predigtentwurf. jesaja 6,1–13

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Examenspredigt Andreas Janke

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Page 1: Predigtentwurf. Jesaja 6,1–13

ExamenspredigtAndreas Janke

Page 2: Predigtentwurf. Jesaja 6,1–13

Evangelisch-lutherische Landeskirche in BraunschweigLandeskirchenamtPrufungsabteilung

Dietrich-Bonhoeffer-Str. 1, D-38300 Wolfenbuttel

Predigtarbeit zum Ersten theologischen Examen

Jes 6,1–13

Cand. theol. Andreas JankeGablonzer Straße 8a, 38259 Salzgitter

[email protected]

18. 3. 2005Anpassung vom 3. 3. 2013

Page 3: Predigtentwurf. Jesaja 6,1–13

Ich versichere, diese Arbeit ohne fremde Hilfegeschrieben, alle benutzten Hilfsmittel angegeben undalle wortlichen wie inhaltlichen Anfuhrungen aus der

Literatur kenntlich gemacht zu haben.

Anpassung vom 3. 3. 2013

Aktualisierung der AdresseKorrektur weniger Fehler

Textgleichheit zur Fassung vom 18. 3. 2013

Page 4: Predigtentwurf. Jesaja 6,1–13

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

1. Predigt 1

2. Uberleitung 3

3. Voraussetzungen 43.1. Anlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43.2. Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43.3. Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53.4. Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53.5. Zeit und Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93.6. Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103.7. Prediger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

4. Gestaltung 114.1. Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114.2. Predigtaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124.3. Stilmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124.4. Liturgische Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

A. Literatur I

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Page 5: Predigtentwurf. Jesaja 6,1–13

1. Predigt

1. Predigt

[Pause]

Ich fliege in einer Halle. Zwei Flugel tragen mich – schwebend uber meinemHerrn. Ich bin ein Gott – ein Gott in einer Halle voller Gotter. Vier Flugel schutzenmich. Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth! Schutzt Euch, Ihr Gotter. VerdecktEuer Gesicht mit zwei Flugeln – verdeckt eure Fuße mit zwei Flugeln. Hort doch:Heilig, heilig, heilig ist unser Feldherr. Vor ihm bestehen wir nicht.

Die Halle schwankt vor unserem Donner – Rauch uns’rer Erscheinung quilltin die Halle. Mittendrin ertrinkt ein Menschlein in den Schleppen uns’res Herrn.Schutz Dich, Erdenwesen: Die Fulle der Erde ist seine Herrlichkeit! Nichts ist oh-ne Gott, wir nicht, Du nicht. Alles ist sein – Du – wir – die Erde – der Himmel. Ja,alle Lande sind seiner Ehre voll.

Das Menschlein wimmert: Weh mir, ich vergehe! Ja, ich werde vertilgt sein! Ja,

ein Mann unreiner Lippen bin ich! Und in der Mitte eines Volkes unreiner Lippen

wohne ich. Ja, den Konig [. . . ] der Heere haben meine Augen gesehen.

Vertilgt warst Du. Zu spat hast Du Dich geschutzt. Nicht einmal Mose durfteGott sehen. Einer von uns holt vom Altar ein Stuck Gluhkohle. Deine Chance zu le-ben. Der Altar kann Dich mit Gott verbinden. Deine Lippen reinigen. Deine Schuldvernichten. Deine Chance sein.

[Lesung Jes 6,1–7 nach Luther 1984]

Worte der Schrift zum Fest der Trinitat, aufgeschrieben im 6. Kapitel im BuchJesaja, Verse 1–7.

Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! Dasist der Spruch fur die kommende Woche. Wir singen diese Worte zum Abendmahl.

Es sind nicht die Worte von Menschen, sondern von Seraphen. Zum Abendmahlreißen wir ein Bruchstuck aus ihrem Mund. Wir rauben die Worte von drachen-gleichen Gottern, von Gottes Gardisten. Unsere Stimme soll zusammen mit denhimmlischen Machten donnern. Zur himmlischen Streitmacht wollen wir gehoren.Sprechen und singen wir die Worte der Seraphen, machen wir uns ihnen gleich. ZuGottern machen wir uns. Ja, machtvoll treten wir mit Donner und Rauch uber dieErde, lassen Kirchen und Tempel erzittern.

Mitten im Tosen unserer Stimmen erstickte fast ein Menschlein in den SchleppenGottes und im Rauch unserer Erscheinung. Es wimmerte – wir halfen ihm. Unterden Menschen wurde er als der Prophet Jesaja bekannt. Aber wir wollen nicht die-ser Wurm in Todesangst sein – Schuld wollen wir von den Lippen der Menschenbrennen. Heilige sind wir, himmlische Wesen – nicht der dreckige Prophet.

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1. Predigt

Wir bekennen einander: Gott ist noch heiliger als wir, dreimalheilig. Obwohl wiruns zu Seraphen machen, mussen wir unser Gesicht vor ihm schutzen – selbst alsGotter konnen wir ihn immer noch nicht sehen, erkennen ihn nicht. Obwohl wiruns zu Seraphen machen, mussen wir unsere Fuße vor ihm verstecken – selbst alsGotter, heilige, reine Wesen, sind wir noch immer so unrein, dass wir uns verbergenmussen. Vor Gott sind selbst wir nur Motten. Wir gestehen ein: Alles, woruber wirherrschen, ist von Gottes Macht erfullt.

Herrschen konnen wir – schaffen konnen wir nicht. Am Anfang von Himmel undErde ist Gott. Ohne ihn wurde nichts, ohne ihn ist nichts, und ohne ihn wird nichtssein.

”Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmachtigen, der alles geschaf-fen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt.“ [NizanumAbs. 1; 9, 06.2]

”Was ist das? Antwort.Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat sampt allen Kreaturn, mir Leib und

Seel, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und nocherhalt, dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hofe, Weib und Kind,Acker, Viehe und alle Guter, mit aller Notdurft und Nahrung dies Leibs und Lebensreichlich und taglich versorget, wider alle Fahrlichkeit beschirmet und fur allemUbel behut und bewahret, und das alles aus lauter vaterlicher, gottlicher Gute undBarmherzigkeit ohn alle mein Verdienst und Wirdigkeit, des alles ich ihm zu dan-ken und zu loben und dafur zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin; das istgewißlich wahr.“ [Kleiner Katechismus, Der Glaube; 1, S. 510]

Gott fullt jeden Partikel der Welt – mich – Sie – meine Wasche – Ihre Wasche.Alles was ist, kommt von ihm her. Welt ohne Gott gibt es nicht.

