manfred frank diskursbegriff foucaults
TRANSCRIPT
-
8/10/2019 Manfred Frank Diskursbegriff Foucaults
1/11
Manfred rank
Zum
Diskurs begriff bei Foucault
Aus Lichtenbergs Beobachtung, da
der
hohle Klang beim
Zu-
sammensto eines Buchs mit einem Kopf nicht .allemal dem Buch
anzulasten sei, mu man nicht den berstrzten Umkehrschlu
ziehen, die Ratlosigkeit der Forschungsgemeinschaft angesichts
eines vagen Schlsselbegrif
fs im
Werk eines Autors sei allemal
Schuld
der
Forschungsgemeinschaft. Dies scheint mir der Fall des
Terminus >Diskurs< im Diskurs der Gebildeten unter den Verch-
tern der He rmeneutik. Seine massenhaft gewordene
und
modische
Verwendung, vor allem unter Literaturwissenschaftlern, deutet
zwar aufs Bestehen eines epistemologischen Problems vorsichti-
ger gesagt: eines Bedrfnisses), dem er abzuhelfen bestimmt ist,
reicht aber nich t aus
zur
Entkrftung des Einwandes, die Semantik
seines Gebrauchs sei so unbestimmt, da sein Funktionieren nicht
gesichert ist. Das entschrft dann auch die kritische
oder
polemi-
sche Akzentuierung etwa gegen den Begriff des Sinnverstehens),
die einige Benutze r i m beilegen. Denn solange nicht bekannt ist,
wogegen sich die Kritik richtet, kann die schwebende Debatte
nicht nur nicht entschieden, sondern nicht einmal ausgetragen
werden.
Natrlich rede ich nicht von der Verwendung des franzsischen
Substantivs
>discoursDiskursdiscursusdiscurrere< meint >hierin
und
dorthin laufen< >courir
-
8/10/2019 Manfred Frank Diskursbegriff Foucaults
2/11
bavardagepalabreSemiologieunbewuten //
Geistes< auszudehnen.
3
e s ~ ~ n
Ttigkeit besteht darin, einem In-)?
1
;
1
.
halt Formen aufzuerlegen (a 1mposer des formes a n contenu).
4
I -
Fgen wir hinzu: einem zuvor unartikulierten Inhalt, so finden :. ,,..v-,.
wir uns unmittelbar zurckverwiesen auf den Beginn des
IV.
Ka-
_
pitels von Saussures Cours wo das Prinzip der
Z e i c h e n ~ r t i k u l a
tion exponiert wurde:
Der
Geist ist an sich ebenso amorph wie der
Laut, darum mu zwischen beiden etwas intervenieren, nmlich
der Schematismus der Artikulation, durch den ein sinnlich wahr
nehmbarer Laut auf eine nicht-sinnliche Bedeutung allererst bezo-
gen werden kann. Levi-Strauss hat den idealistischen Term >Sche-
matismus< auf sein Verfahren selbst angewandt,
z.B.
in einer
bekannten Passage aus
a
pensee sauvage von der ich
nur
zwei
Stze anfhre:
Sans
mettre en cause l incontestable primat des infrastructures, nous croy
ons qu entrepraxis et pratiques s intercale toujours un mediateur, qui est le
scheme conceptuel
par
l operation du quel une matiere et une forme,
depourvues l une e t l autre d existence independante, s accomplissent
comme structures, c est-a-dire comme erres a la fois empiriques et intelli
.gibles. C est a cette theorie des superstr uctures, a peine esquissee par Marx,
que nous souhaitons contribuer.
5
Die Fruchtbarkeit der bertragung des Saussureschen Artikula
tions-Theorems auf Zusammenhnge gesellschaftlicher Struktu
ren ist aber hier nicht unser Thema.
