neun, das nicht fiber ein
hohes technologisches Know-how verfiigt, versucht eine qualitatsorientierte Strategie
urnzusetzen. Die Qualitat wurde durch die Untemehmen und die Interviewer beurteilt.
HTKHI : Ein hohes technologisches Know-how ist Voraussetzung fUr die Wahl einer qualitatsorientierten Strategie.
Analog sind das Markenpotential und die vorhandenen Marken zu beurteilen. Lediglich
eins von 13 Untemehmen mit hohem technologischen Know-how hat kein Markenpo
tential bzw. besitzt keine Marken. Nur ein regionales monopolistisches Untemehmen
ohne eine positive Beurteilung des technologischen Know-hows verfiigt fiber Marken.
Der Markencharakter der Produkte laBt sich somit eher als eine Alleinstellung der Pro
dukte im BewuI3tsein der Konsumenten erklaren.
HTlcm: Ein bohes tecbnologiscbes Know-how bat einen positiven Einflu6 auf das Vorhandensein von Marken oder Markenpotentialen.
Die Nutzung von Markenpotentialen oder Marken und die strategische Entscheidung
beziiglich der Qualitat sind eng verbunden mit dem Vorhandensein einer funktionieren
den Marketingabteilung. Die Untemehmen mit schlechtem technologischem Know-how
249
verfilgen tiber die schlechtesten Marketingabteilungen und vice versa. Das Problem der
Ursachlichkeitsbestimmung tritt hier nicht auf, da fast alle Unternehmen im Laufe der
Untersuchung keine fundamentalen Investitionen in technologisches Know-how tiitig
ten. Es gibt also einen ursachlichen EinfluB des technologischen Know-hows auf eine
funktionierende Marketingabteilung.
Das tecbnologiscbe Know-how beeinflu8t die Existenz einer effektiven Marketingabteilung positiv.
Ahnliches gilt fiir Kooperationen mit westlichen Unternehmen. Alle Kooperationen sind
erst im Laufe des Transformationsprozesses zustande gekommen. Die Unternehmen mit
Kooperationen erhielten eine positive Bewertung ihres technologischen Know-hows.
Ein hohes technologisches Know-how ist also attraktiv fiir einen potentiellen Investor
oder Kooperationspartner. In fiinf Fallen hat im Laufe der Kooperation auch ein tech
nologischer Know-how-Transfer stattgefunden.
HTlolJ : Ein bobes tecbnologiscbes Know-how ist vielfacb Voraussetzung fUr eioe Kooperation mit westlicben Unteroehmeo.
Die Planungskonsistenz der Unternehmen wird von dem vorhandenen technologischen
Know-how positiv beeinfluBt. Verstandlich wird dieses Phanomen bei Beachtung der
Struktur der Wirtschaft der ehemaligen UdSSR. Das technologische und menschliche
Kapital war in einigen Kernbereichen konzentriert, so daB die Unternehmen, denen un
ter sozialistischen Bedingungen keine zentrale Rolle zukam, noch heute unter der ver
gleichsweise schlechten Ausstattung an Technologie und Humankapital leiden. So hat
zwar das technologische Know-how selbst keinen EinfluB auf die Planungskonsistenz
der Unternehmen, dieser Effekt wird aber tiber das bessere Humankapital der Unter
nehmen mit hohem technologischen Know-how erklarlich.
Lediglich bei einem Unternehmen traf diese Annahme nicht zu. Bei diesem Unterneh
men ist die hohe Planungskonsistenz bei niedrigem technologischen Know-how damit
zu erklaren, daB die nach der ersten Befragungswelle negative Entwicklung der Ge
schaftstatigkeit und die daraus resultierenden Handlungen treffend eingeschatzt wurden.
Dies stand im Gegensatz zu vielen anderen Untemehmen, die bewuBt oder unbewuBt zu
positive Annahmen beziiglich der zukiinftigen Entwicklung gemacht haben.
250
"no/4: Unternehmen mit einem hoben technologischen Know-how treffen realistischere Annahmen fiber ihre zukiinftige Entwicklung.
Der EinfluB einer effektiven Marketingabteilung auf eine adaquate Absatzorganisation
wurde schon beschrieben. Der positive Zusammenhang zwischen einem technologi
schen Know-how und einer adaquaten Absatzorganisationen wird dadurch erklarlich.
Entgegen eingangs formulierter Untersuchungshypothese erhielten aile transformati
onserfolgreichen Untemehmen eine positive Bewertung ihres technologischen Know
hows. Gleiches gilt fur den Markterfolg, d.h. aIle Prospect-Untemehmen erhielten eine
positive Bewertung ihres technologischen Know-hows. Aufgrund dieser Erkenntnis
muB die Hypothese HTKH umformuliert werden in:
HTKH: Rohes technologisches Know-bow wirkt positiv auf den Markterfolg und positiv auf den Transformationserfolg.
Weitere indirekte Einfliisse werden in dem Wirkungsgefiige zu Beginn des Kapitels
deutlich. So hat ein hohes technologisches Know-how nicht automatisch einen EinfluB
auf das Vorhandensein einer effektiven Marketingabteilung, sondem es bedarf eines
verstandigen Managements zur deren Einrichtung. Gleiches gilt fur den Transformati
onserfolg. Folgende Ubersicht faBt die erkannten Abhangigkeiten zusammen.
Eine Abhangigkeit zwischen einem hohen technologischen Know-how und ...
• Kooperationen mit westlichen Partnem • dem Vorhandensein von Marken • einer effektiven Marketingabteilung • einer Qualitatsstrategie • hoher Planungskonsistenz
... konnte festgestellt werden.
5.3.6 Erfolgsfaktor externer Einflu8
Bei der vorliegenden Untersuchung wurde der exteme EinfluB auf den Transformati
onsprozeB zurn einen wiihrend der Privatisierungsperiode und zurn anderen wiihrend der
gewohnlichen Geschiiftstatigkeit untersucht. Die Indikatoren, mit denen der exteme
PrivatisierungseinfluB gemessen wurde, beziehen sich auf den Zeitpunkt der Hilfe, die
251
Art des Einflusses und das Privatisierungsergebnis. 1m einzelnen wurde der EinfluB von
extemem Kapital, extemem Management, extemen Beratem, Bankkrediten, Zeitpunkt
und Art der Privatisierung betrachtet. Wie oben angesprochen, wurde der EinfluB eines
Kooperationspartners mit Hilfe der Indikatoren "Kontakt zu westliehen Untemehmen",
"Know-how-Transfer", "Kapitalbeteiligung" sowie "Grtindung eines Gemeinschaftsun
temehmens" operationalisiert. Die Unterteilung in zwei Arten des extemen Einflusses
beruht auf der Tatsache, daB einige Untemehmen zwar im Rahmen der Privatisierung
exteme Unterstiitzung fUr den operativen Privatisierungsvorgang hatten, nieht jedoch fUr
die eigentliche managementbezogene Untemehmensumstrukturierung. Beispiele hierftir
sind reine Rechtsberatungen im Rahmen groBerer Gebietsprivatisierungen, in denen
aber kein Management-Know-how verrnittelt wurde. Ein Hlngerfristiger, strategischer
EinfluB auf die Geschiiftsprozesse kam eher tiber Kooperationen mit westlichen Part
neruntemehmen zustande. Grundtiberlegung beider Betrachtungen ist die Hypothese
HExt. daB "extemer EinfluB positiv auf den Transformations- und den Markterfolg
wirkt".
Privatisierung Extemer ElnfluB Beschaffung
Management
Abb. 60: Wechselwirkung des "externen EinOusses" mit weiteren Transformationsvariablen
252
5.3.6.1 Privatisierung
Die Erfolgswirksamkeit extemer Privatisierungseinfliisse ist nieht klar zu erkennen.
Zwar sind sieben von zehn Untemehrnen mit einem solchen EinfluB transformationser
folgreieh, doeh sind dies aueh seehs von zwolf Untemehrnen ohne eine solche Hilfe.
AhnIieh verhalt es sieh beim Markterfolg. Ffulf von zehn Untemehrnen mit auBenste
hender Hilfe sind markterfolgreieh, genauso wie fiinf von zwolf ohne solche Hilfe. Ein
zig die vier Untemehrnen mit den absolut sehleehtesten Bewertungen beider Dimensio
nen, die Loser-Untemehrnen, finden sieh in der Gruppe der Untemehrnen ohne jegliehe
Hilfe. Somit ist der exteme PrivatisierungseinfluB zwar eine intervenierende, jedoeh
nieht himeichende Bedingung fUr Transformations- und Markterfolg.
Hprivl : Externer EinfluB bei der Privatisierung interveniert ilber andere Einfliisse auf den Transformations- und Markterfolg.
5.3.6.2 Rechtsform
Die Reehtsform als Ergebnis der Privatisierung liefert eine weitere Erklarungsmoglieh
keit des Transformations- und Markterfolgs. Man darf wohl annehrnen, daB eine friih
zeitige Zuriiekfiihrung des staatliehen Einflusses positiv auf diese Ziele wirkt. Bei den
untersuehten Untemehrnen war der Zeitpunkt der Privatisierung jedoeh nicht so ent
seheidend wie die neu gewlihlte Reehtsform des Untemehmens.
Die negativsten Bewertungen hatten Untemehrnen mit der Reehtsform der AktiengeseIl
sehaft gesehlossenen Typs (AGgT), bei der aIle Aktien von Untemehmensmitgliedem
gehalten werden. Fast aile Loser-Untemehmen sind in dieser Gruppe. Relativ transfor
mations-, jedoeh kaum markterfolgreieh waren die zum Zeitpunkt der letzten Befragung
noeh staatliehen Untemehmen. Am erfolgreiehsten sind die Untemehmen mit einer Ak
tiengesellsehaft offenen Typs (AGoT), bei der aueh Publikumsaktien ausgegeben wer
den. Kein Ignorant-Untemehrnen ist hier zu finden, aber bis auf zwei Ausnahrnen aIle
Prospeet-Untemehrnen. Die Mehrzahl der Prisoner-Untemehmen sind noch staatlieh.
Aufgrund fehlender Marktehaneen lassen sich hier kaum nationaIe oder intemationale
Kaufer oder Partner finden. Aueh scheint eine Umstrukturierung in eine AktiengeseIl
sehaft mit der Aussicht auf Aktienverkaufe in dieser Situation wenig aussiehtsreich.
253
Die Frage, warum die Aktiengesellschaften offenen Typs erfolgreicher sind, ist schwie
rig zu beantworten. Auf den Dimensionen "intemationale Beschaffung", "Existenz von
Promotoren" und "Marketing" werden sie zwar besser bewertet, sie heben sich jedoch
auf keinem der Indikatoren kIar hervor. Die aufschluBreichste ErkIiirung fmdet sich in
der Person der Generaldirektoren. Die besonders gut in das aIte Beziehungsnetz einge
bundenen Direktoren haben erfolgreich versucht, sich in Form einer geschlossenen AG
von extemen Einflfissen abzuschotten, urn alleinige NutznieBer eines potentiellen oder
vorhandenen wirtschaftlichen Erfolgs zu sein (vgl. Kap. 4).
Die KausaIitat der Einflfisse ist aber nicht eindeutig. 1st es nun ein marketinggeschultes
Management, daB sich fur die Rechtsform der AGoT entschlieBt, oder ist es der fiber
den Aktienmarkt vergleichsweise groBere marktliche Druck, der ein marketingaufge
schlosseneres Management zur Folge hat? Auch das FaIlbeispiel von Rakonfi (vgl. 3.1)
ermoglicht keine streng kausale Deutung. Die UntemehmensgroBe und landerspezifi
sche Privatisierungsgesetze haben bedeutenden zusatzlichen EinfluB.
Hp,iv1: Die Rechtsform der Aktiengesellschaft offenen Typs (AGoT) zeigt den besten Transformations- und Markterfolg.
5.3.6.3 Kooperationen
Anhand des Indikators "Kooperation mit westlichen Untemehmen" lassen sich mehrere
transformations- und marktrelevante Erfolgsfaktoren erkennen. Die Ursachlichkeitsbe
stimmung ist bier wiederum Problem, da aIle Kooperationen schon vor der ersten Be
fragung bestanden. Es laBt sich also nicht fur aIle Indikatoren eindeutig sagen, wie die
Fakten aufeinander eingewirkt haben.
Bei "Kooperationen" und "Marketing-Know-how" ist die Ursachlichkeit einfacher zu
beurteilen. Ein Blick auf die Gesamtzahl von kooperationswilligen Firmen in Ost und
West zeigt, wer die groBere Wahlfreiheit beziiglich des Partners hat. Ausnahmslos aIle
befragten Untemehmen streben eine Kooperation mit Untemehmen aus dem Westen an.
Geht man nun davon aus, daB dies auf eine Vielzahl osteuropaischer Untemehmen zu
trifft, so ergibt sich ein groBes Ungleichgewicht an kooperationswilligen osteuropai
schen und westlichen Untemehmen: Vergleicht man die immense Zahl osteuropaischer
Untemehmen mit der Anzahl der Untemehmen im Westen, die emsthaft eine Koopera-
254
tion in Osteuropa anstreben, so wird deutlich, daB nur die osteuropiiischen Unternehmen
mit dem besten Potential und der besten AuBenwirkung ernsthaft als Kooperationspart
ner in Frage kommen. Gerade die AuBenwirkung eines Unternehmens wird maBgeblich
von den Marketinganstrengungen determiniert.
Zu Beginn der Transformationsprozesse mag dies noch anders gewesen sein, als koope
rationsinteressierten Westunternehmen durch die zustandigen AuBenhandelsstellen po
tentielle Partner vorgestellt wurden. Mit zunehmender Transparenz der Miirkte, zu de
nen auch die Unternehmensmiirkte ziihlen, andert sich dies. Da die Initiative zur Griin
dung eines Joint-venture meist von osteuropiiischer Seite ausging, erst von den AuBen
handelsstellen und nun von den Unternehmen selbst, ist das Unternehmensmarketing
immer wichtiger geworden (TROMMSDORFF et al. 1995, 85ff.). Dies beginnt schon mit
der Kontaktaufnahme. 18 der 22 untersuchten Unternehmen hatten schon Kontakte zu
Westfirmen, doch nur fiinfkonnten daraus ein Kooperationsunternehmen griinden.
Werden die hiiufig iiberzogenen Vorstellungen an einen potentiellen Westpartner in be
zug auf Kapital- und Managementtransfer nicht schon beim ersten Kontakt erfiillt, so
stellt sich schnell Enttiiuschung ein. Verstiirkte eigene Initiative bei der Partnerwahl, das
Einkalkulieren der Moglichkeit des Scheiterns von Gespriichen und eine realistischere
Einschiitzung der Potentiale der Westunternehmen sind nur einige der Faktoren, die die
Kooperationswahrscheinlichkeit der Unternehmen positiv beeinflussen wiirde. Hiiufig
werden diese Notwendigkeiten allerdings nicht gesehen. Der Verweis auf ein einmaliges
Nachfragen nach einem Kooperationspartner in auslandischen Konsulaten wird schon
aIs Bemiihung urn einen Kooperationspartner angefuhrt. Es verwundert nicht, daB die
vier Unternehmen ohne einen Westkontakt zu den sechs Loser-Unternehmen gehoren.
1m Zuge des Aufbaus einer Kooperation, sei es intern im osteuropiiischen Partnerunter
nehmen oder extern in Form einer Neugriindung, ist das Marketing der Bereich, der von
westlicher Seite aIs erfolgsentscheidend angesehen wird. Er ist meist mit geringem fi
nanziellen Einsatz umstrukturierbar. Ein positiver Effekt auf die Marketingbemiihungen
der osteuropiiischen Partner durch westliche Kooperationsunternehmen ist gegeben.
Kooperationen wirken positiv auf das Marketing-Know-how der osteuropiiischen Partner.
255
Weitere Zusammenhange lassen sich zwischen der Untemehmensgrofie und dem Ko
operationserfolg finden. AIle groBen Untemehmen (mehr als 1000 Mitarbeiter) in dem
vorliegenden Sample haben mindestens einen Kapital- und Know-how-Transfer mit
westlichen Untemehmen, vier der :fiinf grofiten betreiben ein Joint-venture. Wegen der
traditioneIlen Partnerselektion durch die AHK (AuBenhandelskommission) und durch
die meist intensiveren Messeteilnahmen der GroBuntemehmen scheinen GroBe und fi
nanzieIles Potential fUr das Zustandekommen der Kooperationen ursachlich zu sein.
"KOOPI: GroOe Transformationsunternehmen haben eher die Moglicbkeit, sicb an einem Joint-venture zu beteiligen, als klein ere.
Andererseits bieten sich den kleineren Untemehmen aufgrund der Spezialisierungsvor
teile, der zunehmenden Transparenz der Untemehmensmarkte und dem freien Zugang
zu den relevanten Informationsmarkten verbesserte Kooperationsmoglichkeiten. Somit
entfaIlt das historisch wichtige Joint-venture-Griindungsmotiv Informationszugang, das
friiher hauptsachlich GroBuntemehmen bieten konnten (TROMMSDORFF et al. 1995, 86).
Kleinere Untemehmen bringen meist geringere soziale Belastungen in eine Kooperation
ein. Kindertagesstatten, eigene Krankenhauser, Kantinen und Sporteinrichtungen sind
oft im Besitz groBer Untemehmen und steIlen finanzieIle Belastungen dar, die nicht
ohne Weiteres abgestoBen werden konnen. Soziale Verpfiichtungen, die im Westen von
der offentlichen Hand getragen werden, waren iiberwiegend in den groBen Kombinaten
und Untemehmen angesiedelt. So hat etwa eine Gemeinde die Schenkung eines unter
nehmenseigenen Krankenhauses wegen der Unterhaltskosten abgelehnt.
"KooP): Kleinere Unternebmen werden zukiinftig an Attraktivitiit als Kooperationspartner gewinnen.
Die Untemehmen des baltischen Raums haben geographisch und historisch in der An
bahnung von Joint-ventures Vorteile. Sechs der neun Untemehmen mit Kontakten, Ka
pital- und Managementtransfer kommen aus dieser Region. Umgekehrt laBt sich aIler
dings keine Aussage treffen, d.h. auch unter vergleichsweise ungiinstigen Rahmenbe
dingungen, wie z.B. in WeiBruBland, ergeben sich Kooperationsmoglichkeiten.