Jesaja sah Gott. Er sah Gottes Gardisten – wie selbst sie sich furchteten undwarnten. Er horte ihr Bekenntnis. Ein Seraph half ihm, vor Gottes Angesicht zuuberleben. Mit Bild und Wort wurde ihm die Wahrheit uber die Welt klar. Er musstereden, es anderen Menschen sagen. Gott spricht mit ihm daruber:

[Lesung Jes 6,8–13 nach Luther 1984]

6. Kapitel im Buch Jesaja, Verse 8–13.Sofort will Jesaja als Bote fur Gott in die Welt ziehen. Gott warnt:

Du wirst zu diesem Volk sagen: Hort doch hort, und ihr moget nicht

wahrnehmen. Seht doch seht, und ihr moget nicht einsehen.

Jesaja redete uber sein Erlebnis mit Gott. Er stieß seine Mitmenschen mit derNase auf die Wahrheit Gottes. Aber was er sagte, war so absurd, dass ihm niemand

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2. Uberleitung

folgen konnte. Das, was man sah, erklarte er so abwegig, dass ihm niemand glaubenwollte.

Jesaja war allein vor Gott. Kein anderer Menschen hatte erlebt, was Jesaja erlebthatte – und Jesaja war noch nicht der große unbestrittene Prophet, der er in unsererErinnerung ist. Er war nur ein Mann, der sich anmaßte, besser uber Gott Bescheidzu wissen als alle Traditionen, Priester und Konige. Wem sollten die Menschenglauben: dem Spinner oder dem, was alle fur wahr hielten, was man in den Schriftenfand und was die Priester als Wahrheit deklarierten? Wem hatten Sie geglaubt?

Jesaja muss reden, aber er wird gegen die Wand aus menschlichem Fur-wahr-halten, Tradition und Machtinteressen laufen.

Gott baut Jesaja auf: Rede, Jesaja, rede. Du versagst nicht – meine Wahrheit selbstbringt jede Tradition, jedes Fur-wahr-halten und alle Machtinteressen gegen michauf.

[Kurze Pause]

Wenn auf der Erde nichts mehr lebt, erst dann wird Gottes Wahrheit niemandenmehr argern. Leben und Gottes Wahrheit stehen einander gegenuber, sind unver-einbar. Gott kann man nicht in seiner Schopfung finden – aber Gott kann seinemGeschopf vor die Augen treten. Eine Vereinigung zwischen ihm und der Welt gibtes nicht. Welt wird niemals Gott sein. Zugleich durchwaltet Gott die ganze Welt.Gott und Welt sind ungetrennt und unvermischt.

Glauben Sie nicht dem Trug, uber Gott sei schon alles gesagt. Wenn jemanddie Wahrheit fur sich beansprucht, konnen sie sich lachelnd zurucklehnen und ihmzuhoren. Wenn Sie die Wahrheit zu haben glauben, durfen sie ganz entspannt sein.Kein Mensch und keine himmlische Kraft hat die Wahrheit – niemand außer Gottallein. Wer mehr als das zu wissen vorgibt, weiß weniger, ist die Mauer, gegen dieschon Jesaja lief.

Und der Friede Gottes, welcher hoher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzenund Sinne in Christus Jesus.

2. Uberleitung

Am 22. 5. 2005 soll ich in der Stiftskirche St. Anastasius-St. Innocentius zu BadGandersheim zu Jes 6,1–13 predigen. Die Predigt ist ein selbstandig wahrgenom-mener Teil kirchlichem Handelns. Deshalb habe ich sie vor die wissenschaftlicheArbeit gestellt, damit sie nicht nur als Anhang an die eigentliche, wissenschaftlicheAufgabe wirkt.

In der Arbeit analysiere ich zuerst ihre grundlegenden ”Voraussetzungen“. Imzweiten Schritt, der ”Gestaltung“, analysiere und plane ich die Zusammensetzung

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3. Voraussetzungen

dieser ”Voraussetzungen“. In der ”Predigt“ setze ich die Planung um, auch wennich sie im Ablauf der Arbeit vorangestellt habe – diese Arbeit kann von der Predigtuber die Analyse zur Predigt hin gelesen werden –.

Eigene Ubersetzungen des Predigttexts setze ich kursiv.

3. Voraussetzungen

Jeder Predigt liegen die Dimensionen Anlass, Ort, Zeit, Predigttext, Gemeinde undPrediger zugrunde. Im Folgenden fasse ich deren Analysen weitgehend getrenntvoneinander jeweils zusammen. Manche Dimensionen interferieren elementar mit-einander: Zu den meisten Voraussetzungen steht die Gemeinde in einem beson-deren, wechselseitigen Verhaltnis. Dieses stelle ich zum Schluss der betroffenenAbschnitte dar. Zeit und Text sind direkt aufeinander bezogen, weshalb ich diesemVerhaltnis einen eigenen Abschnitt einraume.

3.1. Anlass

Weshalb ich diese Arbeit schreibe und welche Richtung dieser Arbeit dadurch vor-gegeben ist:

Mein erstes theologisches Examen veranlasst diese Predigtarbeit. Die Aufgabeumfasst auf 12 Seiten eine Predigt und eine ”zusammenfassende[. . . ] Darstellungder der Predigt zugrunde liegenden exegetischen und homiletischen Entscheidun-gen“ [20, III.2]. Systematisch-theologische Entscheidungen darzustellen ist nichtAufgabe. Entscheidungen zusammenzufassen grenzt eine solche Arbeit vom wis-senschaftlichen Vorgehen ab, Entscheidungen begrundet herzuleiten. Zwolf Seitenlassen den drei Bereichen der Aufgabe wenig Platz.

3.2. Ort

Welchen Ort ich beim Entwurf der Predigt im Kopf habe, an welchem Ort die Pre-digt wirkt und was der Ort uber seine Menschen aussagt:

Die Stiftskirche St. Anastasius und St. Innocentius zu Bad Gandersheim ist eineim Jahre 881 eingeweihte [25, S. 19 u. o], romische Basilika. 1992–1997 wurde sieumfangreich renoviert [25, S. 24 u. o]. Seitdem ist der Raum hell getuncht, dezentbemalt und mit Ahornbanken bestuhlt. Die Kanzel wurde entfernt, es gibt nur nochein Lesepult. Dieses ist wie der Altar, das Taufbecken, der funfarmige Leuchterauf dem Hohen Chor und die Seitenteile der Banke anthrazit-bronzefarben. Dasergibt eine optische Verbindung zwischen Wort, Altar, Taufe und Gemeinde. In denArkaden und Seitenschiffen erinnern byzantinische Leuchter an die Vergangenheitder Kirche.

