prognose von oberflächensetzungen beim tunnelvortrieb - teil ii: möglichkeiten und grenzen der...

9
104 © 2013 Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · geotechnik 36 (2013), Heft 2 Fachthemen DOI: 10.1002/gete.201300001 Die Prognose von Setzungen bzw. Sackungen oberhalb eines Tunnelvortriebs kann durch die Auswertung von Erfahrungen und Messungen aus vorangegangenen Tunnelbauprojekten – der em- pirischen Prognose – oder aber durch numerische Berechnun- gen erfolgen. Im Teil 1 der Veröffentlichung wurde das vom Autor vorgeschlagene empirische Prognoseverfahren vorgestellt, wel- ches auf über 350 sorgfältig ausgewerteten Messquerschnitten basiert und mit dem sich unter vereinfachten Randbedingungen die sich über dem Tunnelvortrieb einstellenden Setzungen leicht berechnen lassen. Im nachfolgenden Teil 2 der Veröffentlichung wird auf numerische Berechnungsmethoden eingegangen, wobei zwischen 2D-, 3D- und 4D-FE-Berechnungen unterschieden wird. Anhand von FE-Berechnungen im Vergleich mit den Ergebnissen oben genannter Messquerschnitte werden Eignung, Möglichkei- ten und Grenzen verschiedener Berechnungsverfahren darge- stellt. Weiterhin wird durch Gegenüberstellung der Ergebnisse das im Teil 1 beschriebene empirische Prognoseverfahren be- wertet, und schließlich werden Vorschläge unterbreitet, wann welches Verfahren vorteilhaft anwendbar ist. Possibilities to predict the surface settlement during tunnelling in soil – Part II: application spectrum and limitations of the finite element calculation. The prediction of settlements over a tunnel excavation can be detected by the evaluation of measurement data available from previous tunnel project sites – the empirical prediction – or by numerical calculations. In part 1 of the publica- tion, the empirical prediction method proposed by the author was introduced, which was derived by more than 350 carefully ana- lyzed measuring sections. By this prediction method and under simplified boundary conditions, the tunnel induced settlement can be estimated easily. The following part 2 of the publication deals with numerical calculation methods. It is distinguished be- tween 2D-, 3D- and 4D-FE-Calculations. By comparing FE-calcu- lations with the results of the above mentioned measuring sec- tions, the application spectrum and limitations of different calcu- lation methods are shown. Further more, by comparison, the pro- posed empirical prediction method is evaluated. Finally the suitability of both methods according to the existing boundary conditions is discussed. 1 Einleitung und Gliederung Für die Akzeptanz von Tunnelbauwerken im innerstädti- schen Bereich gewinnt die Prognose von tunnelbauindu- zierten Verformungen sowie deren Bewertung hinsicht- lich des daraus möglichen Schadenspotenzials für darüber befindliche Gebäude immer mehr an Bedeutung. Die Prognose von Verformungen kann durch die Auswertung von Erfahrungen und Messungen aus vorangegangenen Tunnelbauprojekten – die empirische Prognose – oder aber durch numerische Berechnungen erfolgen. Nachdem im Teil 1 der Veröffentlichung [1] das vom Autor vorge- schlagene empirische Prognoseverfahren detailliert be- schrieben wurde, wird nachfolgend auf die numerische Er- mittlung von Setzungen im Tunnelbau mit der Methode der Finiten Elemente (FE) eingegangen. Numerische Be- rechnungen sind insbesondere dann anzuwenden, wenn der Einfluss von Lasten oder Bauwerkssteifigkeiten mit berücksichtigt werden soll, was beim empirischen Progno- severfahren nicht möglich ist. Zunächst wird der Einfluss verschiedener Stoffmo- delle auf die Größe und Form der Setzungsmulde darge- stellt. Anschließend werden mögliche Verfahren zur Be- rechnung von Vortrieben im Tunnelbau mit den entste- henden Setzungen beschrieben, wobei zwischen 2D-, 3D- und 4D-FE-Berechnungen unterschieden wird. Schließ- lich werden die Ergebnisse von FE-Berechnungen mit de- nen des empirischen Prognoseverfahrens sowie mit Mes- sungen verglichen und damit die Anwendungsmöglichkei- ten und -grenzen dieser Verfahren diskutiert. Die dargestellten Auswertungen sind das Ergebnis von Forschungen, welche im Rahmen einer Habilitation am Zentrum Geotechnik der TU München betrieben wur- den [2]. Dort sind die Auswertungen auch im Detail be- schrieben und erläutert sowie die Vorgehensweisen einge- hend dargestellt und begründet. 2 Grundlagen und Eingangsgrößen für nachfolgende Berechnungen Die Beschreibung der Quersetzungsmulde mit der Set- zung s an der Stelle x durch das empirische Prognosever- fahren erfolgt anhand von Gauß-Funktionen, welche durch den Wendepunktabstand i sowie den Volume loss VL s definiert sind (Gl. 1). VL s entspricht dem Verhältnis zwischen der Querschnittsfläche der Setzungsmulde V s und dem Tunnelquerschnitt A t (Bild 1). (1) = π s(x) 2 VL D 4i e s 2 x 2i 2 2 Prognose von Oberflächensetzungen beim Tunnelvortrieb – Teil II: Möglichkeiten und Grenzen der Finite-Element-Berechnung Jochen Fillibeck

Upload: jochen

Post on 12-Apr-2017

226 views

Category:

Documents


6 download

TRANSCRIPT

104 © 2013 Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · geotechnik 36 (2013), Heft 2

Fachthemen

DOI: 10.1002/gete.201300001

Die Prognose von Setzungen bzw. Sackungen oberhalb einesTunnelvortriebs kann durch die Auswertung von Erfahrungen undMessungen aus vorangegangenen Tunnelbauprojekten – der em-pirischen Prognose – oder aber durch numerische Berechnun-gen erfolgen. Im Teil 1 der Veröffentlichung wurde das vom Autorvorgeschlagene empirische Prognoseverfahren vorgestellt, wel-ches auf über 350 sorgfältig ausgewerteten Messquerschnittenbasiert und mit dem sich unter vereinfachten Randbedingungendie sich über dem Tunnelvortrieb einstellenden Setzungen leichtberechnen lassen. Im nachfolgenden Teil 2 der Veröffentlichungwird auf numerische Berechnungsmethoden eingegangen, wobeizwischen 2D-, 3D- und 4D-FE-Berechnungen unterschieden wird.Anhand von FE-Berechnungen im Vergleich mit den Ergebnissenoben genannter Messquerschnitte werden Eignung, Möglichkei-ten und Grenzen verschiedener Berechnungsverfahren darge-stellt. Weiterhin wird durch Gegenüberstellung der Ergebnissedas im Teil 1 beschriebene empirische Prognoseverfahren be-wertet, und schließlich werden Vorschläge unterbreitet, wannwelches Verfahren vorteilhaft anwendbar ist.

