max haller: soziologische theorie im systematisch-kritischen vergleich

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len hätte man sich einfach auch eine (selbst)kriti- schere methodologische Rahmung der dargestell- ten Ergebnisse gewünscht, um das Resultat besser beurteilen zu können, so zum Beispiel in der Darstellung der Analyse bei Hein in Hampel und Renn. Die Studie von Urban und Pfennig besticht als Einzelarbeit gegenüber den beiden Sammel- bänden durch insgesamt kohärentere Darstellung und detailgenaue Auseinandersetzung mit den Strukturen und Dynamiken öffentlicher Wahr- nehmung der Gentechnik, verliert sich aber bis- weilen auch ein wenig in methodische Einzelhei- ten, hinter denen die inhaltlichen Ergebnisse dann eher in den Schatten treten. Umso hilfrei- cher ist deshalb das im letzten Kapitel thesenartig präsentierte „Gesamt-Resümee“. Was insgesamt in allen Publikationen noch zu wünschen bleibt, ist eine stärkere theoretische In- tegration der empirischen Resultate. Man fragt sich nach der Lektüre, ob man mit diesen Resul- taten mehr anfangen kann als nur Daten für die Politik zu liefern. Das haben auch die Herausge- ber und Autoren gesehen, die sich zumindest in Ansätzen um diese Integrationsleistung bemühen, wie sich in den einleitenden und abschließenden Bemerkungen sowohl bei Durant et al. als auch bei Hampel und Renn zeigt. Gerade im letztge- nannten Fall erweisen sich dann natürlich auch die Feinabstimmungen zwischen den Einzelauto- ren als eher schwierig. Urban und Pfenning sind – obwohl mit einer Monographie vertreten und damit nicht mit den typischen Problemen von Sammelbänden belastet – von einer theroetisch- integrativen Perspektive am weitesten entfernt; dafür bieten sie, wie erwähnt, eine sehr detaillier- te Methodik und widmen sich ausführlich deren Darstellung. Eben dies wird dem Buch freilich nicht sehr viele Leser außerhalb eines sehr engen Kreises, der an den Daten unmittelbar interes- siert ist, einbringen. Trotz dieser einschränkenden Bemerkungen fällt das Urteil über alle drei vorgelegten Publika- tionen positiv aus. In diesen Büchern wird das Forschungsfeld „Gentechnik in der Öffentlich- keit“ mit einer Reihe hervorragender Daten do- kumentiert und in einzelnen Sektoren auch durch weiterführende Forschungsfragen erschlos- sen. So regt die oben dargestellte Bedeutung der Regulierung für öffentliche Meinung beispiels- weise dazu an, über eine stärkere Verknüpfung mit politik- und rechtssoziologischen Forschun- gen nachzudenken. Diese ließen sich gewiss in manchen ihrer Facetten – man denke nur an Forschungen zum Thema „knowledge and opi- nion about law“ – mit den hier erzielten Ergeb- nissen zusammenführen. Angesichts dieses und ähnlicher denkbarer Beispiele darf man anneh- men, dass die hier besprochenen Arbeiten in vie- lerlei Hinsicht die Basis für ertragreiche weitere Forschungen gelegt haben. Alfons Bora ALLGEMEINES Max Haller: Soziologische Theorie im systema- tisch-kritischen Vergleich. Opladen: Leske + Budrich 1999. 699 Seiten. ISBN: 3-8100- 2233-0. Preis: DM 29,80. Nach Vorüberlegungen zum Charakter soziologi- scher Theorien und zur Methodik des Theorie- vergleichs klassifiziert Haller soziologische Theo- rien nach drei Kriterien, nämlich erstens danach, ob sie versuchen, soziale Sachverhalte zu erklären, zweitens danach, ob sie einen Anspruch auf kau- sale Erklärung erheben und drittens, ob sich der Anspruch am Verstehen des Sinns sozialen Han- delns orientiert (51). Aus diesen drei Kriterien leitet Haller fünf Typen soziologischer Theorien ab. Das erste Kri- terium erfüllt Luhmanns Systemtheorie nicht; nach Haller besteht hier überhaupt kein Erklä- rungsanspruch. Für Theorien mit Erklärungsan- spruch verbleiben dann in Kombination des zweiten und dritten Kriteriums vier Möglichkei- ten: Begriffliche Ordnungsschemata, zu denen Haller den Strukturfunktionalismus und die Theorie rationalen Handelns zählt, geben weder kausale noch sinnhafte Erklärungen. Der symbo- lische Interaktionismus versucht, den Sinn von Handlungen zu verstehen, lehnt aber kausale Er- klärungen ab. Verhaltensbiologische und ver- haltenstheoretische Ansätze versuchen dagegen kausale Erklärungen, lehnen aber das Konzept des Sinnverstehens ab. Die Verbindung kausaler Erklärung und sinnverstehender Deutung bildet die Grundlage einer von Haller präferierten Vor- stellung der „soziologischen Theorie als ,Wirk- lichkeitswissenschaft‘“ (51). Vier dieser fünf Ansätze werden im Buch aus- führlich dargestellt und diskutiert; auf wenige Randbemerkungen beschränkt sich dagegen die Darstellung interaktionistischer Ansätze. Man hat den Eindruck, letztere wurden in die Typologie nachträglich eingefügt (52). Der Interaktionis- mus taucht dann auch in Übersicht 1.1 nicht auf. Hier wäre es sicher sinnvoll, gemäß der zu- stimmend zitierten Maxime Poppers „etwas Ge- schriebenes wieder und wieder umzuschreiben und es dabei ständig klarer und einfacher auszu- Literaturbesprechungen 799