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3. Voraussetzungen

Die Gemeinde ist sich der tiefen geschichtlichen Wurzeln ihrer Kirche bewusstund schaut stolz auf sich und mutig in die Zukunft [s. a. 25]. Die Harmonie zwischender edlen, modernen Raumausstattung und den geschichtstrachtigen Elementen inder Kirche druckt aus, dass die Gemeinde christlichen Glauben auf dem Weg indie Zukunft sieht. Zugleich bestatigt ihr der runderneuerte Kirchraum genau diesePerspektive.

Die Stiftskirche ist fur die Stadtbevolkerung und die politische Gemeinde einWahrzeichen der Geschichte und der eigenen Identitat. Sie verankert die Ganders-heimer emotional im Kaiserhaus der Ottonen. Sie nehmen ihre Kirche als immer-wahrendes kulturelles Zentrum im Schnittpunkt von Stadt und Kirche wahr. Uber-gange zwischen den Bereichen sind bei den Gandersheimer Domfestspielen, beimPortal zur Geschichte, bei Konzerten und Versuchen der politischen Gemeinde, denKirchraum fur sich zu gewinnen, gegenwartig. Kunst, Kirche und Politik kristalli-sieren an der Kirche und nehmen einander sensibel wahr.

3.3. Zeit

Welche Erwartung von der Zeit an die Predigt ausgeht, und wie die Gemeinde dieseZeit wahrnimmt:

Der 22. 5. 2005 ist der Sonntag nach Pfingsten: Trinitatis. Etwa in der Mitte desKirchenjahrs bildet Trinitatis das Bergfest im Kirchenkalender. Erst am Ende desKirchenjahrs kommen wieder große Feiertage. Dieses Fest zieht einen Schlussstrichunter die Entwicklung von Weihnachten uber Ostern zu Pfingsten. Deshalb wirdTrinitatis als dogmatische Zusammenfassung der vorausgegangenen Zeit interpre-tiert [16, S. 706][22, S. 69]. Die Sonntage nach Trinitatis zahlen bis zum drittletztenSonntag im Kirchenjahr alle von Trinitatis her. Diese Zahlstruktur druckt aus, wiehervorgehoben Trinitatis sein soll. Seine zentrale Stellung im Kirchenjahr korres-pondiert mit der zentralen Stellung der Trinitatslehre in der Kirche.

Die Gemeinde kennt Trinitatis vor allem von den ”X Sonntagen nach Trinitatis“.Das Fest selbst bedeutet ihr aber wohl nur wenig. Denn ”seinen Charakter �Fest derTheologie� zu sein, hat Trinitatis nie ablegen konnen. �Fest der Frommigkeit� istes bis heute nicht geworden“ [22, S. 69].

3.4. Text

Was der Text der Predigt an Stoff anbietet:Zeitangaben und Wechsel der Erzahlrichtung in Jes 6,1 und Jes 7,1 grenzen

Jes 6,1–13 als selbstandige Einheit von Jes 2,1–5,30 ; 7,1ff. ab. Intern gibt es inJes 6,12 einen Umbruch: Der Personenwechsel vom sprechenden Ich Adonajs in

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3. Voraussetzungen

Jes 6,11 in seine dritte Person in Jes 6,12f. irritiert. Weiterhin legt Jes 6,8–9 nahe,Jes 6,1–13 als Berufungsbericht zu lesen. Die Verkundigung des Propheten verfol-gen wir jedoch schon seit Jes 1,2: Der Berufungsbericht kommt fur den Leser zuspat.

Von Jes 1–5 zu Jes 6 wechselt die Person. Besonders Jes 1,1 ; 2,1 verleiten da-zu, in Jes 6 den Propheten Jesaja ben Amoz als das sprechende Ich anzunehmen.Tatsachlich stellt sich dieses Ich nicht vor:1 Spricht uberhaupt Jesaja?

Der staccatohafte Wechsel von Er- und Ich-Bericht in Jes 5–6–7–8 verhakt diebeiden Berichte ineinander. Der Er-Bericht Jes 1–5 ; 7 zieht aus Jes 6 den Nach-weis, echte Prophetie zu sein und gibt dafur Jes 6 ; 8ff. die Zuordnung zum Prophe-ten Jesaja. Der unvorbereitete Wechsel des Erzahlmodus in Jes 6 bleibt ein starkesTextsignal. Er lasst beim Lesen aufmerken. Ein kompositorisches Ausrufezeichenentsteht.

Als Akteure treten das Ich, Seraphim, daraus ein einzelner Seraph und Ado-naj/(Konig) JHWH (Zebaoth) auf. An Requisiten bietet der Text einen erhobe-nen und erhabenen Sessel, eine Schleppe, den Jerusalemer Tempel (Palast deter-miniert) / das Haus, (Tur-)Schwellen wohl samt Verankerung, Rauch, einen Altar,eine Gluhkohle und eine Zange.

In der ersten Szene Jes 6,1–72 bleibt Gott passiv. Er thront im Jerusalemer Tem-pel3 distanziert erhaben [V. 1]. Die Ausbreitung seiner Schleppe versinnbildlichtseine konigliche Macht und lasst ”den Tempel als viel zu klein erscheinen“ [2,S. 169][s. a. 4, S. 224f.]. Uber ihm donnern die Seraphim ihr Dreiheilig und fuhrendamit Gott als den JHWH der Heere, als ihren ”Feldherren“ ein [V. 3]. Ein Seraph istso etwas wie eine fliegende Feuerschlange [2, S. 170f.][4, S. 225][21, Sp. 887f.], un-serem Drachen ahnlich. Der Ruf der Seraphim erschuttert die Schwellen des Tem-pels und fullt das Haus mit Rauch an [V. 4]: Sie treten als gottliche Wesen auf.4

Selbst diese himmlischen Gardisten schutzen sich von Kopf bis Fuß vor GottesAnwesenheit [V. 2][2, S. 169ff.]. Indem sie das Heilig dreimal wiederholen, bestati-gen sie einander die vollkommene Unantastbarkeit ihres Herrn und erkennen seineMacht uber sich an: ”[S]ie sind ja seine >Zebaot<“ [2, S. 171][ahnlich 4, S. 225].