Possibilities to predict the surface settlement during tunnellingin soil – Part II: application spectrum and limitations of the finiteelement calculation. The prediction of settlements over a tunnelexcavation can be detected by the evaluation of measurementdata available from previous tunnel project sites – the empiricalprediction – or by numerical calculations. In part 1 of the publica-tion, the empirical prediction method proposed by the author wasintroduced, which was derived by more than 350 carefully ana-lyzed measuring sections. By this prediction method and undersimplified boundary conditions, the tunnel induced settlementcan be estimated easily. The following part 2 of the publicationdeals with numerical calculation methods. It is distinguished be-tween 2D-, 3D- and 4D-FE-Calculations. By comparing FE-calcu-lations with the results of the above mentioned measuring sec-tions, the application spectrum and limitations of different calcu-lation methods are shown. Further more, by comparison, the pro-posed empirical prediction method is evaluated. Finally thesuitability of both methods according to the existing boundaryconditions is discussed.

1 Einleitung und Gliederung

Für die Akzeptanz von Tunnelbauwerken im innerstädti-schen Bereich gewinnt die Prognose von tunnelbauindu-zierten Verformungen sowie deren Bewertung hinsicht-

lich des daraus möglichen Schadenspotenzials für darüberbefindliche Gebäude immer mehr an Bedeutung. DiePrognose von Verformungen kann durch die Auswertungvon Erfahrungen und Messungen aus vorangegangenenTunnelbauprojekten – die empirische Prognose – oderaber durch numerische Berechnungen erfolgen. Nachdemim Teil 1 der Veröffentlichung [1] das vom Autor vorge-schlagene empirische Prognoseverfahren detailliert be-schrieben wurde, wird nachfolgend auf die numerische Er-mittlung von Setzungen im Tunnelbau mit der Methodeder Finiten Elemente (FE) eingegangen. Numerische Be-rechnungen sind insbesondere dann anzuwenden, wennder Einfluss von Lasten oder Bauwerkssteifigkeiten mitberücksichtigt werden soll, was beim empirischen Progno-severfahren nicht möglich ist.

Zunächst wird der Einfluss verschiedener Stoffmo-delle auf die Größe und Form der Setzungsmulde darge-stellt. Anschließend werden mögliche Verfahren zur Be-rechnung von Vortrieben im Tunnelbau mit den entste-henden Setzungen beschrieben, wobei zwischen 2D-, 3D-und 4D-FE-Berechnungen unterschieden wird. Schließ-lich werden die Ergebnisse von FE-Berechnungen mit de-nen des empirischen Prognoseverfahrens sowie mit Mes-sungen verglichen und damit die Anwendungsmöglichkei-ten und -grenzen dieser Verfahren diskutiert.

Die dargestellten Auswertungen sind das Ergebnisvon Forschungen, welche im Rahmen einer Habilitationam Zentrum Geotechnik der TU München betrieben wur-den [2]. Dort sind die Auswertungen auch im Detail be-schrieben und erläutert sowie die Vorgehensweisen einge-hend dargestellt und begründet.

2 Grundlagen und Eingangsgrößen für nachfolgendeBerechnungen

Die Beschreibung der Quersetzungsmulde mit der Set-zung s an der Stelle x durch das empirische Prognosever-fahren erfolgt anhand von Gauß-Funktionen, welchedurch den Wendepunktabstand i sowie den Volume lossVLs definiert sind (Gl. 1). VLs entspricht dem Verhältniszwischen der Querschnittsfläche der Setzungsmulde Vsund dem Tunnelquerschnitt At (Bild 1).

(1)=π⋅

⋅s(x)2

VL D

4 ies

2 x

2 i

2

2

Prognose von Oberflächensetzungen beim Tunnelvortrieb – Teil II: Möglichkeiten und Grenzen der Finite-Element-Berechnung

Jochen Fillibeck

105

J. Fillibeck · Prognose von Oberflächensetzungen beim Tunnelvortrieb – Teil II: Möglichkeiten und Grenzen der Finite-Element-Berechnung

geotechnik 36 (2013), Heft 2

Der hier beschriebene Volume loss VLs ist nicht zu ver-wechseln mit dem Volume loss, der beim sogenannten Vo-lume loss-Verfahren bei zweidimensionalen FE-Berech-nungen verwendet wird, um die räumliche Tragwirkungzu simulieren. Hierbei wird der Ausbruchquerschnitt vorder Aktivierung der Tunnelschale um einen Prozentanteilreduziert, wobei sich dann im umliegenden Gebirge einGewölbe ausbildet. Um Verwechslungen zu vermeiden,wird dieser Volume loss mit VLt bezeichnet (der Index tsteht für Tunnel). Beide Werte VLs und VLt sind nur dannidentisch, wenn sich der Boden volumenkonstant verhält.

Nachfolgend werden die Berechnungen mit Mess -ergebnissen verglichen, welche überwiegend beim Spritz-betonvortrieb für den U-Bahn-Bau in München ermitteltwurden. Es wird zwischen Spritzbetonvortrieben unter at-mosphärischen Bedingungen in den quartären Kiesen(Kalottenvortriebe) bzw. im Tertiär (Vortrieb mit kurz vo-rauseilender Kalotte) und druckluftgestützten Vortriebenim Tertiär unterschieden (s. Teil 1 der Veröffentlichung[1]). Hinsichtlich der rechnerischen Modellierung der Tun-nelvortriebe wird auf [2] verwiesen.

Die nachfolgend dargestellten FE-Berechnungen wur-den mit dem Programm Plaxis bzw. Plaxis 3D-Tunnel [3]durchgeführt. Den quartären Kiesen wurde ein Seiten-druckbeiwert K0 = 0,4 und den überkonsolidierten tertiärenBöden K0 = 0,6 (Sande) bzw. 0,8 (Tone und Schluffe) zuge-wiesen. Für die Berechnungen wurde das in Plaxis imple-mentierte Stoffmodell Hardening Soil verwendet. Es han-delt sich um ein elastoplastisches Stoff modell mit isotroperVerfestigung und besitzt jeweils eine Fließfläche für ödome-trische und deviatorische Beanspruchung.

Zur Beschreibung der spannungsabhängigen Steifig-keit beim elastoplastischen Stoffmodell wird der Steifeexpo-nent m = 0,4 und eine Referenzspannung pref = 100 kN/m²verwendet. Die angesetzte Bandbreite der E-Moduln fürödometrische und deviatorische Belastung Eoed

ref undE50

ref sowie die angesetzten Scherparameter und Wichtensind in Teil 1 der Veröffentlichung [1] wiedergegeben. Der E-Modul bei Wiederbelastung Eur

ref entspricht dem zweifa-chen Wert des E-Moduls bei Erstbelastung.

Der Dilatanzwinkel ψ wurde zu Null gesetzt. Ver-gleichsberechnungen haben gezeigt, dass sich dieser beiden vorliegenden kleinen Verformungen und den hier un-tersuchten Fragestellungen nicht nennenswert auf das Be-rechnungsergebnis auswirkt.

