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Mit Konflikten umgehen - die Perspektive wechseln Aus Erfahrungen lokaler Akteure in Konfliktsituationen lernen

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Mit Konflikten umgehen - die Perspektive wechseln

Aus Erfahrungen lokaler Akteure in Konfliktsituationen lernen

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Mit Konflikten umgehen - die Perspektive wechseln

Aus Erfahrungen lokaler Akteure in Konfliktsituationen lernen

Herausgeber:Evangelischer Entwicklungsdienst e.V. (EED)Ulrich-von-Hassell-Straße 76, 53123 [email protected], www.eed.de

Text unter Mitarbeit von: Wolfgang Heinrich, WolfgangKaiser, Edda Kirleis, Caroline Kruckow, Barbara Müller,Jürgen Reichel

Redaktionelle Bearbeitung: Andrea Burkhardt, MechtildRitter, Jule Rode

Bildnachweis: alle Fotos: Hagen Berndt, Titel, S.16, 35: K.Lelgemann, S.47: Kofi Setordji

April 2009

Gedruckt auf 100% Recyclingpapier, CO2-neutral

hergestellt und ausgezeichnet mit dem Blauen Engel

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Mit Konflikten umgehen - die Perspektive wechseln

Aus Erfahrungen lokaler Akteure in Konfliktsituationen lernen

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Inhalt

Die Perspektive wechseln 1

Frieden – Entwicklung – GerechtigkeitRisiken von Entwicklungsprojekten 2Was ist Erfolg in der Friedensarbeit? 5Friedenspolitik im Wandel der Zeit 6Konflikt, Gewalt und Krieg im Wandel der Zeit 8Außenwahrnehmung und Innenwahrnehmung in Konfliktsituationen 10Nichtregierungsorganisationen, über deren Arbeit in dieser Broschüre berichtet wird 13

Auf dem Weg zur KonfliktbearbeitungWie Frieden von innen wächst – Erfahrungen von Organisationen in Konfliktregionen 16Lokale Gemeinschaften wissen, was für sie Frieden bedeutet 17Kontexte und Ebenen der Friedensarbeit 20Wandel in den Organisationen 23Distanz und Misstrauen – "Staat" und Zivilgesellschaft 28Anwälte der Betroffenen und Vermittler zwischen den Fronten 32Gender: Chancen und Herausforderungen 34Schlussfolgerungen 41

Friedensarbeit des EED – Grundorientierung und neue HerausforderungenFrieden und Gerechtigkeit suchen 43Frieden fördern als Handlungsfeld des EED 46Der EED stärkt lokale Friedenskräfte 48Möglichkeiten und Grenzen der Zivilgesellschaft erkennen 51Staaten müssen in die Pflicht genommen werden 52

Literaturhinweise 53

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ür kirchliche Entwicklungszu sammen ar -beit ist der Zusammenhang von "Frieden,Ent wicklung und Gerechtigkeit" eine zen-

trale Orientierung. Diese hat der Rat der Evan -gelischen Kirche in Deutschland in seiner Denk-schrift von 1973 "Der Entwicklungsdienst derKirche - ein Beitrag für Frieden und Gerechtig-keit in der Welt" folgendermaßen begründet:"Unge rechte Verhältnisse im innenpolitischenwie im weltpolitischen Bereich stellen eine stän-dige Bedrohung des Friedens dar. Die Friedens-be mühungen der Menschen müssen daher dieSuche nach mehr Gerechtigkeit und den Aus -gleich der sozialen Spannungen durch welt-weite Entwicklungsprogramme mit einschließen.Entwicklungsverantwortung, Eintreten fürGerechtigkeit und dauerhafter Frieden sindinfolgedessen unmittelbar miteinander ver-knüpft" (Ziffer 14). Dieser Dreiklang ist fürden kirchlichen Entwicklungsdienst auch des-halb leitend, weil er in jede Richtung gedachtwahr bleibt: Nicht nur bedrohen ungerechteVerhält nisse und Armut den Frieden - genausobe hin dern Krieg und Gewalt die Arbeit vonEnt wicklungsprojekten, machen die Erfolgeim Kampf gegen Hunger und Armut immerwieder zunichte. Für den Evangelischen Ent -wicklungs dienst (EED) begründet dieser Zu -sammenhang den Auftrag, gemeinsam mit denlokalen Ent wicklungsorganisationen, Armutzu be kämpfen, Gerechtigkeit zu schaffen undFrieden aufzubauen.

Darum versteht der EED auch Aktivitäten derunmittelbaren Konfliktbearbeitung als integralenBestandteil seines Entwicklungsauf trags: Kon -flikttransformation, Befähigung zur friedlichenKonfliktaustragung, Nachsorge nach Ge walt -kon flikten und Krisenprävention. Diese Heran-gehens weise schließt die Reduktion von Kon -fliktbearbeitung auf kurzfristige Gewalt kon trolleaus. Sie erfordert umfassende Analysen undAnsätze und verlangt die kritische Reflexiondessen, was erreicht worden ist und was falschgelaufen ist. Und das immer wieder. Denn auchgut gemeinte Interventionen erreichen nichtimmer ihr Ziel.

Risiken von EntwicklungsprojektenFriedensarbeit basiert auf Annahmen darüber,wie Frieden geschaffen werden kann. Aus die-sen Annahmen leiten Organisationen, die imKontext von Nothilfe und Entwicklungs zu -sammenarbeit oder in der Friedensarbeit mitgewaltsamen Konflikten umgehen, ihre Kon zepteund Handlungsansätze ab. Grund sätzlich lassensich zwei Arten des Herangehens unterscheiden:Bei der einen steht die direkte Hilfe für Opfervon Kriegen und Konflikten im Vor dergrund -zum Beispiel durch die Unter stützung bei derGesundheitsversorgung im Kriegsgebiet. Beider anderen ist vorrangiges Ziel, die Art derKonfliktaustragung zu beeinflussen, eine kon-struktive Konfliktaustragung zu ermöglichenund langfristig die Ursachen von Gewalt zuüberwinden. Das heißt dann zum Beispiel,zwischen Konfliktparteien zu vermitteln oderLösungen für die Ursachen gesellschaftlicherKonflikte zu erkunden.

Der EED und seine Partnerorganisationen ver-folgen beide Ansätze. Die systematische Aus -wertung von Erfahrungen aus der Entwick -lungsarbeit und Nothilfe in Kriegsgebieten ausden letzten 15 Jahren hat aber deutlich gezeigt,dass beide Herangehensweisen eine Konflikt -dynamik beeinflussen.

Organisationen, die primär Flüchtlinge, Kriegs-opfer und von Gewalt betroffene Gemein schaftenunterstützen und ihnen ein Überleben ermög-lichen, wollen dabei nicht unbeabsichtigt zueiner Verschlechterung der Konfliktsituationbeitragen. Mitte der 1990er Jahre begann unterHilfsorganisationen eine intensive Debatte da -rüber, wie das Problem der unbeabsichtigtennegativen Auswirkungen von Hilfsmaß nahmenangegangen werden kann. Die erschütterndenEreignisse in Somalia nach dem Zusammen -bruch des Regimes im Dezember 1991 und inRuanda und Ostkongo nach dem Völkermordin Ruanda 1994 enthüllten in aller Schärfe, wiegut gemeinte Nothilfe und Entwicklungsarbeitvon den Gewaltakteuren systematisch in ihr

Frieden - Entwicklung - Gerechtigkeit

2 Mit Konflikten umgehen

F

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Kalkül und ihre Gewaltstrategie eingebundenund ausgenutzt wurde. Hilfsorganisationenmussten erkennen, dass sie durch das, was sietaten, und die Art, wie sie es taten, zur Gewalt -eskalation unmittelbar beigetragen hatten.

Die Liste zeigt - negative Effekte von Inter ven -tionen für Frieden sind möglich. Sie könnendie Polarisierung zwischen den Konflikt parteienvertiefen und dazu beitragen, dass offene undstrukturelle Gewalt verstärkt werden. Men schen,die sich in ihrem Land an Friedensaktivitätenbeteiligen, werden in Gefahr gebracht. Übrigbleiben wachsender Zynismus und Entmuti -gung. Anstatt Frieden zu fördern, werden Zeit,Engagement und knappe Ressourcen für falscheAktivitäten verschwendet. Auf Grund dieserErkenntnis haben international tätige Organi -sa tionen, darunter auch der EED, bereits Mitteder 1990er Jahre den Zusammenhang zwischenEntwicklungsprojekten und Konfliktdynamikselbstkritisch untersucht. Aus diesem interna-tionalen und kooperativen Lernprozess ent-

Die Perspektive wechseln 3

Wie Hilfs- und Entwicklungsprojekte Konflikte beeinflussen

Hilfe oder Zusammenarbeit impliziert immer einen Ressourcentransfer. Dieser kannmaterieller Art sein (Nahrungsmittel, Baumaterial, medizinische Versorgung und Gelder) oder nicht-materieller Natur (Ausbildung, Kontakte). Er beeinflusst über Projekte den Konfliktverlauf.

Die Gewaltparteien eignen sich oft Teile der Ressourcen an und nutzen sie für ihre Zwecke.

Die Bereitstellung von Ressourcen hat Auswirkungen auf den lokalen Markt, da sie Einfluss auf Löhne, Preise und Gewinne ausübt. Hilfeleistungen können so eher Anreize für die Fortdauer von Gewaltausübung haben als Frieden fördern.

Hilfsprojekte haben distributive Effekte, indem sie bestimmte Gruppen begünstigen,andere aber nicht. Wenn ein Projekt nur auf eine Untergruppe innerhalb eines Konfliktes ausgerichtet ist (selbst wenn diese die größte Not leidet), kann es dazu beitragen, dass zwischen Gruppen Neid und Spannungen zunehmen.

Über Hilfsprojekte eingebrachte Ressourcen können lokale Mittel ersetzen. WerdenTeile von diesen "frei", kann dies dazu führen, dass sie für Konfliktziele eingesetzt werden.

Projekte können bestimmten Gruppen eine Legitimationsgrundlage bieten und diese anderen entziehen. Geschieht dies zugunsten der Legitimation einer Konfliktpartei und ihrer Handlungen, kann dies bestehende Konflikte verstärken.

stand der Ansatz des "Do No Harm". Er istinzwischen in Nichtregierungsorganisationen(NRO) sowie der staatlichen Entwicklungszu -sammenarbeit als Methode der konfliktsensiblenProjektplanung anerkannt und als Richt schnur

für das Handeln in Konfliktregionen verbreitet.Der Leitgedanke "Do No Harm" hat die Sen -sibilität geschärft für unbeabsichtigte, konflikt-verschärfende Nebenwirkungen im Umfeldvon Projekten. Und bietet eine Methode, wiediese erkannt und vermindert werden können. 1

1 Anderson, Mary B.: Do No Harm. How Aid Can Support Peace - Or War, Boulder 1999

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4 Mit Konflikten umgehen

Do No Harm

Hilfsorganisationen machen bei Nothilfe und Entwicklungshilfe in Konfliktgebieten oftdie Erfahrung, dass diese von Kriegsparteien missbraucht werden, um ihre eigenen Zielezu verfolgen. Dies kann jedoch nicht zu der Entscheidung führen, Hilfsmaß nahmen zuunterlassen. Deshalb entschied sich eine Gruppe internationaler Hilfsorganisationen1994, systematisch die Erfahrungen internationaler und lokaler Hilfsorganisationen inKriegsgebieten darauf hin zu untersuchen, welche Wechselwirkungen zwischen Projekt-maßnahme und der jeweiligen Konfliktdynamik entstanden waren. Hauptziel war her-auszufinden, wie Hilfsmaßnahmen organisiert werden müssen, damit sie möglichstgeringe negative Auswirkung auf die Konfliktaustragung haben (Do No Harm: keinenSchaden anrichten). Wunschziel darüber hinausgehend war aber auch herauszufinden,wie Hilfsmaßnahmen organisiert sein müssen, damit sie nach Möglichkeit friedensför-dernd wirken. Mit diesem Auftrag führte die Beratungsorganisation "Collaborative forDevelopment Action" (CDA), eine US-amerikanische NRO, das "Local Capacities forPeace - Project" (LCP-P) durch. Die Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe (EZE- eine Vorgängerorganisation des EED) gehörte im Jahre 1994 zu der Gruppe von Or -ga ni sationen, die mit CDA dieses Studienprojekt initiierten.

Zunächst führten CDA und die beteiligten Organisationen 15 Feldstudien in 14 Kriegs-und Krisenregionen in Europa, Afrika, Asien und Lateinamerika durch. In diesen Er he -bungen wurden Hilfsmaßnahmen der Auftraggeberorganisationen daraufhin untersucht,welche Auswirkungen sie auf die Konfliktkonstellationen und den Konflikt ver lauf hatten.Auf diese Weise wurden zwei Sätze von Mechanismen identifiziert, die zueinander inWechselwirkung stehen. Dies sind zum einen Wirkungen, die sich aus dem Ressourcen -transfer ergeben: Hilfsmaßnahmen sind in erster Linie Transfers materieller und nichtmaterieller Ressourcen in Konfliktsituationen. Diese können Begehrlich keiten der Kriegs -akteure auslösen. Zum anderen können Wechselwirkungen zwischen einem Projektund dem Konfliktkontext entstehen, weil alle Handlungen eine "implizite ethischeBotschaft" vermitteln und somit in einem Konflikt nie gänzlich neutral wirken.Auf der Grundlage der identifizierten Wirkungsmechanismen entwickelten die Projekt -teilnehmer ein Projektplanungsinstrument. Das "Framework for Considering the Impactof Aid on Conflict" wurde als Instrument 1996 vorgestellt. In den Jahren 1997 bis 2000testeten 12 Organisationen aus den Bereichen der humanitären Hilfe und Entwicklungs-arbeit das neue Instrument. Auf der Abschlusskonsultation im September 2000 bestä-tigten alle am Test beteiligten Organisationen, dass das Instrument erstens effektivund zweitens praktikabel ist.

Seitdem ist dieses Projektplanungsinstrument ‚auf dem Markt'. Im Jahre 2001 wurdees über 120 internationalen und lokalen Hilfsorganisationen, Regierungen und staat-lichen Entwicklungsdiensten vorgestellt. Eine große Zahl entschied sich, das Instrumentin ihr Projektplanungsverfahren einzubauen. Der EED stellte den Do No Harm-Ansatzbisher in zwei Schwerpunktregionen vor: In Asien zunächst in Nordost-Indien im Bundes-staat Manipur (UNMM), seit 2004 auch in Pakistan, Bangladesch, Nepal und Indien undseit 2001 im Horn von Afrika in Äthiopien, Sudan, Somalia, Kenia und Uganda.

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Was ist Erfolg in der Friedensarbeit?Die Unwägbarkeiten von Friedensaktivitätensind groß. Versuche, die Unsicherheiten durcheine immer detailliertere Planung in den Griffzu bekommen, stoßen an Grenzen. EinfacheMaßstäbe für Erfolg und Misserfolg gibt esnicht. Manchmal lassen sich gerade dadurchErfolge erzielen, dass jahrelang scheinbar er -folglos mit langem Atem Friedensarbeit durch-

gehalten wurde. So haben zum Beispiel dieKirchen im Sudan seit Anfang der 1990er Jahremit zahlreichen Initiativen und Aktivitäten aufvielen Ebenen versucht, eine friedliche Lösungdes Konfliktes herbei zu führen. Als schließlichder Friedens vertrag für den Südsudan unter-zeichnet wurde, betonten auch die Vertreterder Konflikt parteien, wie wichtig dieses hart-näckige Bemühen für sein Zustandekommengewesen war.

Was aktuell als Misserfolg erscheint, kann sichsehr viel später als notwendige Vorleistung füreinen tragfähigen Durchbruch zum Frieden

erweisen.2 Und umgekehrt: Mancher "Durch -bruch zum Frieden" bleibt nur ein Erfolg amVerhandlungstisch und gewährleistet keinentragfähigen Friedensprozess mit allen invol-vierten Kräften. So erlebten die Menschen inSomalia seit dem Zusammenbruch des Regimesvon Siad Barre 1991 inzwischen 14 Friedens -konferenzen und vier "umfassende" Friedens -abkommen - doch der Krieg geht weiter. Es ist

einfacher, Frieden zu beschließen, als Friedenzu leben. Gelebter Frieden bedeutet einen Ver -änderungsprozess hin zu alternativen Kon flikt-lösungswegen. Wer Frieden will, muss das eigeneHandeln kontinuierlich und bewusst reflektieren.Es braucht die Bereitschaft, Lehren zu ziehenund sie auch umzusetzen.

Der EED hat deshalb einen weiteren internatio-nalen Lernprozess (Reflecting on Peace Practice- Project)3 mitfinanziert und war an ihm be -teiligt. Praktikerinnen und Praktiker der Frie -densarbeit untersuchten in 26 FallstudienFriedensprojekte auf ihre Wirkungen hin und

Die Perspektive wechseln 5

Reflecting on Peace Practise

Die methodische Vorgehensweise und die damit erzielten Ergebnisse des Do No Harm-Prozesses (Local Capacities for Peace Project) stieß auf großes Interesse bei internatio-nalen Friedensorganisationen. Sie beauftragten CDA, einen solchen Lernprozess auchfür sie zu organisieren. Der daraus erwachsene Reflecting on Peace Practise- Prozesszielte darauf ab, Kriterien zu entwickeln, um die Wirkungen von Friedensarbeit bessereinschätzen zu können. Der Schwerpunkt lag auf Maßnahmen externer Akteure, die inimmer mehr Konfliktsituationen Kooperationen mit lokalen Trägern eingehen. Es galtherauszufinden, wie die Aktivitäten externer Akteure dazu beitragen Frieden zu schaffen,wie sie Friedensarbeit effektiver machen und gewaltsame Konfliktaustragung beenden.

In der zweiten Projektphase berieten über 500 Praktikerinnen und Praktiker der Friedens-arbeit in 16 Ländern die Erkenntnisse aus den Fallstudien. Dabei ging es darum zuuntersuchen, ob die Erkenntnisse aus den Fallstudien durch die Erfahrungen weitererPraktikerInnen bestätigt und vertieft werden können. Da dies aber nur zusammen mitlokalen Friedensakteuren sinnvoll beantwortet werden kann, waren hier etwa die Hälfteder Teilnehmenden VertreterInnen lokaler Friedensinitiativen und -organisationen.

In der aktuellen Projektphase werden die bisher gewonnenen Erkenntnisse (zumBeispiel zur Frage der Strategieentwicklung, zur Wirkungseinschätzung undEffektivität) in mehreren Konfliktregionen von dort tätigen Friedensinitiativen und -organisationen in der Praxis geprüft. Dies wird systematisch begleitet und dokumen-tiert und soll so zu fundierten Ergebnissen führen.

2 Collaborative for Development Action: The Reflecting on Peace Practice Handbook, Boston, revised, 2004, S. 18 a3 Anderson, Mary B.: Do No Harm. How Aid Can Support Peace

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fliktlösungen in Gesellschaften ermöglichen.

Schon Mitte der 1990er Jahre machten dernicht verhinderte Völkermord in Ruanda unddie gescheiterte UN Friedensmission in Somaliadiese Hoffnung zunichte: Es fehlte nicht nurder politische Wille, die freigewordenen Mittelfür Frieden und Entwicklung einzusetzen, son-dern es fehlten auch geeignete Mecha nismen fürinnerstaatliche Konflikte, bei denen die Kon -fliktregelungsmechanismen der internationalenStaatengemeinschaft nicht greifen.

Weiterhin nahm die politische und gesellschaft-liche Diskussion sowie die internationale Politikeine andere Richtung: Es zeichnete sich eineneue Welle des Interventionismus ab - auchmit militärischen Mitteln. Die Eingriffe ge -schahen noch im Kontext der Friedens sicher ung,etwa im Rahmen der Vereinten Nationen. ImKosovokrieg von 1999 verließ die internationaleStaatengemeinschaft - im Namen der Menschen-rechte - erstmals diesen Rahmen. In den Folge -jahren zeichnete sich ein weiterer neuer Trendimmer deutlicher ab: Zunehmend wurden ent-wicklungspolitische Instrumente der Konflikt -bearbeitung als Folge maßnahmen von Inter -ventionen eingesetzt. So führten internationaleTruppen so genannte Entwicklungsprojektedurch, aber vorrangig ging es darum, die Truppen-sicherheit zu erhöhen und der Anwesenheitmilitärischer Ein heiten eine zivile Legitimationzu verleihen. Es bleibt zu fragen, ob der 11.September 2001, wie oft behauptet, wirklicheinen Wendepunkt internationaler Politikmarkiert - oder ob er nicht vielmehr Trendszum dramatisch schnellen Durchbruch ver-half, die bereits auf dem Vormarsch waren.

Lebenschancen und Zukunft der Armenversus "Sicherheit Europas" Die grundlegenden Orientierungspunkte derauswärtigen Beziehungen der EuropäischenUnion verändern sich, stellte 2005 eine Studiedes Verbandes Protestantischer Entwicklungs -or ganisationen in Europa (APRODEV) fest.4

Die EU betont die "Außen- und Sicherheits -politik" und im öffentlichen Bewusstsein

6 Mit Konflikten umgehen

Wie lassen sich Friedensprozesse voranbringen?Diese Frage beschäftigt Menschen und Orga ni-sationen in allen Ländern der Welt. Stärkt oderschwächt unser Handeln die Fähigkeit einerGesellschaft, Konflikte gewaltfrei auszuhandeln,fragen sich Organisationen der Sozial- undEntwicklungsarbeit. Und welche Rollen könnenund sollen wir einnehmen, damit unser HandelnFrieden voranbringt? Wie lässt sich Friedenstiften? Mit dieser Frage beschäftigt sich auchder Evangelische Ent wicklungs dienst (EED):In der Unterstützung der Partnerorganisa tionenim Süden, in internationalen und kooperativenNetzwerken, der Bildungs- und Lobbyarbeithierzulande.

diskutierten die Erkenntnisse daraus in mehrerenKonsultationsrunden. Eine zentrale Schluss -folgerung: Frieden lässt sich nicht aus derSumme von Aktivitäten und Projekten aufad-dieren. Es bedarf gezielter und bewusster Ver -knüpfungen unterschiedlicher Aktivitäten undAkteure, um Konfliktdynamiken konstruktivzu beeinflussen.

Friedenspolitik im Wandel der ZeitAnfang der 1990er Jahre nährte das Ende desOst-Westkonfliktes die Hoffnung, dies könnteeine "Friedensdividende", also eine neue welt-politische Dynamik nach sich ziehen und zu -sätzliche Ressourcen für Frieden und Ent wicklungfreisetzen. Ein Perspektivwechsel kündigte sichan, hatte sich doch die These vom Wandel durchAnnäherung (Egon Bahr, Willy Brandt) alsLösungsweg für den "Kalten Krieg" bewahrheitet.Das Konzept der gemeinsamen Sicherheit unddie Idee von der "Politik der kleinen Schritte"(Wilhelm Wolfgang Schütz) schienen damiteine echte Chance zu haben, sich in der inter-nationalen Friedenspolitik durchzusetzen. Dieshätte die Einsicht bedeutet, dass Welt sicherheitimmer nur die Sicher heit aller Menschen ge -meinsam und nicht die Sicherheit einer Gruppevor einer anderen sein kann. Und die Einsicht,dass Friedens stiftung nur als Prozess gedachtwerden kann, in dem Schritt für SchrittStrukturen geschaffen und Kommunikations -grundlagen gelegt werden, die gewaltfreie Kon-

4 Association of World Council of Churches related Development Organisations in Europe (APRODEV): WessenSicherheit? Zusammenführung und Eigenständigkeit der Sicherheits- und der Entwicklungspolitik der EuropäischenUnion.(Autor: Robinson, Clive). Deutsche Fassung herausgegeben von Brot für die Welt und EED; Stuttgart/ Bonn,Dezember 2005, S. 7

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schiebt sich ein Sicherheitsverständnis in denVorder grund, das sich an der Wahrnehmungvon Bedrohungen orientiert. Dies führt zuStra tegien, die primär auf Abwehr ausgerichtetsind. Andere politische Ziele verlieren an Be -deu tung: Sei es die Verpflichtung auf den Frieden,den der EU-Verfassungsentwurf noch betont;sei es die langfristig angelegte Armutsbe kämpfung,auf die sich die Vereinten Nationen im Jahr2000 in den Millenniumszielen verpflichtethaben.5 "Die Lebenschancen und die Zukunftder Armen", werden für "eine vermeintliche‚Sicherheit Europas' geopfert", fasste CliveRobinson die Ergebnisse der Studie zusammen.6

Unter der Bedrohung des globalen Terrorsrücken die Sicherheitsbelange der nördlichenWelt in den Vordergrund. Sie verdrängen dieRealität der Menschen im Süden aus der Wahr -nehmung nördlicher Entscheidungs träger.Denn die Armen, die täglich durch Unsicher heitbedroht sind, würden Sicherheit oft gänzlichanders buchstabieren. Für sie ist zum Beispielein "schwacher Staat" oft nicht das vorrangigeProblem, denn sie haben zu oft die Erfahrunggemacht, dass auch ein "starker Staat" ihnenUnsicherheit und Bedrohung brachte. UndFrauen und Kinder, die von Gewalt in Kon -flikten besonders bedroht sind, würden Sicher -heit auch anders definieren als Männer.

Die Verkürzung von Sicherheit wird auch denMenschen im Norden nicht gerecht. "Sicher -heit ist unteilbar", betonen die kirchlichenEntwicklungswerke Misereor, Brot für die Weltund der EED. "Weder Nord noch Süd nocheinzelne Staaten können sie für sich allein ge -winnen und bewahren, ohne sie der Mehrheitder Bevölkerung und der Völker zuzugestehen.Sie ist umfassend und beinhaltet zwingend auchwirtschaftliche und soziale Sicherheit als einwichtiges Gut für alle Menschen. Sie zu ver -wirkl ichen erfordert einen globalen Interessen -ausgleich, der vom Norden erhebliche Zuge -ständnisse und Ver änderungen verlangen wird."7

Die kirchlichen Hilfswerke verfolgen die "Hoff -nung auf eine in Verantwortung vor Gott ge -staltete gerechtere und friedensfähige Welt".Entwicklung bleibt deshalb ein "Prozess derBefreiung von Hunger, Armut, Krankheit undUnterdrückung" mit dem Ziel, "den Armenund an den Rand Gedrängten zu ihrer Würdeund ihrem Recht zu verhelfen."8

In eine ähnliche Richtung gehen Konzepte der"menschlichen Sicherheit", die vor allem durchUN-Initiativen bekannt wurden. Auch sie ver-knüpfen menschliche Sicherheit mit Überle-gungen zu menschlicher Entwicklung, ihreUmsetzung erfordert ein globales politischesUmdenken. Alle diese Ansätze unterscheidensich grundlegend von einer Sicherheits defi nition,die selbstzentriert auf Gefahrenabwehr fixiertist: "Nicht Angst bewegt uns, sondern die Über -zeugung, dass eine andere Welt notwendig undmöglich ist."9

Die Trends auf der politischen Ebene im Nordenweisen allerdings in eine andere Richtung.Sicherheitskonzepte denken humanitäre, politischeund militärische Elemente mehr und mehrzusammen und verknüpfen sie enger mitein-ander. Die Unabhängigkeit von Nothilfe kanndadurch in Gefahr geraten. Und es entsteht derEindruck, als ob militärische InterventionenFrieden schaffen könnten. "Finden wir unsdamit ab", provozieren die kirchlichen Hilfs -werke, "Aufräumarbeiten und Aufbauhilfenach dem Einsatz von Militär zu leisten?"10

Sicherheit steht im Zusammenhang mit demAbbau ökonomischer Ungleichheit und einergerechten Verteilung der Lebenschancen, derEinhaltung der Menschenrechte, der Stärkungrechtsstaatlicher und demokratischer Struk turenund dem Schutz der natürlichen Lebens grund-lagen. Die langfristig vorrangige Aufgabe istdie Analyse und Beseitigung von Konflikt ur -sachen. Sie ist "durch ein kurzfristiges militärischesKrisenmanagement von Symptomen nicht zu

5 Die Vereinten Nationen haben im Jahr 2000 acht Entwicklungsziele (Millennium Development Goals /MDG) vereinbart. Dazu gehört unter anderem, die Zahl der Armen bis zum Jahr 2015 zu halbieren.

