süße aussichten - agrarheute.com

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ANKLAM P P KLEIN WANZLEBEN P KÖNNERN P ZEITZ P WARBURG P OFFENAU P OFFSTEIN P OCHSENFURT P WABERN P BROTTWITZ PAPPELDORN P EUSKIRCHEN P RAIN P PLATTLING P JÜLICH LAGE P P UELZEN SCHLADEN P P CLAUEN P NORDSTEMMEN In vier Jahren fällt die EU-Zuckermarktordnung. Die deutsche Zuckerwirtschaft ist für den Wettbewerb gut gerüstet. Risiken gehen vom Weltmarkt und zwei Kartellverfahren aus. N och vier Ernten, dann schleift die EU mit der Zuckermarktordnung auch ihre letzte Bastion der Agrar- marktsteuerung. Ab dem 30. Sep- tember 2017 gehören nationale Zuckerquo- ten und Rübenmindestpreise der Vergan- genheit an. Das hat der Trilog am 25. Juni 2013 beschlossen. Erhalten bleiben der Min- destpreis für Weißzucker von 404 €/t als Schwelle für die private Lagerhaltung und der Außenschutz. Aber auch die begüns- tigten Importkontingente für die am we- nigsten entwickelten Länder (LDC) sowie die Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP-Staaten) bestehen fort. Die europäischen Rübenanbauer und die Zucker- unternehmen müssen sich darum auf stär- kere Preis- und Mengenschwankungen ein- stellen. Der Anbau kann — und wird — zu den besten Standorten in der Gemeinschaft wandern. Dort dürften Rübenanbau und Zu- ckererzeugung zunehmen, während schwä- chere Regionen aussteigen. Die deutsche Zuckerwirtschaft ist für den Wettbewerb gut gerüstet. Sie gilt als eine der modernsten und rentabelsten in Europa. Vier Unternehmen teilen sich den deutschen Markt: Südzucker, Nordzucker, Pfeifer & Lan- gen sowie Suiker Unie. In ihren zusammen 20 Werken stellen sie jährlich 3,5 Mio. t bis 4 Mio. t Zucker her. Branchenprimus Südzucker Unangefochtener Marktführer ist in Europa die Südzucker-Gruppe. Auf sie allein entfällt knapp ein Viertel des EU-Zuckermarktes. Bei 7,9 Mrd. € Umsatz erzielte der Konzern 2012/13 einen Überschuss von 735 Mio. €. In elf europäischen Ländern unterhält die Gruppe Zuckerfabriken oder Raffinerien. Südzucker dominiert aber nicht nur den eu- ropäischen Zuckermarkt und unterhält Part- nerschaften mit Erzeugern in den LDC und AKP-Staaten, sondern ist auch der weltweit größte Hersteller von Fruchtzubereitungen. Außerdem ist das Unternehmen im Bioetha- nol- und Weizenstärke-Sektor sowie im Be- reich Zutaten und Fertiggerichte aktiv. Bis zu 2,5 Mio. Pizzen rutschen beim Tochter- unternehmen Freiberger täglich vom Band. Seit vorigem Jahr ist Südzucker zudem mit 25 % minus einer Aktie am britischen Han- delshaus ED&F Man beteiligt, dem welt- weit zweitgrößten Zuckerhändler. Für wei- tere Übernahmen und Investitionen verfügt die Gruppe über 2,7 Mrd. € liquide Mittel. Im Hinblick auf 2017 hat Südzucker daher sicher am wenigsten zu befürchten. Süße Aussichten FOTO: MAKSUD, SHUTTERSTOCK Kurz & knapp P Ohne Zuckerquoten und Rübenmindest- preise schwindet die Marktstabilität. P In Gunstregionen werden Rübenanbau und Zuckererzeugung zunehmen. P Deutschland liegt in der EU in der Spitzengruppe. P Mehr Freihandel bedeutet mehr Unruhe im Binnenmarkt. P Den Zuckerunternehmen drohen hohe Kartellstrafen. N ZUCKERRüBENANBAU in % der Ackerfläche Nordzucker folgt mit 15 % EU-Marktanteil auf Rang zwei der größten europäischen Zu- ckerunternehmen. Pünktlich zum 175-jäh- rigen Jubiläum konnte die Nordzucker AG für 2012/13 mit den besten Zahlen der Firmen- geschichte aufwarten: Der Umsatz wurde um 21 % auf 2,4 Mrd. € gesteigert und der Jahresüberschuss um 70 % auf 360 Mio. €. Nordzucker ist nicht so diversifiziert wie Süd- zucker, unterhält aber Zuckerfabriken in Dä- nemark, Finnland, Litauen, Polen, Schweden und der Slowakei. Teil der Unternehmens- strategie ist das Ziel „20-20-20“: Die bes- ten 20 % der Rübenanbauer im Einzugsge- biet sollen ihren Zuckerertrag von zuletzt 15,4 t/ha bis 2020 auf 20 t/ha steigern. Pfeifer & Langen, das einzige private Zu- ckerunternehmen in Deutschland, belegt in der europäischen Rangliste mit 7,7 % Markt- anteil Platz sechs hinter der französischen Tereos, British Sugar und der ebenfalls fran- zösischen Genossenschaft Cristal Union. Als Familienunternehmen veröffentlicht Pfeifer & Langen nahezu keine Angaben zum wirt- schaftlichen Erfolg. Im Jahr 2011 betrug der 2 bis 10 über 10 CHANCE FüR EINSTEIGER? eoretisch wird mit der Abschaffung der Zuckerquoten der Weg frei für Neueinstei- ger in den Rübenanbau, ohne teure Lieferrechte kaufen zu müssen. Damit könnten auch Betriebe von den lukrativen Zuckerrüben profitieren, die bei der Zuteilung der Kontingente — aus welchen Gründen auch immer — leer ausgingen. Ob sich diese Hoffnung in der Praxis erfüllt, wird wesentlich davon abhängen, wie stark die Europäische Kommission die Anbauerverbände macht. Falls die Verbände die Mengenverwaltung übernehmen, dürfte die Mitgliedschaft Voraussetzung sein, um freie Mengen zugeteilt zu bekommen. Branchenvereinbarungen werden voraus- sichtlich auch für Nicht-Mitglieder verbindlich bleiben, wenn die organisierte Er- zeugung mindestens 60 % der Produktion im Verbandsgebiet ausmacht. Autonome Anbauer werden daher wohl nicht auf eigene Faust mit den Zuckerunternehmen verhandeln dürfen. Sollten die Verbände allerdings nicht der neue Flaschenhals werden, hätten folglich die Fabriken eine stärkere Stellung. Sie könnten zum Beispiel neu gewonnene Ab- satzchancen für Zucker in Mengenausschreibungen für zusätzliche Rüben ummün- zen. Solche Ausschreibungen dürften allerdings schnell zu einem Preisverfall mit entsprechend geringerer Rentabilität des Rübenanbaus führen. Norbert Lehmann FABRIKSTANDORTE w Nordzucker w Suiker Unie w Pfeifer & Langen w Südzucker OKTOBER 2013 agrarmanager 11 TITEL Agribusiness N Zuckerwirtschaft