Für die Vergleichsberechnungen unter Berücksichti-gung der erhöhten Steifigkeit bei kleinen Dehnungen(small strain stiffness) wurde ein Schubmodul G0,ref =2,4 · 10–2 MN/m² bei pref = 100 kN/m², ein Steifeexponentm = 0,4 und eine Scherdehnung γ0,7 = 1 · 10–4 angesetzt(zur Ermittlung vgl. [2]).

Nachfolgend werden unter 4D-FE-Berechnungenräumliche Berechnungen unter Berücksichtigung teildrä-nierter Zustände (Zeit als vierte Dimension) verstanden.Wie noch gezeigt wird, ist die Annahme vollständig drä-nierter bzw. undränierter Zustände bei einer gewissenBandbreite von Gebirgsdurchlässigkeiten bzw. Vortriebs-geschwindigkeiten nicht zutreffend, da sich die Porenwas-serdrücke während des Vortriebs bis zum Einbau der Tun-nelschale nur teilweise abbauen können. Nachfolgendwird für derartige Zwischenzustände der Begriff „teildrä-niert“ verwendet. Der Berechnung teildränierter Zuständewird im Programm Plaxis die Konsolidationstheorie nachBiot zugrunde gelegt.

Der Kompressionsmodul des Korngerüsts Ks und desPorenwassers Kf wurde nach Gl. (2) und Gl. (3) berück-sichtigt.

(2)

n = Porenzahl; νu = 0,495

(3)

Anhand der Rückrechnung teildränierter Triaxialversuchekonnte Höfle [5] nachweisen, dass durch teildränierte Be-rechnungen mit dem Programm Plaxis-Consolidation dieEigenschaften des Bodens sehr gut wiedergegeben werdenkönnen.

Die Größe und Feinheit der FE-Netze wurde so ge-wählt, dass die Netzränder keinen relevanten Einfluss aufdas Berechnungsergebnis ausüben [2] [4].

3 Verfahren zur Berechnung von Setzungen im Tunnelbaumit der FE-Methode

3.1 2D-FE-Berechnungen

Bei der 2D-FE-Modellierung wird eine Ebene senkrechtzur Vortriebsrichtung betrachtet. Die sich in der Realitäteinstellende Längstragwirkung, bei der sich das Gewölbein Längsrichtung auf die Tunnelschale und das Gebirgevor der Ortsbrust abstützt, kann nicht direkt modelliertwerden. Um diese näherungsweise berücksichtigen zukönnen, sind zusätzliche Berechnungsschritte notwendig.Hierzu haben sich in den letzten Jahren drei Näherungs-verfahren bewährt, auf die nachfolgend kurz eingegangenwird: das Stützlastverfahren (α-Verfahren), das Teillastver-fahren (β-Verfahren) und das Volume loss-Verfahren. Beidiesen Verfahren werden über einen fiktiven Rechen-schritt vor dem eigentlichen Ausbruch dem umliegendenGebirge zusätzliche Einwirkungen zur Berücksichtigungeiner Längstragwirkung zugewiesen.

Beim α-Verfahren wird dies dadurch erreicht, dassnach der Berechnung des Primärspannungszustands im

( )=

⋅ − νK E

3 1 2s

( )( ) ( )

=⋅ ν − ν

− ν ⋅ + ν⋅ = ⋅

− ν+ ν

⋅Kn

3

1 2 1K 300

0,4951

Kf u

u

s s

Bild 1. Definition von VLs und VLtFig. 1. Definition of VLs and VLt

106

J. Fillibeck · Prognose von Oberflächensetzungen beim Tunnelvortrieb – Teil II: Möglichkeiten und Grenzen der Finite-Element-Berechnung

geotechnik 36 (2013), Heft 2

zweiten Berechnungsschritt die Kontaktkräfte PK, dieWichte des Gebirges sowie der E-Modul im späteren Aus-bruchquerschnitt auf den α-fachen Wert reduziert werden(Bild 2). Dagegen werden beim β-Verfahren im zweitenBerechnungsschritt die Bodenelemente innerhalb desTunnelquerschnitts deaktiviert und die an der Tunnelkon-tur wirkenden Stützkräfte im Primärspannungszustand p0auf β · p0 reduziert (mit 0 < β < 1). Beim Volume loss-Ver-fahren wird ausgehend vom Primärspannungszustand imzweiten Berechnungsschritt das Bodenvolumen innerhalbdes Ausbruchquerschnitts um den Prozentsatz VLt redu-ziert (vgl. [9]). Bei dem hier verwendeten Programm Plaxiswird dies durch Spannungsreduzierung im Ausbruchquer-schnitt erreicht.

Die für die drei beschriebenen Verfahren nötigenEingangsgrößen (α-, β- oder VLt-Wert) werden im Gegen-satz zu den Bodenkenngrößen als „tunnelbauspezifischeEingangsgrößen“ bezeichnet. Sie sind abhängig von denUntergrundverhältnissen, der Art des Vortriebs und derFragestellung zu wählen. Beispielsweise führen geringe α-Werte zu größeren Verformungen, jedoch zu geringerenSchnittkräften, da durch die Verformungen das umgeben-de Gebirge vor dem Einbau der Tunnelschale stärker zumMittragen herangezogen wird.

Detaillierte Angaben zur Wahl der tunnelbauspezifi-schen Eingangsgrößen liegen nicht vor. In der Literaturwerden für α typische Werte zwischen 0,15 und 0,8 genannt. Schikora und Fink [7] schlagen anhand vonRückrechnungen von Spritzbetonvortrieben β-Werte zwi-schen 0,35 und 0,6 vor, während Laabmayr und Swoboda[8] beim Kalottenvortrieb β-Werte von 0,2 bis 0,5 undbeim Strossen- und Sohlvortrieb von 0,4 bis 0,8 für ge -eignet halten. Das Volume loss-Verfahren wird insbeson-dere für die Berechnung von Schildvortrieben eingesetzt,da die Meinung vorherrschte, dass durch den Über-schnitt, die Schildmanteldicke und die Konizität des

Schildmantels ein VLt-Wert vorgegeben ist. Rechnerischkann aus diesen drei Komponenten ein Volume loss vonca. 2 % entstehen, ein Wert, der in der Literatur auch fürBerechnungen vorgeschlagen wird. Allerdings ergebensich dabei gegenüber praktischen Erfahrungen deutlichzu große Setzungsmulden (s. Teil 1 der Veröffentlichung[1]).