1Das geschieht auch nicht in den spateren Kapiteln.2Wegen des ”. . . ich sah . . .“ [V. 1] Vision genannt [u. a. 2, 4]. Jedoch enthalt die Szene auch auditive

Elemente, so dass Vision keine hinreichende Klassifizierung ist.3Alles deutet darauf hin, dass die Szene auf der Erde im konkreten Tempel geschieht [ebenso 2,

S. 168].4Erschutterung und Rauch sind Begleiterscheinungen einer Theophanie [2, S. 172][4, S. 225]. Aber

nicht Gott lost diese Erscheinungen aus: Es handelt sich nicht um eine Theophanie Gottes [gegen2, S. 172], sondern um eine Theophanie der Seraphim [ahnlich 21, Sp. 890]. Sie sind mindestens

”Halbgottheiten“ [2, S. 169][ahnlich 21, Sp. 887f . 890]. Durch Kopf, Fuße und ein bis zwei extraPaar Flugel unterscheiden sie sich von normalen Seraphim [2, S. 171][vgl. 21, Sp. 890]. Daszusammen mit den Begleiterscheinungen einer Theophanie lasst sie als selbststandige Gottererscheinen.

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3. Voraussetzungen

So warnen sie einander wie zur Erinnerung, dass es klug ist, sich mit Flugeln zuschutzen. Diese machtigen (Halb-)Gottheiten schrumpfen in Anwesenheit Gottes zuMotten zusammen. Sie warnen ebenfalls das anwesende Ich: Gott hat auch Machtuber die gesamte Welt. Denn sein kab

¯od¯

ist die Fulle die Erde [V. 4] – gemeintist nicht, dass die ganze Erde ihn ruhmt [so auch 2, S. 172][gegen 23, Sp. 879] –.Das, was Gott ausmacht, ist die Fulle der Erde: seine ”Substanz“ [29, Sp. 25], seine

”Macht“ [29, Sp. 25], sein ”Glanz“ [29, Sp. 26f.]. Was mit jemandes kab¯

od¯

erfulltist, ist ein Teil desjenigen und bezeichnet seine uneingeschrankten Macht uber dasErfullte [2, S. 172][29, Sp. 37f . u. o.]. In Jes 6,3 steht das als Nominalsatz, wodurches universalisiert wird. In der Umkehrung ware die Erde ohne Gottes kab

¯od¯

Leere[vgl. 23, Sp. 879 . 885f.]. Das Ich sieht und hort die wahre Struktur des Kosmos:Gott allein ist die Grundlage von Himmel und Erde. Jede Orientierung an anderenGottern sieht nur auf die schwachen Seraphim, alles menschliche Machtstreben istvor Gott nichtig – aber dieser Gott ist schweigsam distanziert.

Das Ich ruft seinen schon feststehenden Tod hinaus [V. 5]. Es ist Gottes Anblickanders als die Seraphim schutzlos ausgeliefert: Ja, den Konig JHWH der Heere ha-

ben meine Augen gesehen! [V. 5]. Dieser Schrei bekennt die Unreinheit des Ichs. Siegrundet in der Feststellung, Angehoriger eines unreinen Volkes zu sein. Das lauftdarauf hinaus, dass das Ich ein Mensch ist, der in menschlicher Gesellschaft lebt unddass das hinreicht, um unrein zu sein [ahnlich 2, S. 173]. Ein Seraph rettet das Ich

aus seiner Not – Gott thront und schweigt. Mit einer Zange holt er vom Altar eineGluhkohle [V. 6], um sie zur Entsuhnung und Entschuldung auf die Lippen des Ichs

zu legen [V. 7]. Eine Feuerschlange braucht fur die Gluhkohle eine Zange, dieselbeKohle kann aber einen Menschen beruhren, ohne ihn zu verbrennen. Die Hitze istnicht ihr Hauptmerkmal: Der Altar samt seinem Zubehor ist die Schnittstelle zwi-schen Mensch und Gott. Der Seraph bedient sie gemaß ihrer Moglichkeiten, ohneselbst mit ihr in Beruhrung zu kommen. So bleibt die kosmische Ordnung intakt.Man kann hier ein Reinigungsritual annehmen: Indem die Lippen gereinigt wer-den, wird der ganze Mensch rein und dann auch schuldfrei [2, S. 173ff.][4, S. 226].Wenn jedoch Unreinheit wesentlich menschlich gemeint ist, dann entmenschlichteeine Reinigung: Das Ich ware danach kein Mensch mehr, sondern ein himmlischesWesen.5 Vielleicht steht die Spannung zwischen Bekenntnis und Ereignis, um genaudieses Verstandnis zu vermeiden: Die menschliche Unreinheit bleibt bestehen, dassIch bleibt ganz Mensch auf der Erde [2, S. 181], aber trotzdem wird es entschuldet,so dass es vor Gott bestehen und mit ihm reden kann, ohne gerichtet zu werden.

Die Szene bricht mit dem selbstverstandlichen Zusammenhang zwischen Unrein-

5In diese Richtung geht: ”’Jesaja ist nunmehr aus dem Bereich der Sunde und des Todes herausge-hoben und im Gegenuber zu >diesem Volke< auf die Seite Jahwes gestellt‘ (Barthel, Propheten-wort 1997,105)“ [2, S. 175].

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3. Voraussetzungen

heit und Schuld, sie bricht mit dem Zusammenhang von Schuld und Vernichtung,sie bricht mit dem Wissen, dass niemand vor Gottes purem Angesicht bestehenkann [s. Ex 33,20], sie unterstellt die ganze Welt Gottes Herrschaft und sie machtdie Gotter zu Motten, die sich selbst vor Gott schutzen mussen. Sie bricht univer-sell alles traditionelle Wissen und Fur-wahr-halten und offnet den Horizont fur eineweltdurchdringende Herrschaft Gottes.

Darauf baut die zweite Szene Jes 6,8–13 auf. Alle visuellen Elemente treten sostark in den Hintergrund, dass sie unsichtbar werden. Die Szene beginnt mit Und

ich horte die Stimme MEINES HERRN sprechen [V. 8]. Von da an entwickelt sichein Dialog zwischen Gott und dem Ich – Gott bricht sein distanziertes Schweigen.