6 APRODEV 2005, S. 6 7 Misereor, Brot für die Welt, EED: Entwicklungspolitik im Windschatten militärischer Interventionen? 2003, S.28 ebenda 9 ebenda 10 ebenda

Die Perspektive wechseln 7

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Militärische Interventionen bringenbestenfalls die Waffen zum SchweigenNicht nur die Vorstellung von Sicherheit auchdie Konzepte zur Konfliktbearbeitung drohendramatisch vereinfacht zu werden. Diskurseim Norden verengen inzwischen die komplexenFragen der ausländischen Intervention in dieKrisen anderer Länder auf den Aspekt der "mili-tärischen Friedensmissionen" und der damiteinhergehenden zivil-militärischen Zu sammen-arbeit. Der Rückgriff auf militärischeOptionen als politisches Mittel liegt heute auchin Deutsch land wieder nahe. Der proklamierteVorrang ziviler Konfliktbearbeitung tritt in derPraxis in den Hintergrund - und damit auch

die lang fristige Perspektive des Friedens."Militärische Interventionen können (...) besten-falls die Waffen zum Schweigen bringen", beto-nen EED, Brot für die Welt und Misereor. "Diemühsame Auf gabe des gerechtenInteressenausgleichs, der Versöhnung und derSchaffung friedensfähiger politischer undgesellschaftlicher Strukturen ist jedoch nurpolitisch zu lösen und muss im Wesentlichenvon der betroffenen Gesellschaft selbst geleistetwerden. Frieden muss 'von innen' wachsen."13

Welche Konsequenzen zeigt die verändertenördliche Perspektive im Süden? Partner be -richten, dass sich die Möglichkeiten zur Kon -fliktbearbeitung in ihren Ländern verschlechterthaben. Leichter als bisher fällt es jetzt Regierungenim Süden, kritische Stimmen aus der Gesell schaftunter Terrorismusverdacht zu stellen, einzu-schüchtern oder mundtot zu machen. Der "Krieggegen den Terror" hat in den Staaten des Südensdie Rahmenbedingungen für interne Akteure,die Konflikte bearbeiten möchten, verschlechtert.

Bisher wichtige Kriterien wie die Achtung derMenschenrechte müssen zurücktreten. "Sollenwir es begrüßen", so fragen die Geschäfts führun -gen der kirchlichen Hilfswerke Misereor, Brotfür die Welt und EED im Jahr 2003, "dass auchRegierungen, die Menschenrechte verletzen,die ihre eigene Bevölkerung unterdrücken undkorrupt sind, unvermittelt zu Empfängern vonEntwicklungshilfe werden, weil man hofft, aufdiese Weise das Bedrohungspotenzial in ihrenLändern abzubauen?"14 Wichtiges Terrain istverloren gegangen, das mühsam wieder erkämpftwerden muss.

Konflikt, Gewalt und Krieg im Wandelder ZeitSeit dem Ende des Ost-West-Konfliktes hat dieZahl bewaffneter Konflikte um insgesamt 40Prozent abgenommen, konstatiert der HumanSecurity Report.15 Innerhalb dieses Gesamt -

8 Mit Konflikten umgehen

11 EKD: Schritte auf dem Weg des Friedens, EKD Texte 48, Hannover 1994, S. 1412 EKD 1994, S. 1213 Misereor, Brot für die Welt, EED, 2003, S. 314 ebenda S. 115 vgl. Human Security Report. War and Peace in the 21st Century, Human Security Centre 2005;

(http://www.humancurityreport.info). In diesem Trend liegen auch das Stockholm International Peace ResearchInstitute (SIPRI - www.sipri.org) und die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung mit ihrem Kriege-Archiv(www.sozialwiss.uni-hamburg.de).

16 vgl. Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung, HIIK: Konflikt-Barometer 2007. 16th Annual ConflictAnalysis (http://www.hiik.de/de/konfliktbarometer/index.html)

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niedrige Intensitätmittlere Intensitäthohe IntensitätGesamt

Konflikte niedriger, mittlerer und hoher Intensität weltweit von 1945 bis 2007

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ersetzen"11 ,so schon 1994 die Evan gelischeKirche in Deutschland (EKD). "Es sind inter-nationale Organisationen und das Völker recht,die dem Schutz vor widerrechtlicher Gewaltdienen und eine Kultur des Um gangs mitMinderheiten und Menschen anderer ethnischerHerkunft, die der In tole ranz und natio nal istischenTendenzen entgegenwirkt."12

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17 Mary Kaldor prägte den Begriff der "Neuen Kriege" im Jahr 1999; Kaldor, Mary: Neue und alte Kriege, Frankfurt/Main 199918 Grävingholt, Jörn; Hofmann, Claudia; Klingebiel, Stephan: Entwicklungszusammenarbeit im Umgang mit nicht-

staatlichen Gewaltakteuren, DIE Studien 24, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Bonn 2007

trends gibt es jedoch große Schwankungen inder Zahl der Kriege und der intensiven gewalt-samen Konflikte. Das Konfliktbarometer desHeidelberger Instituts für Internationale Kon -fliktforschung benennt für Kriege und bewaff-nete größere Konflikte 1992 einen Höhepunktvon 42 und einen Tiefstand von 28 im Jahr2005. In 2006 stieg diese Zahl auf 35 und liegtin 2007 bei 31.16

Als Hauptgründe des Rückgangs nennen dieForschungsinstitute das Ende des Ost-West-Konfliktes, die Arbeit der Vereinten Nationenund die vielen Aktivitäten der Friedensför derung.Weitere Gründe sind ein ausgeglichenes Wirt -schaftswachstum, die Herausbildung demo-kratischer Regierungssysteme, die eine Beteili -gung aller Bevölkerungsgruppen sicherstellen,und die wachsende Kompetenz staatlicher Organezu transparenter und verantwortlicher Re gierungs-führung. Doch in vielen Fällen, so die For -schungsinstitute, werden bewaffnete Konflikteauch unterdrückt und eingehegt, ohne dassihre Ursachen bearbeitet und gelöst werden.Sie bleiben also als Gefahren für zu künftigenFrieden aktiv.

Verändert hat sich das Erscheinungsbild krie-gerischen und gewaltsamen Geschehens. DerBegriff der "Neuen Kriege" skizziert die aktu -ellen Konflikte, die sich jenseits des klassischenzwischenstaatlichen Krieges oder des Bürger -krieges vollziehen.17 Die Akteure der Gewaltsind "Unternehmer" und "Pistoleros", die ihreGeschäfte am besten in einem unsicheren undgewaltsamen Umfeld machen können. Es gehtnicht um das Absetzen von Diktatoren oder dasErlangen von Macht sondern um Profite undMarktkontrolle. Gekämpft wird mit immerbrutaleren Methoden, die Grenzen zwischenKonflikt und Kriminalität verwischen zusehends.Zivilisten, nicht andere Soldaten, sind häufigdie Zielscheibe ihrer Operationen.18

"Kriegerische Auseinandersetzungen" umProfite und MarktkontrolleDie Schauplätze der "Neuen Kriege" sind vorallem in Afrika. Dort starben in den ersten Jahrendes 21. Jahrhunderts mehr Menschen als inallen anderen Regionen der Welt zusammen.Verbreitete Armut, zusammenbrechende tradi-tionelle Strukturen der gegenseitigen Unter -stützung, die schlechte Infrastruktur und eineschwache öffentliche Verwaltung kommen hierzusammen mit einem Überfluss an billigenHand feuerwaffen und leichtem Kriegsgerät.Deshalb lassen sich Konflikte in Afrika be son -ders schwer friedlich bearbeiten, eindämmenoder beenden. Im Gegenteil: es entstehen nichtenden wollende Spiralen immer wiederkeh-render Gewalt.

Die Zivilgesellschaft gerät als Friedens -akteur in den BlickAuch angesichts dieser neuen Bedrohung fürdie Sicherheit von Zivilpersonen gerät das in -ternationale Staatensystem mit seinen Instru -menten an seine Grenzen. Staatliche Akteurewie die UN, die EU und nationale Regierungenermutigen deshalb zunehmend nichtstaatlicheOrganisationen, eine aktive Rolle in bestehen-den kriegerischen Ausein andersetzungen zuübernehmen und sich bei Friedensver hand -lungen einzumischen, während sie genau diesvorher oft aktiv zu verhindern suchten. Zivil -ge sellschaftliche Akteure sind damit in dasBlickfeld und das Umfeld staatlicher Konzeptezur Krisenprävention geraten.

Dieser Perspektivwechsel hat zwei Effekte: Zumeinen nehmen die staatlichen Institu tionen wahr,dass lokale Akteure sowohl vor Ort, wie aufinternationaler Ebene, schon seit langem mitder Transformation von Konflikten befasstwaren. Zum anderen hat es die Organi sationendarin bestärkt, ihre Erfahrungen systematischzu reflektieren, um ihre Fähig keiten, Instru menteund Ansätze zu verbessern.

Bereits seit Mitte der 1990er Jahre setzen sichinsbesondere Entwicklungsorganisationen imSüden mit dem Zusammenhang von gewaltsa-

Die Perspektive wechseln 9

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men Konflikten und den Chancen ihrer Ent -wicklungsarbeit auseinander. Wenn lokaleKriegs herren immer stärker in das globale Systemder Produktion und Verteilung von natürlichenRessourcen integriert sind - etwa durch illegaleGeschäftsbeziehungen mit Unternehmen, dieRohstoffe wie Öl fördern oder den illegalenHandel mit Rohstoffen wie Coltan oder Dia -manten - nimmt die zerstörerische Wirkungder Konflikte vor Ort unübersehbar Einflussauf jeden Versuch von Armuts bekämpfungund den Einsatz für ein menschenwürdigesLeben. Allein der Blick auf die kriegerischenAus ein andersetzungen wird aber der Realitätvon Kon flikten nicht gerecht, wie sie Organi sa-tionen in vielen Ländern der Welt als Hinder nisfür ihre entwicklungspolitische Arbeit erleben.Abseits des Medieninteresses und zumeist auchder Forschung bilden Konflikte unterhalb derSchwelle von Krieg und massiver organisierterGewalt die Mehrzahl der gewaltsamen Konflikt-situationen. Laut Konfliktbarometer 2006 wirdin 243 von 278 Konflikten nur gelegentlichGewalt angewendet, beziehungsweise werdensie überwiegend gewaltlos ausgetragen.19

Es ist eine immer wiederkehrende Erfahrungder Förderarbeit des EED: Organisationen inden Konfliktgebieten sind in ihrem Einsatz fürein menschenwürdiges Leben täglich mit Ge -walt und Repression konfrontiert sowie struk-turellem Unrecht wie dem systematischen Aus -schluss bestimmter Bevölkerungsgruppen ander politischen, wirtschaftlichen und sozialenTeilhabe. Sie verstehen ihre Arbeit daher auchals Konfliktbearbeitung. Sie setzen sich dafürein, dass kritische Phasen in der Ent wicklungihres Landes friedlich gemeistert werden, wennsie beispielsweise Gewalt gegen Frauen bekämpfen,im Vorfeld von Wahlen staatsbürgerliche Bild -ungsarbeit machen oder Wahlbeobachtungenorganisieren. Solche ge waltpräventive Arbeit -vom einzelnen Wahl kreis bis zur Mitarbeit in

staatlichen Kommis sionen - bleibt oft von derAußenwelt unbeachtet und wird nicht als Kon-fliktbearbeitung honoriert. Die betroffenenMachteliten - und nicht nur sie - kritisierendiese Arbeit im Ge genteil oft als unzulässigePolitisierung der Entwicklungs zusammenarbeitund Einmischung.

Außenwahrnehmung und Innen wahr -nehmung in Konfliktsituationen Gerade diese Arbeit ist für einen dauerhaftenFrieden aber von großer Bedeutung. LokaleEntwicklungsorganisationen, die sich für demo-kratische Strukturen einsetzen, Mitbestimmungeinfordern und Wege für gewaltfreie Konflikt -lösungen erarbeiten, verhindern auf lange Sichtdas Aufbrechen schwelender Konflikte, dieEska lation der Gewalt. Ist die Situation bereitseskaliert, unterstützt das Enga gement lokalerOrganisationen die Chance auf den Erfolg vonFriedensprozessen. Denn es zeigt sich deutlich:"Frieden muss von innen wachsen!" Das war1999 der Titel und gleichzeitig das Leitthemaeines Werkstattberichts von sechs kirchlichenEntwicklungswerken (AGKED)20. Der Berichtbeschrieb die Er fahrungen von Partnerorgani -sationen aus Afrika, Asien und Lateinamerika,die ihre Projektarbeit aufgrund innerstaatlicherKrisen und Gewalt nicht in der geplanten Formfortsetzen konnten. Dennoch gaben sie ihreEnt wicklungsarbeit nicht auf. Sie gaben sichauch nicht damit zufrieden, die Not der Zivil -be völkerung zu mindern, die diese aufgrundder Krisen durchlitt. Sie mischten sich in dieKon flikte ein. Bewusst griffen sie die politischenund sozialen Spannungen in ihrer Gesellschaftund deren gewaltsame Eskalation auf. Sie stelltenihren Arbeitsansatz um und trugen im Umfeldder Projekte zum Gewaltabbau bei. Und sieengagierten sich dafür, dass das Zusammen -leben zwischen verfeindeten Gruppen wiedermöglich wurde. Inzwischen haben die Partner -organisationen des EED weiter Erfahrungen

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19 Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK): Konfliktbarometer 2006, S. 120 Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst (Hg.): Frieden muss von innen wachsen - Zivile

Konfliktbearbeitung in der Entwicklungszusammenarbeit; Werkstattbericht der kirchlichen Hilfswerke Brot für dieWelt, Dienste in Übersee, Evangelisches Missionswerk, Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe, KirchlicherEntwicklungsdienst und Misereor; Bonn/Stuttgart/Aachen 1999.71 S.; http://www.eed.de/de.info.150/index.html

21 Evangelische Kirche in Deutschland (EKD): Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. Gewaltsame Konflikte und zivile Interventionen an Beispielen aus Afrika - Herausforderungen auch für kirchliches Handeln; Eine Studie der Kammer für Entwicklung und Umwelt (Hg.), EKD-Texte 72, Hannover 2002, S. 55

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22 Auga, Michéle: Krisen und Kriege in einer entgrenzten Welt. Anforderungen an eine deutsche Friedenspolitik, Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2007.

23 Das Roherz Coltan ist die Abkürzung für Columbit-Tantalit. Aus Coltan wird vorrangig das seltene und teure MetallTantal (Ta) gewonnen. Tantal wird im chemischen Anlagenbau, in der Raumfahrtindustrie und in der Computer- undKommunikationstechnologie (z.B. in Mobiltelefonen) verarbeitet. Das amerikanische VerteidigungsministeriumPentagon hat Tantal als "strategische Ressource" eingestuft.

24 EED: Coltanfieber. Wie ein seltenes Metall das Leben im kriegsgeschüttelten Osten der Demokratischen RepublikKongo verändert hat (Autoren: Johnson, Dominic; Kayser, Christiane, Tegera, Aloys), EED, Bonn 2002.

25 Diese Erfahrung hat auch das Netzwerk katholischer Entwicklungsorganisationen (CIDSE) im Jahr 2005 gemacht:Study on Security and Development. A CIDSE Reflection Paper, Brussels, January 2006.

aus der Arbeit in und an gewaltsam ausgetra-genen Konflikten gemacht. Sie haben sie aus-gewertet und ihre Ansätze und Methoden weiterentwickelt. Die Ergebnisse dieses Prozesses sindin der vorliegenden Broschüre zusammengefasst.

"Frieden [kann] durch externe Interventionengefördert, aber nicht geschaffen [werden]"21 .Der Vergleich der Erfahrungen aus unterschied -lichen Projekten und Ländern zeigt überraschendeParallelen. Erfolgreiche Konfliktbearbeitungund Gewaltprävention findet häufig bei Pro -blemen zwischen sozialen Gruppen statt, ohnedass ein ganzes Land von ausländischen Or -gani sationen oder den Medien als krisenhaftangesehen wird, so die Erfahrung vieler Partner-organisationen des EED aus ihrer Arbeit. Einekontinuierliche, praktische, am Prozess orien-tierte Unterstützung vergrößert den Aktions -radius der lokalen Organisationen in Krisen -ländern unmittelbar und nachhaltig und istdeshalb unverzichtbar. Aber die Fragen nach"Gerechtigkeit und Frieden" können nicht alleinaus nördlicher Perspektive beantwortet werden.Das stärkste Potenzial, um Friedens prozesseerfolgreich zu machen, ist in den Gesellschaftenmit gewaltsamen politischen und sozialenAus einandersetzungen selbst. Auf der dekla-matorischen Ebene wird dies nicht bestritten.Auf der konzeptionellen Ebene, in Diskursenum Friedensförderung und -entwicklung inEuropa und den Vereinigten Staaten und aufder Finanzierungsebene sieht das anders aus.Menschen aus dem globalen Norden denkensich Lösungen für Probleme aus, von denenvornehmlich Menschen im globalen Südenbetroffen sind oder sein werden.22

Der Ansatz kirchlicher Entwicklungszu sammen -arbeit ist ein anderer. Er leitet sich ab aus derErkenntnis, die aus der langjährigen entwicklungs-politischen Zusammenarbeit mit Partnerngewonnen worden ist: Maßnahmen, die gesell-

Die Perspektive wechseln 11

Die internationale Dimension lokaler Konflikte

Das POLE-Institut in Goma / Kongo, eine Partnerorganisation des EED,hat im Jahr 2000 eine Studie zum Abbau des Erzes Coltan 23 verfasstund die Konsequenzen für die Konfliktdynamik im Kongo bewertet.Der EED hat diesen Bericht im deutschen Sprachraum veröffentlicht.In der Studie kommen Betroffene zu Wort. "Das fügt", so die Autoren,"der internationalen Diskussion eine lokale Dimen sion hinzu, dieansonsten in der Debatte um die Ausbeutung der natürlichen Re -ssourcen des Kongo unberücksichtigt bleibt." Die Autoren von POLEwollen damit auch der eigenen Bevölkerung Mut machen, ihre An -gelegenheiten selbst mitzugestalten. "Nur die selbst bestimmte Ge -staltung des Kongo durch die Kongolesen kann das historische Musterbeenden, wonach die Ressourcen des Landes bisher immer ohneEinbeziehung der Bevölkerung von Kräften inner- und außerhalbdes Landes ausgebeutet wurden."24 Ein solches historisches Muster,Konflikte in erster Linie von der Außenwahr nehmung her zu inter-pretieren, betrifft nicht nur den Kongo und die Ausbeutung vonRohstoffen dort. Es betrifft die meisten Länder und Regionen desSüdens, wo Konflikte gewaltsam ausgetragen werden und damitweite Bereiche der Diskurse um Friedens förderung und Sicherheit.25

Debatten über Formen des Interventionismus, über Sicherheit, Frie -den und Friedensförderung, die im Norden die Intellekte bewegenund die Geldströme ordnen, schlagen im Süden als konkrete Hand -lungschancen oder -begrenzungen durch. Sie er öffnen Mög lich keitenoder bergen Risiken und wachsende Unsicherheit.

schaftliche Transformation, politische Reformenund wirtschaftliche Teilhabe bewirken wollen,können dann dauerhafte Wirksamkeit erreichen,wenn sie von der lokalen Bevölkerung gewolltund getragen sind, wenn lokales "ownership"gegeben ist. Ziel der Friedens för derung desEED ist daher, Analysen, Beschrei bungen undBewertungen von Menschen und Organisationenin Konfliktsituationen aufzugreifen, sie zu unter-stützen, ihre eigenen Lösungsansätze und -strategien zu entwickeln und umzusetzen unddie "Stimmen aus dem Süden" in die politischen,gesellschaftlichen und fachlichen Diskussionenim eigenen Land einzubringen.

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liche Unterlagen zurückgegriffen, sie er hieltenoffene oder versteckte Unterstützung einzelnerkirchlicher Mitarbeiter oder gar kirchlicherInstitutionen.26

Aber bedeutet das, dass lokale Akteure immerparteilich und damit eher Teil des Problemsdenn der Lösung sind? Oder dass von außenintervenierende Akteure eher eine unparteilicheRolle spielen können? Lokale Akteure sindimmer in vielfältige Loyalitäten eingebunden.Hierzu gehören verwandtschaftliche Beziehungen,die Zugehörigkeit zu Religions gemeinschaften,eine gemeinsame Geschichte etwa durch denBesuch der gleichen Schulen und Ausbildungs-einrichtungen, nicht zuletzt auch politischeund ideologische Überzeugungen. Zivilge sell -schaftliche Akteure haben sich im Wissen umdiese Einbettung in die Konfliktsituation inNetzwerken und Allianzen organisiert. Auf fälligoft finden sich sehr unterschiedlich orientierteOrganisationen und Akteure zu sammen. "DieZusammenarbeit in den Netz werken zwingtuns, unsere eigenen Überzeugungen zur Dis -kussion zu stellen und uns mit anderen Sicht -weisen auseinander zu setzen. So finden wirbessere Lösungen und Strategien und habeneine breite Unterstützung. Es schützt uns auch,denn nur gemeinsam können wir stark sein",erläutert ein Partner im Südsudan.

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26 McCullum, Hugh: The Angels Have Left Us: The Rwanda Tragedy and the Churches. Herausgegeben vom Ökumenischen Rat der Kirchen (Neuauflage), Genf 2005

27 Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) erstellt eine derartige"Krisenfrühwarnung" (http://www.bmz.de/de/themen/frieden/index.html): Es beauftragt das "German Institute forGlobal and Area Studies" in Hamburg jährlich mit einer Messung von Krisenindikatoren und der Einstufung vonLändern bezüglich der Konfliktsituation (www.giga-hamburg.de).

Von außen eingreifende Friedensakteure sindnicht von vornherein in der Lage, eine unpar-teiliche Rolle zu spielen. Wie das obige Beispielillustriert, sind lokale Konflikte immer auch innationale, regionale und internationale Interesseneingebunden. Diese Einbindung ist der vonGewalt betroffenen Bevölkerung bewusst, sieleidet täglich darunter. Externe Akteure sinddarum darauf angewiesen, eine fundierte undbreite Vertrauensgrundlage zu haben, wenn sieGewalt deeskalierend und Frieden fördernd ein-greifen wollen. Der EED hat die Erfahrung ge -macht, dass die kirchliche Friedensarbeit dorteinen wirksamen Beitrag leisten konnte, wodie entwicklungspolitische Zusammen arbeitauch unter äußerst schwierigen Umständen undtrotz großer Probleme durchgehalten wurde.

Die "Deutungshoheit" liegt im Norden In der zwischenstaatlichen Entwicklungszu -sammenarbeit werden Listen der Länder er -stellt, in denen das Risiko gewaltsamer Kon -fliktaustragung als hoch eingeschätzt wird.Wird auf diese Weise Präventionsbedarf fest-gestellt, soll die Entwicklungszusammenarbeitmit dem jeweiligen Land konfliktsensibel aus-gerichtet werden.27 Die Deutungen nördlicherExperten und Expertinnen entscheiden alsodarüber, ob und ab wann Konfliktbearbeitungzum Thema und Förderungsschwerpunkt derEntwicklungshilfe wird und vor allem in welchenLändern. Die Beispiele in dieser Broschüre -etwa aus Indien oder Kenia- zeigen aber, wiewichtig die Arbeit auch in Gesellschaften ist,deren Konfliktpotenzial in Warnlisten als geringeingeschätzt wird. Die Zusammenarbeit kirch-licher Hilfswerke mit ihren Partnern gründetauf Langfristigkeit und eine kontinuierliche,gemeinsame Überprüfung der Arbeit und derVeränderungen in ihrem Umfeld. Sehr oft werdenso Spannungen im sozialen Gefüge erkennbarund bearbeitbar, bevor sie eskalieren. So könnenNichtregierungsorganisationen (NRO) überihre Programme hinaus wichtige Beiträge beiKonfliktlagen leisten, die sich "von unten" her

Parteilichkeit, Unparteilichkeit undAllparteilichkeit Großen Raum in der Diskussion über die Rollezivilgesellschaftlicher Akteure nimmt die Frageein, welche Rolle unterschiedliche Akteurespielen. Lokale zivilgesellschaftliche Akteurehören oft, sie seien eher Teil des Problems alsTeil der Lösung. Denn in vielen Konflikt situa -tionen haben auch zivilgesellschaftliche Orga -nisationen dazu beigetragen, dass es zu einergewaltsamen Konfliktaus tragung gekommenist. Für die Kirchen und kirchlichen Werke isthier vor allem der Völkermord in Ruanda eintraumatisches Ereignis. Nicht nur haben dieOrganisatoren des Völkermords auch auf kirch-

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abzeichnen, und so in ihrer Gesell schaft vor-handene strukturelle Probleme frühzeitigangehen. Damit reduzieren sie langfristig dieGefahren von Gewalt als Folge schwelenderKonflikte. Sind die Probleme einmal eskaliert,haben sie häufig Ansatzpunkte oder Bezieh -ungen in der Gesellschaft, die zum Abbau derGewalt dynamik oder der sie auslösenden sozi-alen, wirtschaftlichen, politischen oder kultu-rellen Faktoren führen können. Auch wenn esunter diesem Blickwinkel betrachtet sinnvollerscheint, lokale Organisationen in Friedens -prozesse einzubeziehen, ist dieser Ansatz dochauch innerhalb westlicher Entwicklungs- undFriedens organisationen umstritten.

Nichtregierungsorganisationen, über derenArbeit in dieser Broschüre berichtet wird Der EED arbeitet im Ausland mit nichtstaat-lichen Organisationen zusammen, die in ihremLand verankert und rechtlich registriert sind.Diese sind sehr unterschiedlich: in ihrem Man dat,ihrem Organisationstyp, ihrem gesellschaft-lichen Hintergrund, ihrer Größe, ihren Aktivi -täten, Ansätzen und Aktionsebenen. Einige derOrganisationen sind Fachstellen innerhalb natio-naler Kirchen, andere bringen unterschiedlichechristliche Konfessionen in einem Verbundoder für ein soziales Feld (z.B. Gesundheit,Bildung oder Menschenrechte) zusammen.Sozial- und entwicklungspolitisch engagierteNichtregierungsorganisationen sowie Frauen -gruppen gehören ebenso dazu wie Netzwerke,die eine Vielzahl von Akteuren für eine gemein -same Aufgabe zusammenbringen. Allen ge -meinsam ist, dass ihre ursprünglich entwicklungs -politische Arbeit immer mehr auch eine kon-fliktsensible, wenn nicht ausdrücklich friedens -fördernde Ausrichtung bekommt.

Kirchliche OrganisationenDie Church of South India (CSI) wurde vonmehreren protestantischen Kirchen der viersüdindischen Bundesstaaten Andhra Pradesh,Karnataka, Kerala und Tamil Nadu im Jahr 1947gegründet. Ihre Entwicklungsaktivitäten sindim "Board of Diaconical Ministries" gebündelt.

Im National Council of Churches of Kenya(NCCK), haben sich 1913 26 Kirchen und 16assoziierte Mitglieder - Freikirchen und

Die Perspektive wechseln 13

"African churches" - aus allen Regionen Keniaszusammengeschlossen.

Der Uganda Joint Christian Council (UJCC)ist ökumenisch ausgerichtet und bringt seit1963 die katholische, anglikanische und ortho-doxe Kirche in Uganda für gemeinsame Aktivi-täten zusammen.

In der Demokratischen Republik Kongo ist dasRéseau d'Innovation Organisationelle (RIO)das Entwicklungsbüro der Eglise du Christ auCongo (ECC) in der Provinz Südkivu.

Den Service Ecuménique pour la Paix (SeP)hat 1995 Reverend Luc Norbert Kenne mitMitgliedern unterschiedlicher Kirchen inKamerun als Nichtregierungsorganisationgeschaffen, die sich friedens- und gesellschafts-politischen Fragen widmet. Auf der Grundlagedes christlichen Glaubens engagiert sich dieOrganisation für gewaltfreie soziale Verän der -ung hin zu einer Gesellschaft, in der Beteiligungauf der Grundlage von Frieden, Recht undAussöhnung möglich ist.