3.2 3D-FE-Berechnungen

Bei der 3D-FE-Berechnung wird der Tunnelvortrieb räum-lich simuliert. Da die Modellierung des gesamten Tunnel-vortriebs in aller Regel aufgrund des zu großen Netzesnicht möglich ist, erfolgt üblicherweise die Berechnungmit der step-by-step-Methode (vgl. [10]). Dabei wird nachder Berechnung des Primärspannungszustands der Vor-trieb von einem als Startbereich bezeichneten Boden-block aus Zug um Zug mit den Schritten „Bodenentnah-me“ und „Einbau der Sicherung“ simuliert, wobei jeder Ab-schlag eine dreidimensionale Teilsetzungsmulde erzeugt.Die Summe aller Teilsetzungsmulden in Längsrichtung er-gibt die Längssetzungsmulde. Die maximale Längssetzungist erreicht, wenn die Längssetzungsmulde in einem Be-reich zwischen Startbereich und Ortsbrust eine Horizon-tale ausbildet, dem „steady state“ (Bild 3). Im steady stateist die Setzungsmulde weder vom Startbereich noch vomVortrieb an der Ortsbrust beeinflusst, so dass hier die ma-ximale Quersetzungsmulde bestimmt werden kann, dieder Endsetzungsmulde in der Realität in ausreichendemAbstand hinter dem Vortrieb entspricht.

Zum Erreichen des steady state sind relativ großeNetze mit entsprechend langer Rechenzeit von teils meh-reren Tagen erforderlich. Um die Rechenzeit zu reduzie-ren, können unter gewissen Randbedingungen Vereinfa-chungen vorgenommen werden. In Abschnitt 4.4.2 wirddarauf im Detail eingegangen.

Bild 2. α-Verfahren: Simulation der LängstragwirkungFig. 2. α-method: Simulation of the structural behaviour inlongitudinal direction

Längsschnitt

Querschnitt

Scheibe mit „aufgeweichtem, gewichtsreduziertem“ Kern

Vorverformung des ungesicherten Hohlraums Bild 3. Entwicklung der Längssetzungsmulde bei der

3D-FE-BerechnungFig. 3. Development of a longitudinal settlement troughwith 3D-FE-calculation

107

J. Fillibeck · Prognose von Oberflächensetzungen beim Tunnelvortrieb – Teil II: Möglichkeiten und Grenzen der Finite-Element-Berechnung

geotechnik 36 (2013), Heft 2

Insgesamt gesehen, können derartige Modellierun-gen bereits viele Randbedingungen eines realen Spritzbe-tonvortriebs gut erfassen. Gegenüber der 2D-FE-Berech-nung sind bei der 3D-Simulation eines Spritzbetonvor-triebs keine tunnelbauspezifischen Eingangsgrößen zur Simulation der Längstragwirkung erforderlich. Bei der Simulation des Schildvortriebs ergibt sich eine etwas an-dere Situation, da sich beispielsweise der Schildschwanz-verpressdruck und der Stützdruck in unterschiedlichenGrenzen während des Vortriebs ständig verändern und sodie tatsächlich vorherrschende Situation nicht genau mo-delliert werden kann. Daher wird vereinfachend bei der3D-FE-Modellierung des Schildvortriebs häufig entspre-chend dem Vorgehen bei der 2D-FE-Berechnung ein Volu-me loss VLt im Schildschwanzbereich angesetzt. Im Ge-gensatz zum Spritzbetonvortrieb ist somit bei der 3D-FE-Simulation des Schildvortriebs eine zusätzliche tunnel-bauspezifische Eingangsgröße erforderlich, deren Größenicht genau bekannt ist und mit der die Größe der Set-zungsmulde beeinflusst wird.

3.3 4D-FE-Berechnung

Bei der 4D-FE-Berechnung wird gegenüber der 3D-FE-Be-rechnung der Einfluss der Zeit dadurch berücksichtigt,dass gemäß der Konsolidierungstheorie zwischen effekti-ven Spannungen und Porenwasserdrücken unterschiedenund eine Strömungs- sowie eine Konsolidierungsberech-nung je Abschlag durchgeführt werden. Damit werden diePorenwasserdrücke in Abhängigkeit von der Zeit errech-net.

4 Vergleich zwischen Berechnungen und Messergebnissen

4.1 Einfluss des Seitendruckbeiwerts und des Stoffmodells

Zunächst wurden im Rahmen einer Parameterstudie Be-rechnungen mit den Stoffmodellen Mohr-Coulomb (MC),Hardening soil (HS) sowie Hardening soil + small strainstiffness (HSS) durchgeführt, um zu untersuchen, unterwelchen Randbedingungen sich welches Stoffmodell ambesten zur Berechnung von Setzungsmulden eignet. Dabeiwurde die Höhe der Überdeckung, der Volume loss sowieder Seitendruckbeiwert variiert. Die Berechnungen sinddetailliert in [2] beschrieben. Wesentliche Erkenntnissehieraus sind:– Die Größe der Setzungsmulde ist stark vom Seiten-

druckbeiwert abhängig. Mit zu 1 hin zunehmendem Sei-tendruckbeiwert reduzieren sich der Volume loss unddie maximale Setzung erheblich. Zu einem ähnlichenErgebnis führen die Untersuchungen von Möller [6] undFranzius [11], die als Fazit angeben, dass bei Ansatz sehrhoher Seitendruckbeiwerte (K0 > 1) keine gute Überein-stimmung zwischen Messung und Berechnung zu erzie-len ist. Derart hohe Seitendruckbeiwerte treten aller-dings im Lockergestein nur selten auf.

– Mit dem Stoffmodell Mohr-Coulomb wurden fast immerdeutlich zu breite bzw. zu flache Setzungsmulden er-rechnet.

– Die in der Literatur zu findende Aussage, dass untersonst gleichen Randbedingungen die Verwendung vonHSS gegenüber HS immer zu steileren Setzungsmulden

führt, konnte nicht bestätigt werden. Bei großen Über-deckungen und kleinem VLt trifft dies nicht zu.

– Der rechnerisch ermittelte Volume loss VLs der Set-zungsmulde wird durch das Stoffmodell beeinflusst. Da-raus folgt beispielsweise, dass zur Erzielung eines durchdie Messung vorgegebenen Volume loss VLs bei derRückrechnung unter Anwendung von HSS andere tun-nelbauspezifische Eingangsgrößen einzusetzen sind alsmit HS. Sie sind also in Abhängigkeit vom Stoffmodellzu wählen. Dies ist auch für die Tunnelbaustatik einwichtiger Aspekt, da die Erfahrungswerte hinsichtlichtunnelbauspezifischer Eingangsgrößen bei Anwendunganderer Stoffmodelle nicht ohne weiteres übernommenwerden können.

In den nächsten Abschnitten wird untersucht, ob mit demfür die Berechnungen gewählten Stoffmodell Hardeningsoil (HS) die Breite und Tiefe der Setzungsmulde bei ge-eignet gewähltem α, β oder VLt gut nachvollzogen werdenkönnen.