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Page 1: Max Haller:  Soziologische Theorie im systematisch-kritischen Vergleich

len hätte man sich einfach auch eine (selbst)kriti-schere methodologische Rahmung der dargestell-ten Ergebnisse gewünscht, um das Resultat besserbeurteilen zu können, so zum Beispiel in derDarstellung der Analyse bei Hein in Hampel undRenn.

Die Studie von Urban und Pfennig bestichtals Einzelarbeit gegenüber den beiden Sammel-bänden durch insgesamt kohärentere Darstellungund detailgenaue Auseinandersetzung mit denStrukturen und Dynamiken öffentlicher Wahr-nehmung der Gentechnik, verliert sich aber bis-weilen auch ein wenig in methodische Einzelhei-ten, hinter denen die inhaltlichen Ergebnissedann eher in den Schatten treten. Umso hilfrei-cher ist deshalb das im letzten Kapitel thesenartigpräsentierte „Gesamt-Resümee“.

Was insgesamt in allen Publikationen noch zuwünschen bleibt, ist eine stärkere theoretische In-tegration der empirischen Resultate. Man fragtsich nach der Lektüre, ob man mit diesen Resul-taten mehr anfangen kann als nur Daten für diePolitik zu liefern. Das haben auch die Herausge-ber und Autoren gesehen, die sich zumindest inAnsätzen um diese Integrationsleistung bemühen,wie sich in den einleitenden und abschließendenBemerkungen sowohl bei Durant et al. als auchbei Hampel und Renn zeigt. Gerade im letztge-nannten Fall erweisen sich dann natürlich auchdie Feinabstimmungen zwischen den Einzelauto-ren als eher schwierig. Urban und Pfenning sind– obwohl mit einer Monographie vertreten unddamit nicht mit den typischen Problemen vonSammelbänden belastet – von einer theroetisch-integrativen Perspektive am weitesten entfernt;dafür bieten sie, wie erwähnt, eine sehr detaillier-te Methodik und widmen sich ausführlich derenDarstellung. Eben dies wird dem Buch freilichnicht sehr viele Leser außerhalb eines sehr engenKreises, der an den Daten unmittelbar interes-siert ist, einbringen.