Fr
die Ausbildung von
Foucaults Diskursanalytik entscheidend scheint mir die Aare-
27
-
8/10/2019 Manfred Frank Diskursbegriff Foucaults
3/11
gung, die aus Levi-Strauss' bertragung der strukturalistischen
Verfahren auf die Analyse von Mythen hervorgeht. Mythen sind ja
Erzhl-Texte, die im Gegensatz zu Verwandtschaftsbeziehungen
oder Gesellschaftsstrukturen - im Bereich der Sprache angesiedelt
sind.
6
Nun besteht zwischen der inneren Form einer Sprache langue)
und eines Mythos ein entsc;heidender Unterschied. Zwar sind My
then sprachliche Gebilde (und fallen insofern u nter den Begriff der
langue
); sie sind aber andererseits Ereignisse der
parole:
il[ s rele
ve[
nt] du discours.7
Da
stoen wir nun auf jenen Begriff, der zu den zentralen Marken
im Sprachspiel des Neostruktural ismus zhlen wird. Levi-Strauss
fhrt ihn wie folgt ein: Der Mythos, sagt er, ist eine in sich
geschlossene Folge nicht von Einzelzeichen, sondern von Stzen.
Als eine Erzh lung ist er zwa r ein sprachliches Ereignis, aber kein
solches, dessen Sequenzen unbeschdigt aus ihrer Zeitstelle ent
fernt werden knnten. Die Linearitt der Zeichen - und erst recht
der Satzfolge - versiebt jedes signifikante Element mit einem Zeit
index, d. h. ist nicht umkehrbar. Dagegen sind die Elemente einer
Struktur die
Werte und ihre differentiellen
Beziehungen rekur-
siv definiert: Sie knnen ohne weiteres umgekehrt werden: Die
Matrix, die sie als Ereignisse erzeugt, ist str ikt unzeitlich. Diesen
Unterschied hatte Saussure selbst durch die (ungeschickten) Ter
mini Synchronie und Diachronie bezeichnet. Nun erinnert
Levi-Strauss daran, da der bislang ganz undifferenziert ver
wandte Begriff der Struktu r in sich noch mannigfach untergliedert
ist: Er ist ein Gebilde, in dem sich verschiedene Konstitutions
Niveaus unterscheiden lassen.
Das mu ich kurz erlutern. Es war Emile Benveniste, der in
seinem Hauptwerk den Begriff der Konstitutions-Niveaus einge-
fhrt und wie folgt erklrt hat.8 Saussures Einsicht, wonach
sprachliche Bedeutsamkeit durch phonische Unterscheidung der
Zeichen zustande kommt, msse ausdifferenziert werden.
Schlielich gebe es verschiedene Ebenen, auf denen dies abstrakte
Prinzip greift. Zuerst die phonetische, auf der die einzelnen Laute
einer Sprache unterschieden werden; dann die phonologische
Ebene, auf der die distinctive features i rgendeiner Nationalspra
che ausgesondert und ihre K-0mbinationsmglicbkeiten und Op -
positionen festgelegt werden s odann die morphematische Ebene,
auf der die kleinsten bedeutsamen Teil-Einheiten (wie die Fle-
28
xions-Endungen) aussortiert werden; ferner die syntaktische
Ebene, auf der Wrter unterschieden und zu Syntagmen und St
zen kombiniert werden; endlich die kontextuelle Ebene, die auf
die Bedeutungsnuancen von uerungen im Kontext bestimmter
anderer Syntagmen achtet usw. Nun knne man unterscheiden
zwischen Beziehungen, die Elemente uf einer bestimmten Ebene
(also etwa Phone me) miteinander unterhalten, und Beziehungen,
die Elemente auf
einer
Ebene mit Elementen auf einer
anderen
Ebene (also etwa Wrter mit Stzen) unterhalten. Benveniste
nennt jene
distributional,
diese
integrativ.
Eine Sprachstruktur
wre dann das Gesamt der Beziehungen nicht nur zwischen den
Elementen der einzelnen Ebenen, sondern zwischen allen Konsti
tutionsniveaus untereinander.
