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Kolumnentitel: Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung
Organisationale Gerechtigkeit und
Qualität der Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung
Bernhard Streicher
Günter W. Maier
Eva Jonas Laszlo Reisch
Anschriften:
Dr. Bernhard Streicher, Universität Salzburg, Fachbereich Psychologie,
Hellbrunnerstr. 34, A-5020 Salzburg, Österreich, [email protected].
Prof. Dr. Günter Maier, Universität Bielefeld, Fakultät für Psychologie und
Sportwissenschaft, Arbeits- und Organisationspsychologie, Postfach 10 01 31, D-33501
Bielefeld.
Prof. Dr. Eva Jonas, Universität Salzburg, Fachbereich Psychologie,
Hellbrunnerstr. 34, A-5020 Salzburg, Österreich.
Mag. Laszlo Reisch, Siemens Medical Solutions, MED HR S, Henkestr. 127,
91052 Erlangen.
Stand: 24.01.2008
Manuskript in Druck: Wirtschaftspsychologie, Sonderheft „Gerechtigkeit im
Organisationsalltag“
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 2
Organisationale Gerechtigkeit und
Qualität der Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung
ZUSAMMENFASSUNG
In dieser Studie wurde geprüft, ob unterschiedliche Dimensionen
organisationaler Gerechtigkeit im Zusammenhang mit der Qualität der Führungskraft-
Mitarbeiter-Beziehung stehen und inwiefern mögliche Zusammenhänge über Affekte
vermittelt werden. An der Studie nahmen 124 Mitarbeiter aus unterschiedlichen
Unternehmen teil. Organisationale Gerechtigkeit wurde für die Dimensionen
prozedurale und distributive Gerechtigkeit erhoben, außerdem wurden positive und
negative Affekte und die Qualität der Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung im
Selbstreport gemessen. Die Ergebnisse des Pfadmodells zeigten, dass beide
Gerechtigkeitsdimensionen mit höherer Beziehungsqualität im Zusammenhang standen.
Diese Zusammenhänge wurden für beide Gerechtigkeitsdimensionen über negative
Affekte, für prozedurale Gerechtigkeit auch über positive Affekte vermittelt. Die
Ergebnisse werden im Hinblick auf Interventionsmaßnahmen diskutiert.
Schlüsselwörter: Organisationale Gerechtigkeit, Führungskraft-Mitarbeiter-
Beziehung, Affekte.
Organizational Justice and the Quality of the Leader-Member-Relationship
ABSTRACT
The authors examined which dimensions of organizational justice are related to
the quality of the leader-member-relationship and if these relations are mediated by
affects. In this study 124 employees from different organizations participated. The two
dimensions of procedural and distributive organizational justice, positive and negative
affects, and the quality of the leader-member-relationship were measured by self-report.
Results of the path analysis showed, that both dimensions of organizational justice were
related to higher quality of relationship. Negative affects mediated the relations for both
dimensions, whereas positive affects were a mediator only for procedural justice.
Results are discussed regarding practical interventions.
Key words: organizational justice, leader-member-exchange, affects.
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 3
Organisationale Gerechtigkeit und
Qualität der Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung
Organisationale Gerechtigkeit bezieht sich auf die Auswirkungen von
Gerechtigkeitsbedingungen in Organisationen und hat sich als wichtiger situationaler
Faktor für arbeitsspezifische Einstellungen und Verhaltensweisen erwiesen (Cohen-
Charash & Spector, 2001; Colquitt, Conlon, Wesson, Porter & Ng, 2001). Insbesondere
für die beiden zentralen Dimensionen prozedurale und distributive Gerechtigkeit
konnten zahlreiche Untersuchungen einen bedeutsamen Zusammenhang mit
arbeitsspezifischen Einstellungen und Verhaltensweisen von Mitarbeitern belegen.
Noch wenig untersucht ist dagegen, wie sich Gerechtigkeitsbedingungen auf die
Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter auswirken. Da die Führung eines der
zentralen Steuerungselemente in Unternehmen ist, beeinflusst die Qualität der
Beziehung auch nachhaltig die Einstellung des Mitarbeiters und seine Arbeitsleistung.
In unserer Studie widmeten wir uns daher dem Zusammenhang von organisationaler
Gerechtigkeit auf die Qualität der Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung.
