louis sclavis – characters on a wall

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Avishai Cohen | Big Vicious Es kommt selten vor, daß mich ein Album so begeistert, daß …. ach Quatsch, es kommt bei dem Umfang meines Musikkonsums häufig vor, daß mich ein Album oder ein Künstler so begeistern, daß diese Werke fast einen ganzen Tag lang rauf und runter gespielt werden. So ergeht es mir heute mit dem neuen Album des Trompeters Avishai Cohen, den wir gerade erst mit seiner 2019er CD Arvoles als Album des Monats eingestellt haben. Big Vicious ist so außergewöhnlich gelungen, daß es leider das neue Pat Metheny Album ablösen mußte, dieses finden Sie dauerhaft vorhanden mit dem Pool-Button CD der Woche (am Ende eines jeden Audio-Artikel). Da wird es ganz bestimmt länger als eine Woche zu hören sein. Nachdem im aktuellen Beitrag über Avishai Cohen ausgiebig über den Musiker berichtet wurde, kann ich nun direkt auf das neue Album übergehen und es -wie gewohnt- hörbar machen. Da ich nach anfänglichem Staunen mittlerweile beim reinen Hörgenuß

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Avishai Cohen | Big ViciousEs kommt selten vor, daß mich ein Album so begeistert, daß ….ach Quatsch, es kommt bei dem Umfang meines Musikkonsumshäufig vor, daß mich ein Album oder ein Künstler sobegeistern, daß diese Werke fast einen ganzen Tag lang raufund runter gespielt werden. So ergeht es mir heute mit demneuen Album des Trompeters Avishai Cohen, den wir gerade erstmit seiner 2019er CD Arvoles als Album des Monats eingestellthaben. Big Vicious ist so außergewöhnlich gelungen, daß esleider das neue Pat Metheny Album ablösen mußte, dieses findenSie dauerhaft vorhanden mit dem Pool-Button CD der Woche (amEnde eines jeden Audio-Artikel). Da wird es ganz bestimmtlänger als eine Woche zu hören sein.

Nachdem im aktuellen Beitrag über Avishai Cohen ausgiebig überden Musiker berichtet wurde, kann ich nun direkt auf das neueAlbum übergehen und es -wie gewohnt- hörbar machen. Da ichnach anfänglichem Staunen mittlerweile beim reinen Hörgenuß

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angelangt bin, gilt es, eine entsprechende Wohlfühlumgebung zuschaffen. Bei mir sind es diesmal ein kühler, trockenerumbrischer Torre di Giano von Lungarotti, begleitet vonDrucquers The Devilss Own in einer 1970er Jörgen Larsen in deralten dänischen Freehand Formensprache und einer seltenenrundum straight grain Maserung.

Aviv Cohen, Uzi Ramirez, Avishai Cohen, Yonatan Albalak,Ziv Ravitz | Ben Palhov / ECM Records

https://www.youtube.com/watch?v=8CvpzZupRK8

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InfosJazzechoBayerischer Rundfunk

Pat Metheny | From This PlaceSoeben verstarb sein langjähriger musikalischer Partner, derPianist Lyle Mays, mit dem er bis zum Ende der Pat MethenyGroup 2005 eng zusammen gearbeitet hat. Seitdem ist dermeisterhafte Fusion-Gitarrist und 20-fache Grammy Gewinner (in12 verschiedenen Kategorien!) solo, als Sideman, mit Trio oderQuintett unterwegs. Obwohl Mays auf dem soeben erschienen Fromthis Place nicht vertreten ist, spielt Pianist Gwilym Simcockso unglaublich atmosphärisch, wie es einst Lyle Mays tat. Man

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meint, jenen zu hören. Und überhaupt: was für ein Album!

Es ist seit drei Jahren endlichwieder eine neue Studioarbeitvon Pat Metheny, dessenbisheriges Œuvre seit der erstenCD Bright Size Life aus demJahre 1976 über 40 Alben umfaßt,hinzu kommen zahlreicheBeteiligungen an Werken vonOrnette Coleman, Steve Reich,Brad Mehldau, Jaco Pastorius undCharlie Haden, um nur ganz

wenige aufzuführen. Hier nun das am 22. Februarveröffentlichte Album mit folgender Besetzung:

Pat Metheny – Gitarre, SynthiAntonio Sanchez – DrumLinda May Han Oh – BassGwilym Simcock – PianoHollywood Studio Symphony Orchester unter Joel McNeely.