Trotz dieser einschränkenden Bemerkungenfällt das Urteil über alle drei vorgelegten Publika-tionen positiv aus. In diesen Büchern wird dasForschungsfeld „Gentechnik in der Öffentlich-keit“ mit einer Reihe hervorragender Daten do-kumentiert und in einzelnen Sektoren auchdurch weiterführende Forschungsfragen erschlos-sen. So regt die oben dargestellte Bedeutung derRegulierung für öffentliche Meinung beispiels-weise dazu an, über eine stärkere Verknüpfungmit politik- und rechtssoziologischen Forschun-gen nachzudenken. Diese ließen sich gewiss inmanchen ihrer Facetten – man denke nur anForschungen zum Thema „knowledge and opi-nion about law“ – mit den hier erzielten Ergeb-nissen zusammenführen. Angesichts dieses und

ähnlicher denkbarer Beispiele darf man anneh-men, dass die hier besprochenen Arbeiten in vie-lerlei Hinsicht die Basis für ertragreiche weitereForschungen gelegt haben.

Alfons Bora

ALLGEMEINES

Max Haller: Soziologische Theorie im systema-tisch-kritischen Vergleich. Opladen: Leske +Budrich 1999. 699 Seiten. ISBN: 3-8100-2233-0. Preis: DM 29,80.

Nach Vorüberlegungen zum Charakter soziologi-scher Theorien und zur Methodik des Theorie-vergleichs klassifiziert Haller soziologische Theo-rien nach drei Kriterien, nämlich erstens danach,ob sie versuchen, soziale Sachverhalte zu erklären,zweitens danach, ob sie einen Anspruch auf kau-sale Erklärung erheben und drittens, ob sich derAnspruch am Verstehen des Sinns sozialen Han-delns orientiert (51).

Aus diesen drei Kriterien leitet Haller fünfTypen soziologischer Theorien ab. Das erste Kri-terium erfüllt Luhmanns Systemtheorie nicht;nach Haller besteht hier überhaupt kein Erklä-rungsanspruch. Für Theorien mit Erklärungsan-spruch verbleiben dann in Kombination deszweiten und dritten Kriteriums vier Möglichkei-ten: Begriffliche Ordnungsschemata, zu denenHaller den Strukturfunktionalismus und dieTheorie rationalen Handelns zählt, geben wederkausale noch sinnhafte Erklärungen. Der symbo-lische Interaktionismus versucht, den Sinn vonHandlungen zu verstehen, lehnt aber kausale Er-klärungen ab. Verhaltensbiologische und ver-haltenstheoretische Ansätze versuchen dagegenkausale Erklärungen, lehnen aber das Konzeptdes Sinnverstehens ab. Die Verbindung kausalerErklärung und sinnverstehender Deutung bildetdie Grundlage einer von Haller präferierten Vor-stellung der „soziologischen Theorie als ,Wirk-lichkeitswissenschaft‘“ (51).

Vier dieser fünf Ansätze werden im Buch aus-führlich dargestellt und diskutiert; auf wenigeRandbemerkungen beschränkt sich dagegen dieDarstellung interaktionistischer Ansätze. Man hatden Eindruck, letztere wurden in die Typologienachträglich eingefügt (52). Der Interaktionis-mus taucht dann auch in Übersicht 1.1 nichtauf. Hier wäre es sicher sinnvoll, gemäß der zu-stimmend zitierten Maxime Poppers „etwas Ge-schriebenes wieder und wieder umzuschreibenund es dabei ständig klarer und einfacher auszu-

Literaturbesprechungen 799

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drücken“ (34). Weiter unten wird Goffman vonHaller zum symbolischen Interaktionisten erklärt(543), worüber man durchaus streiten könnte,dann belegt aber Haller gerade bei Goffman(548) eine Vielzahl (vager) Wahrscheinlichkeits-aussagen, die er im Sinne des Versuchs kausalerErklärungen interpretiert. Identitätskonzepte ver-einnahmt Haller für seinen eigenen, eher situa-tionistischen Ansatz (598ff.).