H KOO"': Unternehmen aus dem baItischen Raum besitzen geograpbische UDd historische Vorteile bei der Anbahnung von Joint-ventures.
256
Die Untemehmen mit groBem extemen EinfluB bei ihrer Privatisierung haben die inten
sivsten Kooperationsbeziehungen. Teilweise entstand aus dieser Zusammenarbeit ein
Kooperationverhaltnis oder ihre Publizitat hat sieh aufgrund dieses Einflusses so erhOht,
daB sie als Kooperationspartner von Westuntemehmen eher wahrgenommen wurden.
Umgekehrt hatten zu privatisierende Untemehmen mit einer Westkooperation per defi
nitionem einen extemen EinfluB bei diesem PrivatisierungsprozeB.
H K •• PS: Externer Einflu8 bei der Privatisierung erhoht die Wahrscheinlichkeit einer Kooperation.
Auffallig ist, daB alle osteuropaisehen Kooperationspartner tiber sehr gute personliehe
Beziehungen (Zulieferanten, Abnehmer, Behorden) verfiigen - daher die naeh wie vor
groBe Bedeutung des Zugangs zu Informationen als Griindungsmotiv fur Joint-ventures.
Das Problem der Ursaehliehkeitsbestimmung stellt sieh hier nieht. Unter den fiinf Un
temehmen ohne nennenswerte Beziehungen finden sieh die vier Untemehmen, die noeh
nieht einmal Kontakt mit einem westliehen Untemehmen hatten.
Per onliche Beziehungen erhohen die Kooperationswahrscheinlichkeit fUr 0 teuropaische Unternehmen.
Die in der osteuropaisehen Wirtsehaft bedeutenden Gegengesehiifte haben fur die
Sample-Untemehmen keine besondere Relevanz. Zwar betreiben elf der 22 Untemeh
men Gegengeschafte, doeh werden sie nieht als lebensnotwendig eingestuft. Sie leisten
einen Beitrag zur Untemehmensfinanzierung und damit zum Fortbestand des Untemeh
mens. Wiehtig sind Gegengesehafte nur fur Rohstoffliferanten und Anlagenbetreiber.
Kein Loser-Untemehmen hat West-Kooperationen. Nur zwei der Prospeet-Untemehmen
haben keine intensiveren Kontakte zu westliehen Untemehmen. Hierzu gehort aueh
RAKONFI. Das wurde in der einleitenden Fallstudie trotz der ansonsten sehr positiven
Entwieklung und den klugen Managemententseheidungen als negativ bewertet. AIle
Untemehmen mit einer intensiven Beziehung zu auslandisehen Untemehmen haben
Transformationserfolg, mit Ausnahme von drei Prisoner-Untemehmen.
"K.ap: Kooperationen wirken positiv auf den Transformationsund den Markterfolg.
257
Zusammenfassend zu diesem Abschnitt:
Eine Abhangigkeit zwischen externem EinfluB bei der Privatisierung undloder Kooperationen und ...
• der UnternehmensgroBe • den personlichen Beziehungen • dem wechselseitigen EinfluB beider Variablen • dem Transformations- und Markterfolg
... konnte festgestellt werden.
5.4 Zusammenfassung
Nachfolgende Ubersicht faBt die Abhangigkeiten zwischen dem Transformationserfolg
und den untersuchten Variablen zusammen.
Transformationserfolgreiche Betriebe ...
... sind eher Investitionsgtiterhersteller,
... haben einen externen EinfluB bei der Privatisierung,
... haben eher Kooperationen mit westlichen Unternehmen,
... tiitigen mehr Gegengeschiifte,
... beschaffen mehr international,
... verfiigen tiber wesentlich bessere Beziehungen,
... haben funktionsfahigere Marketingabteilungen,
... bemiihen sich eher urn eine Qualitiitsstrategie,
... haben eine deutlich bessere Absatzorganisation,
... kalkulieren eher kosten- und konkurrenzorientiert,
... haben ein wesentlich hOheres technologisches Know-how und
... sind eher markterfolgreich.
Nicht transformationserfolgreiche Betriebe ...
... haben eher Fiihrungskriifte ohne Marketingkenntnisse,
... verfiigen nicht tiber Marken oder Markenpotential,
... nutzen Messen weniger,
... planen inkonsistent,
... kalkulieren nicht marktorientiert und
... sind weniger markterfolgreich.
258
6 Unterstiitzung der betrieblichen Transformation
6.1 Zusammenfassung kritischer Problemfelder der Transformation in Osteuropa
Die Analyse der Transformations-Rahmenbedingungen auf makrookonomischer, mi
krookonomischer und personeller Ebene ermoglichte die systematische Erfassung von
EinfluBfaktoren auf den betrieblichen TransformationsprozeB. FUr eine problemorien
tierte TransformationsunterstUtzung ist diese formale Gliederung jedoch zu starr. 1m
folgenden werden deshalb zunachst die fUr die betriebliche Transformation erfolgskriti-
Loser·Unlemelvnen IgllOllWlt-Vntemelmen
Prisoner-Untemehmen
Prosped-Vnteme/Vnen
Slrategie
Scostiges
Abb. 61: Gliederungsschema filr die Strategiediskussion
schen Komplexe kurz nach Pro
blembereichen zusammengefaBt
(Tab. 42). "Problem" wird dabei
wertneutral verwendet. Manche
der gesammelten Problemfelder
beinhalten auch bereits kurzfristig
Chancen, langfristig urn so mehr.
AnschlieBend werden fUr jeden
Transformationstyp Empfehlun-
gen zur strategischen Ausrich
tung, dem moglichst effizienten Einsatz des Marketinginstrumentariurns und anderer
ManagementrnaBnahmen zur UnterstUtzung des betrieblichen Transformationsprozesses
gegeben. Es entsteht eine dreidimensionale Matrix, die als Gliederungsschema fur 6.2
dient (Abb. 61). Die strategische Diskussion orientiert sich nicht primar an den iiberge
ordneten Problemfeldern, sondern an relevanten Einzelphanomenen (Tab. 42).
Tab. 42: Problemfelder der Transformation in Osteuropa
Problemfeld Einzelphanomene Umfeld
UdSSR-A1Hasten • kleinere Lander haben uberproportionale Beschaffungs- und Absaizsatzwierigkeilen RechUicher Rahmen • Nichtdurchsetzbarkeit von rechUichen Anspnichen Privatisierung • Kein ZuftuB von extemem Kapital
• Kein Zugang zu extemem Know-how • Untemehmen wurden zu Spekulalionsobjeklen • Ungenugende Finanz- und Kapitalmarkte • Widerstande und MiBtrauen der Unlemehmensmitglieder (3 Ebenen) unlereinander
Institutionen • unzureichende Unterstiitzung von Verbanden und Kammem • unzureichende Inanspruchnahme der Funktionen der Verbande und Kammem • ungenugende Finanz- und Kapiialmarkte
259
Mark! Branchensiluation • Wegfall staatlicher I kommunaler Auftrage
• schwere Substituierbarkeit der bestehenden Produkte (bes. Investitionsgiiterbereich) • Kaufkraftschwund
Konsumentenl • Verfiihrung durch westliche Werbung Abnehmer • Einkommenspolarisierung
• Ruckbesinnung auf einheimische Geschmacker • Wandel von Verkaufer- zu Kaufermarkten • negative Einstellung gegenuber Werbun!l
Konkurrenten • intemationale Konkurrenz (Turkei, SUdostasien, Westeuropa) • haufig minderwertige Billigprodukte, schwarz importiert • hOherwertige Produkte sind beziiglich Design und Qualitat nicht erreichbar • Nichterkennen von Konkurrenz (Pseudo-Monopolisten)
OrganisationIFuhrung Struktur • Hierarchie
• neue, nicht funktionsfahi!le Abtellun!len Fehlendes marktwirt- • fehlende Management-Expertise schaftliches Know-how • Unterschied zwischen PR und Werbung nicht erkannt
• Qualitats- und Kostenbewu~lsein unterentwickelt • kein Denken in Wertschopfungsprozessen • Festhalten an Standardprodukten • Handelsfunktion nicht erkannt • Funktion des Handels nicht zufriedenstellend (Verderb, Diebstahl) • fehlende Verkaufsflachen des Handels • Marktforschung ohne Kunden • fehlende Innovativitat • negative Einstellung gegeniiber Werbung • Werbung nicht als Investition erkannt • einseitige Produktionsorientierung
Mitarbeiter • QualiUils- und Kostenbewu~tsein fehlen • Nolwendigkeit der Annahmen von Zweit- und Drit1jobs • psychologischer Druck der Umbruchsituatlon • fehlendes Au~endienst-Know-how • Brain drain zu auslandische Konkurrenten oder in die Selbstandigkeit • Brain lack (insbes. Loserl
Mana!lement Strategie • keine Ziel- und Strategieformulierung
• keine Siluationsanalyse • Untemehmen sind sich ihrer Starken und Schwachen nichl bewu~t • Fremdattribution (Politik)
Preispolitik • Preispotitische Spielraume werden nicht ausaenutzt Kommunikationspolitik • keine klaren Ziele und Konzepte vomanden
• kein CI-Denken Produktpolitik • undifferenzierte Ausweilung des Produktionsprogramms
• keine zielorientierte Differenzierung, im Laufe der Transformation verbessert • immenser Transformationsdruck im Bereich der Konversionsunternehmen, der in
Vorteil umschlagen kann lProsoect. Prisonerl Distributionspoltik • Infrastruktur
• Ausdehnung des Landes (Ru~land) • Marktabdeckung • Stra~ntransPOrte I Niederlassunaen: Mafia lKonkurrentenl oder aemeine Verbrecher
260
Marktforschung • Marktforschung ohne Konsumenten • Untemehmen glauben den Markt genau zu kennen • zu unspezifische Datenquellen, Sekundardaten die jedermann zuganglich sind • zu konkurrenzorientiert, nur Preise, nicht abnehmerorientiert • Ingenieursorientierung in den Fuhrungsebenen, Produktfokus, keine Abnehmer • keine langfristige Absatzsicherung durch Erkennen der zukunftigen Bedurfnisse • kein Know-how • Marktforschungs-Instituts-Konzentration in den Metropolen • Vorsicht bei der Institutsauswahl
Beschaffung • Planwirtschaftliche Abhangigkeit teilweise noch vorhanden • Lieferfristen, Zuverlassigkeit, Preise, Zolle • Verpackuno
Messen • Uberbewertung der Funktionen von Messen • Messen nicht nur als Verkaufsforderunosinstrument nutzen
Ungenugende Nutzung • Nichterkennen von Markenpotentialen der vorhandenen • Nichterkennen von eigenen Produktpotentialen Ressourcen Marken • Werbepreise sind noch verhaltnismal1ig gunstig
• ,Kopfe der Konsumenten sind noch leere Festplatte" • undifferenzierte Fokussierung auf den Aufbau von Unternehmensmarken • Ausgaben fOr Werbeagenturen werden oescheut
Verpackung • ungenugende Kapazitat • ungenugende Qualitat • ungenuoende werbliche Nutzung der Verpackung, Differenzierung
6.2 Strategische Empfehluugen f"tir Transformationsunternehmen
Nach einigen allgemeinen strategischen Uberlegungen werden ausfiihrlich Empfehlun
gen fur Loser- und Prospect-Untemehmen vorgestellt. Dies geschieht teilweise durch
Gegeniiberstellung der beiden Untemehmenstypen, urn die unterschiedlichen Potentiale
und Handlungsspielraurne zu verdeutlichen. Da Prisoner- und Ignorant-Untemehmen
jeweils auf einer Dimension identisch mit den beiden anderen Untemehmenstypen sind,
werden nur abweichende Empfehlungen expliziert, ansonsten auf Entsprechungen bei
den Loser- und Prospect-Untemehmen verwiesen. Bei allen Empfehlungen ist der Cha
raIder unserer Untersuchung zu beachten, die zwar einen zeitlichen Langsschnitt macht,
aber mitten im TransformationsprozeB stattfand. Langfristig werden Untemehmen ohne
Markterfolg verschwinden, und solche ohne Transformationserfolg, also insbesondere
die Ignorants, werden sich nur halten, wenn ihre zur Zeit giinstigen Rahmenbedingun
gen erhalten bleiben oder sie sich an Anderungen anpassen kannen, also ebenfalls trans
formieren. Damit laufen die Empfehlungen darauf hinaus, die Position der Prospects zu
starken und anderen Untemehmen Wege aufzuzeigen, wie sie noch zu Transformations
und Markterfoig kommen kannen.
261
6.2.1 Allgemeine Empfehlungen
Das in Kapitel 2 vorgestellte Transformationsphasenschema dient als Gliederungskrite
rium fur die Entwicklung typenabhangiger Transformationsstrategien. Abb. 62 zeigt das
idealtypische Transformationsvorgehen, unabhangig vom Transformationstyp.
Analyseebene
Dispositionsebene
Bestimmung der Transformationsausgangssituation
Ideen fij r die Proze!!und Produktlransfor
mation suchen
Abb. 62: Transformationsphasenvorgehen
Bewertung und Auswahl
der Ideen
Operationalisierung der Transfor
mationsstrategie
T r an sformation So
stralegie
Inner- und aullerbelriebliche Umsetzung der
Transformationsstralegie
Konzepte und Methoden der ersten drei Transformationsphasen werden untemehmens
iibergreifend osteuropaspezifisch untersucht. Unterschiedliche Potentiale der Untemeh
menstypen, die eine idealtypische Umsetzung entsprechend des Schemas nicht erlauben,
werden herausgearbeitet. 1m Rahmen der anschlieBenden typenspezifischen Strate
gieempfehlungen wird der Schwerpunkt auf die Bestimmung und Operationalisierung
der Marketing-Strategien und des operativen Marketing-Mix gelegt.
6.2.1.1 Bestimmung der Transformationsausgangssituation
Fast aile untersuchten Untemehmen gaben an, ihre Mfukte und Konkurrenten zu ken
nen, ebenso die daraus abzuleitenden operativen und strategischen MaBnahmen. Auf
grund der hierarchisch-vertikalen Wirtschaftsstruktur sozialistischer Wirtschaftssyste
me, deren Wertschopfungskette sehr transparent war, ist diese Einschiitzung erklfulich,
doch meist nicht zutreffend. Erste und wichtigste Aufgabe fur ein Transformationsun
temehmen ist daher, die veranderte Wettbewerbsposition mit Hilfe einer strategischen
Situationsanalyse zu erfassen. Diese umfaBt eine Untemehmens-, Konkurrenten-,
Markt- und Umweltanalyse. Jede dieser Analysen erfordert anderes Know-how, und
jede ist unterschiedlich relevant fur die einzelnen Transformationstypen. Die einzelnen
Analysen werden mit ihren Kriterien (BECKER 1993, 352ff.; MACHARZINA 1993, 227ff.)
262
checklistenartig vorgestellt. Die Relevanz irn osteuropiiischen Umfeld und die Durch
fiihrbarkeit der Analysen werden fUr Loser- und Prospect-Untemehmen skizziert.
Kaurn ein Loser-Untemehmen gesteht sich diese Position ein, fremdattribuierte Schuld
zuweisungen sind die Regel (z.B. TAON, LJUDMILLA). Realistisches Erkennen der ei
genen Schwiichen ist unverzichtbar. Die Analysen werden nach den gangigen Kriterien
differenziert, deren Relevanz fUr Transformationsuntemehmen bewertet wurde, und im
Vergleich der Loser- zu den Prospect-Untemehmen dargestellt, siehe Tab. 43. "Durch
fiihrbarkeit" bedeutet dabei nicht die Moglichkeit, eine Verbesserung durchzufiihren,
sondem die Moglichkeit, die betreffenden Informationen zu gewinnen. Es geht hier urn
die Durchfiihrbarkeit der strategischen Analyse, nicht der Umsetzung ihrer Ergebnisse.
Besondere Aufmerksamkeit muG jeder Untemehmenstyp auf die Analysebereiche legen,
die eine hohe Relevanz im osteuropiiischen Umfeld haben und tiber die unsere Einschiit
zungen Hinweise auf die tendenziellen Analysemoglichkeiten geben. Industrie- und
situationsabhangig konnen die tatsiichlichen Verhiiltnisse sehr verschieden sein.
Tab. 43: Kriterienbewertung der Unternehmensanalyse (Loser versus Prospect)
Unlemehmensanalyse Relevanz im osleu- DurchfUhrbarkeit DurchfUhrbarkell r~aischen Umfeld fUr Loser" fUr Prosoects"
Umsatzentwicldung + - 0
Cash-Flow-Entwicklung + - 0
Entwicklung Personalbestand 0 0 0
Entwicklung der fixen und variablen Koslen + - +
Markelingleistung (Sorlimenl, Breite, Tiefe, + - 0 Leistung, Zusatznutzen, ... )
Preis (Preisniveau. Rabatte. Konditionenj 0 - +
Produktion (Programm. Technologie) 0 + +
F & E (Akliviliiten, Potential) + - +
Finanzen (Kapitalvolumen, -slruktur, Reser- + 0 + ven, Uquiditat)
Personal (Wille, Kima, Entgeltpolitik, Sozial- + 0 0 leislungen
Fiihrung. Organisation (Know-how, Strate- + - 0 gie-Struklur-Fit. Qualital Fiihrungskrafte
Innovationsfahigkeit (EinfUhrung neuer MarkUeistungen. Erschlier!ung neuer Markle + - + und Absatzkanale
- - -Legende. + - gul, 0 - mittel. - - schlecht
263
Es gibt viele "Pseudo-Monopolisten", namlich Unternehmen, die nicht wissen (wollen),
daB ihre scheinbar monopolistische Position nicht existiert oder sehr gefahrdet ist (z.B.
STRAUME). Ahnliches gilt fUr die Ignorant-Unternehmen, die die Gefahr ihrer Lethargie
in einer vermeintlich gefestigten Position nicht erkennen. Auslandische Konkurrenten
oder Substitutionswettbewerb aus anderen Branchen wird nicht als solcher erkannt.