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In vier Jahren fällt die EU-Zuckermarktordnung. Die deutsche Zuckerwirtschaft ist für den Wettbewerb gut gerüstet. Risiken gehen vom Weltmarkt und zwei Kartellverfahren aus.

Noch vier Ernten, dann schleift die EU mit der Zuckermarktordnung auch ihre letzte Bastion der Agrar- marktsteuerung. Ab dem 30. Sep-

tember 2017 gehören nationale Zuckerquo-ten und Rübenmindestpreise der Vergan-genheit an. Das hat der Trilog am 25. Juni 2013 beschlossen. Erhalten bleiben der Min-destpreis für Weißzucker von 404 €/t als Schwelle für die private Lagerhaltung und der Außenschutz. Aber auch die begüns-tigten Importkontingente für die am we-nigsten entwickelten Länder (LDC) sowie die Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP-Staaten) bestehen fort. Die europäischen Rübenanbauer und die Zucker- unternehmen müssen sich darum auf stär-kere Preis- und Mengenschwankungen ein-stellen. Der Anbau kann — und wird — zu den besten Standorten in der Gemeinschaft wandern. Dort dürften Rübenanbau und Zu-ckererzeugung zunehmen, während schwä-chere Regionen aussteigen.

Die deutsche Zuckerwirtschaft ist für den Wettbewerb gut gerüstet. Sie gilt als eine der modernsten und rentabelsten in Europa. Vier Unternehmen teilen sich den deutschen Markt: Südzucker, Nordzucker, Pfeifer & Lan-gen sowie Suiker Unie. In ihren zusammen 20 Werken stellen sie jährlich 3,5 Mio. t bis 4 Mio. t Zucker her.

