mikro-drahtelektroden in der polarographie und bei amperometrischen titrationen

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Mikro-Drahtelektroden in der Polarographie und bei amperometrlschen Titratlonen Von I. M. KOLTHOFF und DAN LEUSSIKG~) Gustav G. Hiittig xum 60. Geburtstag Inhaltsiibersicht Es wird eine tfbersieht iiber die analytische Anwmdung von stationaren und rotie- renden Draht-Elektrodengegeben. Die rotierende Platin-Elektrode ist fur die Analyse von Spuren von Thallium(1) und Kupfer(I1) in sulfithaltigen ammoniakalisrhen Losungen anwendbar. Feststehende und rotierende Metalldraht-Elektroden kiinnen mit groljem Vorteil bei manchen analytischen Prozeduren verwendet werdeti, wenn sie auch gegenuber der Quecksilber-Tropfelektrode bestimmte Be- grenzungen haben. Ein Vorteil der rotierenden Draht-Elektrode liegt darin, da13 unmittelbar stetige Strome geinessen werden, nicht fluk- tuierende wie bei der Tropfclektrode. Auljerdem ist der Reststrom dtrr rotierenden Elektrode zu vernachlassigen. Aus diesen Griinden lassen sich mit der rotierenden Elelrtrode Diffusionsstrome bei Konzentrationen von n oder darunter messen. Theoretisch gesehen ist es ungunstig, daB bei den meisten Reduk- tions-Reaktionen an der rotierenden Elektrode amgcpriigte Polarisa- tions-Erscheinungen auf treten. Uaher ist die Benutzung der rotierenden Elektrode im wesentlichen aiif analytische Arbeiten beschriinkt; hier lkljt sie sich jedoch vie1 hiiufiger anwenden, als es bisher geschieht. Fruhere Untersiichungeti 2, 3, 4) 5, der Diffusionsstriime mit festen Elcktrdden gabcn nur anniihernd Proportionalitiit zwischen dem Diffu- sions-Strom und der Konzentration der dcr Elektroclenu,irkung unter - liegenden Substanz. Die Genauigkeit. erreicht,e die der Quecksilher- l) Deutsch von W. KLEMJI, Kid. 2) E. ~OLOMOS, Z. physik. Chem. 24, 55 (1897); 25, 365 (1698). 3) S. GLASSTOXE, Trans. Arne-. electrochem. Boc. 69, 277 (1931). 4) S. GLASSTOXX u. G. D. REPKOLDY, Trans. Faraday Soc. 29, 390 (1933). R. E. WILSOS 11. 31. A. YOWTZ, Ind. Engng. Cliem. 15, 603 (1923).

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Page 1: Mikro-Drahtelektroden in der Polarographie und bei amperometrischen Titrationen

Mikro-Drahtelektroden in der Polarographie und bei amperometrlschen Titratlonen

Von I. M. KOLTHOFF und DAN LEUSSIKG~)

Gustav G. Hiittig xum 60. Geburtstag

Inhaltsiibersicht Es wird eine tfbersieht iiber die analytische Anwmdung von stationaren und rotie-

renden Draht-Elektroden gegeben. Die rotierende Platin-Elektrode ist fur die Analyse von Spuren von Thallium(1) und Kupfer(I1) in sulfithaltigen ammoniakalisrhen Losungen anwendbar.

Feststehende und rotierende Metalldraht-Elektroden kiinnen mit groljem Vorteil bei manchen analytischen Prozeduren verwendet werdeti, wenn sie auch gegenuber der Quecksilber-Tropfelektrode bestimmte Be- grenzungen haben. Ein Vorteil der rotierenden Draht-Elektrode liegt darin, da13 unmittelbar stetige Strome geinessen werden, nicht fluk- tuierende wie bei der Tropfclektrode. Auljerdem ist der Reststrom dtrr rotierenden Elektrode zu vernachlassigen. Aus diesen Griinden lassen sich mit der rotierenden Elelrtrode Diffusionsstrome bei Konzentrationen von n oder darunter messen.

Theoretisch gesehen ist es ungunstig, daB bei den meisten Reduk- tions-Reaktionen an der rotierenden Elektrode amgcpriigte Polarisa- tions-Erscheinungen auf treten. Uaher ist die Benutzung der rotierenden Elektrode im wesentlichen aiif analytische Arbeiten beschriinkt; hier lkljt sie sich jedoch vie1 hiiufiger anwenden, als es bisher geschieht.