Organisationale Gerechtigkeit
In den letzten zwanzig Jahren hat die Erforschung der Auswirkungen der
wahrgenommenen Gerechtigkeit1 in Unternehmen stetig zugenommen, was auch die
Publikationen entsprechender Metaanalysen (Cohen-Charash & Spector, 2001; Colquitt
et al., 2001), Überblicksarbeiten (Gilliland & Paddock, 2005) und Handbücher
(Greenberg & Colquitt, 2005) dokumentieren. Die bisherige Forschung konnte starke
Effekte von Bedingungen organisationaler Gerechtigkeit auf unterschiedliche
Dimensionen arbeitsrelevanter Einstellungen und Verhaltensweisen wie beispielsweise
Arbeitszufriedenheit, affektive Bindung, Vertrauen, Arbeitsleistung und kooperatives
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 4
Arbeitsverhalten belegen. Ferner sind Menschen auch bereit, für sie nachteilige
Entscheidungen zu akzeptieren, wenn sie sich fair behandelt fühlen. Umgekehrt hat sich
gezeigt, dass wahrgenommene Unfairness zu negativen Reaktionen wie emotionalem
Rückzug (z.B. Dailey & Kirk, 1992), Fehlzeiten, Diebstahl (Greenberg, 1990a),
Unpünktlichkeit, Widerstand gegen Veränderungen (Shapiro & Kirkman, 2001) und zu
Vergeltungsmaßnahmen gegenüber der Organisation (z.B. Skarlicki, Folger & Tesluk,
1999) führt. Daneben zeigt sich sehr konsistent, dass die Realisierung fairer
Bedingungen positive Emotionen auslöst, wie z.B. Zufriedenheit, Glück, Stolz oder eine
postive Stimmung. Unfaire Bedingungen hingegen führen nicht nur zu negativen
Einstellungen und destruktiven Verhaltensweisen, sondern diese werden auch von
negativen Emotionen begleitet, wie z.B. Ärger, Wut, Feindlichkeit, Zorn oder negativer
Stimmung (Van den Bos, Maas, Waldring & Semin, 2003).
Insgesamt hat sich die Gerechtigkeitsforschung bisher stark auf die kognitiven
Prozesse von Gerechtigkeitswahrnehmungen konzentriert und die emotionalen
Reaktionen vernachlässigt (im Überblick: Greenberg & Ganegoda, 2007).
Unterschiedliche Fairnessstudien konzeptionieren Affekte entweder als individuelle
Prädisposition für Fairnesswahrnehmungen, als Mediator bzw. Moderator von
Fairnesseffekten oder als Reaktionen auf Fairnessbedingungen. Die wenigen Studien,
die Affekte als Mediatoren betrachten, fokusieren auf die Wahrnehmung von
Ungerechtigkeit und auf negative Affekte (z.B. Rupp & Spencer, 2006). Völlig
ungeklärt ist dagegen die vermittelnde Rolle positiver Affekte auf Fairnessreaktionen.
Da aber Fairnesseffekte positive Affekte auslösen (im Überblick: Bies & Tripp, 2002),
gehen Greenberg und Ganegoda in einem Arbeitsmodell davon aus, dass positive
Affekte auch Reaktionen auf Fairnesswahrnehmungen vermitteln sollten.
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 5
Bedingungen organisationaler Gerechtigkeit werden durch zwei bis vier
Dimensionen beschrieben, wobei die beiden zentralen Dimensionen distributive und
prozedurale Gerechtigkeit sind. Diese beiden Dimensionen sind sowohl konzeptionell
als auch in empirischen Untersuchungen am deutlichsten trennbar (vgl. Colquitt, 2001;
Maier, Streicher, Jonas & Woschée, 2007) und zeigen auch spezifische
Zusammenhänge mit unterschiedlichen Variablen. So stehen Bedingungen distributiver
Gerechtigkeit in einem positiven Zusammenhang mit der Einschätzung der
Anerkennung von Leistung, Bedingungen prozeduraler Gerechtigkeit dagegen mit der
Einschätzung der Freundlichkeit der Führungskraft (Streicher et al., 2006). Daher
sollten sie entsprechend differenziert erfasst werden (Greenberg, 1990b).
Distributive Gerechtigkeit bezieht sich auf die wahrgenommene Gerechtigkeit
von Ergebnissen wie die Verteilung von Gütern. Demnach liegt eine faire Verteilung
dann vor, wenn die Ergebnisse unter Berücksichtigung bestimmter Regeln zustande
gekommen sind. Das von Adams (1965) postulierte Equity-Modell bezieht sich dabei
auf Theorien des sozialen Austausches (Thibaut & Kelley, 1959) und besagt, dass ein
Ergebnis dann als fair eingeschätzt wird, wenn das Verhältnis des eigenen Aufwands
(z.B. Arbeitsleistung) zum eigenen Ertrag (z.B. Verdienst, Beförderung, erhaltene
betriebliche Leistungen) dem entspricht, was relevante Bezugspersonen (z.B.
Arbeitskollegen) für ihre Leistung erhalten. Prozedurale Gerechtigkeit betrachtet
dagegen die Prozesse, die zu bestimmten Ergebnissen führen (Thibaut & Walker, 1975,
1978; Leventhal, 1980; Tyler, 2000). Eine Entscheidungsfindung wird dann als gerecht
wahrgenommen, wenn bestimmte Bedingungen wie die Möglichkeit, seine Meinung zu
artikulieren (voice), die Neutralität der Entscheidungsträger oder die Transparenz des
Entscheidungsprozesses erfüllt sind (vgl. Maier et al., 2007). Bei der Ausgestaltung von
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 6
Gerechtigkeitsbedingungen ist das Verhalten des Vorgesetzten sehr relevant, da dieser
beispielsweise seinen Mitarbeitern voice gewähren oder verweigern, Prämien
leistungsgerecht oder nach Sympathie verteilen, Transparenz oder Intransparenz
herstellen, oder sich neutral oder voreingenommen verhalten kann.
Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung
In der Führungsforschung wird die Qualität der Beziehung zwischen einer
Führungskraft und einem Mitarbeiter als zentraler Faktor zum Verständnis und zur
Vorhersage von arbeitsrelevanten Einstellungen und Verhaltensweisen des Mitarbeiters
betrachtet. Da die personale Führung eines der zentralen Steuerungselemente in
Unternehmen ist, beeinflusst die Qualität der Beziehung auch nachhaltig die
Zufriedenheit des Mitarbeiters und seine Arbeitsleistung (Gerstner & Day, 1997).
Darüber hinaus zeigt, sich dass das Verhalten der Führungskraft auch nachhaltig die
Emotionen von Mitarbeitern beeinflusst. Allerdings ist in der Führungsforschung
ähnlich wie in der Gerechtigkeitsforschung die vermittelnde Rolle von Affekten auf
Mitarbeiterverhalten bisher vernachlässigt worden (vgl. Bono, Foldes, Vinson & Muros,
in Druck).
Es wird angenommen, dass jede Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung eine
einmalige interpersonale Beziehung darstellt. Darin unterscheidet sich diese
Modellannahme von anderen Führungskonzepten, die Führung als Funktion von
Persönlichkeitsmerkmalen der Führungskraft, den Merkmalen einer spezifischen
Situation oder der Interaktion zwischen Führungskraft und Team verstehen. Das Modell
der Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung (Leader-Member-Exchange; Dansereau,
Graen & Haga, 1975) beruht auf sozialen Austauschtheorien und beschreibt wie eine
Führungskraft innerhalb der selben organisationalen Struktur über die Zeit individuelle
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 7
Austauschbeziehungen zu ihren verschiedenen Mitarbeitern entwickelt. Qualitativ
hochwertige Beziehungen sind gleichzeitig von einem gegenseitigen Vertrauen in die
fachliche und soziale Kompetenz des anderen geprägt. Entsprechend belegen Studien
einen positiven Zusammenhang zwischen Beziehungsqualität und Mitarbeiterleistung,
Zufriedenheit mit dem Vorgesetzten, allgemeiner Arbeitszufriedenheit, besonderem
Arbeitsengagement und einen negativen Zusammenhang mit Kündigungsabsichten
(Gerstner & Day, 1997; Wang, Law, Hackett, Wang & Chen, 2005).
In der vorliegenden Untersuchung argumentieren wir, dass das
Leistungsbeurteilungsgespräch für die Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung eine
prototypische Situation darstellt. Erstens kann sie – von formalen Kriterien abgesehen –
von der Führungskraft frei gestaltet werden, so dass der verantwortliche Akteur klar
definiert ist. Zweitens handelt es sich um eine sehr wichtige, ausschließlich dyadische
Interaktion zwischen Führungskraft und Mitarbeiter, deren Effekte auf den Mitarbeiter
lang anhaltend sind, insbesondere weil die Ergebnisse sich auf die Zukunft auswirken.
Drittens spielen in ihr beide ausgeführten Gerechtigkeitsdimensionen eine bedeutsame
Rolle (Holbrook, 2002). Zusätzlich besteht ein methodischer Vorteil darin, dass keine
Interaktionseffekte des Vorgesetztenverhaltens gegenüber Kollegen bzw. dem Team
oder mit anderen Kontextvariablen bestehen, die bei einem anderen
Untersuchungsfokus berücksichtigt werden müssten.
Organisationale Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung
Die Forschung zur wahrgenommenen organisationalen Unterstützung (perceived
organizational support; im Überblick: Rhoades & Eisenberger, 2002) konnte zeigen,
dass sich insbesondere freiwillig bzw. außerhalb der arbeitsrechtlichen Verpflichtungen
erbrachte Leistungen seitens der Organisation besonders positiv auf das reziproke
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 8
Verhältnis zwischen Mitarbeiter und Führungskraft auswirken. Zu diesen Leistungen
gehört auch die wahrgenommene Fairness. Zusätzlich besteht ein positiver
Zusammenhang zwischen wahrgenommener organisationaler Unterstützung und
positiver Stimmung. Daraus kann auf einen Zusammenhang zwischen
wahrgenommener Fairness und der Qualität der Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung
geschlossen werden, der möglicherweise über positive Affekte vermittelt wird.
Graen und Scandura (1987) führen bezüglich der Leader-Member-Exchange-
Theorie an, dass eine hoch-qualitative Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung nur
möglich sei, wenn der Austausch als fair erlebt wird. Ähnlich folgert Tansky (1993) in
einer Literaturstudie, dass ein positiver Zusammenhang der wahrgenommenen
allgemeinen organisationalen Gerechtigkeit und der Führungskraft-Mitarbeiter-
Beziehung besteht. Allerdings wird in der Theorie zur Führungskraft-Mitarbeiter-
Beziehung häufig nur einseitig die Relevanz der sozialen Aspekte gewürdigt (Graen &
Uhl-Bien, 1995). Einerseits spricht dies sowohl für die Bedeutung relationaler Faktoren
als auch für die Wichtigkeit prozeduraler Gerechtigkeit, da die Führungskraft soziale
Aspekte der Beziehung maßgeblich über die Gestaltung von Entscheidungsprozessen
beeinflussen kann. Andererseits können in der Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung
auch materielle Austauschprozesse und Interessen bedeutsam sein. Durch die Betonung
sozialer Aspekte wird die Bedeutung ökonomischer Aspekte und somit die Wichtigkeit
instrumenteller Faktoren und der distributiven Gerechtigkeit unterschätzt. Entsprechend
argumentiert Scandura (1999) in einem Theoriebeitrag zum Verhältnis zwischen
organisationaler Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung, dass die
Forschung zur Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung sowohl soziale als auch
ökonomische Aspekte und damit insbesondere die Wirkung distributiver
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 9
Gerechtigkeitsbedingungen mit berücksichtigen muss.