Allerdings macht Benveniste
als
Sprachwissenschaftler beim
Konstitutionsniveau des
Satzes
halt: In ihm erschpft sich die
Totalitt der linguistischen Regeln. Dagegen sind Mythen - als
Diskurs-Strukturen - solcherart, da ihre kleinsten konstitutiven
Einheiten nicht Phoneme, Morpheme oder Syntagmen, sondern
Stze sind. Aber, fhrt Levi-Strauss fort, wer wollte uns hindern,
ein noch hheres Konstitutions-Niveau zu erklimmen: eine >dritte
Stufe jenseits von langue und parole< nmlich die des d iscoursceux qw reg1ssent son langage, ses
schemas percepcifs, ses echanges, ses techniques, ses valeurs, la
hierarchie de ses pratiques.
20
Ebensowenig ist die Kultur iden
t i ~ c h .mit den wissenschaftlichen oder philosophischen Theorien,
? i ~
d1.ese
r d n u ~ g
entweder aus einem Prinzip rechtfertigen
oder
lD
ihrer systemanscben Verfatheit untersuchen, also reflektierend
und s y s t e ~ 1 a t i s i e r e n d zur (schon bestehenden) Ordnung des Le
b e ~ s w e l t l i c h e n _ S t e l l u n ~
nehmen. Die empirische und philoso
pb1sch-theoreasche Siebt
der Ordnung sind
vielmehr Extreme
zwischen die sich eine dritte-die, die wir suchen - einfgt, von de;
Foucault sagt, sie s i nicht minder grundlegend (pas moins fon
damental), obwohl
ihr
Bauplan weniger rigide und also schwieri
ger zu analysieren sei.
C ~ s t l a qu'une c u l ~ r e , se decaJant insensiblemenr des ordres empiriques
q ~ 1 lui sont prescntS par ses codes primaires, instauranr une premierc
d 1 s t a n c ~
par rapp?rt
a
ux, leur fair perdre leur transparence initiale cesse
se, ~ s s e r ~ a s ~ 1 ~ e m e n t t'.averser par eux,
se
deprend de leurs pouvoirs
unmediats etmvmbles se libere assez pour constater que ces ordres ne sont
peut-etre pas les seuls possibles
ni
les meilleurs; de sorte qu'elle se trouve
d e ~ a n t le fait brut qu'il y a, au-dessous de ses ordres spontanes, des choses
qu1
sont en elles-memes ordonnables, qui appanienne nt a n certain ordre
muet, bref u ' i l 'ordre.
~ m m e
si, s'affranchissant pour une part de
ses g r 1 ~ e s
l i n ~ 1 - s a q u e s ,
perc:pr1ves, prariques, la culture app.Jjquait sur
celles-ct une gnlle seconde qu1 es neurralise qui, eo es doub lant les fom
[sie ] apparaitre et Jes excluem [sie ] en meme remps, et se t r o ~ v a i t du
meme coup devant l'etre
brut
de 'ordre. C est au nom de cet ordre que les
c o d ~ s du l a n ~ g e , ~ e la perceprion, de
la
pracique som critiques et rendu
paraellement invalides.
C est
sur fond de cer ordre, tenu pour so posirif
que se batiront les thforie generaJes de l'ordonnance des choses er les
incerprecations qu'elle appelle. Ainsi entrele regard deja code et la connais
sance reflexive, il y a une region mediane qui
de.Livre
'ordre en son etre
meme.