Fruhere Untersiichungeti 2, 3, 4) 5, der Diffusionsstriime mit festen Elcktrdden gabcn nur anniihernd Proportionalitiit zwischen dem Diffu- sions-Strom und der Konzentration der dcr Elektroclenu,irkung unter - liegenden Substanz. Die Genauigkeit. erreicht,e die der Quecksilher-

l) Deutsch von W. KLEMJI, Kid. 2) E. ~OLOMOS, Z. physik. Chem. 24, 55 (1897); 25, 365 (1698). 3) S. GLASSTOXE, Trans. Arne-. electrochem. Boc. 69, 277 (1931). 4) S. GLASSTOXX u. G. D. REPKOLDY, Trans. Faraday Soc. 29, 390 (1933). R. E. WILSOS 11. 31. A. YOWTZ, Ind. Engng. Cliem. 15, 603 (1923).

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I. M. KOLTHOFF u. DAN LEUSBINQ, Mikro-Drahtelektroden in der Polarographie 161

tropfelektrode niclit. LAITINEN und KOLTHOFF~) ') untersuchten 1941 im Hinblick auf analytische Anwendungen die Strom-Spannungslturven und Diffusionsstrome niit feststehenden Mikro-Elektroden unter wohl- definierten Bedingungen. Sie erreichten in vielen Fallen innerhalb 1% Proportionalitat des Diffusionsstromes mit der Konzentration ; dabei war die Gestalt der c-V-Kurven allerdings wesentlich von der verschieden, die sich unter der Annahme berechnet, daB nur Konzen- trations-Polarisa tion auf tritt.

Bei einer unbewegten Elektrode sollte bei einem Potential, das grobnordnungsrniifiig dem Grenzstrom einer elektroaktiven Substanz entspricht, der Strom kontinuierlich mit der Zeit abnehmen, da die Diffusionsschicht wachst'). In der Praxis beobachtet man dies mit einer feststehenden Platindrahtelektrode nicht ; die Stromsthrke %fallt zunachst und erreicht dann nach einigen Minuten einen konstanten Wert. Dies beruht auf der Bildung von Dichteunterschieden in der Losung, die Konvektionsstriime hervorrufen. Da dieser stationare Zustand nur lang- sam erreicht wird und dtl er aul3erdem empfindlich gegen Erschutte- rungen und Temperaturanderungen ist, untersuchten LAITINEN und KOLTHOFF~) die Benutzung der rotierenden Plak.in-Elektrodc.

Mit dieser wird der stationare Zustand der Diffusionsschicht schnell erreicht und die Elektrode ist weniger empfindlich gegen Ternperatur- anderungen und Erschutterungen. Fur eine gegebene Elektroden- G r o b spricht die rotierende Elektrode empfindlicher auf die Konzen- trstion einer elek troaktiven Substanz an als die ruhende Elektrode.

ROGERS und Mitarbeiter 9) haben die automatische Registrierung polarographischer Werte mit Platinelektroden untersucht. Nach ihren Befunden treten mit ruhenden Elektroden Stromstarke-Maxima auf, die von der Geschwindigkeit der Potentialgnderung abhangen. Diese sind verschieden von den gewohnlichen polarographischen Maxima mit der Tropfelektrode. Lal3t man dem System geniigend Zeit zur Erreichung des stationaren Zustandes, so findet man mit einer Platindrahtelektrode lteine Maxima. Wird die Spannung schnell geandert, so beginnt die Elektrolyse bei steigenden negativen Potentialen bei immer kleineren Anfangskonzentrationen des elektrisch reduzietten Ions an der Elek- trode. Diese Konzentration liegt zwischen der in der Gesamtlosung

H. A. LAITINEN u. I. M. KOLTBOFF, J. pbyaic. Chem. 46, lOGl (1941). 7) I. M. KOLTHOW u. J. J. LMQANE, Polarography, Interscicnce-Verlag, NewYork

8 ) H. A. L A I T ~ E V u. I. M. KOLTBOFP, J. physic. Chem. 45,10i9 (1941). 0 ) L. B.Roam, H . H. ~~ILLEJI, R. B. GOODRICH U. A. F. STEHILX, Analyt. Chem.

1946.

21, 777 (1949).

2. anom. Chemie. Bd. 282. 11

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162 Zeitechrift tiir anorgankche Chemie. Band 262. 1960

und der im stationiiren Zustand. Der Gcsamteffekt; ist das Auftreten cines Maximums.