Branchenprimus SüdzuckerUnangefochtener Marktführer ist in Europa die Südzucker-Gruppe. Auf sie allein entfällt knapp ein Viertel des EU-Zuckermarktes. Bei 7,9 Mrd. € Umsatz erzielte der Konzern 2012/13 einen Überschuss von 735 Mio. €. In elf europäischen Ländern unterhält die Gruppe Zuckerfabriken oder Raffinerien. Südzucker dominiert aber nicht nur den eu-ropäischen Zuckermarkt und unterhält Part-nerschaften mit Erzeugern in den LDC und AKP-Staaten, sondern ist auch der weltweit größte Hersteller von Fruchtzubereitungen.

Außerdem ist das Unternehmen im Bioetha-nol- und Weizenstärke-Sektor sowie im Be-reich Zutaten und Fertiggerichte aktiv. Bis zu 2,5 Mio. Pizzen rutschen beim Tochter-unternehmen Freiberger täglich vom Band. Seit vorigem Jahr ist Südzucker zudem mit 25 % minus einer Aktie am britischen Han-delshaus ED&F Man beteiligt, dem welt-weit zweitgrößten Zuckerhändler. Für wei-tere Übernahmen und Investitionen verfügt die Gruppe über 2,7 Mrd. € liquide Mittel. Im Hinblick auf 2017 hat Südzucker daher sicher am wenigsten zu befürchten.

Süße Aussichten

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Kurz & knapp

P Ohne Zuckerquoten und Rübenmindest-preise schwindet die Marktstabilität.

P In Gunstregionen werden Rübenanbau und Zuckererzeugung zunehmen.

P Deutschland liegt in der EU in der Spitzengruppe.

P Mehr Freihandel bedeutet mehr Unruhe im Binnenmarkt.

P Den Zuckerunternehmen drohen hohe Kartellstrafen.

N

Zuckerrübenanbau in % der Ackerfläche

Nordzucker folgt mit 15 % EU-Marktanteil auf Rang zwei der größten europäischen Zu-ckerunternehmen. Pünktlich zum 175-jäh-rigen Jubiläum konnte die Nordzucker AG für 2012/13 mit den besten Zahlen der Firmen-geschichte aufwarten: Der Umsatz wurde um 21 % auf 2,4 Mrd. € gesteigert und der Jahresüberschuss um 70 % auf 360 Mio. €. Nordzucker ist nicht so diversifiziert wie Süd-zucker, unterhält aber Zuckerfabriken in Dä-nemark, Finnland, Litauen, Polen, Schweden und der Slowakei. Teil der Unternehmens-strategie ist das Ziel „20-20-20“: Die bes-ten 20 % der Rübenanbauer im Einzugsge-biet sollen ihren Zuckerertrag von zuletzt 15,4 t/ha bis 2020 auf 20 t/ha steigern.

Pfeifer & Langen, das einzige private Zu-ckerunternehmen in Deutschland, belegt in der europäischen Rangliste mit 7,7 % Markt-anteil Platz sechs hinter der französischen Tereos, British Sugar und der ebenfalls fran-zösischen Genossenschaft Cristal Union. Als Familienunternehmen veröffentlicht Pfeifer & Langen nahezu keine Angaben zum wirt-schaftlichen Erfolg. Im Jahr 2011 betrug der

2 bis 10

über 10

ChAnCE FüR EInStEIGER?

Theoretisch wird mit der abschaffung der Zuckerquoten der Weg frei für Neueinstei-ger in den Rübenanbau, ohne teure Lieferrechte kaufen zu müssen. Damit könnten auch Betriebe von den lukrativen Zuckerrüben profitieren, die bei der Zuteilung der Kontingente — aus welchen Gründen auch immer — leer ausgingen.

ob sich diese hoffnung in der Praxis erfüllt, wird wesentlich davon abhängen, wie stark die Europäische Kommission die anbauerverbände macht. Falls die Verbände die Mengenverwaltung übernehmen, dürfte die Mitgliedschaft Voraussetzung sein, um freie Mengen zugeteilt zu bekommen. Branchenvereinbarungen werden voraus-sichtlich auch für Nicht-Mitglieder verbindlich bleiben, wenn die organisierte Er-zeugung mindestens 60 % der Produktion im Verbandsgebiet ausmacht. autonome anbauer werden daher wohl nicht auf eigene Faust mit den Zuckerunternehmen verhandeln dürfen.

