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25Donnerstag, 25. Oktober 2018 | Nr. 247STUTTGARTER ZEITUNG STUTTGART
Wie kann der Verkehr zukünftig in der Stadt fließen? Welchen Antrieb hat das Auto der Zukunft? Wie entwickelt sich die Autoindustrie?Ist der Stau der Zukunft vielleicht in der Luft? Das sind einige der Fragen, über die Experten auf dem StZStadtkongress debattiert haben.
Stadt der Zukunft
Ist die autofreie Stadt die bessere Stadt?Diese Frage beantwortete Prof. Dr.Steffen de Rudder, Vertretungsprofes
sor an der BauhausUniversität Weimar, mit einem klaren Nein. Trotzdem musssich einiges ändern.
Herr de Rudder, bedeutet Ihre Antwort, dassin Bezug auf Autos, alles so bleiben soll, wiees jetzt ist?Nein, natürlich nicht. Es geht um die Frage,wie wir ein System, das ganz und gar aufAutoverkehr aufbaut, ändern können. Tatsache ist, dass es erst wenige Autos gab unddann immer mehr. Und es werden jetzt immer noch mehr. Die Zulassungszahlen steigen jedes Jahr. Das heißt, irgendwann isteinfach die Stadt voll – und dieser Punkt istjetzt erreicht. Und wir werden jetzt darüber nachdenken müssen, wie wir die Mobilität und den Platz inder Stadt neu organisieren. Und dieseÜberlegungen führendazu, dass wir mehr andere Verkehrsmittelbrauchen und wenigerAutoverkehr.
Haben Sie eine idealeLösung, wie das aussehen sollte?Nein, ich habe keineideale Lösung, weil wirja nicht wissen, was esnoch für Verkehrsmittel geben wird. Das isteine Entwicklung, dieüber Jahrzehnte geht.Es gibt schon viele Modelle, einige davon werden aber wahrscheinlich wieder verschwinden. Ein Beispiel hierfür sind autonom fahrende Busse,die man sich per App nach Hause holt, diein Echtzeit Fahrzeiten verschiedener Mitfahrer koordinieren. Diese Busse gibt es erst jetzt. Das ist ein Ergebnis der Digitalisierung. Und das ist ein Prozess, der geradedas ganze Leben verändert. Und wie sichdas entwickelt, können wir noch nicht vorhersagen. Ich habe aber ein Ideal und dassieht so aus, dass es in Zukunft mehr Fußgänger, Fahrrad und öffentlichen Verkehrgeben wird, und dass das alles Spaß macht.In Stuttgart sind die Züge aber oft vollgestopft. Das ist für viele Pendler Alltag undnicht angenehm. Das sind die Ziele – zu Fußgehen, Fahrradfahren und den öffentlichenNahverkehr angenehm gestalten.
Und wer muss jetzt aktiv werden, um die Entwicklungen voranzutreiben?Alle müssen aktiv werden. Es ist nicht die böse Politik oder die böse Autolobby oder irgendeine Partei. Es müssen alle aktivwerden und ganz besonders jeder, der sichin der Stadt bewegt. Denn wir sind die, dieVerantwortung tragen, wir sind der Verkehr, wir sind der Stau. Es sind unsere Entscheidungen, welches Verkehrsmittel wirwählen. Wir haben jetzt andere Bedingungen, dadurch dass es mehr Menschen gibt auf der Welt. Alles wird voller, und alles wird dichter. Immer mehr Menschen auf der Welt produzieren immer mehr CO2.Wir erleben das als Touristen – überall, wo wir hinkommen, sind schon andere da. Wirverhalten uns aber eigentlich nicht gemäßdieser Erkenntnis. Das heißt, die Politikmuss sich bewegen, die Stadtplanung, dieVerkehrsplanung, Verkehrsbetriebe, Wohnungsbauunternehmen müssen sich bewegen, aber auch wir.
Das Gespräch führte Lena Hummel.
Interview Überfüllte Zügesind für viele Pendler Alltag– das muss sich ändern.
