joseph beuys und sein begriff der sozialen plastik · Ôich arbeite nicht mit symbolen, sondern mit...
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er macht 1940 abitur, will medizin studieren, bekommt aber gleich darauf den einberufungsbefehl. er meldet sich zur luftwaffe.
gerhard richter | bomber | 1963
sein ausbilder ist der unteroffizier heinz sielmann, der nach dem krieg ein berühmter tierfilmer werden sollte.
die beiden werden freunde und sielmann erkennt beuys’ profunde kenntnis der fauna und flora.
nach dem krieg wird beuys vorüber-gehend assistent von sielmann bei dessen ersten tierdokumentarfilmen.
‘lied der wildbahn’
‘expeditionen ins tierreich’
beuys nimmt einen halbverhungerten spitz - lumpi - bei sich auf und pflegt ihn in der kaserne gesund.
er wird im winter 1943 auf der krim in einer JU 87 abgeschossen
‘hätte es die tataren nicht gegeben, ich wäre heute nicht mehr am leben. es waren die nomaden von der krim, die in dem niemandsland zwischen der deutschen und der russischen front lebten. sie waren mir schon vertraut, denn ich war oft zu ihren lagerplätzen hinausgegangen und hatte bei ihnen gesessen. ihre nomadische lebensweise hat mich sehr angezogen, obwohl ihre bewegungsfreiheit damals natürlich stark eingeschränkt war.
dann entdeckten sie mich im schnee nach dem absturz meiner maschine, als die deutschen suchtrupps schon aufgegeben hatten. ich war noch bewusstlos und kam erst wieder zu mir nach ungefähr 12 tagen. die erinnerung an diese ereignisse sind bilder, die sich mir tief eingeprägt haben.
ich erinnere mich an den filz, aus dem ihre zelte gemacht waren, an den scharfen geruch von käse, fett und milch. sie rieben meinen körper mit fett ein, damit die wärme zurückkehrte und wickelten mich in filz ein, weil filz die wärme hält.’
beuys hat einen doppelten schädelbasisbruch erlitten.
er hat splitter im körper, von denen später nur ein teil entfernt werden kann. rippen, beine, arme sind gebrochen. die haare sind bis in die wurzeln hinein versengt, das nasenbein zertrümmert.
ohne die fürsorge der tartaren wäre beuys seinen verletzungen erlegen.
kiste mit teer beschmiert | 1957
beuys lässt sich von einem schreiner eine kiste bauen und beschmiert diese mit teer. seine vorstellung:
die kiste sei ein schwarzer, leerer, isolierter raum, in dem untersuchungen stattfinden und neue erfahrungen gemacht werden können. er habe den zwang gespürt, sich in diese kiste zu setzen, nicht mehr dazusein, einfach mit dem leben aufzuhören.
dazu passt auch, dass er sich - einer anderen vorstellung nach - in tibet einmauern lassen möchte.
‘ich arbeite nicht mit symbolen, sondern mit materialien’
soziale plastik _transformation von natur, energie, strahlung, bilder der formung von mensch und tier in die dimension der kunst.
materialenfett das birgtfilz der wärmtkupfer das leitethonig der nährtbatterie die sich auflädt
aggregate, empfänger, filter, sender, kondensatoren, dynamos, tonbandgeräte, videorecorder, telefone, röntgenbilder…
blut, dreck, mullbinden, heftpflaster, gaze, injektionsnadeln, knochen, haaren, fingernägeln, gelatine…
er improvisiert auf dem klavier, blendet dann ein stück von erik satie ein, hängt den hasen an eine schiefertafel, präpariert das klavier mit kleinen tonbergen, steckt in jeden einen ast, befestigt einen draht vom klavier bis zu dem hasen…
‘ich bin kein mensch, ich bin ein hase’
26.11.1965 _wie man dem toten hasen die bilder erklärt
galerie schmela in düsseldorf
‘beuys hat seinen kopf mit honig übergossen und darin echtes blattgold (wert 200.- DM) eingeklebt. er hält einen toten hasen im arm, schaut ihn unentwegt an. dann steht er auf und geht mit dem toten hasen im arm durch den raum, er hält ihn dicht an die an der wand hängenden bilder - es sieht so aus, als spräche er mit dem hasen.
manchmal unterbricht er diese führung und steigt mit dem toten tier über einen verdorrten tannenbaum hinweg, der mitten in der galerie liegt.
alles ist von unbeschreiblicher zärtlichkeit und von grosser konzentration.’
heiner stachelhaus
am 02. juni 1967 wird in berlin bei einer protestaktion gegen den besuch des schahs von persien der student benno ohnesorg von dem polizisten karl-heinz kurras erschossen.