sollten die Verbände allerdings nicht der neue Flaschenhals werden, hätten folglich die Fabriken eine stärkere stellung. sie könnten zum Beispiel neu gewonnene ab-satzchancen für Zucker in Mengenausschreibungen für zusätzliche Rüben ummün-zen. solche ausschreibungen dürften allerdings schnell zu einem Preisverfall mit entsprechend geringerer Rentabilität des Rübenanbaus führen. Norbert Lehmann

Fabrikstandorte w Nordzucker w suiker Unie w Pfeifer & Langen w südzucker

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tItEL agribusiness

N Zuckerwirtschaft

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Umsatz 1,26 Mrd. €. Neben den fünf Zucker-fabriken in Deutschland gehören vier Werke in Polen und eines in Rumänien zur Gruppe. Nach Pfeifer & Langen kommt Cosun, die Muttergesellschaft der Fabrik Anklam, mit 6,9 % noch auf einen nennenswerten EU-Marktanteil. Zusammen halten die Top 7 mehr als 85 % des EU-Zuckermarktes. Die Reform der Zuckermarktordnung 2006, die tiefe Einschnitte in der Branche hinterließ, ist eine wesentliche Ursache für die hoch-konzentrierte Struktur.

Konkurrenz im WestenFrankreich blieb auch nach der Reform der größte Zuckerproduzent in der EU. Nur fünf Unternehmen teilen sich die nationale Quote von 3,0 Mio. t Zucker, wobei die Genossen-schaften Tereos und Cristal Union mit zu-sammen 75 % des Kontigents den Markt be-herrschen. Die Strukturen der französischen Zuckerindustrie sind also ähnlich oligopo-listisch wie die der deutschen. Die Zahl der Fabriken ist in Frankreich mit 25 zwar um fünf größer als in Deutschland, allerdings verfügen mehr als doppelt so viele Werke über eine tägliche Verarbeitungskapazität von über 15.000 t Rüben.

Im Rübenanbau ist Frankreich uns einen Schritt voraus. Der Zuckerertrag je Hektar liegt durchschnittlich etwa 20 % über dem deutschen Niveau. Einen etwas geringeren, aber immer noch deutlichen Ertragsvor-sprung verzeichnet der Anbau in Belgien und den Niederlanden. In Polen, dem dritt-größten europäischen Zuckererzeugerland, hinken die Erträge den deutschen hinter-her, während in Großbritannien, nach der Zuckerproduktion die Nummer vier in Eu-

ropa, ähnliche Hektarerträge gerodet wer-den wie in Deutschland.

Die wettbewerbsfähigste Konkurrenz für den deutschen Rübenanbau ist somit in Frankreich, Belgien und den Niederlanden zu finden. Dr. Heinrich-Hubertus Helmke, Ge-schäftsführer des Dachverbandes Norddeut-scher Zuckerrübenanbauer (DNZ): „Belgien ist sowohl auf dem Feld als auch durch die große Süßwarenindustrie sehr konkurrenz-fähig. In den Niederlanden muss das einzige verbliebene Zuckerunternehmen hohe Rü-benpreise zahlen, weil mit den vielen Son-derkulturen wirtschaftlich interessante Al-ternativen zur Rübe existieren. In Frankreich ist der Rübenanbau zwar sehr kostengünstig, aber die relativ marktferne Zuckererzeugung treibt die Transportkosten in die Höhe“.

Ruud Schers, Associate Analyst der Rabo-bank International, sieht in Frankreich viel Potenzial zur Verlängerung der Kampagne-dauer. Sie betrug in Frankreich nach Anga-ben des Verbandes der europäischen Zucker-industrie (CEFS) 2011/12 nur 112 Tage, in Deutschland 144 und im EU-Mittel 124 Tage.

Eine längere Kampagne ist das einfachste Mit-tel, um die Kapazitäten besser zu nutzen und die Stückkosten zu drücken.

Einen wesentlichen Beitrag zur Verbesse-rung der internationalen Wettbewerbsfähig-keit der europäischen Zuckerwirtschaft leis-tete die radikale Reform von 2006. Zwischen 2006 und 2008 ging die Zahl der Fabriken um 83 auf 106 zurück; die der Rübenanbauer sank um 44 % auf 164.000. In Deutschland wurden fünf Fabriken stillgelegt. Fünf Mit-gliedstaaten stiegen gänzlich aus der Zucker-erzeugung aus.