Öffentlicher Verkehr muss Spaß machen
PROFESSOR UND ARCHITEKT
Person Steffen de Rudder ist Architekt und lehrt seit 2013 Städtebau und Entwerfen an der BauhausUniversität Weimar. Er war Gastprofessor für Stadt und Architekturgeschichte an der Hochschule Anhalt in Dessau; hat in Amsterdam, Erfurt und Berlin gearbeitet. Er forscht zur Geschichte der autogerechten Stadt sowie zu den Themen Städtebau und neue Mobilität.
Best Practice Sein Vortrag steht zwar unterder Frage „Ist die autofreie Stadt die bessere Stadt?“. Tatsächlich ist er aber der Meinung, dass die Existenz von Autos keine gute oder schlechte Stadt ausmacht. Eine Stadt könne mit und ohne Autos gut sein.
„Wir sind das, wir sind der Verkehr, wir sind der Stau.“Steffen de Rudder, Architekt
Foto: Lg/Piechowski
Stadt, Bahn, Bus
Münster, Karlsruhe und Freiburgsind laut einer bundesweitenUmfrage im Moment die drei
fahrradfreundlichsten Städte in Deutschland. Dass Stuttgart in dieser Rangliste einmal auch ganz weit oben auftaucht, gilt als eher unwahrscheinlich. Wäre es dochschon ein großer Fortschritt, wenn es hierirgendwann ein gesundes Mobilitätsmiteinander zwischen Autofahrern, Radfahrern,Fußgängern sowie Bus und Bahnnutzerngeben würde. Dieses Ziel haben wiederumpraktisch alle deutschen Städte, zumal mansich vielerorts verpflichtet fühlt, den nichtmotorisierten Individualverkehr auf einenWert von 80 Prozent zu erhöhen.
Das ist der Ausgangspunkt einer Veranstaltung im Rahmen des StZFachkongresses „Stadt der Zukunft – Zukunft der Stadt“am Dienstag in der SpardaWelt am Hauptbahnhof. Wie ergebnisoffen die von StZLokalchef Holger Gayer moderiertePodiumsdiskussion geführt wird, zeigt sichschon am Motto „Neue Autos braucht dasLand! Braucht das Land neue Autos?“. Ausdem Titel leiten sich zwei Debattensträngeab. Zum einen geht es darum, welchen Antrieb das Auto der Zukunft hat. Auf der anderen Seite wird der Frage nachgegangen,
wie der Verkehr gemanagt werden muss. Jedenfalls nicht wie in Stuttgart, meint derhier geborene und seit 30 Jahren in den Niederlanden lebende Stadtplaner MichaelTrinkner von der in Rotterdam ansässigenFirma KCAP Architects & Planners: „NachStuttgart kommen, das ist wie eine Reise indie 60er Jahre“, schildert Trinkner seineEindrücke und stellt Deutschland insgesamt kein gutes Zeugnis aus. „Die Infrastruktur ist schockierend.“
Michael Trinkner erzählt, dass auch derKönig in den Niederlanden häufig mit demFahrrad zur Arbeit komme. „Es ist das schnellste Verkehrsmittel auf der städtischen Fünfkilometerdistanz, mit EAntrieb sind es zehn Kilometer“, sagt Trinkner und fordert, dass man dieser Erkenntnis planerisch Rechnung tragen müsse.
Thomas Kiel weiß auch, wie. Der Verkehrsexperte des Deutschen Städtetagsdenkt daran, dreispurige Straßen zweispurig zu machen und die freie Fläche denFahrradfahrern zu überlassen. „Es wirdüber den Raum in der Stadt neu verhandeltwerden“, prognostiziert in diesem Zusammenhang auch Stadtplaner Trinkner.