In der Grundstimmung des Albums erleben wir Pat Metheny wieeh und je, wenn sich auch die 10 Kompositionen starkunterscheiden. Wir hören klassischen und modernen Jazz,Filmmusik-artige Klanggewölbe und sehr gut könnte ich mirdazu passende Gemälde vorstellen. Als Ohröffner empfehle ichdas erste, 13 minütige America Indefined mit seinemfulminanten Schluß sowie das melancholische, sich starkentwickelnde You are (Titel 3). Vor allem beim dritten Titelunbedingt auf den Schlagzeuger Antonio Sanchez achten, einender Besten seiner Zunft.

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Foto und folgender Text aus der Leipziger Volkszeitung vom22.10.2017

Die Stoffe eines Lebens – zu den 41. LeipzigerJazztagen 2017 – von Ullrich Steinmetzger

[…] Und dann sitzt der alterslose Pat Metheny da auf dergroßen Bühne im Ringelshirt und spielt zunächst seinefuturistische Orchestrion-Gitarre, ehe seine aktuelle Band zuihm kommt: die malaiische Bassistin Linda Oh, der mexikanischeSchlagzeuger Antonio Sanchez und der walisische Pianist GwilymSimcock. Es werden grandiose drei Stunden. Mit der neuenPositionierung der Gitarre im Jazz hat Pat Metheny wenig zutun, denn er ist wie immer schon da. Wie aus einem Baukastensetzt er die Stoffe seines Lebens neu zusammen, verströmtOptimismus, Leichtigkeit und das sichere Gefühl, einen dergrößten Musiker unserer Tage erleben zu dürfen. Seine Musikstrahlt wie die Sonne über einer schönen neuen Welt. Er istein neben allen Moden in sich Ruhender, der nichts mehrbeweisen muss und dann doch viel mehr tut, als nur sich selbstzu reproduzieren. Immer neu erzählt und verwandelt er mitseinen Gitarren diese unendliche Geschichte, und je länger erdas an diesem denkwürdigen Abend tun wird, um so plausiblerwird es, auch weil nicht nur Antonio Sanchez Raum bekommt,Metheny hin ins Offene zu navigieren, wo dieser Magier zuimmer neuen Volten abhebt. Was für ein Finale! Eingrößtmöglicher gemeinsamer Nenner und natürlich Standing

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Ovations für diese Krönung der 41. Jazztage.[…]

Metheny geht ab Mai mit seinen kongenialen Mitspielern, demwalischen Pianisten Gwilym Simcock, der malaysisch-australischen Bassistin Linda May Han Oh und dem langjährigenDrummer Antonio Sanchez auf Europa Tournee:

17.05. München, Philharmonie, 19.05. Stuttgart, Liederhalle(Beethoven-Saal), 20.05. Dortmund, Konzerthaus, 23.05.Düsseldorf, Tonhalle, 24.05. Hamburg, Laeiszhalle, 29.05.Frankfurt, Alte Oper, 30.05. Bremen, Die Glocke, 31.05.Berlin, Philharmonie

Wenn diese 6 Alben in Ihrer Plattensammlungfehlen, dann FEHLT ETWAS !

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Es gibt diese Alben auch als Super Audio CD (SACD) und als180g Vinyl LP.

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Avishai Cohen Doppelspiel –Arvoles (2019) & Lyla (2003)Schau ich mir die Pfeifenblog.de Statistiken an, sointeressiert sich von unseren fast 25.000 Lesern so gut wieniemand für das Album des Monats oder die Playlist der Woche,obwohl sie einen eigenen Menüpunkt in der rechtenNavigationsleiste haben und durch die drei Buttons am Endeeines jeden Audio-Artikels ein bequemes Blättern durch allevorgestellte Musik geboten wird. Gehört werden können alleAlben mittels Spotify (in der kostenlosen Variante!).