Im Hinblick auf die Wirkung distributiver und prozeduraler Gerechtigkeit auf die
Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung ist die Befundlage uneindeutig. Einige Studien
konnten weder für distributive Gerechtigkeit (z.B. Wayne, Shore, Bommer & Tetrick,
2002) noch für prozedurale Gerechtigkeit (z.B. Rupp & Copranzano, 2002) bedeutsame
Zusammenhänge belegen. Metaanalytische Auswertungen dagegen zeigen signifikante
Zusammenhänge für die beiden Gerechtigkeitsdimensionen und die Einschätzung der
Führungskraft bzw. Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung (Cohen-Charash & Spector,
2001; Colquitt et al., 2001). Die nicht-signifikanten Befunde können u. a. durch einen
zu allgemeinen Fokus der verwendeten Fragebogenitems erklärt werden. So führen
Rupp und Copranzano psychometrische Ursachen als Haupterklärung für ihr Ergebnis
an und empfehlen zukünftigen Studien das Messinstrument von Colquitt (2001) zur
differenzierteren Erhebung der unterschiedlichen Dimensionen organisationaler
Gerechtigkeit. Diesen Vorschlag haben Maier und Kollegen (2007) aufgegriffen und sie
konnten u. a. zeigen, dass beide Gerechtigkeitsdimensionen einen spezifischen
Varianzanteil in der Qualität der Beziehung zur Führungskraft aufklären konnten.
Unklar bleibt bei diesem Befund allerdings, durch welche Mediatoren die Effekte
vermittelt werden.
Unsere Modellannahmen
Aufgrund der unklaren Befundlage bisheriger Studien wollten wir in unserer
Studie sowohl die Bedeutung der organisationalen Gerechtigkeit auf die Führungskraft-
Mitarbeiter-Beziehung spezifizieren, als auch insbesondere die vermittelnden
Mechanismen näher untersuchen. Um die Probleme bisheriger Studien zu vermeiden,
wurden die beiden Gerechtigkeitsdimensionen differenziert erfasst und bezogen sich
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 10
vom Fokus ebenfalls auf die unmittelbare Führungskraft und maßen nicht globale
Fairnesseinschätzungen (vgl. Maier et al., 2007).
Bezüglich der zu erwartenden Effekte würden instrumentelle bzw. klassische
homo oeconomicus Modelle der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre prognostizieren,
dass sich distributive Gerechtigkeit positiver auf die Beziehungsqualität auswirkt. Da
Menschen im Wesentlichen an ihrer eigenen Gewinnmaximierung interessiert sind,
sollten sie bei entsprechend fairen Belohnungen bzw. Vergütungen die Beziehung zu
ihrem Vorgesetzten als qualitativ besser erleben. Relationale Modelle, die das Bedürfnis
von Mitarbeitern nach positiven selbstrelevanten Informationen (Tajfel & Turner, 1986)
betonen, würden eher von einer positiveren Wirkung prozeduraler Gerechtigkeit auf die
Beziehungsqualität ausgehen. Da die Bedingungen prozeduraler Gerechtigkeit
insbesondere die Einbindung des Mitarbeiters in den Entscheidungsprozess (z.B. nach
der Meinung des Mitarbeiters fragen) beinhalten und somit eine selbstwertrelevante
Information über die Bedeutsamkeit des Mitarbeiters für den Vorgesetzen darstellen,
sollten Mitarbeiter die Beziehung zu ihrem Vorgesetzten dementsprechend positiver
erleben. Analog argumentieren Podsakoff, MacKenzie, Moorman und Fetter (1990),
dass ein positiver Zusammenhang zwischen einem transformationalen Führungsstil, der
sich u. a. durch individuelle Wertschätzung ausdrückt, und der allgemein
wahrgenommenen Gerechtigkeit durch den Mitarbeiter bestehen sollte.
Wir erwarteten in unserem Modell für beide Gerechtigkeitsdimensionen einen
positiven Einfluss auf die Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung. Als potentielle
Mediatoren verwendeten wir in unserem Modell positive und negative Affekte, da diese
sowohl von den unterschiedlichen Mediationsannahmen instrumenteller und relationaler
Mediationsmodelle der Gerechtigkeitsforschung unabhängig sind (vgl. Murphy &
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 11
Tyler, in Druck) als auch in einem bedeutsamen Zusammenhang mit der Qualität der
Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung stehen (Elkins & Keller, 2003). Da wir von einer
lang andauernden Wirkung der Gerechtigkeitseinschätzungen des
Leistungsbeurteilungsgespräches ausgingen, sollte ebenfalls die lang andauernde
Stimmung erfasst werden. Zusätzlich zeigen metaanalytische Befunde, dass die
Zusammenhänge zwischen Fairnesswahrnehmungen und unmittelbaren emotionalen
Reaktionen zwar höher sind als die mit lang andauernder Stimmung, aber nicht
signifikant verschieden (Barsky & Kaplan, 2007). Unsere Modellannahmen sind
zusammenfassend in Abbildung 1 wiedergegeben.