2
Ich
nehme
an, Foucault
meint mit
dieser
Mittel-Ordnung
all jene
kultur- und epochenspezifischen Weltdeutungen, die einerseits
unordentlicher (plus confus, plus
obscur
) sind als das was r
die Ebene der C ~ : > n n a i s s a n c e s .nennt: der wissenschaftlich gesi
cherten Erkenntrusse; andererseits aber konkreter und reicher als
die primren
Codes
, die in uniformer Weise unsere Sprache,
unsere Umgangsforme n, unsere Wahrnehmung
und
unsere Gesel
ligkeit determinieren. Es knnte sich um etwas teils der Husserl
schen Lebenswelt Verwandtes, teils
den
traditionell Weltan
schauungen
oder
Ideologien genannten Ordnungen Affines
33
-
8/10/2019 Manfred Frank Diskursbegriff Foucaults
6/11
-
8/10/2019 Manfred Frank Diskursbegriff Foucaults
7/11
a amene l individualisation de series differentes, qui se juxtaposent, se
succedenc, se chevauchent, s'entrecroisent sans
qu on
puisse
les
reduire
un schema lineaire. Ainsi sont apparues, a a place de cene chronologie
continuede la raison, qu on faisaic invariablement remonter a 'inaccessible
origine, on ouverture fondatrice, des echelles parfois breves distinctes
les unes des autres, rebelles
a
ne ioi unique
poneuses souvem d un rype
d'hist0ire qui est propr e chacune, et irreductibles au modele gener l
d une conscience qui acquiert, progresse et se souvient.
29
Dem Prinzip der Ereignis-Individualitt tritt das der uerlich
keit (exteriorite) zur Seite.
30
Wir sind so sehr daran gewhnt, die
Individualitt als einen Sonderfall der Subjektivitt (und/oder der
Innerlichkeit) zu denken, da die Assoziation von Individualitt
und uerlichkeit zunchst verwirrt. Tatschlich meint Foucault
damit aber nur einen Aspekt, der im Gedanken der Siogularit_
t
des Individuellen schon impliziert ist, nmlich. seine lrreduzier
barkeit auf ein einheitliches diskursives Prinzip oder einen >in-
neren< Sinn-Kern des Diskurses. Die Regel der uerlichkeit
besagt dann: ne pas aller du discours vers son noyau interieur et
cache, vers le cceur d une pensee ou d'une signification, qui se
manifestaient en lui.3
1
uerlich ist das Verfahren der Diskurs
analytik also darum, weil
es
die Reihe (serie) der aufeinander
nicht (gem einem deduktiven oder teleologischen Prinzip) redu
zierbaren Einzelereignisse >auerhalb< jedes totalisierenden Allge
meinbegriffs belassen will.
Dann allerdings stellt sieb die Methodenfrage: Wissenscbafrliche
Erklrungen setzen Allgemeinbegriffe voraus, und was aus ihnen
nicht abgeleitet werden kann, ist nicht erklrt. Jean Piaget hat in
bezug auf Foucaults Archologie von einem Strukturalismus
ohne Strukturen gesprochen und Foucault selbst gibt an, es sei
ihm berhaupt nicht darum zu tun gewesen, die geschichtlichen
Einzelereignisse durch Rckfhrung auf transzendentale oder
universelle Kategorien oder Fonnarionsregeln zu unifonnisieren
und zu beherrschen.n Wie kann dann aber auch
nur
von mehreren
nebeneinander existierenden Diskursen die Rede sein? Jeder Dis
kurs ist als solcher im Lichte einer Sinn-Einheit erschlossen, der
fr sein Erkennungskriterium zu gelten hat - und man entkommt
dieser Konsequenz. auch dadurch nicht, da man die Diskurse
vervielfltigt. Mit anderen Worten: eine Multiplikation der Codes,
aus denen die Ereignisse sehr wohl zu deduzieren sind ist noch
keine
grundstzliche Verabschiedung des Code-Modells des klas-
36
s i s ~ h e n Strukturalismus; nur sind jetzt statt eines globalen viele
kleme Codes am Werk - so wie das analog in Roland Barthes
Analyse von Balzacs
Sarrasine
der Fall ist.3
3
Diese - wie immer
vervielfltigten - Generationsregeln sind sogar unerllich, soll
Foucaults ~ ~ t z l i c h e These, jeder Diskurs arbeite
im
Dienste des
W i l l e ~ . s zu.r Ubermchtigung und beruhe mithin auf strengen und
folterahnlichen Ausscbluregeln den mindesten Sinn behalten.