Warum führen wir also diese Rubriken weiter?Eigentlich wollte ich ein wenig salbadern, über meine sehrgroße Musiksammlung über (fast) alle Genres und Länderhinweg, meine jahrelangen Verbindungen zu Künstlern und zurMusikindustrie, in die Welt der internationalen Studio- undVeranstaltungstechnik und tausend Gründe mehr. Das kann ichmir ersparen durch die beste aller guten Erklärungen: weil esmir einfach Spaß und mich Musik unverändert enthusiatischmacht. Jeden Tag. Und weil doch hin und wieder ein verirrter

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Leser/Hörer schreibt, das ihm die eine oder andereVorstellung gefallen hat, er dadurch Neues kennen gelernthat.

Also, auf geht`s: Erinnern Sie sich an die Vorstellung desfabulösen Yaron Herman Trios im Mai 2019 ? Vermutlich habenSie die ausnahmsweise übersehen. Mit dieser musikalischenRichtung machen wir heute weiter und zwar mit einem der ganzbedeutenden Musiker Israels mit internationalem Auftritt:Avishai Cohen.

Der Musiker ist Pianist und Bassist, beide Instrumente hat erin den USA studiert, einer seiner Protégées ist Chick Corea.Mit seinem heutigen umfangreichen Œuvre (Beginn 1998) bedarfer dieses Protegés aber längst nicht mehr. Heute ist AvishaiCohen nicht nur Pianist oder Bassist, sondern auch Komponist,Arrangeur und nicht zuletzt Bandleader. Alle 25 Alben, die ichab 1998 sammle, zeichnen sich durch eine ständige Veränderungin den Stilen und den Kompositionen aus.

Der Künstler ist in eine große, musikalische Familie in Israelhineingeboren und dort aufgewachen, bevor er als knapp überZwanzigjähriger nach New York zog. Anfangs schlug er sich alsBauarbeiter und Straßenmusiker durch, sehr schnell aber konnteer als Sideman mit Größen wie Wynton Marsalis, Joshua Redmanund Roy Hargrove spielen. Als Chick Corea ihn schließlich alsfestes Mitglied in seine akustische Formation Origin aufnahm,war der Grundstock für eine Karriere gelegt. Nach Beendigungdes Corea-Projekts ist Avishai Cohen zurück gekehrt nachIsrael und veröffentlicht seitdem als eigenständiger Musiker,mitunter als Trio oder Quintett.

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Erwartungsgemaß unterscheidet sich sein letztes Album Arvolesvon den meisten seiner Vorläufer und ganz besonders von Lylaaus dem Jahre 2003, bei dem Chick Corea das Piano spielt. Inden Kompositionen dieses 2019er Werkes mischen sich Elementeaus klassischer Musik, Latino und afrikanische Rhythmen mitdenen des Jazz und Swing. Ein Prinzip, das mir bei Arvoles imGegensatz zu früheren Aufnahmen aufgefallen ist, betrifft einegewisse Restriktierung oder besser Minimalisierung in denKompositionen, die aber zu einer Verdichtung und damitIntensivierung des Hörerlebnisses führen.

Arvoles, 2019Avishai Cohen, KontrabassElchin Shirinov, KlavierNoam David, SchlagzeugBjörn Samuelsson, Posaune (tracks 1,4,6,9,10)

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Anders Hagberg, Querflöte (tracks 1,4,6,9.10)

Lyla (2003), Avishai’s ersteVeröffentlichung auf seinemneugegründetem eigenem LabelRazdaz Recordz , zeigt die ganzeBandbreite eines Künstlern mitvielschichtiger musikalischerAusprägung. Sein Mentor ChickCorea spielt das Piano. DieBläsersektion schafft mit derRhythmusgruppe und denTasteninstrumenten einvollständes Bild von lebendigem,

zeitgenössischem Jazz. Und das völlig unangestrengt, einwahrer Genuß.