Luhmanns Systemtheorie stellt Haller aus-führlich dar, greift sie aber wegen ihres Mangelsan empirischer Fundierung und der Spezifikationkausaler Zusammenhänge (434) scharf an. Vorallem kritisiert Haller Luhmanns Tendenz zumapriorischen Belegen von Aussagen über empiri-sche Sachverhalte (432). Kritisch wird auch aufLuhmanns Vorstellung funktionaler Erklärungeingegangen (451ff.). Für Zeitdiagnosen sei dieseTheorie wenig brauchbar (418), ihre praktischeAnwendungsfähigkeit sei überhaupt gering(458ff.).

An Parsons Strukturfunktionalismus kritisiertHaller vor allem die Unzweckmäßigkeit der Kon-struktion umfassender Taxonomien als Grundla-ge der Aufstellung späterer empirischer Hypothe-sen, die geringe Beachtung individuellen Han-delns und die Mischung historischer Deutungmit kausaler Analyse. Die Spencersche Herkunftbiologistischer Elemente in Parsons Denken wer-de oft übersehen (242ff.). Ergänzt werden dieAusführungen durch eine informative Diskussionder Arbeiten von Münch und der des italieni-schen Soziologen Donati. Wie der Strukturfunk-tionalismus ist für Haller auch die „Theorie“ ra-tionalen Handelns als begriffliches Ordnungs-schema nützlich (399). Vor allem in Auseinan-dersetzung mit Essers Variante kritisiert Hallerdagegen den letztlich psychologischen Charakterder diesem Paradigma zu Grunde liegendenHandlungstheorie, inhaltsleere Formulierungenund die Abschiebung wichtiger situationalerAspekte in Brückenhypothesen (310ff.). In derdifferenzierten Diskussion der Arbeiten Cole-mans stößt sich Haller vor allem an einer Ten-denz, empirische Verteilungen von Rechten theo-retisch so zu rekonstruieren, dass sie dabei zu-gleich als normativ gerechtfertigt erscheinen(340f., 362), weiterhin an der Konstruiertheitmancher Probleme (369) und dem irreführendenGebrauch spezieller Beispiele (365). Unbegreif-lich und letztlich unbegründet erscheint mir aberHallers Behauptung, die Theorie rationalen Han-delns sein gewissermaßen von Natur aus statisch(408).

Als Beispiele für „naturalistische“ Theorienerörtert Haller ausführlich die biologische Ver-haltensforschung und den Ansatz von Homans.

Er kritisiert das Argumentationsschema, erst Tie-ren implizit menschliche Verhaltensmuster zuunterstellen und genau diese dann zur Interpreta-tion des Verhaltens beim Menschen als naturge-geben zu betrachten („naturalistischer Fehl-schluss“ (107, 123, 137)). Auch wird an der Ver-haltensforschung ein Mangel an empirischerFundierung, verbunden mit einem Übermaß anVertrauen in funktionalistische Argumentation,beanstandet. In der Auseinandersetzung mit Ho-mans kritisiert Haller neben dem Problem tauto-logischer Aussagen (175) vor allem die Nichtbe-rücksichtigung des „soziokulturellen Kontexts“(185), die Gesellschaftsdiagnosen verhindere.