Bei der rotierenden Elelttrodc treten dime Maxima nicht auf, wohl aber bcobachtet man gelegentlich Maxima einer anderen Art. ROGERS und Mitarbeiter berichten von einem Maximum bei der Reduktion von Silberion in 0 , l mol. Kaliumnitrat-Lijsung an einer rotierenderi Pht in- elektrode. Sic schrciben dics ciner lturzen Entladung von Wasserstoff ZU. Nun erreicht man aber bei dcr von Hand durchgefuhrten Auf- nahine von Polarogramnicn in Losungen mit Triigerelcktrolpten oft den stationiiren Wert nur langsam, wenn man dns Elektrodenpotential iindert. Dicsc Erscheinung ruhrt zweifellos von dcm Wechsel des Ober- fliichenzustnndcs dcr Elcktrode her; sic wird von Dr. T. S. LEE'')) von der Univcrsittit Chicago niihcr untcrsucht. ,Polarisationseinflusse, die von der Veriinderung des Oberfliichenzustandes herruhrcn, konrieri bei Ver- wendung rotierendcr Drahtelelttrodcn die Reproduzierbarlteit vcrringern.

Auch anderc Typen von fcsten Mikroelektroden sind in der Polaro- graphie benutzt worden. M ~ L L E R 11) beschreibt eine Anordnung, bei der die Liisung an einer Mikroelektrodc vorbcii'lieBt, die sich in eincm verengten Glasrohr befindet. Der Grenzstrom ergab sich als lineare Funktion der reduzierbaren Substanz. M ~ L L E R ~ ~ ) benutzte zwei feste Mikroelektroden in der Liisung ; eine wird als Kathodc benutzt, wiihrend die andere durch Kurzschlufl mit der Anode ,,erneuert" wird. MORRIS'^) benutzt cine ahnliche Anordnung mit rotiercnden Pt-Elektroden. Auch ubcr tauchende und schwingende16) Elektroden ist in dcr Litcra.tiir berichtet worden.

Auch andere Metalle als Platin koniien erfolgreich als feste Mikro- elektroden in der Polarographie benutzt werden. Die ublichstcn sind : Agls), Cule) und Amalgame von Ag17) 18), Cu19) und Pt16) 17) 18).

RANDLES 20) hat die Verwendung stationiirer Pt-Elektroden bei analytischen Anwendungen dcr oszillographischen Polarographie unter-

lo) T. R. LEE, Privat-Mitteilung. 11). 0. H. M ~ L L E R , J. Amor. chem. SOC. 69, 2992 (1947). 12) S. D. MIrmm, Trudy Vsesoyus Konfcrentsii Anal. Khim. 2, 561 (1943). l3) C. J. 0. R . MORRIS, Analyst T2, 298 (1947). lp ) Yr. S. LYALIKOV u. V. I. KARMAZIN, Zavodsky Lab. 14, 138-143 (1948). I&) E. D. HAEIS u. A. J. LISDSEY, Kature 162, 413 (19481. I*) DAGFIX LYDERSES, Acta Chem. Scand. 3, 259 (1949). 17) E. M. S K O B F ~ , I,. S. BERENBLPGM u. N. N. ATAMEXENKOR, Zavodskaya Lib.

la) L. AXREY, Analyst 72, 306 (1947). ID) Yu. G. SILVER u. B. N. KABAXOV, Zhurnal Fizicheskoi Khim. 23, 428 (1949). *'J) J. E. B. RANDLES, Trans. Faraday SOC. 44, 322 (1948).

14, 131 (1948).

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I. 11. KOLWOPF u. DAN LEIJSSIXG, Mikro-Drahtelektroden in der Polarograpbie 163

sucht. Eine kleine Pt-Elektrode wird in einer polarogra phischen Zelle periodisch alle 7-10 Sekunden einem Potential-StoB ausgesetzt. Der Stromdurchgang wahrend des StoBes wird als Funktion des Potentials beobachtet. Findet an der Elektrode eine Reduktion statt, so tritt ein der Konzentration proportionales Maximum der Stromstiirke auf. Die StoBe erfolgten langsam, damit sich Metalle, die sich auf der Elektrode wtihrend des vorhergehenden StoIJes abgeschieden haben, losen und somit wieder normale Diffusionsbedingungen hergestellt werden.

Da die rotierende Platinelektrode empfindlich ist und sehnell ihren stationaren Zustand erreicht, ist sie fur an ipe rome t r i s c h e Titrationen besonders geeignet. Die benutzte Anordnung ist sehr einfach. Oft ist es nicht notwendig, an die Titrationszelle eine feste oder variable Span- nung anzulegen, weil gewohnlich eine geeignete Bezugselektrode ge- wahlt werden kann, ohne daB ein auBeres Potential an die Indiltator- Elektrode angelegt werden muB. Dcr Endpunkt wird graphisch ermittelt. Amperometrische Titrationen mit der roticrenden Platinelektrode konnen sehnell ausgefuhrt werden und geben selbst bei extrem hohen Verdunnungeri sehr genaue Ergebnisse. So ergibt z. 15. die Titration von 0,0001 11 dreiwertigem Arsen mit Bromat eine Genauigkeit von uber 0,5%.