Die Analyse der Wettbewerber sollte auf denselben Dimensionen erfolgen wie die Un
ternehmenspotentialanalyse, urn ein aussagekriiftiges Starken-/Schwachen-Profil zu
ermoglichen. Da die Datenerhebung im eigenen Unternehmen problematisch genug ist,
gilt dies fUr fremde Unternehmen urn so mehr. Eine vereinfachte Konkurrentenanalyse,
bei der die relativen Potentiale (Tab. 44) zum starksten Wettbewerber verglichen wer
den, sollte jedoch moglich sein.
Tab. 44: Kriterienbewertung der Konkurrentenanalyse
Konkurrentenanalyse Relevanz 1m osteu- Durchruhrtlarkelt D.~rCl!runrtlarkelt ropaischen Umfeld fUr .Loser" fUr ,Prospects'
relative Marktposition (GroBe, Finanzkrafi, + Marketingpotential)
0 +
, relatives Produktionspotential (Standortvorteile, Flexibilitat der Anlagen, + 0 + Serviceleistungen, Innovationsfahigkeil)
relatives Forschung- und Entwicklungspo- 0 0 + tential (Innovationspotential, Forschung)
relative Qualifikation der Fiihrungskrafte und der Mitarbeiter (Fiihrungssystem, Klima, + - 0 Professionalitat der Urteilsfahigkeil)
- -Legende. + - gut. 0 - mittel, - - schlecht
Die Marktanalyse dient der Erkennung von interessanten strategischen Geschaftsfeldem
und der Elimination schwacher Sparten oder Produkte.
Tab. 45: Kriterienbewertung der Marktanalyse
Marktanalyse Relevanz 1m osteu- Durchfiihrbarkelt Durchfiihrbarkeit ropaischen Umfeld fUr ,Loser" fUr ,Prospects'
Ma.rktwachstum + - +
MarktgroBe 0 0 +
Wettbewerbssituation + - +
Branchenrentabililal + - +
Preispolitischer Spielraum 0 0 0
Eintrittsbarrieren + - 0
Konjunklurabhangigkeil + 0 +
Energie-, Rohsloffversorgung 0 + + Legende: + = gut, 0 = mittel, -= schlecht
264
Bei der Umweltanalyse (Tab. 46) werden die wirtschaftlichen, politisch-rechtlichen,
sozialen, technologischen, und geographischen Umweltfaktoren erfaBt und analysiert.
Diese Daten sind allgemein zuganglich und mussen nicht unternehmensindividuell er
hoben werden.
Tab. 46: Kriterienbewertung der Umweltanalyse
Umweltanalyse Relevanz im osteu· Durchfl!hrbarkeit Dur~fijhrbarkeit ropaischen U mfeld liir .Loser' liir ,Prospects'
Okologie (Verfiigbarkeit Energie, Rohstoffe, - - 0 Trends Umweltbewuf!tsein
Technologie (Produktionstechnologie., Pro- + - 0 duktinnovationen, Substitutionstec., ... j
Wirtschaft (Einkommen, intern. Handel, + 0 + 0 Inflation, Kapital- und Beschaffungsmarkte, Konjunktur, relevante Wirtschaftssekloren)
Demographische und soziale Entwicklungen 0 0 0
Politik, Recht (global, parteipolitisch, Arbeits- + 0 + rech~ Gewerkschaften, Handlungsfreiheit)
- - -Legende. + - gut, 0 - mittel, - -schlecht
6.2.1.2 Ideen f"tir die ProzeB- und Produkttransformation
Die Veranderungsnotwendigkeit bei allen Transformationsunternehmen steht auBer Fra
ge. Ebenso die Neuheit der Transformationsaufgabe. Normkonzepte stehen bisher nicht
zur Verfiigung. Dies und der vergleichsweise homogene Ausbildungsstand der Mitar
beiter in osteuropaischen Transformationsunternehmen bedingt und erm6glicht die un
ternehmensweite Mitarbeiterpartizipation an der Transformation. Beispiele wie
NEWSKAJA KOSMETIKA zeigen einen ausgeprochen zentralistischen Umgang mit opera
tiven und strategischen Tatigkeiten - mit Konzentration auf die Person des Generaldi
rektors.
Auch wenn die endgultige Entscheidung der Generaldirektor zu treffen hat, sollten zu
mindest in der Friihphase der Produkt- und ProzeBtransformation die Mitarbeiter umfas
send einbezogen werden. Eine breite Sammlung von ProzeB- und Produktideen auf allen
Hierarchieebenen ist anzuraten. Problematisch ist, daB Generaldirektoren fiirchten,
durch Mitarbeiterpartizipation Schwache zu zeigen. Sorgfaltige interne Kommunikation,
Etablierung von unterschiedlichen Promotoren und eine adaquate Mitarbeiterbeteili
gung, insbesondere zur Ideengewinnung sind dringend anzuraten. Werden die Methoden
genau erkliirl und wird die gestiegene Verantwortung der Mitarbeiter richtig kommuni-
265
ziert, so ist fiber die reine Ideengewinnung hinaus ein besseres Problemverstiindnis und
erhOhte Mitarbeitermotivation zu erreichen (siehe Fallbeispiel RAKONFI).
KreativiUitstechniken konnen auf allen Ebenen besonders fUr die ProzeBtransformation
eingesetzt werden. Wie in Kapitel 2 angedeutet, versagt das Modell einer hundertpro
zentigen Kopie westlicher Untemehmensstrukturen und Managementphilosophien in
Osteuropa. Wertvolle Impulse konnen aus dem Untemehmen selbst kommen. Kreativi
tat selbst ist schwer erlembar, die Techniken zur UnterstUtzung von latent vorhandener
Kreativitat sehr wohl.
Der Bereich der Produktvariation und -modifikation sollte im Transformationsunter
nehmen eher systematisch-analytisch angegangen werden. Hierf'Ur spricht das stark in
genieurwissenschaftlich gepragte Ausbildungssystem. In der Friihphase der Transfor
mation haben viele Untemehmen ihr Produktprogramm wahllos ausgeweitet in der
Hoffnung, irgendwelche Abnehmer wiirden ihre Produkte schon finden. Dieses irratio
nale Vorgehen kann mit systematisch-analytischen Kreativitatstechniken diszipliniert
werden. Oft ist der Kundenwunsch nicht weit von dem bestehenden Produkt entfemt
oder eine Marktentwicklung in andere Branchen hinein relativ einfach. Die Anwendung
der Methode des morphologischen Kastens kann licht zu Ideen fUr die Erweiterung des
Anwendungsbereichs fiihren. Zum Beispiel konnte OPTIMED, ein Hersteller flexibler
Endoskope fUr den Einsatz in Krankenhausem in RuBland, schnell zu weiteren Anwen
dungsideen kommen. Flexible Endoskope werden z.B. in westlichen Landem bei der
Motordiagnose benutzt. Ein Einsatz in RuBland ist durchaus nicht abwegig.
Bei der Projektteambildung ist darauf zu achten, daB auf eine in westlichen Untemeh
men durchaus wiinschenswerte Teambildung fiber hierarchische Grenzen hinweg ver
zichtet wird. Das wahrgenommene Risiko, "falsche" Vorschlage zu machen, wiirde die
Effektivimt von hierarchiefibergreifenden Teams gefahrden. Erfolgversprechender ist
die Teambildung auf hierarchisch gleichen Ebenen, die von Teammanagem (General
direktor, Marketingdirektor, etc.) gefiihrt werden.
266
6.2.1.3 BewertuDg uDd Auswahl der IdeeD
Die Auswahl und Bewertung von Ideen stellt Transformationsunternehmen vor eine
vollig neue Aufgabe, obwohl "Rechen"-Know-how und -kapazitiiten hinreichend vor
handen sind. Konzepte auf ihre Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit hin zu iiberpriifen
erfordert marktwirtschaftliches Know-how und marktorientiertes Denken, die jedenfalls
bei Loser- und Ignorant-Unternehmen nicht vorhanden sind. Die technische Realisation
(Feasibilitystudie), bei der die Umsetzung beziiglich der benotigten Ressourcen (Kom
petenz, Kapital, Werkstoffe) gepriift wird, ist machbar. Die Wirtschaftlichkeitsrechnung
ist wegen der schwierigen Datenlage problematisch. Eher zu realisieren ist die Wert
analyse aus Kundensicht, niimlich in Form einer Produkt-Evaluation bei Zielkunden.
Fiir Loser- und Prisoner-Unternehmen ist dieser Schritt entscheidend, da ihr Entschei
dungsspielraurn sehr eingeschriinkt ist, denn Fehler bei der Selektion sind fur sie bereits
existenzbedrohend. Prospect-Unternehmen konnen die Analyse und Bewertung der Ide
en aufgrund ihrer besser gesicherten Marktstellung sehr griindlich vornehmen, notwen
dige methodische Schulungen extern erhalten und die Verfahren implementieren. Die
Verteidigung ihrer Marktposition erfordert, daB sie ihren Konkurrenten immer einen
Schritt voraus sind. Eine sorgfaltige Situationsanalyse und ein institutionalisiertes Dis
kontinuitatenmanagement mit der Ableitung zukunftstriichtiger Geschiiftsfelder sind
wichtige und fur Prospects machbare Voraussetzungen.
6.2.1.4 TransformatioDsstrategie
Mit Produktinnovationen gehen Anpassungen von Strukturen und Prozessen einher
(LEHMANN 1994, 39). Aufgrund beschriinkter finanzieller und hurnaner Ressourcen von
osteuropiiischen Transformationsunternehmen kann eine an sich wiinschenswerte
gleichzeitige Struktur-lProzeB- und Produktinnovation nicht immer erfolgen. Der Trans
formationsmanager steht dann vor der strategischen Entscheidung, ob strukturelle Ver
anderungen undloder Produktinnovationen undloder die Bearbeitung neuer Miirkte vor
dringlich ist. Diese strategische Entscheidung sollte zu Beginn des Transformationspro
zesses gefallt werden. ANSOFFS Klassifikationen von Produktinnovationen laBt sich urn
Struktur- und ProzeBinnovationen erweitern (vgl. Tab. 47). Die in 2.2.2. vorgestellte
Matrix wird hierzu urn eine Dimension erweitert.
267
Tab. 47: Erweiterte ANsOFF-Matrix (erweiterte Darstellung nach ANSOFF 1966)
alter Markl neuer Markl
alte Struktur alles Produkl Markldurchdringung Marklentwicklung
neue Struktur alles Produkl Strukturentwicklungl StrukturlMarkl-Markldurchdringung Entwicklung
aile Struktur neues Produkl Produklentwicklung produklorientierte Diversifikation
neue Struktur neues Produkl StruklurlProdukl- struktur/produklorientlerte EntwickJung Diversifikalion
Die grau hinterlegten Felder zeigen die Strategiefelder, in denen zumindest eine der
bisher bestehenden Dimensionen (Struktur, Produkt, Markt) verandert wird.
Entscheidungsuntersrutzung fur eine transformationsstrategische Unternehmenspositio
nierung kann eine wettbewerbsorientierte mehrdimensionale Abbildung des Transfor
mationsgeschehens geben. Sinnvoll ist diese Anwendung allerdings nur, wenn Quantitat
und QualiUit der strategischen Situationsanalyse eine Einordnung der eigenen Situation
(Unternehmen, Produkte) sowie die der Wettbewerber ermoglicht. Das ist eine hohe
Anforderung an das Transformationsunternehmen. Der Raum in Abb. 63 bildet die Si
tuation einer Transformationswirtschaft oder -branche abo Je nach Fragestellung konnen
die Dimensionen ausgewechselt werden, z.B. kommt auch die Technologiedimension in
Betracht.
Produkleigenschaften (z.B. Innovaliviliil, Koslen der Produke, elc.)
Struklureigenschaften (z.B. hierarchischer Aufbau,
Milarbeilerpartizipalion, Offenheil, elc.)
Starksler inheimischer Konkurrenl
KundeQgruppen (z.B. Endverbraucher, GH, EH)
I
Abb. 63: Wettbewerbsorientierte StrukturlProduktpositionierung (eigene Darstellung)
268
Strategieoptionen fUr die Unternehmenstypen "Loser" und "Prospects" und deren mar
ketingpolitische Umsetzung werden nachfolgend vorgestellt.
6.2.2 Marketingstrategische Empfehlungen fUr Loser-Unternehmen
Loser-Unternehmen sind weder markt- noch transformationserfolgreich. Sie haben unter
den vier Unternehmenstypen den geringsten Handlungsspielraum und den gr6fiten
Transformationsdruck von. So konnten sich Loser-Unternehmen theoretisch in jedem
der Problemfelder unseres Strategieschemas (Tab. 47) betatigen, aber praktisch kommen
wegen des kleinen Handlaungsspielraums nur Minimalaktivitaten in Frage, die nur in
krementale Veranderungen bewirken.
Branchenprobleme waren vielfach der Grund fUr den ungeniigenden Erfolg der Loser
Unternehmen. Zu den nationalen Transformationsproblemen kamen haufig noch ungiin
stige internationale Entwicklungen hinzu. Zum Beispiel sab sich das estnische Fisch
fangunternehmen OKEAN zusatzlichen Problemen im Weltfischfang (Uberfischung der
Meere, hohe Investititonskosten auf internationalem Niveau), einer unn6tig verschlepp
ten Privatisierung und rechtlichen Konflikten mit RuBland gegeniiber. DaB unter den
selben Bedingungen auch erfolgreich gehandelt werden kann, zeigt das lettische Unter
nehmen AUDA. Intern durch konsequente Flottenreduktion (von 19 auf neun Schiffe)
und extern durch Branchenbereinigung (von ehemals zehn Anbietern existieren noch
drei) geh6rt AUDA nun zu den Prospect-Unternehmen.
6.2.2.1 Strategie
FOr die Strategieformulierung eines Loser-Unternehmens muB zunachst erkannt werden,
inwieweit die bisherigen Produkte den Marktanforderungen gerecht werden. Der zu
entwickelnde Wettbewerbsvorteil sollte nabe an dem bisherigen Leistungsangebot lie
gen, eine v6llige Umpositionierung ist zumindest kurzfristig nicht machbar. Aufgrund
der einsetzenden Riickbesinnung osteuropaischer Verbraucher auf heimische Produkte
ist bei Konsumgiiterherstellern eine kostengiinstige "Nostalgie"-Positionierung emp
fehlenswert. So k6nnte sich der Hut- und Miitzenproduzent LJUDMILLA auf die Produk
tion klassischer Pelzmiitzen konzentrieren, statt aus Modemagazinen internationale
Kopfbedeckungen (schlecht) zu kopieren. Eine Kooperation mit westlichem Partner
wird an mangelnder Attraktivitat und iiberzogener Erwartungshaltung der Loser-Unter-
269
nehmen scheitern. Statt mit geringer Erfolgsaussicht die hohen technologischen und ge
stalterischen Standards ausHindischer Produkte anzustreben, sollte versucht werden, ein
fache und robuste Produkte anzubieten, die den Grundnutzen sicher erfiiIlen. Als zusatz
liches Verkaufsargument kann die Smrkung heirnischer Produzenten dienen (buy local).
Als vorrangige StoBrichtung der Loser-Unternehmen sollten durch begrenzte und selek
tive Veranderungen gezielt Wettbewerbsvorteile geschaffen werden, urn eine urnfassen
dere Umstrukturierung im weiteren TransformationsprozeB uber eine kurzfristige Un
ternehmenssicherung anzugehen. Das kurzfristig hOchste Unternehmensziel der Erhalt
des Unternehmens. Erwirtschaftete Deckungsbeitrage sollten vorrangig in Management
schulung, Qualitatssicherung und Kommunikation investiert werden. Insbesondere Lo
ser-Unternehmen mussen auch kleine Chancen erkennen und nutzen. AIle Aktivitaten
sollten dazu genutzt werden, eine Veranderungs- und Aufbruchstimmung zu erzeugen.
Zwar ist gerade bei Loser-Unternehmen eine urnfassende Reorganisation der bestehen
den Prozesse wiinschenswert, doch ubersteigen entsprechende Anforderungen ihre
Moglichkeiten. Haupthinderungsgrund ist das mangelnde analytische Know-how im
Unternehmen, das die Voraussetzung fUr eine prozeBorientierte Umgestaltung der be
trieblichen Leistung ist. Insbesondere konnen Kundenwiinsche nicht ausreichend spezi
fiziert werden. Bei mangelnder Analyse fehlt es letztlich an der gezielten Marktaus
richtung der Prozesse. Ohne Ziele laBt sich ein Reengineering-Vorhaben nicht realisie
reno Die Haltung eines amerikanisch gepragten Business Reengineering (HAMMER,
CHAMPY 1995) kommt sornit fUr Loser-Unternehmen nicht in Frage.
Erfolgversprechender ist ein evolutorisch gepragter Ansatz (SERVATIUS 1994b). Dieser
erfordert zwar auch ein Oberdenken der bestehenden Prozesse, aber gehandelt wird auf
Basis der bestehenden Strukturen und Potentiale. AhnJ.iches gilt fUr innovationstheoreti
sche Konzepte: Eine radikale Neuproduktstrategie ist fUr Loser-Unternehmen ungeeig
net, nur wettbewerbs- und kundenorientierte Modifikationen bestehender Produkte
kommen in Frage. Obwohl das evolutorische Konzept fUr Loser-Unternehmen adaquat
ist, gibt es dabei Probleme, die geforderte selbstorganisierende, offene und flexible Un
ternehmenstruktur einzufiihren. Wird der MaBstab bisheriger Planwirtschaften zugrunde
gelegt, so haben MaBnahmen wie die Obertragung von Verantwortung auf untere Hier
archieebenen, Job-rotation oder Team-Projektarbeit fUr Loser-Unternehmen schon ten-
270
denziell selbstorganisierende Wirkung. Projektarbeit und Job-rotation sollten jedoch
nicht fiber zu groBe hierarchische und inhaltliche Grenzen hinweg gehen. Wichtiger als
die professionelle Durchfiihrung dieser MaBnahmen ist das Erreichen eines Transfor
mations-Commitment im gesamten Untemehmen.