FrauenorganisationenOlakh, das Feminist Documentation, Resourceand Counselling Center, ist Zufluchtsort, Doku-mentations- und Beratungszentrum in einem.1993 in einem Konflikt zur Ansprache undUnterstützung der Frauen ins Leben gerufen,war es das erste Frauenzentrum im indischenBundesstaat Gujarat. Olakh heißt "Identität"und nimmt Bezug auf die Verschiedenheit derMenschen als Frauen und Männer und ihrenanderen geschlechtlichen, religiösen und sozi-alen Identitäten.

Sahr Waru - Women's Action and ResourceUnit (gegründet 1997, ebenfalls in Gujarat) istder regionale Zweig der "National Alliance ofWomen", zu der Frauenorganisationen aus 12indischen Bundesstaaten gehören.

Nichtregierungsorganisationen und NetzwerkeDas Informal Sector Service Centre (INSEC)ist eine Menschenrechtsorganisation in Nepal(gegründet 1988). In 75 Distrikten des Landesarbeitet INSEC mit Freiwilligen und lokalen

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14 Mit Konflikten umgehen

NRO zusammen, die die Menschen rechts -situation beobachten und in der Menschen -rechts erziehung und Lobbyarbeit aktiv sind.

In der Sierra Leone Adult EducationAssociation (SLADEA) (1978 gegründet)haben sich Orga nisationen, die in der Er -wachsenen bildung tätig sind und aus allenProvinzen des Landes stammen, in einemVerband zusammengeschlossen.

Das Institute for Social Democracy (ISD) hatseinen Sitz in New Delhi / Indien. Seit 2004berät es Basisgruppen und Entwicklungs or -ganisationen, wie sie in ihrem Umfeld mitFanatismus und daraus resultierenden Spannungenzwischen Menschen unterschiedlicher religiöserund kultureller Traditionen umgehen können.

Das Hill Tracts NGO Forum (HTNF) in Bangla-desh ist ein seit 1999 existierender Zusammen-schluss von 63 lokal verankerten Nichtregierungs-organisationen der in den Chittagong HillTracts beheimateten indigenen Minderheiten.Diese leiden seit Gründung des Staates Bangla -desh unter der systematischen Besiedlungspolitikder Bangla-dominierten Regierung.

Im entlegenen und seit Jahrzehnten von Gewaltbetroffenen nordostindischen BundesstaatManipur haben sich 1995 multiethnischeNRO mit unterschiedlichen Arbeitsfeldern zurUnited NGO Mission in Manipur (UNMM)zusammengeschlossen, heute gibt es über 100Mitgliedsorganisationen.

Ein überregionalesNetzwerk ist das SouthAsia Forum for HumanRights (SAFHR),(gegründet 1992).Dieses Menschen -rechts forum mit Sitzin Kathmandu / Nepaldient der Verabredungvon Aktionen, dem Aus -tausch und der Fortbildungvon 35 Menschen rechts -organisationen aus Sri Lanka, Indien,Pakistan, Bangladesh, Bhutan und Nepal.

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Auf dem Weg zur Konfliktbearbeitung Diese Organisationen und Netzwerke sind keinetraditionellen Friedensorganisationen. Diemeisten haben seit langer Zeit Ent wicklungs -arbeit geleistet und darin einen Beitrag gesehen,um Gerechtigkeit und Frieden in ihrer Gesell -schaft zu fördern. Sich aktiv auf die Suche nachkonstruktiven Lösungen in Konflikten zu be -geben, erforderte einen bewussten Schritt vonder mittelbaren zur unmittelbaren Friedens -förderung. Auslöser dafür waren immer sichzuspitzende Konflikte im Umfeld der bisherigenArbeit und das Risiko von Gewalt. Oder es wareine Bürgerkriegssituation, die eine unveränderteFortsetzung bisheriger Entwicklungs aktivitätenunmöglich machte.

Der EED hat in seiner Partner-Förderung oftdie Erfahrung gemacht, dass lokale Organisa -tionen Konflikte und ihre Eskalationsgefahr,die sich auch aus ihrer Arbeit ergeben, nichtignorieren können. Wenn zum Beispiel dasEngagement die Selbstorganisation der Armenförderte und diese eine größere Beteiligung angesellschaftlichen Entscheidungsprozessen for-derten, kollidierte diese Wahrnehmung vonRechten schnell mit vorhandenen Machtstruk -turen. Die Erkenntnis dieser Zusammenhängeerforderte Ansätze, mit denen Auseinander -setzungen geregelt oder politisch behandeltwerden können, um die Gewaltschwelle nichtzu überschreiten. Hinter einem vordergründigenKonflikt verborgene strukturelle Faktoren warengenauso zu berücksichtigen wie die Be reit schaft,Spannungen friedlich zu bearbeiten oder ge -waltlos auf die Macht anderer zu reagieren.

Als mächtiges Gegenüber bei ihrer Arbeit er -fahren Friedensorganisationen den Staat, densie in verschiedenen und widersprüchlichenRollen wahrnehmen. Regierungen, Behördenund die gesellschaftlichen Eliten, die Staats -apparate steuern, werden oft als eine zentraleQuelle von Unsicherheit in der Gesellschafterlebt. Gleichzeitig setzen sich immer wiedereinzelne Institutionen oder Personen im

Staats apparat engagiert für zivile Mecha nismenzur Beilegung von Konflikten oder konstruktiveLösungen zur Reduktion von Gewalt ein. DiePartnerorganisationen versuchen den ständigenSpagat, mit staatlichen Stellen zu kooperierenund sie zur Wahrnehmung ihrer Verant wortungfür gute Regierungsführung und Rechenschafts -legung gegenüber den Bürgern und Bürger -innen zu drängen, ohne sich von ihnen verein-nahmen zu lassen. Dabei machen sie oft dieErfahrung, dass sie von staatlichen Gesprächs -partnern misstrauisch beäugt und nicht alsPartner bei der Suche nach Auswegen aus ge -sellschaftlichen Spannungen geschätzt werden.

Bewusste Entscheidungen für entwicklungspo-litische Friedensarbeit trafen auch Organisa -tionen, die, wie die Sierra Leone AdultEducation Association (SLADEA), aus Ländernkommen, deren Konflikte den "neuen Kriegen"zuzurechnen sind. In lang andauernden, blind-wütigen Auseinandersetzungen, bei denen sichpolitische, ökonomische und kriminelle Be -weg gründe vermischen, versuchen sie Voraus -setzungen für eine verlässliche, gerechte unddauerhafte Friedensstruktur herzustellen. Undsie arbeiten an der Versöhnung zwischen Men -schen, die Leid erfahren oder verübt haben. Sounterschiedlich sich die Konflikte zeigten, ihreUrsachen waren in der Regel ähnlich: Es gingum die Kontrolle und Aus beu tung von Res -sourcen, den Ausschluss der Bevölkerung vonRechten und Zugängen, um die Gewalt patriarch-aler Macht oder um schlechte Regierungsführung.

Das folgende Kapitel stellt - in Interviews undKurzberichten - die Arbeit der 13 Nichtre -gierungsorganisationen vor. Wer sie sind, wiesie arbeiten und welche Erfahrungen undLernprozesse sie gemacht haben. Dabei wirddeutlich, wie sich die Rolle lokaler Organisa -tionen, ihre Handlungsstrategien und ihre Po -sitionierung in ihren Gesellschaften veränderthaben. Die Beispiele machen erkennbar, wieund warum sich die Reichweite des Handelnslokaler Organisationen bis auf die internatio-

Auf dem Weg zur Konfliktbearbeitung

Die Perspektive wechseln 15

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nale Ebene erweitert hat. Die Vielfalt der Pro -bleme und Herausforderungen zeigen die unter -schiedlichen Konfliktkonstellationen in denendie Organisationen agieren. Sind sie auf loka-ler Ebene, im ganzen Land, in offenen Kriegen,in Nachkriegssituationen oder in der Gewalt -prä vention tätig? Gibt es Gemeinsamkeiten -auch wenn die Organisationen in unterschied -lichen Konfliktlagen tätig sind, unterschiedlichereligiöse Hintergründe haben und jeweils ganzeigene Profile? Die Beispiele münden in dieFragen: Wie lassen sich aus diesen Gemein sam-keiten Lehren ziehen für internationales, frie-denspolitisches Handeln? Und wo sind die Gren-zen dessen, was zivilgesellschaftliche Akteureerreichen können und wo liegt die Verant wortungbei anderen Akteuren?

Wie Frieden von innen wächst -Erfahrungen von Organisationen inKonfliktregionen Für viele zivilgesellschaftliche Organisationenist das Eintreten für Frieden und das Bemühenum konstruktive Lösungen der neuen Kon flikteeine häufig riskante und noch ungewohnteHerausforderung. Um in konfliktreichen Re -gionen langfristig Frieden zu sichern, müssendie Menschen vor Ort sich befähigen, neueWege zu gehen, Strukturen für friedliche Kon -fliktlösung aufzubauen, politische Teilhabe ein-zufordern und übernehmen zu können. Siemüssen Wege in die Öffentlichkeit finden, umdie politischen und wirtschaftlichen Interessenbekannt zu machen, die häufig die regionalenKonflikte am Leben erhalten. Dabei könnenund müssen die internationalen Staaten orga -nisa tionen sowie staatliche und nichtstaatlicheEntwicklungsorganisationen sie unterstützen.Dementsprechend profitieren die Projekt partnervon einer Vielzahl verschiedener Aktivitäten,wie der Fortbildung in Strategieplanung, Öffent -lichkeitsarbeit, in Methoden der Kon flikt bear -beitung oder bei der Organisationsent wicklung.Viele Projekte wären ohne finanzielle Unter -stützung aus dem Ausland gar nicht möglich.Trotzdem, so die Überzeugung des EED, müssendie Einschätzungen und Zielsetzungen derZivilbevölkerung, die Expertise engagierterAktivistinnen und Aktivisten aus der Konflikt -region den Kernpunkt jeder Friedens- undEntwicklungsarbeit bilden. Dabei sind sich

sowohl der EED wie auch die lokalen Organi -sationen selbst durchaus der Risiken bewusst.

Deshalb haben sich beispielsweise die achtsüdasiatischen Organisationen, die im voran-gegangenen Kapitel vorgestellt wurden, schonseit 2004 intensiv mit der Frage auseinander-gesetzt: In welcher Wechselbeziehung steht dieEntwicklungsarbeit von Partnerorganisationender Region mit Faktoren der Konfliktkontexte,in denen sie arbeiten? Die sich daraus ableiten-den Schlussfolgerungen und Empfehlungenhat der EED im September 2006 in der Fach -publikation "People Building Peace" veröffent-licht. Im Oktober 2005 flossen die Reflek tions-ergebnisse der asiatischen Organisationenauch in die Lernwerkstatt "Development in aTroubled World - Dealing with Conflict inConstructive Ways" ein. Hier luden die Arbeits-stelle Frieden und Konfliktbearbeitung, dieArbeitsstelle FriEnt des EED sowie die Re feratefür die Programmförderung in Afrika undAsien Teilnehmende aus Asien und Afrika zueinem gemeinsamen Lernprozess über konstruk-tive Konfliktlösungswege ein. Sie verbandendie Lernwerkstatt mit einem öffentlichenFachgespräch in Bonn unter Teilnahme weitererdeutscher NRO und VertreterInnen aus Minis -terien. Auf diese Weise bot die Veranstaltungsowohl die Möglichkeit zur kritischen Selbst -reflektion als auch zu Lobbyarbeit in Deutsch -land. Die Erfahrungen, Reflektionen und Er -gebnisse, die die Vertreterinnen und Ver treterder verschiedenen Organisationen in Bonnmiteinander ausgetauscht und erarbeitet haben,stellt diese Broschüre einem breiten Publikumvor. Der EED nimmt damit Stellung für Frie -densförderung durch Unterstützung der Initia -tiven ‚von unten', für ein Verständnis von Frie -densförderung als Prozess und für ver ant wort -liches Handeln auf internationaler Ebene. Dasheißt, überall da, wo wirtschaftliche und politischeInteressen, die weit über den lokalen Konflikthinausgehen, einer stabilen Veränder ung imWeg stehen.

16 Mit Konflikten umgehen

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Lokale Gemeinschaften wissen, was fürsie Frieden bedeutet Genauso, wie der EED dafür plädiert, die Kennt -nisse, Kontakte und Erfahrungen lokaler Akteurefür die Gestaltung von Friedensprozessen zunutzen und bei der Planung eng mit ihnenzusammenzuarbeiten, machen auch die Partner -organisationen des EED die Erfahrung, dassihre Zielgruppen genaue Vorstellungen überdie bestehenden Konflikte haben. Die Menschenvor Ort sind darüber im Bilde, worum es beiihnen geht und wie der Konflikt sie berührt.Sie wissen, wer die Akteure sind, die Weichengestellt haben oder stellen können. Sie verstehenderen Interessen und kennen die Kräfte, dieGewalt anheizen. Und mehr noch: Die lokalenGemeinschaften wissen, was für sie Frieden be-deutet. Es mag ihnen an Mut mangeln, sichaktiv einzumischen, aus Angst vor Repressalienseitens der Kriegsparteien. Es mag ihnen anMöglichkeiten fehlen, eine echte Veränderungherbeizuführen. Aber dennoch wissen sie, wasin ihrem Umfeld Frieden ausmacht und wieman ihn erreichen kann.

"Lokale Gemeinschaften wissen, wie und was!",betonen die verschiedenen Partner des EEDwieder und wieder und fordern, die Hand -lungschancen für Aktivitäten ,von unten' zuverstärken. Für Friedensengagierte liegt des-wegen eine Herausforderung darin, sorgsamzuzuhören und Ansätze für Friedensarbeit zu

Die Perspektive wechseln 17

Mediation in einem Flüchtlingslager

Uganda Joint Christian Council (UJCC), Uganda

Canon Grace Kaisso (Generalsekretär): "In einem Flüchtlingslager inNord-Uganda kam es zu tödlichen Zusammenstößen zwischen ver-schiedenen sudanesischen Flüchtlings gruppen sowie zwischen ihnenund den Camp-Verantwortlichen. Wir wurden zu Hilfe gerufen, umRacheaktionen zu stoppen und den Konflikt zu lösen. Als Mitarbeiter -innen und Mitarbeiter des UJCC berieten wir uns zunächst mit denVerantwortlichen jeder ein zelnen Gemeinschaft. Wir wollten diePer sonen finden, die in der jeweiligen Gruppe mithelfen konnten,die Gewalt zu beenden. Mit ihnen zusammen organisierten wir an -schließend eine Veranstaltung, bei der alle Beteiligten einen Auswegaus den Ausein ander setzungen entwickeln sollten.

Männer, Frauen, Jugendliche, religiöse und kulturelle Meinungsführer -insgesamt etwa 60 Personen - kamen zu dem fünftägigen Treffenzusammen. In Konflikttransformation erfahrene Mediatorinnen undMediatoren des UJCC leiteten die Klausur, die in einer Universitätweit weg vom Flüchtlingslager stattfand. Spirituelle Reflektionenwaren ebenso Teil des Treffens wie das Aussprechen und Teilen derGefühle über den Vorfall und die Ursachen für Probleme des Zu -sammenlebens im Lager. Die Beteiligten identifizierten gemeinsamdie Situation und überlegten Möglichkeiten zur Lösung. Sie entwickelteneinen Plan zur Umsetzung und lernten von den UJCC-Mediatorinnenund Mediatoren einige Techniken der Vermittlung zwischen Gruppenund der friedlichen Konflikt transformation.

Das Treffen hatte mit einem wütenden Austausch zwischen den Gruppenbegonnen. Doch nach und nach beruhigten sich die Teilnehmendenund fanden konstruktive Wege zueinander. Sie vereinbarten einen

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28 EED-Lernwerkstatt mit Partnern aus Südasien und Afrika: Development in a Troubled World - Dealing with Conflict and Violence in Constructive Ways; Workshop Documentation for Participants, compiled by Hagen Berndt; Bonn 2006.

18 Mit Konflikten umgehen

Rahmen, der künftig gute Beziehungen zwischen den Stämmenermöglichen soll. Dazu zählte ein "Beratungskomitee der Älteren",zu dem geistliche Führer, Inhaber traditioneller Stammespositionenund der Kommandant des Flüchtlingslagers gehörten. Bei Streit fragenwar dieses Komitee einzuschalten. Daneben wurde ein "Beobachtungs -komitee" aus dem Kommandanten, Vertreterinnen der Frauen undder Jugendlichen sowie Vertretern der religiösen Gruppen gebildet.Es sorgte dafür, sich abzeichnende Streitthemen frühzeitig zu erkennenund dem Beratungs komitee zu Gehör zu bringen.

Als weitere Schritte beschlossen die Beteiligten, die jeweiligen Stämmesofort über die Vereinbarungen der Klausur in Kenntnis zu setzen.Dann sollten sich die Verantwortlichen der Stämme treffen, um vonden anderen Versöhnung zu erbitten. Gemeinsam sollten die 60 Hüttenwieder aufgebaut werden, die während der Zusammenstöße abge-brannt worden waren. Vom UJCC aus übernahmen wir die Verant -wortung dafür, die Stämme bei der Umsetzung der Vereinbarungenzu unterstützen. Wir halfen bei der Beschaffung und beim Transportdes Materials für die Hütten. Nach dem erfolgreichen Wiederauf bauder Hütten feierten die Gemeinschaften ein großes Versöhnungsfest.

Was hat den Erfolg unseres Eingreifens in den Konflikt ausgemacht?Für uns als UJCC sind vier Punkte wichtig:

die räumliche Distanz des Treffens vom Lager,

die Bereitschaft des staatlichen Kommandeurs, sich an der Kon-fliktbeilegung zu beteiligen und neue Strukturen zu akzeptieren,

unsere Fähigkeit als UJCC, auf die Anfrage rasch und vor einer weiteren Eskalation zu reagieren und

unsere respektvolle Haltung gegenüber den Führerinnen und Führer in den Gemeinschaften, die möglichst alle in die Verant -wortung für den Aushand lungs prozess und die Umsetzung seinerErgebnisse einbezog.

Wichtig war auch, dass wir die Gruppen bei der Analyse und derEntwicklung eines praktikablen Plans unterstützt haben, der klareRegelungen für künftige Konfliktfälle und zur Frühwarnung aufge-stellt hat. Von den Beteiligten wurden wir in unserer Rolle alsMediatorinnen und Mediatoren wahrgenommen und als fähigbetrachtet, die Verhandlungen und den Umsetzungsprozess zuunterstützen. Wir haben nicht kurzfristig Harmonie hergestellt, son-dern Weichen für ein zukünftig besseres Zusammenleben gestelltund die Flüchtlinge haben dieses Ziel mit ihrem Fest symbolischbestätigt." 28

Vor Ort wird definiert, was den konkreten Frie -den ausmacht. Darin sind sich die verschiedenenPartner des EED einig. Externe Friedensar beiter -innen und Friedensarbeiter sollten ihre eigenenVorstellungen, was Frieden im jeweiligen Kontextheißt, beiseite lassen. Stattdessen ist ihre Fein -fühligkeit gefordert, zu verstehen, was für dieBetroffenen Frieden bedeutet. In den meistenFällen heißt Friedensförderung auch, dass un -mittelbare Überlebensfragen anzupacken sind.Frieden entsteht dort, wo auch soziale Gerech tig -keit wächst - oder, wie Peter Gunja vom NCCKeinen lokalen Führer aus Kenia zitiert, mit demer zusammengearbeitet hatte: "Frieden kannman nicht essen!"

Genau hingesehen werden muss auch, wie sichim Zeitverlauf die Prioritäten für die Betroffenenändern. Das Frauennetzwerk Women's Actionand Resource Unit (Sahr Waru) hat die Über-lebenden des Genozids von Gujarat in Indienseit 2002 durch wechselnde Situationen begleitet.

entwickeln, die auf diesem Wissen der Gemein-schaften aufbauen und ihnen Möglichkeiteneröffnen, selbst Verantwortung für Wege zumFrieden zu übernehmen. Die Erfahrung desKirchenrates in Uganda ist hier beispielhaft.

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29 Mündlicher Bericht der Direktorin von Sahr Waru, Sheba George, während der EED-Lernwerkstatt, Bonn 2006

Die Perspektive wechseln 19

Streiten für Gerechtigkeit

Sahr Waru - Women's Action and Resource Unit, Gujarat/Indien

Sheba George, Direktorin von Sahr Waru: "Ende Februar 2002 geriet in der StadtGodhra im indischen Bundesstaat Gujarat ein Waggon des Sabarmati-Schnellzugs inBrand. 59 Menschen fanden den Tod. Danach verschlechterte sich die Situation inGujarat schnell. Obwohl bis heute die Gründe für das Feuer ungeklärt sind, waren sichdie Regierung von Gujarat und die ihr nahe stehende Presse sofort einig: Muslimische"Terroristen" seien für diese Provokation gegenüber der Hindu-Bevölkerung verantwort-lich. In ganz Gujarat wurden an den folgenden Tagen Muslime systematisch angegriffen.Läden und Häuser wurden in Brand gesetzt, religiöse Stätten von Muslimen und vonHindus zerstört und zwischen 1.000 und 2.000 Menschen getötet. Auch Jahre danachsteht die genaue Zahl der Getöteten nicht fest, da viele Familien keinen Totenscheinfür ihre gestorbenen Väter, Mütter, Brüder, Schwestern oder Kinder erhalten haben.

In vorher nicht erlebtem Ausmaß wurden Frauen zu Opfern in dieser Auseinandersetzung.Ein Zeitungsbericht hatte nach dem Zugunglück behauptet, dass Hindu-Frauen ausdem brennenden Zug heraus entführt, vergewaltigt, verstümmelt und umgebrachtworden seien. Bei Sahr Waru war uns sofort klar, dass Männer sich verpflichtet fühlenwürden, die Frauen ihrer Gemeinschaft zu verteidigen und zu rächen. Der Bericht legi-timierte eine Welle von sexueller Gewalt und Morden an muslimischen Frauen. Frauen"gehören" ihren Männern - so die generelle Einstellung, die Frauen in Indien zu Objektenmacht. Gewalt gegen Frauen der anderen Glaubensgemeinschaft auszuüben, war dahereine Machtdemonstration gegenüber den "anderen" Männern. Doch wurden auch Frauenin dem Konflikt zu Täterinnen; Hindu- und Dalit-Frauen beteiligten sich in Gujaratdirekt an den Morden.

Einige Monate später begannen wir - als Organisation von Frauen aus unterschiedlichenReligionsgruppen - in der Stadt Ahmedabad zu arbeiten. Wir sammelten Aussagen vonmuslimischen Frauen über ihre Situation als Mitglieder einer religiösen Minderheit undals Frauen. Wir stellten die Ergebnisse in einem Hearing vor, auf dem die Opfer desGenozids erstmals öffentlich sprachen. Damit gewannen wir Vertrauen bei den lokalenGruppen, die 2002 besonders stark unter Verfolgung gelitten hatten. Wir organisiertenNothilfe und engagierten uns in der Trauma- und Rechtsberatung für Opfer. Seitdemstreitet Sahr Waru gemeinsam mit den Überlebenden für die Bewältigung der Ver gan -genheit. Der unmittelbare Kontakt zu Überlebenden des Genozids, die Hilfe nach derVertreibung und die Zusammenarbeit in schweren Wochen - all das erhöhte unsereGlaubwürdigkeit in den Augen der Überlebenden. Sahr Waru ist so zu einem Sprach -rohr ihrer Belange geworden. Während die Regierung in Gujarat inzwischen "Versöhnung"propagiert und das Geschehene vergessen will, halten wir daran fest, dass vor Ver -söhnung die öffentliche Anerkennung von Verantwortung für Gewalt und neue, gerechtesoziale Beziehungen stehen müssen.

Als Frauenorganisation war uns auch wichtig, dass wir an einzelnen Stellen Männer undJungen, die von Gewalt betroffen waren, in unsere Traumaberatung einbeziehen konnten.Es scheint wichtig, Männer in Strategien gegen Gewalt einzubeziehen, aber es brauch-te eine lange Zeit, um das entsprechende Vertrauen zu erwerben."29

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Von Konfrontation zur Kooperation

Service Ecuménique pour la Paix (SEP), Kamerun

Kuenzob Dupleix und Ndi Richard Tanto (Mitarbeiter von SEP): "Wir standen im Galim-Subdistrikt im Westen Kameruns vor einer schwierigen Ausgangslage. Seit mehr als 25Jahren stritten sich fünf Dörfer über die Grenzen zwischen ihren Orten und immerwieder kam es zu Gewalt, vor allem wenn einzelne Politiker die Bewohner ge -geneinander ausspielten. Als Angehörige von SEP fuhren wir in die Dörfer um zu klä-ren, ob ein Interesse an einer friedlichen Konfliktbearbeitung bestand. Wir sprachenmit den religiösen Führern, den Vorsitzenden von Bauern organisationen undMitgliedern traditioneller Gruppen, wie diese den Konflikt sahen und welche Auswegesie sich vorstellen konnten.

Daraus resultierten zunächst getrennte Workshops mit Repräsentanten der Dörfer. Innach Geschlecht getrennten Gruppendiskussionen und mit den Jugendlichen erhobenwir zusätzliche Informationen und sammelten Ideen. Jedes Dorf besprach denKonflikt, seine Eskalationsrisiken und Möglichkeiten der Lösung. In einem gemeinsa-men Work shop erstellten dann Vertreterinnen und Vertreter aller Dörfer und deröffentlichen Verwaltung eine gemeinsame Analyse. Friedenskomitees entstanden undbegannen einen regelmäßigen Austausch zwischen den Orten zu organisieren.

Einen wichtigen Indikator für den Grad der Akzeptanz unserer Arbeit haben wir in derBeteiligung der Frauen der verschiedenen Dörfer gesehen. In einem der Orte fehltendie Frauen. Wir unternahmen daraufhin gezielte Aktivi täten mit Frauen der Kirchen -gemeinden, um die Gründe herauszufinden und sie und andere Frauen des Dorfes inden Friedensprozess einzubeziehen.Seit Mitte des Jahres 2004 beobachten wir, dass kulturelle und sportliche Veran -staltungen gemeinsam stattfinden. Märkte, die vorher kaum von allen besucht wurden,gewinnen wieder an Bedeutung. Ein ortsübergreifender Bauernzusammenschluss hatsich gebildet. Land an den Ortsgrenzen wird wieder bebaut und Häuser, die dort inder Vergangen heit niedergebrannt worden waren, wieder aufgebaut.

Democracy (ISD) Initiativen und Aktivisten,Menschen bewusster zu machen, dass ihre eigeneIdentität und die ihrer unterschiedlichen reli-giösen und ethnischen Gemein schaften voneinem "gemeinsamen kulturellen Erbe" ge prägtist. Und dieses Erbe kann gemeinsam und mitRespekt für Vielfalt weiterentwickelt werden.In Kamerun hat der Service Ecuménique pourla Paix (SeP) die Fähigkeit lokaler Gemein -schaften zur konstruktiven Zusammenarbeitgestärkt, die über viele Jahre hinweg in gewalt-same Auseinandersetzungen über die Land -nutzung verstrickt waren.

Kontexte und Ebenen der Friedensarbeit

Konflikte auf lokaler EbeneKonflikte spielen sich manchmal innerhalboder zwischen Dörfern oder verschiedenenBevölkerungsgruppen ab. An manchen Ortenhelfen die Partnerorganisationen des EED denGemeinschaften dabei, ihre Konflikte über denZugang und die Nutzung von Ressourcen wieWasser, Land, Weideland usw. zu bearbeiten.Der National Council of Churches of Kenya(NCCK) setzt beispielsweise auf Gemeinde -ebene an und hilft Frauengruppen, Älterenund den Verantwortlichen vor Ort, mit Kon -flikten zwischen Acker- und Viehbauern oderzwischen Hirtenvölkern umzugehen. Anders -wo führen Fragen der religiösen und kulturellenIdentität zu gewaltsamen Auseinander setzungen.In Indien befähigt das Institute for Social

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Offener Krieg und Krieg niedriger IntensitätDer EED fördert auch Nichtregierungsorgani -sationen, die Friedensarbeit und Konflikt trans-formation inmitten von Kriegshandlungen inihrer Gesellschaft betreiben. Ein Beispiel dafürist Réseau d'Innovation Organisationelle (RIO),das regionale Entwicklungsbüro der Eglise duChrist au Congo (ECC) im Osten der Demo -kratischen Republik Kongo. RIO verknüpftdirekte Anstrengungen zur Gewalt reduktionmit Aktivitäten, die langfristig Kompetenzen beider Bevölkerung und der Verwaltung stärkt,damit diese Region ihre Entwicklung selbstbestimmen kann.

