kleben auf lack — 2. teil

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_____ Die adhäsiven und kohäsi- ven Eigenschaften des Ver- bundsystems Lack/Klebstoff lassen sich durch die Anwen- dung der nebenstehend aufge- führten Methoden bestimmen. Zugscherprüfungen an Kleb- stoffen sind Stand der Technik. Die Prüfungen der Grenzschicht Lack/Lack mit den im ersten Teil des Beitrags (in JOT 9/2006) angesprochenen Methoden ist Thema aktueller Untersuchun- gen des beschriebenen Projek- tes. Die kohäsiven Eigenschaf- ten von Lackfilmen wie Zugfes- tigkeit und Speichermodul, die Hinweise auf den Vernetzungs- grad geben können, wurden über die Prüfung von freien Lackfilmen ermittelt. Will man das Gesamtsystem verstehen, so ist es notwendig, eine Matrix aus den beteiligten Schichten und den möglichen Adhäsionsphänomenen zu be- trachten. Unter den beteiligten Schichten sind hier Adhärent, Grenzschicht und Substrat zu verstehen. Die möglichen Adhä- sionsmechanismen sind physi- kalische, chemische und mecha- nische Adhäsion. In dieser Matrix sind unter anderem die Auswirkungen der Teilphäno- mene Querkontraktion und Benetzung durch den Adhären- ten, der Einfluss von funktionel- len Gruppen, Diffusion mit den 68 JOT 10.2006 lacke MAN Nutzfahrzeuge befestigt die Scheiben der Lkw-Fahrerhäuser durch Kleben. Da hier der Kleber auf den Decklack aufgetragen wird, ist eine optimale Haftung zwischen Kleber und Lackierung besonders wichtig. Der zweite und letzte Teil unseres Beitrags berichtet unter anderem über den Chemismus von Nutzfahrzeug-Lacksystemen. Einfluss der Lacktrocknung auf die Hafteigenschaften Kleben auf Lack – 2. Teil Bild 1: Prüfmethoden im Verbundsystem Bild 2: Untersuchungsmatrix

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Page 1: Kleben auf Lack — 2. Teil

_____ Die adhäsiven und kohäsi-ven Eigenschaften des Ver-bundsystems Lack/Klebstoff lassen sich durch die Anwen-dung der nebenstehend aufge-führten Methoden bestimmen.Zugscherprüfungen an Kleb-stoffen sind Stand der Technik.Die Prüfungen der GrenzschichtLack/Lack mit den im ersten Teildes Beitrags (in JOT 9/2006)angesprochenen Methoden istThema aktueller Untersuchun-gen des beschriebenen Projek-tes. Die kohäsiven Eigenschaf-ten von Lackfilmen wie Zugfes-tigkeit und Speichermodul, dieHinweise auf den Vernetzungs-grad geben können, wurdenüber die Prüfung von freienLackfilmen ermittelt.

Will man das Gesamtsystemverstehen, so ist es notwendig,eine Matrix aus den beteiligtenSchichten und den möglichenAdhäsionsphänomenen zu be-trachten. Unter den beteiligtenSchichten sind hier Adhärent,Grenzschicht und Substrat zuverstehen. Die möglichen Adhä-sionsmechanismen sind physi-kalische, chemische und mecha-nische Adhäsion. In dieserMatrix sind unter anderem dieAuswirkungen der Teilphäno-mene Querkontraktion undBenetzung durch den Adhären-ten, der Einfluss von funktionel-len Gruppen, Diffusion mit den

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lacke

MAN Nutzfahrzeuge befestigt die Scheiben der Lkw-Fahrerhäuser durch Kleben. Dahier der Kleber auf den Decklack aufgetragen wird, ist eine optimale Haftung zwischenKleber und Lackierung besonders wichtig. Der zweite und letzte Teil unseres Beitragsberichtet unter anderem über den Chemismus von Nutzfahrzeug-Lacksystemen.