4.2 2D-FE-Berechnungen – Rückrechnung von MünchnerSpritzbetonvortrieben

Um hinsichtlich der Anwendbarkeit des elastoplastischenStoffmodells mit Verfestigung zur Berechnung von Set-zungen im Tunnelbau eine gesicherte Datenbasis zu bil-den, wurden 18 atmosphärische Parallelvortriebe imQuartär und neun atmosphärische Parallelvortriebe imTertiär, für die gut dokumentierte Messungen der Verfor-mungen an der Geländeoberfläche vorliegen, nachgerech-net [2]. Die ausgewählten Vortriebe wiesen im Vergleichzwischen Messung und empirischer Prognose eine guteÜbereinstimmung auf. Die Rückrechnungen erfolgten mitdem Stoffmodell Hardening soil (HS). Es wurden das β-und das Volume loss-Verfahren verwendet und durch Va-riation der tunnelbauspezifischen Eingangsgrößen β bzw.VLt die Setzungsmulde ermittelt, die sich am besten an dieMesswerte anschmiegt. Da mit β bzw. VLt insbesonderedie Tiefe der Setzungsmulde, nicht aber deren Breite be-einflusst wird, ist der Wendepunktabstand i ein geeigneterWert, um die Eignung des Stoffmodells beurteilen zu kön-nen. Daher sind beispielhaft die Ergebnisse der Quartär-vortriebe im z0/i-Diagramm des empirischen Prognosever-fahrens in Bild 4 farblich dargestellt. Die Übereinstim-mung zwischen gemessener und errechneter Setzungsmul-de, und damit die Eignung des verwendeten Stoffmodells,wurden visuell beurteilt. Blau bedeutet, dass die Setzungs-mulden fast übereinander liegen, grün eine mittlere Über-einstimmung mit geringen Abweichungen und rot einevergleichsweise schlechte Übereinstimmung. Bild 5 zeigtje ein Beispiel guter und mittlerer Übereinstimmung imQuartär.

Überwiegend zeigte sich im Quartär eine gute Über-einstimmung zwischen Messung und Berechnung. Mittle-re oder schlechte Übereinstimmungen traten nur bei rela-tiv hoher oder niedriger Tiefenlage von Tunneln und grö-ßerem Abstand des aus der Messung bestimmten Wende-punktabstands iG von der Regressionsgeraden auf.

Die Übereinstimmung bei den untersuchten Tertiär-vortrieben war mit einer Ausnahme immer gut. Lediglichbei einem Messquerschnitt wurde eine mittlere Überein-

108

J. Fillibeck · Prognose von Oberflächensetzungen beim Tunnelvortrieb – Teil II: Möglichkeiten und Grenzen der Finite-Element-Berechnung

geotechnik 36 (2013), Heft 2

stimmung festgestellt, aber auch hier betrug, wie bei denQuartärvortrieben, die Abweichung von der gemessenenSetzungsmulde immer weniger als 2 mm. Insgesamt kannsomit die geeignete Anwendbarkeit des verwendeten elas-toplastischen Stoffmodells mit Verfestigung (HS) zur Be-rechnung von Setzungsmulden im Tunnelbau vollumfäng-lich bestätigt werden, und zwar auch ohne die Berücksich-tigung der Steifigkeitserhöhung bei kleinen Dehnungen(HSS).

4.3 3D-FE-Berechnung4.3.1 Rückrechnung von Münchner Spritzbetonvortrieben

Wie bereits in Abschnitt 3.2 erläutert, sind bei der Simula-tion des Spritzbetonvortriebs durch 3D-FE-Berechnungenkeine tunnelbauspezifischen Eingangsgrößen erforderlich.Mit 3D-FE-Berechnungen kann daher sehr gut nachvoll-zogen werden, ob das Stoffmodell und die Modellierungdes Vortriebs die Wirklichkeit gut wiedergeben. Soferndies der Fall ist, kann weiterhin durch einen Vergleich zwi-schen empirischer Prognose und Berechnung die Eignungdes empirischen Prognoseverfahrens überprüft werden.Hierzu wurden drei Spritzbetonvortriebe aus dem Münch-ner Raum, wieder unter Verwendung des Stoffmodells HS,nachgerechnet [2]. In Bild 6 ist beispielhaft das 3D-FE-Netz für den untersuchten Querschnitt 1 im U-Bahnlos 1der U3 Nord im Tertiär dargestellt.

Zunächst wurde der Vortrieb bis zur Ausgangssituati-on (vgl. Bild 6) simuliert, wobei als Vorverformung vor derSimulation des ersten Abschlags ein Volume loss VLtnach dem empirischen Prognoseverfahren unter der ver-einfachten Annahme VLs = VLt berücksichtigt wurde.Von diesem Ausgangszustand aus erfolgte die Simulationdes Vortriebs mit kurz vorauseilender Kalotte.

In Bild 7 ist die ermittelte Quersetzungsmulde zu-sammen mit den Ergebnissen der Messungen und dem empirischen Prognoseverfahren (Annahme einer50%igen Auftretenswahrscheinlichkeit) dargestellt.

Insgesamt ergibt sich eine sehr gute Übereinstim-mung zwischen 3D-FE-Berechnung, Messung und empiri-scher Prognose. Wie bei den anderen Rückrechnungen be-tragen die Setzungsdifferenzen maximal etwa 2 mm unddie Breite wie auch die maximale Tangentenneigung derSetzungsmulden sind augenscheinlich etwa gleich groß.Somit zeigen die Vergleichsberechnungen, dass sich durchdie 3D-FE-Berechnung mit dem hier gewählten Stoffmo-dell (HS) Setzungsmulden sehr gut berechnen lassen. Wei-terhin wird nochmals die Eignung des empirischen Prog-noseverfahrens zur Bestimmung von Setzungsmuldenvollauf bestätigt.

Bild 5. Beispiele mit a) guter und b) mittlerer Übereinstim-mung von gemessenen und berechneten SetzungsmuldenFig. 5. Examples with a) good and b) medium compliancebetween measured and calculated settlement troughs

Bild 4. Vergleichende Beurteilung von gemessenen und be-rechneten SetzungsmuldenFig. 4. Comparative evaluation of measured and calculatedsettlement troughs

a)

b)

Bild 6. Beispiel eines 3D-FE-Netzes – Vortrieb U3 Nord,Los 1, MQ1 Fig. 6. Example of a 3D-FE-net – excavation U3 north, lot 1, MQ1

109

J. Fillibeck · Prognose von Oberflächensetzungen beim Tunnelvortrieb – Teil II: Möglichkeiten und Grenzen der Finite-Element-Berechnung

geotechnik 36 (2013), Heft 2

4.3.2 Vereinfachtes Verfahren zur 3D-FE-Setzungs -berechnung

Da der Zeitaufwand für 3D-FE-Berechnungen relativ großist, wurde in [2] untersucht, wie die Berechnungsdauer, diesich aus der Berechnung von Teilsetzungsmulden immerwiederkehrender, gleicher Abschläge zusammensetzt, ver-kürzt werden kann. Hierzu wurden Vergleichsberechnun-gen unter der Annahme von „greenfield“-Bedingungen,das heißt Berechnungen „im freien Feld“ ohne Berück-sichtigung gesonderter Bauwerkslasten oder -steifigkeiten,ausgeführt. Nachfolgend wird das empfohlene Vorgehenfür derartige Setzungsberechnungen zusammenfassendbeschrieben (Bild 8):– Starten der Vortriebssimulation von einem Bereich in-

nerhalb des 3D-FE-Netzes: Der Abstand vom Modell-rand zur Startposition muss so groß sein, dass die ersteTeilsetzungsmulde am Modellrand keine Setzungen her-vorruft.