Erheblich zur höheren Wettbewerbs-fähigkeit trägt auch die kräftig gestiegene Hektarleistung der Rübe bei. Zwei Faktoren waren ausschlaggebend: der züchterische Fortschritt und die Konzentration der An-bauflächen auf geeignetere Standorte.

Streitfall WtO-ObergrenzeOb die europäische Zuckerindustrie ihre neue Stärke auf dem dynamisch wachsenden Welt-markt nutzen können wird, ist umstritten. Die EU-Kommission geht davon aus, dass mit der Abschaffung der Rübenmindest-preise und Zuckerquoten die Begrenzung der EU-Zuckerexporte durch die Welthandels-organisation (WTO) auf 1,37 Mio. t Weiß-zuckerwert wegfällt. Es gibt allerdings auch skeptische Stimmen. Sie erwarten, dass die Exportriesen Brasilien, Thailand und Aus-tralien unbegrenzte EU-Ausfuhren erneut in der WTO angreifen werden. Diese Gruppe hatte die Begrenzung der EU-Exporte 2005 in Genf durchgesetzt. Aber selbst wenn das Limit fällt, werden die europäischen Herstel-ler gegen die zuckerrohr-basierte Konkurrenz

aus Brasilien nur schwer bestehen können. Zum gegenwärtigen Weltmarktpreisniveau erscheint der Export ohnehin nicht attrak-tiv. Das kann sich allerdings schnell ändern, wie die Jahre 2010 und 2011 gezeigt haben, in denen Zucker auf dem Weltmarkt zeitweise teurer war als auf dem Binnenmarkt.

Kaum einzuschätzen ist, inwieweit die ebenfalls wegfallende Quotierung der Isoglu-kose-Erzeugung den europäischen Zucker-markt beeinflusst. Wenn Weizen und Mais als Rohstoffe preiswert genug sind, könnte das flüssige Süßungsmittel insbesondere in der Getränkeindustrie dem Zucker gefährlich werden. Bislang beschränkt die Quotierung den Marktanteil auf etwa 5 % des Zucker-marktes. Rabobank-Experte Schers schätzt, wenn der Marktanteil auf 15 % oder mehr steigen würde, bekäme die Zuckerwirtschaft die Folgen zu spüren.

Ermittlungen laufenNeben den künftig größeren Vermark-tungsrisiken bedrohen zwei politische Ri-siken den Frieden der Zuckerwirtschaft. Das sind N Kartellverfahren durch das Bundes-

kartellamt und die Europäische Kommission sowie N neue Freihandelsabkommen.

Das Bundeskartellamt hatte im August 2009 mehrere Unternehmensstandorte durch-sucht. Bis Ende dieses Jahres will Amtschef Andreas Mundt das Verfahren abschließen. Es geht um vermutete Preisabsprachen für Haushalts- und Industriezucker. Südzucker hat für eventuelle Strafgelder und Anwalts-kosten bereits Rückstellungen gebildet.

Auch Brüssel ist illegalen Preisabsprachen auf der Spur. Bei Razzien am 23. April die-ses Jahres wurden die Zentralen mehrerer Unternehmen in der EU durchsucht, darun-ter Nord- und Südzucker, nicht aber Pfeifer & Langen. Bis Anfang September hatte die Kommission die sichergestellten Unter lagen noch nicht so weit ausgewertet, um über die Eröffnung eines Verfahrens zu entscheiden. Im schlimmsten Fall drohen der Zucker- industrie Bußgeldbescheide in Millionen-höhe sowohl vom Bundeskartellamt als auch aus Brüssel.

Ein langfristig noch größerer Unsicherheits-faktor geht von den Freihandelsgesprächen der Europäischen Union mit den Mercosur-Staaten aus, zu denen Brasilien gehört, sowie mit Indien und Thailand. Sollten Brasilien und Thailand einen verbesserten Zugang zum eu-ropäischen Markt erhalten, würde sich die Konkurrenzsituation gravierend verschär-fen. Gegenwärtig betragen der normale EU-Importzoll für Weißzucker 419 €/t und der begünstigte Tarif durchschnittlich 98 €/t. Würden Einfuhren in größerem Umfang zum Vorzugstarif erlaubt, erscheint nach Be-rechnungen der Rabobank bei einem Welt-marktpreis für Rohzucker zwischen 19 und 20 US-ct/lb ab 2017 ein Binnenmarktpreis von durchschnittlich 500 €/t oder mehr für Weißzucker wahrscheinlich. Gegenwärtig be-wegt sich der EU-Marktpreis deutlich über 700 €/t Weißzucker.