Einfluss der Lacktrocknung auf die Hafteigenschaften

Kleben auf Lack – 2. Teil

Bild 1: Prüfmethoden im Verbundsystem

Bild 2: Untersuchungsmatrix

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vorgetrocknet werden. Verwendet wer-den vorzugsweise Naturseide oder Glas-fasergewebe [9], da diese Materialien inden zu betrachtenden Bereichen keinenGlasübergang aufweisen. Nachteilig beider Verwendung eines Trägermaterialsist die Beeinflussung der ermitteltenModule während der Verfestigung desSystems, da der Einfluss der Fasern dasErgebnis relativiert.

Um Aussagen über das Speichermo-dul im Trocknungsprozess zu erhalten,mussten Proben erstellt werden, die imVernetzungszustand vor Durchfahrendes Ofens im Prüfgerät fixierbar waren.Diese Proben wurden auf Glasfaservlieserstellt. Die Speichermodule sind auf-grund des Glasfaserverbundes nicht alsAbsolutwert zu betrachten. Da der Anteildes Glasfasergewebes jedoch bei allenProben gleich ist, können die ermitteltenWerte relativ zueinander verglichenwerden.

Wie erwartet, pendelt sich der Spei-chermodul der Proben zu Beginn desVersuchs auf dem Niveau des Glasfaser-gewebes ein [9]. Der betrachtete Aus-härteprozess startet nach etwa 3 bis 5Minuten. Weiterhin war zu erwarten,dass die Speichermodule bei höherenEinbrenntemperaturen höhere Endwer-te annehmen. Bei dem Lacksystem 2K-MS ist auffällig, dass die ermittelten

selungseffekte der bei niedrigen Tem-peraturen verkapselten Isocyanate inthermisch vernetzenden Lacken erklär-bar.

Mechanische Lackeigenschaften

Die mechanischen Lackeigenschaftenwerden unter anderem mittels Dyna-misch-Mechanischer-Analyse (DMA)bestimmt. Bei der DMA wirkt auf dieProbe eine oszillierende mechanischeBeanspruchung in Form von Torsion,Druck oder Zug. Durch die Antwort desSystems auf das implizierte Signal kannauf das komplexe Modul M* geschlos-sen werden, das sich aus Speichermo-dul M’ (E’ beziehungsweise G’) und Ver-lustmodul M’’ (E’’ beziehungsweise G’’)zusammensetzt. Zusätzlich ist der Ver-lustfaktor tanδ ermittelbar.

Untersucht werden Speicher- und Ver-lustmodul als Funktionen der Zeit, Tem-peratur, Auslenkung und Frequenz, desWeiteren kann bei Polymeren sowohldie Glasübergangstemperatur als auchder Grad der Vernetzung ermittelt wer-den. Der Speichermodul ist oberhalb derGlasübergangstemperatur proportionalzum Vernetzungsgrad [9].

Um den Vernetzungsvorgang einesLackes verfolgen zu können, muss die-ser in flüssiger Form auf ein Trägerma-terial aufgebracht und zur Verfestigung

Teilaspekten Vernetzung und Sperr-effekte sowie schließlich die Topologie(Morphologie, Porösität) zu beleuchten.

Chemismus von Nutzfahrzeug-Lacksystemen

Zunächst ist der Einfluss der Chemieder Nutzfahrzeuglacksysteme zu be-stimmen. Bei MAN Nutzfahrzeuge wer-den vier Arten von Lacken eingesetzt.Dies sind 1K- lösemittelhaltige, 1K-was-serbasierte und 2K-mittelfestkörper-reiche und -hochfestkörperreiche Sys-teme. Alle Lacke vernetzen über einePolyaddition. Es handelt sich bei deneingesetzten Lacken um PUR-Systeme.Die Hydroxy-, Isocyanat- und Amino-gruppen sind hier für Adhäsion undKohäsion von entscheidender Bedeu-tung.

Über IR-Spektroskopie war bishereine geringere Isocyanat-Konzentrationbei überbrannten 2K-Lacken nachweis-bar. Die kritische Grenze scheint aberentweder farbtonspezifisch zu sein oderaber das Verfahren muss insgesamtnoch genauer werden.