Ein langjähriger Krieg niedriger Intensität wirdzwischen der Armee und verschiedenen be -waffneten Untergrundbewegungen in Nordost -indien geführt. Hier, im Staat Manipur, befähigtdas einheimische Netzwerk United NGOMission in Manipur (UNMM) Menschen auflokaler Ebene, die politischen, wirtschaftlichenund sozialen Aspekte des Konfliktes zu verstehen,der ihr Leben beeinträchtigt. Ziel ist, dass siekreative, gewaltfreie Strategien entwickeln, umdie Probleme zu lösen, die immer wieder zu ge-waltsamen Zusammenstößen führen. Der Wegdahin ist schwierig, denn er verlangt Vertrauenzueinander zu entwickeln, obwohl ethnischeVorurteile und über Jahr zehnte gewachsene Ani-mositäten bestehen. Heute hat das Netzwerketwa 200 Mitglieds organisationen in allen Dis -trikten Manipurs, darunter über 50 Frauen or -ganisationen. Es gilt in Südasien als Beispiel fürdie Entwicklung von demokratischen Strukturenüber ethnische, religiöse und Geschlechter grenzenhinweg und ist als Akteur der Friedens förderungin der Region sowie international anerkannt.

Nachkriegssituationen "Die Herausforderung ist, aus einem 'bürokra-tischen Frieden' einen 'Frieden der Menschen'zu machen", sagt Shecku Mansaray aus SierraLeone. Die Organisationen, mit denen der EEDzusammenarbeitet, sind oft in Ländern aktiv,in denen der offene Krieg erst vor kurzem einEnde gefunden hat, zumeist nach Verhandlungen.Solange die Ergebnisse eines Friedensschlussesnicht allgemein anerkannt sind und die be -troffenen Gemeinschaften sie sich nicht zueigen machen, kann ein dauerhafter Friedenkaum wachsen. Eine der Partnerorganisa tionenin einem solchen Kontext ist die Sierra LeoneAdult Education Association (SLADEA).Dieser Verband unterstützt den nationalenFriedens- und Versöhnungs prozess dadurch,dass er auf lokaler Ebene Opfer und Täter wie-der zusammenbringt und die Vergangen heitaufarbeiten lässt. So entstehen neue Formen dessozialen Zusammenlebens.

Der Eskalation vorbeugen Wirtschaftlicher, sozialer und politischer Wan -del bringt Widersprüche und Spannungenzwischen verschiedenen Gruppen zu Tage. Diemeisten Gesellschaften sind in der Lage, dieseKonflikte gewaltlos und konstruktiv auszutragen.Doch solche Prozesse münden auch in prekärenund unsicheren Situationen. Deshalb bemühensich in vielen Ländern zivilgesellschaftlicheGruppen und Organisationen darum, das Ab -rutschen in gewalttätige Auseinander setz ungenzu verhindern. Dafür ist die Arbeit des Natio -nalen Kirchenrates in Kenia ein gutes Beispiel.

30 Tanto, Ndi Richard: Monographic study of Galim Sub Division: A conflict perspective, Bamenda, April 2004; Tanto, Ndi Richard: From Conflict to Post Conflict Peacebuilding: A Narration of the Processes and Strategies used by Ecumenical Service for Peace to Establish the Basis for the Formation of the Balikumbat Sub Divisional Integrated Farmers Federation, April 2000-May 2004, Bamenda, June 2004

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Streitfragen wie der Grenzverlauf oder die Einrichtung von Schulen existierten weiterzwischen den Dörfern. Statt gewaltsam zu eskalieren, ist jetzt eher die Kompetenz deröffentlichen Verwaltung gefragt, sie endlich zu regeln. Als SEP haben wir dieEntwicklung des Friedensprozesses dokumentiert und machen jetzt eine aktiveLobbyarbeit bei den Behörden, damit diese in ihrem Verantwortungsbereich endlichtätig werden."30

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Mit langem Atem zum friedlichen Wandel

Nationaler Kirchenrat von Kenia / National Council of Churches of Kenya (NCCK), Kenia:Staatsbürgerliche Bildung und Wahlbeobachtung

"In den 1980er Jahren konzentrierte in Kenia das Einparteiensystem die Macht in wenigenHänden. Das verstärkte die Auseinandersetzungen um die Zuteilung öffentlicher Res -sourcen zwischen Regionen und Ethnien. Als NCCK gehörten wir zu den ersten, dieeine neue Verfassung forderten, um einer weiteren Zuspitzung der Konflikte und derDestabilisierung des Staates entgegen zu steuern. Als auch internationale Geldgebervon der kenianischen Regierung ein Mehrparteiensystem verlangten, begannen sichVeränderungen abzuzeichnen. Das Risiko war aber mit Händen greifbar, dass derÜbergangsprozess aufgrund politischer Konfrontation oder der wirtschaftlichen undsozialen Widersprüche in Gewalt münden könnte.

Zusammen mit anderen nationalen Religionsgemeinschaften starteten wir ein langfristigangelegtes Programm. Politiker, die herrschende Partei und eine Vielzahl von Akteurender Zivilgesellschaft auf allen Ebenen der Gesellschaft wurden aktiv, um den Wandelzu einer Mehrparteien-Demokratie friedlich zu gestalten. Als NCCK übernahmen wirVermittlungsfunktionen zwischen politischen Gruppen, organisierten Veranstaltungenzur staatsbürgerlichen Bildung und sorgten in dem stark religiös geprägten Land dafür,dass die Kirchen den Prozess pastoral unterstützten und Konfrontationen entlang eth-nisch-religiöser Polarisierungen abbauten. Wir nehmen unsere Verantwortung alsStimme des friedlichen Wandels weiter ernst. Bei den Wahlen im Jahr 2002 haben fast30.000 Beobachter und Beobachterinnen den Urnengang überwacht. Organisiertwurde dies vom Kenya Domestic Observation Programme, an dem neben dem NCCKund der Kommission Gerechtigkeit und Frieden der katholischen Kirche auch zweiNichtregierungsorganisationen, der Hindu Council und der Supreme Council of KenyaMuslims beteiligt waren."

Lokale Friedensarbeit - Community Peace Building and Development Project (CPBD)

Als Reaktion auf gewaltsame Zusammenstöße zwischen unterschiedlichen Ethnien inWestkenia initiierte der NCCK 1992 das Community Peace Building and DevelopmentProject, zunächst aus dem Stegreif als Hilfe für die Opfer gewaltsamer Vertreibungen.

Es wurde zum Ausgangspunkt des Rural Women Peace Link, eines Netzwerks vonFrauenorganisationen, das sich aktiv für Friedensarbeit und Versöhnung einsetzt.Das Projekt war auch ein entscheidender Durchbruch, um die Interaktion zwischenden Ethnien zu beleben. Es verankerte auf lokaler Ebene das Verständnis über dieKonflikte und stärkte die lokalen Fähigkeiten zur Konfliktkontrolle.

Nationale Friedensagenda und Friedensprogramm

Der NCCK dehnte die Friedensförderung auf ganz Kenia aus und etablierte im Jahr2000 die nationale Agenda für Frieden. Sie sollte die Ursachen für Konflikte im ganzenLand identifizieren und ansprechen. Im Jahre 2003 wurde das NCCK Peace Program (NPP)geschaffen, das die lokale und die gesamtstaatliche Ebene integriert. Es sucht in ganzKenia die Gemeinschaften dafür zu gewinnen, für Frieden, Wiederaufbau, Versöhnungund Stabilität aktiv zu werden."31

31 zusammengefasst nach Mutava, Musyimi: Multi Party Politics and Civic Education, Nairobi 2006; Vortrag von Gunja, Peter, beim EED-Fachgespräch. "Frieden muss von innen wachsen", Bonn, 25. Oktober 2005; siehe auch: Kisaka, Oliver: Zivil ge sell schaft ist zentral für den Wandel. in: Reformpartnerschaft mit Afrika. Dokumentation zur Internationalen Konferenz der GKKE vor dem G8-Gipfel 2007; Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung, Berlin/ Bonn 2007, S. 18

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Wie der Evangelische Entwicklungsdienst die Friedensarbeit des kenianischen Kirchenrates unterstützt

Als der NCCK seine Friedensarbeit in Kenia begann, förderte dieEvangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe e.V. (seit 1999 Teildes Evangelischen Entwicklungsdienstes) den Kirchenrat finanziell.Schnell zeigte sich, dass die internationalen Geberstaaten eineandere Vorstellung von Demokratisierung hatten als die kenianischenKirchen und zivilgesellschaftlichen Akteure. Um die Vorstellungen desKirchenrates deutschen Entscheidungsträgern bekannt zu machen,organisierte die damalige Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungs-dienst (AG KED) eine mehrtägige Fachveranstaltung in Bonn. Dorttrugen Vertreterinnen und Vertreter der kenianischen Partner ihreVorstellung von Demokratisierung vor und diskutierten mitVertretern deutscher Ministerien und Bundestagsabgeordneten ihreErwartungen an die Geberstaaten.

Seit 1992 vermittelte der EED auf Wunsch der kenianischen Kirchenzu den Wahlen jeweils eine Gruppe deutscher Wahlbeobachterinnenund Wahlbeobachter die gemeinsam mit den Beobachtern der keni-anischen Kirchen die Wählerregistrierung, die Wahlveranstaltungenund dann den Wahl tag und die Auszählung der Stimmen begleiteten.Internationale Beobachter sollten durch ihre Präsenz die lokalenBeobachter schützen und zugleich ihre Beobachtungen und Er -kenntnisse nach ihrer Rückkehr in Gesprächen mit Abgeordnetenund Vertretern der verschiedenen Ministerien vortragen.

Mitarbeitende des EED begleiteten immer wieder Vertreterinnenund Vertreter der kenianischen Kirchen und deutsche kirchenleitendePersönlichkeiten bei Interventionen gegenüber der Bundesre gierungoder der Europäischen Union, weil es im Zusammenhang mit Wahlenzu gewaltsamen Auseinandersetzungen und Übergriffen der kenia-nischen Sicherheitsorgane gegen die Bevölkerung oder die Kandi -daten der Oppositionsparteien gekommen war.

Wandel in den Organisationen Der EED stellt bei seiner Arbeit mit den lokalenNRO immer wieder fest, dass auch sie sichdurch die Arbeit an den Konflikten ihrer Gesell-schaften als Organisationen verändern. Siehaben einen zum Teil tiefgreifenden Wandelerlebt, auch in ihrer internen Struktur undAufstellung. Die Organisationen sind "politischer"geworden und werden auch so wahrgenommen.Je mehr sie in die Rolle von Vermittlern kommen,desto wichtiger wird es, dass Mandat undMission mit den praktischen Tätigkeiten über-einstimmen. Während sich eine Organisationzum Beispiel noch als landwirtschaftliche Ent -wicklungsorganisation definierte, waren Mit -arbeitende bereits dazu übergegangen, alsKon fliktmediatoren und -innen zu arbeitenund mit staatlichen Stellen über Landrechts -fragen zu verhandeln. Verlangen Konflikt dyna -miken dies, könnten also Anpassungen desMandats notwendig werden. Wenn OrganisationenThemen wie Menschenrechte, Friedensför der -ung und Gerechtigkeit aufgreifen, erhöht sichdas Risiko für die Mitarbeitenden. Fragen vonpersönlicher Sicherheit werden Thema undauch, motiviertes Personal zu bekommen.Vernetzung wird wichtig, einmal im engerengesellschaftlichen Umfeld mit gleich gerichtetenOrganisationen, aber auch international. DieOrganisationen analysieren politische Rahmen-bedingungen genauer und mit größerer Regel -mäßigkeit. Das Verhältnis zur Regierungbedarf aufmerksamer Beobachtung: sowohl,wenn es dauerhaft konstruktiv bleibt, als auchbei konfrontativen Beziehungen. "Inklusivität",also das Einbeziehen aller Akteure undAkteurinnen, auch derer mit anderenPositionen, ist in den Vordergrund vonAktivitäten getreten. Prag matisch wird ausge-lotet, welche politischenEinwirkungsmöglichkeiten auf die Konflikt -dynamiken es gibt, die es gleichzeitig erlauben,der Vision von "Entwicklung, Gerechtigkeitund Frieden" glaubwürdig treu zu bleiben.

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Allianzen und NetzwerkeEntwicklungsorganisationen, die sich auch derKonfliktbearbeitung widmen, betonen demEED gegenüber regelmäßig die Bedeutung vonAllianzen und Netzwerken bei der Arbeit fürFrieden. Ihre eigene Rolle sehen sie vornehm-lich darin, Gemeinschaften und Menschen zustärken, im Sinne von ‚Empowerment' ihreeigenen Interessen wahrzunehmen und dieseProzesse zu moderieren. Beides erfordert gute

Beziehungen zu Akteuren aus den Konflikt par -teien vor Ort, die im weiteren Verlauf des Ge -schehens eine aktive Rolle spielen. Genau sohat der Uganda Joint Christian Council (UJCC)seine Rolle im Flüchtlingslager verstanden: AlsHilfestellung, damit die Gemeinschaften mitihren eigenen Problemen vernünftig umgehenkonnten. Die erste wichtige Allianz dafür wardie mit den Personen im Lager, die ein In teresseam Ende der Gewalt hatten.

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Empowerment

Von ‚to empower': ermächtigen, befähigen, der Grundstamm des Wortes power - bedeutetMacht. Empowerment ist ein Oberbegriff für Interventionen und Veränderungsprozesse,die Menschen dazu verhelfen sollen, mehr Kontrolle über ihr Leben zu gewinnen. Istseit der 3. Weltfrauenkonferenz 1986 in Nairobi ein Schlüsselkonzept der internationalenfeministischen Bewegung, findet aber im gesamten Kontext der Entwicklungszu sammen-arbeit, sozialer Arbeit, in der Psychologie, der Pädagogik bis hin zur Management -theorie Verwendung. Das Süd-Frauennetzwerk DAWN (Development Alternatives withWomen for a New Era) stellte Empowerment auf der Konferenz 1985 als "frauenpoliti-sche Strategie von unten" vor. Diese Strategie basiert auf dem Verständnis sozialerBeziehungen, insbesondere Ge schlecht erbeziehungen, als Machtverhältnisse. Für dieArbeiter- und Gewerkschaftsbewegung in Chicago hatte Saul Alinsky ähnliche Ansätzeschon 1946 in seiner "Anleitung zum Mächtigsein" formuliert.

In der Entwicklungszusammenarbeit beschreibt Empowerment einen Denk- und Arbeits-ansatz, der darauf abzielt, benachteiligten Gruppen, insbesondere Frauen, die aktiveMitgestaltung politischer Prozesse zu ermöglichen. Empowerment ist die "Befähigungzur politischen Teilhabe", die die Selbst organisation von Gruppen unterstützt und siedamit befähigt, ihre Interessen zu vertreten - beispielsweise Kontrolle von und Zugangzu Ressourcen zu sichern, sich kollektiv gegen Gewalt zu engagieren oder eine aktiveRolle in Konfliktbearbeitungsprozessen einzunehmen.

Die UN-Resolution 1325

wurde am 31. Oktober 2000 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) einstimmigverabschiedet. Mit der Resolution 1325 fordert der UN-Sicherheitsrat die VN-Mitglied -staaten auf, für eine stärkere Beteiligung von Frauen auf allen Ebenen der institutio-nellen Verhütung, Bewältigung und Beilegung von Konflikten Sorge zu tragen (Art. 1).Zudem betont die Resolution 1325 die Verantwortung der Nationalstaaten für dasEnde der Straffreiheit bei Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit undKriegsverbrechen, insbesondere bei sexueller Gewalt gegen Frauen (Art. 11). Artikel 8der Resolution fordert die Staaten auf, die Geschlechterperspektive bei drei zentralenAspekten von Friedensprozessen gezielt einzubeziehen. Das sind:

Rückführung, Neuansiedlung und Wiederaufbaumaßnahmen nach Konflikten

Einbeziehung von Frauenorganisationen in friedensbildende Prozesse

Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte von Frauen und Mädchen in den Verfassungen, beim Wahlsystem, der Polizeigewalt und der Rechtsprechung.

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Die UN-Resolution 1325 ist ein wichtiger Meilenstein für die feministische Friedens politik.Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen hat der UN-Sicher heitsrat einenvölkerrechtlich bindenden Beschluss gefasst, der Frauen an Entscheidungen über Kriegund Frieden beteiligt und die Geschlechterperspektive berücksichtigt.(http://www.glow-boell.de/de/rubrik_2/5_740.htm#Rund)

Resolutionstext: http://www.frauensicherheitsrat.de/1325.html

Ähnlich verstehen die Mitglieder der UnitedNGO Mission in Manipur (UNMM) ihreRolle. Sie wollen die Fähigkeit in derZivilgesellschaft vergrößern, sowohl mit denKriegsparteien als auch mit denKonfliktursachen umzugehen. Daher bestehtdie UNMM aus einer Vielfalt vonOrganisationen der Zivilgesellschaft unter-schiedlicher ethnischer und religiöserHerkunft und schließt Frauenorganisationenmit ein. Die vielfältigen Identitäten innerhalbdes Netzwerks ermöglicht der UNMM den

Zugang zu vielen Gruppen und Institutionenaußerhalb, selbst zu ethnischen Hardlinern,wenn sie aus derselben Gruppe stammen.Über die ethnische und religiöseZugehörigkeit können auch Mitarbeitende inder Verwaltung und Parlamentarier erreichtwerden. "Wir müssen die Menschen zumgewaltlosen Protest befähigen", benenntNobokishore Singh, Generalsekretär vonUNMM die Herausforderung der Arbeit. EineAufgabe, der sich allerdings die Gesellschaft alsGanzes stellen muss.

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Wie der Evangelische Entwicklungsdienst die Friedensarbeit in Manipur unterstützt

Der EED hat das multi-ethnische Netzwerk von NRO in Manipur UNMM kontinuierlichdabei unterstützt, Kapazitäten für ein konkretes und direktes Friedensengagement desNetzwerks aufzubauen. Zu diesem Zweck ermöglichte der EED in den letzten 12 Jahrensystematisch die methodische Weiterbildung der UNMM Mitarbeiterinnen und Mitar -beiter in konfliktsensibler Entwicklungsarbeit und in Ansätzen der Konflikttrans formation.Der EED vergab dazu Stipendien und organisierte vor Ort Multiplikatorinn enfortbil dungenmit qualifizierten Beraterinnen.

Um die internationale Lobbyarbeit des Netzwerkes zu verstärken, vermittelte der EEDden Kontakt zu einem weltweit tätigen EED-Partner, der Tebtebba Foundation. Dieseinternationale Organisation indigener Völker bildet die Mitarbeiterinnen und Mitar -beiter von UNMM aus, hilft ihnen, die Mechanismen und Strukturen des UN-Systems zuverstehen und zu nutzen, hilft beim Verfassen von Menschenrechtsberichten. So konnteUNMM im März 2007 einen Bericht über die Auswirkungen der indischen Notstands ge -setzgebung AFSPA (Armed Forces Special Powers Act) dem Komitee zur Ausmerzungrassischer Diskriminierung der UN (Committee for the Elimination of Racial Discrimi -nation, CERD) in Genf vorlegen. Dieser Bericht hatte zur Folge, dass das UN Komiteedie indische Regierung aufforderte, Stellung zu beziehen. Die Antwort Indiens steht aus.

2008 wird sich das UN-Komitee wieder an die indische Regierung wenden und - fallseine Reaktion der Regierung ausbleibt - weitere Maßnahmen einleiten. UNMM führtsein Engagement gegenüber dem Komittee CERD weiter. Im Jahr 2008 ist UNMM außer -dem an weitere UN-Gremien herangetreten: an den UNO-Ausschuss für wirtschaft liche,soziale und kulturelle Rechte und - im Rahmen des neuen Verfahrens Universal PeriodicReview - an den Menschenrechtsrat der UN.

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Die Standfestigkeit betont der National Councilof Churches of Kenya (NCCK) bei der Bildungvon Allianzen. Es gelte, Strukturen zu bilden,die auf ihren eigenen Füßen stehen können undin denen Menschen Verant wortung übernehmen,betont Peter Gunja, (Leiter des Friedenspro -gramms des NCCK). Darüber hinaus vermehrtdie Zusammenarbeit in Netz werken die Res -sourcen. Netzwerke legen ‚schützende Ringe' -‚protective rings', wie sie der NCCK nennt -um die einzelnen Organi sationen. Personenund Gruppen, die der Ge walt widerstehenoder bei der gewaltsamen Eskalation nichtmitmachen wollen, werden von den Konflikt -parteien oft unter Druck gesetzt oder sehensich offenen Drohungen gegenüber. Auch Nepalhat eine eigene Ge schichte von Drohungen undAngriffen gegen Friedensaktivisten. Um dieSichtbarkeit von Friedensarbeit zu erhöhen,haben sich deshalb dort zivilgesellschaftlicheOrganisationen auf nationaler und internatio-naler Ebene in Alli anzen und Netzwerken wiedem Interreligious Council, dem Civil Solidarityfor Peace und dem International Nepal Soli -darity Network engagiert. Die internationaleUnterstützung gibt den Friedensinitiativenzumindest ein gewisses Maß an Schutz.

Die Medien bieten auch Schutz, denn sie könnenwirksam national und - ganz wichtig - inter-nationale Aufmerksamkeit mobilisieren. BeimÜberspringen von Kommunikations barrierenkönnen sie eine konstruktive Rolle spielen; siemachen auch vor Grenzbäumen nicht Halt. Inder Demokratischen Republik Kongo hat eineeuropäische Regierung die Rolle übernommen,internationale Medien zu mobilisieren, umderen Aufmerksamkeit auf die Friedensini tiativedes Réseau d'Innovation Organisationelle (RIO)zu lenken. Dies wiederum ermutigte die Ge -meinschaften in Ost kongo, die Initiative eben-falls zu unterstützen und massenhaft für denFrieden zu mobilisieren. Medienmacht kannaber auch konfliktverstärkend und -verhärtendwirken wie im Konflikt in Gujarat 2001. Dortwaren einflussreiche Medien staatsnah und dieherrschende Partei Hauptanstifter und Verur -sacher der Gewalt.

"Friedensarbeit heißt, langfristig zu intervenieren",resümiert Peter Gunja vom NCCK. Sie erfordertAnsätze, die niemanden ausschließen. "Friedenzu fördern bedeutet auch, dass wir immer wie-der Werte, Wahrnehmungen und das Ver haltenvon Menschen zueinander hinter fragen müssen.Und das beginnt mit mir und Dir!"32 Friedenwird nicht woanders entwickelt oder gefördert,sondern im eigenen Um feld erstritten underrungen. Dazu gehört es, die verschiedenenKonfliktparteien mit großer Beharrlichkeit ein-zubeziehen und klare eigene Standpunkte zuformulieren. Wenn die Regierung selbst Kon -fliktpartei ist, gehört dazu die Bereit schaft zudem großen Spagat, gleichzeitig mit der Re -gierung und mit betroffenen Gemein schaftenvor Ort zusammenzuarbeiten.Um den umfassend inklusiven Ansatz der Ein -bindung aller Akteure und Akteurinnen zuverwirklichen, fördert der NCCK von derBasis an aufwärts Zusammenschlüsse wie bei-spielsweise Frauengruppen und Jugendclubs.In eigenen Workshops und Bildungsprogrammenspricht er die relevanten Friedensakteure an:Gemeindeälteste, Politiker, Sicherheitsbe dienstete,religiöse Meinungsführer, Lehrer, Frauen,Jugendliche - und auch die Konflikt akteure.Der NCCK sucht die Vernetzung mit weiterenAkteuren, um tragfähige Partner schaften undregionale Bündnisse zu entwickeln, wie mitdem Zusammenschluss der katholischen, an g -likanischen und orthodoxen Kirchen in Uganda.Dies gibt dem NCCK die Stärke, sich sowohlin die Überprüfung der Verfassung ein zumischenund an der Neuformulierung von Politikkonzeptenmitzuarbeiten, als auch an praktischen Fragenwie dem Umgang mit Schuss waffen und dergewaltlosen Konfliktbearbeitung.

In der Demokratischen Republik Kongo hatRIO, das regionale Entwicklungsbüro derEglise du Christ au Congo (ECC) ein weitgespanntes Netz zu ‚freundlichen' Akteurenaufgebaut. "Man muss nicht in allem überein-stimmen. So lange, wie man sich über dieGewaltfreiheit seiner Mittel einig ist, hat maneine Basis für Zusammenarbeit", sagt OdileBulabula von RIO. Dies war die Grundlage der

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32 Peter Gunja, Vortrag beim EED-Fachgespräch. "Frieden muss von innen wachsen", Bonn, 25. Oktober 2005, Dokumentation von Hagen Berndt, Bonn 2005, S. 9; eigene Übersetzung.

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Kooperation. Selbst entfernte Kriegsparteienwurden von der Botschaft erreicht und konn-ten davon überzeugt werden, sich auf Dialogeinzulassen.

33 Odile Bulabula, RIO, Bericht beim EED-Fachgespräch "Frieden muss von innen wachsen", Bonn, 25.10.2005

Dialog mit Kriegsparteien

Réseau d'Innovation Organisationelle (RIO) der Eglise du Christ au Congo (ECC), SudKivu/Kongo

In den beiden Kivu-Provinzen im Ost-Kongo werden seit Jahren bewaffnete Ausein -ander setzungen mit hoher Intensität geführt. Auch nach den Friedensvereinbarungenfür den Kongo von 2003 terrorisieren dort lokale Milizen die Bevölkerung und kämpfenmit Unterstützung ruandischer und burundischer Rebellengruppen gegen die Armeender Nachbarstaaten. Ein Ende der Konflikte ist schwer abzusehen, da öffentliche Ein -richtungen zusammenbrechen, die Feindschaften zwischen ethnischen Gruppen fort-bestehen und Rohstoffe (Diamanten, Coltan, Gold) die Fortführung des Gewaltkonfliktsbegünstigen.

Odile Bulabula von RIO berichtet: "Im Jahr 2001 hielten die Eglise du Christ au Congo,Sud Kivu, die Erzdiözese Bukavu und die ländlichen Koordinatoren zivilgesellschaft-licher Organisationen ein internationales Symposium zum Frieden ab. Damit wolltenwir international Aufmerksamkeit wecken und auf die drängenden Probleme von Kriegund Frieden in der Demokratischen Republik Kongo lenken. Die Vorbereitungen inBukavu liefen auf Hochtouren, als die Regierung in Südkivu das Treffen verbot.Daraufhin berief die Eglise du Christ au Congo, Nordkivu, die Erzdiözese in Butembound die in Nordkivu ansässigen zivilgesellschaftlichen Organisationen die Sitzungennach Butembo in Nordkivu ein. Und so machten sich die Vortragenden auf den Wegnach Nordkivu: Traditionelle Häuptlinge (die ‚Muami'), Vertreter aller Konfessionen,Abgesandte von NRO und Universitäten und Fürsprecher für Frauenfragen. Rund 3.000Menschen kamen dort zusammen, darunter eine starke Delegation von 300 Personenaus Ländern der Europäischen Union. Dies rückte tatsächlich die Friedensfragen imKongo in die öffentliche Wahrnehmung.