--- bitte ungefähr hier Abbildung 1 einfügen ---
Methode
Stichprobe
An der Studie nahmen 124 berufstätige Personen (46 Frauen, 78 Männer) aus
unterschiedlichen Unternehmen teil. Sie gaben an, seit durchschnittlich 6.04 Jahren (SD
= 6.21 Jahre) bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt zu sein und über durchschnittlich 11.67
Jahre (SD = 7.54 Jahre) Berufserfahrung zu verfügen. Das Durchschnittsalter in der
Stichprobe betrug 34.46 Jahre (SD = 7.26 Jahre). Die Befragten waren hauptsächlich
beschäftigt in den Branchen verarbeitendes Gewerbe und Industrie (40 Personen, 32.3
%), Dienstleistung (30 Personen, 24.2 %), Kredit- und Versicherungsgewerbe (21
Personen, 16.9%) sowie Gesundheits- und Sozialwesen (13 Personen, 10.5%).
Untersuchungsinstrumente
Organisationale Gerechtigkeit. Die Wahrnehmung der organisationalen
Gerechtigkeit wurde mit einer entsprechend angepassten Fassung des GEO
(Gerechtigkeitseinschätzungen in Organisationen: Maier et al., 2007) erhoben. Beim
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 12
GEO handelt es sich um eine deutsche Übersetzung der Skalen von Colquitt (2001) zur
Messung organisationaler Gerechtigkeit. Als Fokus der Fragen diente das letzte
Personal- bzw. Leistungsbeurteilungsgespräch mit der Führungskraft. Die Skala
prozedurale Gerechtigkeit wurde mit 7 Items erhoben (Beispielitem: „Wie sehr konnten
Sie Ihre Sichtweisen und Empfindungen während des Leistungsbeurteilungsgesprächs
ausdrücken?“) und die Skala distributive Gerechtigkeit mit 4 Items (Beispielitem: „Wie
sehr sind Ihre Bezahlung und alle Ihre sonstigen betrieblichen Leistungen im Verhältnis
zu Ihrer Leistung gerechtfertigt?“). Der Wertebereich der Items lag zwischen 1
(überhaupt nicht) und 5 (voll und ganz).
Mediatoren und Kriterium. Die positiven (Beispielitems: interessiert, begeistert,
entschlossen) und negativen Affekte (Beispielitems: durcheinander, verärgert,
feindselig) als Mediatoren wurden mit je 10 Items der deutschen Version der Positiven-
Negativen-Affekte-Skala (PANAS; Krohne, Egloff, Kohlmann & Tausch, 1996)
erhoben. Die Untersuchungsteilnehmer gaben an, wie sie sich allgemein bei der Arbeit
fühlen. Der Wertebereich der Items ging von 1 (gar nicht) bis 5 (äußerst). Die
Einschätzung der Qualität der Beziehung zwischen Mitarbeiter und Führungskraft
wurde mit der deutschen Skala für die Leader-Member-Exchange-Quality (Schyns,
2002) gemessen (Beispielitem: „Wie würden Sie das Arbeitsverhältnis mit Ihrer
Führungskraft beschreiben?“). Die Skala besteht aus 7 Items, wobei die
Antwortkategorien der fünfstufigen Ratingskalen den Aussagen der jeweiligen Items
angepasst sind (z.B. von sehr ineffektiv bis sehr effektiv).
Ergebnisse
Die deskriptiven Statistiken, die Interkorrelationen der Skalen und deren interne
Konsistenz sind in Tabelle 1 wiedergegeben.
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 13
--- bitte ungefähr hier Tabelle 1 einfügen ---
Unsere Modellannahmen testeten wir mit konkurrierenden Pfadanalysen. Dazu
verglichen wir vier Modelle (vgl. Tabelle 2). Mit Modell A schätzten wir neben den
indirekten Effekten auch alle direkten Effekte; es ist das Modell mit den wenigsten
Einschränkungen. Dagegen prüften wir in Modell B und C, ob das Ausschließen
direkter Pfade von der prozeduralen oder distributiven Gerechtigkeit auf das Kriterium
zu einer signifikanten Modellverschlechterung führte. Schließlich prüften wir mit
Modell D, ob alle Zusammenhänge zwischen den beiden Formen der organisationalen
Gerechtigkeit und der Qualität der Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung vollständig
über positive und negative Affekte vermittelt wurden.
