spätstil beethovens adorno

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An interesting essay of Adorno about the late stile of Beethoven, which was used by Thomas Mann in Dr Faustus.

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    ADORNO SPTSTIL BEETHOVENS

    Die Reife der Sptwerke bedeutender Knstler gleicht nicht der von Frchten. Sie sind

    gemeinhin nicht rund, sondern durchfurcht, gar zerrissen; sie pflegen der Se zu entraten und

    weigern sich herb, stachlig dem bloen Schmecken; es fehlt ihnen all jene Harmonie, welche

    die klassizistische sthetik vom Kunstwerk zu fordern gewohnt ist, und von Geschichte zeigen

    sie mehr die Spur als von Wachstum. Die bliche Ansicht pflegt das damit zu erklren, da sie

    Produkte der rcksichtslos sich bekundenden Subjektivitt oder lieber noch Persnlichkeit

    seien, die da um des Ausdrucks ihrer selbst willen das Rund der Form durchbreche, die

    Harmonie wende zur Dissonanz ihres Leidens, den sinnlichen Reiz verschmhe kraft der

    Selbstherrlichkeit freigesetzten Geistes. Damit wird das Sptwerk an den Rand von Kunst

    verwiesen und dem Dokument angenhert; tatschlich pflegt denn auch bei Errterungen ber

    den letzten Beethoven der Hinweis auf Biographie und Schicksal selten zu fehlen. Es ist, als

    wolle angesichts der Wrde menschlichen Todes die Kunsttheorie ihres Rechtes sich begeben

    und vor der Wirklichkeit abdanken.

    Nicht anders kann verstanden werden, da man an der Unzulnglichkeit jener

    Betrachtungsweise kaum je ernstlich Ansto genommen hat. Die erweist sich, sobald man

    anstatt der psychologischen Herkunft das Gebilde selber im Auge behlt. Denn dessen

    Formgesetz gilt es zu erkennen, wofern man nicht die Grenzlinie zum Dokument berschreiten

    mag - jenseits von welcher dann freilich jedes Konversationsheft Beethovens mehr zu bedeuten

    htte als das cis-moll-Quartett. Das Formgesetz der Sptwerke ist aber jedenfalls von der Art,

    da sie nicht im Begriff des Ausdrucks aufgehen. Vom letzten Beethoven gibt es hchst

    ausdruckslose, distanzierte Gebilde; darum mochte man von seinem Stil eben so gern auf

    neue, polyphonisch-objektive Konstruktion schlieen wie auf jenes rcksichtslos Persnliche.

    Seine Zerrissenheit ist nicht stets die von Todesentschlu und dmonischem Humor, sondern

    oftmals rtselhaft schlechthin, fhlbar in Stcken heiteren, selbst idyllischen Tones. Der

    unsinnliche Geist meidet nicht Vortragsbezeichnungen wie Cantabile e compiacevole oder

    Andante amabile.

    Keinesfalls ist seiner Haltung das Clich Subjektivismus plan zugeordnet. Wirkt doch in

    Beethovens Musik insgesamt Subjektivitt, ganz im Sinne der Kantischen, nicht sowohl

    formdurchbrechend denn ursprnglich formerzeugend. Dafr mag exemplarisch die

    Appassionata einstehen: gewi dichter, geschlossener, harmonischer als die letzten

    Quartette, aber um eben so vieles auch subjektiver, autonomer, spontaner. Trotzdem

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    behaupten diese letzten Werke vor ihr den Vorrang ihres Geheimnisses. Wo ist es gelegen?

    Zur Revision der Auffassung vom Sptstil knnte allein die technische Analyse der in Rede

    stehenden Werke verhelfen. Sie htte sich vorab an einer Eigentmlichkeit zu orientieren, die

    von der landlufigen Auffassung geflissentlich bersehen wird: der Rolle der Konventionen.