Lyla, 2003Avishai Cohen, Vocals, Piano, Electric Piano, Synthesizer,Acoustic & Electric BassYagil Baras, Acoustic & Electric BassEric McPherson, DrumsMark Guiliana, Drums, Percussion, ProgrammingChick Corea, PianoYosvany Terry, Alto SaxophoneAvi Lebovich, Trombone, FluteAlex Norris, Diego Urcola, Trumpet, FlugelhornVocals, Bernie Kirsh, Jeff Taylor (2), Lola (4)

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Louis Sclavis – Characters ona wallIn der anregenden TV Romanverfilmung von Jean-Claude Izzo`sfulminanter Marseille Trilogie mit einem fantastischen Alters-Alain Delon, hört der Protagonist Fabio Montale (Delon) dannimmer Miles Davis, wenn er sich in seinem alten Haus an einerder zahlreichen Buchten der Calanques vor den Toren „seines“Marseille aufhält: Sketches of Spain, das 1960 erschieneneDavis Non-Jazz Album, trägt die Stimmung des Films ganzbesonders. Daran hat mich das neue Album des (Bass-)Klarinettisten Louis Sclavis erinnert, dessen Ton aber auchgar nichts mit dem Miles Davis der 1960er Jahre zu tun hat.Und dennoch: bleibt der Hörer an den Melodien hängen, so gibtes wiederum zahlreiche Parallelen.

Das Online Portal von JAZZECHO liefert detaillierteInformation über den Musiker und das am 20.09.2019 erschieneneneue Album Characters on the Wall. Das nimmt mir etwas Arbeitab und ich kann Ihnen nicht nur den sofortigen Hörgenuß,

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sondern auch die übliche „Environment“ – Empfehlung geben:entweder ein kräftiger Islay Single Malt oder den 18 jährigenHighland Park von den Orkneys. Die erprobte Alternative istder Boulevardier. Sehr gut ergänzen der Epikur oder der KurtEisner Blend. Und bei Pfeife, Stopfer und dem Zündzeug habenSie die freie Wahl.

Louis SclavisCharactors on a Wall, ECM 2019Jean-Claude Izzo

Fabio Montale

Miles Davis Sketches of Spain

Ganz einfach Bach: Sonaten

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für Violine und CembaloBachs Sonaten für Violine und Cembalo BWV 1014-1019 sindKompositionen, die hinsichtlich Klarheit und Reinheiteinhergehen mit anderen maßstäblichen Tondichtungen desKomponisten wie die Kunst der Fuge, das WohltemperierteKlavier, die Goldberg Variationen oder die Sonaten BWV1001-1003 für die Solo Violine. Mustergültig und immer wiederüberraschend in den Melodienfolgen (wie übrigens auch dieberühmteren Brandenburgischen Konzerte), gelten sie als die„Urform“ der Violinsonate. Bach hat unter immensenGeburtswehen und über einen ungewöhnlich langen Zeitraum anden Werken gearbeitet, sie sind nicht in einem Guß entstanden.Aber in ihrem Formenreichtum und ihrer stringenten Diversitätbildet sich der gesamte Kosmos des Bachschen Schaffens ab –und das mit lediglich zwei Instrumentalstimmen.

Gräbner-Cembalo ausder DresdnerCembalobauer Dynastie,eine Kopie verwendetK. Bezuidenhout fürdie Sonaten

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Das Klavier in der heutigen Form (mit Pedal) gab es zu BachsZeiten nicht und unter Tasteninstrumenten sah man Cembalo undOrgel. Die im vergangenen Jahr veröffentlichte Einspielung mitIsabelle Faust und Kristian Bezuidenhout, die ich Ihnen hierhörbar mache, setzt das Cembalo nicht als reinesBegleitinstrument, sondern als korrespondierende Stimme zurVioline. Und das zeichnet für mich dieses Album besonders aus,wie auch die beiden Musiker etwas Besonderes sind.

Isabelle Faust, die deutsche Weltklassegeigerin und derSüdafrikaner Kirstian Bezuidenhout, Meister auf demHammerklavier, legen ein nachhaltig beeindruckendesZusammenspiel vor, das diese Doppel CD zu einem Erlebnismacht. Erstmals spielt der Pianist hier ein Cembalo, stellt esnicht lautstark in den Vordergrund oder nimmt nicht diePosition des hintergründigen Begleiters ein. Hier findet einsymbiotischer Dialog statt, der die Unterschiede und die großeVielfalt der sechs Sonaten wunderbar herausarbeitet. Und dasklingt so leicht, so einfühlsam und so spannend, das meineLieblingsaufnahme der Sonaten von Frank Peter Zimmermann undEnrico Pace aus dem Jahre 2007 ein wenig pausieren darf.