– Aktivierung einer Vorverformung: Die Größe der Vor-verformung sollte möglichst nahe an die zu ermittelnde

Setzung im steady state (s. Abschnitt 3.2) heranreichen.VLt kann beispielsweise mit dem empirischen Prognose-verfahren unter der Annahme VLs,50 = VLs und VLs = VLt abgeschätzt werden.

– Berechnung einiger Abschläge, bis sich die aus den Ab-schlägen ergebenden Teilsetzungsmulden nicht mehrsignifikant ändern (ca. fünf Abschläge),

– Addition der Teilsetzungsmulden, jeweils versetzt umdie jeweilige Abschlagslänge, bis sich hinter dem Vor-trieb ein steady state einstellt,

– Ermittlung der Quersetzungsmulde im steady state.

4.4 4D-FE-Berechnung4.4.1 Allgemeines

Anhand von auszugsweise wiedergegebenen Berech-nungsergebnissen wird im Folgenden modellhaft darge-stellt, wie sich die Berücksichtigung teildränierter Zustän-de auf die Verformungen auswirkt, in welchem Durchläs-sigkeitsbereich teildränierte Berechnungen relevant sindund welche Möglichkeiten die 4D-FE-Berechnung bietet.Hinsichtlich Details sowie weiterführender Untersuchun-gen wie beispielsweise des Einflusses auf die Ortsbrust-standsicherheit wird auf [5], [12] und [13] verwiesen.

In den nachfolgend dargestellten Berechnungenwurde ein Spritzbetonvortrieb im bindigen Baugrund(Münchner Tertiär) mit kurz vorauseilender Kalotte undeinem Durchmesser D = 6,8 m betrachtet. Es wird davonausgegangen, dass die Vortriebsleistung 4 m am Tag be-trägt. Die Durchlässigkeit des Baugrunds wurde zwischenk = 1 · 10–6 m/s und k = 5 · 10–10 m/s variiert. Da sich dieDurchlässigkeitsänderung umgekehrt proportional zurÄnderung der Vortriebsgeschwindigkeit auswirkt, mussdie Vortriebsgeschwindigkeit nicht variiert werden.

4.4.2 Modell zur Auswirkung der Konsolidierungszeit beim Spritzbetonvortrieb

Zunächst sind in Bild 9 beispielhaft die ermittelten Hori-zontalverformungen und plastifizierten Zonen in Abhän-gigkeit von der Durchlässigkeit dargestellt.

Die zum Tunnel gerichteten Horizontalverformun-gen am Kalottenfuß nehmen mit steigender Durchlässig-keit überproportional zu, klingen mit zunehmendem Ab-

Bild 7. Vergleich zwischen 3D-FE-Berechnung, Messungund empirischer PrognoseFig. 7. Comparison between 3D-FE-calculation, measure-ment and empirical prediction

Bild 9. Horizontalverformungen und plastifizierte Zonen in Abhängigkeit von der Durchlässigkeit kFig. 9. Horizontal deformations and plastified area in dependence on the permeability k

Bild 8. Vereinfachtes Verfahren zur Ermittlung der Quer -setzungsmulde im steady stateFig. 8. Simplified method to calculate the cross sectionalsettlement under steady state conditions

110

J. Fillibeck · Prognose von Oberflächensetzungen beim Tunnelvortrieb – Teil II: Möglichkeiten und Grenzen der Finite-Element-Berechnung

geotechnik 36 (2013), Heft 2

lust der Ortsbruststabilität führt, sofern die Strömungsdrü-cke nicht durch das Gebirge aufgenommen werden kön-nen. Da der Tunnelvortrieb jedoch voranschreitet und so-mit der zuvor beschriebene Zustand nur kurzzeitig auftritt,ist die Ortsbruststandsicherheit gegenüber dem langfristi-gen Zustand erhöht. Dadurch erklärt sich, dass sich beimanchen Vortrieben mit der Vortriebsgeschwindigkeit dieOrtsbruststandsicherheit erhöht.

4.4.3 Oberflächensetzungen

Nun wird der Einfluss der Durchlässigkeit und damit indi-rekt der Vortriebsgeschwindigkeit auf die Oberflächenset-zungsmulde betrachtet. Die vergleichenden Ergebnissehierzu sind in Bild 11 und 12 im Längs- und Querschnittdargestellt.

Die Setzungen steigen mit zunehmender Durchläs-sigkeit überproportional an. Nach den hier vorliegendenErgebnissen ist der Einfluss der Durchlässigkeit auf dieVerformungen ab k > 1 · 10–8 m/s relevant. Darunter ändern sich die Setzungen nicht mehr markant.

Unter Berücksichtigung weiterer Untersuchungenvon Höfle [5] lässt sich als Fazit aussagen, dass der Unter-schied der errechneten Oberflächensetzungen bei Berück-sichtigung teildränierter Zustände gegenüber dräniertenZuständen bei herkömmlichen Vortriebsgeschwindigkei-ten in einem Durchlässigkeitsbereich zwischen grob ca.k = 5 · 10–7 m/s und k = 5 · 10–9 m/s relevant sein kann.Wie groß der Unterschied ist, hängt unter anderem maß-

stand vom Kalottenfuß jedoch rasch ab. Dies lässt sich er-klären, wenn man die plastifizierten Bereiche betrachtet.Durch den zum Tunnel gerichteten Strömungsdruck undden Erddruck wird der unmittelbar an der Ortsbrust anste-hende Boden in den Tunnel gedrückt und plastifiziert da-bei, das heißt, dieser Boden befindet sich im Grenzzu-stand. Die Gesamtstandsicherheit der Ortsbrust ist aller-dings noch gegeben. Dabei hilft, dass durch die Verfor-mungen im noch nicht plastifizierten Untergrund relativzum hydrostatischen Wasserdruck ein Porenwasserunter-druck entsteht, der stützend wirkt.

Aus diesen Ergebnissen lässt sich die in Bild 10 dar-gestellte Modellvorstellung ableiten: Im theoretischen Zu-stand der unverformten Ortsbrust wirkt auf die Ortsbrustein hoher, ins Tunnelinnere gerichteter Strömungsdruckdes Grundwassers mit entsprechenden Porenwasserdrü-cken. Beim Vortrieb in gering durchlässigen Böden unterdem Grundwasser bauen sich durch die Entspannung undVerformung der Ortsbrust (Bild 10) diese Porenwasserdrü-cke ab, die Strömungskräfte verschieben sich in RichtungGebirge. Dadurch erhöht sich gegenüber dem unverform-ten Zustand auch die Ortsbruststandsicherheit.