Im Selbstgesprach [vgl. 4, S. 226] sucht Gott nach einem geeigneten und willigenBoten [V. 8]. Der Auftrag selbst ist noch unbenannt. Trotzdem macht das Ich vonsich aus auf sich aufmerksam und bietet sich als Bote an. Erst darauf folgt die Be-auftragung. Zunachst sendet Gott das Ich, ohne einen Auftrag zu formulieren [V. 9].Stattdessen sagt er voraus, dass der Prophet das Volk mit aller Kraft zum Horenund Sehen aufrufen wird, aber damit nur erreicht, dass das Volk weder wahrnimmtnoch versteht. Jesaja 6,1–7 entschlusselt dieses Paradox: Da kein konkreter Auftragvorliegt, wird das Ich verkunden, was es gesehen und gehort hat. Das ist aber ge-gen alles, was das Volk fur wahr halt. Es muss sich gegen den Einzelnen stellen,der gegen alles, was fur wahr gehalten wird, und gegen jede Tradition verkundet.Erst V. 10 kann als Beauftragung gelesen werden – der Vers ist mit Imperativen ge-spickt –. Das Ich soll den Verstand des Volkes lahmen, seine Fahigkeit zuzuhorenerschweren und seine Einsicht blockieren.6 Es musste jedoch nicht folgen, weil he-braische Imperative nicht zwingend sind. Die ihm zuteil gewordene Offenbarungder kosmischen Wirklichkeit wird allerdings aus dem Ich hinausdrangen [ahnlich 2,S. 166]. Deshalb reagiert es sofort auf Gottes Frage, ohne den eigentlichen Auftragzu kennen [V. 8], und deshalb sieht Gott voraus, wie es dem Ich ergehen wird [V. 9].Dass das Ich scheitern wird, liegt an Gott und damit an der Wahrheit uber den Kos-mos selbst. Der Finalsatz nimmt dem Ich die Verantwortung fur eine gelingendeVerkundigung der Wahrheit [ahnlich 4, S. 224]. Das ist keine planmaßige Versto-ckung des Volkes,7 sondern eine zwangslaufige Konfrontation zwischen Traditionund Gott, zwischen menschlichem Fur-wahr-halten und der Wahrheit [vgl. 2, 4].

Wann werden alle Menschen erkennen, und warum konnen sie es nicht sofort?Darauf zielt die Frage Bis wann, MEIN HERR? [V. 11]. Gottes Antwort reißt den

6Vielleicht spielt V. 10 mit Bedeutungen von kab¯

od¯

: Es kann namlich auch Schwere und Fettheitmeinen [29, Sp. 24f.]. Der Auftrag ware eine fatale Moglichkeit der Fulle der Erde mit Gotteskab

¯od¯

.7Die ”Verstockung“ hier kombiniert mit Mt 13,13–15 und vielleicht Joh 9,39 eroffnet Stoff fur eine

weitere Arbeit. Die ist auf 12 Seiten nicht zu leisten.

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Page 13: Predigtentwurf. Jesaja 6,1–13

3. Voraussetzungen

Graben zwischen Wahrheit und Fur-wahr-halten weiter auf: Bis die Erde eine leb-lose Einode geworden ist. Eine endgultige Vernichtung ist hier gemeint [s. a. 2,S. 177f.]. Die Apokalypse geht mit der Vernichtung des Lebens einher, Leben da-gegen mit einem bedingten Fur-wahr-halten.

Vers 12 fallt m. E. aus dieser eschatologischen Perspektive auf die Sicht der kurzbevorstehenden Zukunft zuruck.8 Gott spricht nicht mehr unmittelbar, sondern inder dritten Person. Dadurch verlieren die Aussagen ihre Endgultigkeit: Es geht umeinen begrenzten Abschnitt in der Geschichte. Denn der Brennpunkt geht auf eineinzelnes Land uber. Seine Verlassenheit wird ”nur“ groß, aber nicht absolut wie inV. 11 sein. Ein Stumpf bleibt als heiliger Same ubrig [V. 13]. Dem Volk steht zwareine Zeit der Vernichtung bevor. Aber es wird nicht der Vorabend der Apokalyp-se. Die Zeit, dass alle Menschen ungebrochen die Wahrheit des Kosmos erkennenwerden, ist noch nicht gekommen. Trotzdem ermoglicht der kleine Untergang zuverstehen, was es mit Gott und dem Kosmos auf sich hat. Dem Ich bleibt der Trost,dass ein paar Menschen aus den Ereignissen die richtigen Schlusse ziehen werden,namlich der Stumpf, der zum heiligen Samen wird. Da V. 12–13 immer noch auf dieFrage des Ichs in V. 11 antworten, sind sie eine Perspektive seiner Verkundigung.Es kann zwar nicht das Gros des Volkes retten, aber die Verkundigung lohnt sichtrotzdem fur den heiligen Samen.

Die Gemeinde kennt den Ruf der Seraphim ”Heilig, heilig, heilig ist der HERR

Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!“ [8, Jes 6,3] aus der Abendmahlsliturgie.Den Kontext der Worte im Jesajabuch kennen wohl nur wenige. Die Abendmahls-liturgie verleitet zum Verstandnis, die Seraphim zwitscherten ein Lobliedchen aufGott.

3.5. Zeit und Text

Wie und ob sich Zeit und Text aufeinander beziehen:

”Die Lesetexte fur Trinitatis zeigen [. . . ] die Schwierigkeit, das Trinitatsdogmaaus biblischen Texten zu begrunden“ [16, S. 706]. Die Schwierigkeit besteht heu-te, weil wir Texte mit textorientierten Methoden analysieren. Wir untersuchen denlexikalisch-geschichtlichen Sinn der Texte. Das Trinitatsdogma wurde aber aus derBibel allegorisiert.9 Das war notig, weil schon damals der lexikalisch-geschichtliche

8Nach Usiahs Tod 760, 742 oder 740 v. Chr. [4, S. 105]. Diverse Krisen Israels und Judas bishin zum Babylonsichen Exil ab 586 v. Chr. sind als Bezugspunkte vorgeschlagen [2, S. 164][4,S. 226].