Bildquelle: © Harmonia mundi

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Rezensenten haben diese 2018er Aufnahme vielfach als Referenzbezeichnet. Ich halte nichts von solcher Titulierung, wennsie nicht ausschliesslich die Produktions- undAufnahmequalität herausstellen soll. Denn ob diekünstlerische Darbietung eine Referenz ist, kann bei derVielzahl der heutigen Veröffentlichungen kaum mehr neutralbehauptet werden. Deshalb werde ich am Ende des Artikel nochein, zwei weitere Fassungen der Sonaten mit ähnlich guterInterpretation und Wiedergabequalität aufzeigen, dieebenfalls „Referenzen“ sind, wenn man Werke gerneunterschiedlich dargebracht hören mag.

Und nun genug der Ausführungen, füllen Sie sich einen sanftenRoten ins Glas, dazu den köstlichen Dunhill Flake (gibt esbald wieder!) oder einen wundervollen milden Althergebrachtenund geniessen Sie. An einem Stück, ohne Unterbrechung, damitSie die Geschlossenheit des Werkes – trotz der Vielfalt dereinzelnen Sonaten – ausdrücklich erfahren können.

Johann Sebastian BachSonaten für Violine und Cembalo BWV 1014-1019Isabelle Faust,ViolineKristian Bezuidenhout, CembaloHarmonia mundi, 2 CD

Neuzeitliche Alternativ „Referenz“-Aufnahmen

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Frank Peter Zimmermann & Enrico Pace, Sony Classical 2007

Viktoria Mullova & Ottavio Dantone, Onyx Classics 2007

Michelle Makarski & Keith Jarrett, ECM 2013

Fabio Bondi & Rinaldo Alessandrini, Naive 2000

CALEXICO – Years to BurnEigentlich wollte ich als Playlist der Woche Alban BergsViolinkonzert „Dem Andenken eines Engels“ vorstellen,basierend auf einer Diskussion über den österreichischenSchriftsteller Franz Werfel (1890-1945) im Freitagsclub derMünchner Runde in der vergangenen Woche. Da ich aber daran

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nicht teilgenommen, sondern nur über häßliche „UnsozialeMedien“ zufällig davon erfahren habe und ich mich außerdemnicht entscheiden konnte, welche meiner 18 Aufnahmen ichverwenden soll (vermutlich wären es Isaac Stern mit Bernsteinaus 1957 oder Yehudi Menuhin und Ernest Ansermet aus 1959geworden), kommt nun Calexico ins Spiel. Nie gehört? Dannpasst die Auswahl.

Zwar gehe ich nicht zurück in die 1960er Jahre, wie ich es beiAlban Berg entschieden hätte. Aber die amerikanische BandCalexico gibt es bereits seit 1996, immerhin auch schon fastein Vierteljahrhundert. Ich bezeichne ihre abwechslungsreichenAlben als „West Coast Nostalgie Musik“, denn alles haben wirin ähnlicher Form von Buffalo Springfield, CSN&Y, den Byrds,Jefferson Airplane, Loving Spoonful, den Rascals, Beach Boysund den Mamas & Papas, ja auch vom frühen Santana und vielenAnderen im Ohr. Manchmal klingt sogar die typische Vox Orgelvon Ray Manzarek von den Doors (†2013) durch. Wir hören aufmittlerweile 13 Alben Country Rock, Surf (West Coast)Sound,Folk, Mariachi, Latin Jazz und einige andere Stile mehr. Fastalle Lieder sind kurz. Wie zu seligen Beatles Zeiten. Daserhöht den Spaß an dieser Musik, deren Texte aber durchausgesellschaftskritisch sind. Das neue Album aus diesem Monatheißt Years to Burn und ist in Zusammenarbeit mit Sam Beam akaIron & Wine entstanden. Entspannungsmusik für den frühenAbend, einen leichten Sommerwein dazu und am besten den FayyumKake oder einen SG Special Flake No.7. Der mit derExtraportion Seife …….