Die niederländische Agrarbank erwar-tet wegen des künftig intensiveren Wettbe-werbs am europäischen Zuckermarkt dennoch keine Welle von Übernahmen und Akquisiti-onen. Dafür ist die Industrie spätestens seit der Reform von 2006 zu sehr konzentriert. Allenfalls kleinere Strukturbereinigungen sind wahrscheinlich. Auch dürfte es in den meisten Regionen notwendig sein, alle Fab-rikstandorte zu erhalten, um die Nachfrage zu bedienen.

testjahr 2017Voraussichtlich wird 2017 ein „Testjahr“ für die europäische Zuckerwirtschaft. Füh-len sich die Branchenführer Südzucker, Nordzucker und Tereos stark genug, den Rübenanbau auszudehnen, um einen Ver-

drängungswettbewerb unter den kleineren Mitbewerbern auszulösen? Wer setzt hin-gegen auf Stabilität? Werden Unternehmen versuchen, die Rübenanbauer gegeneinan-der auszuspielen?

Ruud Schers erwartet ein zweistufiges Szenario: Zunächst wird die EU-Zuckerer-zeugung steigen mit der Folge eines Preis-verfalls und mehr Wettbewerb zwischen den Herstellern. In der zweiten Phase wird der Anbau aus den weniger effizienten in die ef-fizientesten Regionen wandern. Der EU-Zu-ckermarkt könnte zu einem neuen Gleichge-wicht finden. In der Produktion bleiben oder sie sogar steigern, dürfte die Mehrheit der Rübenanbauer in Frankreich, Deutschland, Benelux, der Tschechischen Republik und Großbritannien, schätzt Schers. Am Rande des „Rübengürtels“, vor allem in Südeuropa, könnten Erzeuger und Verarbeiter hingegen am ehesten in Schwierigkeiten geraten, da sie mit geringeren Margen operieren.

Entscheidend für die Konkurrenzfähigkeit wird das Zusammenspiel zwischen einem er-tragreichen, fabriknahen Rübenanbau und einer kostenoptimierten Verarbeitung sein. Die deutsche Zuckerwirtschaft braucht die-sen Wettbewerb nicht zu scheuen. Sowohl was die natürlichen Produktionsbedingun-gen, die Anbautechnik als auch die Verarbei-tungsstruktur angeht, dürfte sie zu den Ge-winnern des liberalisierten Marktes zählen, vorausgesetzt, Anbauerverbände und Zu-ckerunternehmen arbeiten fair zusammen statt gegeneinander.

Norbert Lehmann, Redakteur agrarmanager

Zahl der Zuckerrübenanbauer in der Europäischen Union1

Die Reform der Zuckermarktordnung 2006 hat die Zahl der Zuckerrübenanbauer deutlich dezimiert. Die Rabobank rechnet bis 2020 mit einem weiteren Rückgang bis auf rund 110.000 Erzeuger.1 Ab 2013/14 Prognose Quelle: CEFS, Rabobank

GlOBAl StEIGEnDE nAChFRAGE

Während der Pro-Kopf-Verbrauch von Zucker in Deutschland seit Jahren stagniert, wächst der weltweite Zuckerkonsum rasch. Die Rabobank prognostiziert einen an-stieg der Nachfrage auf 203 Mio. t bis 2020/21 von 166 Mio. t Zucker in Rohwert im Wirtschaftsjahr 2011/12.

Getrieben wird das Wachstum von asien, wo der Markt von 75 Mio. t auf 97 Mio. t expandieren soll. Nur ein teil der Nachfrage kann durch höhere Erzeugung vor ort gedeckt werden. Der Welthandel mit Zucker wird daher voraussichtlich um 22 % auf 64 Mio. t zunehmen. Die drei top-Exporteure Brasilien, Thailand und australien werden weitere Marktanteile gewinnen. (leh)

andere länder 11%

Frankreich 26%

Deutschland 23%

3% tschechische Republik

3% Österreich

3% Spanien

3% Italien

5% Belgien

5% niederlande

7% Großbritannien

10% Polen

Anteil der Mitgliedstaaten an der EU-Zuckerproduktion

Quelle: CEFS, 2012

12 agrarmanager OKtOBER 2013 OKtOBER 2013 agrarmanager 13

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