Langfristig ergeben sich mit zunehmendem Wasser-zufluss zur Ortsbrust immer größere Ortsbrustverformun-gen sowie plastifizierte Zonen, was in Abhängigkeit vonder Duktilität des Bodens früher oder später zu einem Ver-

Bild 10. Schematische Darstellung der Porenwasserdruck-verteilung an der Ortsbrust a) ohne und b) mit Berücksichti-gung der OrtsbrustverformungenFig. 10. Schematic view of the pore pressure distribution atthe tunnel face a) without and b) with consideration of facedeformations

a)

b)

Bild 11. Quersetzungsmulde in Abhängigkeit von derDurchlässigkeit kFig. 11. Cross sectional settlement trough in dependence on the permeability k

Bild 12. Längssetzungsmulde in Abhängigkeit von derDurchlässigkeit kFig. 12. Longitudinal settlement trough in dependence on the permeability k

111

J. Fillibeck · Prognose von Oberflächensetzungen beim Tunnelvortrieb – Teil II: Möglichkeiten und Grenzen der Finite-Element-Berechnung

geotechnik 36 (2013), Heft 2

geblich von der vorhandenen Ortsbruststandsicherheitab. Bei der üblicherweise geforderten hohen Ortsbrust-standsicherheit ist er eher gering. Erst bei vergleichsweisegeringer Ortsbruststandsicherheit nehmen die Setzungs-und Verformungsunterschiede überproportional zu.

5 Ermittlung der tunnelbauspezifischen Eingangsgrößenfür die 2D-FE-Berechnung bei der Spritzbetonbauweise

Nachfolgend wird der Frage nachgegangen, welche tun-nelbauspezifischen Eingangsgrößen (α, β bzw. VLt) fürSpritzbetonbauweisen zur Berücksichtigung der räumli-chen Tragwirkung bei der 2D-FE-Berechnung anzusetzensind. In der Praxis wird häufig so vorgegangen, dass siestark auf der sicheren Seite liegend geschätzt oder Varia -tionsberechnungen mit großen Bandbreiten durchgeführtwerden, ohne dass zur Auftretenswahrscheinlichkeit Infor-mationen vorliegen. Nach den hier vorliegenden Untersu-chungen liegt es nahe, die tunnelbauspezifischen Ein-gangsgrößen über einen Vergleich mit der erwarteten Set-zungsmulde zu bestimmen. Zwei Vorgehensweisen sindmöglich:a) Vergleich des Volume loss VLs der 2D-FE-Berechnung

mit dem des empirischen Prognoseverfahrens,b) Vergleich von 2D- und 3D-FE-Berechnungen bei der

Spritzbetonbauweise.

Beim Verfahren a) wird die Größe der Setzungsmulde an-hand des Volume loss VLs des empirischen Prognosever-fahrens gewählt, wobei auf der sicheren Seite liegend fürSetzungsberechnungen ein tendenziell hoher und für tun-nelstatische Berechnungen (Schnittgrößen) in der Regel eineher niedriger VLs-Wert gewählt werden sollte (Bild 13).

Bei Verfahren b) wird angenommen, dass mit der 3D-FE-Berechnung die Setzungsmulde wirklichkeitsnah abge-schätzt werden kann. Aufgrund des Einflusses des Stoff-modells sowie des Seitendruckbeiwerts (Abschnitt 4.1)sollte dies vorab anhand von Rückrechnungen messtech-nisch beobachteter Querschnitte bei vergleichbaren Pro-jekten überprüft werden.

Anschließend wird die tunnelbauspezifische Ein-gangsgröße der 2D-FE-Berechnung so lange variiert, bisdie Setzungsmulde gut mit der gemäß Verfahren a) oder b)vorgegebenen Setzungsmulde übereinstimmt.

Für verschiedene Münchner Spritzbetonvortriebewurden mit Hilfe des Verfahrens b) die tunnelbauspezifi-schen Eingangsgrößen (hier β und VLt) bestimmt. InBild 14 sind die Ergebnisse in Abhängigkeit von VLs darge-stellt.

Jeweils ist ein Unterschied zwischen Quartär- undTertiärvortrieben zu erkennen. Wie zu erwarten, ist eine li-neare Abhängigkeit zwischen VLt und VLs vorhanden.Die Abhängigkeit zwischen β und VLs kann hingegen nurim Rahmen einer Bandbreite angegeben werden, wobeisich diese gegenüber Literaturangaben (0,2 < β < 0,80) je-doch erheblich eingrenzen lässt. Die Streuungen bzw.Bandbreiten bei den Rückrechnungen können vielfältigeUrsachen haben. Wesentlich wird sein, dass bei dieserAuswertung verschiedene Einflussgrößen – wie die Tun-neltiefe, Seitendruckbeiwert, Tunneldurchmesser oder Ge-birgssteifigkeit – nicht berücksichtigt wurden. Wie sichdiese Randbedingungen auswirken und damit die Ergeb-

nisse auf andere Verhältnisse übertragen lassen, ist Ge-genstand ergänzender systematischer Untersuchungen amZentrum Geotechnik der TU München.

6 Zusammenfassung

Die Möglichkeiten und Grenzen der in Teil 1 und 2 derVeröffentlichung beschriebenen Verfahren zur Prognosevon tunnelbauinduzierten Setzungen lassen sich wie folgtzusammenfassen:

Mit dem vorgestellten empirischen Prognoseverfah-ren lässt sich die Größe und Form von Setzungsmulden,welche über Spritzbetonvortrieben bzw. Schildvortriebenmit druckhaltender Ortsbruststützung auftreten, ver-

Bild 13. Bestimmung von α, β oder VLt für 2D-FE-Berech-nungenFig. 13. Determination of α, β or VLt for 2D-FE-calculations

Bild 14. VLt (a) und β (b) gemäß RückrechnungFig. 14. VLt (a) and β (b) obtained from back analyses

a)

b)

112

J. Fillibeck · Prognose von Oberflächensetzungen beim Tunnelvortrieb – Teil II: Möglichkeiten und Grenzen der Finite-Element-Berechnung

geotechnik 36 (2013), Heft 2

gleichsweise einfach mit Hilfe einer Exponentialfunktionermitteln. Berechnet werden „greenfield“-Setzungsmul-den, das heißt, gesonderte Bauwerkslasten und Bauwerks-steifigkeiten können nicht berücksichtigt werden. Da inder Regel herkömmliche Bauwerkslasten die Setzungs-mulde nicht maßgeblich beeinflussen und die Bauwerks-steifigkeit von Gebäuden setzungsreduzierend wirkt – unddamit auf der sicheren Seite liegend vernachlässigt werdenkann –, ist der Anwendungsbereich dieses empirischenPrognoseverfahrens relativ groß.