So z e i ~ t sich, da die Radikalitt der e r a b s ~ h i e d u n g von Univer
salien mkonsequent bleibt.
~ a s
g i ~ t
~ i c h _ t nur
fr die Formationsregeln der untereinander
diskontmmerhchen Sub-Diskurse, sondern fr den Kollektivsin
gular ~ d e r ? i s k ~ r s < e ~ s t recht. ~ a r .ist Foucaults Epochen-Kon
zept m
L archeologte du savotr
mcht mehr so monolithisch
geschlossen wie in Les mots
t les
choses; doch aber arbeitet
es
- auf
e i ~ e allerdings schwer durchschaubare Weise - mit globalen Ein
heits-Konzepten. Noch in der Introduction erklrt Foucault er
wo le.die ~ n h e i t de: C?eschichte und ihrer groen Epochen nicht
lediglich mit anarch1st1schem Gestus zersplittern, sondern suche
nach Regularitten, die die diskontinuierlichen Serien untereinan
der vernetzen (quel systeme vertical elles sont susceptibles de
former). Da der Gesamt-Diskurs -
als
Ensemble von diskonti
nuierlich.en Sub-J?iskursen - als eine Ordnung gedacht ist, verrt
am deutlichsten die Rede vom vertikalen System, das die verschie
denen Serien der zu einer bestimmten Zeit auftretenden Geschich
ten zusammenhlt.
34
Es
steht offenbar - in der Logik der Meta
pher- senkrecht zu den Einzelgeschichten und durchstt sie wie
e n
S p i e ~ . Gbe es den nicht, so gbe es auch keine Diskursanaly
uk a l ~
eme (wenn auch eigenartige) Wissenschaft, die immerhin
von emer reinen Aleatorik sich abgrenzt.
Wie sehr das der Fall, zeigt die konk ret durchgefhrte Methoden
lehre der r ~ h e o l o g i e ~ a v o ~ r die _den Begriff >discours< n gut
s ~ r u k t u r a l 1 s t i s c h e r Tradmon m klemste Einheiten zerlegt, die
mcht Phoneme oder Morpheme, sondern Stze sind. Bei Foucaulr
heien sie >enonces
-
8/10/2019 Manfred Frank Diskursbegriff Foucaults
8/11
l
vor ihrer Reduktion auf Flle des Code, sucht seinen Grundbe
griff- >le
discoursdiscoursArchologieDiskur
sen
Typenenoncesenonce< ist. Denn ein System hherer Ord
nung begreift sich von dem her, was
als
Elementen-Menge in
ihm
eingeschlossen ist. .
Foucault gibt auf diese Frage eine Reihe von negativen Antwor-
ten. Enonces, sagt er, sind weder Propositionen
noch
Stze (phra
ses) noch Sprechakte.
38
Elemente dieser drei Kate.gorien sind nm
lich konventionalisiert
und
aus den
zugrunde
liegenden Regeln
generierbar, gleichsam als atomes du discours((.
39
Eben t r i ~ t
auf enonces nicht zu, weil sie im Gegensatz zu streng taxmom1-
schen Systemen - individualisiert sind.
40
Sie sind also nicht
einseitig deduzierbar aus Universalien wie Gram matik
oder
Lo-
gik.41 . .
>Individualisiert< meint also: mcht vorhersehbar von se1ten der
Struktur, kontingen t hinsichtlich ihres So-Seins. Foucault sagt das
ausdrcklich,
wenn
er ein enonce (als Element des discours) von
einem evenement de la parole (als Elemente
der
langue)
unter
scheidet. Mit dem Terminus >enonce< st also jenem nie z_schlie
enden Abstand Rechnung getragen,
der
zwischen dem besteht,
was nach den Regeln der Sprache l.angue),
der
Konventionen
Pragmatik) und
des
korrekten Denkens L?gik)
?esagt
werden
knnte, und
dem, was tatschlich gesagt
wird.