Die Veranstaltung endete mit der Gründung eines Komitees, in dem Delegierte ausSüd- und Nordkivu, der östlichen Provinz, Katanga und Maniema zusammen kamen.Wir erstellten eine Liste mit Forderungen die die Bevölkerung im Osten des Landes beiden interkongolesischen Verhandlungen, dem ‚Inter-Congolese Dialogue', vorgebrachtwissen wollte. Wichtig war, dass Jean Pierre Bemba, der damalige Vizepräsident derDemokratischen Republik Kongo und frühere Rebellenchef der MLC (Movement for theLiberation of Congo)-Bewegung am Symposium teilnahm und sich beim kongolesischenVolk für dessen Leiden entschuldigte. Seit Beginn der interkongolesischen Verhandlungen gab es keine Anzeichen mehr füreine Rebellion des Ostens gegen den Westen. Durch den interkongolesischen Dialogwurden eine Übergangsregierung und Institutionen für die Unterstützung der Demo -kratie etabliert sowie eine Übergangsverfassung erarbeitet."33

Die Perspektive wechseln 27

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Distanz und Misstrauen - “Staat” undZivilgesellschaftIn vielen Ländern, in denen Friedens- undEntwicklungsorganisationen in einem Umfeldgewaltsamer Konflikte arbeiten, ist "der Staat"selbst eine der Konfliktparteien. Aus der Per -spektive der Organisationen vor Ort ist es aller-dings irreführend und vereinfachend von ‚demStaat' zu sprechen. Die Konflikte sind komplexerund erfordern eine tiefgehende Analyse, um dieAkteure, ihre Interessen und die verschiedenenAgenden zu verstehen. Khurshid Anwar vomInstitute for Social Democracy (ISD) beschreibt

am Beispiel des Genozids in Gujarat 2002 daskomplexe Zu sammenspiel von internationalemKlima, der Mobilisierung von Men schen auf-grund ihrer religiösen Identität und der För -der ung von Gewaltexzessen durch staat lichesNicht-Handeln. "Die Gewalt in Gujarat hattemit anderen Ereignissen auf internationalerEbene zu tun. Die terroristischen Angriffe aufdas World Trade Center am 11. September 2001,die Angriffe auf das Parlament von Jammu undKaschmir, der Bombenangriff auf das in discheParlament und Grenzstreitigkeiten mit Pakistan- all das gab den Hindu-Funda menta listenNahrung, um zu Gewalt und Morden anzu-stiften." Dabei wiesen die Gewalt exzesse inGujarat einige besondere Merkmale auf, vondenen Khurshid Anwar auf einer Veran staltungberichtet: "Ein Parlamentsmit glied der Oppo -sitionspartei wurde umzingelt und am selbenTag brutal umgebracht, obwohl er hohe Politikerim Parlament von der Be droh ung in Kenntnissetzte. Die Polizei unternahm nichts, um denAngegriffenen zu schützen. Frauen beteiligtensich aktiv am Töten. Sogar die weltliche Kon -gresspartei brauchte vier Tage, bevor sie dasMorden verurteilte, weil sie in zwischen Angstvor dem Verlust von Wählerstimmen hatte." 34

"Es war wichtig zu sehen, wie die politischeSituation sich geändert hatte", zieht die stell-vertretende Koordinatorin Mamta Baxi vomFeminist Documentation, Resource and Coun-selling Center (Olakh) in Gujarat den Schluss,"und dass der Staat die Gewalt vorbereitet hatte.Es war nicht spontan."

Wo politische, polizeiliche und oft auch mili-tärische Macht eine solch unheilige Allianzeingehen, ist es um die Rechtssicherheit schlechtbestellt. Olakh hatte sich zum Ziel gesetzt, Ge -rechtigkeit für die Opfer zu erreichen und mussteerkennen, dass selbst die juristische Aufarbei tungder Gewalt durch die staatlichen Institutionennicht vorankommt. "Gerechtigkeit ist immernoch nicht hergestellt", sagt Nimisha Desai,Koordinatorin von Olakh. "Gerichtliche Schrittesind eingeleitet, und ein Fall ist vor den Ober -sten Gerichtshof gegangen. Wie unter solchenUmständen eine Arbeit für Versöhnung beginnen

28 Mit Konflikten umgehen

Die Partner stärken und multikulturelle Netzwerke fördern: DasKonzept der Friedensarbeit des EED in der DR Kongo.

Frieden kann nur von innen wachsen. Daher betreibt der EED zu denunterschiedlichsten friedensfördernden Themen Netzwerkbildungund stärkung zwischen Partnerorganisationen auf nationaler, regio-naler und überregionaler Ebene. Das Programm des Zivilen Friedens-dienstes verbindet mittlerweile Partnerorganisationen aus West-undOstkongo, die vor Ort in Friedenserziehung, Detraumatisierung,lokale Regierungsführung und Lobbyarbeit eingebunden sind. Dasvom EED geförderte und mittlerweile international anerkannte PoleInstitut mit Sitz in Goma forscht und publiziert seit Jahren zu brennen-den Themen, unter anderem den Bezug zwischen Ressourcen plün -derung und Konflikt (Coltan, Kassiterit, Gold, usw.).Über entwicklungsbezogene Bildungsarbeit in Deutschand undEuropa wurde ein Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischenKriegen in Afrika und den wirtschaftlichen Nutzungsinteressen euro-päischer und deutscher Unternehmen an kritischen Rohstoffen ge -schaffen. Zugleich wird durch die Vernetzung staatlicher und unter-nehmerischer Initiativen nach neuen Weg zu fairerem und friedens-förderndem regionalem Handel gesucht.Der rote Faden der vom EED geförderten Friedensarbeit in der DR Kongo besteht im Abbau von Vorurteilen zwischen verschiedenenethnischen, regionalen und religiösen Gruppen. Marginalisierungund Fragmentierung der kongolesischen Gesellschaft sind die stärkstenHindernisse für dauerhaften Frieden.

34 Khurshid Anwar, mdl. Beitrag, APRODEV- Fachtagung "Whose Security? Human security seen from a gender and Southern perspective," Brüssel, 27.10.2005

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Die Perspektive wechseln 29

35 Gespräche mit Nimisha Desai, EED-Lernwerkstatt: "Development in a Troubled World. Dealing with Conflict and Violence in Constructive Ways". Bonn, 19.- 22. 10.2005

Wie der Evangelische Entwicklungsdienst die Friedensarbeit inBangladesh unterstützt

Wegen der schleppenden Umsetzung des Friedensvertrages in denChittagong Hill Tracts in Bangladesh, der dortigen Menschenrechts -situation und drohenden Gefahr eines neuen Bürgerkriegs begannder EED einen fortlaufenden politischen Dialog mit staatlichen Stellenin Deutschland und auf europäischer Ebene. Im Jahr 2006 und 2008veranstaltete das Bangladesh-Forum, in dem der EED Mitglied ist,politische Tagungen zur Menschenrechtssituation sowie zur Situationder extrem Armen und der Minder heiten in Bangladesh. Auf Ein la dungdes EED nahmen an diesen Tagungen in Berlin und Brüssel unteranderen Vertreterinnen und Vertreter des Hill Tracts NRO Forums teil.

soll, ist schwer zu sagen." Mit dem Staat um zu -gehen, war eine große Herausfor der ung für dieFrauenor gani sation, meint Nimisha Desai: "Wirbrauchen internationale Unter stütz ung dabei,Gerech tig keit einzufordern und auf den StaatDruck auszuüben." Olakh erhielt Mittel aus demAusland, die Finanzierung wurde aber zuneh-mend vom Staat kontrolliert. "Als Akti vistenfühlen wir uns in Gujarat entfremdet und er -leben zu wenig Unterstützung. Wir müssenlernen, wie Menschen in anderen Ländern mitso etwas umgehen."35

In den Chittagong Hill Tracts in Bangladeshist für Angehörige indigener Völker der Zu -gang zu Siedlungs- und Ackerland das Kern -problem. Es wird dadurch verschärft, dass einestaatlich gesteuerte Siedlungspolitik die Urein -wohner systematisch vertrieben hat. Seit den70er Jahren wurden muslimische Siedler mitUnterstütz ung der nationalen Regierung in derRegion angeworben, um die Region zu "befrie-den". Sie wurden vom Militär strategisch ge -nutzt, um die indigene Bevölkerung von ihremLand zu vertreiben. Auch heute, 10 Jahre nachdem Friedensabkommen und nach Rückkehrder Flüchtlinge aus dem benachbarten Indien,werden die alten wie auch neu hinzukommendeSiedler von den Militäreinheiten geschützt undzur ‚Selbstverteidigung' bewaffnet. Eine Reha -bilitierung der Flüchtlinge ist bisher nicht er -folgt. Übergriffe durch muslimische Siedler aufdie indigene Bevölkerung werden häufig nichtgeahndet, durch das Militär geduldet oder sogarunterstützt. Die örtlichen Verwal tun gen werdenvon Interessensgruppen dominiert, die Siedlerund Militär repräsentieren. Nur der im Zuge desFriedensabkommens eingerichtete Regio nalratder indigenen Völker setzt sich für deren Inter -essen ein, hat aber wenig politische Durch setz ungs-kraft, betonen einheimische Organisationen.

Eine ähnliche Erfahrung hat die United NGOMission (UNMM) in Manipur gemacht.Militäreinheiten, die dem Staat unterstehen, nut -zen oft das Ausnahmerecht aus, das militärischenEinheiten Straffreiheit zusagt, und zetteln Ge -walt an durch willkürliche Verhaftungen, Folterund Mord von Verdächtigen. Einzelne Mitglieder

in Regierungsinstitutionen unterstützen hin-gegen den Einsatz für das Ende der Gewalt,wenn ihnen Wege dazu aufgezeigt werden.

Zugang zu den staatlichen AkteurenLokale Initiativen und Organisationen habenFähigkeiten und Mittel entwickelt, um die In -teressen und Anliegen der verschiedenen Akteureauf Regierungsebene zu verstehen. Sie verfügenüber Vorgehensweisen und Ansätze, um dieje-nigen Gruppen und Einzelpersonen auf derRegierungsseite anzusprechen, die an dauer-haften friedlichen Beziehungen in der Gesell -schaft interessiert sind. In allen beschriebenenFällen hatten die Partnerorganisationen des EEDZugang zu solchen gewichtigen Akteuren inner-halb des Staatsapparates.

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Aber: Regierungen trauen den Vertreterinnenund Vertretern der Zivilgesellschaft oft nicht überden Weg, so die Erfahrung lokaler Aktivi stinnenund Aktivisten. Sie sehen die Orga ni sa tionennicht in einer unabhängigen und konstruktivenRolle bei der sozialen, wirtschaftlichen undpolitischen Entwicklung, begegnen ihnen oft-mals von oben herab oder sehen sie als bloßeUmsetzungsgehilfen. In vielen Ländern folgenRegierungen Strategien des "Teile und Herrsche!"und der Einschüchter ung, sobald zivilgesell-schaftliche Akteure als nicht nützlich für dieherrschende Gruppe angesehen werden.Distanz und gegenseitiges Misstrauen kenn-zeichnen, so die allgemeine Einschätzung, dieBeziehung zwischen Zivil gesellschaft undRegierunge.

"1998 wurde der NCCK für subversiv erklärt",beschreibt Peter Gunja. "Was ihn in der Zeitaufrecht erhielt, war die Unterstützung inner-halb der Gemeinschaft und ein fester Glaubean unsere Grundsätze wie das Bibelwort: ‚DieWahrheit wird dich befreien'. Zu einigen Beamtenin der Regierung gab es Beziehungen, die wiraktivieren konnten. Wir kamen mit ihnen inVerbindung und gaben ihnen Informationen.Wir hörten ihnen zu. Aber wir spürten denDruck. Später kamen wir mit der Regierungzu einer Art Zusammenarbeit." Auch aus demAusland bekam der NCCK Unterstützung fürseine Friedensaktivitäten und konnte zum Bei -spiel Personal ausbilden. Die Unterstützung warso nicht an Bedingungen geknüpft. "Manchmalist das schwierig, weil Geldgeber einer versteckteneigenen Agenda folgen und, wenn es schwierigwird, die Hilfe verweigern oder Programmestoppen."36

Die Unterschiede zwischen Süden und NordenIm Norden sind die Beziehungen zwischenstaatlichen Institutionen und Nichtregierungs -orga ni sationen anders gewachsen und zeichnensich eher durch eine Bereitschaft zu Dialogund Kooperation aus. In den meisten westeu-ropäischen Ländern haben in den letzten fünfbis zehn Jahren intensive Diskussionen stattge-funden, wie die Zusammenarbeit noch engergestaltet werden kann. Die Alltagserfahrungender Bürgerinnen und Bürger in den meisten

Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikassind indessen völlig andere. Seit Generationenhaben die meisten Menschen in diesen Ländernden Staat nicht als Ordnungsrahmen für sozialeIntegration und Sicherheit erlebt. Im Gegenteil:Regierungen und herrschende Eliten waren -und sind oft immer noch - die Hauptquellevon Unsicherheit und "Selbstversorgung" mitöffentlichen Leistungen durch Korruption.Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunionsind auch im Osten in der Mehrzahl ihrerNachfolgestaaten ähnlich korrupte Staats systemeentstanden, gepaart mit einem stark ausge-prägten Nationalismus. Die dort lebendenMenschen haben innerhalb der vergangenenzwei Jahrzehnte den rapiden Wandel der Staats-ordnungen erlebt. Eine Zivilgesellschaft alssolche war bis zum Ende der Sowjetunionnicht existent. Noch heute sind die zivilgesell-schaftlichen Akteure auf der Suche nach ihrerRolle gegenüber dem Staat. Der Staat wird häufigals Gewaltakteur erlebt. In vielen Ländern istsexualisierte Gewalt gegen Frauen übliche Praxisder Streitkräfte. Diese Distanz in den Beziehungenzwischen Zivilgesellschaft und staatlichen Ak -teuren im Süden ist das Resultat der Erfahrungvon Generationen. Das zu verändern, wirdZeit brauchen.

Im westlich geprägten Norden wird zwar gesehen,dass Konflikteskalationen von Vertretern derStaatsmacht ausgehen können. Dies wird dannals Problem zerfallender Staatlichkeit definiert.Aus Sicht der lokalen NRO greift diese Sicht zukurz. Ihnen bereitet nicht nur ein zerfallenderStaat Probleme, sondern auch ein funktionieren -der, wenn dieser die Rechte bestimmterBevölker ungsgruppen verletzt. Sie kritisierenauch die zunehmende weltweite Militari -sierung, die mit einem patriarchalen und hege-monial männlichen Verständnis eines mächti-gen Nationalstaats ein hergeht. Der militarisierteSicherheits diskurs fördert strukturelle Gewalt,indem er die Rolle des Wohlfahrtsstaates mitdem Recht auf Nah rung, Gesundheit und sozia-ler Sicherheit schwächt.

Ein weiterer Aspekt von Staatlichkeit sind dieRechte, die mit der Staatsbürgerschaft verbun-den sind. In der historischen Erfahrung der

36 Peter Gunja, EED-Fachgespräch "Frieden muss von innen wachsen", Bonn, 25.10.2005

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37 Tapan Bose, Vortrag EED-Fachgespräch "Frieden muss von innen wachsen", Bonn, 25.10.200538 Institute for Education in Democracy, IED, Catholic Justice and Peace Commission, National Council of

Churches of Kenya: Report on the 1997 General Elections in Kenya 29-30 December, Nairobi 1998, http://www.iedafrica.org/documents/1997_report.pdf

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europäischen Nationen verbindet sich mit die-sem Prozess der erfolgreiche Kampf für Rechteund Ansprüche. In anderen Weltregionen stelltsich das völlig anders dar. Das Modell des Natio -nalstaates (als ethnische oder als politische Nationwie in Frankreich oder den USA) wurde zumVorbild bei der Dekolonialis ierung. Heute wirddie Idee des Nationalstaates von Regierungendazu genutzt, Rechte zu verweigern. DazuTapan Bose vom Länder übergreifenden süd-asiatischen Menschenrechts netz werk SouthAsia Forum for Human Rights (SAFHR):"Wenn Du kein Bürger bist, dann hast Du keinenRechtsanspruch! Die Kon struk tion einer Politik,die auf dem Ausschluss beruht, ist das Kern -problem. Das manifestiert sich in sehr gewalt-samen Formen des Aus schlusses. In Indienleugnet die Regierung die Existenz indigenerVölker und behandelt sie demzufolge wie in -terne Kolonien. Der Staat garantiert nicht dieMenschenrechte. Menschenrechte sind universalund dürfen nicht von Grenzen, Religion oderGemein schaften begrenzt werden. (...) Heutehaben wir keine andere Institution als den Staat.Der allgemeine Begriff ist der Nationalstaat.Das ist im Süden problematisch. In Europasind Rechte ein juristisches Konzept, das vomStaat her abgeleitet wird, weil der Staat derGarant der Rechte ist. Im Süden ist der Staataber einer der Verletzer von Rechten. Die Vor -stellung, auf etwas ein Anrecht zu haben, istim Süden nicht angekommen. Und deswegenbesteht eine Lücke zwischen den Rechten undwie der Staat die Rechte verwaltet."37

Anwälte einer legitimen Staatlichkeit Zivilgesellschaftliche Organisationen akzeptierenden "Staat" als Rahmen gesellschaftlicher Orga-nisation, obwohl sie teilweise über Genera tionenschlechte Erfahrungen mit dem "Staat" haben.Ihre Grundfrage ist eher, wie eine legitimierteRegierungsführung hergestellt und gesichertwerden kann. Dabei gehen Entwicklungs orga -nisationen im Süden ihren Regierungen kritisch,aber durchaus hilfreich zur Hand. In Kenia hatsich der NCCK beispielsweise sehr für ein demo-

kratisches, politisches Mehr parteiensystemeingesetzt. Die Kirche in Kenia versteht denStaat als etwas, das den Bürger innen und Bür -gern von Kenia gehört. Deshalb müssen sie auchdie Verantwortung für den Übergang zur Demo -kratie übernehmen. Die Kirchen haben sichdeshalb sowohl mit dem Staatsaufbau be schäftigt(z.B. in der Verfassungs reform komm is sion) alsauch mit den Parteien. Vor den er sten Mehr -parteien-Wahlen im Jahr 1992 organisiertensie öffentliche Diskurse über Demo kratie undWandel und politische Aktivitäten an der Basis.Allein schon die Debatte zwischen Regierungs -vertretern und Kirchenführern über die Defini -tion von Politik stärkte die nationale Diskussionüber Demokratie. Aus demselben Demokratie -verständnis heraus beteiligte sich der NCCKan der Wahlbeobachtung im Jahr 1997:"Unsere Sorge war ganz einfach und ehrlich:Wir wollten dazu beitragen, dass freie und faireWahlen stattfinden konnten. Wir wollten ...auch der Wählerschaft Sicherheit und Ver -trauen geben".38

In verschiedenen Ländern haben Akteure derZivilgesellschaft Visionen für ihre Gesell schaftenerarbeitet. Sie haben Kriterien für eine guteRegierungsführung und Rechen schaftslegungaufgestellt, wie z.B. in Kenia, Indien oder Nepal.Doch auch die Strategien zu guter Regierungs -führung in Ländern des Südens werden fastausschließlich in Ländern des Nordens ent-wickelt. Das geht an wesentlichen Ressourcensowie Kompetenzen vorbei. Schließlich sind esgerade die Organisationen der Zivilgesellschaftim Süden, die in der Zu kunft innerhalb solcheines Staatsaufbaus nach nördlichem Musterarbeiten müssen. Und sie sind es, die aus derErfahrung heraus wissen, welche Strukturenbisher demokratische Ausei n andersetzungenam meisten behindert haben.

Wie können pluralistische, demokratische Werteinnerhalb einer oft tief zersplitterten Gesellschaftgefestigt werden? Und wie kann dadurch einedemokratische, säkulare Identi tätsbildung ge -

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fördert werden? Eine Identität, die Menschenimmun macht gegen Versuche, sie aufgrund ihrerethnischen oder religiösen Identität gegenein-ander auszuspielen. Hier setzt das Institute forSocial Democracy (ISD) mit seiner Arbeit zurStärkung des gemeinsamen Erbes (compositeheritage) in Südasien an.

In lokalen Gemeinschaften Südasiens existieren- oft auf engstem Raum nebeneinander - ver-schiedene kollektive Identitäten: religiöse, sprach-liche, ethnische und andere. Deren Ge meinsam-keiten sollen gestärkt werden und einen Platzbekommen. Das sind zum Beispiel gemeinsameMusik und Liedtraditionen, Formen von Spiri -tualität oder auch Schreine, die verschiedeneReligionsgemeinschaften gemeinsam besuchen.Auf diese Weise erfahren die gemein samen kul-turellen Wurzeln Aner kennung und Wert schät zunganstatt Abwer tung und Aus gren zung, wie sieim Zuge fortschreitender Globali sierung zu -nehmend erfahren werden. In ganz Südasiensind, nicht erst seit dem Anschlag muslimischer

Extremisten am 11. September in New York,Organisationen auf dem Vormarsch, die insbe-sondere die religiöse Identität der Bevölkerungs-gruppen nutzen, um diese politisch zu mobili-sieren. Viele dieser extremistisch orientiertenOrganisationen fordern einen religiösen mus-limischen oder hinduistischen Staat und schreckennicht vor Gewalttaten gegen Ange hörige andererGe mein schaften oder gegen liberale, pluralistischeingestellte Angehörige ihrer eigenen Religions -ge meinschaften zurück. Diese selbsternannten"Hüter der Tradition" versuchen, die Gemein -schaften auf das sie Trennende festzulegen, siein verschiedene, nicht zu vereinbarende Identi-täten aufzuspalten, um sie politisch nutzen zukönnen. Vordergründig spontane Gewaltakteentladen sich dann vor allem in den Städten,gegen vermeintlich "Schuldige" an der Misere.Dabei inszenieren diejenigen sorgfältig die Ge -walt, die sich einen Zuwachs an Macht erhoffen.Und diejenigen üben Gewalt aus, die glauben,für die eigenen Interessen zu kämpfen.

Anwälte der Betroffenen und Vermittlerzwischen den Fronten Lokale Nichtregierungsorganisationen habendie Möglichkeit, in verschiedene Richtungenzu verhandeln. Sie haben zum einen ihre Wurzelnin der lokalen Bevölkerung und kennen ihreAnliegen. Sie können zum anderen aufgrundihrer Institutionalisierung das Gespräch mit

Gewaltakteuren suchen. Insbesondere Frauen -organisationen werden häufig von Gewalt ak -teuren als Anwältinnen der Basisbe völkerungakzeptiert, weil Gewaltakteure sie als "wenigerbedrohlich" wahrnehmen. Sie können bei Ver -mittlungen zwischen verschiedenen Parteieneine wichtige Rolle spielen, insbesondere zuBeginn von Verhandlungsprozessen, wenn es

39 Berndt, Hagen: People Building Peace, EED, Bonn 2007, S. 80-82

Das gemeinsame Erbe stärken

Institute for Social Democracy (ISD), Indien

Khurshid Anwar vom ISD berichtet: "Wir setzen das Konzept des ‚gemeinsamen Erbes'mit drei Vorgehensweisen um. Gruppen und Organisationen, die sich der Demokratieund der Trennung von Staatlichkeit und Religion verpflichtet fühlen, entdecken underkunden in einer Reihe von Treffen ihr ‚gemeinsames Erbe' und verpflichten sich, eszu wahren und zu bereichern. Durch Training, Forschung und Öffentlichkeitsarbeitwerden die kulturellen Quellen in Literatur, Geschichten, Musik und Theater nach kul-turellen Gemeinsamkeiten durchforstet, die man aufdecken und verteidigen kann. Sowerden die säkularen, pluralistischen und demokratischen Werte sichtbar, die ingemeinsamen Traditionen liegen. Die Ergebnisse der Workshops und Studien werdenin einfache und leicht zugängliche Materialien für die Bildungsarbeit und für öffentli-che Mobilisierung übersetzt, wobei der Schwerpunkt der Zielgruppen auf ländlichenGemeinschaften liegt."39

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darum geht, Kommunikation herzustellen undVertrauen aufzubauen. Frauenorganisationenkönnen dabei ihre traditionelle Rolle als Mütterund Ehefrauen nutzen: "Als die indische Armeeanrückte, waren es die Frauen, die zwischendie Soldaten und die Dorfbevölkerung traten.Nur Frauen können intervenieren", berichteteine Dorfbewohnerin aus Jotsoma in Nagaland."Wir haben pausenlos mit dem Militär dasGe spräch gesucht. Als Mütter sind wir zu allenKriegsparteien gegangen, sind zu ihren Campsgewandert und haben sie gebeten, sich nicht

gegenseitig zu töten und die Dorfbevölkerungnicht zu belästigen. Als Frauen können wirnicht schweigen."40

Einerseits kennt die lokale Bevölkerung, mitder Nichtregierungsorganisationen zusammen-arbeiten, die Gewaltakteure intensiv und oftpersönlich. Anderseits gibt es Kontakte aus derMitarbeiterschaft von Nichtregierungs organi -sationen zu den Gewaltakteuren: Beides er mög-licht Zugänge, die für Deeskalation oder sogarKonflikttransformation nutzbar sind.

40 Zitat einer Bewohnerin des Dorfs Jotsoma in Nagaland, Indien, zitiert nach Rita Manchanda: We Do More Because We Can - Naga Women in the Peace Process, South Asia Forum for Human Rights, Kathmandu, 2004, eigene Übersetzung

Die dritte Kraft

Informal Sector Service Center (INSEC), Nepal

Subodh Pyakurel, Vorstandsvorsitzender von INSEC, berichtet: "INSEC begann seine Arbeitmit Bewusstseinsbildung, Alphabetisierung und Empowerment, das heißt der Stärkungder Verhandlungsmacht und des Einflusses der Karrenzieher im Kathmandu-Tal, die ausentlegenen Dörfern stammten. Seitdem hat INSEC sich als Menschenrechtsorganisationeinen Namen gemacht und ist in weiten Teilen von Öffentlichkeit und Politik anerkannt.Menschenrechtsbeobachtung und - erziehung, Kampagnen für Benachteiligte, Konflikt-transformation und Friedensarbeit durch das Empowerment von Menschen sowie dasEintreten für ihre Interessen und Anliegen (Advocacy) beim Schutz und der Förderungvon Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit im Land, das sind die Bereiche, indenen INSEC aktiv wird. Mit einem Jahrbuch über den Stand der Menschenrechte sindwir regelmäßig in der Öffentlichkeit präsent. Dieses Jahrbuch ist Hauptquelle für öffent-liche Debatten über dieses Thema in Nepal.

Vor dem Ausbruch des gewaltsamen maoistischen Aufstands appellierte INSEC bereitsan die Regierung, diesen Konflikt friedlich durch Dialog beizulegen. Wir halfen eben-falls, über die Freilassung verschleppter Personen zu verhandeln. Wir überwachten regel -mäßig die Menschenrechtslage während der Bürgerkriegssituation und organisiertenFriedenskundgebungen und Seminare. Dabei prangerte INSEC unmenschliche Aktionenvon Regierung und Rebellen gleichermaßen an und forderte die Konfliktparteien inPetitionen auf, humanitäre Regeln einzuhalten.

Aus persönlichen Verbindungen auf hohen Ebenen der Politik und der praktischen Arbeitresultieren die Beziehungen, die INSEC zu beiden Konfliktparteien hat. Wir könnendeshalb in von Rebellen kontrollierten Gebieten arbeiten, ohne uns offiziell bei der‚Volksregierung' registrieren zu müssen, was gewöhnlich mit der Zahlung von Steuernan die Maoisten verbunden ist. Unser Beispiel, das System nicht zu akzeptieren, hatSchule gemacht und andere NRO ermutigt, ihre Entwicklungsaktivitäten in diesenGebieten wieder aufzunehmen.

Von 2002 an hat INSEC in verschiedenen Distrikten ein Modellprojekt zur Friedens ar beitbetrieben und dabei Dorfentwicklungskomitees auf lokaler Ebene ins Leben gerufen.In diesen Komitees kamen die von der Gewalt am meisten Betroffenen zusammen:

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34 Mit Konflikten umgehen

Gender: Chancen und Herausforderungen Die Gesellschaften Asiens, Afrikas und Europassind patriarchal geprägt. Sie bestätigen asym-metrische Machtverhältnisse zwischen Männernund Frauen. Diese Asymmetrien zeigen sichauf persönlicher, struktureller und normativerEbene. Darum erleben Frauen Geschlechter ver -hältnisse als einschränkend und unterdrückend.Das Geschlecht ist ein wesentlicher Identitäts -faktor in jedem sozialen System. Die Dimensionder Geschlechterverhältnisse besitzt eine wich-tige Bedeutung, um Dynamiken zu verstehen,die gewaltsame Formen annehmen.