Notwendige Voraussetzung fUr den Beginn bzw. die Beschleunigung des Transformati
onsprozesses ist die Bereitschaft beim Management, Eigeninitiative zu entwickeln und
untemehmerische Verantwortung zu fibemehmen. Die bei Loser-Untemehmen vorherr
schende Fremdattribution der Griinde fUr die schlechte Untemehmenssituation muB auf
gegeben werden. Die Untemehmensleitung muB bereit sein, bei Entscheidungen Risiko
zu akzeptieren, urn auch geringe Chancen fUr die Rettung des Untemehmens wahrzu
nehmen. Da man fast nichts zu verlieren hat, muB passives Warten auf den Untergang
durch risikofreudige, zielgerichtete Aktivitaten ersetzt werden. FUr die Initiierung kann
schon ein einzelner Macht- und Fachpromotor, beispielsweise in der Person des Gene
raldirektors, ausreichen. Dieser muB gezielt betriebswirtschaftlich informiert werden
und geschickt weitere Mitarbeiter einbinden und motivieren.
Mitarbeiter der Loser-Untemehmen haben vielfach mangelndes technologisches und
marktwirtschaftliches Know-how, obwohl das Hurnankapital in Osteuropa im Grunde
positiv zu bewerten ist. 1m Gegensatz zum Brain-drain bei Prospect-Untemehmen
(Abwanderung hoch qualifizierter Mitarbeiter) haben Loser-Untemehmen ein Brain
-lack, d.h. sie verfiigten nie fiber entsprechendes Hurnankapital und vermissen es auch
nicht. Dies ist der eigentliche Grund fUr Ignoranz und Lethargie gegenfiber Mitarbeiter
schulungen. Eine einfache Methode ohne den Einsatz von extemen Trainem ist das
Prinzip der Job-rotation, urn den Mitarbeitem ein ganzheitliches Bild des Untemehmens
und seiner Probleme zu geben. Ein Generaldirektor, der sich und seinen Mitarbeitem die
Probleme eingesteht (vgl. Fallbeispiel RAKONFI, 3.1), sollte das gesamte ProblemlO
sungspotential im Untemehmen herausfordem. 1m selbstorganisierenden ProzeB ist ein
GroBteil der Verantwortung an mittlere und untere Untemehmensebenen abgegeben.
Auf diese Weise kann ein hOheres Engagement aller Untemehmensbeteiligten erzielt
werden. Voraussetzung ist ein einsichtiger Machtpromotor, der das Entstehen von Fach
und Machtkompetenz in untergeordneten Positionen unterstUtzt und nicht als Bedro
hung seiner Position ansieht - ein regelmiiBiges Ubel in Loser-Untemehmen.
271
6.2.2.2 Marketing-Mix
6.2.2.2.1 Marktforschung
FUr die Marktforschung kommen aufgrund der begrenzten Mittel nor bescheidene MaB
nahmen in Betracht. Breit angelegte, quantitative empirische Untersuchungen konnen
nicht finanziert werden; auf qualitative Explorationen sol1ten jedoch nicht verzichtet
werden. Die so gewonnen Erkenntnisse genugen zwar nicht statistischen Anforderungen
an Reprasentativitat und nor beschrlinkt an Validitat, konnen aber wertvo11e Eindriicke
von Motiven und Bediirfuissen der Verbraucher geben. Die Beobachtung der Konkur
renz, insbesondere der Preisentwicklung, anhand von Sekundlirmaterial und Messen ist
moglich und ublich. Eine preisgiinstige Moglichkeit, urn die Akzeptanz von Produktde
sign, Preisen und Werbeaussagen zu testen, bieten die freien Markte (Tolkutschkas), auf
denen wie bei einem Storetest direkt die Kundenreaktionen beobachtet werden konnen.
6.2.2.2.2 Produktpolitik
Die Produktpolitik moB auf Straffung des Produktionsprograrnms im Sinne einer Kon
zentration auf Kernkompetenzen zielen. Oft machen Loser-Untemehmen das Gegenteil.
So hat die KIEWER EXPERIMENT ALF ABRIK FUR HAUSHAL TSCHEMIE mit dem Hauptpro
dukt Haarpflegemittel das Produktprograrnm nach Kraften erweitert, urn der auslandi
schen Konkurrenz auszuweichen und mehr Kaufersegmente zu erschlieBen. Ohne ge
naue Definition der angesprochenen Segmente gezielte Produktpositionierung wurde
das Scharfschiitzenprinzip der Produktdifferenzierung in ein Schrotflintenprinzip mit
entsprechenden Streuverlusten verkehrt. Eine lihnliche Strategie verfolgt das lettische
Untemehmen STRAUME. Zu den Produkten gehOren u.a. Kaffeemuhlen, Schaurnschla
ger, Bugeleisen, Spielzeug, SchlOsser und Leuchten. Empfehlenswert ware hier die
Konzentration auf wenige, einfache Produkte mit Orientierung an Grundnutzen, Funk
tionalitat und aus Kundensicht akzeptabler Qualitat auf gegebenen Technologieniveau.
Aus Kostengriinden sind bei Losem korzfristig keine Produktinnovationen moglich,
sondema11enfa11sgeringfiigigeProduktmodifikationen.Beider Produktgestaltung sol1-
ten einheimische Designs verwendet werden, denn es ist erfolgsversprechender, sich auf
die eigene Tradition zu besinnen und diese weiterzuentwickeln, als die Kopie von uner
reichbaren Standards anzustreben. 1st eine kostengiinstige, qualitativ akzeptable West
kopie produzierbar, ist dies erfolgversprechend. Mittel- bis langfristig wird es keine
272
Unterscheidung zwischen "West- und Ost-Produkten" mehr geben, sondem nur bezOg
lich des Preis-lLeistungsimages mehr oder weniger wettbewerbsfahige Produkte.
"Nostalgie-Positionierungen" sind daher nur zeitlich begrenzt anzuraten.
6.2.2.2.3 Preispolitik
Dem angestrebten Qualitatsniveau und den fehlenden Mitteln fur den Aufbau von Prafe
renzen entsprechend empfiehlt sich die Niedrig-Preispolitik, deutlich unter dem Preisni
veau von Markenprodukten. Allerdings sollten die Preise aus Imagegriinden hOher sein
als bei auslandischen Billiganbietem, mit deren Produkten die Verbraucher haufig ne
gative Erfahrungen gemacht haben. Durch die empfohlene Sortimentsbereinigung wird
eine PreislMengenstrategie erleichtert. Auch ohne grundlegende organisatorische oder
kommunikationspolitische Aktivitaten entspannt sich so die finanzielle Situation.
6.2.2.2.4 Kommunikationspolitik
Kemaussage der Kommunikationspolitik so lite sein: "Wir verkaufen keine glitzemden
Versprechungen, sondem ehrliche und niitzliche Dinge aus heimischer Produktion - zu
vemiinftigen Preisen." Appelle an den Nationalstolz sind vielversprechend. Durch Fi-
nanzrestriktionen k6nnen nur begrenzte Kommunikationsanstrengungen untemommen
werden. Elektronische Mediawerbung von Konsumgiiterher
Abb. 64: Firmenlogo KIEWER FABRIK FUR
HAUSHALTSCHEMIE
stell em kann allenfalls aus vereinzelten Rundfunkspots und
bestenfalls aus einfachen regionalen TV -Spots bestehen. Auch
bei der Printwerbung muB man sich auf einfache QuaIitat be
schriinken. Voraussetzung fur effektive Kommunikation ist die
Gestaltung eines Markennamens und -logos. Auch hier liefert
die KIEWER FABRIK FOR HAUSHALTSCHEMIE ein Beispiel fur
ungeniigende Nutzung vorhandener Ressourcen. Das Unter
nehmen ist seit 50 Jahren in der Kiewer Region gut bekannt.
Aus dieser Position heraus lie13e sich eine Untemehmens- oder Produktmarkierung ver
gleichsweise einfach realisieren. Das vorhandene Logo des Untemehmens (vgl. Abb.
64) nutzt diesen Bekanntheitsgrad in keiner Weise. Weder ist ein Zusarnmenhang mit
der Region noch mit den hergestellten Produkten erkennbar. Auch wird eher Appell
werbung im Sinne von "waschen Sie mehr Haare" mit entsprechenden Streuverlusten
durchgefiihrt als eine auf den eigenen Leistungsvorteil abgestimmte Werbung.
273
Das Logo sollte zusammen mit dem Kemgedanken in Zeitungsanzeigen und auf Klein
plakaten fur POS-Werbung kommuniziert werden. Besondere Beachtung sollte die PR
Arbeit finden: Aufgrund der Krisensituation schenken die Medien eigenstandigen und
mutigen Impulsen in der heimischen Wirtschaft erhOhte Aufmerksamkeit. Es sollte pro
fessionelles Material fur Presseberichte erstellt werden, zudem sollte stets ein An
sprechpartner mit entsprechendem Auftreten verfiigbar sein. Dazu gehOrt auch ein pra
sentabler Zustand der Biiro- und Ausstellungsraurne, was bei den untersuchten Unter
nehmen so gut wie nie gegeben war. Ein positives Beispiel fur gezielte, lokal orientierte
PR ist das Vorgehen des Prospect-Untemehmens RAKONFI (vgl. 3.1).
Ein weiteres Beispiel fur eine einfache, in Osteuropa jedoch neue Form der Verkaufs
forderung ist die Vergabe von Rabatten mit Hilfe von Rabattgutscheinen in Zeitschrif
ten, das Versprechen von Geschenken bei einem Kauf fiber einer bestimmten Surnme
oder ein erheblicher Preisnachla13 von bspw. 33% beim Kauf vor Ende des ablaufenden
Jahres (o.V., ST. PETERSBURG TiMES, 23-29.12. 1 996a, I).
6.2.2.2.5 Distributionspolitik
Die Distributionspolitik basiert meist noch auf der Lieferung ab Werk. Osteuropaische
Konsurnenten sind es gewohnt, sich zu Einkaufsgemeinschaften zusammenzuschlieBen
und Produkte direkt bei den Fabriken zu kaufen. Kurzfristig konnen so die Kosten fur
den Autbau eines eigenen Vertriebsnetzes gespart werden. Es ist jedoch sinnvoll, einige
groBe Handelsuntemehmen direkt anzusprechen. Wiinschenswert ist eine personliche
Ansprache der Handelspartner. Loser-Untemehmen konnen ersatzweise auch das billi
gere Fax nutzen und z.B. Material fur POS-Werbung und Zeitungswerbung bereitstel
len, urn die Attraktivitat der Produkte fur den Handel zu erhOhen. Die Absatzgebiete
sollten eher in der Provinz gesucht werden, da die Konkurrenz in den Metropolen deut
lich hOher ist und die Bewohner in der Provinz weniger westorientiert sind als die GroB
stadter.
274
6.2.3 Marketingstrategische Empfehlungen itir Prospect-Unternehmen
6.2.3.1 Strategie
Prospect-Unternelunen sind auf den untersuchten Dimensionen am erfolgreichsten. Der
vergleichsweise geringe externe und interne Transformationsdruck er6ffnet die gr6Bten
operativen und strategischen Handlungsspielraume. 1m Gegensatz zu den Loser
Unternelunen haben Prospect-Unternelunen die M6glichkeit, westliche Managementan
satze in ihrer gesamten Breite fur sich nutzbar zu machen. Diverse Empfehlungen fur
Loser-Unternelunen sind auch fur Prospect-Unternelunen relevant, doch unterliegen sie
nicht deren Beschrlinkungen. So ist fur diese Unternelunen das gesamte Feld der Reen
gineering-Ansatze beachtenswert. DaB diese Konzepte Anwendung tinden, zeigt das
Beispiel von ELEKTROPRIBOR, einem Konversionsbetrieb mit ehemals 10.000 Mitarbei
tern. Das Unternelunen hat mit Hilfe ausllindischer Berater ein Umstruk
turierungskonzept westlichen Zuschnitts erarbeitet. Es liegt ein ausformulierter Busi-
(bDlOPlUBOII.· 515) e o o .
Abb. 65: Outsourcing Illustration Elektropribor
nessplan vor, in dem Ziele
und Methoden der Umstruktu
rierung beschrieben sind. Das
Ziel der Ausgliederung ver
schiedener Unternelunensteile
aus dem "Kombinats-Dino
saurier" ELEKTROPRIBOR ist
sogar bildlich festgehalten
worden (vgl. Abb. 65). DaB
der alleinige Einsatz ausllindi
scher Berater noch keinen Erfolg garantiert, zeigt ein weiteres Beispiel eines Prospect
Unternelunens. Auf die Frage, ob das Unternelunen Kontakt zu ausllindischen Beratern
hatte, antwortete der Generaldirektor mit "Ja" und legte zorn Beweis einen ca. 300 Sei
ten starkes Projektbericht vor. Allerdings k0lU1te das Unternelunen die vorgeschlagenen
MaBnalunen aufgrund des fehlenden Know-hows nicht umsetzen.
Bei der Anwendung westlicher Managementansatze mUssen das vorhandene Know-how
und die Struktur, in die das Unternelunen eingebunden ist, beriicksichtigt werden. FUr
das Outsourcing als Kern eines Business-Reengineering bedeutet das beispielsweise,
daB genau Uberpriift werden moB, ob externe Zulieferer die gewiinschte Qualitat und
275
Zuverlassigkeit gewahrleisten kannen. ELEKTROPRIBOR als ehemaliges Riistungsunter
nehmen hat in einigen Bereichen sogar vertikale Integration betrieben, da kein Unter
nehmen mit vergleichbarer Technologie als extemer Zulieferer gefunden wurde. Bei
Konsurngiiterherstellem ist dieser Punkt weniger kritisch.
Der erste Schritt bei einem Business-Reengineering ist die ProzeBorientierung mit der
Identifikation der bisherigen Prozesse sowie der Schwachstellenanalyse, die auf der
strategischen Situationsanalyse aufbaut. Prospect-Untemehmen miissen ihr Analysever
standnis und den vorhandenen Transformationserfolg an das prozeBausgerichtete Reen
gineeing anpassen, die strategische Situationsanalyse also erweitem. Erfolgreiche Pro
zeBidentifikation ist notwendig, urn kreative Ideen zu entwickeln, da die Prospect
Untemehmen Vorreiter der Transformation sind und kaurn im Sinne eines Transforma
tions-Benchmarking Prozesse von anderen Untemehmen kopieren kannen.
Transformationserfolgreiche Untemehmen haben eine funktionsfahige Marketingabtei
lung. Diese ist wichtig fOr das Erkennen von Kundenwiinschen und -bediirfnissen. Die
Wiinsche der Kunden definieren den Soll-Ablauf, der bei Abweichung yom Ist-Ablauf
einer ProzeBurngestaltung bedarf. Diese Maglichkeit der realistischen Einschatzung von
Kundenwiinschen vereinfacht den Schritt der ProzeB- und Produktideen-Bewertung im
Sinne einer kundenorientierten Wertanalyse. Der vorhandene Markterfolg sichert das
notwendige Investitionskapital, das fur eine betriebsurnfassende Neustrukturierung und
die Entwicklung von Neuprodukten notwendig ist.
Die prinzipielle strategische StoBrichtung der Prospect-Untemehmen mull die einer ho
hen Innovativitat der angebotenen Leistungen sein. Nur so laBt sich der Vorsprung vor
den nationalen Mitbewerbem halten und ein AufschlieBen zu intemationalen Konkur
renten erzielen. Ziel mull es sein, die Einstellung und Philosophie der Mitarbeiter zu
verandem. Hierzu sollten individuelle Kreativitat und Innovationsfahigkeit gestarkt
werden (o.V., ST. PETERSBURG TIMES, 12-18.3.1996).
Wahrend Loser-Untemehmen zur Untemehmenssicherung eine Organisationsentwick
lung innerhalb der momentanen Umwelt anstreben, sollten sich Prospect-Untemehmen
im Sinne einer Organisationstransformation auf zukiinftige Entwicklungen einstellen.
276
Prospect-Untemehmen sind der einzige Untemehmenstyp, der die Erfolgsbedingungen
einer innovativen Untemehmensorganisation (vgl. Tab. 6) erfiillen kann.
Delegation der Kompetenzen und Einbeziehung unterer Hierarchieebenen in Entschei
dungsfindungsprozesse sind organisatorische Voraussetzungen zur Nutzung des ge
samten Untemehmenspotentials. Das hierbei nicht alle Entwicklungsstufen westlichen
Management durchlaufen werden mussen, besUitigt die Aussage des Generaldirektors
von PETROSIB. Statt einer verbesserten Kontrolle im administrativen und produktiven
Bereich wurde (wie beim Leapfrogging) direkt eine Partizipation der Mitarbeiter im
ManagementprozeB angestrebt (o.V., ST. PETERSBURG TIMES 12-18.3.1996). Da beim
Management bereits die Bereitschaft und Fahigkeit zu marktwirtschaftlichem Handeln
besteht, kann ein gezielter Aufbau von betriebswirtschaftlichem Know-how betrieben
werden. Dazu mussen aufgeschlossene und lembereite Mitarbeiter in Schlusselpositio
nen ausgewiihlt und zu Transformationspromotoren entwickelt werden, insbesondere zu
marktwirtschaftlichen Fachpromotoren in mittleren Ebenen. Da Prospect-Untemehmen
meist schon unter planwirtschaftlichen Bedingungen gute Fachleute hatten (z.B.
ELEKTROPRIBOR, BUOMASCH), finden sich engagierte, fachlich kompetente Mitarbeiter
in mittleren FUhrungsebenen. Diesen wurde in sozialistischen Untemehmen nicht die
Moglichkeit gegeben, durch Leistung mehr Verantwortung oder hahere Entlohnung zu
erlangen. Dieses Potential gilt es durch PersonalentwicklungsmaBnahmen sowie lei
stungsgerechte und leistungsbezogene Entlohnung zu erschlieBen. Geeignet scheinen
Inhouse-Schulungen, wo untemehmensspezifische Probleme am besten berucksichtigt
werden und mehrere Mitarbeiter an den SchulungsmaBnahmen teilnehmen konnen.
Die Entsendung von Mitarbeitem zu Schulungen ins Ausland haben einen hohen Reiz
fUr die Betroffenen, sind aber aus Effektivimts- und Kostengrfinden kritisch. FUr gezielt
ausgewahlte Experten und Promotoren, inbesondere im Bereich des Qualimtsmanage
ments, sind Anschauungsbeispiele in westlichen Firmen uberaus sinnvoll
(TROMMSDORFF et al. 1995, 85ff.). Derart geschulte Promotoren mussen die Diffusion
ihres neuen FUhrungskraftewissens im Untemehmen vorantreiben. 1m Sinne von HIN
TERHUBER (1994) (vgl. Abb. 66) ubemehmen diese Personen die Funktion eines Change
Teams, das organisatorisch institutionalisiert werden muB, urn das an einzelne Personen
gebundene Wissen bei Mitarbeiterfluktuationen nicht zu verlieren.