Diesen
Abstand
hlt das foonce zu allen Ordnungen, die im streng strukturalisti
schen Wortsinn als Systeme beschrieben werden kn nen.
Das
fhrt
auf ein anderes Merkmal des foonce. Wir
knnen
es wieder kontrastiv zum Ereignis des Sprachsystems einfhren.
Fr alle System-Ereignisse ist es wesentlich, ohne ins Gewicht
fallenden Bedeutungsverlust wiederholt w erden
zu
knnen; Ele
mente von Systemen sind eben keine Individuen, sondern Typen
(oder Schemata), die in beliebigen Kontexten als das, was sie sind,
reproduziert werden
knnen
(auch Kontexte sind, wenn sie
durch
Regeln beherrscht werden, Typen). Dagegen gilt fr das
foonce:
Un e n o ~ c e
e x i s ~ e
en dehors de
toute
possibilite de reapparaltre; et le rap
port
qu i l entret1ent avec
ce
qu il enonce n est pas identique a
un
ensemble
de regles d utilisation.
I1
s agit
d un
rapport
singulier: et si dans ces condi
tions une formulation identique reapparalt -
ce
sont
bien les memes mots
qui
sont
utilises, ce sont substantiell ement les memes noms , c esi: au total la
meme phrase, mais ce n est pas forcemen t le meme enonce.42
Andererseits kann das foonce auch nicht so radikal individualisiert
werden wie der acte de l foonciation, der, wegen der Irreversibili
tt
s e ~ n e r Z ~ i ~ e r s t r : c ~ u n g j ~ d . e r
systematischen Beherrschung
entgleitet: L enonc1atton est ev1demment un evenement qui ne se
repete pas; elle a une singularite situee
qu on
ne
peut
pas
reduire.
43
Immerhin soll ja gelten, da foonces Elemente von
Diskursen sind:
Or
l enonce lui-meme ne peut-etre reduit
a e pur
evfoement de l enonci
ation, car malgre sa matfrialite [c est-a-dire son indice spatio-temporel]
il
p e u ~ e t r e
tepete [
. . .
Et
cependant il ne se reduit pas a une forme
g r a ~ -
matlcale
ou
log1que dans la mesure
ou,
plus qu elle et
sur
un
mode
different, il est sensible a des differences de matiere, de substance, de temps
et de lieu.
44
Die Aussage (enonce) steht also irgendwo zwischen der exklusiven
E i ~ m a l i ~ k e i t
der
l l . O ~ c i a t i o n
und de r Wiederholbarkeit
safva signifi-
c a t t ~ n . e
emes sprachlichen oder logischen oder sonstwie systemzu
gehongen Schemas.
In
mehreren verschiedenen enonciations kann
ein und dasselbe.foonce vorgebracht werden; umgekeh rt kann in
verschiedenen sinngleich wiede rholten
und
grammatisch
korrekt
gebildeten Stzen (phrases) ein jeweils verschiedenes foonce ausge
drckt werden.
Diskurse mgen nun Intermedir-Ordnungen besonderer Art
sein, fr die alle mglichen Ausnahmen und Spezifitten gelten:
39
-
8/10/2019 Manfred Frank Diskursbegriff Foucaults
9/11
l
ganz ohne generative Regeln wren sie so imaginr wie Daf
;1
che Uhren.
Um
diese (minimale) Wiederholbarkeit zu garantieren, mu man
auf eine Ordnung rekurrieren, die eben auch das Diskurselement,
welches das enonce ist, als ein gewi unendlich empfindlicheres,
anflligeresund vernderbareres, aber gleichwohl als ein Schema
enkodiert.