Der Verlauf von Konflikten wird oft in Phasenbeschrieben: Auf eine Eskalationsphase, in derdie Konfliktparteien ihre Positionen formulierenund für ihre Interessen mobilisieren, folgt ofteine offene gewaltsam ausgetragene Aus ein ander-setzung. Der folgt eine Deeskalations phase.Die Erfahrungen von Frauen sprechen gegeneine solche Aufteilung in unterscheidbare Phasen.Olakh und Sahr Waru, die Frauen organisa tionenaus Gujarat in Indien beschreiben das Erlebenvon Frauen so: Gewalt stellt sich als Kontinuumdar, das sowohl sogenannte Friedenszeiten alsauch Phasen gewaltförmiger Konflikte durch-

Frauen, Kinder, Alte und traditionelle Führer. In Trainings erhielten sie die nötige Rück -enstärkung, um von beiden Konfliktparteien die Einhaltung der Menschenrechte unddes humanitären Völkerrechts einzufordern. Von einigen Komitees gingen ferner Gemein -deaktivitäten wie Friedenskundgebungen aus, in denen sie für die Wiederherstellungihrer Rechte eintraten. An anderen Orten wurden lokale Foren einberufen, um mit allenInteressenten die Prioritäten bei der Entwicklungsarbeit zu diskutieren. Auf Gemeinde -ebene wurden Infrastrukturmaßnahmen durchgeführt, für Trinkwasser, moderne Toi letten,Bewässerung, Transport, Schulunterstützung usw. INSEC half dabei, zu Pro grammenvon Regierungsinstitutionen und Entwicklungshilfeorganisationen Zugang zu erhalten.

Pragmatische Lösungen waren in den Gegenden gefragt, die zwischen den Konflikt -parteien umkämpft waren. In manchen Gebieten unterließen es die Maoisten nachunserer Intervention, die Infrastruktur und den Wiederaufbau zu zerstören, selbstwenn diese mit Hilfe von staatlichen Agenturen errichtet worden waren. Auf dieseWeise konnten Schulen wieder aufgebaut und Trinkwassereinrichtungen hergestelltwerden, eine Gesundheitsversorgung wurde eingerichtet und nahm ihre Arbeit wiederauf. Um solche Verhandlungsziele zu erreichen, verfolgte INSEC die ‚Ja-aber'-Strategie.Niemals sollte eine der Kriegsparteien mit einem ‚Nein' konfrontiert werden und damitdie Gelegenheit bekommen, im Widerspruch zu verharren. INSEC zeigte vielmehr Ver -ständnis für deren Sichtweise, ohne ihr zuzustimmen. Im späteren Verlauf der Ver -handlung haben wir bei INSEC die Interessen der Gemeinschaft auf den Tisch gelegtund versucht, Kompromisse zu finden. Dieser pragmatische Ansatz, der die Grundbe -dürfnisse der Opfer zum Ausgangspunkt machte, zeigte Erfolge. INSEC konnte beideKonfliktparteien dazu bewegen, entweder selbst an Aktivitäten teilzunehmen, die dieLebensbedingungen für die Menschen erleichterten - oder diese zumindest nicht zuverhindern oder zu sabotieren.

In dieser hoch polarisierten Situation konnte sich INSEC deshalb als ,dritte Partei' posi-tionieren, weil es zu Fragen der Menschenrechte klar Stellung bezog, aber unpartei-lich blieb in Bezug auf die aktuelle Konfrontation. Lokale Akteure beider Seiten wur-den von uns dazu ermahnt, sich an ihre selbst proklamierten Ziele und Prinzipien zuhalten und internationale Standards zu respektieren. Das Vertrauen, das INSEC bei bei-den Konfliktparteien gewann, nutzten wir für Verhandlungen, beispielsweise für dieFreilassung von Gefangenen. Für solche Fälle war INSEC eine glaubwürdige Adresseund bot seine ‚guten Dienste' an."41

41 Zitat einer Bewohnerin des Dorfs Jotsoma in Nagaland, Indien, zitiert nach Rita Manchanda: We Do More Because We Can - Naga Women in the Peace Process, South Asia Forum for Human Rights, Kathmandu, 2004, eigene Übersetzung

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zieht. In den Augen der Frauenorganisationensind patriarchale Gesell schaftsstrukturen an sichgewaltförmig. Sie zeigen sich in häuslicher sex u -eller Gewalt gegen Frauen, aber auch in struk-tureller Gewalt als häufigster Ausdrucksform,also der strukturellen Benachteiligung von Frauenim gesellschaftlichen, politischen und wirtschaft-lichen Leben. Konflikte bearbeiten muss dem-nach heißen, die Ebene alltäglicher Gewalteinzubeziehen.

Frauenorganisationen ist es wichtig, Räume zuschaffen, in denen Frauen ihre Erfahrungenaustauschen und reflektieren können. Frauenkönnen dort eigene Ansätze der Konflikt trans -formation entwickeln bzw. bestehende Ansätzekritisch prüfen. Sie können eigene Diskurseent wickeln, die Friedensprozessen direkt zugutekommen. Frauenräume bieten die Möglichkeitfür spezifische Analyse und Strategie ent wicklung.Sie bieten darüber hinaus Refugien der emo-tionalen Unterstützung und Stärkung in extrembelastenden Kontexten. Aktivitäten in solchengeschützten Frauenräumen müssen aber instrategischen Koalitionen mit Männern ver-knüpft sein, die den Dialog über diese Räumehinaus in die Gesellschaft hinein tragen undgemeinsam mit Frauen in den gesellschaftlichenKontext einbringen.

Die Genderperspektive ermöglicht es, Akteur -innen und Akteure in einem Konfliktkontextdifferenziert wahrzunehmen. Die Partneror ga -nisationen berichten dem EED immer wieder,dass Frauen an formalen Friedensprozessenhäufig nicht beteiligt sind. Bei Friedensver -handlungen, wie zum Beispiel in Bangladeshbezüglich der Chittagong Hill Tracts 1997,sind die Hauptakteure diejenigen, die Waffentragen. Repräsentanten der Milizen und derRegierung, häufig des Militärs entscheiden überdie Zukunft der Menschen. Dies ist umso er -staunlicher, wenn man bedenkt, in welch großemMaße sich Frauenorganisationen und -gruppenin Friedensprozessen engagieren. Bereits dieResolution 1325 des Sicherheitsrats der Ver -einten Nationen aus dem Jahr 2000 hat diesdokumentiert. Es ist an der Zeit, diese Reso -lution als wichtige Initiative zu verstehen, umden Einfluss von Frauen in offiziellen Frie dens-prozessen zu erhöhen.

Die UN-Resolution 1325

wurde am 31. Oktober 2000 vom Sicherheitsrat der VereintenNationen (VN) einstimmig verabschiedet. Mit der Resolution 1325fordert der UN-Sicherheitsrat die VN-Mitgliedstaaten auf, für einestärkere Beteiligung von Frauen auf allen Ebenen der institutionellenVerhütung, Bewältigung und Beilegung von Konflikten Sorge zu tragen(Art. 1). Zudem betont die Resolution 1325 die Verantwortung derNationalstaaten für das Ende der Straffreiheit bei Völkermord, Ver -brechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, insbesonderebei sexueller Gewalt gegen Frauen (Art. 11). Artikel 8 der Resolutionfordert die Staaten auf, die Geschlechterperspektive bei drei zentralenAspekten von Friedensprozessen gezielt einzubeziehen. Das sind:

Rückführung, Neuansiedlung und Wiederaufbaumaßnahmen nach Konflikten

Einbeziehung von Frauenorganisationen in friedensbildende Prozesse

Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte von Frauen und Mädchen in den Verfassungen, beim Wahlsystem, der Polizei -gewalt und der Rechtssprechung.

Die UN-Resolution 1325 ist ein wichtiger Meilenstein für die femi-nistische Friedenspolitik. Zum ersten Mal in der Geschichte der Ver -einten Nationen hat der UN-Sicherheitsrat einen völkerrechtlich bin-denden Beschluss gefasst, der Frauen an Entscheidungen über Kriegund Frieden beteiligt und die Geschlechterperspektive berück sichtigt.

http://www.glow-boell.de/de/rubrik_2/5_740.htm#RundResolutionstext: http://www.frauensicherheitsrat.de/1325.html

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36 Mit Konflikten umgehen

Frauenorganisationen engagieren sich in tradi-tionellen Rollen als Mütter und Fürsorgende,wenn sie z.B. in Nordostindien mit Milizenoder dem Militär im Rahmen von sogenannten“Küchengesprächen” verhandeln, wie in Naga -land praktiziert: Sie kochen für die Milizenund bringen ihre Friedensanliegen beim gemein-samen Essen ein.42 Sie haben, da sie nicht alsWaffenträger innen wahrgenommen werden, dabeileichter Zugang als Männer, wie das South AsiaForum for Human Rights dokumentiert.43

In Gujarat hat Sahr Waru Traumaberatungorganisiert. Dabei gelang es ihr, auch Männer,die Opfer von sexueller Gewalt geworden waren,zu erreichen und damit eine gesellschaftlichtabuisierte Dimension der Gewalt in Gujarataufzudecken. In Manipur gab es eine legendäreProtestaktion älterer Frauen, die nackt vorMilitäreinheiten demonstrierten, um die Ver -gewaltigungen von Frauen durch Sicherheits -kräfte anzuprangern. Frauen brechen bewusstmit traditionellen Rollen, um etwas zu verändern.So verließen ebenfalls in Manipur Frauen denSchutz des ummauerten Hofes und organisiertenNachtwachen in der Öffentlichkeit auf Stadt -teilebene. Gerade angesichts der starken aktivenPräsenz in Friedensbewegungen vor Ort ist nichtnachvollziehbar, warum Frauen organisationenvon formalen Friedens prozessen weiterhingrö ßtenteils ausgeschlossen werden.

Selbst in den NRO-Netzwerken, die in dieserBroschüre beschrieben sind, war es ein langerProzess, bis auch Frauenorganisationen ihrenGestaltungsraum in der Friedensarbeit gewonnenhatten. Bei UNMM in Manipur argumentiertendie Frauen fünf Jahre lang, bis sie die Mitgliederdavon überzeugen konnten, dass sich die Frau-enorganisationen unter den Mit gliedern eineeigene Struktur von Frauen komitees innerhalbvon UNMM aufbauen konnten, bis sie Ver treter-innen in die Gremien des Forums entsendenund über einen eigenen Haushalt mit Pro -grammmitteln verfügen konnten. Erst seit Ein -richtung dieser Struktur und der Aus stattung

mit Ressourcen wird die Politik des Forumsvon Frauen aktiv mitgestaltet.

Negative Erfahrungen können verbinden undneue Perspektiven ermöglichen. Das erkannteISD, als es Bildungsmaterial zur Stärkung desgemeinsamen kulturellen Erbes in Südasienerarbeitete. Es stellte sich heraus, dass aus Ge n -dersicht alle Kulturen Südasiens ein gemeinsa-mes kulturelles Erbe in der gemeinsamenErfahrung von Unterdrückung und Marginali -sierung haben. Die nämlich erlebten Frauen insüdasiatischen Gesellschaften unabhängig vonihrer Religion. Ihre religiöse Identität unterschieddie Frauen in Hindus, Musliminnen, Sikhs,Christinnen und Buddhistinnen, die Erfahrungvon Unterdrückung verband sie.

Frauen als Seismographen für Gewalt Häufig erfahren Frauenorganisationen früh-zeitig, wenn die Gewalt im Land zunimmt -Gewalt gegen Frauen wird zum Frühwarn system.Die Frauenorganisationen im Hill Tracts NGOForum (HTNF) in Bangladesh berichten voneiner starken Zunahme sexueller Gewalt gegenFrauen aus der indigenen Zivil bevölkerungdurch das Militär in Bangladesh. Sie kategori-sierten die derzeitige Situation deshalb nichtmehr als Deeskalation nach einem Friedens -schluss, sondern als eskalierenden Konflikt.Diese Erfahrungen der Frauen organi sationenwurden in die formale Konfliktana lyse desForums übernommen. Sie beeinflussten maß-geblich das Konfliktverständnis und damitauch die Strategie- und Maßnahmen entwick -lung. Für den National Council of Churchesof Kenya (NCCK) hatte der Aufbau des Land -frauen-Netzwerks (Rural Women Peace Link)zur Konsequenz, dass nicht nur Räume ent-standen, in denen Frauen sich artikulierenkonnten, sondern dass sich auch Machtbe -ziehungen zwischen Frauen und Männern ver-änderten. Es wurde immer deutlicher, dass undwelche spezifischen Optionen Frauen in Kon -flikten haben, die Männern vorenthalten sind.

42 Rita Manchanda: We Do More Because We Can - Naga Women in the Peace Process, South Asia Forum for Human Rights, Kathmandu 2004

43 Rita Manchanda, Bandita Sijapati, Rebecca Gang: Women Making Peace, Strengthening Women's Role in Peace Processes, South Asia Forum of Human Rights, Kathmandu 2001

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Die Perspektive wechseln 37

Die Spielräume ausweiten

Rural Women Peace Link, Kenia

Der Rural Women Peace Link entstand im Jahr 1999. Gewaltsame Zusammenstöße imwestkenianischen Rift Valley hatten in den 90er Jahren Frauen vor besondere Problemegestellt. Es gab blutige Kämpfe zwischen Ackerbauern und Hirtenstämmen, zwischenunterschiedlichen Gruppen von Nomaden oder bei politischen Veranstaltungen. DieFolge waren Dutzende von Toten und Tausende vertriebener Familien. Viele Frauenund Kinder litten unerträglich. Der Bericht von einer Frau, die nach einem Überfall aufihr Dorf ihre fünf Kinder tötete und sich dann selber umzubringen versuchte, gab denAnstoß zum Handeln. Der Peace Link wollte Frauen ein Forum bieten, um sich über ihrLeid und das Geschehen in ihren Dorfgemeinschaften auszutauschen. Doch bald schonsteckten die Frauen ihre Ziele höher: Sie wollten sichtbar und hörbar werden. Ein Ver -bund von 14 regionalen Frauen-Netzwerken entstand. Die Frauen engagierten sich fürFrieden in ihren Gemeinschaften. Sie wollten Frauen und Mädchen vor häuslicher Gewalt,erzwungenen Heiraten und Genitalverstümmelungen schützen. Mädchen und Frauenaller Altersklassen und Stämme bildeten sich fort, um ihre traditionellen Rollen beimFriedenstiften zu nutzen und zu erweitern.

Einige Hürden waren zu überwinden. Frauen brauchten die Erlaubnis der Männer, sichin einem eigenen Forum zu treffen. Selline Korir, die Initiatorin vom NCCK, wandte sichmit diesem Anliegen an die "Ältesten", die traditionellen Autoritäten. Mit den Frauen,die kommen durften, startete sie Einkommen schaffende Projekte und lud die Ältestenzum Mitmachen ein. Der allmähliche Erfolg des Projekts wurde zur besten Werbung.

Da die Machteliten davon profitierten, dass Gewalt und Misstrauen das Klima beherrschten,versuchte die Regierung, die Treffen von Frauen zu verhindern, sofern sie lokale Grenzenüberschritten. Selline Korir verhandelte direkt mit der Regierung, erklärte ihr Programmund schuf eine Vertrauensbasis. Die Behörde lockerte die Regeln, die Frauen durftensogar die Distriktgrenzen überschreitend aktiv werden. Sie weiteten ihr Engagementauf Jugendliche und Ältere aus. Denn es sind Jugendliche, die auf Geheiß der Älterenauf Raubzug oder zu Angriffen ausziehen. Als die Jugendlichen in Friedenskomiteeseinbezogen werden konnten, ließ die Gewalt nach. Mehr Frauen konnten gewonnenwerden, in die Friedensarbeit einzusteigen. Auch ihre Männer wurden eingeladen. Sostiegen Zahl und Umfang der Gruppen, die Männer und Frauen umfassten.

Traditionell ist es die Aufgabe von Frauen, den Dialog zu beginnen. InterethnischeFrauengruppen besprechen oft alltägliche Themen, bevor sie sich kontroversen Ange -legenheiten zuwenden. Bedürfnisse von Frauen sind dabei nach wie vor von hoherDringlichkeit. Die Gruppen bilden beispielsweise Hebammen aus, die in abgelegenenländlichen Gebieten fernab von medizinischer Versorgung dringend nötig sind. Da sieaußerdem allen ethnischen Gruppen gleichermaßen helfen, sind sie gleichzeitig Bot -schafterinnen des Friedens. Die Frauen stellen fest, dass sie sogar mit Viehdieben ver-handeln können. Sie gehen auf junge, gewaltbereite Männer zu und sprechen mit ihnen.Das können sie besser als Männer, weil sie auf den traditionellen Respekt setzen, derFrauen entgegen gebracht wird.

Die Frauen des Rural Women Peace Link wollen die Spielräume ausweiten, die Frauenvon der Kultur her gesetzt sind. Wo Frauen noch kein Land besitzen dürfen, werden

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44 zusammengefasst nach Beghtol, DeEtte, Wald: Powerful Rural Women in Turkana, Kenya, in: University for Peace; peace and conflict monitor, special report, 2004, http://www.monitor.upeace.org/archive.cfm?id_article=216 ; Rural Women's Peace Link, RWPL: Reflective Conference 2005, S. 2,4; http://www.peacewomen.org/resources/1325/PDF/RWPLconference.pdf

Mittel mobilisiert, um Land für gemeinsame Einkommen schaffende Projekte zu kaufen.Während Frauen früher gar nicht ausgebildet wurden, werden sie nun zu juristischenHilfskräften geschult, zu "Frauen, die das Recht kennen". Der Rural Women Peace Linkist nicht auf die Arbeit am Ort beschränkt, sondern hält regelmäßig Konferenzen in derRegion ab, um die Situation zu reflektieren. Im Jahr 2002 ging es um Themen der Re -gierungsführung. 2005 lautete das Thema: "Frauen - Frieden - Sicherheit". Man sprachüber die Umsetzung der UN-Resolution 1325 an der Basis. 70 Frauen und Männer kamenzusammen. Hochschulen waren vertreten, politische Entscheidungsträger, Vertreter -innen von Basisgruppen, Verwaltungsinstitutionen, Vertreter zivilgesellschaftlicher Orga-nisationen und Programmplaner aus Westkenia sowie Vertreter des Präsidialbüros.Hier zeigt sich ein Erfolg des Netzwerks: Es ist in der Lage, die Expertise von Frauenüber die Konflikte in ihrer Region zu nutzen, sie "ganz oben" zu Gehör zu bringen undsogar die Regierung in die Pflicht zu nehmen. Das zeigen die stehenden Ovationen, dieeine Konferenzteilnehmerin für ihren Redebeitrag erhielt: "Wir sind hier nicht zumersten Mal bei einem Friedenstreffen. Bei uns gibt es Jugendliche, die immer noch inGewalt verstrickt sind. Auf einem Friedenstreffen haben wir mit ihnen gesprochen.Jetzt ändern sie sich. Wenn man ihnen aber sagt, dass sie die Gewehre abliefern sollen,ihnen aber nichts zu tun anbieten kann, dann fragen sie uns Frauen: Was sollen wirmit unserer ganzen Zeit machen? Und jetzt fragen wir Frauen die Regierung: Was sollenwir den Jugendlichen denn anbieten? Sollen wir sie zurück lassen, damit sie wiederihren gewohnten Lebensstil aufnehmen?"44

Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit Geschlecht ist eine soziale Kategorie. Es schreibtindividuellen Frauen und Männern Rollen zu.Diese Rollen werden durch individuelles undkollektives Handeln verstärkt und immer wiederbestätigt. Sie erzeugen oft polarisierte Bilder vonMännlichkeit und Weiblichkeit. In gewaltför-migen Konflikten haben viele Organisationenerlebt, dass die Bilder von Männlichkeit undWeiblichkeit sehr eng und stereotyp definiert

werden: Männlich wird damit verbunden, Täterzu sein. Das Stereotyp beschreibt Männer als"Beschützer" oder "Angreifer" in aktiver Position,sie handeln gewaltsam und tragen Waffen.Weiblichkeit steht für die passive Position, Frauensind Opfer, unbewaffnet und wehrlos. Männerund Frauen orientieren sich an diesen Bildern,ihre realen Identitäten stehen diesen Bildernaber oft völlig entgegen.

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Auch Männer werden zu Opfern von GewaltSahr Waru berichtet, dass die Organisationlange Zeit nur mit Frauen als Opfer vonTraumati sierungen gearbeitet habe. Diese Frauenberichteten aber von männlichen Verwandten,die ihrerseits traumatisiert waren und nach demakuten Konflikt sexuelle Gewalt ausübten. Da -durch erst wurde die Organisation darauf auf-merksam, wie viele männliche Gewaltopfer diePogrome in Gujarat produziert hatten. DieBandbreite der Gewaltformen ist dabei sehr weit.Selbst sexuelle Gewalt gegen Männer wird nichtselten eingesetzt, mit dem Ziel, ihr männlicheIdentität zu zerstören. Für viele Männer, diesolche Gewalt erfahren haben, ist es unmöglich,sich selbst als Opfer anzunehmen und Traum a-beratung zu suchen. Denn das würde bedeuten,aus dem idealisierten Männ lichkeitsbild her-auszufallen. Dies gilt in verstärktem Maß fürMänner, die Täter geworden sind, diese Er -fahrungen aber nicht verarbeiten können undderen Trauma durch die eigenen Gewalttatengenährt wird. Viele ziehen sich in autoaggressiveVerhaltensweisen zurück oder werden selbstgewalttätig als Soldaten, Milizen oder gegenüberihren Familienangehörigen. So ist es zu erklären,dass in vielen bewaffneten Konflikten diehäusliche Gewalt gerade während sogenannter“Post-Konfliktphasen” erheblich ansteigt. Diewenigen Männer, die das hegemoniale Ver -ständnis von Männlichkeit überwunden haben,sich als Opfer und Hilfsbe dürftigen annehmenund Beratung suchen, müssen feststellen, dasses für sie kaum Ange bote gibt. Die Institutionenund Initiativen im Bereich der Traumabe ratungsind dominiert von den klassischen Geschlechter-stereotypen und bieten vor allem Programmefür Frauen an. Für Sahr Waru war dies derAnlass, gezielt mit traumatisierten Männernzu arbeiten.

Überlebende tragen aktiv zum Frieden beiEinen weiteren Schlüssel zur Überwindungder stereotypen Zuordnung von "Männlichkeit= Täterschaft" und "Weiblichkeit = Opfer" bieteteine Erkenntnis der Frauenbewegung: In ge -waltförmigen Konfliktsituationen ist es auchOpfern von Gewalterfahrungen möglich, zuAkteurinnen und Akteuren zu werden, undnicht in der passiven Haltung des Opfers zu

Die Perspektive wechseln 39

verharren. Das gilt für Frauen wie Männer.Tamilische Flüchtlinge aus Sri Lanka, die dortOpfer von brutaler Gewalt geworden waren,waren unter den ersten, die den traumatisiertenOpfern des Tsunamis Ende 2005 in Südindienzur Seite standen. Aufgrund ihrer eigenen Er -fahrungen mit Kriegstraumatisierung konntensie die Überlebenden verstehen und unterstützen.Basierend auf dieser Erfahrung entwickeln sieEngagement für den Frieden. Damit mobilisierensie andere aktive Rollen als die Täterrolle. Sieheben die polarisierte Wahrnehmung auf, inder es nur Täter und Opfer gibt und Friedens -potentiale mit der passiven Opferrolle gleich-gesetzt werden.

Genderanalyse Die Diskussion um Gender hat deutlich ge macht,dass Gesellschaften nicht monolithisch sind.Sie sind geprägt von sozialen Macht struk turen,die es wahrzunehmen und zu analysieren gilt.Lokale, interne Akteure werden so nicht ideali-siert, sondern können in ihrer Komplexitätwahrgenommen werden.

Macht steht im Zentrum der Genderanalyse,Macht ist der bedeutendste Faktor in derKonfliktanalyse. Es liegt also nahe, die Er kennt -nisse beider Ansätze zu nutzen. Wir erlebenMenschen mit multiplen Identitäten, die nebenihrer Geschlechteridentität von weiteren Iden -titäten geprägt sind, zum Beispiel ihrer Klassen-zugehörigkeit, ihrer Religion, ihrer Ethnie, dem

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Bildungsstand und so weiter. Diese gestaltennicht nur die persönliche Identität, sondernsind jeweils mit unterschiedlich viel Machtverbunden. Wenn die Genderanalyse nicht beiMännlichkeit und Weiblichkeit stehen bleibt,sondern den Blick öffnet auf verschiedene Dy -namiken von Machtverteilung in lokalen Ge -sell schaften, lässt sich die Konfliktanalyse indifferen zierter Form betreiben. Die zwei fol -gen den Bei spiele illustrieren ihren Umgangmit Machtdynamiken.

In der Arbeit der Church of South India in Süd -indien sind das Kastenwesen und die Margi nal -isierung der Dalits45 zentraler Be zugspunkt. Invielen Diözesen arbeiten kirchliche Sozial ar beiterund Sozialarbeiterinnen sowie Pastoren daran,die strikte Trennung der Gemein schaften aufDorfebene aufzuweichen, die mit massiven Dis -kriminierungen von Dalits einhergeht. Nor ma-tive Codices wie das Rein heitsgebot werden inFrage gestellt, etwa wenn Jugend liche aus ver-schiedenen Kasten gemeinsam mit Dalits kochen,essen oder den Brunnen nutzen.

Für das Netzwerk UNMM in Manipur ist derZusammenhalt seiner Mitglieder eine dauerndeHerausforderung, denn es besteht aus Orga ni -sationen aus verschiedenen ethnischen Gruppen.Zu vielen Aspekten des Konfliktes und derFrage, wie er gelöst werden könne, gibt esnoch keinen gemeinsamen Standpunkt. JedeMitgliedsorganisation bezieht sich in ihrerPosition auf die jeweilige vorherrschende Wahr-nehmung und die Interessen ihrer ethnischenGruppe. Nachdem die Mitglieder des Netz -werkes über mehrere Jahre Erfahrungen mitdem "Do No Harm" Ansatz in ihren Projektensammeln konnten, möchtensie nicht mehr nur Ent -wicklungsarbeit imkonfliktiven Kontextdurchführen, sondernauch direkte Beiträgezur Konflikt trans for -mation leisten. Damit stehtdas Netzwerk vor zwei Heraus -forderungen: Die internen gender-bezogenenMacht asymmetrien ebenso wie die ethnischen

Identitätskonflikte zu bearbeiten. Dabei soll diePluralität des Netz werks erhalten bleiben. Der -zeit entwickelt das Netzwerk einen Schwer punktzu dem gemeinsamen Anliegen, die Straflosig -keit der Streit kräfte in ihrer Region zu beenden.Die Straf losigkeit begründet sich mit der seit1958 in der Region geltenden Notstandsge setz -gebung (Armed Forces Special Powers Act).Das Netz werk setzt sich für die Ab schaffungdieser Ge setzgebung ein, verbunden mit derAufforderung an die Regierung, allen ethnischorganisierten Untergrundgruppen Friedens -gespräche anzubieten. Zugleich nutzen sie ihreMöglichkeiten, die bewaffneten Be weg ungen da-von zu überzeugen, dass der Konflikt militärischnicht zu gewinnen ist und sie größere Aus sichtenin einem Verhandlungsprozess haben. DiesesVor haben eines konflikttransformativen Pro -zesses basiert auf einem sorgfältig entwickeltenKonsens im Netzwerk. Langfristig soll dieserKonsensbereich ausgeweitet werden. Das er -fordert, bestehende Machtinteressen und Macht-beziehungen immer wieder zu analysieren undsich auf eine gemeinsame strategische Vorgehens-weise zu verständigen.

45 Als Dalits (wörtlich "niedergetreten", "gebrochen") bezeichnen sich jene Nachfahren der indischen Ureinwohner, die als "Unberührbare" bis heute aus dem indischen Kastenwesen ausgeschlossen sind.