CALEXICO und das Radio Sinfonie Orchester Wien

Wem dieses Album der Woche gefällt, der sollte sich auch daserste Album Spoke aus dem Jahre 1997 und The Thread That Keeps

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Abdullah Ibrahim (DollarBrand) – The BalanceDas ich hier im Pfeifenblog noch nie über AbdullahIbrahim gesprochen habe, konnte ich nicht glauben. Aberdas durchforsten unseres Audio Pools (mit den dreiAuswahl-Buttons unter jedem Audio Bericht)

brachte tatsächlich kein Ergebnis. Nun bietet dassoeben am 28.06.2019 veröffentlichte 49.(!) Album(zumindest soviele sind in meiner Sammlung, sicher gibtes noch einige mehr) des südafrikanischen 84 jährigen„Elder Statesman“ Musikers Gelegenheit, das Versäumnisnach zu holen.Entdeckt und gefördert von Duke Ellington, zählt AbdullahIbrahim nach den Giganten Keith Jarrett und Marcus Roberts(keine Verwandschaft zur schönen Julia Roberts) für mich zuden herausragenden Lautmalern unter den Jazz-Pianisten.Meilensteine: Good News from Africa (1973) und AfricanMarketplace (1996), aber jedes seiner Alben ist eigentlich einsolcher. Der internationale Durchbruch erfolgte auf demNewport Festival 1965 – immerhin 54 Jahre her. Seitdem hatsich der Südafrikaner, der lange Jahre als Apartheidverfolgterdurch die Welt nomadisieren mußte, einen festen Platz in derReihe der Götter des Jazz erspielt, mit zahlreichen hat erzusammengearbeitet, darunter John Coltrane, Ornette Coleman,Don Cherry und natürlich Duke Ellington.

In einem Interview der Zeitschrift „Zeit“ aus dem Jahre 2013lesen wir:

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Ich habe schon immer, mein Leben lang, nach einem bestimmtenKlang gesucht. Ende der sechziger Jahre, ich lebtezwischenzeitlich in New York, wurde diese Suche immerschlimmer. Ich fuhr Tag und Nacht durch die Straßen, einrastloser Afrikaner in Amerika, der nicht begriff, was ihnumtrieb: Es war gar nicht der Klang, es war die Stille, dieStille in der Musik … [und] … es gibt Leute, die nur spielenkönnen, wenn sie ein Notenblatt vor sich haben. Wir anderenaber improvisieren, ohne das Ziel zu kennen. Das macht unsfrei. Wir fürchten uns nicht vor Situationen, die wir nichtkennen. Wir haben einen Song, haben Rhythmus, Harmonie,Tonlage – und dann fangen wir an, damit zu spielen, stellenalles auf den Kopf … Wir Jazzmusiker haben keine Angst, dieDinge laufen zu lassen.

Statt jetzt eine detaillierte Schilderung seines letztenWerkes The Balance mit tranzendentalen Aspekten zu verfassen,biete ich hier an: anhören, staunen, begeistert sein. Fürdiejenigen, die bisher keine Kenntnis von Abdullah Ibrahim(Dollar Brand – vor der Konvertierung zum Islam) haben: inallen seinen Werken findet sich die unikate und genialeVerschmelzung von afrikanischen und amerikanischen (Jazz-)Musikströmungen. So auch auf dem gerade erschienenen Album TheBalance. War die zuletzt vor vier Jahren veröffentlichteAufnahme The Song Is My Story ein Soloprojekt, so breitet dasneue Album -mit Band- mit 10 Titeln den ganzen AbdullahIbrahim Kanon vor uns aus. Konzertant? Frei? Schwebend?Emotional? JA!

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Fast alle diese Alben zählen zu meinen Favoriten, allerdingsbevorzuge ich die Soloaufnahmen und die mit kleiner Besetzung.