20 tage später gründet beuys die ‘deutsche studentenpartei’ und zwar ausdrücklich als reaktion auf die berliner tragödie.
‘es muss klargemacht werden: je distanzierter und hermetischer die ereignisse auf der bühne vorgeführt werden, desto klarer und vernünftiger kann der zuschauer diese abstrakta auf seine eigene situation draussen konkretisieren…
in der erinnerung scheint das bild eingebrannt in das eigene leben, ein bild, das in einem nostalgie bewirkt und auch den willen, an solchen bildern selber zu arbeiten: denn erst als nachbild fängt es auch in einem selbst zu arbeiten an. und eine aufgeregte ruhe überkommt einen, wenn man daran denkt: es aktiviert einen, es ist so schmerzlich schön, das es utopisch und das heisst: politisch wird’.
peter handke _ZEIT 13. juni 1969
10. oktober 1972 _beuys besetzt mit abgewiesenen bewerbern für das kunststudium das sekretaritat der kunstakademie düsseldorf.
noch am gleichen tag schickt der minister für wissenschaft und forschung, johannes rau , die fristlose kündigung zu.
beuys hatte diese eskalation bewusst angesteuert: ‘man muss zu aktionen übergehen’.
in einem offenen brief protestieren künstler wie heinrich böll , peter handke, uwe johnson , martin walser und gerhard richter gegen die entlassung.
la revolutione siamo noi | 1973
‘der staat ist das untier, das bekämpft werden muss. ich habe mir zur aufgabe gemacht, dieses untier zu zerstören’.
dürer, ich führe persönlich baader + meinhof durch die documenta V | 1972
1972 wollte joseph beuys andreas baader und ulrike meinhof über die documenta führen. kunst, glaubte er, könne selbst terroristen resozialisieren.
am new yorker kennedy airport wird beuys in filz gewickelt, auf eine bahre gelegt und in einem krankenwagen zur galerie gefahren.
die abreise aus amerika erfolgt auf die gleiche weise wie die ankunft.
so verlässt er new york, ohne etwas anderes von der stadt gesehen zu haben, als den galerieraum mit dem kojoten.
‘alles gegenwärtige muss transformiert werden, sonst gibt es keine zukunft, und die modelle der transformation müssen diskutiert werden.’
• wechselnde zustände• ephemerer charakter• offene konzeption• vergänglichkeit• auflösung und verschwinden
biennale venezia | strassenbahnhaltestelle | 1976aufbohrung des pavillon-bodens bis zum lagunenwasser
vor dem aufbruch aus lager I | 1970/80
‘man tut gut daran, das zu beschreiben, was man sieht, dann kommt man in den bereich dessen, was ich meine’
‘der begriff kunst muss auf die menschliche arbeit schlechthin angewendet werden. das kreativitätspinzip ist identisch mit dem auferstehungsprinzip – die alte form ist erstarrt und muss in eine lebendige, durchpulste gestalt, die leben, seele und geist fördert, umgewandelt werden.’
das ist der erweiterte kunstbegriff, den beuys als sein bestes kunstwerk bezeichnet hat. für ihn ist das keine theorie, sondern eine grundformel des seins.
‘jeder mensch ist ein künstler’
beuys auf dem gründungsparteitag der grünen | karlsruhe |1980
‘was soll man mit jemandem anfangen, der die partei als skulptur versteht?’
plight (treuegelöbnis, verlobung, risiko, gefahr, wagnis, traurige lage, versprechen, zwangslage) | 1985
7000 eichen | documenta | 1982
‘ja, wir leben in einer todeszone, und in dieser todeszone wird überhaupt erst bewusst, wie leben aussieht’
‘der tod hält mich wach’
23. januar 1986
joseph beuys stirbt in düsseldorf nach einer seltenen entzündung des lungengewebes an herzversagen.
am 14. april 1986 fährt das kleine motorboot sueño (der schlaf) auf die helgoländer bucht hinaus.
drei bronzegfäße mit der asche vonbeuys werden der nordsee übergeben.