Und
diese Konsequenz zieht Foucault in der Tat in
zwei Schritten. In einem ersten kommt er auf die Metapher der
vertikalen
Gruppierung der enonces zurck - womit
er
zu meinen
scheint, da enonces nicht einem und demselben Generationstyp
unterstehen, sondern nach Magabe dieses oder jenes domaine
a s s o c i e < < ~ s dieser oder jener Kontext-Regel,
als
dieser oder jener
Typ sich erschlieen. Wieder glaubt Foucault, die systematische
Unbeherrschbarkeit des Individuellen durch eine Vervielfltigung
der Codes und der Referenzsysteme erklren zu knnen. Aber
noch so viele vertikal gruppierte Systeme brechen nicht den
Bann des fr ein jedes von ihnen verbindlichen Code-Modells von
input
und
output
nach intersubjektiv verbindlichen Regeln (ohne
welche der unterstellte Zwangscharakter der Diskurse unver
stndlich bliebe).
Diskurse sind aber noch in einer zweiten Hinsicht geordnet.
Foucault spricht I von einem Ordre de l'institution, dem die
enonces
als
mit sich identische Elemente unterworfen seien
46 ,
und
2 von einem
champ d utilisation,
dans lequel il [l'enonce] se
trouve investi.
47
Institutionen und Gebrauchs-Felder sind gewi
subtilere Ordnungen als formalisierte Grammatiken; sie sind aber
jedenfalls Ordnungen. Wenn Foucault ihnen einen Statut qui
n'est jamais definitif, mais modifiable, relarif et toujours suscep
tible d'etre remis en question
4
s, zuschreibt, knnte
er
dem
nur
Rechnung tragen im Rahmen einer Hermeneutik der Divination,
die systematisch unvorhersehbare Sinninnovationen errt; im epi
stemologischen Rahmen einer Diskursanalytik erstarrt die Inno-
vation notwendig im stahlharten Gebude einer Instimtionen
Lehre, die als >dispositif de torturec Individuen und Innovationen
nicht duldet.
Man versteht dann, in welchem Sinne Foucault -
trotz
des rheto
rischen Pldoyers fr Diskontinuitt und Sinn-Vielfalt - von der
Einheit
eines Archivs reden kann, wobei >Archiv definiert ist als
die Gesamtheit aller diskursiven Regelmigkeiten, die eine Epo
che - nicht unhnlich dem klassischen >Zeitgeist - charakterisie-
ren. Auch und erst recht die Begriffe
0
)rmation discursive
und
regles
de
formation werden von hier verstndlich, ,besonders
wenn man die folgende Definition im Ohr hat:
Les regles de formation sont des conditions d'existence (mais aussi de
coexistence, de maintien, de modif ication et de disparition) dans unerepar
tition discursive donnee.
49
Wieder tritt die Metapher eines >vertikalen Systems von Interde
pendenzen
-
8/10/2019 Manfred Frank Diskursbegriff Foucaults
10/11
Sie fungieren als folterhnliche Restriktions- und Ausscn1usy
steme, die ihre Einheit der Fesselung jener Disseminalitt verdan
ken, die die Archeologie du savoir ihnen mit Engagement zuzu
schreiben gesonnen war. Wre diese These fundiert , ergbe sich
die unertr liche Konsequenz, da die Wissenschaftlichkeit der
Diskursanaiytik nur garantiert werden knnte durch die Repressi
vitt jenes bermchtigungswillens, der die Disseminalitt unse
rer Reden der Restrikcivitt von Ausschlusystemen unterwirft
und so bndigt. Dann wre die Diskursanalytik auf die Vergewal
tigung von Subjekten (deren Existenz sie brigens vorab leugnet)
als ihre transzendentale Ennglichungsbedingung angewiesen.
Man knnte annehmen, Foucault verwende den Term >Diskurs