Santana | Africa SpeaksCarlos Santana (71) und seine diversen Bands gehören zu meinermusikalischen DNA. Die ersten drei Alben – Santana (1969),Abraxas (1970) und Santana III (1971) sowie Welcome (1972),Caravanserei (1973), Borboletta (1974) und das aus dem Jahre2016 stammende Santana IV in nahezu Urbesetzung sind für michunverändert aktuelle Musik, die regelmäßig auf dem

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Plattenteller dreht. Und die meisten der zahlreichenVeröffentlichungen auch, hinzukommen die frühen Journey,Abraxas Pool, einige Neil Schon Soloprojekte (herausragend:Beyond the Thunder), sie alle bilden meinen Santana-Kosmos ab.

Das sich der Über-Gitarristzeitweilig auf die Mainstream-/Popseite geschlagen underfolgreich radiotauglicheSchlagermusik abgeliefert hat,kann unter Betrachtung desbisherigen Gesamtkatalogshingenommen werden. Um soerfreulicher, das Vorgesternveröffentlichte neue AlbumAfrica Speaks, das -was für ein

Klischee- überzeugend zu den Santana-Wurzeln zurückführt. Eheich jetzt in den Falle „falle“, wie es fast alleprofessionellen oder auch die unberufenenen Kritiker soebentun, irgendein back-to-the-roots Geschwurbel ( … er kann esnoch, klingt wie früher, zurückgekehrt in die musikalischeHeimat etc.) und vertrackste Analysen über den Ursprung der11 Titel anstelle, nur soviel:

Africa Speaks ist ein tolles, mitreißendes Santana Album inder ursprünglichen Santana Sprache und die Fortsetzung vonSantana 1 bis 4, so – als hätte es nichts dazwischen gegeben.Der Titel des Albums gibt genau das musikalische Themawieder. Erstmals hat mit der 47 jährigen spanischen ConchaBuika eine Sängerin das Sagen auf einem Santana Album und daswiederum schafft doch noch ein neues Feeling. Einfach klasseMusik. Damit ist alles gesagt. Das muß reichen. Hört Ihr`s,dann hört Ihr`s.

Auffällig für Santanisten: der Gitarrenton ist endlich wiederhärter geworden, der totgenudelte PRS-Ölfilm hat Pickup- und

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Saiten verlassen und ein wenig klingt es nach seligen SG undLes Paul Zeiten. Paul Reed Smith hat zwar die schönstenHölzer, baut wundervolle Gitarren, nur haben sie leider einenAllerweltsklang, wenn man von für Künstler gebaute Signature-Gitarren absieht.

PlattenspielerDeutschlandfunk

Stuttgarter Zeitung

Planet Mexico

BIO

7 (6) auf einen Streich – Basis für die Sammlung

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Dr. John † | Hymnen aus NewOrleansDr. John alias Malcolm „Mac“ John Rebennack Jr., Beiname „TheNight Tripper, geboren 1941 in New Orleans, ist überraschendvorgestern 77 jährig einem Herzinfarkt erlegen. Kaum einMusiker der neuzeitlichen populären Musik hat die MississippiSchwüle, das kreolische Erbe und den speziellen musikalischenLebenstil zwischen Voodoo, Psychodelic, R & B, Blues und Rock,typisch für den Süden der USA und speziell New Orleans, sotreffend wiedergegeben. Stets atmospärische Musik, vielfachschräg, vielfach Voodoo und Gumbo ….

Er hat lange nicht veröffentlich – zuletzt 2014 Ske-Dat-De-Dat– The Spirit of Satch, eine vielseitige Reminiszenz an einen

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anderen großen Sohn der Stadt, Louis Armstrong, aber dasRepertoire der Veröffentlichungen ist umfangreich, ich besitzeüber 20 seiner Alben, es gibt aber noch weit mehr. Für Dr.JohnEinsteiger seien die zwei Alben Dr. John Plays Mac RebenackVol 1 und 2 empfohlen →

Ich stelle hier vor die CD N’Awlinz Dis, Dat, or D’Udda (lautsprachig für: New Orleans, dies, das und anderes) aus demJahre 2004, relaxed, laid back oder was für Attributegewöhnlich damit verbunden werden, aber so klingt estatsächlich. Bitte achten Sie auf die Titel „When theSaints….“ und lassen Sie sich von einer wieder einmalunglaublichen Mavis Staples vereinnahmen. Ja, es ist heiß, esist schwül in New Orleans, es riecht nach Absinth und Gumbound all das werden Sie aus Ihren Lautsprechern hören,verspüren.