Dass Autos in der Stadt aber weiterhineine Daseinsberechtigung haben, darauf
hebt Irene Feige ab. Die Leiterin des zurBMWGruppe gehörenden Instituts fürMobilitätsforschung erinnert an dasGrundbedürfnis, mobil zu sein, dabei aberdie Auswirkungen auf den Mitmenschen sogering wie möglich zu halten. Man könnenicht davon ausgehen, dass die Menschenauf das Fahrrad umstiegen, solange sie sichaufgrund von fehlenden Radwegen nichthinreichend geschützt fühlten. Womit sichdie Diskussion in Richtung Perspektive desAutos bewegt. Allerdings sagtniemand auf dem PodiumFahrzeugen mit Verbrennungsmotoren eine große Zukunft voraus.
„In der Stadt werden sichkleine Fahrzeuge mit Batterie durchsetzen, für schwereFahrzeuge, die lange Streckenzurücklegen, kommen derBrennstoffzelle und Wasserstoff eine wichtige Rolle zu“, mutmaßt Detlef Stolten. Der Direktor des Instituts fürEnergie und Klimaforschung Jülich verweist auf das europäische Ziel, bis 2050 dieTreibhausgasemissionen um 80 Prozentgegenüber dem Stand von 1990 zu reduzieren. „Das Auto ist ein wichtiger Bestandteilder Energiewende“, so Detlef Stolten, derneben der Abgasvermeidung weitere Vorteile der alternativen Antriebsformen heraushebt. So könnten auf Brennstoffzelleneine 300 000KilometerGarantie gegeben
werden, während Elektroautos viel weniger Wartung benötigten.
In diesem Zusammenhang erinnert Mobilitätsforscherin Irene Feige daran, dassauch einige EFragen noch nicht zufriedenstellend beantwortet seien, zum Beispiel bei der Batterieproduktion in Bezug auf dieProblemmetalle Kobalt und Lithium mitder oft unsauberen Gewinnung.
Wie der städtische Verkehr von morgenaussehen wird, da sind sich alle Gesprächs
teilnehmer einig, das lässt sichnicht prognostizieren. Die Zukunft sehe immer anders aus,meint Stadtplaner MichaelTrinkner. Und Irene Feigesagt: „Die Mobilität ist ein regulierter Markt, der sich überSubvention und Besteuerunglenken lässt. Die Herstellerwissen aber nicht, wohin esgeht, diese Planungsunsicher
heit ist ein Problem.“ Das sehe man alleinschon daran, dass die USA offenbar weiterauf Verbrennungsmotoren setzen, während in Asien ein anderer Weg eingeschlagen werde. Und dazwischen die deutschen Hersteller, die auch nicht wissen, ob dieStädte irgendwann privatautofrei sein werden oder voller selbstfahrender Wagen.
Zum Abschluss fasst Michael Trinknerzusammen, worum es bei diesem Themaimmer gehen soll: „um die Verbesserung der Lebensqualität“.
Mobilitätskonzepte Experten diskutieren die Frage, wohin sich der Verkehr in den Ballungsräumen entwickelt. Von Peter Stolterfoht
„Die Infrastruktur in Deutschland ist schockierend. Stuttgart erinnert an die 60er Jahre.“Michael Trinkner,Stadtplaner
Fliegen wir 2030 über verstopfte Innenstädte hinweg?
Im Idealfall gibt es in einer Podiumsdiskussion gegenteilige Meinungen. Dasbewirkt Reibung, unterschiedliche
Positionen, die kontrovers diskutiert werden. Aus dieser Perspektive betrachtet ist die Diskussionsrunde „Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus“, die am Mittwochvormittag beim StZKongress Stadt der Zukunft von StZAutor Christian Milankovicmoderiert wird, ein voller Erfolg.
Ebenfalls nicht enttäuscht werden diejenigen, die Antworten auf die Fragen derZukunft der Mobilität erwarten – auch wenn die unterschiedlich ausfallen.
