klamme kassen

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6/2012 lightweightdesign A ls in den späten 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Thema Leichtbau erstmals so richtig hochkochte, schien es, als geriete der ver- gleichsweise schwere Werkstoff Stahl bei vielen Anwendun- gen zum Auslaufmodell. Entsprechend harsch, manchmal auch emotional, geriet auf den einschlägigen Kongressen der Schlagabtausch zwischen den altehrwürdigen Eisen- hüttenleuten und den vermeintlichen Emporkömmlingen aus der Aluminiumindustrie. 30 Jahre später sind Vollaluminiumkarosserien im Automo- bilbau die Ausnahme geblieben. Das Entweder-oder früher Substitutionsdiskussionen ist einem Sowohl-als-auch gewi- chen. Und statt mit offen zur Schau gestellter Feindseligkeit begegnen sich die Vertreter der einzelnen Werkstofffraktio- nen heute als professionelle Wettbewerber. Dies ist nicht zuletzt ein Verdienst der Stahlindustrie. Mit einer gehörigen Portion Innovationsgeist und zahlreichen vorwettbewerblichen Gemeinschaftsprojekten zeigte sie, dass sie noch lange kein altes Eisen anbietet. Darüber wuchs die Vielfalt an hoch- und höchstfesten, an Dualpha- sen- und Gigapascalstählen, mit denen sich so gut wie jede Anwendung gewichtssparend umsetzen lässt. Die Schattenseite dieser Entwicklung besteht in einem ho- hen Aufwand beim Fügen der Spezialitäten. Wo früher mit einem Schweißverfahren ganze Fahrzeugkarosserien ent- standen, müssen heute eine Vielzahl verschiedener mecha- nischer, chemischer und thermischer Verbindungstechni- ken werkstoff- und anwendungsgerecht gegeneinander abgewogen werden. Dies verteuert die Produkte und kann in Zeiten klammer Kassen kontraproduktiv sein. So gesehen ist der ewige Spagat zwischen dem technisch Machbaren und dem wirtschaftlich Sinnvollen so aktuell wie selten zuvor. Ihr Klamme Kassen Liebe Leserin, lieber Leser, Stefan Schlott Korrespondent lightweight design EDITORIAL 3

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Page 1: Klamme Kassen

6/2012 lightweightdesign

Als in den späten 80er-Jahren des vergangenen

Jahrhunderts das Thema Leichtbau erstmals so

richtig hochkochte, schien es, als geriete der ver-

gleichsweise schwere Werkstoff Stahl bei vielen Anwendun-

gen zum Auslaufmodell. Entsprechend harsch, manchmal

auch emotional, geriet auf den einschlägigen Kongressen

der Schlagabtausch zwischen den altehrwürdigen Eisen-

hüttenleuten und den vermeintlichen Emporkömmlingen

aus der Aluminiumindustrie.

30 Jahre später sind Vollaluminiumkarosserien im Automo-

bilbau die Ausnahme geblieben. Das Entweder-oder früher

Substitutionsdiskussionen ist einem Sowohl-als-auch gewi-

chen. Und statt mit offen zur Schau gestellter Feindseligkeit

begegnen sich die Vertreter der einzelnen Werkstofffraktio-

nen heute als professionelle Wettbewerber.

Dies ist nicht zuletzt ein Verdienst der Stahlindustrie. Mit

einer gehörigen Portion Innovationsgeist und zahlreichen

vorwettbewerblichen Gemeinschaftsprojekten zeigte sie,

dass sie noch lange kein altes Eisen anbietet. Darüber

wuchs die Vielfalt an hoch- und höchstfesten, an Dualpha-

sen- und Gigapascalstählen, mit denen sich so gut wie jede

Anwendung gewichtssparend umsetzen lässt.

Die Schattenseite dieser Entwicklung besteht in einem ho-

hen Aufwand beim Fügen der Spezialitäten. Wo früher mit

einem Schweißverfahren ganze Fahrzeugkarosserien ent-

standen, müssen heute eine Vielzahl verschiedener mecha-

nischer, chemischer und thermischer Verbindungstechni-

ken werkstoff- und anwendungsgerecht gegeneinander

abgewogen werden. Dies verteuert die Produkte und kann

in Zeiten klammer Kassen kontraproduktiv sein. So gesehen

ist der ewige Spagat zwischen dem technisch Machbaren

und dem wirtschaftlich Sinnvollen so aktuell wie selten zuvor.

Ihr

Klamme Kassen

Liebe Leserin, lieber Leser,

Stefan SchlottKorrespondentlightweight design

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