9Allegorisiert, weil es bei der Trinitat um eine kirchliche Lehre, um ein Dogma geht. Denn ”dieAllegorie [lehrt] das, was man glauben soll“ [12, S. 627 ; s. a. S. 84]. Zu Jes 6,2–3: ”The sera-phic acclamation proclaims the mystery of the Trinity, and the two seraphs themselves representChrist and the Holy Spirit“ [nach Origines; 4, S. 95][s. a. 22, S. 69].

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Page 14: Predigtentwurf. Jesaja 6,1–13

3. Voraussetzungen

Sinn nicht zu ihm fuhrte. Daran andern auch die aktuellen exegetischen Methodennichts.

Gott durchwaltet, schafft und erhalt die Welt immerfort. Es gibt nichts, was Gottentzogen ware, was nicht auf ihn zuruck ginge, oder was sich nicht vor ihm ver-antworten musste [Jes 6,3]. Ahnlich denkt Luther in seiner Auslegung des erstenGlaubensartikels in beiden Katechismen [1, S. 510f . 648f.]. Das halt Jes 6,1–3, dieGlaubensbekenntnisse und die Bekenntnisschriften zusammen. Nach Jes 6,8–11 istdie Wahrheit Gottes der Welt nur in deren Verodung zuganglich. Folglich werdenGott und Welt nicht gleichgesetzt. Diese beiden Aussagen lassen sich durch die For-mel ”ungetrennt und unvermischt“ hinsichtlich des Verhaltnisses von Gott und Weltaufeinander beziehen. Das ruft die Chalkedonensische Lehrformel zur Personein-heit Christi auf. Diese ist aber langer und es folgt nicht zwingend, dass alle anderenFormelteile auch auf die Welt angewandt werden konnen. Das ”ungetrennt und un-vermischt“ von Welt und Gott ist ein notwendiger Aspekt permanenter Schopfung.Entlang der lutherischen Katechismen ordne ich das Verhaltnis deshalb der Per-son Gott-Vater zu. Zwar findet die Trinitatslehre in Jes 6,1–13 keinen Anhaltspunkt,aber wenigstens der erste Glaubensartikel.

Dass ”es fur Trinitatis kein unmittelbar biblisches Terrain gibt“ [22, S. 69], isteinem guten Teil der Gemeinde bekannt, weil dieses Problem in der letzten Ad-ventszeit in einem Bibelkurs vor Ort thematisiert wurde. Daraus ergaben sich m. W.Positionssuchen zu den Bekenntnissen und den Bekenntnisschriften. Ich glaube,dass die Gemeinde von sich aus keinen Zusammenhang zwischen Jes 6,1–13 unddem Trinitatisfest erkennen kann.

3.6. Gemeinde

An wen ich beim Schreiben der Predigt denke und wer sie wahrnehmen wird:In den Gottesdienst der Stiftskirchengemeinde kommen regelmaßig Diakonis-

sen, Gandersheimer Bildungsburger, Mitglieder der Freien Evangelischen Gemein-de [FEG], Beobachter des Glaubenszentrums, Kurgaste, Touristen und manchmalweiterere Gandersheimer Theologen. Der Anteil der Menschen ohne hohere Bil-dung ist sehr gering. Aus Gesprachen, Gruppen und Projekten in der Gemeindeweiß ich, dass viele Gemeindeglieder an theologischen Fragestellungen und Ant-worten interessiert sind. Diese erwarten sie im Gottesdienst und in Gesprachen mitden Theologen der Gemeinde. Die Bildungsburger wunschen eher intellektuell-spi-rituelle Antworten, die Diakonissen, FEGler und die Mitglieder des Glaubenszen-trums eher fromm-spirituelle.

Das z. T. von charismatisch ausgerichteten US-Amerikanern geleitete Glaubens-zentrum ist in Bad Gandersheim wirtschaftlich und politisch relevant und hat gute

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Kontakte zur Lokalpresse. Es setzt die Stiftskirchengemeinde und die FEG samtihren Pastoren als zu laxe Gemeinschaften immer wieder unter Druck, so dass ei-ne latente Spannung in beiden Gemeinden entsteht. Es gibt Spannungsrisse, abergroße Bruche der Stiftskirchengemeinde wurden bislang durch Gesprache z. B. desLandesbischofs Dr. Weber mit der Leitung des Glaubenszentrums verhindert.

Da Sie meine Predigt(arbeit) lesen, sind Sie ein weiterer Teil meiner Gemein-de. Jeder von Ihnen ist ein theologischer Spezialist mit spezifischem theologischenProfil. Sie wurden als Gemeinde zielgerichtet zusammengestellt. Die Predigt ist Ih-nen in einem anderen Medium (Schrift statt Schall) und in einem anderen Kontext(Wissenschaft statt Gottesdienst, andere Zeit, anderer Ort, andere Beziehungsstruk-tur) als der Gottesdienstgemeinde zuganglich. Deshalb haben Sie andere Rezepti-onsvoraussetzungen als die Gottesdienstbesucher. Vor Theologen zu predigen istaußerdem ein potentieller Lehrstreit.

3.7. Prediger

Welche Grundlagen ich mit in die Arbeit bringe:2001–2004 war meine Frau in der Stiftskirchengemeinde Bad Gandersheim Vika-

rin. In dieser Zeit war ich als Ehepartner und erziehender Hausmann einfaches Ge-meindeglied. Zu einer Reihe Gemeindeglieder habe ich personliche Beziehungen.Dass ich jetzt vor die Gemeinde wechsle, durfte sowohl fur mich wie fur die Ge-meinde ungewohnt sein. Wir werden unsere Beziehungsstrukturen neu definieren,haben dafur aber nur einen Gottesdienst lang Zeit. Ich kann schlecht einschatzen,welche Reaktionen das auslost. Zumindest konnen viele Gottesdienstbesucher mei-ne Predigt als authentische wahrnehmen, weil sie meinen Sprachstil u. a. aus Leser-briefen wahrend dieser Zeit kennen.

Als Anfanger habe ich kaum Predigterfahrung. Dass wirkt sich aber wohl wenigerauf die Konzeption meiner Predigt als auf meine liturgische Prasenz am Lesepultaus.

4. Gestaltung

4.1. Entscheidungen

Was ich darstellen will:Die Raumsprache der Stiftskirche zu Bad Gandersheim zieht mich in den Zu-

sammenklang aus alten Traditionen und modernem Leben. Dem Zusammenspielgebe ich analog zum Kirchraum eine kunstlerische Note. Das entspricht auch dersurrealen Bildwelt des Predigttexts und der Horerwartung vieler Gemeindeglieder.