Der Vorteil der 2D-FE-Berechnung gegenüber demempirischen Prognoseverfahren ist, dass spezielle set-zungsbeeinflussende Eingangsgrößen wie beispielsweisehohe Einzellasten, Gebäudesteifigkeiten oder baugrund-verbessernde Maßnahmen simuliert werden können. An-hand von vielen Rückrechnungen konnte nachgewiesenwerden, dass sich bei Seitendruckbeiwerten K < 1 mit demhier verwendeten elastoplastischen Stoffmodell mit Ver-festigung die Form der Setzungsmulde wirklichkeitsnahberechnen lässt. Gegenüber dem empirischen Prognose-verfahren ist nachteilig, dass der Rechenaufwand deutlichgrößer ist und dass zur Simulation der räumlichen Trag-wirkung tunnelbauspezifische Eingangsgrößen (z. B. α-, β-oder VLt-Wert) anzusetzen sind. Sie können das Ergebnisdeutlich beeinflussen, ihre Größe ist aber häufig nicht ge-nau bekannt. Für den Fall, dass keine anderweitigen Er-fahrungen vorliegen, werden in Abschnitt 5 Vorschlägeunterbreitet, wie die Größe der tunnelbautechnischen Ein-gangsgrößen abgeschätzt werden kann.

Die vergleichsweise noch aufwendigere 3D-FE-Be-rechnung eignet sich insbesondere zur Ermittlung vonLängssetzungsmulden und wenn die Beanspruchungen,z. B. aus Bauwerken über dem Tunnel, die Erfassung derräumlichen Situation erforderlich machen. Weiterhin istvon Vorteil, dass beim Spritzbetonvortrieb die räumlicheTragwirkung nicht durch eine tunnelbauspezifische Ein-gangsgröße simuliert werden muss.

Zu den 4D-FE-Berechnungen lässt sich allgemeinaussagen, dass die Möglichkeit, den Konsolidierungsvor-gang in Abhängigkeit von der Zeit zu berücksichtigen, ge-genüber Berechnungen mit der undränierten Scherfestig-keit cu zur Bestimmung eines realistischeren Kraft-Verfor-mungsverhaltens führen kann. Es konnte qualitativ veran-schaulicht werden, wie sich die Durchlässigkeit bzw. dieVortriebsgeschwindigkeit auf die Verformungen an derOrtsbrust bzw. auf die Oberflächensetzungen auswirken.Nach den derzeitigen Berechnungen kann dieser Einflussbei herkömmlichen Vortriebsgeschwindigkeiten im homo-genen Baugrund mit Durchlässigkeiten zwischen ca. k = 5 · 10–7 m/s und k = 5 · 10–9 m/s (stark schluffiger Sandbis Ton) relevant sein. Insgesamt ist es aber noch erforder-lich, weitere Erfahrungen mit derartigen Berechnungen zusammeln.

Bei allen Möglichkeiten, die die vorgenannten Be-rechnungsverfahren bieten, bleibt zu berücksichtigen, dassaufgrund der Komplexität von Tunnelvortrieben nicht alledie Setzung beeinflussenden Faktoren berücksichtigt wer-den können. Beispielhaft sei der Einfluss des Menschen ge-nannt, der, sei es durch unterschiedliche Steuerung derSchildmaschine oder durch mehr oder weniger handwerkli-ches Geschick beim Spritzbetonausbau, die Setzungen be-kanntermaßen beeinflussen kann. Man erkennt dies auch

leicht, wenn man einen gemessenen Längssetzungsverlaufnach dem Vortrieb analysiert. Die Messergebnisse schwan-ken fast immer, auch wenn die Vortriebsrandbedingungenaugenscheinlich entlang des Vortriebs gleich waren. Es istdaher gar nicht möglich, vorab eine „wahre“ Setzungsmul-de zu errechnen, sondern es sind immer hinsichtlich derGröße der Setzungsmulde Bandbreiten zu betrachten, diesich aus der Variation der Eingangsgrößen ergeben.

Literatur

[1] Fillibeck, J.: Möglichkeiten der Prognose von Oberflächen-setzungen beim Tunnelvortrieb im Lockergestein – Teil 1: Em-pirisches Prognoseverfahren. geotechnik 36 (2013), H. 1, S.30–39.

[2] Fillibeck, J.: Prognose von Setzungen beim Lockergesteins-vortrieb - Empirische und numerische Verfahren. Habilitati-onsschrift am Zentrum Geotechnik der TU München. Heft 50der Schriftenreihe des Zentrum Geotechnik der TechnischenUniversität München, 2011.

[3] Brinkgreve, R. B. J., Broere, W.: Plaxis 3D Tunnel – Version 2.Delft University of Technology & Plaxis B.V., The Nether-lands, 2004.

[4] Pelz, G., Fillibeck, J., Vogt, N.: Die Ermittlung der Überkon-solidation und deren Berücksichtigung bei FE- Berechnungenam Beispiel des feinkörnigen Münchner Tertiärs. geotechnik32 (2009), S. 96–109.

[5] Höfle, R.: Verformungen und Ortsbruststandsicherheit beiTunnelvortrieben in gering durchlässigen Böden. Dissertation,TU München, 2012.

[6] Möller, S.: Tunnel induced settlements and structural forcesin linings, Dissertation, Universität Stuttgart, 2006.

[7] Schikora, K., Fink, T.: Berechnungsmethoden moderner berg-männischer Bauweisen beim U-Bahn-Bau. Bauingenieur 57(1982), S. 193–198.

[8] Laabmayr, F., Swoboda, G.: Grundlagen und Entwicklungbei Entwurf und Berechnung im seichtliegenden Tunnel, Teil1. Felsbau 4 (1986), S. 138–143.

[9] Rowe, R. K., Lo, K. Y., Kack, G. J.: A method of estimatingsurface settlement above tunnel constructed in soft ground.Canadian Geotechnical Journal 20 (1983), pp. 11–22.

[10] Katzenbach, R., Breth, H.: Nonlinear 3D Analysis forNATM in Frankfurt Clay. Int. Conf. of Soil Mech. and Found.Engineering, Vol. 1, pp. 315–318, Rotterdam, Balkema, 1981.

[11] Franzius, J. N.: Behaviour of buildings due to tunnel in-duced subsidence. PhD thesis, University of London, 2003.

[12] Höfle, R., Fillibeck, J., Vogt, N.: Time dependent deforma-tions during tunnelling and stability of tunnel faces in fine-grained soils under groundwater. Acta Geotechnica 3(4)(2008), pp. 309–316.

[13] Höfle, R., Fillibeck, J., Vogt, N: Time depending stability oftunnel faces. Proceedings ITA-AITES World Tunnel Congress,Budapest, Hungary, 2009.

Autor Dr.-Ing. habil. Jochen Fillibeck Zentrum Geotechnik TU MünchenBaumbachstraße 781245 München

Eingereicht zur Begutachtung: 10. Januar 2013Überarbeitet: 8. April 2013Angenommen zur Publikation: 8. April 2013