modellierung von strukturfragmenten als werkzeug in der nmr-kristallographie

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Kurzvorträge DOI: 10.1002/zaac.200670025 Modellierung von Strukturfragmenten als Werkzeug in der NMR- Kristallographie Jan Sehnert, Lena Seyfarth, Jürgen Senker* Anorganische Chemie I, Universität Bayreuth, 95440 Bayreuth Keywords: ab initio chemical-shift calculation; molecular modeling; NMR crystallography; powder diffraction Die strukturelle Charakterisierung amorpher, nano- und mikrokri- stalliner Materialien ist bis heute eine große Herausforderung in der Festkörper- und Materialchemie. Dies liegt vor allem am Infor- mationsverlust, den Diffraktionstechniken in derartigen Systemen erleiden. Durch die Einbindung komplementärer Strukturdaten er- öffnet die NMR-Kristallographie neue Wege zu einer erfolgreichen Strukturlösung auch in intrinsisch fehlgeordneten Materialien. So können mit Hilfe moderner Festkörper-NMR-Experimente Sym- metrieinformationen zur Raumgruppenbestimmung [1], Konnexiti- vitäten, Konnektivitäten [2] sowie Abstands- und Orientierungsin- formationen [3] charakteristischer Baugruppen erhalten werden. Hierbei kann die Aussagekraft der NMR-Spektrokopie erheblich gesteigert werden, wenn in die Interpretation a priori Informatio- nen über NMR-spezifische Observable wie die chemische Verschie- bung charakteristischer Bauelemente einfließen. Voraussagen über Größe und Orientierung des chemischen Verschiebungstensors sind jedoch nur basierend auf einer detaillierten Kenntnis der lokalen elektronischen Umgebung möglich. Im Rahmen eines konzertierten Ansatzes setzen wir daher die quantenmechanische Modellierung charakteristischer Strukturfragmente im Wechselspiel mit der Si- mulation und Interpretation für eine breite Palette von NMR-Ex- perimenten ein. Anhand verschiedener Beispiele werden wir demonstrieren, dass die Genauigkeit und Effizienz aktueller Methoden der Computer- chemie ausreichen, um sie erfolgreich und flexibel im Strukturlö- sungsprozess der NMR-Kristallographie einsetzen zu können. Für diese Arbeiten haben wir uns auf DFT-Methoden konzentriert und zur Berechnung größerer Fragmente das „embedded cluster“-Mo- dell verwendet [4]. Auf diese Weise konnten wir intermediäre Struk- tur- und Keimbildung in molekularen Flüssigkeiten wie Triphenyl- phosphit (P(OPh) 3 ) [3] untersuchen. Darüber hinaus gelang durch die Kombination unseres Ansatzes mit Pulverröntgen- bzw. Elek- tronenbeugung die Strukturanalyse nano- bzw. mikrokristalliner Materialien wie Cyamelursäure (C 6 N 7 (OH) 3 ) und „graphitischen Kohlenstoffnitrids“ sowie die Charakterisierung des Wasserstoff- brückennetzwerkes in diesen Systemen. [1] J. Senker, L. Seyfarth, J. Voll, Solid State Sci. 2004 6, 1039. [2] J. Schmedt auf der Günne, J. Beck, W. Hoffbauer, P. Krieger- Beck, Chem. Eur. J. 2005 11, 4429. [3] J. Senker, J. Sehnert, S. Correll, J. Am. Chem. Soc. 2005 127, 337. [4] D. C. Young, Computational ChemistryA Practical Guide for Applying Techniques to Real-World Problems , Wiley-Inters- cience 2001. www.zaac.wiley-vch.de 2006 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Z. Anorg. Allg. Chem. 2006, 2088 2088

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Kurzvorträge

DOI: 10.1002/zaac.200670025

Modellierung von Strukturfragmentenals Werkzeug in der NMR-Kristallographie

Jan Sehnert, Lena Seyfarth, Jürgen Senker*

Anorganische Chemie I, Universität Bayreuth, 95440 Bayreuth

Keywords: ab initio chemical-shift calculation; molecular modeling;NMR crystallography; powder diffraction

Die strukturelle Charakterisierung amorpher, nano- und mikrokri-stalliner Materialien ist bis heute eine große Herausforderung inder Festkörper- und Materialchemie. Dies liegt vor allem am Infor-mationsverlust, den Diffraktionstechniken in derartigen Systemenerleiden. Durch die Einbindung komplementärer Strukturdaten er-öffnet die NMR-Kristallographie neue Wege zu einer erfolgreichenStrukturlösung auch in intrinsisch fehlgeordneten Materialien. Sokönnen mit Hilfe moderner Festkörper-NMR-Experimente Sym-metrieinformationen zur Raumgruppenbestimmung [1], Konnexiti-vitäten, Konnektivitäten [2] sowie Abstands- und Orientierungsin-formationen [3] charakteristischer Baugruppen erhalten werden.Hierbei kann die Aussagekraft der NMR-Spektrokopie erheblichgesteigert werden, wenn in die Interpretation a priori Informatio-nen über NMR-spezifische Observable wie die chemische Verschie-bung charakteristischer Bauelemente einfließen. Voraussagen überGröße und Orientierung des chemischen Verschiebungstensors sindjedoch nur basierend auf einer detaillierten Kenntnis der lokalenelektronischen Umgebung möglich. Im Rahmen eines konzertiertenAnsatzes setzen wir daher die quantenmechanische Modellierungcharakteristischer Strukturfragmente im Wechselspiel mit der Si-mulation und Interpretation für eine breite Palette von NMR-Ex-perimenten ein.Anhand verschiedener Beispiele werden wir demonstrieren, dassdie Genauigkeit und Effizienz aktueller Methoden der Computer-chemie ausreichen, um sie erfolgreich und flexibel im Strukturlö-sungsprozess der NMR-Kristallographie einsetzen zu können. Fürdiese Arbeiten haben wir uns auf DFT-Methoden konzentriert undzur Berechnung größerer Fragmente das „embedded cluster“-Mo-dell verwendet [4]. Auf diese Weise konnten wir intermediäre Struk-tur- und Keimbildung in molekularen Flüssigkeiten wie Triphenyl-phosphit (P(OPh)3) [3] untersuchen. Darüber hinaus gelang durchdie Kombination unseres Ansatzes mit Pulverröntgen- bzw. Elek-tronenbeugung die Strukturanalyse nano- bzw. mikrokristallinerMaterialien wie Cyamelursäure (C6N7(OH)3) und „graphitischenKohlenstoffnitrids“ sowie die Charakterisierung des Wasserstoff-brückennetzwerkes in diesen Systemen.

[1] J. Senker, L. Seyfarth, J. Voll, Solid State Sci. 2004 6, 1039.[2] J. Schmedt auf der Günne, J. Beck, W. Hoffbauer, P. Krieger-

Beck, Chem. Eur. J. 2005 11, 4429.[3] J. Senker, J. Sehnert, S. Correll, J. Am. Chem. Soc. 2005 127,

337.[4] D. C. Young, Computational Chemistry�A Practical Guide for

Applying Techniques to Real-World Problems, Wiley-Inters-cience 2001.

www.zaac.wiley-vch.de 2006 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Z. Anorg. Allg. Chem. 2006, 20882088