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Pragmatisch stelle ich Jes 6,1–13 in den Vordergrund der Predigt: Erstens ist derText durch die Aufgabenstellung vorgegeben. Zweitens kann ich eine textorientiertePredigt kurzer gestalten als eine thematische uber die Trinitat.

Ich habe mich entschieden, Jes 6,3 aus dem regelmaßigen liturgischen Herunter-singen herauszuholen und eindrucklich unsere Tradition zu verdeutlichen: Vor demAbendmahl singen wir uns aus unserer menschlichen Sphare in die himmlischenHeerscharen.

Ahnlich wie Jes 6,1–13 zeige ich auf, dass Traditionen weich sind – menschlichesFur-wahr-halten unter eschatologischem Vorbehalt partikular bleibt. Ich mochteErlosung in unser Jetzt hereinscheinen lassen, ohne sie vorweg zu nehmen. Indemich Gott als Fundament ernst nehme, entkrampfe ich auch die vom Glaubenszen-trum verursachte Grundspannung in der Gemeinde.

Wegen des zeitlichen Abstands zwischen Predigtarbeit und Predigt nehme ichkeinen Bezug auf das Zeitgeschehen. Dadurch ist die Predigt einerseits zeitlos, an-dererseits haftet sie an keinem konkreten Geschehen. So gerate ich auch nicht verse-hentlich in einen Konflikt auf dem sensiblen Beziehungsfeld zwischen Kirche undStadt. Um der Predigt Halt zu geben, ersetze ich die Ankerpunkte im Zeitgeschehendurch Ankerpunkte in bekannten kirchlichen Traditionen.

Ich gebe nicht vor, was aus der Predigt folgend geglaubt werden soll. Die Got-tesdienstbesucher sind selbst fahig, die Predigt mit einer Bedeutung fur sich auf-zufullen.

4.2. Predigtaufbau

In welchen Sequenzen ich die Darstellung anlege:Zuerst stelle ich in Kombination mit Jes 6,2 dar, welche Konsequenzen unser li-

turgischer Gebrauch von Jes 6,3 hat. Was wir damit beim Abendmahl machen, wirdkaum bekannt sein, der Vers selbst aber schon. Damit biete ich einen Wiedererken-nungspunkt an. Von Jes 6,3 kommend bereite ich die erste Lesung Jes 6,1–7 vor.Als nachstes knupfe ich die Tradition des Nizaisch-Konstantinopolitanischen Glau-bensbekenntnisses und die lutherische Auslegung des ersten Artikels im KleinenKatechismus an. Vom lehrhaften Element leite ich zur zweiten Lesung Jes 6,8–13uber und entfalte eine Interpretation des Texts. Diese uberfuhre ich dann in eineEntspannung der Traditionsverbissenheit.

4.3. Stilmittel

Wie ich Einfluss auf meine Horer nehme:Ich steige hart in die Predigt ein. Das irritiert und korrespondiert dadurch mit

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ihrem Inhalt und der Erschutterung des Predigttextes. Seine Grundstimmung wirderfahrbar. Ich ubernehme ohne Vorwarnung die Rolle eines Seraphen und weise sieauch der Gemeinde selbstverstandlich zu. Damit stelle ich uns an den Ort, zu demwir uns vor dem Abendmahl singen. Mit der ersten Lesung werfe ich einen An-ker zur Menschlickeit. Zwischen den beiden Lesungen lasse ich die Perspektivenfließen. Unsicherheit entsteht, ob ich menschlich oder seraphisch rede. Der Unter-schied verliert sich vor Gott, und der Anspruch auf die einzige Wahrheit schwindet,egal wie hoch im Himmel man sich wahnt. Deshalb reicht es hin, nach der zweitenLesung ganz in die menschliche Sphare einzukehren.

Ich integriere die Lehre in den Predigttext, indem ich sie mit ihm umschließe undbekannte Lehrstucke auswahle, die einen großen Teil christlicher Lehre assozieren.Durch diese Elemente gestalte ich die Predigt im Mittelteil lehrhaft. Das ist eine Re-miniszenz an den dogmatischen Charakter von Trinitatis. Da ich nicht alle Bezugelege und ein Potential zwischen vorgegebener und aufzugebender Tradition erzeu-ge, setze ich die Gottesdienstbesucher unter Spannung. Indem sie sie ausgleichen,integrieren sie Tradition auf einem spezifischen Niveau in ihr Leben.

Mit Wiederholungen markiere ich Themen der Predigt, verknupfe sie miteinanderund mit dem Gottesdienst und verstarke Aussagen. Ein Leitfaden fur meine Horerentsteht. Die Wiederholungen interpretieren einander durch Varianten im Wortlautund im Kontext.

4.4. Liturgische Elemente

Jesaja 6,3 ist der Wochenspruch der ersten Trinitatiswoche [16, S. 346]. Ich beginnedie Predigt mit den Folgen unseres Gebrauchs dieses Verses, so dass der Einstiegvon ihm her kommt. Damit ist der Vers als Wochenspruch liturgisch relevant undsollte verlesen werden. Dann greift das Wiederholungsmuster aus meiner Predigt inden Gottesdienst aus. Anfang und Predigt beziehen sich aufeinander und umschlie-ßen den dazwischenliegenden Gottesdienst: Eine hohe Integritat entsteht.

Zu Trinitatis passt das Nizaisch-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis be-sonders gut. Der Predigt nachgestellt fuhrt es sie in den weiteren Gottesdienst fort,weil ich daraus den ersten Artikel zitiere.

Das Wochenlied EG 126 erganzt meine Predigt sinnvoll. Wochenspruch, Ein-gangspsalm, Predigt, Wochenlied und Glaubensbekenntnis referenzieren und ver-dichten einander. So kann der Gottesdienst zu einer stabilen Glaubenserfahrung ge-rade wegen der Bipolaritat von Tradition und Traditionskritik werden.