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Die Perspektive wechseln 41

46 Anderson, Mary B. und Lara Olson: Confronting War. Critical Lessons For Peace Practitioners. Collaborative for Development Action, Cambridge, MA; 2003; www.cdainc.com

47 nach: Anderson, Mary B. und Lara Olson: Confronting War: Critical Lessons for Peace Practitioners. Cambridge, MA , 2003

Schlussfolgerung

Theorien des Friedens" leiten die Praxisder "am Konflikt" arbeitenden Akteure. Erfahrungen aus der Arbeit direkt "am Konflikt",sind ebenfalls mit dem "Reflecting on PeacePractice Project" systematisch empirisch unter-sucht worden.46 Alle Arbeit "am Konflikt" wirdvon Theorien geleitet, wie Frieden entsteht underhalten werden kann, war eine Erkenntnis ausdieser Untersuchung. Es gibt eine Vielzahl derTheorien. Diese lassen sich in vier Gruppeneinteilen. Es gibt zwei Ausgangsfragen, und aufjede Frage zwei mögliche Antworten.

Frage eins lautet: Wer muss sich ändern,damit Frieden entstehen kann?Antwort A: Möglichst viele Menschen Antwort B: Die (wenigen) entscheiden

Schlüsselpersonen

Frage zwei lautet: Was muss geändert werden,damit Frieden entstehen kann?

Antwort C: Einstellungen, Werte, Normen von Menschen undihre Handlungen

Antwort D: Sozio-politische Strukturen in der Gesellschaft

von vielen Menschen Veränderungen in densozio-politischen Strukturen und Institu tioneneiner Gesellschaft durchgesetzt werden müssen.Über Wahlbeobachtung und die Aufklärungvon Wählerinnen und Wählern, den Aufbau vonJugend- oder Frauenorganisationen, Ge werk -schaften, Menschenrechtsorgani sationen, dieBildung von Netzwerken versuchen sie, In stitu-tionen und Strukturen zu schaffen, über dieKonflikte konstruktiv ausgetragen werden können.

Im Feld D schließlich finden sich Aktivitäten,die darauf zielen, über Schlüsselpersonensozio-politische Veränderungen herbeizuführen.Beispiele sind Wahrheitskommissionen, Re for -men der öffentlichen Verwaltung und desSicherheitsapparates.

Der "Reflecting on Peace Practice"-Prozessmachte deutlich, dass Maßnahmen in den ein-zelnen Feldern dann eine effektive Wirkungauf die Konfliktdynamik insgesamt hatten,wenn sie mit Maßnahmen in anderen Feldernin Beziehung standen. Dies bedeutet nicht,dass Akteure sich in allen Feldern engagierenmüssen. Vielmehr sollten einzelne Akteure ihreExpertise in ihren Handlungsfeldern einsetzen.Sie sollten dabei aber versuchen, sich mit an -deren Akteuren in anderen Feldern strategischin Beziehung zu setzen.

Systematisierung der Theorien, wie Frieden entsteht und erhalten werden kann47

Viele Menschen Schlüsselpersonen

Individuelle / A BpersönlicheVeränderungen

Soziopolitische / C DstrukturelleVeränderungen

Initiativen im Feld A setzen darauf, möglichstviele Menschen dazu zu bewegen, sich in ihrenHaltungen und Verhaltensweisen zu ändern.Ihre Mittel sind zum Beispiel Friedenser ziehung,Mobilisierung für öffentliche Proteste, Mani -festationen für Frieden.

Akteure im Feld B gehen davon aus, dassSchlüsselpersonen dazu gebracht werden müssen,ihren gewaltsamen Kurs zu verlassen. Sie setzenauf Einsicht und innere Umkehr durch Dial oge,Begegnungen, vertrauensbildende Maßnahmenoder durch internationalen Druck, Strafan -drohung und Sanktionen.

Andere Initiativen, die in Feld C verortet werdenkönnen, gehen von der Annahme aus, dassdurch die Mobilisierung und Organi sa tion

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Strategische Verknüpfung Diese strategische Verknüpfung unterschied-licher Aktivitäten in der Friedensarbeit trägtdazu bei, die Reichweite einzelner Aktivitätenzu vergrößern. Denn Frieden addiert sich nichtautomatisch als Summe aus den einzelnen Pro-jekten auf - und irgendwie nützt schon alles.Im Gegenteil. Es gibt Beispiele, wie sich unter-schiedliche Friedensaktivitäten gegenseitigblockierten. In Norduganda etwa bemühtensich lokale und internationale Friedensinitia -tiven lange Jahre um Verhandlungen zwischender Regierung und der Lords Resistance Army,die vor allem einen Terrorkrieg gegen die Be -völkerung führte. Gleichzeitig drängten andereAkteure darauf, die Verbrechen im Zuge derKriegsführung gerichtlich zu verfolgen. Zu -sammenfassend hat Mary B. Anderson dieHerausforderung für Friedensaktivitäten so

formuliert: "... eine Organisation, die einen derAnsätze zum Frieden verfolgt und es versäumt,ihre Tätigkeit mit Arbeit in anderen Feldernzu verknüpfen, wird das Ziel von Friedens -arbeit verfehlen. Friedensorganisationen, dieWirkung entfalten wollen, können nicht iso-liert arbeiten".48

Friedensarbeit geschieht in Prozessen Die Partnerorganisationen betonen aufgrundihrer Erfahrungen die Kontinuität bei derFriedensarbeit, weil Konflikte anderen Zeit -spannen als Projektzyklen unterliegen. Einlangfristiger Ansatz und ein behutsames Vor -gehen sind für sie unabdingbar, wenn es gelingensoll, alle wichtigen Konfliktakteure in eineninklusiven Friedensprozess einzubinden. Manmuss also nicht nur fragen, ob der Wandelschnell genug geschieht, sondern auch, ob derFriedensprozess langsam genug geht, damit erwirklich Inklusivität erreichen kann. Auch diesist eine Herausforderung für eine Friedens -arbeit, die fest steckt. Es kann eben sein, dassdie vorher definierten Zeitspannen nicht aus-reichen, um die gewünschten Ergebnisse zuerzielen.

Auch hinsichtlich der Tiefe der Analyse gibt esAnfragen. Eine sehr sorgfältige Analyse ist zwarnotwendig, da es überlebenswichtig sein kann,die versteckten Agenden der Konfliktparteienzu verstehen. Das Ziel eines möglichst umfassen -den Verständnisses der Situation ist sicher an -zustreben. Aber Organisationen, die sich inihren Ländern konkret in Friedensprojektenengagieren, äußerten Zweifel, ob ein vollstän-diges Bild vom Konflikt je zu erlangen ist.

48 Anderson, Mary B.: Experiences with Impact Assessment: Can we know what Good we do?, eigene Übersetzung aus Berghof: Handbook for Conflict Transformation, Berlin 2005, S. 12; http://www.berghof-handbook.net.

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Frieden und Gerechtigkeit suchenIm biblischen Zeugnis sind Gerechtigkeit undFrieden nicht voneinander zu trennen: "DieFrucht der Gerechtigkeit wird Frieden sein undder Ertrag der Gerechtigkeit Ruhe und Sicher -heit auf immer" verheißt der Prophet Jesaja(Jesaja 32,17). Die Destabilität von Gesell schaftenund die sich in ihnen gewaltsam entladendenKonflikte haben immer damit zu tun, dassGottes Wille, allen Gerechtigkeit widerfahrenzu lassen, missachtet wird. Die alttestamentlichenPropheten haben zu ihrer Zeit ihren Zeitge nosseneingeschärft, dass das Unrecht, das den Armenund Wehrlosen zugefügt wird, das Verderbendes ganzen Volkes nach sich zieht: "Höret dochihr Häupter im Hause Jakob und ihr Herren imHaus Israel!... Ihr schindet die Haut meinesVolkes ab und das Fleisch von ihren Knochenund fresset das Fleisch meines Volkes… Ihrbautet Zion mit Blut und Jerusa lem mit Un -recht… Darum wird Zion um euretwillen wieein Acker gepflügt werden, und Jerusalem wirdzu Steinhaufen werden…" (Micha 3,1-12 inAuszügen). Das biblische Zeugnis hält eineVision von einer Welt bereit, die erst dann anihr Ziel gekommen ist, "wenn Gerechtigkeitund Friede sich küssen" (Psalm 85,11) - eineGabe Gottes, aber Ansporn für die Gesellschafts-ordnungen, sich danach auszurichten. Deshalbführt die Evangelische Kirche in Deutschlandihre Überlegungen zur Frie den sethik der Christenentlang der Denklinie "Aus Gottes Friedenleben - für gerechten Frieden sorgen"49. Werden Frieden will, muss vom gerechten Friedenher denken.

Deshalb setzt sich die entwicklungspolitischeArbeit der Kirchen dafür ein, weltweit sozialeund ökonomische Ungleichheit abzubauen.Diese Arbeit will Menschen ermöglichen, ihreRechte ohne Furcht vor Repressalien wahrzu-

nehmen und ihr Leben eigenverantwortlich zugestalten. Kirchliche Entwicklungsarbeit richtetsich aus auf die "Überwindung der Armut, desHungers und der Not in der Welt und ihrerUrsachen"50 - in der heutigen Terminologie"Armutsbekämpfung". Sie zielt darauf, einen"angemessenen Lebensstandard ... einschließ-lich des Rechts auf angemessene Ernährung,Bekleidung und Wohnung" zu gewährleisten.51

Außerdem strebt sie an, den jeweils "höchstenerreichbaren Standard der körperlichen undgeistigen Gesundheit"52 zu erreichen und dasRecht eines jeden auf Bildung durchzusetzen.Die Praxis der Entwicklungszusammenarbeithat erwiesen, dass die Durchsetzung der wirt-schaftlichen, sozialen und kulturellen RechteHand in Hand mit dem Einsatz für politischeund bürgerliche Rechte geschehen muss.

Die Frucht der Gerechtigkeit wird Frieden seinDie Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaftin Genf hat im Jahre 1966 festgestellt, dass Ge -rechtigkeit und Frieden nicht nur "Aufgabenfür die jeweiligen nationalen Gesellschaften[sind], sondern auch für das Verhältnis zwischenden Industrie- und den Entwicklungs ländern".53

Damit ist ein Bereich gemeinsamer Verant -wortung beschrieben, der weit über die enggeführten Debatten um Intervention hinausweist: Interdependenz, also gegenseitige Ab -hängigkeit, ist das Schlüsselwort. "Gerechtig -keit und Frieden in einer interdependentenWelt" wurde seit der Weltkirchen konferenz1968 zum Leitthema kirchlicher Entwicklungs-zusammenarbeit: "Da wir heute die Lage derMenschen in der ganzen Welt kennen und auchüber die Mittel verfügen, gibt es keine Ent -schuldigung mehr. Es ist eine Welt, und dieungeheuren Ungleichheiten zwischen denMenschen verschiedener Nationen54 und ver-

Friedensarbeit des EED - Grundorientierung und neue Herausforderungen

49 EKD: Friedensdenkschrift des Rates der EKD, Gütersloh 200750 Synode der EKD "Die Zukunft der Kirche und die Zukunft der Welt", München 196851 Art. 11.1 UN-Konvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16.12.196652 Art. 12.1 UN-Konvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16.12.196653 EKD: Der Entwicklungsdienst der Kirche - ein Beitrag für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt. Eine Denkschrift

der Kammer der Evangelischen Kirche für Kirchlichen Entwicklungsdienst (Hg.), Gütersloh 1973, S.16

Die Perspektive wechseln 43

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44 Mit Konflikten umgehen

54 ebenda, S. 1755 ebenda, S. 1856 ebenda, S. 30

schiedener Kontinente sind so unentschuldbarwie die großen Unterschiede innerhalb vonNationen." Dabei wurde der Zu sammenhangvon Frieden und Gerechtigkeit konkret ausfor-muliert: "Dieser Einsatz für Ge rechtigkeit inder ganzen Welt ist zugleich ein wirkungsvollerBeitrag zum Frieden. Denn im umfassendenSinn der biblischen Verkün di gung wie auchder politischen Wirklichkeit bedeutet Friedemehr als das Ruhen der Waffen oder auch dasständig bedrohte Gleichgewicht hoch gerüsteterMächte. Ungerechte Verhältnisse im innenpo-litischen wie im weltpolitischen Bereich stelleneine ständige Bedrohung des Friedens dar. DieFrie densbemühungen der Menschen müssendaher die Suche nach mehr Gerechtigkeit undden Ausgleich der sozialen Spannungen durchweltweite Entwicklungs programme mit einschließen.Entwicklungsverantwortung, Ein treten für Ge -rechtigkeit und dauerhaften Frieden sind in -folgedessen unmittelbar miteinander verknüpft."55

Gerechtigkeit in diesem Verständnis ist engmit Verteilungsgerechtigkeit und mit Zugangs -chancen verbunden, Aspekte, die bei Friedens -prozessen oft zu kurz kommen.

Ungerechte Verhältnisse bedrohen den FriedenGleichwohl ließ die globale Konfliktkon stellationdes Ost-West-Konfliktes bis zum Ende der 80erJahre des letzten Jahrhunderts keinen allzugroßen Spielraum, dieses Leitthema umzusetzen.Zu sehr blockierte das Patt zwischen den Super-mächten eigenständige und an Gerechtigkeitorientierte Entwicklungsprozesse und die mitihnen verbundenen Konflikte. Dennoch hatdie Bekämpfung von "Armut, Hunger undNot in der Welt und ihrer Ursachen", so derWortlaut des Beschlusses der Synode der EKDvon 1968, in der kirchlichen Entwicklungszu -sammenarbeit immer wieder Präzisierungenund Weiterentwicklungen ihrer Ansätze undSchwerpunkte erfahren. Die Schwerpunktewurden von anfänglich akuter Nothilfe zu Hilfezur Selbsthilfe verändert, die Menschen rechtewurden in den Blick genommen. KirchlicherEntwicklungsdienst wandte sich denjenigen

zu, die "an den Rand gedrängt werden unddenen niemand hilft". So hat die Synode derEKD 1973 betont: "Da der Ent wicklungs begriffBefreiung von rassischer und sozialer Diskrimi -nierung einschließt, ...[werden die Christen] ...aufgerufen, angesichts der Entwicklungs- undRassenprobleme der heutigen Welt aktiv zurAusweitung und Konkreti sierung der Menschen-rechte beizutragen".56

Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes rücktenmarktwirtschaftliche Entwicklung und wirt-schaftliches Wachstum in das Zentrum desvorherrschenden Entwicklungsdiskurses. DieAnnahme, dass strikt marktwirtschaftliche Kon -zepte zu gerechter Entwicklung und Armuts -reduzierung beitragen würden, wurde in weitenTeilen enttäuscht. Im Gegensatz, es brachenneue und tiefgreifende Ungerechtigkeiten imnationalen wie internationalen Rahmen auf.Das durch die Wahrnehmung der Auswir kungendes Klimawandels entstandene öffentlicheBewusstsein über globale Zusammenhängeund zuletzt die Erfahrungen aus der Finanz -krise 2008 haben ein neues, problembewusstesNachdenken über globale Verantwortung, Un -gerechtigkeiten und die dadurch ausgelöstenKonfliktdynamiken angestoßen. Darin liegteine Chance, zu einem neuen Verständnis undeiner wirklichen Praxis von gerechtigkeitsorien-tierter Zusammenarbeit im globalen Rahmenzu kommen. Es stecken aber auch Risiken darin:werden diese globalen Ent wick lungen vorwie-gend unter dem Aspekt der Bedrohung wahr-genommen, die es abzuwehren gilt, kann diesin einer konfrontativen, schlimmstenfalls hoch-gradig militarisierten Haltung münden, wie esbereits ansatzweise z.B. bei der AbschottungEuropas gegen die Armutsflüchtlinge aus Afrikaim Mittel meer raum zu beobachten ist.

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Frieden und Konfliktfähigkeit Bereits frühzeitig wies die evangelische Kirchedarauf hin, dass Entwicklungsprozesse scheiternkönnen, "weil (...) kleine privilegierte Gruppenalle entscheidenden Machtposi tionen in ihrenHänden haben und zur Ausbeutung der Masseder Bevölkerung nutzen. Dazu können auchmulti nationale Konzerne gehören, deren Machtdie eines einzelnen Landes übertreffen kann.Schließlich verursacht das gegenwärtige Systemder Weltwirtschaft eine Fortdauer der durchden politischen und wirtschaftlichen Kolonia -lismus begründeten Abhängigkeit."57 Mit diesenKonfliktlinien sind lokale Friedens- und Ent -wicklungsorganisationen konfrontiert. Kirch -liche Entwicklungszusammenarbeit hat sichan ihrer Seite positioniert. Sie bejaht ausdrück-lich die Konflikte, die sich aus dieser Positionergeben. "In der Gestalt gesellschaftlicher Dia -konie begibt sich die Nächstenliebe in politischeAuseinandersetzung. Das gilt für den nationalenin gleicher Weise wie für den internationalenBereich. Dabei entstehen Spannungen undKonflikte, die ausgetragen werden müssen.Nicht selten sind Konflikte zu verstärken, eheeine sozial gerechtere und menschenwürdigereForm des Zusammen lebens erreicht werdenkann."58 Dieser rundum po sitive Blick aufKonflikte hat sich seit dem Ende des Ost-West-Konflikts und mit der Ent wick lung der "neuenKriege" seit den 90er Jahren des letzten Jahr -hunderts differenziert. Die Brutalität der "neuenKriege", in denen "alte" Kriegsregeln immerweniger gelten, und die Erkenntnis der negativenEigendynamik von Konfliktverläufen hat manchefrühere Gewiss heit in Frage gestellt. Dafür sindneue Rollen und als neuer Akzent die Fähigkeitzur Kon flikt bearbeitung ins Blickfeld gerückt.

Gewaltlosigkeit ist die Grundlage erfolg-reicher Konfliktbearbeitung Der Werkstattbericht von 1999 nimmt die be -schriebene Selbstsicht der Kirchen an der Seiteihrer Partner im Süden auf. Er stellt nun diekritische Frage: "Wird kirchliche Entwick lungs-zusammenarbeit damit zum Mitkämpfer, zum'Kombattanten'? Verliert sie damit die christliche

Tugend, Frieden zu stiften?" Der Bericht fragtweiter: "Wer bringt die verfeindeten Par teienzum Gespräch, wer schlichtet Kon flikte, werversöhnt Opfer und Täter?"59 Ins Zen trumrückt die Art und Weise der Konfliktaus tra -gung, die massive Gewalt und Zerstörung, dasLeiden der Menschen. Nicht der Konflikt istdas Problem, sondern die Art seiner Austragung.Es geht nicht darum, den Konflikt um Gerech -tig keit zu scheuen: "Grund sätzlich geht es inder staatlichen wie in der nichtstaatlichen Ent -wick lungszusammenarbeit darum, der massivenGewalt vorzubeugen, mit der Konflikte ausge-tragen werden. Und insbesondere die kirchlicheEntwicklungs zusammen arbeit 'kämpft' dannnicht nur auf der Seite der Armen, sonderngleichermaßen für Gewalt los igkeit. Diese Ge -waltlosigkeit beginnt lange vor dem Ausbruchvon Konflikten, sie gibt der Analyse von Kon -flikten in der Planung von Entwicklungs pro -jekten und -prozessen Vor rang, sie wird schonin den konfliktverschärfenden Entwicklungspro -jekten verankert, wenn nötig besser als bisher,und sie führt während und nach dem Konfliktzu besonderen Maßnahmen der Konfliktbe ar -bei tung".60

57 ebenda, S. 2358 ebenda, S. 55f59 Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst (Hg.), 1999, S. 6660 ebenda, S. 67

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Frieden fördern als Handlungsfeld des EEDWas sollte dies für den Evangelischen Entwick -lungsdienst konkret heißen? Welche Bedeutungsollte künftig zivile Konfliktbearbeitung haben?Der Werkstattbericht von 1999 setzte die Dis -kussion dieser Fragen in den Gremien des EEDin Gang. Im Jahr 2003 verabschiedete der EEDdann eine "Grundorientierung". Sie formuliertedie Zielsetzung für die internationale Zu sammen-arbeit des EED, aber auch für Aktivitäten inDeutschland, für Bildungs- Lobby- und Öffent-lichkeitsarbeit. Ausdrücklich nennt der EED inseiner Grundorientierung die Förderung vonFrieden und die Überwindung von Gewalt alsZiele seiner Entwicklungsarbeit.

Diese Ziele sind verknüpft mit vier weiterenDimensionen: der Minderung von Armut,Hunger und Not und ihrer Ursachen; demAufbau gerechter Gesellschaften; dem bewahren-den Umgang mit der Schöpfung und der Über-windung von Folgen der Globalisierung, dieUnrecht und Ungleichheit aufrecht erhalten.61

Mit dieser Verknüpfung hat der EED den Wertder Friedensförderung deutlich unterstrichen.Sie zeigt darüber hinaus an, dass Engagementfür gerechte Entwicklung ein Engagement fürgesellschaftlichen Wandel bedeutet. Und daserfordert bewussten Umgang mit Konflikten.Andererseits weist sie auf die Notwendigkeithin, auch dort gezielt Wege zu finden, wo bru-tale Gewalt herrscht, Ressourcen und Machtungerecht verteilt sind und die Menschen würdemissachtet wird.

Das Postulat, dass Frieden nur von innen wachsenkann, bekommt in diesem Zusammenhangeine mehrfache Relevanz. Menschen müsseninnerlich bereit werden, sich für die friedlicheBearbeitung von Konflikten aktiv einzusetzen,und nicht abwarten oder weg gucken, wenngesellschaftliche Spannungen eskalieren. Frie -den muss von innen kommen: aus der Gesell -schaft nämlich, die von politischen und sozialenAus einandersetzungen gezeichnet ist. Was istdas stärkste Potenzial, um Gewalt einzudämmenund Friedensprozesse erfolgreich zu machen?Es sind das Engagement und die Beharrlich -keit der Menschen, die in ihrem Lebensumfeld

nicht länger mit rechtloser Gewalt konfrontiertsein wollen. Frieden ist nicht bloß das Schwei genvon Waffen oder das Resultat gelungenenKrisenmanagements. Er ist ein Prozess derEinbeziehung aller Akteure, in dessen Verlaufeine Gewaltdynamik verringert, die Ursacheneines Konfliktes beseitigt und eine tragfähigeBasis sozialen Zusammenlebens geschaffenwird. Das ist ein Weg, der sich aus oft mühsamen,kleinen Schritten und vielen Pfaden ergibtund sich so von innen her verbreitert. Friedenentsteht dort, wo ein demokratischer, leistungs-fähiger Staat genauso wächst wie soziale Ge -rechtig keit, Geschlechtergerechtigkeit und einegesellschaftliche Kultur, die einen konstruktivenUmgang mit Konflikten möglich macht undalso auf Willkür verzichtet.

Dieses Postulat ist ausgesprochen folgenreichfür die Arbeit des EED. Es bedeutet nämlich,dass sich Friedensförderung von dem Projekt -denken verabschieden muss. Projekte sind aneinen vorab definierten Zeitrahmen gebunden,sie erfordern eine klare Zieldefinition und einesystematische Abfolge von Maßnahmen, umdas definierte Ziel zu erreichen. Diese Arbeits -weise wird der Vielschichtigkeit und Prozess -haftigkeit von Friedensentwicklung aber nichtgerecht. In Konfliktsituationen ist es wichtig,mit vielen kleinen Schritte vorzugehen unddabei offen für die Konfliktdynamik und fürdie aktuellen Entwicklungen zu bleiben. EinSchritt nach dem anderen bedeutet hier tat-sächlich, dass die Situation bei jedem neuenSchritt genau analysiert werden muss, dann dennächsten Schritt zu tun, die Ergebnisse sofortauszuwerten und zu evaluieren und erst dannweitere Schritte zu planen. Nur so bleibt dienot wendige Flexibilität erhalten, bestehendeKon fliktsituationen individuell zu bearbeitenund Mechanismen für friedliche Konflikt bear -beitung nachhaltig in der Gesellschaft zu ver-ankern.

Um Konflikte konstruktiv zu bearbeiten undGewalt vorzubeugen, braucht es eine entsprech-ende gesellschaftliche Kultur sowie politischeStrukturen, Institutionen und Verfahren. DieseErkenntnis hat zur Folge, dass das Augen merk

61 Grundorientierung des EED, Bonn 2003

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des EED nicht auf den "hot spots" liegt, die dieAgenden der Medien oder der Außen politikbestimmen. Die Friedensarbeit des EED ent-wickelt sich aus vertrauensvoller partnerschaft -licher Zusammenarbeit mit Orga nisa tionenvor Ort, sie ist geprägt vom Alltag in Entwick -lungsprojekten. Oft geht es um Konflikte umLand, um den Zugang zu Wasser, um die Kon -trolle über Ressourcen, die eine sichere Exis tenzermöglichen. In anderen Fällen geht es umpolitische innergesellschaftliche oder zwischen-staatliche Konflikte, die sich lokal auf das Lebender Menschen auswirken und für deren kon-struktive Bearbeitung sich zivilgesellschaftlicheAkteure einsetzen. Oder es geht um Kon flikte,die entstehen, wenn Traditionen und über-kommene Rollen hinterfragt werden.

Friedensarbeit gelingt in intensiven,langfristigen PartnerschaftenDer EED will dabei ein Partner und Förderersein, der nicht bevormundet. Im intensivenDialog mit Partnern und Langzeitpartner schaftenentsteht Vertrauen. Vertrauen erlaubt, gemein-same Prozesse auf nationaler und auf interna-tionaler Ebene zu gestalten und abzustimmenauf die jeweilige Situation. Das kann im einenFall bedeuten, Vernetzung zu fördern. Im an derenFall kann es heißen, Kapazitäten aufzubauen.Es kann heißen, den Aufbau von handlungsfähigenOrganisationen zu fördern, seien es Frauen-oder Menschenrechtsor ganisa tionen, Organi -sationen von Betroffenen wie Indigenen, Über-lebenden von Gewalt erfahrungen oder Dalits.Es können auch internationale Lobbyorgani sa -tionen sein. Entscheidend ist, ob das Vorgehenin der gemeinsamen Ein schätzung der lokalenOrganisationen und des EED geeignet ist, dieLage vor Ort zu verbessern. Entscheidend istweiterhin, Flexibilität aufrecht zu erhalten, umauf sich verändernde Situationen angemessenreagieren zu können.

Friedensförderung umfasst für den EED zwei -erlei: Einerseits fördert der EED Programmeoder Projekte der Partner finanziell, personelloder durch Qualifizierungsmaßnahmen. Zumzweiten arbeitet er mit Partnern daran, dieRahmenbedingungen für friedliche Entwick -lung zu verbessern.

Das Spektrum von Ansätzen der direkten Zu -sammenarbeit ist bewusst breit. Es trägt derErfahrung Rechnung, dass es kein Rezept da fürgibt, wie Frieden gefördert werden kann. Sofördert der EED Organisationen, die aktivPrävention betreiben. Auf diesem Feld sindz.B. Frauenorganisationen von großer Bedeutung.

Zur Überwindung von Faktoren, die in einerRegion oder auf nationaler Ebene Gewalt aus-gelöst haben, kann es wichtig sein, zur "De-Eskalation" beizutragen und sich wieder zivilbzw. politisch mit einem Konflikt auseinanderzu setzen. In einer Nachkriegssituation sindoft Programme nötig, die Recht, Wahrheit undVersöhnung (wieder) herstellen und so verhin-dern, dass Konflikte nach kurzer Zeit wiederaufflammen. Zugleich haben in Nachkriegs -situationen Entwicklungsprogramme wiefunktionierende soziale Dienste und Bildungs -einrichtungen, Einkommen schaffende Maß -nahmen, Ernährungssicherung eine großefriedensfördernde Bedeutung. Aus diesemGrunde ist es wichtig, sie "konfliktsensibel" zugestalten, das heißt, dem "Do No Harm" -An -satz zu folgen.

Jeder Konflikt ist anders. Ihn konstruktiv lösen,kann bedeuten, dass Menschen oder Gruppenihre Einstellungen zu einem Problem oder zuanderen Mitgliedern der Gesellschaft ändernmüssen, dass verfeindete Gruppen neue Formendes sozialen oder politischen Umgangs mitein-ander finden müssen oder sie neue Verhaltens -muster erproben und das Gewaltpotenzial be -grenzen müssen.