Zumindest eine Prognosezur Verkehrszukunft wird indieser Runde nicht angezweifelt: „Die Automobilindustrie wird sich in den kommenden zehn Jahrenfür immer verändern“, sagt Susanne Hahn,die das Lab 1886 bei Daimler verantwortet –eine Innovationsabteilung, die unter anderem Car2go und Moovel entwickelt hat. Invielen anderen Punkten herrscht dagegen Uneinigkeit. Die promovierte Soziologin Kerstin Ullrich von der MoD Holding ist sich sicher: „In den verdichteten Kernstädten hat der Individualverkehr keine Chance.Wenn wir den Klimawandel ernst nehmen, müssen wir uns verabschieden vom Auto, das nur von einer Person genutzt wird.“
Benedikt Lahme von der FirmaDoor2Door sieht nur in einem Ansatz dieLösung für die Probleme der heutigen Mobilität: „Wenn der ÖPNV so ausgebaut ist, dass er den Ansprüchen der Bürger genügt,steigen die Leute vom Auto um.“ Seine These: Mobilität ist eine Gewohnheitsfrage. Die zu verändern dauere lange. Vielleichtmüsse man dabei auch provozieren undeine höchst unbeliebte Maßnahme anwenden: „Vielleicht braucht es auch Verbote,vielleicht müssen wir Innenstädte radikal
schließen.“ Die DaimlerMitarbeiterin
Susanne Hahn widersprichtan dieser Stelle natürlich vehement: „Jeder soll selbst entscheiden, mit welchem Fortbewegungsmittel er von A
nach B kommen will“, so Hahn und referiertüber den Segen des autonomen Fahrens: „In Zukunft können Sie beim Fahren schlafen, entspannen oder arbeiten.“ Daraufhinmeldet sich Jens Schade, der an der TU Dresden eine Professur für Verkehrspsychologie innehat, mit einem Einwand zu Wort: „Was wird aus dem Fußgänger, der dieautonom fahrenden Autos kreuzen will?“
Bei allem Willen zur Veränderung erinnern dann Kerstin Ullrich und Susanne Hahn gleichermaßen an die Folgen für dieWirtschaft: „BadenWürttemberg darf kein
Bei dieser Aussicht geht Kerstin Ullrichsprichwörtlich in die Luft: „Ich halte das füreine Bankrotterklärung. Damit entziehenwir uns der Verantwortung, dass man Mobilität und Stadtentwicklung gemeinsamdenken muss“, und Benedikt Lahme ergänzt: „Der Himmel über Stuttgart voller Volocopter – wollen wir das? Dann sitzenwir 2040 bei diesem Kongress hier und sprechen über den verstopften Luftraum.“Wenn dabei wieder eine solch kontroverseDiskussion herauskommt, spricht zumindest aus dieser Perspektive nichts dagegen.
Diskussion Fahrverbote, Flugobjekte oder autonomes Fahren: Wie sieht die Zukunft der Mobilität aus? Von Ingmar Volkmann
Schimpft auf die Politik: Kerstin Ullrich
Will hoch hinaus: Susanne Hahn
Setzt auf den ÖPNV: Benedikt Lahme
Nachdenklich: Jens Schade Fotos: Lg/Piechowski
zweites Ruhrgebiet werden. Die Politik verpennt die Möglichkeit, den Strukturwandelzu gestalten“, sagt Ullrich, und Hahn ergänzt: „In BadenWürttemberg haben wirheute 440 000 Arbeitsplätze, die direkt oder indirekt von der Autoindustrie abhängen.“ Die Leiterin des Lab 1886 fordert daher ein Umdenken. „Wenn wir emissionsfreie Mobilität wollen, müssen wir in dieLuft!“ Hahn ist sich sicher: „2030 fliegenwir von A nach B. Mit dem Flugtaxi brauchen Sie dann 15 Minuten vom Flughafenbis zum MercedesBenzMuseum.“
Flugtaxis: Zukunft der Mobilität oder Verlagerung eines Problems?
Über Mobilitätsinnovationen (im Bild ein EchtzeitHinweissystem) reden Thomas Kiel, Michael Trinkner, Holger Gayer, Irene Feige und Detlef Stolten (v. l.). Fotos: Here, Lichtgut/Piechowski