Zur Prüfung der Modellannahmen wurde eine Pfadanalyse mit AMOS 6
durchgeführt (Arbuckle, 2005) und die Parameter wurden mit der Maximum-Likelihood
Methode geschätzt. Zur Beurteilung der Modellvergleiche, d.h. der ineinander
verschachtelten Modelle, zogen wir den Δχ²-Test heran (Bentler & Bonett, 1980). Zur
direkten Beurteilung der Modelle verwendeten wir die Prüfgrößen Goodness of Fit
Index (GFI), Comparative Fit Index (CFI) und Root Mean Square Error of
Approximation (RMSEA). Als kombinierte Regeln für die Annahme der Modelle
wählten wir Werte von > .97 für CFI, > .95 für GFI sowie < .05 für RMSEA als
Hinweis für eine gute Modellpassung bzw. > .95 für CFI, > .90 für GFI sowie < .08 für
RMSEA als Hinweis für eine akzeptable Modellpassung (vgl. die Vorschläge von
Schermelleh-Engel, Moosbrugger & Müller, 2003).
Die Ergebnisse der Modellvergleiche sind in Tabelle 2 wiedergegeben. Es zeigte
sich, dass die Modelle A und C die Daten angemessen schätzten, die Modelle B und D
dagegen nicht. Zusätzlich wiesen die Modelle B und D eine signifikant schlechtere
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 14
Modellpassung als das Basismodell A auf. Das Modell, in dem zusätzlich zu den
indirekten Effekten auch noch die direkten von der Wahrnehmung prozeduraler
Gerechtigkeit auf die Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung zugelassen wurden (Modell
C), unterschied sich dagegen nicht signifikant von dem Basismodell. Auch die weiteren
Prüfgrößen sprachen für eine sehr gute Passung des Modells C. Lediglich das obere
Konfidenzintervall des RMSEA lag außerhalb der akzeptablen Kennwerte. In
Abbildung 2 ist es mit den standardisierten Pfadkoeffizienten dargestellt. Sowohl für die
Wahrnehmung prozeduraler als auch distributiver Gerechtigkeit zeigte sich ein positiver
Zusammenhang mit den positiven Affekten, der allerdings für die distributive
Gerechtigkeit nicht signifikant war. Mit den negativen Affekten zeigten beide
Gerechtigkeitsdimenisonen signifikant negative Zusammenhänge. Der Zusammenhang
der positiven Affekte und der Qualität der Mitarbeiter-Führungskraft-Beziehung fiel
ebenso wie der direkte Effekt der Wahrnehmung prozeduraler Gerechtigkeit signifikant
positiv aus, der Zusammenhang der negativen Affekte auf die Beziehung erwies sich als
signifikant negativ.
--- bitte ungefähr hier Tabelle 2 einfügen ---
Bei den Schätzungen der standardisierten indirekten Effekte auf die Qualität der
Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung ergab sich ein positiver signifikanter Effekt
sowohl für die Wahrnehmung der prozeduralen Gerechtigkeit, β = .17; p < .01, als auch
für die distributive Gerechtigkeit, β = .09; p < .05. Die Befunde bestätigten damit die
Bedeutung organisationaler Gerechtigkeit für die Qualität der Führungskraft-
Mitarbeiter-Beziehung und die Vermittlung dieser Effekte durch positive und negative
Affekte.
--- bitte ungefähr hier Abbildung 2 einfügen ---
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 15
Diskussion
Diskussion
In dieser Studie wurde der Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen
prozeduralen und distributiven organisationalen Gerechtigkeit und der Einschätzung der
Qualität der Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung untersucht. Es wurde sowohl für
prozedurale als auch für distributive Gerechtigkeit ein positiver Zusammenhang
erwartet. Die Wirkung der beiden Gerechtigkeitsdimensionen sollte über positive und
negative Affekte vermittelt werden. Für beide Gerechtigkeitsdimensionen konnten die
Annahmen der indirekten Effekte bestätigt werden. Ferner wurde die Wirkung
prozeduraler Gerechtigkeit sowohl über positive als auch negative Effekte vermittelt.
Dagegen wurde der Effekt distributiver Gerechtigkeit auf die Führungskraft-
Mitarbeiter-Beziehung nur über negative Affekte vermittelt.
Die explorativ geprüften direkten Effekte der beiden Gerechtigkeitsdimensionen
zeigten, dass bei der prozeduralen Gerechtigkeit zusätzlich zu den indirekten auch noch
direkte Effekte angenommen werden mussten. Hier stellt sich die Frage, über welche
weiteren, spezifischeren Prozesse der Zusammenhang zwischen prozeduraler
Gerechtigkeit und der Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung vermittelt wird.
Relationalen Modellannahmen folgend wäre eine Möglichkeit, dass dieser
Zusammenhang über die Identifikation mit der Führungskraft und dem Vertrauen in die
Führungskraft mediiert wird (z.B. Tyler, 2000). Wenn sich Führungskräfte fair
verhalten, fühlen sich Mitarbeiter stärker wertgeschätzt und als wichtiges Mitglied der
dazugehörigen organisatorischen Einheit. Entsprechend steigt ihr Vertrauen und ihre
Identifikation mit der Führungskraft und die Beziehung zur Führungskraft wird
positiver erlebt. Instrumentellen Modellen folgend könnte argumentiert werden, dass
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 16
Fairnesseffekte über die Wahrnehmung des Einflusses auf Ergebnisse
(Ergebniskontrolle) vermittelt werden. Wenn sich Führungskräfte fair verhalten,
erfahren Mitarbeiter die Möglichkeit, auf Ergebnisse (z.B. bei Ressourcenverteilungen)
Einfluss in ihrem Sinne nehmen zu können. Entsprechend wird die Beziehung zur
Führungskraft als vorteilhaft und daher positiv erlebt.