    Die ist beim alten Goethe, beim alten Stifter bekannt; ebensowohl aber bei Beethoven als dem

    vorgeblichen Reprsentanten radikal persnlicher Haltung festzustellen. Damit schrft sich die

    Frage. Denn keine Konventionen zu dulden, die unvermeidlichen umzuschmelzen nach dem

    Drang des Ausdrucks ist das erste Gebot jeglicher subjektivistischen Verfahrungsweise. So

    hat gerade der mittlere Beethoven die herkmmlichen Begleitfiguren durch Bildung latenter

    Mittelstimmen, durch ihren Rhythmus, ihre Spannung und welches Mittel auch immer in die

    subjektive Dynamik hineingezogen und nach seiner Intention verwandelt, wo er sie nicht gar -

    wie im ersten Satz der Fnften Symphonie -aus der thematischen Substanz selber entwickelt

    und kraft deren Einmaligkeit der Konvention entreit. Ganz anders der spte. berall sind in

    seine Formensprache, auch dort, wo sie einer so singulren Syntax sich bedient wie in den fnf

    letzten Klaviersonaten, Formeln und Wendungen der Konvention eingesprengt. Sie sind voller

    schmckender Trillerketten, Kadenzen und Fiorituren; oftmals wird kahl, unverhllt,

    unverwandelt die Konvention sichtbar: das erste Thema der Sonate op. 110 zeigt eine

    unbefangen primitive Sechzehntelbegleitung, die der mittlere Stil kaum geduldet htte; die

    letzte der Bagatellen bringt Einleitungs- und Schlutakte wie das verstrte Vorspiel einer

    Opernarie - all dies mitten in den hrtesten Gesteinschichten der vielstimmigen Landschaft, den

    verhaltensten Regungen abgeschiedener Lyrik. Keine Auslegung Beethovens und wohl jeglichen

    Sptstils langt zu, die die Konventionstrmmer nur psychologisch, mit Gleichgltigkeit gegen die

    Erscheinung motivierte. Hat doch Kunst allemal blo in der Erscheinung ihren Gehalt. Das

    Verhltnis der Konventionen zur Subjektivitt selber mu als das Formgesetz verstanden

    werden, aus welchem der Gehalt der Sptwerke entspringt, wofern sie wahrhaft mehr bedeuten

    sollen als rhrende Reliquien.

    Dies Formgesetz wird aber gerade im Gedanken an den Tod offenbar. Wenn vor dessen

    Wirklichkeit das Recht von Kunst vergeht: dann vermag er gewi nicht unmittelbar ins

    Kunstwerk einzugehen als dessen Gegenstand. Er ist einzig den Geschpfen, nicht den

    Gebilden auferlegt und erscheint darum von je in aller Kunst gebrochen: als Allegorie. Das

    verfehlt die psychologische Deutung. Indem sie die sterbliche Subjektivitt zur Substanz des

    Sptwerkes erklrt, hofft sie bruchlos im Kunstwerk des Todes innewerden zu knnen; das

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    bleibt die trgende Krone ihrer Metaphysik. Wohl gewahrt sie die sprengende Gewalt von

    Subjektivitt im spten Kunstwerk. Aber sie sucht sie in der entgegengesetzten Richtung als

    der, nach welcher sie drngt; sucht sie im Ausdruck von Subjektivitt selber. Diese jedoch, als

    sterbliche und im Namen des Todes, verschwindet in Wahrheit aus dem Kunstwerk. Die

    Gewalt der Subjektivitt in den spten Kunstwerken ist die auffahrende Geste, mit welcher sie

    die Kunstwerke verlt. Sie sprengt sie, nicht um sich auszudrcken, sondern um ausdruckslos

    den Schein der Kunst abzuwerfen. Von den Werken lt sie Trmmer zurck und teilt sich,

    wie mit Chiffren, nur vermge der Hohlstellen mit, aus welchen sie ausbricht. Vom Tode

    berhrt, gibt die meisterliche Hand die Stoffmassen frei, die sie zuvor formte; die Risse und

    Sprnge darin, Zeugnis der endlichen Ohnmacht des Ichs vorm Seienden, sind ihr letztes Werk.