277
! ! Change T earn a1s organisatortscher Keil unci treibende
Kraft
! Brain-drain, das Abwandern hOchstqualifizier
ter Mitarbeiter, findet sich am hiiufigsten bei
Prospect-Unternehrnen. Der Si.iJ3warenhersteller
MARS beispielsweise meint, daB weltweit nir
gendwo so qualifiziertes Personal vorhanden ist
wie in der neuen Fabrik in Stupino, einer ehe
maligen geschlossenen Riistungsstadt (o.V., ST.
PETERSBURG TIMES, 10-16.6.1996). Personal
entwicklungsmaBnahrnen verringern den Brain
drain. Aufgrund der groBten Zukunftspotentiale
konnen sich Prospect-Unternehrnen nach aus
Abb. 66: Change Team (eigene DarsteIIung landischen Unternehrnen als die attraktivsten nach Hinterhuber 1994, 128)
Arbeitgeber darstellen.
Der Aufbau einer firmenspezifischen Corporate Identity (CI) ist ein weiteres Mittel, urn
Mitarbeiter starker an sich zu binden und zu motivieren. Neben kommunikationspoliti
schen Effekten hat ein einheitliches Erscheinungsbild f'iir die in Gruppenverbanden den
kenden Arbeiter einen psychologischen Anreiz. Die CI muB extern und intern gut kom
muniziert werden. Oft reichen schon einfache MaBnahrnen wie einheitliche Bekleidung
oder positive Verhaltensnormen, urn eine Aufbruch- und Veranderungsstimmung zu
erzeugen. MARS hat mit seiner neuen Fabrik in Stupino positive Erfahrungen mit Unter
nehrnens-Leitlinien gemacht, obwohl darunter so unpopulare MaBnahrnen wie das AI
koholverbot wahrend der Arbeit oder harte Sanktionen f'iir Verspatungen oder Nichter
scheinen bei der Arbeit waren (o.V., ST. PETERSBURG TIMES, 10-16.6.1996).
Es ist darauf zu achten, daB sich die ausgewahlten Promotoren durch hohes Verantwor
tungsgefiihl und Umsicht auszeichnen. Urn vorhandene Potentiale nicht durch uniiber
legte Aktionen zu verspielen, muB das untemehrnerische Risiko bei jeder Entscheidung
genau abgewogen werden, da Prospect-Unternehrnen im Gegensatz zu den Loser
Unternehrnen Potentiale zu verlieren haben.
Oberste Unternehrnensziele sind die Festigung der stabilen Marktposition und die
Schaffung neuer Marktpotentiale. Gewinne sollten vollstandig reinvestiert werden. Ais
278
Investitionsobjekte mussen Infonnationsbeschaffung, Markenautbau, Qualitatssiche
rung und Organisationsumstrukturierung im Vordergrund stehen.
Vor der Fonnulierung von Strategien mussen Geschaftsfelder definiert und abgegrenzt
werden. Urn das Risiko und die Umsatzerwartungen einschatzen zu konnen, empfiehlt
es sich, eine Portfolioanalyse durchzufiihren. Von zentraler Bedeutung ist die Fonnulie
rung von komparativen Konkurrenzvorteilen (KKV) fUr jede Geschaftseinheit und die
angebotenen Leistungen. Negativbeispiel ist der Automobilproduzent AUTO V AZ, Her
steller des auch im Westen bekannten LADA, der die Einfiihrung eines neuen Modells zu
einem Preis von 12.000 Dollar plant. Abgesehen davon, daB das Modell schon jetzt
technisch uberholt ist, liegt der Preis uber dem vergleichbarer westlicher und asiatischer
Modelle (o.V., RUSSIA TODAY, 7.11.1996). Es gibt keinen erkennbaren KKV, keine
Marketingaussage, auf welcher Wettbewerbsdimension AUTOV AZ mit den auslandi
schen Anbietem konkurrieren will.
Die zunehmende Einkommenspolarisierung zwingt Untemehmen in Osteuropa, sich fUr
eine PreislMengen- oder Praferenzstrategie zu entscheiden. Die Prospect-Untemehmen
sind wohl der einzige Untemehmenstyp, der versuchen konnte, beide Strategieoptionen
zu einer Outpacing-Strategie zu vereinigen, wie sie sich in westlichen Industrielandem
durchzusetzen scheint (vgl. GILBERT, STREBEL 1985). Die relativ gunstige Marktpositi
on der Prospect-Untemehmen deutet darauf hin, daB zumindest eine "Cash-cow" im
Untemehmen vorhanden ist. Die oben eingeforderte hohe Innovativitat muB die Gene
rierung neuer Geschaftsfelder oder Produkte, sogenannte Fragezeichen (Boston
Portfolio), zur Folge haben. Zu erwarten ist, daB eine Qualitatsorientierung eher langfri
stige Potentiale erschlieBt als eine angreitbarere PreislMengenstrategie. Die Gefahr bei
einer PreislMengenstrategie ist, daB der Lohnkostenvorteil von den Produktivitatsnach
teilen eingeholt wird und ein Preiswettbewerb mit auslandischen Anbietem nicht ge
wonnen wird.
Auf der Qualitatsdimension allein ist der Wettbewerb mit auslandischen Konkurrenten
noch nicht zu gewinnen. Daher so lIte analog den Empfehlungen fUr Loser-Untemehmen
eine Buy-Iocal-Botschaft nicht fehlen. Der Kem der Qualitatsstrategie der Prospect
Untemehmen ist ein hoher Produktgrundnutzen, eventuell erganzt durch einen explizit
fonnulierten, russisch gepragten Produktzusatznutzen und einen Buy-local-Appell. Bei-
279
spiele fUr mogliche Priiferenzstrategien fmden sich im Food-Bereich bei Kaviar und
Wodka. Es ist nicht einzusehen, warum die einheimische Wodkaindustrie immer mehr
Marktanteile gegen auslandische, insbesondere finnische Anbieter verliert, obwohl
RuBland hier weltweit herausragende Kompetenz und Bekanntheit besitzt. Qualitatssta
bilisierende MaBnahmen sind die Voraussetzung einer Praferenzstrategie. Bei stark
imagetrachtigen Produkten werden die Konsurnenten allerdings nach wie vor bereit
sein, eine Preisdifferenz fUr auslandische Produkte zu bezahlen.
Die beschriebene Positionierung der Prospect-Untemehmen liillt erwarten, daB sie sich
im Vergleich zu den anderen Untemehmenstypen am starksten auf Wettbewerb mit
auslandischen Untemehmen einlassen. Konsurntrends werden in Moskau oder St. Pe
tersburg generiert. Eine ausgesprochene Provinzorientierung verbietet sich daher. Ent
weder auf der Preisdimension (preislMengenstrategie) oder der Qualitatsdimension
(Praferenzstrategie), am besten auf beiden Dimensionen, mUssen sie den Wettbewerb
mit auslandischen Konkurrenten bestehen. Dabei mUssen sie den Vorteil ausnutzen, ein
einheimisches Untemehmen zu sein.
Die Wettbewerbsdimension, die aufgrund der niedrigen Faktorkosten und der lokalen
Marktkenntnis am erfolgversprechensten von einheimischen Untemehmen besetzt wer
den sollte, ist das Service- und Dienstieistungsangebot. Unabdingbar ist eine intensive
Schulung, urn diese unter sozialistischen Bedingungen unbekannte Untemehmensfunk
tion in den Kopfen der Mitarbeiter zu verankem. Kundenniihe, hohe VerfUgbarkeit und
niedrige Lohnkosten gewiihren hier V orteile. Aber wie fUr alle anderen Strategieoptio
nen auch, gilt: Mittel- bis langfristig wird es nur noch PreislLeistungs-Image
Wettbewerb urn das beste Angebot geben, unabhangig von der Produzentenherkunft.
6.2.3.2 Marketing-Mix
6.2.3.2.1 Marktforschung
Zu Beginn der Formulierung einer Marketing-Strategie muB eine griindliche und profes
sionelle Situationsanalyse durchgefiihrt werden. Deshalb nimmt die Marktforschung
einen sehr hohen Stellenwert ein. Professionelle Hilfe durch Institute oder Berater wird
bei der Erstellung einer Starken-/Schwachenanalyse und einer Chancen-lRisikenanalyse
meist unverzichtbar sein und muB als Zukunftsinvestition akzeptiert werden. Ein wich-
280
tiger V orteil gegenuber ausHindischen Konkurrenten ist die bessere Marktkenntnis. So
treffen sich z.B. die GroBhandler von NEWSKAJA KOSMETIKA regelmaBig zu Bespre
chungen, die fUr aIle Beteiligten wertvolle Informationen bringen. Dieser Vorteil muB
mit Hilfe innovativer Marktforschung gehalten werden, die an den Bediirfnissen der
Konsurnenten orientiert ist. Deshalb ist anzuraten, nicht nur allgemein zugangliche
Quellen auszuwerten, sondern auch Primiirforschung zu betreiben. Idealerweise sollte
das kooperativ mit einem einheimischen oder auslandischen Marktforschungsinstitut
geschehen, urn den Zugang zu elaborierten Marktforschungsmethoden zu erhalten.
6.2.3.2.2 Produktpolitik
Die Markteintrittsbarrieren bei einer PreislMengenstrategie sind vergleichsweise nied
rig, aber implizieren hohen Wettbewerbsdruck. FUr die Produktpolitik von Prospect
Unternehmen ergibt sich aus der empfohlenen Praferenz- oder Outpacingstrategie, daB
ein hoher Grundnutzen anzustreben ist, der durch ein Qualitatsmanagement gleichblei
bend gewiihrleistet werden muB. Jeder Buy-local-Appell greift ins Leere, wenn die
Qualitatsunterschiede zwischen in- und auslandischen Produkten zu groB sind. Zu Be
ginn der Transformationsprozesse stand rur viele westliche Unternehmen eine moglichst
kostensparende, testende Bearbeitung der osteuropaischen Markte mit Waren minderer
Qualitat im V ordergrund. Aus Enttauschungen der Konsurnenten von diesen Produkten
konnen einheimische Unternehmen profitieren. Strategisch bedeutet dies, daB die den
Konsumenten bekannten Grundprodukte eher modifiziert als neu entwickelt werden
sollten. Zentral dabei ist, neben der Produktqualitat auch die Anmutungsqualitat zu ver
bessern.
Technische Produktinnovationen sind dort erfolgversprechend, wo in- und auslandische
Standards oder Konsumgewohnheiten verschieden sind. An solchen Schnittstellen kon
nen einheimische Produzenten ihre Marktkenntnisse ausspielen. Voraussetzung ist al
lerdings die Kenntnis westlicher Produkte und deren voraussichtliches Eindringen in die
osteuropaischen Markte. Zurn Beispiel hat ELEKTROPRIBOR als Kenner des einheimi
schen Telekommunikationsmarktes ein Modem entwickelt, mit dem auslandische Mo
bilfunkteilnehmer das einheimische Netz nutzen konnen, das mit auslandischen Mo
dems nicht genutzt werden kann.
281
Wiinschenswert ist eine Orientierung an westlichen Standards. Einige Untemehmen
haben ihre Produkte nach ISO-9000 zertifizieren lassen - oder auch das Zertifikat gegen
eine "Sondergebiihr" von den einheimischen BehOrden gekauft. Andere haben Waren
zeichen europaweit schutzen lassen, wie das litauische Untemehmen AUDEJAS. In sol
chen MaBnahmen sind erste Ans~tze einer Intemationalisierung osteuropruscher Marken
zu erkennen.
6.2.3.2.3 Preispolitik
Sowohl im PreisIMengen- als auch Qualimtssegment muJ3 sich die Preispolitik an der
ausl~dischen Konkurrenz orentieren. Ein hOheres Preisniveau ist unrealistisch. In bei
den Segmenten muJ3 das osteuroprusche Produkt bei konstant vergleichbarer Qualit~t
geringfiigig billiger sein als die Westkonkurrenz. Da eine nur konkurrenzorientierte Ko
stenkalkulation bei Unkenntnis der eigenen Kostenlage unsinnig ist, ist der Aufbau einer
effizienten Kostenrechnung zwingend erforderlich.
Preisdifferenzierungen zwischen wettbewerbsunterschiedlichen Regionen oder Produkt
gruppen und zwischen unterschiedlich zahlungsbereiten Zielkundengruppen mussen
genutzt werden. DaB ein Produkt an zwei verschiedenen Orten oder Zeitpunkten unter
schiedlich teuer sein kann, ist auch in Osteuropa aus mangelwirtschaftlichen Zeiten be
kannt. Dennoch wird Preisdifferenzierung als aktives Marketinginstrument noch selten
angewendet.
6.2.3.2.4 Kommunikationspolitik
Unabh~gig von der strategischen Grundausrichtung steht bei der Kommunikationspo
litik der Prospect-Untemehmen der Buy-local-Appell im Vordergrund. Unter Nutzung
des Nationalstolzes den Konsumenten sollen Altemativen zu den ausl~dischen Pro
dukten angeboten werden, die "genauso preiswert, aber russisch" sind, denn "niemand
ubertrifft russische Qualit~t". Das erfordert eine Symbiose aus der Attraktivimt (Preis,
Qualit~t) ausl~discher Produkte und dem Vorteil, einheimische Produkte zu kaufen. In
Verbindung damit kann auch die von mehreren Untemehmen (z.B. RAKONFI,
NEWSKAJA KOSMETIKA, HAUSHALTSCHEMIE) herausgestellte Verwendung ausschlieB
lich natiirlicher Rohstoffe werblich kommuniziert werden.
282
Wie in Abb. 32 und 33 gezeigt, findet sich kein einheimisches Unternehmen unter den
15 groBten Werbungtreibenden im russischen Fernsehen. Da die Intensitat des Werbe
marktes weiter zunimmt, wird TV-Werbung fUr einheimische Produzenten sehr teuer.
Die markentechnisch "leeren Festplatten" der russischen Konsumenten werden uber
wiegend mit auslandischen Produkten belegt, besonders in dem fUr Prospect
Unternehmen interessantem hOherpreisigen Qualitatssegment. Daher mussen die Kosten
fUr Werbung und der Aufbau von Marken als gleichberechtigt neben produktionstechni
schen Investitionen stehen. Wo es hohe Reichweiten der Fernsehwerbung sinnvoll er
scheinen laBt, sollte nicht vor den subjektiv hohen, international aber immer noch nied
rigen, TV -Werbepreisen zurUckgeschreckt werden.
Die Empfehlungen fUr Loser-Unternehmen beziiglich der Printmedien und der Nutzung
von PR gelten uneingeschriinkt auch fUr Prospect-Unternehmen. Ihre Moglichkeiten,
lokale und uberregionale Medien in ihrem Interesse zu nutzen, sind besser, zumal sie
aufgrund ihrer positiven Zukunftsaussichten als fUr die Regionen bedeutend angesehen
werden. Beispiele fUr bereitwillige Kooperationen zwischen Medien und Unternehmen
finden sich bei ELEKTROPRIBOR lind RAKONFI.
Die Entwicklung einer Corporate Identity stellt hohe Anforderungen an das Erschei
nungsbild des Unternehmens, nicht nur beziiglich der baulichen Gestaltung und der Pro
fessionalitat von gedrucktem Material, sondern auch bei Gesprachen mit bestehenden
oder potentiellen Abnehmern, moglichen Kooperationsverhandlungen mit auslandischen
Gesprachspartnern und bei Messeauftritten. Auch kleine Veranderungen wie die Ver
pflichtung der Mitarbeiter, ihre Arbeitsplatze in Produktion und Administration eigen
verantwortlich zu reinigen, bis hin zur Modemisierung der Buro- und Ausstellungsrau
me, bewirken viel. Auslandische Kooperationsinteressenten zeigen sich immer wieder
uberrascht uber den schlechten Ordnungs- und Sauberkeitszustand der Produktions- und
Ausstellungsraume, der eher auf mangelndes Verantwortungsgefiihl der Mitarbeiter als
auf fehlende Mittel zurUckzufiihren ist.
283
Ein einfaches Beispiel fUr die Verbesserung der AuBenwirkung des Untemehrnens ist
die Emeuerung der Visitenkarten von NEWSKAJA KOSMETIKA. Der eigentliche, unbe
kannte Firrnenname ARKONA ist verschwunden. 1m Vordergrund steht die Ansprache
der nationalen Kultur (Newskaja) und des Leistungsangebotes (Cosmetika) .
.., I : ,'11
" IIICrOll N KONONOY
l(OHOHOB
Abb. 67: Visitenkarten von NEWSKAJA COSMETIKA
6.2.3.2.5 Distributionspolitik
Die Distributionspolitik ist ein wei teres wettbewerbsentscheidendes Betatigungsfeld der
Prospect-Untemehrnen. Fiir den (weniger zu empfehlenden) Fall einer PreislMengen
strategie ist eine flachendeckende Verfiigbarkeit in dem angestrebten Segment unab
dingbar. Hierzu gehOrt der Aufbau eines liickenlosen Vertriebsnetzes, mit entsprechen
der Schulung (exzellentes Aufireten, gute Produktkenntnisse) und leistungsgerechter
Entlohnung der AuBendienstmitarbeiter.
Fiir die altemativ empfohlene Praferenzstrategie treten Marktkenntnisse und gute Han
delsbeziehungen in den Vordergrund. Hier haben einheimische Untemehrnen einen
Vorteil, auf dem sich Service- und Dienstleistungsvorteile aufbauen lassen. "Unser
Hiindlemetz ist der halbe Wert des Untemehrnens", so der Generaldirektor von KAMAZ,
der weltgroBten LKW-Fabrik im Ural (o.V., ST. PETERSBURG TIMES, 14-20.10.1996).