Bei 2K-Lacken war ein Abnehmen derKonzentration der Isocyanate mit zuneh-mender Lagerungsdauer deutlich er-kennbar; bei 1K-Lacken nimmt die Iso-cyanat-Konzentration mit zunehmenderLagerungszeit zu. Dies ist über Entkap-

Bild 3: Isocyanatkonzentrationen im Vergleich mit Gitterschnittwertenunter verschiedenen Einbrennbedingungen bei unterschiedlichen Pigmentierungen

Bild 4: IR-Ergebnisse; Verhalten Isocyanate und Hygroxy-gruppen bei Lagerung (0 - 30 d)

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übergangstemperatur hierbei keine fixeGröße, sondern kann im speziellenAnwendungsfall sogar Rückschlüsse aufden Vernetzungsgrad geben [10].

In der Praxis haben sich die Ermitt-lung der Glasübergangstemperatur nachder Onset-Methode des Speichermoduls(E’) oder der tan(δ)-Methode in der ther-mischen Analyse von Kunststoffendurchgesetzt. Hierbei wird das zu unter-suchende Material in seiner festen Formeinem linear ansteigenden Temperatur-programm ausgesetzt und der Wechselthermischer Zustandsbereiche kann denstoffspezifischen Temperaturen zuge-ordnet werden [11].

Zur Ermittlung der Glasübergangs-temperatur wurden auf speziell vorbe-handelten Teflonfilmen Lackprobenerstellt und aus diesen Schulterstäbegemäß DIN 53504 ausgestanzt.

Mit erhöhter Einbrenntemperaturüber einen bestimmten Zeitraum (Ein-brennzeit) werden vermehrt Netz-werkknoten ausgebildet, woraus eineErhöhung der Netzwerkdichte resultiert

wäre, erreichen die Kurven sehr vielspäter als bei den anderen Systemensehr viel niedrigere Endwerte. Die Ver-netzung verläuft langsamer und diespraktisch unbeeinflusst von Temperaturund Farbton (Bild 5 rechts unten, grüneLinien). Dies könnte über die geringereKettenbeweglichkeit wegen des hohenFestkörpergehaltes und verzweigterStrukturen erklärbar sein.

Die größte und direkteste Farbtonab-hängigkeit der Kurven ist beim 1K-Was-serlack erkennbar. Dieser hat dengeringsten Volumenfestkörper beigleichzeitig größter Viskosität (Bild 5links oben, grüne Pfeile: Unterschiedweiß bei verschiedenen Einbrennbe-dingungen).

Eine der wichtigsten Kenngrößenpolymerer Werkstoffe stellt die Glas-übergangstemperatur (TG) dar. Bei ver-netzten Polymeren ist die Glasüber-gangstemperatur unter anderem vomVernetzungsgrad abhängig, welcherwiederum sehr stark von den Einbrenn-parametern abhängt. Somit ist die Glas-

Speichermodule unter maximalen Ein-brennbedingungen Endwerte anneh-men, welche noch unterhalb derer deridealen Einbrennbedingungen liegen(Bild 5 rechts oben, grüner Kreis). DieErklärung für dieses Phänomen ist diethermische Zersetzung des Netzwerksbei maximalen Einbrennbedingungen.Der Lack vernetzt bis zu einem gewissenGrad, seine Festigkeit nimmt zu. Nach-dem das Material die Zersetzungstem-peratur überschritten hat, werden Netz-werkknoten thermisch zersetzt, die Fes-tigkeit des Materials nimmt ab.

Dies könnte ein Hinweis darauf sein,dass dieses Lacksystem bei den als ideal angenommenen Temperaturenmöglicherweise bereits an der oberenGrenze des Material-Einbrennfenstersgefahren wird.

Überraschend ist der Verlauf der Spei-chermodule des Systems 2K-HS. DiesesSystem hatte sich im realen Prozess amtemperatursensibelsten bezüglich derZwischenhaftung dargestellt. Obwohldas Gegenteil zu vermuten gewesen

>>

Bild 5: Ergebnisse der DMA-Untersuchungen bei simuliertem Trocknungsprozess (1K LM = 1K-Lösemittel-Decklack; 1K W= 1K-Wasser-Decklack; 2K HS = 2K-High-Solid-Decklack; 2K MS = 2K-Medium-Solid-Decklack; FK = Volumenfestkörper; Visc = Viskosität) zunehmend durchgezogene Linien = min / ideal / max TemperaturenLinienfarben = Farbton (Türkis stellvertretend für Weiss)Achsen: Speichermodul und Zeit (MPa/min)