Darüber hinaus gehend plädiert Scandura (1999) in einem Theoriebeitrag für eine
weitere Modelldifferenzierung: Innerhalb der Leader-Member-Exchange-Forschung
wird häufig die Rolle der Mitarbeiter in die Kategorien einer in-group und einer out-
group geteilt. Mitglieder der in-group berichten üblicherweise von einer besseren
Beziehung zur Führungskraft, haben mehr Vorteile, sind zufriedener und motivierter
und erleben weniger Stress als Mitglieder der out-group. In Anlehnung an relationale
Modelle argumentiert Scandura, dass prozedurale Gerechtigkeit für die in-group
bedeutsamer sein sollte, distributive dagegen für die out-group. Ferner sollte die
Beziehung zwischen der in-group und out-group und der Leistung ihrer Mitglieder
ebenfalls über die Fairness der Führungskraft vermittelt werden. Diese Differenzierung
haben wir bei der Erhebung der Daten nicht getroffen und konnten daher unsere
Modellannahmen nicht entsprechend spezifizieren, sondern sind implizit von einer
Gleichverteilung von in- und out-group-Mitgliedern in unserer Stichprobe ausgegangen.
Zukünftige Forschung zum Zusammenhang zwischen den Bedingungen
organisationaler Gerechtigkeit und der Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung sollte aber
die Gruppenzugehörigkeit berücksichtigen.
Eine Erklärung für den nicht-signifikanten Zusammenhang von distributiver
Gerechtigkeit und positiven Affekten könnte sein, dass die Mitarbeiter die
Bedingungen, die zur Entstehung distributiver Gerechtigkeit beitragen, als außerhalb
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 17
der Kontrolle der Führungskraft ansehen (Erdogan, Liden & Kraimer, 2006). Wenn
distributive Gerechtigkeit im Wesentlichen durch die Ausgestaltung arbeits- bzw.
tarifrechtlicher Regelungen bestimmt wird, dann sollte der Einfluss der Führungskraft
auch als entsprechend gering wahrgenommen werden. Andererseits sollte die
Führungskraft vom Mitarbeiter als allein verantwortlich für die Gestaltung distributiver
und prozeduraler Fairnessbedingungen im Rahmen des
Leistungsbeurteilungsgespräches wahrgenommen werden. In zukünftigen Studien sollte
daher das wahrgenommene Ausmaß der Gestaltungsmöglichkeiten der Führungskraft
bei Ressourcenverteilungen erhoben werden.
Eine weitere spekulative Erklärung für den nicht-signifikanten Zusammenhang
von distributiver Gerechtigkeit und positiven Affekten könnte sein, dass distributive
Gerechtigkeit im Sinne der Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg, Mausner und
Snyderman (1959) nur ein Hygienefaktor ist. Demnach sollte distributive
Ungerechtigkeit zwar Unzufriedenheit und eine schlechte Beziehung zwischen
Führungskraft und Mitarbeiter erzeugen und diese Effekte entsprechend über negative
Affekte vermittelt werden, distributive Gerechtigkeit aber nicht zu mehr Zufriedenheit
oder einer qualitativ besseren Beziehung führen. In dieser Überlegung könnte
prozedurale Gerechtigkeit dann einen Motivationsfaktor darstellen, der, über positive
Affekte vermittelt, zu einer qualitativ besseren Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung
beiträgt.
Darüber hinaus muss erwähnt werden, dass querschnittliche Design, wie in der
vorliegenden Untersuchung verwendet, zeitliche und kausale Abfolgen nicht
zweifelsfrei belegen können2. Daher sollte zukünftige Forschung in Längsschnittstudien
beispielsweise an Berufsanfängern oder neuen Mitarbeitern über mehrere
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 18
Messzeitpunkte den hier postulierten Zusammenhang überprüfen. Bleibt dabei die
Einschätzung der Fairness der Führungskraft konstant und entwickelt sich gleichzeitig
die Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung entsprechend, kann von einem kausalen
Einfluss von Fairness auf die Beziehung ausgegangen werden.
Für die Praxis kann aus unseren Befunden neben der Bedeutung der distributiven
Gerechtigkeit der hohe Einfluss der prozeduralen Gerechtigkeit der Führungskraft auf
die Qualität der Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung und damit für arbeitsrelevante
Einstellungen und Verhaltensweisen von Mitarbeitern abgeleitet werden. Wenn in der
betrieblichen Praxis mechanistische oder egozentrische Menschenbilder dominieren,
beschränkt sich das Führungsverhalten entsprechend eher auf die Mitarbeitersteuerung
durch extrinsiche Anreize. Die Fokusierung der Gewährung zusätzlicher Vorteile für
erbrachte Arbeitsleistung (oder der Entzug bei Leistungsdefizit) führt zu einer
Überschätzung der Bedeutung distributiver Gerechtigkeit in der Praxis. Die Wirkung
prozeduraler Gerechtigkeit auf Mitarbeitereinstellungen und -verhalten wird dagegen
unterschätzt. Im Hinblick auf Interventionen ist es daher zunächst wichtig, hier
entsprechende Aufklärung zu leisten. Zusätzlich sollten Führungskräfte aber auch
systematisch in organsational gerechtem Verhalten trainiert werden. Ein interessanter
Aspekt des Trainingsbedarfs ist, dass Führungskräfte häufig durchaus faire
Entscheidungen treffen, dieser Entscheidungsprozess aber nicht transparent ist. Dies
kann auf Mitarbeiterseite den Eindruck erzeugen, dass Entscheidungen willkürlich und
ohne die Möglichkeit, die eigene Meinung mitzuteilen, und damit unfair getroffen
werden. In unserer Arbeitsgruppe haben wir ein deutschsprachiges
Führungskräftetraining zur organisationalen Gerechtigkeit entwickelt (Kiehling et al.,
2006). In einer ersten Evaluationsstudie verglichen wir die Leistung von Gruppen,
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 19
deren Führungskräfte zuvor an einem Training in organisationaler Gerechtigkeit, in
zielorientierter Führung oder an keiner Trainingsmaßnahme teilgenommen hatten.