Wenn größere innerstaatliche Spannungen be -arbeitet werden sollen, muss die Dimensionder strukturellen Gewalt ebenfalls berücksich-tigt werden. Sie resultiert aus ungerechtenMachtbeziehungen in Politik, Wirtschaft oderauch zwischen den Geschlechtern. Was einEED-Partner für notwendig und machbarhält, wird von seiner Kompetenz und seinemgesellschaftspolitischen Selbstverständnis be -stimmt. Es ist darüber hinaus abhängig vondem Grad der Freiheit, den die Zivilgesell schaftjeweils vorfindet. In Gesellschaften, in denensich die Bevölkerung an politischen Entschei -dungen beteiligen kann und Menschenrechte

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respektiert werden, ist es einfacher, Konfliktezu bearbeiten und "Frieden von innen" wachsenzu lassen. Wo dies weniger der Fall ist, sind dieChancen zivilgesellschaftlicher Akteure begrenzt.Ihre Handlungsspielräume liegen dann eherauf lokaler Ebene. Konkret können sie zumBeispiel Auswirkungen von Gewalt auf die Be -völkerung mindern, Kompetenzen zur gewalt-freien Konfliktaustragung aufbauen und struk-turelle Faktoren abbauen, die zu Spannungenoder Gewalt führen. Die Unter stützung desEED von außen weitet die Chancen der lokalenOrganisationen aus, in ihrer Gesell schaft Ent -wicklungs- und Friedensprozesse selbst be -stimmt und aktiv mitzugestalten.

Der EED stärkt lokale FriedenskräfteDie Unterstützung, die der EED Partnern bietet,nimmt unterschiedliche Formen an. Der EEDnutzt kirchliche und öffentliche Mittel, umProgramme von Partnern finanziell zu unter-stützen und damit vorhandene Initia tiven zustärken oder auszuweiten. Er vermittelt Frie -densfachkräfte an Partner in Afrika, Asien,Lateinamerika und Südosteuropa. Die Fach -kräfte bilden dort einheimisches Personal fort,begleiten Friedensprozesse oder geben neueEr kenntnisse, Verfahren und Methoden inOrga nisationen weiter. Der EED fördert Maß -nahmen, die es Partnern ermöglicht, sich natio -nal, re gio nal und international zu vernetzenund ihre Arbeit gemeinsam zu reflektieren. Indiesem Erfahrungsaustausch der Partner ent-steht neues Konzept- und Handlungswissen.Der EED fördert die Fort- und Weiterbildungvon Mitarbeitenden in Partnerorganisationenund er unterstützt Partner bei ihrer internatio-nalen Lobby- und Advocacyarbeit.

Der Zivile Friedensdienst (ZFD)Gerechtigkeit und Friedensförderung sind seitjeher zentrale Themen und Arbeitsbereichechristlicher Entwicklungszusammenarbeit. Ausvereinzelten Vermittlungen hat sich in den 90erJahren der Programmbereich Friedensfach dienstentwickelt, der den Grundstein legte für dieBeteiligung des EED am Programm ZivilerFriedensdienst.

Der Zivile Friedensdienst (ZFD) wurde 1999von der Bundesregierung und den Friedens-

und Entwicklungsdiensten als eine Form derpersonellen Zusammenarbeit eingerichtet.Neben der Personalvermittlung stellt der ZFDauch finanzielle Mittel zur Förderung derPartnerorganisationen zur Verfügung. Die in -halt lichen und organisatorischen Rahmenbe -ding ungen des Zivilen Friedensdienstes wurdenunter Beteiligung der Träger festgelegt (BMZspezial 006/August 1999).

Die Bundesregierung fördert den Zivilen Frie -densdienst als Teil ihres Schwerpunktes imBereich Krisenprävention und zivile Konflikt -bearbeitung (BMZ Spezial 017/2000). Mit seinerBeteiligung am Zivilen Friedensdienst bauteder EED ein zusätzliches Instrument der per-sonellen Förderung auf. Dabei ist es das Ziel,lokale Trägerorganisationen in Krisen regionenzu unterstützen, die den Ausbruch gewaltsamerKonflikte zu verhindern suchen (Krisenpräven-tion), die zu einer Stärkung der Fähigkeit zufriedlicher Konfliktbearbeitung beitragen (Ge -waltminderung), und die durch den Aufbaufriedensfördernder Strukturen eine langfristigeFriedenssicherung unterstützen (Konflikt nach-sorge). Wichtige Anliegen des EED sind hierbeilokale Friedenspotenziale zu stärken, sie zuunterstützen, Beiträge zur Versöhnung undzum Wiederaufbau zu leisten, die Menschen -rechts- und Demokratiesituation zu verbessern,Vertrauen schaffende Maß nahmen zwischenAngehörigen von Konfliktparteien durchführenzu können oder zwischen Kon fliktparteien,Interessengruppen, Ethnien oder Religionenvermitteln zu können.

Bei der Anwendung des Instruments "zivilerFriedensdienst" liegt für den EED der Fokusauf der einzelnen Personalvermittlungs maß -nahme, die als Leuchtturmprojekt für sich stehenkann und häufig gemeinsam mit anderen ent-wicklungspolitischen Maßnahmen des Par tnerssynergetisch wirkt. Es geht nicht darum, hier inDeutschland eine Strategie zu entwickeln undumzusetzen. Dem EED geht es darum, die lokalenOrganisationen zu befähigen, sich stra tegischzu positionieren und zu handeln. Strategie ent -wicklung ist Teil und oft Ergebnis der Förderungund ist nicht deren Voraus setz ung weil - wieoben ausgeführt - Friedens pro zesse behutsamesSchritt-für-Schritt Vor gehen erfordern.

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Lobby- und AdvocacyarbeitIn vielen Konfliktzonen tragen ausländischeAkteure Mitverantwortung für die Ursachenund den Verlauf von Auseinandersetzungen.Der EED vertritt deshalb auch auf internatio-naler Ebene die Interessen seiner Partneror gani -sa tionen. Derzeit widmet er dem Austauschzwischen Nord- und Süd-Akteuren verstärktAuf merksamkeit. Er beteiligt sich z.B. amÖkumenischen Friedensdienst für Palästina/Israel, an der Unterstützung des Friedens pro -zesses im Sudan oder an einem christlich-muslimischen, deutsch-ägyptischen Dialog zurRolle von Reli gionen in Staat und Gesellschaft.Der EED begleitet Prozesse des gesellschaftlichenWandels auf internationaler Ebene. Er will damitGe walt reduzierende Ansätze bestärken und ein-wirken auf Faktoren, die Konflikte verschärfen.

Friedensförderung und zivile Konfliktbear bei tungsind auch Schwerpunkte der Bildungs- undLobbyarbeit des EED im Inland. Das Spektrumder Aktivitäten reicht dabei von der Förderungder Informationsarbeit in Kirchengemeindenbis zur Beteiligung des EED an der Debatteüber die Gestaltung der deutschen Ent wick -lungs- und Friedenspolitik.

Nördliche Deutungshoheit abbauenDie Förderungspraxis des EED ist geleitet vomGedanken der "Ownership"62 interner Akteure.Kirchlicher Entwicklungsdienst zielt seit seinerGründung darauf, die Würde des Menschenals Subjekt seiner eigenen Entwicklung undBefreiung zu respektieren und zu fördern.Darum ist die Zusammenarbeit mit Organi -sationen im Süden konstitutives Merkmalkirchlicher Entwicklungsarbeit: Sie bringt nichtvermeintliche Lösungen von außen, sondernunterstützt die Entwicklungsansätze der lokalenOrganisationen. Deshalb fördert der EEDlokale Organisationen und ihre Projekte undbegreift sich in der Zusammenarbeit als Partner,der die Entwicklungs- und Friedensarbeit be -stehender Organisationen finanziell oder durchFachwissen unterstützt.

Diese Zusammenarbeit stößt zugleich bei denKirchen und Werken in Deutschland Lernpro -zesse an, durch die sich das Verständnis vonFrieden hier verändert. Der intensive Dialogmit den lokalen Organisationen ermöglichtLernprozesse für beide Seiten. Nur so konnteeine Diskussion um die Frage entstehen: Wiekann kirchliche Entwicklungsarbeit in Krisen-und Konfliktgebieten aussehen, damit sie nichtunbeabsichtigt Gewalt schürt, sondern vielmehrdie Fähigkeit einer Gesellschaft zur konstruktivenKonfliktaustragung stärkt? Der EED ist Partnervon unterschiedlichen zivilgesellschaftlichenOrganisationen, Kirchen, NRO, Basisgruppen,Frauenorganisationen, Netz werken und Ver -bänden in über 80 Ländern der Welt. Er hatdamit die Möglichkeit, über Länder- und Kon ti -nentgrenzen hinweg Lern prozesse zu initiieren.Das große Potenzial solcher Prozesse für dieEntwicklung neuer praxisrelevanter Konzepteund Methoden haben der Local Capacities forPeace- Prozess (LCP) und das Reflecting onPeace Practice- Projekt (RPP) deutlich gemacht.

Der entwicklungspolitische Diskurs und in derFolge auch die Förderpraxis in Deutschland,Europa und den Vereinigten Staaten unterliegenaber weiterhin der nördlichen Deutungs hoheit.Die Mehrzahl der Publikationen, die in diesemZusammenhang eine Rolle spielen, wird inEuropa und den USA produziert. Ein schätz ungenund Analysen staatlicher und nichtstaatlicherEinrichtungen aus Europa und den USA be -stimmen die internationalen Diskus sionen.Noch dominanter ist die nördliche Deutungs -hoheit bei der Analyse und Be wer tung von Kon-flikten. Seit September 2001 prägt die Sicht desNordens die Diskussion über den Zu sammen -hang von Sicherheit und Entwicklung. Dieslenkt den Blick auf die eskalierenden Konflikteund lässt Friedens politik immer mehr zurKrisenpolitik werden. Prävention, die langfristigeArbeit an Kon flikten, der Aufbau konfliktfähigerKulturen, von politischen Strukturen, Institu -tionen und Verfahren wird dabei vernachlässigt.

62 Der Begriff "Ownership" (deutsch: Eigentümerschaft) meint hier die Eigenverantwortung der Menschen und ihre Identifikation mit einer Aktion oder einem Prozess.

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Den lokalen Friedensorganisationen eineStimme gebenDeshalb fördert der Evangelische Entwicklungs-dienst seit einigen Jahren gezielt die Lobby-und Advocacy Arbeit seiner Partnerorganisa -tionen. Dies geschieht beispielsweise im Rahmendes Programmes Peace in South Asia (PISA),für den der EED auch in besonderem MaßeRessourcen bereitgestellt hat. Seit 2003 legt dasSüdasienteam des Referats Asien/Pazifik imEED mit PISA einen Schwerpunkt auf dieQualifizierung der Arbeit von Partneror gani sa -tionen zur zivilen Konflikttransformation, mitHandlungsfeldern in Südasien und im Norden.

Daneben unterstützt der EED aber auch gezieltdie internationale Vernetzung der Friedens -akti vistinnen und Friedensaktivisten. Zu diesemZweck veranstaltet er beispielsweise Fachta g -ungen und Expertengespräche und fördert soden direkten fachlichen Austausch mit deut-schen und europäischen Expertinnen über dieEr fahr ungen und Erwartungen lokaler Frie dens-initiativen an die internationale Ent wick lungs-und Friedenspolitik. Direkte Kontakte entstehenauch bei Gesprächen mit Abgeordneten undVertreterinnen und Vertretern der Ministerien.

So führte der EED beispielsweise im Oktober2005 zusammen mit APRODEV eine Fach -tagung in Brüssel mit Ansprache der EU-Ebenezu Fragen im Bereich Gender und Konfliktdurch. Dort stellten Partner Fallbei spiele ausdem Sudan und aus Gujarat/Indien (OLAKH)vor. Aus dieser Veranstaltung ging eine Er klärungzum Thema Gender und Konflikt hervor, dieEntscheidungsträgern in der EuropäischenKommission und in europäischen Nichtre -gierungsorganisationen als nötiges Hand -werks zeug dient.

Im Juni 2008 konnten MenschenrechtlerInnenund FriedensaktivistInnen aus Pakistan, Indien,Nepal und China auf Einladung des EED Ge -spräche in Berlin, Bonn und Genf führen. ImRahmen der einwöchigen Infor mations reisestellten sie ihre Anliegen auf einem Ex perten -gespräch Vertreterinnen und Vertretern ausPolitik und Zivilgesellschaft dar, unterrichtetenden Ausschuss für Menschenrechte und humani -täre Hilfe über ihre Anliegen und führten in

Genf Gespräche mit Vertreterinnen und Ver -tretern des Menschenrechtsrates der VereintenNationen.

Neben der Förderung direkter Kontakte zwischeneuropäischen Entscheidungsträgern und denlokalen Friedensorganisationen trägt der EEDauch durch die Veröffentlichung der Er gebnissevon Lernwerkstätten und Fallstudien zum Per -spektivwechsel in Deutschland und Europa bei.

Das Interesse für diese Form der Informationist groß: 2006 veröffentlichte der EED die eng-lischsprachige Fachpublikation "People Buil dingPeace". Die acht Fallstudien behandeln dieWechsel beziehungen der Entwicklungsarbeitvon Partner organisationen mit Faktoren derKon flikt kon texte, in denen sie arbeiten undleiten daraus Schlussfolgerungen und Em -pfehlungen ab. Die Nachfrage in Südasien undDeutschland war so stark, dass inzwischeneine zweite Auf lage vorliegt. Auch die vorlie-gende Broschüre will in diesem Sinne ihrenBeitrag für einen Perspektivwechsel leisten.Deshalb fasst sie die Ergebnisse der vom EED2005 organisierten Lernwerkstatt "Develop -ment in a Troubled World - Dealing withConflict in Constructive Ways", und desanschließenden öffentlichen Fachgesprächsmit weiteren deutschen NRO und Vertreter -innen und Vertreter aus Ministerien zusammen.

Nicht zuletzt können auch Informationsreisenvon Politikerinnen und Politikern das Ver ständ-nis erweitern und die Perspektive verändern.Deshalb nutzt der EED immer wieder die Ge -legenheit, Reisen von Abgeordneten des Deut -schen Bundestages oder Angehörigen der Re -gierung mit zu gestalten und teilweise zu be -gleiten, etwa im März/April 2008 nachBangladesh und Nepal. Informationsreisen wer-den auch zukünftig ein wichtiger Baustein derLobby- und Advocacy arbeit des EED sein.

Gender-Dimensionen einbeziehenFrauenorganisationen weltweit haben ihreKompetenz zur Transformation von gewalt-förmigen Konflikten bewiesen. Ungezählte Bei-träge zur Frühwarnung und zu informellen Frie-densprozessen gehen auf die Initiative von Frauenzurück. Diese Rolle von Frauenor gani sationen

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innerhalb der Zivilgesellschaft und gegenüberstaatlichen Stellen gilt es auch in der kirchlichenEntwicklungs- und Friedens arbeit anzuerkennen,zu stärken und zu formalisieren, wie in derResolution 1325 des Sicher heits rats der VereintenNationen festgeschrieben.

Gewaltförmige Konfliktsituationen haben be -deutende Auswirkungen auf Geschlechter rollenund auf die Wahrnehmung von Männlichkeitund Weiblichkeit. In Kriegssituationen wirdvon Frauen selbstverständlich erwartet, dasssie die sonst als männlich beschriebene Rolledes Haushaltsvorstands oder die Rolle als Arbeits-kraft einnimmt. Gleichzeitig und im Wider spruchzu dieser Realität setzt eine Stereo typisierungvon gesellschaftlichen Normen bezüglich des"wahren" Mannes oder der "typischen" Frauein, die kaum noch Abwei ch ungen zulässt: Diemännliche Norm ist der Soldat / der Täter,dem die weibliche Norm der Soldatenmutter/des Opfers gegenübergestellt wird.

Es gilt, in der zivilgesellschaftlichen Arbeit dieveränderten Geschlechterrollen wahrzunehmenund den daraus entstehenden Bedürfnissenund Herausforderungen zu begegnen. Gleich -zeitig ist eine große Heraus forderung an dieFriedensarbeit, die verengten stereotypen Ge -schlechternormen aktiv in Frage zu stellen. Siedürfen nicht als "Rahmen bedingung" für Frie -densmaßnahmen in Kauf genommen werden.Es gilt für den kirchlichen Entwicklungsdienst,diese in Frage zu stellen und den Blick auf dieMenschen zu leiten, die unter den Stereotypenleiden. Insbesondere Männer dürfen nicht nurals Gewaltakteure, sondern müssen auch alsOpfer und als Frie densakteure wahrgenommenwerden. Genauso gilt es, Frauen nicht als passiveOpfer, sondern aktive Akteurinnen zu verstehenund dabei auch die Augen vor Frauen als Ge -walt ak teur innen nicht zu verschließen.

Friedensarbeit stellt Geschlechternormen in FrageWenn in der Gesellschaft ein stereotypes Männ-lichkeitsbild des aggressiven, potenziell gewalt-tätigen "Helden" dominiert, entwickelt sich einnormativer Kontext, in dem Politik mit patri-archal militaristischen Lösungs strate gien be -trieben wird. Diese Strategien tragen jedoch

häufig zur Verschärfung von Gewalt situa tionenbei. Aufbauend auf eine Gender analyse solltedeshalb nach Möglichkeiten gesucht werden,den politischen und wirtschaftlichen Kontextdahingehend zu beeinflussen, dass die patriarchal-hierarchische Logik geschwächt wird und zivile,nicht autoritäre Lösungsansätze entwickeltwerden können.

Darüber hinaus bereichert die Genderanalysedie Methodik der Konfliktanalyse, in dem sieMachtasymmetrien auf allen Ebenen, auchinnerhalb der Zivilgesellschaft, offen legt.Zivilgesellschaft darf nicht als monolithischeKategorie idealisiert werden. Die unterschied-lichen Interessen und daraus entstehende Kon-flikte innerhalb der Zivilgesellschaft, die nichtnur zwischen Geschlechtergruppen zu beobachtensind, können durch Gender ana lyse identifiziertund konstruktiv genutzt werden. Je be wussterund selbstkritischer eine Gesellschaft mit Ge -rechtigkeitsfragen zwischen den Ge schlech ternumgeht, desto besser ist sie befähigt, in derKon flikttransformation nachhaltig Frieden zufördern.

Möglichkeiten und Grenzen der Zivilge -sellschaft erkennenIn den letzten Jahren ist das Schlagwort"Stärkung der Zivilgesellschaft" zum Allheil -mittel für Probleme aller Art avanciert. Unddamit auch zu einem Schwerpunkt der För der-politik von nördlichen Gebern. Erfahr un genvon Partnern, aber auch die nördlicher Staaten,legen nahe, diese Praxis zu überdenken. Vorallem dort, wo der Staatsaufbau nicht voran-kommt, kann Zivilgesellschaft Defizite nichtkompensieren. Das muss zu Frustration undzur Diskreditierung von Zivilgesellschaft führen.

Die Vorstellung, dass gesellschaftliche Akteurestaatliche Funktionen kompensierend über-nehmen könnten, entspringt einer Politik er -fahrung, die Zivilgesellschaft und demokratischenStaat als "hochgradig komplementär, sogar von-einander abhängig" erlebt. Das kann man sosehen. Und zwar dort, wo der Staat Rechts -sicherheit garantiert und auf die Bedürfnisseder Bevölkerung eingeht. Wie die Erfahrungenvon Partnern aus dem Süden jedoch zeigen, istdas nicht der Staat, den sie real als Gegenüber

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haben. Seit vielen Generationen haben Men schenim Süden den Staat eher als Gefahr für per-sönliche Freiheit und Sicherheit erlebt, dennals deren Garant. Sie ringen darum, dass derStaat seine Grundfunktionen erfüllt und staat-liche Organe sich so verhalten, dass der Staatals legitim anerkannt werden kann.

Staaten müssen in die Pflicht genommen werdenWenn es um Stärkung der Zivilgesellschaftgeht, dann in dem Sinne, dass sie als kritischesGegenüber zu staatlichen Instanzen agiert unddiese zu Rechtsstaatlichkeit und guter Re gierung s -führung anhalten kann. Keinesfalls aber darfdie internationale Gemeinschaft regierendeEliten aus ihren Pflichten gegenüber den Bür -gerinnen und Bürgern entlassen. Der imDezember 2001 veröffentlichte Bericht "TheResponsibility To Protect"63 beschreibt diesePflichten staatlicher Organe eindrücklich. Inden Kontexten der Partnerorganisa tionen sindund bleiben die dominanten Akteure Behördendes Staates, zusammen mit zwischenstaatlichenoder multilateralen Orga nisationen und wirt-schaftlichen Unter nehmen. Hier müssen inter-

nationale Akteure in die Pflicht genommenwerden. Dort, wo Konflikte gewaltförmig eska-lieren aufgrund von externer Einmischungstaatlicher oder privater Akteure muß die inter -n ationale Gemeinschaft in die Pflicht genommenwerden, rechtlose Gewalt zu verhindern undLeben zu schützen.

In vielen Ländern des Südens sehen staatlicheAkteure Nichtregierungsorganisationen ledig-lich als Mittel, derer sie sich bedienen, um ihreeigene Agenda zu legitimieren. Zivilgesell schaftan sich aber hat das Potenzial zu konstruktiven,aber auch zu destruktiven Prozessen. Die Her -ausforderung besteht daher darin, "authen tischeTräger des Wandels" zu identifizieren und siedarin zu stärken, eine eigenständige, konstruktivgestaltende Rolle in ihrer Gesellschaft zu spielen,mit einem verantwortlichen Staat als Gegen -über. Diese Menschen sollen, wie die Denk -schrift der EKD von 1973 es bereits formulierte:"eine strukturelle Neu ordnung zugunsten derbenachteiligten Massen wollen und sich alsauthentische Sprecher ihrer Länder und Men -schen ausweisen können."64

63 The Responsibility to Protect. Report of the International Commission on Intervention and State Sovereignty. December 2001; http://www.iciss.ca/report2-en.asp

64 EKD, 1973, S. 25

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Evangelische Kirche in Deutschland (EKD): "Der Entwicklungsdienst der Kirche - ein Beitrag für Frieden und Gerechtigkeit inder Welt". Eine Denkschrift der Kammer der EKD für Kirchlichen Entwicklungsdienst; Gütersloh 1973

Evangelische Kirche in Deutschland (EKD): "Schritte auf dem Weg des Friedens - Orientierungspunkte für Friedensethik undFriedenspolitik". EKD- Texte 48; Hannover 1994

Evangelische Kirche in Deutschland (EKD): "Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. Gewaltsame Konflikte und zivileIntervention an Beispielen aus Afrika - Herausforderungen auch für kirchliches Handeln". Eine Studie der Kammer fürEntwicklung und Umwelt, EKD-Texte 72; Hannover 2002

Evangelische Kirche in Deutschland (EKD): "Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen". Eine Denkschrift desRates der EKD; Gütersloh 2007

Evangelischer Entwicklungsdienst (EED): "Coltanfieber. Wie ein seltenes Metall das Leben im kriegsgeschüttelten Osten derDemokratischen Republik Kongo verändert hat" (Autoren: Dominic Johnson, Christiane Kayser, Aloys Tegera); Bonn 2002 (Das Heft ist vergriffen und nur noch als download erhältlich unterhttp://www.eed.de/de/de.eed/de.eed.pub/de.eed.pub.all/de.pub.de.33/)

Evangelischer Entwicklungsdienst (EED): "People Building Peace - Transforming Violent Conflict in South Asia" (Autor: Hagen Berndt). Bonn 2006 (2. Auflage 2007)

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54 Mit Konflikten umgehen

Evangelischer Entwicklungsdienst (EED): "Was der Krieg uns lehrte. Überlebensstrategien von Handwerk und Gewerbe in derKrisenregion Ostkongo" (Autorin: Maria Baier d´Orazio). Bonn 2005

Evangelischer Entwicklungsdienst (EED): "Wenn die Welt zerbricht. Mit traumatischen Erlebnissen umgehen". EED-Scriptum 3;Bonn 2005

Evangelischer Entwicklungsdienst: “Netze des Friedens knüpfen. Ziviler Friedensdienst.” Bonn, 2008

Evangelischer Entwicklungsdienst: “Lebensperspektiven entwicklen! Gerechtigkeit suchen, Frieden fördern.” Bonn, o.J.

Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE): "Reformpartnerschaft mit Afrika". Dokumentation zurInternationalen Konferenz der GKKE vor dem G8-Gipfel 2007, GKKE-Schriftenreihe 43; Berlin / Bonn 2007

Goswami, Roshmi et al.: “Women in Armed Conflict Situations”, North East Network Guwahati 2005, www.northeastnetwork.org

Heinrich, Wolfgang: “Building the Peace. Experiences and reflections of collaborative peacebuilding. The case of Somalia.”Zweite und ergänzte Auflage, Life & Peace Institute, Uppsala 2006

Jagori, Olakh, Sangat, Kartini: “Gender, Conflict and Peace - A Dialogue between Gujarat, Kashmir and the North East”,Jagori, New Delhi 2006, www.jagori.org

Kaiser, Wolfgang: “Friedensförderung des kirchlichen Entwicklungsdienstes.” In: Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden e.V.:“Gewaltfrei streiten für einen gerechten Frieden.“ Oberursel, 2008, 91-97

Kirchlicher Herausgeberkreis: Jahrbuch Gerechtigkeit: "Reichtum, Macht, Gewalt - Sicherheit in Zeiten der Globalisierung"(Jahrbuch Gerechtigkeit II). Publik-Forum/Frankfurter Rundschau; Oberursel, Heidelberg 2006

Kirleis, Edda: "Rethinking Gender, Violent Conflict and Development from Local Perspectives: Reclaiming Political Agency inSouth Asia". in Zarkov. D. (Hg.). “Gender-Violent Conflict-Development”, Zubaan, New Delhi 2008

Manchanda, Rita: “We Do More Because We Can - Naga Women in the Peace Process”, “South Asia Forum for HumanRights”, Kathmandu 2004, www.safhr.org

Misereor, Brot für die Welt, Evangelischer Entwicklungsdienst: "Entwicklungspolitik im Windschatten militärischerInterventionen?" Eine gemeinsame Stellungnahme von Misereor, Brot für die Welt und EED; Aachen/Stuttgart/Bonn 2003.http://www.eed.de/de/de.col/de.col.d/de. sub.08/de.sub. info/de.info.142/in dex.html

Roy, Chandra K. et al. (eds.): “Beyond Silencing of the Guns”, Tebtebba Foundation, Baguio 2004, www.tebtebba.org

Tauli-Corpuz, Victoria; Carino, Joji (eds.): “Reclaiming Balance - Indigenous Peoples, Conflict Resolution and SustainableDevelopment”, Tebtebba Foundation, Baguio 2004, www.tebtebba.org

Zarkov, Dubravka (ed): “Gender -Violent Conflict –Development”, Zubaan, New Delhi 2008

Weitere Literaturhinweise und Informationen zum Thema Frieden und zivile Konfliktbe arbeitungfinden Sie auf der Internetseite "Frieden fördern" des EED unter http://www.eed.de/frieden

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Die Annahme, dass Entwicklungsmaßnahmen immer friedensfördernd wirken, hat sichals Irrtum herausgestellt. In zahlreichen Fällen haben Kriegsakteure die Arbeit von Hilfs -organisationen bewusst einkalkuliert und für ihre Zwecke missbraucht. Lokale undinter nationale Organisationen, die Flüchtlinge, Kriegsopfer und von Gewalt betroffeneGemeinschaften unterstützen und ihnen ein Überleben ermöglichen wollen, müssensich mit den ungewollten Auswirkungen von Not- und Entwicklungshilfe auseinander setzen.

Entwicklungsorganisationen haben aber auch Erfahrungen gesammelt, wie sie mit denMitteln der Not- und Entwicklungshilfe dazu beitragen können, dass GemeinschaftenKonflikte gewaltfrei – konstruktiv – bearbeiten können. Sie haben Ansätze und Methodenentwickelt, um in einer geplanten und systematischen Weise Gewalt zu deeskalierenund Friedensarbeit zu fördern.

In diesem Band wird beschrieben, welche Erfahrungen Partner des EED – und der EEDselbst – aus der Entwicklungsarbeit in Situationen, in denen Konflikte gewaltsam aus-getragen werden, gesammelt und wie sie damit ihre Arbeit und Arbeitsweise den neuenHerausforderungen angepasst haben – und weiterhin beständig anpassen.

Mit Konflikten umgehen - die Perspektive wechseln

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