    Darum der Stoffberschu im zweiten Faust und in den Wanderjahren, darum die

    Konventionen, die von Subjektivitt nicht mehr durchdrungen und bewltigt, sondern stehen

    gelassen sind. Mit dem Ausbruch von Subjektivitt splittern sie ab. Als Splitter, zerfallen und

    verlassen, schlagen sie endlich selber in Ausdruck um; Ausdruck jetzt nicht mehr des

    vereinzelten Ichs, sondern der mythischen Artung der Kreatur und ihres Sturzes, dessen Stufen

    die spten Werke gleichwie in Augenblicken des Einhaltens sinnbildlich schlagen.

    So werden beim letzten Beethoven die Konventionen Ausdruck in der nackten Darstellung

    ihrer selbst. Dazu dient die oft bemerkte Verkrzung seines Stils: sie will die musikalische

    Sprache nicht sowohl von der Floskel reinigen als vielmehr die Floskel vom Schein ihrer

    subjektiven Beherrschtheit: die freigegebene, aus der Dynamik gelste Floskel redet fr sich.

    Jedoch nur im Augenblick, da Subjektivitt, entweichend, durch sie hindurchfhrt und mit ihrer

    Intention sie jh erleuchtet; daher die Crescendi und Diminuendi, die, scheinbar unabhngig

    von der musikalischen Konstruktion, diese beim letzten Beethoven oftmals erschttern.

    Er sammelt nicht mehr die Landschaft, verlassen jetzt und entfremdet, zum Bilde. Er

    berstrahlt sie mit dem Feuer, das Subjektivitt entzndet, indem sie ausbrechend auf die

    Wnde des Werkes aufprallt, treu der Idee ihrer Dynamik. Proze bleibt noch sein Sptwerk;

    aber nicht als Entwicklung, sondern als Zndung zwischen den Extremen, die keine sichere

    Mitte und Harmonie aus Spontaneitt mehr dulden. Zwischen Extremen im genauesten

    technischen Verstande: hier der Einstimmigkeit, dem Unisono, der bedeutenden Floskel, dort

    der Polyphonie, die unvermittelt darber sich erhebt. Subjektivitt ist es, welche die Extreme

    im Augenblick zusammenzwingt, die gedrngte Polyphonie mit ihren Spannungen ldt, im

    Unisono sie zerschlgt und daraus entweicht, hinter sich lassend den entblten Ton; die

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    Floskel einsetzt als Denkmal des Gewesenen, worin versteint Subjektivitt selber eingeht. Die

    Zsuren aber, das jhe Abbrechen, das mehr als alles andere den letzten Beethoven bezeichnet,

    sind jene Augenblicke des Ausbruchs; das Werk schweigt, wenn es verlassen wird, und kehrt

    seine Hhlung nach auen. Dann erst fgt das nchste Bruchstck sich an, vom Befehl der

    ausbrechenden Subjektivitt an seine Stelle gebannt und dem voraufgehenden auf Gedeih und

    Verderb verschworen; denn das Geheimnis ist zwischen ihnen, und anders lt es sich nicht

    beschworen als in der Figur, die sie mitsammen bilden. Das erhellt den Widersinn, da der letzte

    Beethoven zugleich subjektiv und objektiv genannt wird. Objektiv ist die brchige Landschaft,

    subjektiv das Licht, darin einzig sie erglht. Er bewirkt nicht deren harmonische Synthese. Er

    reit sie, als Macht der Dissoziation, in der Zeit auseinander, um vielleicht frs Ewige sie zu

    bewahren. In der Geschichte von Kunst sind Sptwerke die Katastrophen.

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