Sie sollten einen guten Drink zur Unterstützung wählen, einen,der die spezielle Stimmung Dr. John`s Musik fördert, zumBeispiel den Boulevardier, hier treffend beschrieben. Undmeine Favoriten Escudo/Navy Rolls oder der satte Epikur tunein weiteres, um ein wenig kreolisch zu fühlen. Und vielleichtlesen Sie dazu den detailreichen Nachruf aus der Süddeutschen

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Zeitung.

Dr. John war stets ein Vermittler zwischen Blues, Jazz, Latin,Mardi Gras, kreolischen und psychodelischen Einflüssen,vielfach überlagert von Voodoo Kult Stimmungen. Mit ihmspielten “ Gott und die Welt“ und auf diesem Album u.a. B.B.King, Willie Nelson, Mavis Staples und Cyril Neville, sehenSie weiter unten die Liste der Lieder dieses Albums, ich habedie beteiligten Musiker aufgeführt. Und wer nicht sogleich vomersten Stück Quatre Parishe wegbeamt, muß zu Helene Fischeroder auf das Boot mit Florian wechseln.

Quatre ParisheWhen the Saints Go Marching In feat. Mavis StaplesLay My Burden Down feat. Mavis StaplesMarie Laveau feat. Cyril NevilleDear Old Southland feat. Nicholas PaytonDis, Dat or d’UddaChickee le Pas feat. Cyril Neville, Mardi Gras IndiansThe Monkey feat. Eddie Bo, Mavis StaplesI Ate Up the Apple Tree feat. Randy NewmanYou Ain’t Such a Much feat. Snooks Eaglin, Willie NelsonHen Layin‘ Rooster feat. Clarence „Gatemouth“ Brown, B.B. KingStakaleeEh Las BasSt. James Infirmary feat. Eddie BoTime Marches On feat. Willie Nelson , B.B.KingI’m Goin‘ Home feat. Cyril Neville

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Yaron Herman | TrioüberzeugendWer den Komponisten und Pianisten Ludovico Einaudi, nach zuKarriebeginn wundervollen Kompositionen – man denke an LeOnde(!) – nun nur noch sülzgeschmalzt, widerlich überplüschtund womöglich nur dem Kommerz verpflichtet findet, wem dasJahrhundertgenie Keith Jarrett nicht immer zugänglich, GeorgeWinston zu ballastig und stark dem Gospel und New Agehingewendet ist, Herbie Hancock wie Rock Kollege Santanamittlerweile alles und mit jedem spielt, was per se ja nichtschlecht sein muß, aber für Musikliebhaber meistens wenigerträglich erscheint, der kann sich noch zu Marcus Roberts undBrad Mehldau flüchten. Oder -und das wird heftig empfohlen –sich intensiv mit dem (für den Jazz noch jungen) Israeli YaronHerman (1981) beschäftigen, der tief eingebunden in diefranzösische Jazz-Szene, seit Jahren in Paris lebt.

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In der Klick-Klack Sendung desBR Klassik vom 08.05.2019,diesmal moderiert von CellistinSol Gabetta, hörte ich erstmalsvon ihm und war so begeistert,daß ich innerhalb einer Wochealle Alben zusammengekauft habe,die es seit des Ersten gibt.Mehr über Yaron Herman findenSie hier, damit erspare ich mirein wenig Arbeit. Als Album desMonats stelle ich hier das

soeben erschienene „Songs of the Degrees“ mit dem aktuellenYaron Herman Trio, dem neben dem Pianisten der iranisch-amerikanische Bassist Sam Minaie und der überragendeisraelische Schlagzeuger Ziv Ravitz angehören. Und diebedienen das modern und dennoch wesentlich traditionellpräsentierte klassische Trioformat so wundervoll und mit einerPerfektion, die nur inspiriert und keineswegs affektiert daherkommt. So erzeugen wahre Musiker pure Jazz Emotion, mit demeinzigen Ziel, den Hörer zu berühren und zu unterhalten. Wasfür ein Album !