Die rotierende Platin-Elek trodc ist verwendet worden : be1 der Titration an Halogenidenzl) 22), Cyanid 23), Mercaptanenz4) 26) und Cy- stein und Cystin26) mit Silber; von Amenits) iind StyrolZ7) niit Kalium- bromat; von Arsenit und Thiosulfat mit JodZ8) und von Chromat mit Eisen(I1) 29). Diese Titrationen sind ausfuhrlich in einer zusammen- fassenden Ubersicht von K O L T H O F F ~ ~ ) beschrieben worden.

Kurzlich haben wir gefunden, dalj die rotierende Pt-Elektrode auch fur die Elektrolyse vCin ammoniakalischen Losungen, die Sulfit enthalten, benutzt werden kann. Die Losungen hnben den Vorteil,

sl) H. A. LAITINEX, W. P. JENNINQS u. T. D. PARKS, Ind. Engng. Chem., Anal. Ed.

s) H. A. LAITIXEN, W. P. JEh3-lNQS u. T. D. PARKS, Ind. Engng. &em. , Anal. Ed.

23) H. A. LAITINEX, W. P. JEKNINQS u. T. D. PARKS, Ind. Engng. Chem., Anal. Ed.

ad) I. M. KOLTIIOFF u. W. E. HARRIS, Ind. Engng. Chem., Anal. Ed. 18, 181

26) I. M. KOLTHOFF u. W. E. HARRIS, Analyt. Chem. 21, 963 (1949). a) I. M. ?SOLTEOFE u W. STRKXS, J. h e r . chem. SOC. 72 im Druck. 17) I. M. KOLTBOFF u. F. A. BOVEY, Analyt. Chem. 19,498 (1947). as), I. M. KOLTHOFF, Analytice, Chimica Acta 2, 606 (1948). "0) I. M. KOLTEOFF u. D. R. MAY, Ind. Engng. Chem., Anal. Ed. 18, 208 (196)-

18, 356 (1946).

18, 368 (19461.

18, 674 (1946).

(1916).

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164 Zeitschrift fur anorganische Chemie. Band 262. 1960

dal3 sie nicht mit N, durchspiilt zu werden brauchen, da der Sauerstoff durch das Sulfit entfernt wird.

Der Grenzstrom von Thallium(1)-Ion ergab sich als proportional zur Konzentration, wenn eine Spannung von -1,l Volt gegen die ge- siittigte Kalomel-Elektrode (ges. K.-E.) angelegt wurde; die Losung war 0,lmol an NH, und 0,lmol an Na,SO,; die Thallium-Konzen- tration variierte von 1 . bis 10 molar.

Mit dem gleichen TrBger-Elektrolyten ergab Kupfer-Sulfat drei Stufen, eine anodische und zwei kathodische. Die erste kathodische Stufe mit einem Halbstufenpotential von etwa -1,5 Volt gegen die ges. K.-E. entspricht der Reduktion: Cu2+ + e --f Cu+, bei der zweiten mit eincm Halhstufenpotential von etwa -0,63 Volt gegen die ges. K-E. erfolgt die Reduktion: Cu+ + e --f Cu. Die anodische Stufe, die mit der ersten kathodischen verschmilzt, entspricht der Oxydation Cu+ --t Cu2+ +e. Oflcnsichtlich wird das Cu2+ von dem Sulfit langsam redu- ziert. Die Geschwindigltcit dieser Reduktion laat sich an dem zeitlichcn Abfall der Hohe der ersten kathodischen Stufe und der Zunahme der anodischen feststellen.

Cer(1V)-sulfat gibt in 2 n H2S0, keine scharf definierte, sonderri eine ,,vcrschmierte" Stufe; die Stromstarke nimmt zu, wenn das Po- tential starker negativ wird. Dies ist H ahrscheinlich dem Umstand zuzu- schreiben, dalJ die Geschwindigkeit der Elektrodenreaktion, zusatzlich zu den gewohnlichen Diffusionsprozessen, durch den Obergang eines Elektrons von der Elektrodc xu dem Ce4+-Ion bestimmt nird. Die Strornst.arke ist jedoch der Konzentration des vierwertigen Cers in der Losung proportional. Dies kann bei der Titration von Arsenit in einer Losung von 2 n H,SO, und 1,5. mol OsO, mit Cer(1V)-ammonium- sulfat bei eiriem Potential von + 0,lO Volt gegen die gcs. K.-E.N) erfolgreicli angewendet werden.

Unveroffontlichte Ergebniese.

Minneapolis (Minnesota)) University of Minnesota, School of Chemistry.

( h i der Fkdaktion eingogangen am 8. Fobruar 1950.)