Diese Netzwerke geben den einheimischen Produzenten noch einen Vorteil gegeniiber
ausliindischen Anbietem. Bestehende Beziehungen sollten mit Hilfe langfristiger Ver
trage intensiviert und abgebrochene Verbindungen neu aufgenommen werden. Pflege
und Akquisition neuer Handelspartner sollten durch den AuBendienst erfolgen, wichtige
Partner im Sinne eines Key-Account-Management von zentralen Firrnenreprasentanten
betreut werden. In jedem Fall ist die vorherrschende Variante des Werkverkaufs III
Konkurrenz zu bestehenden Handelsstrukturen kritisch zu iiberpriifen.
284
Innovationen mussen auch im Servicebereich stattfinden. Das ukrainische Maschinen
bauunternehmen BUDMASCH schickt bei Bedarf ein Serviceteam in das gesamte Gebiet
der GUS und nach West-Europa. Kleinere Reklamationen werden auf dem KuIanzweg
behoben.
6.2.4 Marketingstrategische Empfehlungen f"lir Prisoner-Unternehmen
Prisoner-Unternehmen haben aufgrund ihres Transformationserfolgs Potential fUr
Markterfolg, konnen diesen aber aufgrund unternehmensexterner Umstande nicht reali
sieren. Die Empfehlungen fUr Prospect-Unternehmen gelten grundsatzlich auch fUr Pri
soner-Unternehmen, der Handlungsspielraum ist wegen der geringeren finanziellen
Moglichkeitenjedoch eingeschrankt. Verglichen mit den Loser-Unternehmen sind diffe
renziertere MaBnahmen moglich.
Zwei Strategioptionen konnen alternativ oder kombiniert verfolgt werden: Innovation
oder Konzentration.
Ausgangspunkt der Innovations-Alternative ist die Suche nach neuen strategischen Ge
schaftsfeldern. Da mit den vorhandenen Ressourcen in den angestarnmten Geschaftsfel
dern kaum Gewinne erwirtschaftet werden, bietet eine radikale Umorientierung der Ge
schaftsprozesse und des Produktionsprograrnms einen Ausweg aus der Gefangenensi
tuation. Dies ist aufgrund fehlender Mittel undloder fehlenden Know-hows kaum ohne
Hilfe eines Kooperationspartners zu realisieren. Urn fUr diesen attraktiv zu sein, muB
sich das Prisoner-Unternehmen sowohl seiner langfristigen Chancen und Risiken sowie
seiner Starken und Schwachen bewuBt sein als auch uber die Anforderungen potentieller
Partner.
Sinn dieses Vorgehens ist es, einem auslandischen Interessenten als kompetenter und
realitatsnaher Gesprachspartner gegenuber zu treten, was bei Kooperationsverhandlun
gen bislang eher die Ausnahme ist (TROMMSDORFF 1995, 85ff.). Ein professioneller
Businessplan sollte erarbeitet werden. Dabei kommt der strategischen Situationsanalyse
hOchste Bedeutung zu. 1m Rahmen einer Starken-/Schwachen-Analyse mussen Unter
nehmenspotentiale erkannt werden, die fUr den Autbau erfolgsverprechender neuer Ge
schaftsfelder genutzt werden konnen. Dabei dUrfen technologische Ausstattungsmerk-
285
male nicht uberbewertet werden. Hurnankapital, geographische Gegebenheiten, vorhan
dene Netzwerke usw. mussen aufihre innovative Verwendungsfahigkeit auch in bislang
unbekannten Prozessen uberpriift werden. Dazu ist eine genaue Kenntnis der internen
Kosten- und Organisationsstruktur erforderlich. Konkurrenzvorteile mussen erkannt
werden. Heimische Mfu"kte mit Entwicklungspotential und Markteintrittsbarrieren fUr
ausliindische Konkurrenten miissen identifiziert und erschlossen werden. Die vorhande
nen Kenntnisse heimischer Miirkte und die ZugehOrigkeit zu informellen Netzwerken
mussen genutzt werden, urn Chancen und Risiken abzuschatzen. Auch dieses Know
how kann als Argurnentationshilfe gegenuber potentiellen Partnern eingesetzt werden,
wobei Wert auf konkrete und fUr den Geschliftserfolg relevante Informationen gelegt
werden muB. Aussichtlose Geschliftsfelder sollten aufgegeben bzw. ausgegliedert wer
den. Freiwerdende Arbeitskrlifte konnen an Schulungen teilnehmen oder fUr die Um
strukturierung bzw. Renovierung des Unternehmens eingesetzt werden. Ein negatives
Besipiel: Der litauische Hersteller von Dieseleinspritzpurnpen KURO ApPARATURA hat
sich nicht auf neue Geschliftsfelder urngestellt. Ais ehemaliger Monopolist
(Alleinausriister der sowjetischen Traktorenindustrie) hochspezialisert, halt das Mana
gement am technologischen Know-how und an den vorhandenen, relativ modernen,
Produktionsanlagen fest. Es wird versucht, mit Hilfe eines westlichen Kooperations
partners internationale Mfu"kte zu erschlieBen. Moglichkeiten, die im Herzen der Haupt
stadt Vilnius gelegene Immobilie zumindest teilweise fUr innovative Konzepte (z.B. als
Einkaufszentrum) zu nutzen, werden nicht in Betracht gezogen.
Alternativ oder ergiinzend zu dieser Strategie ist die den Loser-Unternehmen empfohle
ne Konzentration auf Kernkompetenzen und mit den gegebenen Mitteln urnsetzbare
Produktanpassung auch flir Prisoner-Unternehmen sinnvoll. 1m Rahmen der Produktion
konnen QualitatsbewuBtsein, Teamarbeit, und neuartige Produktionsprozesse trainiert
werden, die als Investitionen in das Hurnankapital angesehen werden konnen.
6.2.5 Marketingstrategische Empfehlungen idr Ignorant-Unternehmen
Ignorant-Unternehmen sind erfolgreich am Markt, obwohl sie bei der betrieblichen
Transformation wenig fortgeschritten sind. Sie haben aufgrund geringen Konkurrenz
drucks und einer starken lokalen Marktstellung zwar einen relativ groBen Handlungs-
286
spielraurn fur untemehmerische Entscheidungen, ihnen fehlenjedoch der Wille bzw. das
Know-how fur eine Ausrichtung auf marktwirtschaftliche Systembedingungen.
Zu iiberpriifen ist, ob es sich urn eine temporare oder langfristige begiinstigte Markt
stellung handelt. Ein lokaler Energielieferant in St. Petersburg beispielsweise muB kurz
bis mittelfristig nicht mit Konkurrenz rechnen. POULTRY FACTORY in Vilnius wird da
gegen nur noch kurzfristig von einer monopolistisch begiinstigten Situation ausgehen
konnen. Spatestens wenn neue auslandische Konkurrenten die infrastrukturellen Pro
bleme beherrschen, scheint ihr Weg zu einem Loser-Untemehmen sicher. Mittel- bis
langfristig ist in allen Branchen und Regionen Wettbewerb zu erwarten, trotz aller pro
tektionistischer Forderungen der Untemehmen.
FUr Ignorant-Untemehmen gelten grundsatzlich die Empfehlungen fur Prospect-Unter
nehmen, fur die Umsetzung muB vor allem im Top-Management das BewuBtsein ge
schaff en werden, daB auch bei relativ guter wirtschaftlicher Lage eine Untemehmensan
passung an die veranderten Rahmenbedingungen strategisch notwendig ist.
. Notwendige Voraussetzung fur die Implementation marktwirtschaftlichen Denkens ist
die Existenz eines Transformationspromotors. Wie im Fallbeispiel RAKONFI (vgl. 3.1.)
gezeigt, kann schon ein einzelner Machtpromotor als Initialziindung fur untemeh
mensinteme Umwandlungsprozesse wirken. Das zentrale Problem der Ignorant-Unter
nehmen ist, daB nicht nur diese Promotoren fehlen, sondem auch daB im Falle ihres
Auftretens und Wirkens Widerstand autkommt. Eine Chance fur das Einsetzen des
Transformationsprozesses besteht dann nur, wenn durch Fiihrungswechsel das NachrUk
ken marktwirtschaftsorientierter Mitarbeiter, sofem iiberhaupt welche vorhanden sind,
ermoglicht wird oder dieses Hurnankapital extem eingekauft wird. Falls dies nicht ge
schieht, bevor sich die Marktsituation fur das Untemehmen verschlechtert, wird das
Ignorant- zum Loser-Untemehmen und muB sich auf die dort gegebenen minimalen
strategischen MaBnahmen beschranken.
Das LENINGRADER KUHLKOMBINA T in St. Petersburg nutzt seine starke Marktstellung
als Angebotsoligopolist nicht fur die Modernisierung von Anlagen, die Erarbeitung ei
ner Untemehmenskonzeption und die ErschlieBung neuer Geschaftsfelder, sondem
schOpft Gewinne abo Sobald die Kiihlraurnkapazitaten in der Region z.B. durch auslan-
287
dische Investoren steigen, werden die veralteten Anlagen des Unternehmens nicht mehr
wettbewerbsfahig sein.
Die Entwicklung der Ignorant-Unternehmen ist entscheidend vom Verhalten des Gene
raldirektors abhangig. Meist hat jedoch weder er noch die Belegschaft aufgrund der ver
gleichsweise giinstigen Situation aller Unternehmensbeteiligten einen Anreiz, Verande
rungen zu initiieren, am wenigsten seine eigene Ablosung. Setzt sich die Einsicht zur
Notwendigkeit der Umstrukturierung jedoch durch, solange noch Markterfolg erzielt
wird, muB zunachst das notwendige Transformations-Know-how erworben werden. Es
ist also verstarkt in Schulung und Weiterbildung einzelner Fiihrungskrafte zu investie
reno AnschlieBend gelten die strategischen MaBnahmen fiir Prospect-Unternehmen.
Neben der zu befiirchtenden Veranderung der Ignorant-Unternehmen zu Loser
Unternehmen ist die Ubernahme durch einen auslandischen strategischen Investor mog
lich, der sich in einen lukrativen Markt einkaufen will. Dem stehen zwei Probleme ent
gegen. Zurn einen versuchen Generaldirektoren ertragskraftiger Unternehmen, sich ge
gen externen EinfluB abzuschotten, urn sich selbst und Teile der Belegschaft zu berei
chern. Zurn anderen verstarken sich nationalistische Bestrebungen, die den EinfluB aus
landischer Investoren an strategisch interessanten einheimischen Unternehmen gesetz
lich beschranken wollen, wie dies bei dem GAZPROM geschehen ist. Auslander diirfen
nur noch insgesamt maximal neun Prozent der Anteile halten (RUSSIA TODAY,
6.3.1997).
6.2.6 Kooperationsstrategien fUr aile Transformationsunternehmen
6.2.6.1 Situation
Westliche Unternehmen investieren nur z6gernd in Osteuropa. Seit Beginn der Pere
stroika flossen elf Milliarden Dollar auslandisches Kapital in ca. 20.000 russische Un
ternehmen; in China wurden im gleichen Zeitraum 300 Milliarden Dollar investiert.
Zwei Drittel sind Portfolio-Investitionen, die im FaIle von politischen oder wirtschaftli
chen Problemen schnell abgezogen werden konnen. 1m produzierenden Bereich zeigt
sich eine abnehmende Tendenz (o.V., RUSSIA TODAY, 12.11.1996).
288
Die mangelnde Attraktivitat osteuropaischer Untemehmen fUr auslandische Investoren
ist nicht aIlein in den oft zitierten unsicheren Rahmenbedingungen begriindet. Wie in
4.2 gesagt, sperren sich insbesondere manche Prospect-Untemehmen gegen extemen
EinfluB, urn personliche Bereicherungen zu wahren. Zwar haben aile Sample-Unter
nehmen den Wunsch nach einem Kooperationspartner geauBert, doch verbinden sie da
mit i.d.R. den einseitigen Zustrom von Kapital und Marketing-Know-how und erhoffen
sich teilweise den Zugang zu westlichen Miirkten. Die Abgabe von Geschafts:filhrungs
kompetenzen sowie die Ubemahme von Geschaftsanteilen durch exteme Personen ist
unerwiinscht. Diese Abwehr findet sich auch bei Loser-Untemehmen wie TAON, wo aile
Aktienanteile in der Hand des Generaldirektors, seiner Frau und seines Stellvertreters
liegen. Dieselbe Abwehrhaltung zeigen auch renommierte Untemehmen, dann jedoch
eher aus Angst vor dem Verlust des GeneraIdirektorpostens. Ein Beispiel ist der russi
sche Automobilproduzent AUTOV AZ in Togliatti, der ebenfaIls keinen strategischen
Investor sucht (o.V., ST. PETERSBURG TIMES 1996b, 2).
6.2.6.2 Voraussetzungen
Die meisten Sampleuntemehmen hatten bereits Kontakt zu auslandischen Interessenten.
NaturgemiiB sind Prospect-Untemehmen die attraktiveren Kooperationspartner. Dies
liegt allerdings nicht nur an der objektiv besseren Situation dieser Untemehmen, son
dem auch an iiberzogenen und unrealistischen Vorstellungen der Loser-Untemehmen.
Moglichkeiten und Ziele potentieller Partner werden meist falsch eingeschiitzt. Auf
Ablehnung der eigenen Forderungen wird hiiufig arrogant reagiert. So eine Aussage des
Generaidirektors von T AON verdeutlicht dies: "Westfirmen wollen nur bei uns produzie
ren lassen, aber nicht unsere Produkte im Westen verkaufen". Diese HaItung ist verein
zeIt auch bei Prospect-Untemehmen anzutreffen: Beim Iitauischen Untemehmen
AUDEJAS wurde bemangelt, daB die reinen Lohnkostenvorteile fUr westliche Kooperati
onsinteressenten im V ordergrund stehen - entgegen den V orstellungen des Manage
ments, litauische Produkte in Westeuropa abzusetzen und im Gegenzug deutsche Pro
dukte in Litauen zu vertreiben.
Kooperationen miissen zum beiderseitigen strategischen Nutzen angesehen werden und
nicht nur aIs Mittel zur Uberbriickung der gegenwartigen Krisensituation. Die Kenntnis
der Anforderungen westlicher Investoren reduziert MiBtrauen und Vorurteile und korri-
289
giert falsche Erwartungen, so daB dann weniger Kooperationsanbahnungen scheitern.
Au13erdem haben Unternehmen, die sich auf potentielle Investoren einstellen konnen, als
Kooperationspartner bessere Chancen.
Eine empirische Studie uber Erfolgsfaktoren von deutsch-osteuropaischen Joint
ventures (TROMMSDORFF et al. 1995) zeigte, daB bei den Griindungsmotiven der westli
chen Partner ErscWieBung und Sicherung neuer Absatzmarkte im Vordergrund standen.
Umsatz- und Gewinnziele wurden zurUckgestellt, ebenso die Nutzung komparativer
Kostenvorteile durch niedrige Lohne und Materialkosten. Weitere Motive waren die
Nutzung positiver Imagewirkungen und von administrativer UnterstUtzung eines Joint
venture im Stammland, die Minderung von Kosten und Risiken sowie personliche Mo
tive wie verwandtschaftliche Bindungen.
6.2.6.3 Feasibility
Vor allem bei Produktions-Joint-ventures legen westliche Unternehmen Wert auf die
Anfertigung einer Feasibilitystudie. Bei Dienstleistungs- und Handels-Joint-ventures
wird sie aufgrund der geringeren Kapitalbindung in vielen Fallen fUr verzichtbar gehal
ten. Ein Problem stellt dabei die interne Datenlage in den osteuropaischen Betrieben
dar, da das Rechnungswesen und das Controlling westlichen Anspruchen nicht genugen
und viele Daten nicht oder nicht zuverlassig verfiigbar sind. Externe Daten feWen auf
grund unzureichender Statistiken und der schwachen Marktforschungsinfrastruktur. Au
Berdem werden Informationen zurUckgehalten (vgl. 4.2) und die eigene betriebswirt
schaftliche Situation wird ubertrieben positiv dargestellt (o.V., ST. PETERSBURG TiMES,
9-15.12.1996).
Bei der Standortentscheidung ergibt sich die Wahl zwischen der besseren Infrastruktur
der Metropolen, fUr die jedoch andere Erschwernisse wie hohe Kriminalitat und hohe
Mieten in Kauf genommen werden mussen, und der Abgeschiedenheit der Provinz, in
der die bessere Zusammenarbeit mit der Administration als wesentliche Vorteil gilt.
Branchenabhangig kann der osteuropaische Partner Garant fUr die Lieferung von Roh
stoff en in ausreichender Menge und Qualitat sein, insbesondere wenn er sie selbst pro
duziert. Da Neubauten zeitraubend, kostenintensiv und risikobehaftet sind, werden Jo
int-ventures i.d.R. mit bestehenden Gebauden des osteuropaischen Partners errichtet.
290
6.2.6.4 Vertragsverhandlung
Anders als einmalige Markttransaktionen zielen Joint-ventures auf langfristige Zusam
menarbeit dar. 1m GrUndungsprozeB bilden daher die Vertagsverhandlungen eine wich
tige Grundlage der spateren Zusammenarbeit. 1m Joint-venture-Vertrag sollten vor al
lem Zielsetzung und Dauer der Zusammenarbeit, die Rechtsform des Untemehmens, die
Verantwortlichkeiten im Management und die Aufteilung von Gewinnen und Verlusten
festgelegt werden. Versaumnisse und Ungenauigkeiten bei der Vertragsgestaltung wir
ken sich in der Betriebsphase negativ aus. Insbesondere bei der Kooperation von Unter
nehmen aus unterschiedlichen Wirtschaftssystemen sind divergierende Auffassungen
von Grundsatzen der Geschaftsfiihrung ein Problem. Westliche Partner verlangen im
Gegensatz zu ostlichen Partnem die genaue vertragliche Regelung der Geschaftsablaufe,
der Kompetenzverteilung, der Einlagenbewertung usw. Der Joint-venture-Vertrag soll
die gegenseitige Kontrolle und den Schutz des einen Partners vor einseitiger Interes
sensverfolgung des anderen Partners gewahrleisten. Da die rechtliche Lage in den Nach
folgestaaten der UdSSR von westlichen Partnem als unzureichend empfunden wird,
legen sie Wert auf die Formulierung exakter und detaillierter Vertrage. Sie werden zwei
sprachig verfaBt, wobei unterschiedliche Auslegungen moglichst ausgeschlossen sein
sollen. Es empfiehlt sich die Hin- und RuckUbersetzung der Vertrage von unterschiedli
chen Ubersetzem, urn sprachliche MiBverstandnisse aufzudecken und gegebenenfalls zu
berichtigen. Dieses Verfahren scheint zwar umstandlich und erhoht die Ubersetzungs
kosten; angesichts der unterschiedlichen kulturellen HintergrUnde und Wirtschafts
systeme der beteiligten Parteien beschranken sich sprachliche Hurden jedoch nicht nur
auf die Ubertragung stehender Begriffe in eine andere Sprache, sondem reflektieren
grundsatzlich unterschiedliche Denk- und Verstandnismuster, deren Tucken auch sehr
gute Ubersetzer nicht immer gewachsen sind.