Nicht jeder Autor eines Buchs über soziologi-sche Theorien kann eine langjährige Praxis aufdem Gebiet der empirischen Forschung nachwei-sen – Max Haller schon (im Gegensatz zu Par-sons, dessen System er gerade deshalb kritisiert(294f.)). So erstaunt auch Hallers Plädoyer nicht,in Anlehung an Weber Soziologie als „Wirklich-keitswissenschaft“ auszugestalten (555). HallersVision soziologischer Theorie ist dezidiert situa-tionistisch und antipsychologistisch (589ff.). Wieobjektive Gedankeninhalte fasst er auch sozialeNormen als Dinge sui generis auf, als Bestandtei-le einer „Welt 3“ (520ff.) und versucht so, eineVerbindung von Poppers Dreiweltentheorie zuDurkheims „faits sociaux“ herzustellen. Die Freu-de über die (von Meleghy übernommene) gelun-gene soziologische Rezeption der PopperschenDreiweltentheorie (514ff.) wird allerdings durchderen didaktisch zunächst ungünstige Einführung(40f.) und durch die Verwechslung von Bezeich-nungen im Text (323f.) ein wenig getrübt.

Kausalerklärung und Sinnverstehen begreiftHaller als komplementär (528ff.); als Protagonis-ten einer durch diese Sichtweise geprägten Sozio-logie führt er neben einigen anderen AutorenTocqueville und Goffman an. Bei Tocquevillediskutiert er die Gültigkeit der historischen Pro-gnosen, bei Goffman vor allem das Identitäts-konzept.

Auf der Ebene der Theorien hatte Haller be-reits am Anfang seines Werks einen positivenZusammenhang postuliert zwischen der öffentli-chen Beachtung, die soziologischen Theorien ge-schenkt wird, und ihrer Fähigkeit, gesellschaftli-che Verhältnisse (oder auch deren Kritiker, 624)zu legitimieren (73f.). Andererseits sinke derGrad öffentlicher Beachtung mit der Fähigkeitvon Theorien, zuverlässige und zutreffende Dia-gnosen aktueller gesellschaftlicher Prozesse zu ge-ben (74). Auf Grund des kritischen Potenzials,das in diagnostisch angemessenen Theorien herr-sche (622), ständen Diagnosefähigkeit und „Legi-timationskapazität“ soziologischer Theorien in ei-

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nem negativen Zusammenhang (80). Um denpostulierten negativen Zusammenhang zu bele-gen, ordnet Haller abschließend zentrale Werkeder diskutierten Autoren in eine Tafel mit denDimensionen Diagnosefähigkeit und Legitima-tionskapazität ein (623f.). Im Wesentlichenkommt alles so heraus wie geplant, nur leiderstimmt die Abbildung (Übersicht 6.3) lediglichteilweise mit dem Text überein. Beck (626) fehlt,und in drei (nicht zwei) Fällen tauchen verschie-dene Werke derselben Autoren in unterschiedli-chen Tabellenfeldern auf (622). (In ähnlicherWeise passt in der Übersicht 6.2 die Legendenicht zur Abbildung.)

Manche Teile des Buchs sind offensichtlichschon etwas älter. So beruht die Auseinanderset-zung mit den familienökonomischen TheorienBeckers (382ff.) auf Hallers Habilitationsvortragaus dem Jahr 1983 und dem damaligen Standder Literatur. Das schreibt Haller auch so. Ärger-licher wird es schon bei empirischen Aussagenwie etwa derjenigen, dass „neue Formen vonPartnerschaft und familiärem Zusammenleben“einen geringen Anteil unter allen Haushalts- undFamilienformen aufweisen (70). Der Beleg er-folgt hier anhand von Texten aus den Jahren1983 und 1988. Heute sieht das schon etwas an-ders aus. Absurd wirkt es auch, Hauck mit derJahresangabe „(1984)“ zu zitieren und ihm vor-zuwerfen (60), er ignoriere Literatur aus demJahr 1991. Dann wird in Fußnote 55 die Jahres-angabe desselben Werks aber auf 1993 korrigiert.Auf Seite 62 wird Haucks Buch dann auf 1997neu datiert, um schließlich die Vorwürfe gegenden Autor ganz zurückzunehmen und den stetsunveränderten Nachdruck dem Rowohlt-Verlaganzulasten (Fußnote 58). Auch manche Sekun-därzitate (etwa auf Seite 100 bei den Erläuterun-gen zu Konrad Lorenz’ Nähe zum nationalsozia-listischen Gedankengut) und das ausführlicheEinschlagen auf unveröffentlichte Manuskripte(593ff.) hinterlassen eine unangenehme Anmu-tung. Ein Namensverzeichnis (in Ergänzung zumumfangreichen Sachregister) könnte die Nutzungdes Buchs erleichtern.