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A. Literatur

A. Literatur

[1] Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Herausgegebenim Gedenkjahr der Augsburger Konfession 1930. 11. Aufl., 45.–47. Tsd. 1992.– ISBN 3-525-52101-4

[2] BEUKEN, Willem A. M.: Jesaja 1–12. 2003 (Herders Theologischer Kom-mentar zum Alten Testament). – ISBN 3-451-26834-5

[3] BEUTEL, Albrecht (Hrsg.) u. a.: Homiletisches Lesebuch. Texte zur heutigenPredigtlehre. 2., erg. Aufl. 1989. – ISBN 3-7805-0449-9

[4] BLENKINSOPP, Joseph: The Anchor Bible. Bd. 19: Isaiah 1–39. A New Trans-lation with Introduction and Commentary. 2000. – ISBN 0-385-49716-4

[5] BUSCH-W., Klaudia: Bilder des Glaubens. Themapredigt. In: [6], S. 127–133.– ISBN 3-579-03123-6

[6] DOMAY, Erhard (Hrsg.): Christi Himmelfahrt – Pfingsten – Trinitatis. 2004(GottesdienstPraxis. Serie B. Arbeitshilfen fur die Gestaltung von Gottes-diensten zu Kasualien, Feiertagen, besonderen Anlassen und Arbeitsbucherfur die Gemeindepraxis). – ISBN 3-579-03123-6

[7] ELLIGER, Karl (Hrsg.) ; RUDOLPH, Wilhelm (Hrsg.): Biblia Hebraica Stutt-gartensia. 4., verb. Aufl. 1990. – ISBN 3-438-05218-0

[8] EVANGELISCHE KIRCHE IN DEUTSCHLAND (Hrsg.): Die Bibel. Nach derUbersetzung Martin Luthers. rev. Fassung 1984, druchges. Ausg. 1999. –ISBN 3-438-01031-3

[9] EVANGELISCHE KIRCHE IN DEUTSCHLAND (Hrsg.) u. a.: Evangelisches Ge-sangbuch. Ausgabe fur die Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Niedersach-sen und fur die Bremische Evangelische Kirche. Hannover; Gottingen : Ver-lagsgemeinschaft fur Das Evangelische Gesangbuch Niedersachsen/Bremen,1994

[10] GESENIUS, Wilhelm: Hebraisches und Aramaisches Handworterbuch uberdas Alte Testament. unverand. Neudr. d. 17. Aufl. v. 1915. Berlin; Gottingen;Heidelberg : Springer-Verl., 1962

[11] GROTE, Jurgen: Gott zeigt sich von drei Seiten. Themapredigt. In: [6], S. 134–138. – ISBN 3-579-03123-6

[12] HAUSCHILD, Wolf-Dieter: Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte.Bd. I. Alte Kirche und Mittelalter. 1995. – ISBN 3-579-00093-4

[13] HEINRICH, Rolf: Trinitatis – Fest der Gastfreundschaft. Gottesdienst. In: [6],S. 70–78. – ISBN 3-579-03123-6

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A. Literatur

[14] HERMELINK, Jan: Hinweise zur Homiletischen Hausarbeit. – Seminarmateri-al: Theologische Fakultat der Georg-August-Universitat Gottingen. Lehrstuhlfur Praktische Theologie

[15] KASTNER, Hannes-Dietrich: Dreifaltigkeit – meditativ. Abendgottesdienst.In: [6], S. 100–112. – ISBN 3-579-03123-6

[16] KIRCHENLEITUNG DER VELKD (Hrsg.) ; RAT VON DER KIRCHENKANZ-LEI DER EKU (Hrsg.): Evangelisches Gottesdienstbuch. Taschenausga-be. Agende fur die Evangelische Kirche der Union und fur die VereinigteEvangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands. 2000. – ISBN 3-7461-0141-7

[17] KORNFELD, W. ; RINGGREN, H.: qds. In: Theologisches Worterbuch zumAlten Testament Bd. 6. 1989, S. 1179–1204. – ISBN 3-17-00934-5

[18] LUTHER, Henning: Stufenmodell der Predigtvorbereitung. In: TheologiaPractica 17 (1982), S. 60–68. – ISSN 0049-3643

[19] PREUSS, Horst Dietrich: Homiletisches Lesebuch. Texte zur heutigen Predigt-lehre. In: [3], S. 125–140. – ISBN 3-7805-0449-9

[20] Richtlinien des Prufungsamtes zur Ersten theologischen Prufung in der Fas-sung vom 21. Marz 1995

[21] RUTERSWORDEN, U.: sarap¯. In: Theologisches Worterbuch zum Alten Testa-

ment Bd. 7. 1993. – ISBN 3-17-012667-9

[22] SCHMITT, Arno: Trinitatis. Eine Skizze. In: [6], S. 68–70. – ISBN 3-579-03123-6

[23] SNIJDERS, L. A. ; FABRY, H.-J.: male’. In: Theologisches Worterbuch zumAlten Testament Bd. 4. 1984, S. 876–887. – ISBN 3-17-008600-6

[24] EV.-LUTH. STIFTSKIRCHENGEMEINDE BAD GANDERSHEIM (Hrsg.): Fest-schrift anlasslich der Einweihung der Muhleisen-Orgel in der StiftskircheSt. Anastasius und St. Innocentius zu Bad Gandersheim. Sebexen : CC Werbe-studio Heinrichs, 23. April 2000

[25] KIRCHENVORSTAND DER STIFTSKIRCHENGEMEINDE ST. ANASTASIUS

UND ST. INNOCENTIUS (Hrsg.): Festschrift zum 1150jahrigen Jubilaum desStiftes Bad Gandersheim. Lamspringe : Fotosatz Sommer, 2002

[26] TAUBE, Roselies: �Lob sei der Dreieinigkeit! Sie ist Klang und Leben.� Got-tesdienst. In: [6], S. 95–100. – ISBN 3-579-03123-6

[27] THOME, Gunter: Jesaja, Jesus und Nikodemus. Gottesdienst zu Trinitatis mitChormusik von Ernst Pepping und szenischen AT- und Evangelien-Lesungen.In: [6], S. 79–94. – ISBN 3-579-03123-6

[28] Verordnung des Rates der Konfoderation evangelischer Kirchen in Nieder-sachsen uber die Durchfuhrung der Ersten theologischen Prufung in der Fas-sung vom 14. Marz 1995

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A. Literatur

[29] WEINFELD, W.: kab¯od

¯. In: Theologisches Worterbuch zum Alten Testament

Bd. 4. 1984, S. 23–40. – ISBN 3-17-008600-6

[30] WICKHAM, Lionel R.: Chalkedon, okumensiche Synode (451). In: Theolo-gische Realenzyklopadie Bd. 7. Bohmische Bruder–Chinesische Religionen.1981, S. 668–675. – ISBN 3-11-008192 X

III