Dabei zeigten die Gruppen mit gerechter Führungskraft signifikant bessere Leistungen
im Vergleich zu den beiden anderen Gruppen. Das Ergebnis kann vermutlich durch
einen verbesserten Informationsaustausch erklärt werden, da die gerechten
Führungskräfte verstärkt darauf achteten, die Aufgabe und Entscheidungsregeln genau
zu erklären und die Informationen jedes Gruppenmitgliedes zu sammeln.
Alles in allem zeigt unsere Studie, dass organisationale Gerechtigkeit und hier
insbesondere prozedural gerechtes Führungsverhalten mehr Beachtung finden sollte, da
dieses einen bedeutsamen Einfluss auf die Qualität der Führungskraft-Mitarbeiter-
Beziehung hat und somit auf Mitarbeitereinstellungen und -verhalten.
Fußnoten
1 Aufgrund der subjektiven Natur von Fairnesskonstruktionen plädieren einige
Autoren dafür, entsprechend von subjektiven Konstruktionen bzw. subjektiven
Evaluationen von Bedingungen zu sprechen (vgl. Mikula, 2005). Wir verwenden in
diesem Beitrag den häufig gebrauchten Begriff Gerechtigkeitswahrnehmungen (vgl.
Colquitt, 2001; Van den Bos, 2005), der unserer Meinung nach ebenfalls den
subjektiven Charakter beinhaltet.
2 Bei der Testung denkbarer Alternativmodelle zeigen sich im vorliegenden
Datensatz durchaus akzeptable Kennwerte a) für die Vorhersage der Affekte durch die
Gerechtigkeitsdimensionen und die Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung, b) die
Vorhersage der Gerechtigkeitsdimensionen durch die Führungskraft-Mitarbeiter-
Beziehung vermittelt durch die Affekte, und c) die Vorhersage der Führungskraft-
Mitarbeiter-Beziehung durch die Affekte vermittelt durch die
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 20
Gerechtigkeitsdimensionen (hier allerdings inakzeptable RMSEA-Werte für alle
Modelle).
Literatur
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Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 26
Abbildung 1. Angenommenes Strukturgleichungsmodell zur Erklärung der
Beziehungsqualität durch organisationale Gerechtigkeit und Affekte.
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 27
Tabelle 1
Interkorrelationen, Reliabilitäten und deskriptive Statistik
Skala M SD 1 2 3 4 5
1 Prozedurale Gerechtigkeit 3.61 0.69 .81
2 Distributive Gerechtigkeit 3.48 0.90 .33 *** .93
3 Positive Affekte 3.63 0.52 .33 *** .22 * .85
4 Negative Affekte 1.77 0.45 -.38 *** -.28 ** -.19 * .84
5 Führungskraft-
Mitarbeiter-Beziehung
3.55 0.76 .61 *** .29 ** .34 *** -.39 *** .90
Anmerkung. N = 124. In der Diagonalen sind die Reliabilitäten (Cronbachs α)
eingetragen. * = p < 05. ** = p < .01. *** = p < .001.
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 28
Tabelle 2
Fit-Indikatoren der getesteten Modelle
Modell χ2 p df Δχ
2 p Δdf GFI CFI RMSEA
RMSEA 90%
Konfidenzintervall
A Alle Pfade frei geschätzt 0.43 > .51 1 .999 1.000 .000 (.000, .206)
B Keine direkten Effekte der
prozeduralen Gerechtigkeit
(teilweise Mediation)
33.78 < .001 2 33.35 < .001 1 .911 .713 .359 (.259, .471)
C Keine direkten Effekte der
distributiven Gerechtigkeit
(teilweise Mediation)
0.88 > .64 2 0.45 > .49 1 .997 1.000 .000 (.000, .141)
D Vollständige Mediation 36.82 < .001 3 36.39 < .001 2 .905 .695 .303 (.220, .394)
Anmerkung. N = 124.
Gerechtigkeit und Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung 29
Abbildung 2. Resultierendes Strukturgleichungsmodell (Modell C; standardisierte
Lösung) zur Erklärung der Beziehungsqualität durch organisationale Gerechtigkeit und
Affekte. (* p < .05. ** p < .01. *** p < .001.)