Dass Haller versucht hat, eine Vielzahl sozio-logischer Theorien „wirklich zu verstehen“ (66),ist offensichtlich und bedingt den vom Ansinnenher mutigen, überaus ehrlichen und informativenCharakter seines Buches. Da kann man dem Au-tor auch etwas blauäugige Argumentationen ver-zeihen wie etwa die, dass Husum im Sommerweniger grau ist als im bekannten GedichtStorms (505). Es war wohl auch nicht „KarlKAFKA“, der die „Romane Der Prozeß und DasSchloß schrieb“ (503). Haller vertritt die These,den Werken „schlechter Schriftsteller“ seien „die

Werke guter Soziologen vorzuziehen“ (472). Wasfür ein Schriftsteller Haller wäre, ist seinem so-ziologischen Werk nicht zu entnehmen. Sicheraber ist er ein besserer Soziologe als Literaturwis-senschaftler.

Zu Recht beklagt Haller die problematischeArbeitsteilung zwischen Empirikern und Theore-tikern. Derzeit erschienen so viele dicke Büchervon Theoretikern, dass einem Soziologen nebender Lektüre dieser Bücher keine Zeit mehr fürdie eigene wissenschaftliche Arbeit bleibe (33).Leider besteht bei der Länge von Hallers Buchdie Gefahr einer Verschärfung dieser „absurdenSituation“. Wenn das Buch für Studierende mitGrundkenntnissen als „kritisches Lehrbuch“ tau-gen soll, dann ist auch angesichts der Komplexi-tät der Darstellung der Begriff „Grundkenntnis-se“ weit zu fassen.

Peter H. Hartmann

SOZIOLOGIE DER FAMILIE

Thomas Klein und Wolfgang Lauterbach (Hg.):Nichteheliche Lebensgemeinschaften. Analy-sen zum Wandel partnerschaftlicher Lebens-formen. Opladen: Leske + Budrich 1999.326 Seiten. ISBN: 3-8100-2344-2. Preis:DM 48,–.

Nichteheliche Lebensgemeinschaften finden inDeutschland zunehmende Verbreitung. Das vor-liegende Buch diskutiert auf der Basis theoreti-scher Perspektiven die Hintergründe dieser Ent-wicklung, es beschreibt die Ausbreitung nicht-ehelicher Lebensgemeinschaften in verschiedenenAltersklassen und Bevölkerungsgruppen und ver-gleicht nichteheliche Lebensgemeinschaften mitder Ehe.

Eingeleitet wird das Buch mit der Diskussionvon Paul B. Hill und Johannes Kopp über„Nichteheliche Lebensgemeinschaften – theoreti-sche Aspekte zur Wahl von Lebensformen“. Aus-gehend von der Feststellung, dass makrotheoreti-sche, funktionalistische und differenzierungstheo-retische Ansätze bei der Erklärung der Zunahmenichtehelicher Lebensgemeinschaften wenig hilf-reich sind, finden Hill und Kopp die Erklärungaus handlungstheoretischer Perspektive in dernutzenmaximierenden Handlungslogik der Ak-teure, die auf veränderte gesellschaftliche Rah-menbedingungen vor allem im Bildungsbereichund im Beschäftigungssystem reagieren.

Rosemarie Nave-Herz sieht hingegen „DieNichteheliche Lebensgemeinschaft als Beispiel

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