Verhandlungen zur GrUndung von Joint-ventures erstrecken sich in der Regel uber meh
rere Sitzungen. Durch die raumliche Distanz zwischen den Partnem kann der Verhand
lungsprozeB langwierig und kostspielig werden. Je groBer das Projekt, desto mehr Ent
scheidungen sind vertraglich zu regeln. Produktions-Joint-ventures stellen mit der Er
richtung, der Wartung und dem Betrieb der Anlagen sowie mit Beschaffung und Ver
trieb hOhere Anforderungen an die vertragliche Gestaltung als reine Dienstleistungs
oder Handels-Joint-ventures. Urn eventuelle Begehungen oder Kontakte zu ortsansassi-
291
gen Dritten zu erleiehtem, sollte man den Ort der geplanten Betriebsstiitte als Verhand
lungsort wahlen. Westliehe Partner legen in manehen Fiillenjedoeh Wert darauf, daB die
osteuropaisehen Delegationen in das Heimatland des Partners eingeladen werden, urn
ihnen ein Bild von der eigenen Arbeitsweise vermitteln zu konnen und die Mogliehkeit
zu angesehlossenen Sehulungen zu nutzen.
Kritisehe Verhandlungspunkte sind haufig die Verankerung von Vetriebs- und Marke
tingfunktionen im Vertrag. Die Notwendigkeit zur Einriehtung solcher marktorientierter
Funktionen wird von osteuroprusehen Untemehmen oft nieht eingesehen. Ihre Interessen
sind eher an der Verbesserung teehnologiseher und kapazitarer Aspekte orientiert als am
Markt. Aueh bei der Bewertung der von Seiten des osteuroprusehen Partners einge
braehten Anlagen, Grundsrueke und Gebaude gibt es oft untersehiedliehe Auffassungen.
Bei Betrieben mit groBen Belegsehaften kann die personelle Ausstattung des Joint
ventures strittig sein. Westliehe Partner sind i.d.R. bestrebt, den Personalbestand mog
liehst gering zu halten, urn eine hohe Produktivitat zu erreiehen, wiihrend ostliehe Part
ner Arbeitsplatze siehem wollen.
Wiehtigster Erfolgsfaktor bei Joint-venture-Verhandlungen ist der Aufbau einer Ver
trauensbasis. Die Grundvoraussetzung dafiir ist das gegenseitige Verstandnis fUr die
Kultur und Denkweise des Verhandlungspartners. Dazu gehOren aueh gemeinsame
Mahlzeiten und der Besueh kultureller Veranstaltungen. Ein wiehtiger Erfolgsfaktor ist
die Zeit bzw. Intensitiit, die man dafiir aufbringt, sich miteinander zu besehiiftigen. Vor
allem wird westliehen Managem viel Geduld bei der Erlauterung fUr sie selbstverstand
lieher Forderungen abverlangt, wenn die Verhandlungspartner die Notwendigkeit des
jeweiligen Verhandlungspunktes nieht einsehen. Aus westlieher Sieht verhandeln Ost
europaer, urn zu gewinnen, wobei der Verhandlungspartner verlieren muB. Die General
direktoren wollen Geld und Teehnologie erhalten, fUrehten aber, ihren EinfluB zu verlie
reno AuBerdem haben ihre Zielvorstellungen oft unrealistisehe Dimensionen. So haben
GENERAL MOTORS und DAEWOO dem russisehen Automobilproduzenten AUTOV AZ
angeboten, eine Produktionslinie mit 50.000 Einheiten pro Jahr zu installieren.
AUTOV AZ wollte sieh allerdings nur auf eine Zwei-Milliarden-Dollar Investition mit
einer jiihrliehen Kapazitiit von 300.000 Einheiten einlassen. Eine "test the waters"
Strategie westlieher Interessenten wird von osteuropruseher Seite ungem akzeptiert
(o.V., ST. PETERSBUROTIMES, 14-20.10.1996).
292
6.2.6.5 Technologietransfer
Beim Transfer von westlicher Technologie ergeben sich zwei Alternativen:
• Entweder werden abgeschriebene, altere Anlagen transferiert, urn Standardprodukte
mit fortgeschrittenem Produktlebenszyklus fUr den osteuropiiischen Markt zu produ
zieren. Der Schulungsbedarf fUr osteuropiiische Mitarbeiter ist in diesem Fall gering,
der Kapitaleinsatz minimal. GroBere Probleme bei Installation und Wartung entfal
len. Von prominenten Beratern wird diese Alternative als geeignetster Weg zur
'Oberbruckung der Versorgungsengpasse in Osteuropa angesehen. Nachteilig ist, daB
die Produkte dann nicht exportfahig und damit nicht devisenbringend sind.
• Bei der Implementation moderner Technologie entfallt dieser Nachteil. Die Produk
tivitat und Mitarbeitermotivation sind bOher, da Interesse an westlicher Hochtechno
logie besteht. Allerdings ist eine Einarbeitung des Personals, z.B. an CNC
Maschinen, aufwendig, ebenso Installation und Wartung. Einheimische Installateure
sind oft nicht ausreichend ausgebildet, auBerdem gentigen die Rohstoffe den Anfor
derungen moderner Maschinen nicht immer.
6.2.6.6 Personal und Marketing
Die Personalbeschaffung erfolgt i.d.R. durch den osteuropaischen Partner, entweder aus
der eigenen Belegschaft oder tiber informelle personliche Beziehungen. Westliche Joint
venture-Partner legen dabei Wert auf Mitspracherecht. Sie sehen das Risiko der Stellen
besetzung nach personlichen Gesichtspunkten unter Ausschaltung fachlicher Kriterien,
wobei allgemein der Ausbildungsstand und die Motivation hoch bis sehr hoch einge
schatzt werden. Bei der Personalfiihrung und -entwicklung werden oft hierarchische
Organisations- und Entscheidungsstrukturen bemangelt. Die Entscheidungen osteuro
piiischer Manager werden oft als schleppend beschrieben.
Das Marketing-Management ist fUr westliche Partner bei Joint-ventures mit osteuropiii
schen Unternehmen aus verschiedenen Griinden problembehaftet (vgl. 4.5):
• Marktdaten fUr Planungszwecke sind nur schwer erhaltlich.
• Die Qualitatssicherung ist in vielen Fallen schwierig.
293
• Die Preispolitik ist durch die steigende internationale Konkurrenz, vor all em aus Fer
nost, gekennzeichnet. Es gibt kaum eingefiihrte Marken, so daB eine hochpreisige
Praferenzstrategie schlecht moglich ist.
• Die Werbelandschaft zeichnet sich durch hohe Dynamik aus. Medien sind im inter
nationalen Vergleich preisgllnstig, allerdings ist die Infrastruktur noch unzureichend.
• Die Distribution wird durch unzureichende GroB- und Einzelhandelsstrukturen be
hindert.
6.2.7 Zusammenfassung
Die vorstehenden Transformationsempfehlungen basieren auf der Integration theoreti
scher Uberlegungen und empirischer ermittelter Erfolgsfaktoren. Die empirischen Er
gebnisse haben gezeigt, daB die Auswahl der theoretischen Ansatze zur Ableitung von
Transformationsempfehlungen relevant war, wenngleich von einer direkten Ubertragung
dieser Konzepte abgeraten werden muB. Der kulturelle und planwirtschaftliche Hinter
grund der untersuchten Unternehmen erfordert eine sensible Anpassung der im westli
chen Kontext gebrauchlichen Managementansatze. Es zeigt sich, daB es keine Standard
strategie fur betriebliche Transformation gibt, sondern daB eine differenzierte Betrach
tung der Umfeld- und Unternehmenssituation notwendig ist. Dennoch kann man einige
zentrale Erkenntnisse herausstellen:
• FUr alle Transformationsprozesse gilt die Aussage: "Es ist wichtiger, daB etwas getan
wird, als wie es getan wird." Eine ausgepragte Handlungsorientierung zur Uberwin
dung der haufig angetroffenen lethargischen Grundhaltung ist entscheidend fur den
Transformationserfolg.
• Die Bedeutung des Generaldirektors ist hierbei erfolgsentscheidend, da nur er als
Machtpromoter in der Lage ist, die notwendigen Aktivitaten zu entfalten.
• Das hohe technisch-ingenieurwissenschaftliche Ausbildungsniveau in osteuropai
schen Transformationsunternehmen eroffnet groBe Chancen, auch im international en
Wettbewerb AnschluB zu finden, behindert aber auch oft marktorientierte Unterneh
mensfiihrung, weil das Verstandnis fur Investitionen in nicht kurzfristig wirksame
MarketingmaBnahmen nicht eingesehen wird.
294
7 Ausblick
Wir haben versucht, die Transformation osteuropiiischer planwirtschaftlicher Betriebe in
marktwirtschaftliche Untemehmen systematisch zu beschreiben, sie anhand makrooko
nomischer und betriebswirtschaftlicher Theorieansiitze sowie der landerspezifischen
Rahmenbedingungen zu erkliiren, ihre Erfolgsbedingungen, insbesondere Marketing
Erfolgsfaktoren, durch eine groBenteils qualitativ-explorative Langsschnittuntersuchung
zu bestimmen und schlieBlich Handlungsempfehlungen fUr die Gestaltung des Trans
formationsprozesses abzuleiten. Diese sind weitgehend unabhangig von Landes-, Bran
chen- und BetriebsgroBenspezifika, aber in starkem MaBe abhangig yom Transformati
onstyp des betreffenden Unterenhmens entsprechend einer empirisch gewonnenen Klas
sifikation. Schon die Erkenntnis der ZugehOrigkeit eines Untemehmens zu einer der vier
Klassen ist wertvoll fUr das Transformationsmanagement, aber auch fUr das Kooperati
onsmanagement westlicher Partner.
Obwohl der Untersuchung ein 2Y2-jiihriger Langsschnitt der Transformationsprozesse
zugrunde liegt, konnen die Ergebnisse keine zeitinvariante Gultigkeit beanspruchen,
denn die Transformationserfahrungen (und hoffentlich auch unsere Erkenntnisse) wer
den auf die weitere Entwicklung dieser Prozesse einwirken. Dennoch konnen viele Be
funde vorsichtig vera1lgemeinert werden, teilweise auch auf Transformationslander mit
anderen Rahmenbedingungen. So ist zu hoffen, daB bevorstehende Transformationsfalle
wie in Kuba oder Nordkorea von diesen Erkenntnissen profitieren werden.
Die betriebswirtschaftliche Transformationsforschung steht erst am Anfang. Die vorlie
gende Untersuchung konzentriert sich auf den primiiren EngpaB des Transformations
management, das Marketingmanagement. Vertiefungen in anderen betriebswirtschaftli
chen Funktionsbereichen wie Produktion und Logistik, Organisation, Controlling,
Rechnungslegung, Investition und Finanzierung sind wUnschenswert.
Die vorliegenden Erkenntnisse mussen als Hypothesen verstanden werden, die anhand
neuer empirischer Untersuchungen unter anderen Rahmenbedingungen und aufbreiterer
Basis zu prtifen sind. Der Weg zu einer in sich geschlossenen betriebswirtschaftlichen
Theorie der Transformation ist noch weit.
295
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Anhang
Anhang 1: Liste der interviewten Experten ................................................................... 323
Anhang 2: Liste der untersuchten Untemehmen ........................................................... 324
Anhang 3: Interviewleitfaden der ersten Befragung ..................................................... 326
Anhang 4: Berechnung des Markterfolgsindex ............................................................. 330
Anhang 5: Untemehmens-Variablen-Matrix ................................................................. 331
321
Anhang 1: Liste der interviewten Experten
Name Institution Interview Datum
Herr Bauer Bundesministeriums fiir Wirtschaft persiinlich 5.12.94
Herr Borodan ABB Kraftwerksleitlechnik GmbH persiinlich 10.3.95
Herr Borrrnann Borrmann, Masing und Partner GmbH, Berlin persiinlich 6.1.95
Herr Caprano Quelle Export Division schriftlich 1.12.94
Herr Dr. Andrejew Handelsvertretung der Russischen Fiideration persiinlich 15.12.94
Herr Dr. Baronius TOB, SI. Petersburg telefonisch 2.12.94
Herr Dr. Danylow OstausschuB der deutschen. Wirtschaft telefonisch 2.12.94
Herr Dr. Desch Deutsche Genossenschaftsbank, Kreditabteilung RuBland persiinlich 27.11.94
Herr Dr. Eckert GETAS Consult, Berlin persiinlich 9.5.95
Frau Freyer Bundesstelle fiir AuBenhandelsinforrnation, AuBenstelle Berlin persiinlich 10.2.95
Herr Gaier Referat fiir Osteuropa beim BAO-Berlin-Marketing Service GmbH persiinlich 28.11.94
Herr Dr. Gartig Fa. UTEKON, Osteuropa-Institut FU Berlin persiinlich 14.11.94
Frau Helmstadter IHK Ges. z. Fiirderg. d. AuBenwirtschaft u. Untemehmensfiihrg. persiinlich 2.12.94
Herr Dr. Henkel Deutsch-Baltischer Verein e.v. persiinlich 23.2.95
Herr Dr. Kapzow Handelsvertretung der Russischen FOderation, Berlin persiinlich 15.11.94
Herr Prof. Dr. Kredisow Lehrstuhl fiir intemationale Beziehungen, Universitat Kiew persiinlich 5.12.94
Herr Dr. Lassig WEMEX Handel GmbH schriftlich 1/95
Herr Massek IBM Deutschland Informationssysteme GmbH persiinlich 17.1.95
Herr Prof. Dr. Melnikas Universitat von Vilnius persiinlich 2.9.95
Frau Mielilz Doktorandin, FU Berlin persiinlich 23.11.94
Herr Scholz ehem. Institut fiir Marktforschung (1M), Leipzig persiinlich 29.5.95
Herr Dr. Selge Estnische Akademie der Wissenschaften persiinlich 30.11.94
Herr Dr. Spark Kooperationsbiiro der deutschen Wirtschaft telefonisch 28.11.94
Herr Tschorz Fa. Pfister, Augsburg telefonisch 29.11.94
Herr Viesulas Association of Lithuanian Entrepreneurs, Litauen persiinlich 5.9.95
Herr Volk FRASER Gesellschaft fiir Untemehmensberatung mbH, Berlin persiinlich 15.12.94
323
Anhang 2: Liste der untersuchten Unternehmen
I Firma I Gesprachspartner
Rul!land
Joint Stock Company T AON Naro-Fominsk A. P. Nikolayev (Prasident) V. I. Shevechkov (Vize-Priisident)
Joint Stock Company TECHNlKA Wladimir V. E. Alyakrinsky (Generaldirektor) Wladimir Plant ELEKTROPRIBOR H. I. August (Oirektor)
Bytikov (Produktion und Vertrieb) Oischov(Personal und Ausbildung)
Lebensmiltelkombinat Ramenskij (RAKONFI) A. I. Schinkarew (Generaldirektor) Firma KULON Boischewo J. W. Kulechin (Generaldirektor)
J. A. Zygankow (Stellvertreter) Moskowskaja GALSTUTSCHNAJA Fabrika W. I. Tarrassow (Oirektor) Unternehmen zur Lebensmittelverarbeitun!l Omitrow N. V. A!libalow (Oirektor) OPTIMED SI. Petersburg Miljajew (Generaldirektor)
Kudarow Jershanowa (Marketin!labteilun!l)
LENIN GRADER KUHLKOMBINAT AOOT 4/5 SI. Petersburg Babodej (Generaldirektor) Buckowikova
AOOT WITEX SI. Petersburg A. A. Sedow (Stellv. d. Generaldirektors, Handel) B. N. Molischanow (Stellv. d. Generaldirektors, Technik)
Arkona NEWSKAJA KOSMETlKA SI. Petersburg V. N. Kononow (Stellvertreter des Generaldirektors, Oirektor Marketing)
Ukraine
Betrieb der Ge!lGgelverarbeitung Kiew Kalaschnikow (Oirektor) Kostrikyn (Leiter der Kaderabteilung)
Kiewer Fischkombinat Miropolski (Chelingenieur) Nezenko (Haupttechnologe) Kondraqenko (Abteilungsleiter Gkonomie) Samodina (Leiter der juristischen Abteilung)
Kiewer Werk fiir die Produktion von Milchsaure Strishak (Oirektor) BUDMASCH, Kiewer Betrieb fiir die Herstellung von Bau- Tscherbinin (Oirektor) maschinen Kiewer Experimentierfabrik fiir HAUSHAL TSCHEMIE K~atschko (Oirektor)
Musika (Chefingenieur)
Belarus
BELSPEZKOMMUNMASCH Minsk Mazulewitsch (Oirektor) A. S. Stultschikow (Chefingenieur) Fjodorow Koqak
Wissenschaftliche Produktionsgemeinschaft INTEGRAL O. W. Wetscher (Oirektor fiir Marketing und Absatz) Minsk LJUDMILLA Minsk V. A. Ansolis (Chefingenieur)
Orusjewitsch (Leiter Beschaffung und Absatz) S. E. Plawinskaja (Planungsleiter)
Kombinat Brotprodukte Minsk N. A. Orinenko (Generaldirektor) K. I. Kaschdanowa (Haupt6konomin)
KAMERTON Pinsk Talamai, J.V. (Marketingleiter)
324
EsUand
TALLINN MEAT COI11QClI}}' Lembit KivisildJDirektoJi Riigiettevote ,JuvEEL" Tallinn Indrek Kirss (Verwaltungsdirektor)
Aleksei Zahnarov -.lCommercial Direkto!l OOKEAN Ltd. Tallinn Olav Traks
Aksel Siemer (Berater des Untemehmens) BALTI Manufaktuur Tallinn H. Konts (Marketing & Vertriebs-Direktor)
Lettland
LAIMARiga Silius (Einkaufsleiter) Bluma (Sortimentsmanagerin)
RADIOTECHNIKA Riga Ossi Igorem Pucius (Prasident)
AUDA Riga Purins (Stellvertreter des Vorstandsvorsitzendelll STRAUME Riga Guntis Ved~s lStelivertreter des Direktor~
Litauen
Joint Stock Company Vilnius POULTRY FARM Rudamina A. Zamauskas (Marketing-Direktor) G. MickuvieneJDirektor fUr Okonomie und Finanze~
Joint Stock Company ,KUROAPARATURA" Vilnius R. Zaikauskas (Direktor Marketing)
AUDEJAS, Vilnius A. Nutautiene (Direktor Okonomie) A. Zorgevicius (Direktor Marketing)
325
Anhang 3: Interviewleitfaden der ersten Befragung
0) Strukturdaten (soviel wie maglich vorab ausffillen) Zunachst machten wir Sie bitten, uns einige Fragen zu Ihrer Person und Ihrem Betrieb zu beantworten.
• Namen der Gesprachspartner • Welche Stellung bzw. Funktion bekleiden Sie im Betrieb (Fur jeden Teilnehmer)? • Welchen beruflichen Werdegang haben Sie (Marketingerfahrung eruieren)? • Bitte geben Sie uns einen kurzen AbriB der Historie Ihres Betriebs. • Wieviele Mitarbeiter hat Ihr Betrieb? • Wieviele Mitarbeiter hatten Sie vor der Einffihrung von Glasnost und Perestroika? • Welche Veranderungen bei der Mitarbeiterzahl sind fUr die Zukunft geplan! (Zeitraum)? • Welche Rechtsform hat Ihr Betrieb? Wurde er schon privatisiert? Wann? Wie? • Wie wird Ihr Betrieb finanziert (Eigen- Fremdfinanzierung, staaH. Programme)? • Wie beurteilen Sie die Liquidita! Ihres Betriebs? • Welche Investitionen wurden seit der EinfUhrung von Glasnost und Perestroika vorgenommen? Wann genau?
1) Umfeld Nun machten wir einige Fragen zur Veranderung des Umfelds Ihres Betriebs stellen. Darunter verstehen wir die Bereiche, die nicht zum direkten EinfluBbereich Ihres Betriebs gehoren, die aber fUr die Leistungserstellung relevant sind, also Marktpartner (Konkurrenten, Handler), staaUiche Institutionen etc.
• Was waren fUr Ihren Betrieb die wichtigsten Veranderungen im Umfeld ihres Betriebs seit der EinfUhrung von Glasnost und Perestroika?
• Welches waren die wichtigsten Veranderungen in den Beziehungen zu Ihren Kunden? • Gibt es andere Betriebe, die fUr Sie Konkurrenten darstellen? Hat sich in diesem Bereich seit der EinfUhrung von
Glasnost und Perestroika etwas verandert? • Mit welchen Institutionen auBerhalb des Betriebs arbeiten Sie zusammen (Kammem, Berater, Agenturen usw.)? • Wie bewerten Sie die Transport-Infrastruktur (Probleme Beschaffungs-/Absatzlogistik)? Planen Sie in diesem
Bereich Anderungen (z.B. eigener Fuhrpark)? • Wie bewerten Sie die Telekommmunikations-infraslruktur?
2) Planung Die nachsten Fragen beziehen sich auf die Planung Ihres Betriebs. Wir verstehen darunter die Prozesse der Entscheidungsfindung iiber das Produktpogramm, die Preise, Investitionen usw. und die daran beteiligten Institutionen.
• Wie hat sich Ihre Planung seit der EinfUhrung von Glasnost und Perestroika verandert? • Existieren Reglementierungen beziiglich der Planung (staatlich, andere)? • Wer ist fUr die Erarbeitung Ihrer Betriebsplane verantwortlich (Eigenverantwortung, staaHiche Vorgaben, Ablauf
der Planerstellung, Kennziffem)? • Sind Veranderungen im Bereich der Planung beabsichtigt? Welche? • Welche Personen sind in Ihrem Betrieb an der Erarbeitung der Plane beteiligt? Wurden dazu seit der EinfUhrung
von Glasnost und Perestroika Personalstellen eingerichtet? • Welche Instrumentarien werden zur Planung verwendet? • Wie hat sich das betriebliche Berichtswesen (intem/extem) verandert?
326
3) Produkte/Leistungen Bitte geben Sie uns nun Auskunft iiber Ihr Produktionsprogramm.
• Welches waren die wichtigsten Veriinderungen im Rahmen Ihres Produktionprogramms seit der EinfUhrung von Glasnost und Perestroika (Art der Veriinderungen, Zeitpunkte, exteme oder interne Griinde, Umsetzung)? Welche Veriinderungen sind fUr die Zukunft geplant?
• Existieren Reglementierungen beziiglich der Gestaltung Ihrer Produktpalette (staaUich, andere)? • Welches waren und sind Ihre Haupt- und Nebenprodukte (%-Aufteilung)? • Wie erfolgt die Entwicklung und Gestaltung der Produkte in Ihrem Betrieb? War das vor der EinfUhrung von
Glasnost und Perestroika anders? Welche Veriinderungen sind fUr die Zukunft geplant? • Haben Sie die Fertigungstiefe seit der EinfUhrung von Glasnost und Perestroika veriindert? Wie? • Welche Veriinderungen sind fUr die Zukunft geplant (Make or buy)? • Bieten Sie fUr Ihre Produkte Service- und DiensUeistungen an (Systemlosungen, Kundendienst)? Welche Veran
derungen sind fUr die Zukunft geplant? • Wie bewerten Sie die Qualitat Ihrer Produkte im Vergleich zu Ihren Konkurrenten (National, GUS-intern, interna
tional)? Probleme mit Qualitatssicherung? • Wie bewerten Sie das technologische KnOW-how im Vergleich zu Ihren Konkurrenten (National, GUS-intern,
international, Veranderungen)?
4) Absatzmarkte/Distribution Die folgenden Fragen beziehen sich auf den Absatz Ihrer Produkte. Wir mCichten uns ein Bild von Ihren Absatzmarkten und den Problemen, die deren Veranderungen fUr Ihren Betrieb mit sich bringen, machen.
• Welches waren die wichtigsten Veranderungen in den Beziehungen zu Ihren Abnehmem seit der EinfOhrung von Glasnost und Perestroika (Kunden, Handler, Art der Veriinderungen, exteme oder interne Griinde)?
• Existieren Reglementierungen beziiglich Ihrer Absatzmarkte (staatlich, andere)? • Welches waren/sind Ihre Absatzgebiete (national, GUS-intern, international, falls mCiglich %-Einteilung)? Welche
Veranderungen sind fUr die Zukunft geplant? • Wie sah/sieht Ihre Kundenstruktur aus? (GroBkunden- und Kleinkundenaufteilung, abs. Anzahl). Welche Veran
derungen sind fOr die Zukunft geplant? • Hat Ihr Betrieb ein eigenes Vertriebsnetz (AuBendienstrnitarbeiter, Verkaufsniederlassungen)? Welche Verande
rungen sind fUr die Zukunft geplant? • Haben Sie Probleme, Ihre Produkte abzusetzen? • Wer ist in Ihrem Betrieb fUr die Akquisition verantwortlich? Wer war vor der EinfUhrung von Glasnost und Pere
stroika dafUr verantwortlich? Welche Veranderungen sind im Akquisitionsbereich fUr die Zukunft geplant? • Gibt es Zahlungprobleme (Zahlungsmoral, Zahlungsmodalitaten)?
327
5) Preis Bille beantworten Sie uns einige Fragen zur Gestaltung der Preise fUr Ihre Produkte.
• Welches waren die wichtigsten Veranderungen im Rahmen der Preispolitik seit der EinfUhrung von Glasnost und Perestroika (Art der Veranderungen, Zeitpunkte, exteme oder inteme Griinde)?
• Existieren Reglementierungen bezGglich der Gestaltung Ihrer Preise (staaUich, andere)? • Wie stufen Sie die Preise Ihrer Produkte im Vergleich zu Ihren Konkurrenten ein (Preislage im Vergleich zur GUS
und international)? Welche Veranderungen sind fUr die Zukunft geplant? • Wie fandlfindet die Preisbildung in Ihrem Bebieb stall (exteme oder inteme Institutionen, Methoden)? Welche
Veranderungen sind fUr die Zukunft geplant? • Gibt es Preisempfehlungen an Ihre Abnehmer (Handel, strategische Option)?
6) Informationsbeschaffung Wir mochten hier einige Fragen zur Inforrnationsbeschaffung in Ihrem Bebieb stellen. Oabei geht es um Inforrnationen Gber Markte, Kunden, Konkurrenten usw. Auch Marktforschung fallt in diesen Bereich.
• Welches waren die wichtigsten Veranderungen im Rahmen der Inforrnationsbeschaffung seit der EinfUhrung von Glasnost und Perestroika (Art der Veranderungen, Zeitpunkte, exteme oder inteme Griinde)?
• Haben Sie vor der EinfUhrung von Glasnost und Perestroika Marktforschung bebieben? • Betreiben Sie jetzt Mafo (Art der Mafo, eigene Abteilung, Fremdvergabe, Mitarbeiteranzahl)? • Plan en Sie die EinfUhrung von MaFo? • Welche Inforrnationsquellen haben Sie genutzt'nulzen Sie? Welche Veranderungen sind fUr die Zukunft geplant
(Ungestiitzt fragen, Nennungen notieren, danach Liste vorlegen)?
7) Kommunikation Wir mochten an dieser Stelle einige Fragen Gber die Kommunikation zwischen Ihrem Bebieb und Ihren Kunden stellen, also z.B. Gber Anzeigen- oder Fernsehwerbung, Messen u.a.
• Welches waren die wichtigsten Veranderungen im Rahmen der absatzfordernden Kommunikation seit der EinfUhrung von Glasnost und Perestroika (Art der Veranderungen, Zeitpunkte, externe oder interne GrGnde)?
• Existieren Reglementierungen bezGglich Messebeteiligungen, speziell Auslandmessen betreffend (staatlich, andere)?
• Existieren Reglementierungen bezGglich Werbung (staatlich, andere)? • Welche MaBnahmen der Verkaufsforderungen existiertenfexistieren in Ihrem Bebieb (Messen, national, GUS-
intern, international)? Welche Veranderungen sind fUr die Zukunft geplant? • Welche WerbemaBnahmen fUhren Sie durch? Welche Veranderungen sind fUr die Zukunft geplant? • Gab esfgibt es eine ausgearbeitete WerbekonzeptionfWerbebudgetierung? Wer hat sie erarbeitet? • Wer ist fUr die Marktkommunikation verantworllich? Gibt es eine Abteilung im Bebieb? • Arbeiten Sie mit Werbeagenturen? Plan en Sie eine Zusammenarbeit?
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8) Strategischer Ausblick AbschlieBend gestalten Sie uns bilte einige Fragen Ober die langfristigen, d.h. fiir die nachsten Jahre geltenden, Planungen Ihrer Geschaftstatigkei!.
• Welche zukOnftigen Chancen und Risiken sehen Sie fiir Ihren Betrieb? • Welche strategische Konsequenzen leiten Sie daraus ab? • Welche Investitionen sind miltel- bis langfristig (innerhalb der nachsten fiinf Jahre) geplant?
9) Beschaffung Hier beniitigen wir Informationen zur Beschaffung der nolwendigen Produktionsmiltel.
• Welches waren die wichtigsten Veranderungen in den Beziehungen zu Ihren Lieferanten seit der Einfiihrung von Glasnost und Perestroika (Art der Veranderungen, ext. oder in!. GrOnde)?
• Existieren Reglementierungen bezOglich der Beschaffung Ihrer Vorprodukte (staaUich, andere)? • Wieviele Zuliefererbetriebe gab es unter planwirtschaftiichen Bedingungen? Wieviele gibt es jetzt? • Gab es/gibt es Kooperationen im Beschaffungsbereich? Sind welche geplant? • Wie sah/sieht die Herkunft Ihrer Zulieferer aus? (national, GUS-intem, intemational) • Welche Veranderungen sind fiir die Zukunft geplant?
10) Organisation/Personal In diesem Abschnilt beniitigen wir Informationen Ober die Enlwicklung Ihrer betrieblichen Organisation und die damit verbundenen personellen Enlwicklungen.
• Welches waren die wichtigsten organisatorischen Veranderungen seit der Einfiihrung von Glasnost und Pere-stroika (Zeitpunkte und Iypischen Verlauf eruieren)?
• Existieren Reglementierungen bezOglich Organisation und Personal (staaUich, andere)? • Existiert eine eigene Markelingabteilung in ihrem Betrieb (Mitarbeiteranzahl, Aufgaben und Konzepte)? • Welche QualifizierungsmaBnahmen wurden in Ihrem Betrieb durchgefiihrt (verschiedene Ebenen, Art, Dauer)?
Welche sind fOr die Zukunft geplant? • Welche Anreizsysteme bestehen in Ihrem Betrieb fOr untemehmerisches Engagement (Motivation, Sanktionen)? • Welche Arten der Entlohnung existierten/existieren in Ihrem Betrieb (Grundlohn, leistungsorientiert, staatl. Vor
gaben)? Welche Veranderungen sind fOr die Zukunft geplant?
11) Zusammenarbeit
• Beniitigen Sie UnterstGtzung durch wesUiche Inslitutionen? In welchen Bereichen? • Was sind die dringendsten Probleme? • Haben Sie Erfahrungen mit der GrOndung und dem Betrieb von Joint-ventures mit einem wesUichen Partner? • Was sind Ihrer Meinung nach die Vorteile und die Nachteile eines Joint-ventures? • Sind sie interessiert an der GrOndung eines Joint-ventures? • Welche Informationsmiiglichkeiten Ober wesUiche Partner kennen Sie? • Was sind fOr Sie die griiBten Probleme bei der Zusammenarbeit mit einem westlichen Partner?
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Johann Engelhard (Hrsg.)
Ungarn im neuen Europa Integration - Transformation - Markteintrittsstrategien
1993, IX, 276 Seiten, Broschur, DM 78,-ISBN 3-409-13869-2
Die europaische Frage hat mit dem Zerfall der zentralplanwirtschaftlichen Systeme in Osteuropa eine neue Dimension bekommen. Die ausschliemiche Orientierung an Notwendigkeiten der westeuropaischen Integration erweist sich als unzureichend. Das Streben nach verstarkter Integration der EG-Staaten sowie die Transformation des Wirtschafts- und Gesdlschaftssystems der osteuropaischen Lander in Verbindung mit deren beschleunigter Anbindung an die EG gewinnt zunehmend an Bedeutung.
Die Position Ungarns zur und in der EG war Gegenstand eines Gemeinschaftssymposiums der Wirtschaftsuniversitat Budapest und der Otto-
Friedrich-Universitat Bamberg. Dabei wurden wesentliche Apekte der westeuropaischen Integration herausgearbeitet, Konzepte und Gefahrdungen der EG-Fahigkeit der ungarischen Wirtschaft offengelegt sowie Chancen und strategische Verhaltensweisen deutscher Unternehmen auf dem ungarischen Markt kritisch gewiirdigt.
Die Diskussionsbeitrage bieten sowohl Fiihrungskraften in Unternehmen mit wirtschaftlichem Engagement in Osteuropa als auch Studenten und Dozenten der Wutschaftswissenschaften, insbesondere mit dem Schwerpunkt Internationales Management, einen guten Einblick in den gesamteuropaischen EntwicklungspozeK
Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GmbH, Abraham-Uncoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden
Benkenstein/Richter/ROland/SchrOder (Hrsg.)
Osteuropa im Umbruch Perspektiven fUr die neuen Bundeslander
1995, X& 214 Seiten, Broschur, OM 68,ISBN 3-409-13239-2
Die Offimng Osteuropas und insbesondere der ehemaligen DDR ist mit politischen, wirtschaftlichen und strukturellen Veranderungen verbunden, die, bezogen auf die ehemaligen RGW-Lander, durch strategische Diskontinuitaten gekennzeichnet sind. Eine gezielte und differenzierte Analyse der Situation ist somit nur bedingt moglich.
Die Beitrage renommierter Autoren aus Politik, Wissenschaft und Untemehmenspraxis zeigen das
Bild der politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen m Osteuropa und gehen auf die Konsequenzen fur die Bundesrepublik Deutschland und insbesondere die neuen Bundeslander ein.
Das Buch wendet sich an Dozenten und Studenten der Wirtschaftswissenschaften, der Politikund Sozialwissenschaften sowie an Fachleute in Untemehmen, die in den osteuropaischen Markten engagiert sind bzw. dort m Zukunft vertreten sein werden.
Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GmbH, Abraham-Uncoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden
Manfred Borchert
AuDenwirtschaftslehre Theorie und Politik
5., Oberarbeitete und erweiterte Auflage 1997, XV, 538 Seiten, Broschur, DM 78,
ISBN 3-409-63905-5
Dieses Standardlehrbuch zur Augenwirtschaftslehre fuhrt in die grundlegenden Probleme der Theorie und Politik internationaler Wirtschaftsbeziehungen ein. 1m ersten Teil stellt der Autor den theoretischen Gesamtkomplex der internationalen Wirtschaftsbeziehungen vor:
- Augenhandelsverflechtung und Zahlungsbilanz,
- Mikrookonomisch fundierte Theorie,
- Monetiire Augenwirtschafts-theorie,
- Devisenmarkt und Wechselkurse.
1m zweiten Teil beschreibt Professor Borchert die Anwendung der Theo-
rie in der Politik sowie deren Institutionen:
- Augenwirtschafts- und Augenhandelspolitik,
- Internationale Wiihrungsord -nung,
- Europiiische Wiihrungsunion, - Integrations- und Entwicklungs-
politik.
Fur die 5. Auflage wurden aile Kapitel griindlich uberarbeitet und auf den neuesten Stand von Forschung und Praxis gebracht. Insbesondere die Einflusse der Neuen Wachstumstheorie und der Strategischen Handelspolitik wurden fur die aktuellen wirtschaftspolitischen Entwicklungen berUcksichtigt.
8etriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GmbH, Abraham-Uncoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden