humboldt˜kosmos · humboldt kosmos 102 /2014 7 was hilft gegen cybermobbing, herr chaux? als die...
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Humboldt�kosmosNr. 102 / 2014 Forschung – Diplomatie – Internationalität
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wenn die natur verrÜckt sPieltMit Katastrophen rechnen
euroPa scHweiGt sicH anDabei hätte Deutschland viel zu sagen
Märchenhaft e Chance oder Modetrend
diGitalHumanities
26 000 Forscher aller Disziplinen weltweit12 000 Kooperationspartner in Deutschland1001 neue Ideen1 Ort, um sich auszutauschen Humboldt Life – das neue Online-Netzwerkder Alexander von Humboldt-Stiftung
www.humboldt-life.de
3Humboldt kosmos 102 /2014
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Es begann als Flucht vor einer Schreibblockade mit ein paar auf Twitter hingestreuten Spielereien zur deutschen Sprache. Sie sollten mich ablenken von diesem akademischen Wälzer, mit dem ich einfach nicht weiterkam. Heute, rund 33 000 Tweets später, ist das Buch, an dem ich arbeitete, immer noch nicht fertig. Aber die Schreibblockade ist weg, mein Twittersymbol (der etwas grimmig dreinschauende Herr mit dem Monokel) ist eine Internetberühmtheit und ich selbst bin zu meiner Verblüffung ein häufiger Gast in den deutschen Feuilletons.
Liebhaber der Frankfurter Schule haben ihn sicher längst erkannt, den deutschen Philosophen Theodor W. Adorno. Er ist der fiktive He raus geber von „NeinQuarterly: A Compendium of Utopian Nega-tion”. Unter diesem Twitterprofil schreibe ich jeden Tag Aphorismen, Witze und Kommentare zum Weltgeschehen. Meist auf Englisch, oft auf Deutsch oder in einem Mix aus beiden Sprachen, etwa: „When in doubt, Umlaut.“, „German Angst. Accept no substitutes.“, „German. 50 Shades of the.“, „Hegel, Žižek and Stalin walk into a bar. Hegel orders nothing. Žižek orders the same, but a double. Stalin orders them shot.“
Über 80 000 Follower (Adorno würde sagen: Leser) teilen meine Vorliebe für den unernsten Umgang mit der deutschen Sprache und der Philosophie. Selbst wenn sie gar kein Deutsch sprechen und viel-leicht noch niemals hierzulande waren – denn meine Follower sitzen überall auf der Welt. Wer hätte gedacht, dass das deutsche Lieblingswort
„Nein“ und ein Adorno-Konterfei mit Monokel so populär werden könnten! Erstaunt hierüber war nicht nur ich. Plötzlich sprangen die Medien auf meine Story an. Vom Spiegel über die Frankfurter Allge-meine Zeitung bis zur Neuen Zürcher Zeitung – alle berichteten über das Phänomen NeinQuarterly.
Es war gleichzeitig der Beginn meiner Karriere als Printautor. Mein Büro an der Uni habe ich kürzlich für immer geräumt. Nun schreibe ich eine wöchentliche Kolumne für DIE ZEIT und hin und wieder Beiträge für andere Blätter. Ein Blog und andere Projekte sind geplant. Was sich so einfach liest, ist in Wirklichkeit hartes Brot. Dennoch bin ich froh über meine Entscheidung und meine Online-Verwandlung vom Schreibgehemmten in einen Autor. Solche Ge schich ten schreibt bekanntlich das Leben. Mal sehen, wie sie endet.
Aufgezeichnet von GeorG scHoll
dr. eric Jarosinski twittert unter
dem Namen NeinQuarterly. Bis vor Kur-
zem war er Assistenz professor für
Lite raturwissenschaft an der University
of Pennsylvania, Philadelphia, USA. Ein
Bundeskanzler-Stipendium der Humboldt-
Stiftung brachte ihn 2002 nach Berlin.
twitter.com/neinQuarterly
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titelfoto ULLStEIN BILd – LEBREcHt MUSIc & ARtS
03 HUMBOLdtIANER PERSöNLIcH Professor Tweet
06 NAcHGEFRAGt Was Forscher antreibt und woran sie arbeiten
editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
Archäologen nehmen in Syrien digitale Kopien von be drohten Kunstwerken, um sie später rekonstruieren zu können. Linguisten decken mit dem Computer die Iden-tität anonymer Autoren auf. Literaturwissenschaftler zeichnen mit elektronischen Stammbäumen die Herkunft von Mythen und Märchen nach und entdecken weltweit gemeinsame Wurzeln. Rotkäppchen, ein globaler Stoff? Der böse Wolf in Ostasien ein hinterlistiger Tiger? Die zunehmende Digitalisierung von Texten und Objekten ermöglicht Antworten auf solche Fragen und eröffnet Geistes wissenschaftlern neue Dimensionen. Der Siegeszug der Digital Humantities scheint unaufhaltbar zu sein. Die Fördergelder sprudeln. Die digitalen Kompetenzzentren sprießen überall in Deutschland aus dem Boden und machen das Land zu einer Hochburg für die noch junge Disziplin, die auch Forscher aus dem Ausland anzieht.
Wer als Germanist oder Historiker nicht aufs Digi-tale setzt, ist der nun hoffnungslos von gestern? Oder wird das Aufhäufen digitaler Datenberge zum Selbst-zweck, während Reflexion und Analyse zu kurz kommen, wie Kritiker monieren? Im Schwerpunkt dieses Hefts kommen die Skeptiker ebenso zu Wort wie die immer zahlreicher werdenden Enthusiasten. Sie sind überzeugt: Die Digital Humanities sind nicht einfach die jüngste Fördermode, sondern dabei, ein ganzes Feld unterschied-licher Diszipli nen zu revolutionieren.
Lesen Sie außerdem, wie Humboldtianer mit ihrer Forschung Cybermobbing und Hunger bekämpfen, warum Erdbebenprognosen oft nicht richtig sind und weshalb die Europäer die Deutschen eigentlich lieben müssten – wenn sie sie nur verstehen könnten.
Viel Vergnügen beim Lesen!
Ihr GeorG scHollChefredakteur
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bildnacHweise Seite 12: Illustration von Gustave doré aus dem Märchen buch „Les contes de Perrault“, Paris 1862; Seite 14 (oben links, unten links): die hier gezeigten Bilder sind unter creative commons cc-BY-Nc lizenziert. Ihre Abbildung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des cIRcSE Research centre, Università cattolica del Sacro cuore, Mailand, Italien. Für weitere Informationen oder eine Nutzungserlaubnis wenden Sie sich bitte an Marco Passarotti ([email protected]).
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imPressum HUMBOLdt KOSMOS 102
24 dEUtScHLANd IM BLIcK Wir müssen reden
26 FORScHUNG HAUtNAH Riskantes Spiel
32 NAcHRIcHtEN
34 GESIcHtER AUS dER StIFtUNG Wer hinter den Kulissen dafür sorgt, dass alles läuft
12 ScHwERPUNKt Rotkäppchen 2.0
Ob Märchenforschung, Linguistik oder Archäologie: Immer mehr Geisteswissenschaftler nutzen die Methoden der Digital Humanities. Das führt zu neuen Erkenntnissen, aber auch zu Widerstand.
HerausGeber Alexander von Humboldt-Stiftung
cHefredaktion Georg Scholl (verantwortlich),
Lilo Berg / www.lilobergmedia.de
redaktion Ulla Hecken, teresa Havlicek,
Lena Schnabel
ÜbersetzunGen ins enGliscHe
dr. Lynda Lich-Knight
Produktion & Grafik Raufeld Medien GmbH
Birgit Metzner (Projektleitung), daniel Krüger
(Art-direktion), Lotte Rosa Buchholz (Gestaltung),
Susan Schiedlofsky (Bildredaktion)
erscHeinunGsweise 2 × jährlich
auflaGe dieser ausGabe 38 000
druck wM druck + Verlag, Rheinbach
redaktionsanscHriftAlexander von Humboldt-Stiftung
Redaktion Humboldt kosmos
Jean-Paul-Straße 12, 53173 Bonn, deutschland
[email protected], www.humboldt-foundation.de
ISSN 0344-0354
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7Humboldt kosmos 102 /2014
was Hilft GeGen cybermobbinG, Herr cHaux?
Als die Grausamkeiten nicht aufhörten, wechselte das Mädchen in Bayern die Schule. Ihre ehemaligen Mitschüler hatten sie auf Face-book mit Sprüchen wie „Du nervst, geh sterben“ gemobbt. Wehren konnte sich die 14-Jährige nicht, die Schmähungen waren anonym.
„In Kolumbien haben wir das gleiche Problem“, sagt Enrique Chaux. Der Psychologe schätzt, dass jeder zehnte Schüler in seinem Land schon einmal Opfer von Cybermobbing geworden ist. Es ist eine besonders demütigende Form von Gewalt, denn alle bekommen sie mit – Gleich-altrige, Lehrer, Eltern, rund um die Uhr und über Jahre hinweg. „Bei körperlichen Auseinandersetzungen ist das anders, die gehen vorbei“, sagt Chaux.
Mit Aggression kennt der 46-Jährige sich aus. Sein Land befindet sich seit 50 Jahren in einer Art Bürgerkrieg, der von den Drogenkar-tellen angeheizt wird. In manchen Gegenden gibt es oft Schießereien.
Eigentlich wollte Enrique Chaux Astrophysiker werden. Dann aber entschied er sich für Psychologie und Pädagogik: „Wenigstens die nächste Generation soll aus der Gewaltspirale herausfinden.“
Inzwischen haben bereits Tausende Schüler an dem Programm „Aulas en Paz“ (Friedvolle Klassenräume) teilgenommen, das Chaux mit Kollegen von der Universidad de los Andes in Bogotá entwickelt hat. Dabei trainie ren die Jugendlichen einen konstruktiven Umgang mit Aggressionen. Körper liche Gewalt, so zeigen Untersuchungen, kann das Programm deutlich reduzieren. Gegen Cybermobbing aber hilft es wenig.
Deshalb ist Chaux derzeit an der Freien Universität Berlin. Dort, im Arbeitsbereich Entwicklungswissenschaft und Angewandte Entwick-lungspsychologie, wurde das Programm „Medienhelden“ entwickelt, ein nachweislich besonders wirksames Training für Jugendliche. Sie lernen zum Beispiel, sich in die Opfer von Internet-Attacken einzufüh-len, und erfahren, wie sehr es bei Konflikten auf die scheinbar unbe-teiligten Beobachter ankommt: Deren Wegschauen verstärkt nämlich die Gewalt.
Schon 2015 will Enrique Chaux eine spanische Version der „Medien-helden“ in Kolumbien einführen, später auch in Mexiko. Die Zeit drängt, denn Cybermobbing fordert täglich neue Opfer.
Professor dr. enriQue cHaux forscht und lehrt an der Univer-
si dad de los Andes in Bogotá, Kolumbien. Seit November 2013 ist
er als Georg Forster-Forschungsstipendiat an der Freien Universität
Berlin zu Gast.
Text lilo berG
8 Humboldt kosmos 102 /2014
warum wollen sie scHiedsricHterin werden, frau kisliakova?
Ein Tennisspieler erkrankt während eines Turniers an Grippe. Ver-sehentlich erhält er ein Medikament, das auf der Dopingliste steht. Nach einem positiven Test wird er für zwei Jahre gesperrt. Der Sport-ler beteuert seine Unschuld, aber keiner will ihm glauben. Was soll er tun?
„Er kann sich an ein Sportschiedsgericht wenden“, sagt Natalia Kisliakova. Die russische Rechtsanwältin spielt in ihrer Freizeit gern Tennis und fährt Ski. Sie ist fasziniert von den Möglichkeiten dieser unabhängigen, privaten Gerichte, die sich weltweit immer mehr durch-setzen. Denn anders als staatliche Institutionen urteilen Sportschieds-gerichte schnell, und die Richter sind nicht nur Juristen, sondern auch mit den Regeln des Sports bestens vertraut. Ihre Schiedssprüche sind bindend, wenn Aktive, Verbände und Sponsoren vereinbart haben, sich ihnen im Streitfall zu beugen.
Noch werden in Russland die meisten Konflikte innerhalb der Verbände ausgetragen. „Leider sind die Entscheidungen oft parteiisch“, sagt Kisliakova. Beim Deutschen Sportschiedsgericht in Köln sondiert sie hiesige Erfahrungen mit der Schiedsgerichtsbarkeit und formuliert Empfehlungen für Änderungen im russischen Recht. Dabei geht es der 24-Jährigen auch um die eigene berufliche Zukunft. Nach der Rück-kehr in die Heimat will sie bei Schiedsgerichten arbeiten: zu nächst als Anwältin und später vielleicht sogar als Richterin.
die Juristin natalia kisliakova ist doktorandin im Moskauer
Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen, Russland. Als
Bundeskanzler-Stipendiatin ist sie derzeit an der deutschen Institution
für Schiedsgerichtsbarkeit in Köln tätig.
Text lilo berG
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9Humboldt kosmos 102 /2014
wie bekämPfen sie den versteckten HunGer, Herr Çakmak?
Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung leidet unter Zinkmangel. Betroffen von dieser und anderer Mangelernährung, auch versteck-ter Hunger genannt, sind vor allem Entwicklungsländer. Die Folgen sind besonders für Kinder gravierend, denn Zink ist essenziell für das Immunsystem und das Gehirn. Bis zu 450 000 Kinder sterben jährlich weltweit an einer Unterversorgung mit Zink.
Das Spurenelement in Pillenform einzunehmen, wäre möglich. Doch die wenigsten Betroffenen in den ärmsten Regionen könnten sich die Tabletten leisten. Der türkische Pflanzenphysiologe Ismail Çakmak erforscht daher, wie bessere Düngemethoden und neue Züchtungen von Getreidepflanzen helfen können. Erst die Kombination verspricht den besten Erfolg. „Mehr düngen allein würde nicht reichen. Wir brau-chen Getreidesorten, die mehr Zink aus dem Boden aufnehmen und im Korn speichern können“, sagt Çakmak.
Mit seinen Kollegen am Department für Nutzpflanzenwissenschaften der Universität Göttingen untersucht Çakmak außerdem, ob eine aus-reichende Versorgung mit Mineralnährstoffen die Pflanzen wider-standsfähiger macht, zum Beispiel in Dürrezeiten. Die ersten Ergebnisse sind äußerst vielversprechend. Ismail Çakmak erforscht nicht nur Grundlagen, sondern wendet seine Ergebnisse auch selbst an. So koor-diniert er unter dem Dach der internationalen Initiative HarvestPlus ein Projekt in zwölf Entwicklungsländern, das die Zinkdüngung unter-stützt und mit Erfolg den versteckten Hunger bekämpft.
Professor dr. ismail Çakmak forscht an der Sabancı Üniversitesi
in Istanbul, türkei. Als Georg Forster-Forschungspreisträger kooperiert
er mit der Universität Göttingen.
Text GeorG scHoll
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10 Humboldt kosmos 102 /2014
warum wird unser GeHirn im alter lanGsamer, Herr baayen?
Ist das nicht der nette Kollege von früher? Da kommt er auch schon, freudestrahlend, die Arme ausgebreitet – verflixt, wie heißt er noch? Spätestens mit fünfzig fängt man an, sich bei solchen Aussetzern Sorgen zu machen. Beginnt er nun, der geistige Abbau?
„Nein“, versichert der niederländische Sprachwissenschaftler Harald Baayen. Die Studien seines Teams an der Universität Tübingen zeigen zwar, dass das erwachsene Gehirn nicht mehr das schnellste ist, aber nur, weil es immer mehr Informationen verarbeiten muss.
Es war Baayens Mitarbeiter Michael Ramscar, von dem der ent-scheidende Impuls ausging. Ramscar hatte seinen Kollegen von einem Artikel berichtet, in dem behauptet wurde, der geistige Niedergang setze mit 45 Jahren ein. Wie kann das sein, fragten sich die Tübinger, wo doch gerade die Besten in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft oft wesentlich älter sind. Sie überprüften die Niedergangs-Hypothese,
indem sie die Lernerfahrung von Jugendlichen und Erwachsenen mithilfe von Computermodellen simulierten. Fazit: Das alternde Gehirn wird nicht leistungsschwächer, sondern nur langsamer – es weiß einfach mehr und muss deshalb länger suchen.
Die Tübinger Studie könnte weitreichende Konsequenzen haben, etwa für die Messung der kognitiven Leistungsfähigkeit. Heutige Tests, sagt Harald Baayen, lieferten oft falsche Ergebnisse, weil sie das indi-viduelle Wissen nicht genug berücksichtigten. „Unser Bild vom Alter ist zu negativ“, sagt der Niederländer – und das will er ändern.
Professor dr. Harald baayen ist Alexander von Humboldt-
Professor. An der Universität tübingen leitet er die Forschungsgruppe
für Quantitative Linguistik.
Text lilo berG
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11Humboldt kosmos 102 /2014
Hat bioenerGie im iran eine cHance, frau bakHsHi?
Der Iran ist reich an Energie. Im Boden lagern üppige Vorkommen an Erdgas und Erdöl, es gibt zahlreiche Wasserkraftwerke und Pläne für neue Atommeiler. Wonach man lange suchen muss, sind Wind-räder, Sonnenkollektoren und Bioenergie-Anlagen.
„Das wird sich hoffentlich bald ändern“, sagt Maryam Bakhshi. Die 32-jährige Umweltingenieurin kommt aus der Metropole Teheran. Dort ist die Luft – wie in allen Großstädten des 78-Millionen-Einwohner-Staates – durch Abgase verpestet, die Umweltverschmutzung bedroh-lich groß. Öl und Gas sind billig, die Technik ist ver altet und der jetzt schon hohe Energieverbrauch steigt von Jahr zu Jahr.
In dieser Situation setzt Maryam Bakhshi auf Bioenergie. Dabei wird Biomasse aus Land- und Forstwirtschaft genutzt, um Wärme, Strom und Gas zu produzieren. Auch Abfälle wie Restholz, Stroh oder Gülle lassen sich verwerten, sagt die junge Ingenieurin, und sogar
gewöhnlicher Haushaltsmüll kann noch einmal sinnvoll genutzt werden. Anders als bei Windkraftwerken muss nicht erst in teure Technik investiert werden, bevor Energie fließt. Bakhshi: „Fürs Erste reichen vorhandene Anlagen oft aus.“
Am Berlin Centre for Caspian Region Studies der Freien Universität Berlin entwickelt die Iranerin Strategien zur Nutzung der Bio ener gie im Iran. Anregungen holt sie sich bei Besuchen in deutschen Bioenergie-Anlagen – und hofft, ihr Wissen bald in der Heimat einset zen zu können.
die iranische Umweltingenieurin maryam bakHsHi ist Beraterin bei
der Firma MONA Power Engineering consultants in teheran. Als
Internationale Klimaschutzstipendiatin ist sie bis Ende August an der
Freien Universität Berlin tätig.
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13Humboldt kosmos 102 /2014
Text lilo berG
Auf Deutschland beschränkt waren die Märchen jedoch keineswegs, das fiel schon den Grimms auf. Es gab erstaunliche Parallelen zu volks-tümlichen Erzählungen in den slawischen Ländern, in Persien, Arabien und Indien. Angeregt durch die beiden Philologen begann im 19. Jahr-hundert eine weltweite Sammelaktion. Angehäuft wurde ein Schatz von mehr als 2 000 Märchen, darunter auch zahlreiche Geschichten, die an „Rotkäppchen“ erinnern. Aus den vielen Varianten destillierten For-scher später zwei Hauptgruppen heraus: einen vorwiegend europä ischen Typ und einen weiteren Typ, in dem es nicht wie im europäischen ›
„ES wAR EINMAL ein kleines, süßes Mädchen, das hatte jeder-mann lieb, der es nur ansah, am allerliebsten aber seine Großmutter.“ So beginnt „Rotkäppchen“, eines der populärsten deutschen Märchen. Vor 200 Jahren erschien es für den deutschsprachigen Raum erstmals in gedruckter Form. Jacob und Wilhelm Grimm hatten die Geschichte gehört und aufgezeichnet, ebenso wie viele andere bis dahin nur mündlich überlieferte Erzählungen. Im Jahr 1812 veröffentlichten die Brüder ihre berühmten „Kinder- und Hausmärchen“, die in immer neuen Auflagen bis heute fortleben.
rotkäPPcHen 2.0Ob Märchenforschung, Linguistik oder Archäologie: Immer mehr Geisteswissenschaftler nutzen die Methoden der Digital Humanities. Das führt zu neuen Erkenntnissen, aber auch zu Widerstand.
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14 Humboldt kosmos 102 /2014
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Diese Disziplin etabliert sich allmählich auch in Deutschland, und Gerhard Lauer ist einer ihrer Protagonisten. Früher hat auch er nach klassisch geisteswissenschaft licher Art mit Schreibstift und Kartei-kästen gearbeitet, inzwischen nutzt er fast ausschließlich die computer-gestützten Verfahren der Digital Humanities. „Damit bereitet die quan-titative Analyse großer Datenmengen kaum noch Pro bleme“, sagt der Göttinger Literaturwissenschaft ler.
Begonnen hat die Bewegung in den späten 1940er-Jahren. Damals machte Pater Roberto Busa sich mithilfe von Computern an ein gewal-tiges Editionsprojekt, eine 56-bändige Ausgabe der Werke von Th omas von Aquin. Tatsächlich erreichte der italienische Geistliche sein Ziel
um ein Mädchen, sondern um mehrere Kinder geht. Aber stimmt diese Auft eilung überhaupt, fragten alsbald skeptische Kollegen. Entwickel-ten sich die Varianten unabhängig voneinander? Oder stammen sie alle von einem Urmärchen ab?
„Es ist die alte Frage nach dem Stammbaum“, sagt der Göttinger Germanist Gerhard Lauer, der selbst viel zu Märchen geforscht hat. Schon die Brüder Grimm hatten diese Frage aufgeworfen, aber man-gels Überblick und geeigneter Methoden nicht befriedigend beantwor-ten können. Eine methodisch besonders originelle Antwort wurde erst kürzlich gefunden, von ihr soll später noch die Rede sein. Zu verdan-ken ist sie einer neuen Forschungsrichtung namens Digital Humanities.
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MItGLIEdER. ER ISt dER GRöSStE VERBANd dIESER ARt IN EUROPA.
Roberto Busa 1956 an der Yale University
Pater roberto busaItalienischer Th eologe (1913–2011)
Als Gründervater der digitalen Geisteswissenschaften
gilt der italienische Jesuit Roberto Busa. Er erkannte
als einer der Ersten, dass computer mehr können,
als nur Zahlen zu verarbeiten. Ende der 1940er-Jahre
machte der theologe sich an die monu mentale Auf-
gabe, ein Verzeichnis aller elf Millionen wörter im werk
des Kirchenlehrers thomas von Aquin zusammen-
zustellen. Busa bat thomas J. watson, den Gründer
von IBM, um Hilfe. die wurde ihm zugesagt und so
gelang es, den 56-bändigen „Index thomisticus“ im
Jahr 1980 herauszubringen. Mit dem Roberto Busa
Prize erinnert die Alliance of digital Humanities
Organizations (AdHO) an den Pionier der Zunft.
www.corPustHomisticum.orG
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schneller, als es auf klassischem Wege möglich gewesen wäre. In Deutschland kamen die ersten Impulse wenige Jahre später von einer Forschergruppe um Wilhelm Ott an der Universität Tübingen. Einen starken Schub brachten in den 1990er-Jahren das World Wide Web, E-Mail und hochleistungsfähige Computer, später dann der immer einfachere und kostengünstigere Internetzugang.
In den Geisteswissenschaft en erkannten die Linguisten und Archäo-logen als Erste die Vorzüge der neuen Werkzeuge. In ihren Diszipli-nen sind das digitale Konservieren von Texten und Objekten und das Analysieren der Daten am Computer fest etabliert. Aber auch Arabis-ten, Juristen und Kunsthistoriker, Soziologen, Th eologen und Wirt-schaft sinformatiker – Vertreter praktisch aller Geistes- und Sozialwis-senschaft en – kommen auf den Geschmack. Sie experimentieren mit den Methoden der e-Humanities, wie die Bewegung auch genannt wird, und manche bezeichnen sich sogar als Digital Humanists.
Von der Öff entlichkeit weitgehend unbemerkt, ist in Deutschland eine große digitale Werkstatt entstanden. In ihr wird gescannt, gemes-sen, gespeichert, geplant und gerechnet, was das Zeug hält. In Ham-burg durchstöbert der Literaturwissenschaft ler Jan Christoph Meister mit selbst entwickelten Algorithmen eine große Sammlung ausgewähl-ter Erzählungen des 19. Jahrhunderts: Er will wissen, seit wann das seelische Erleben eine Rolle in der Literatur spielt. In Trier inspiziert die Mediävistin Claudine Moulin ihre digitale Schatzkammer: Sie ent-hält 500 der schönsten Handschrift en des Mittelalters und steht allen Interessierten off en, rund um die Uhr. In Berlin ist der Archäologe Reinhard Förtsch dabei, von Zerstörung bedrohte syrische Kulturgü-ter digital zu konservieren, damit sie künft ig leichter restauriert wer-den können. In Leipzig überlegt der Altphilologe Gregory Crane, wie er noch mehr Menschen für antike Texte und sein virtuelles Überset-zungslabor begeistern kann. Und in Würzburg erfasst der Germanist Fotis Jannidis mit Computerhilfe die Häufi gkeit von „der“, „die“, „das“ und weiteren Allerweltswörtern in Romanen. So erstaunlich es
Professor dr. GerHard lauerUniversität Göttingen
Märchen sind nur eines unter vielen Forschungs the-
men von Gerhard Lauer. doch ob der Literatur wissen-
schaftler zu Franz Kafka forscht oder unter sucht,
was spannende Literatur im Gehirn bewirkt – immer
nutzt er auch Methoden der digitalen Geistes-
wissen schaften. die nötige Infrastruktur hat er als
Gründungs direktor des Göttingen centre for digital
Humanities zusammen mit anderen Institutio nen in
der Region geschaff en. die digital Humani ties
Summer School, die im August stattfi ndet, zieht
junge Forscher aus aller welt nach Göttingen. was
lockt den Nachwuchs? „Es ist der Aufbruch, die längst
fällige Modernisierung der Geisteswissenschaften,“
sagt der Germanistikprofessor, der von 2006 bis 2009
am transcoop-Programm der Humboldt-Stiftung
teilnahm.
GerHardlauer.de www.GcdH.de/en
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Professorin dr. claudine moulinUniversität Trier
Auf viele Orte verstreut waren die rund 500 mittel-
alterlichen Handschriften der Benediktiner abtei St.
Matthias in trier. Im virtuellen Skriptorium des trier
center for digital Humanities sind sie nun zu sam men-
geführt und stehen Forschern zu jeder Zeit und an
jedem Ort zur Verfügung. das 1998 gegründete ältes te
deutsche Kompetenzzentrum für die digitalen Geistes-
wissenschaften liegt tief im westen der Repu blik. Hier
entstand etwa der „der digitale Grimm“, eine mit
weiteren wörterbüchern vernetzte digitale Ausgabe
des berühmten „deutschen wörter buchs“. Seit 2003
wird das trier center von der Ger manistik professorin
und Humboldt-Gastgeberin claudine Moulin geleitet.
„die Digital Humanities sind die Zukunft der Geistes-
wissen schaften“, davon ist die Luxemburgerin über-
zeugt. komPetenzzentrum.uni-trier.de
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16 Humboldt kosmos 102 /2014
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klingt: Diese Information genügt, um Romane voneinander unter-scheiden und unbekannte Werke ihren Autoren zuordnen zu können.
„Deutschland spielt eine wichtige Rolle in der globalen Digital-Humanities-Szene“, sagt John Nerbonne. Der Computerlinguist und Humboldt-Forschungspreisträger war bis vor Kurzem Präsident der European Association for Digital Humanities und ist ein Pionier der Bewegung. Als Wissenschaft ler an der Universität Groningen, Nieder-lande, interessiert ihn, wie sprachliche Gewohnheiten sich ausbreiten und was derzeit mit den europäischen Dialekten passiert. Dass sie ver-fl achen, ahnt man, und doch ist die Geschwindigkeit dieser Entwick-lung erschreckend: Innerhalb nur gut einer Generation, so konnte das Team um Nerbonne nachweisen, kam es etwa in Schweden zu einem massiven Verlust an mund artlicher Vielfalt. Der Linguist preist die neuen Möglichkeiten der globalen, interdisziplinären Zusammenarbeit und nutzt ganz selbstverständlich Methoden aus Mathematik und Informationstechnik. So gelingt es ihm, auch mit einem vergleichs-weise kleinen Team riesige Datenmengen zügig auszuwerten. Über-haupt, sagt John Nerbonne, sei das Arbeiten auf großer Skala ein Hauptvorteil der Digital Humanities.
Es geht um Data-Mining und Big Data, um das Schürfen nach Wort-gold in Datenbergen. Meister in dieser Disziplin sind Erez Aiden und Jean-Baptiste Michel. Die beiden jungen Wissenschaft ler haben an der Harvard University eine Einrichtung gegründet, die sie amerikanisch unbescheiden „Cultural Observatory“ nennen, eine Sternwarte der Kul-tur also. Aiden ist Physiker, Michel ist Ingenieur und beide sind da rüber hinaus auch in den Lebenswissenschaft en zu Hause. Analog zur Geno-mik, der Untersuchung aller Gene eines Lebewesens, nennen sie ihre Forschungsmethode für die Kulturwissenschaft en Culturomics. „So wie die Genomik durch ein Vergrößerungsglas auf die Biologie blickt, wen-det Culturomics die Datenanalyse auf das Studium der Kultur an“, sagte Erez Aiden auf einer im Internet zugänglichen TED-Konferenz.
Ihre Berühmtheit verdanken Aiden und Michel einer privilegier-ten Partnerschaft mit Google. Sie hatten schon früh Zugriff auf einen Wissensschatz, den der Internetkonzern mit seinem Projekt Google Books angehäuft hat. Damit verfolgt der amerikanische Konzern den ehrgeizigen Plan, so gut wie alle jemals gedruckten Bücher zu digitali-sieren. Insgesamt sind das nach Schätzungen von Experten wie Gerhard Lauer 140 Millionen Bücher; geschafft hat Google inzwischen um die 25 Millionen Werke. Nur einen Teil davon nutzten die beiden Forscher Aiden und Michel für ihre aufsehen erregende Publikation im Wissen-schaft smagazin „Science“ im Jahr 2011: gut fünf Millionen Bücher mit 500 Milliarden Wörtern aus den letzten fünf Jahrhunderten.
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LEHRStÜHLE FÜR dIGItAL HUMANItIES
GIBt ES IN dEUtScHLANd.
llc, Literary and Linguistic computing – the Journal
of digital Scholarship in the Humanities, ist die
wichtigste internationale Printzeitschrift des neuen
wissenschaftszweigs. Sie wird von der Alliance of
digital Humanities Organizations (AdHO) heraus-
gegeben und er scheint bei Oxford University Press.
llc.oxfordJournals.orG
dHQ, digital Humanities Quarterly, und digital
studies / le champ numé rique sind Open Access-
Journale. Sie werden von der AdHO herausgegeben.
www.diGitalHumanities.orG/dHQ
ZEItScHRIFtEN
Professor dr. GerHard wolfUniversität Bayreuth
die zunehmende digitalisierung der Geisteswissen-
schaften hat schädliche Folgen für Studenten,
befürchtet der Bayreuther Germanistikprofessor
Gerhard wolf. Viele junge Leute könnten zwar her-
vorragend mit neuen Medien umgehen, sie seien
jedoch kaum noch in der Lage, sich auf einen text
zu konzentrieren. „Viele Studenten fragen: warum
soll ich mir das einprägen, im Internet steht ja immer
alles zur Verfügung“, berichtet wolf. Er hatte im
Jahr 2012 mit einer Erhebung zur Studierfähigkeit
von Studenten geisteswissenschaftlicher Fächer
bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. tatsächlich
war das Ergebnis der Befragung von Professoren an
134 Philologischen Fakultäten alarmierend: Studien-
anfänger weisen demnach massive Lücken in Recht-
schreibung, Interpunktion und Grammatik auf, ihr
wortschatz ist mager und das Leseverständnis
mangelhaft. der negative trend halte ungebrochen
an, berichtet Gerhard wolf zwei Jahre später, und
die Digital Humanities verstärkten ihn sogar.
www.aedPH.uni-bayreutH.de
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Um in dieser gigantischen Bibliothek zu forschen, entwickelten sie ein Programm namens Google Ngram Viewer. N-grams sind vom Nutzer festgelegte Begriff e oder Wortfolgen, deren Gebrauchsfrequenz das Programm in den nach Sprachen sortierten Textbeständen ermittelt und schnell und anschaulich als Diagramm darstellt. Das Programm steht kostenfrei für alle im Internet zur Verfügung, die Handhabung ist kinderleicht und die Ergebnisse sind oft verblüff end. Wer wurde in den vergangenen 50 Jahren in der deutschsprachigen Literatur häufi -ger zitiert: Albert Einstein, Sigmund Freud oder Karl Marx? Welche Künstler wurden von den Nazis am schärfsten zensiert? Sprechen wir heute weniger über Gott als früher? Welche Formulierung wird häu-fi ger benutzt: making love oder having sex? Wie alt sind Schauspieler oder Politiker, wenn sie berühmt werden?
Amateurforscher können mit dem Google Ngram Viewer erstaun-liche Entdeckungen machen, aber auch Profi s nutzen das Instrument. Fotis Jannidis zum Beispiel, Inhaber des Lehrstuhls für Computerphi-lologie und Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Universität Würzburg, verwendet es regelmäßig für erste Recherchen. „Google Ngram Viewer ist ein bewundernswertes Werkzeug – bei allen metho-dischen Schwächen, die es noch hat“, sagt Jannidis. Pfi ffi ge Instru-mente zur wissenschaft lichen Textanalyse gebe es inzwischen aber auch
in Deutschland, etwa die virtuelle Forschungsumgebung für Geistes- und Sozialwissenschaft ler aus Trier oder das TextGrid aus Göttingen. Jannidis: „In Zukunft können wir mit weiteren Programmen dieser Art rechnen.“
Sind das alles die Vorboten einer Datenrevolution, wie sie Erez Aiden und Jean-Baptiste Michel vorhersagen? „Sie wird unser Selbst-bild transformieren, die Geisteswissenschaft en und Sozialwissenschaf-ten grundlegend verändern und Wirtschaft und Elfenbeinturm dazu bringen, ihr Verhältnis neu auszutarieren“, schreiben die beiden in ihrem 2013 erschienenen Buch „Uncharted: Big Data as a Lens on Human Culture“. Die hyperventilierende Prophezeiung erinnert an die Marketingphrasen von Apple, Google und Co. Aber steckt viel-leicht doch etwas Wahres darin? Ist die Digitalisierung der Kulturwis-senschaft en nicht sogar unausweichlich in einer zunehmend techni-sierten Welt? Und welche Folgen hat es, wenn sich Mathematiker und Techniker einmischen, wo bisher Intuition und Interpretation, Genie und Poesie walteten?
„Digitalprojekte verschlingen Ressourcen, die wir dringend für unser Kerngeschäft bräuchten“, sagt Gerhard Wolf, Professor für Ältere Deutsche Philologie an der Universität Bayreuth. Zu den Kernaufga-ben der Geisteswissenschaft en zählt Wolf das interpretative Erfor-
140MILLIONEN BÜcHER wURdEN
BISHER PUBLIZIERt.
Gott und die weltWie häufi g geht es in der deutschen und
englischsprachigen Literatur um Gott? Interessante Besonderheiten für die
letzten beiden Jahrhunderte führt eine unkomplizierte vergleichs-Recherche
mit dem Programm Google NGram viewer vor Augen. Sie zeigt auch den
prozentualen Anteil des gesuchten Begriff s an der Gesamtmenge aller Wörter in der getroff enen Auswahl.
0 %1800 18801840 19601920 2008
0,13 %
Häu
fi g
keit
0,07 %
0,1 %
0,04 %
God
Gott
›
dr. erez lieberman aiden & dr. Jean-baPtiste micHelBaylor College of Medicine, Harvard University, Google
den tieferen Sinn in datenbergen erkennen – darum
geht es dem US-Amerikaner Erez Aiden (links) und
dem Franzosen Jean-Baptiste Michel (rechts). dabei
ist es nebensächlich, ob die daten aus den Geistes-
wissenschaften oder der Biologie oder Astronomie
stammen. doch anders als in den Natur wissen schaf-
ten wird data-Mining im Kulturbereich nur sel ten in
großem Stil angewandt. Noch seltener schaff t es
eine Studie aus den Geisteswissenschaften auf die
titelseite des wissenschaftsmagazins „Science“.
Beides gelang Aiden und Michel vor drei Jahren.
Mit ihrer Auswer tung von Millionen Büchern begrün-
deten sie Culturomics, eine Methode zum Aufspü-
ren kultureller und sozialer trends. Ver öff ent lichun-
gen vom Kaliber dieser „Science“-Publikation hat
es seither nicht mehr gege ben. das mag auch daran
liegen, dass Erez Aiden in zwischen direktor des
center for Genome Archi tec ture am Baylor college
of Medicine im texanischen Houston, USA, ist. Er
will herausfi nden, wie die Erbsubstanz im Zellkern
gefaltet ist. Sein Kollege Jean-Baptiste Michel, der
sich Unternehmer, Künstler und Forscher nennt,
pendelt weiter zwischen Harvard und Google.
www.culturomics.orG
Fo
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ess
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Scr
anto
n
Jahr
18 Humboldt kosmos 102 /2014
schen und Editieren von Texten, das forschende Lernen im Sinne der humboldtschen Idee der Universität. Für diese klassische Auslegung ließen sich die großen Förder organisationen jedoch kaum noch begeis-tern, berichtet Wolf: „Da sitzen viele Naturwissenschaftler, die von den quantitativen, digitalen Methoden fasziniert sind.“
Was der Germanist und langjährige Vorsitzende des Philosophi-schen Fakultätentages offen anprangert, trauen sich weniger mutige Kollegen nur hinter vorgehaltener Hand zu sagen. Zu groß ist offen-bar die Furcht, es sich mit den Geldgebern zu verderben. Doch die Kri-tik ist da und sie zielt in mehrere Richtungen: Statt an Fachwissen-schaftler würden immer mehr Stellen an Techniker und Informatiker vergeben, nicht selten werde in unbrauchbare Programme investiert, die Langlebigkeit der Digitalisate sei nicht gewährleistet, und über-haupt nehme die Abhängigkeit von der Technik besorgniserregend zu.
„Wir laufen Gefahr, in all den angehäuften Daten zu ersticken“, sagt Martin Hose von der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität. Zwar befürwortet der Gräzist das digitale Konservieren kultureller Zeugnisse und ist selbst an entsprechenden Editionsprojekten betei-ligt. Dass er digitale Primärdaten mit Gewinn für Forschung und Lehre nutzt, räumt der bayerische Wissenschaftler gern ein. Doch er warnt auch vor einem drohenden Verlust an Überblickswissen, das uns
ermöglicht, Wichtiges von weniger Wichtigem zu unterscheiden. Ein Bild vom großen Ganzen entstehe oft beim Durcharbeiten von Büchern, doch so gut wie nie beim Googeln nach Schlagworten, sagt Martin Hose und fügt hinzu: „Ohne die geistige Infrastruktur wissen wir aber gar nicht, nach was wir suchen sollen.“ Die besten Antworten auf unsere Fragen könnten uns daher verborgen bleiben.
Antworten, wie sie zum Beispiel bei Sokrates, Euripides und Seneca zu finden sind. Deren Werke und die vieler anderer antiker Autoren hat der US-amerikanische Forscher Gregory Crane in einer riesigen Onlinebibliothek versammelt, der Perseus Digital Library. Sie enthält zahlreiche Instrumente zur Übersetzung der alten Schriften in
diGital Humanities in deutscHland
Vor ein paar Jahren musste
man noch mit der Lupe nach
ihnen suchen, doch inzwi-
schen gibt es bundesweit
schon eine ansehnliche Zahl
von Digital Humanities-
Studiengängen.
tendenz: steigend.
18%
dER JEMALS PUBLIZIERtEN BÜcHER SINd dIGItALISIERt.
›
scHwerPunkt
Professor dr. GreGory crane Universität Leipzig
Seine Karriere zeugt von großer Beständigkeit: Seit
30 Jahren arbeitet Gregory crane an einer frei
zugänglichen Onlinebibliothek, die irgendwann
einmal das Kulturerbe der Menschheit versammeln
soll. Benannt ist das von einem team um crane
initiierte Megaprojekt Perseus digital Library nach
einem Heros der griechischen Mythologie, einem
Sohn des Zeus. Bis heute liegt der Schwerpunkt
der Bibliothek auf Quellen der griechischen und
römischen Antike, aber zunehmend werden auch
Materialien aus anderen Epochen eingestellt. die
meisten werke sind übersetzt, die Originaltexte sind
zusätzlich einsehbar. Beheimatet ist das Perseus-
Projekt an der tufts University in Boston, Massachu-
setts, USA, wo der 1957 geborene crane viele Jahre
forschte und lehrte. Im Jahr 2012 wechselte er mit
einer Alexander von Humboldt-Professur nach Leip-
zig. die dortige Universität hat ihn nominiert, um ein
Ziel zu erreichen: die Um wand lung ihres Informatik -
instituts in ein Zen trum für Digital Humanities von
weltrang.
www.dH.uni-leiPziG.de
www.Perseus.tufts.edu
Antike Autoren stehen im Fokus des Perseus-Projekts.
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Trier Center for Digital Humanities
Göttingen Centre for Digital Humanities
studien standorte
zentren fÜr diGital Humanities
WÜRZBURG
REGENSBURG
PASSAU
ERLANGEN
BAMBERG
LÜNEBURG
GIESSEN
WUPPERTAL
HAMBURG
BIELEFELD
virtueller Forschungs-verbund Edirom
Zentrum für digitale Geistes-wissen schaften
eScience-Center
MÜNCHENTÜBINGEN
Cologne Center for eHumanities
Digitale Aka-demie der Akademie der Wissenschaf-ten und der Literatur Mainz
MAINZ
Loewe-Schwerpunkt Digital Humanities Hessen
TRIER
KÖLN
GÖTTINGEN
PADERBORN / DETMOLD
Interdisziplinärer Forschungsverbund Digital Humanities in Berlin (im Aufbau)
Zentrum für Digital Humanities (im Aufbau)
BERLIN
LEIPZIG
SAARBRÜCKEN
Heidelberg Centre for Digital Humanities
HEIDELBERG
FRANKFURT / DARMSTADT
Immer mehr Hochschulen bieten Ausbildungsprogramme
in den Digital Humanities an. Allein in deutschland gibt es
derzeit 15 Bachelor- und Masterstudiengänge, weltweit
sind es rund 80. Zur Auswahl stehen unterschiedliche
Schwer punkte – von Medieninformatik über computerlin-
guistik bis zu digitaler Geschichte und Bildungstechnolo-
gie. In der Regel wird das Fach in Verbindung mit einer
traditionellen Geisteswissenschaft studiert. die Studieren-
den lernen, Fragen aus den Geisteswissenschaften so zu
operationalisieren, dass sie einer maschinellen Bearbeitung
zugänglich sind. Sie erfahren, wie man Analyseprogramme
nutzt und bei Bedarf weiterentwickelt. Auch die überzeu-
gende Aufbereitung und Visualisierung von Forschungs-
ergebnissen ist teil des curriculums. die Nachfrage nach
Absolventen dieser Studiengänge ist groß. Arbeitsmöglich-
keiten bieten sich in Hochschulen, Schulen, Bibliotheken,
Archiven und Museen, Verlagen, Softwarefi rmen und im
Informations management von Unternehmen.
www.diG-Hum.de
dIGItAL HUMANItIES StUdIEREN
20 Humboldt kosmos 102 /2014
scHwerPunkt
moderne Sprachen und zur Untersuchung der Evolution und Verbrei-tung klassischer Ideen über die Jahrhunderte hinweg. Auch Crane ist ein Pionier der Digital Humanities, sein 1985 begonnenes Perseus-Pro-jekt ein Aushängeschild der Bewegung. „I am a Weltbürger“, sagt der 56-jährige Amerikaner, der seit einem Jahr eine Alexander von Hum-
boldt-Professur an der Universität Leipzig innehat. Sie sichert dem agi-len Altphilologen mit fünf Millionen Euro eine für die Geistes-wissenschaft en außerordentlich hohe Fördersumme.
Nutzen will Crane das Geld, um ein europäisches Großprojekt vo ranzubringen: eine Internetplattform für Schüler, Studenten und andere, die antike Texte übersetzen und analysieren und sich dabei gegenseitig verbessern und inspirieren können. Geballte Schwarm -intelligenz also, um die gemeinsamen Wurzeln zu stärken. Die Dimen-sion des Vorhabens erläutert der US-Wissenschaft ler an einem Bei-spiel: „In Deutschland gibt es 800 000 Lateinschüler, in Frankreich 500 000, in Italien zwei Millionen und Hunderttausende in anderen Ländern Europas – wenn nur zehn Prozent von ihnen mitmachten, wäre schon viel gewonnen.“
Gregory Crane und die Humboldt-Professur, das sei ein großer Schub für die digitale Idee hierzulande, sagt Jan Christoph Meister, Literaturwissenschaft ler an der Universität Hamburg. Meister ist ers-ter Vorsitzender des vor zwei Jahren gegründeten Fachverbandes Digi-tal Humanities im deutschsprachigen Raum. Zur ersten Jahrestagung des Verbandes im März kamen mehr als 350 Teilnehmer; das sind fast so viele wie bei einem durchschnittlichen Germanistentag. Den Eröff -nungsvortrag hielt John Nerbonne unter dem provokanten Titel „Die Informatik als Geisteswissenschaft “.
In den Geisteswissenschaft en vollziehe sich gerade ein Kulturwan-del, diagnostiziert Jan Christoph Meister: Neben den genialen Einzel-forscher trete immer häufi ger das interdisziplinäre Team. Da hat dann nicht automatisch der Ordinarius das Sagen, sondern auch einmal der Doktorand mit der pfi ffi gen Idee. „Ein Gutteil der Skepsis, die uns ent-gegenschlägt, hat mit der Angst vor einem möglichen Ansehensver-lust zu tun“, sagt der Hamburger Germanist. Er schätzt, dass derzeit zehn Prozent der Geisteswissenschaft ler in Deutschland in der neuen Bewegung aktiv sind und etwa fünf Prozent sich ausdrücklich dage-genstellen. „Mehr als 80 Prozent sind ein bisschen interessiert und warten ab, was passiert.“
10 %dER dEUtScHEN GEIStESwISSENScHAFtLER
SINd AKtIVE dIGItAL HUMANIStS.
dHd, digital Humanities im deutschsprachigen
Raum: 2012 gegründet, hat der Verband heute über
160 Mitglieder. Er sieht sich als Interessenvertretung
für alle, die sich in ihrem Fach für die digitalen
Geistes wissenschaften engagieren, und organisiert
jähr liche Konferenzen. www.diG-Hum.de
eadH, European Association for digital Humani-
ties: der europäische Verband versteht sich als
Plattform für alle disziplinen, die zu den digitalen
Geistes wissenschaften beitragen. die 1973 ge grün-
dete Orga nisation fördert die Entstehung neuer
Initiativen. eadH.orG
adHo, Alliance of digital Humanities Organizations:
In dem internationalen dachverband haben sich
Länder organi sa tionen aus Europa, Nordamerika,
Asien und Australien zusammengeschlossen. die
AdHO richtet jährlich Konferenzen aus, verleiht
Preise und publiziert mehrere Zeitschriften.
adHo.orG
VERBäNdE
Professor dr. Jan cHristoPH meisterUniversität Hamburg
Nach seiner Vision für die Digital Humanities gefragt,
muss der Literaturwissenschaftler Jan christoph
Meister nicht lange nachdenken: „Mehre re Projekt-
cluster mit einer Laufzeit von zehn Jahren, in denen
Geistes wissenschaftler mit Kollegen aus der Infor-
matik und der Kognitionsforschung zusam men-
arbeiten – das wäre ein durchbruch.“ die Kosten
schätzt Meister auf rund 20 Millionen Euro. Im Unter-
schied zu Infra struktur maß nahmen werde die Arbeit
an konkreten For schungs fragen in dem neuen
Gebiet noch zu zögerlich ge för dert, kritisiert er und
wünscht sich mehr Unterstützung von wissen-
schaftsorganisationen und Stiftungen. Von 2010
bis 2013 war Meister Projektpartner im transcoop-
Programm der Humboldt-Stiftung.
Jcmeister.de
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21Humboldt kosmos 102 /2014
›
1949
Roberto Busa, ein italienischer
Jesuit, beginnt mithilfe von IBM
ein großes computergestütztes
Editionsprojekt. Es ist die Geburts-
stunde der Digital Humanities.
1973
Europas Digital
Humanists schließen
sich zusammen in der
Association for
Literary and Linguistic
computing. daraus
geht später der Ver-
band EAdH hervor.
2006
In den USA startet die Digi-
tal Humanities-Initiative.
das Förderprogramm ist
ein Schub für das gesamte
Forschungsgebiet.
2010
Google Ngram Viewer, ein
Programm zum Aufspüren
kultureller und sozialer trends,
steht im Internet für alle zur
Verfügung.
1985das Perseus-Projekt
beginnt an der
Harvard University.
2011
„Science“ veröffentlicht die
Arbeit von Erez Lieberman
Aiden und Jean-Baptiste
Michel über Culturomics.
1966
An der Universität tübingen entwickelt
wilhelm Ott das wegweisende Programm
tUStEP für die textdatenver arbeitung in
den Geisteswissen schaften.
1986
Literary and Linguistic
computing (LLc), die
führende Fachzeitschrift
des Forschungsfelds,
erscheint erstmalig.
1998
Roberto Busa erhält
den ersten, nach ihm
benannten Preis für
eine exzellente Lebens-
leistung in den Digital
Humanities.
2004
Google Books wird aus
der taufe gehoben. das
Onlineprojekt ist heute
die größte Bibliothek
der welt mit schätzungs-
weise 25 Millionen titeln.
1994
technische Standards
werden mit tEI
ge setzt, einem bis
heute ge nutzten
dokumenten format
zur Kodierung und
zum Austausch von
texten.
2014
der junge Verband digital
Humanities im deutschsprachi-
gen Raum expandiert. Nach
seiner Gründung im Jahr 2012
zählt er nach Angaben des
Vorstands heute bereits über
160 Mitglieder.
Dabei ist der Trend unverkennbar: Die Zahl der Digital Humanists wächst, die Fördermittel fließen üppiger. Während die Skeptiker noch darauf pochen, dass es sich nicht um ein neues Fach, sondern höchs-tens um eine Hilfswissenschaft handelt, schlägt die digitale Idee Wur-zeln. An deutschen Universitäten gibt es bereits 15 Lehrstühle in die-sem Bereich, es entstehen neue Zentren und Studiengänge. Das Bundesforschungsministerium investiert bis 2017 rund 19,5 Millionen Euro in entsprechende Projekte. Und die Deutsche Forschungsgemein-schaft hat zusammen mit der US-Förderorganisation für die Geistes-wissenschaften, dem National Endowment for the Humanities, ein
bilaterales Programm zum Aufbau der Infrastruktur und Entwicklung von Dienstleistungen ausgeschrieben.
„Für die Digital Humanities hat Deutschland eine strategische Bedeutung“, sagt Gregory Crane. Kein anderes Land fördere die Geis-teswissenschaften in diesem Maße. Für den US-Forscher hat sich das gelohnt – und es könnte sich auch für seine Gastgeber lohnen: Bis zum Ende des Jahrzehnts will Crane ein Geschäftsmodell umsetzen, das der alten Verlagsstadt Leipzig zu neuer Bedeutung verhelfen soll. Nach dem Vorbild des sächsischen Wissenschaftsverlegers Benedictus Gott-helf Teubner (1784–1856) bereitet der Amerikaner ein Lernmittel-
EINE KURZE GEScHIcHtEdie Entwicklung der Digital Humanities ist
eng mit der des computers verbunden.
das Internet hat ihr in den 1990er-Jahren
zusätzlichen Schwung verliehen.
Hier einige Meilensteine.
so arbeiten die diGital Humanities
22 Humboldt kosmos 102 /2014
programm für klassische Sprachen vor. Nicht auf Papier wie ehedem, sondern zeitgenössisch digital – mit Computerspielen, E-Books und einer Prüfungsvorbereitung per Internet.
„Die Digitalen Geisteswissenschaften sind mehr als eine Mode -erschei nung“, sagt der Kritiker Gerhard Wolf. Welchen zusätzlichen Nutzen sie bieten, müsse sich allerdings erst noch erweisen. Für John Nerbonne ist die Frage längst geklärt: „Bis auf ganz wenige Ausnahmen können alle Disziplinen von den neuen Methoden profitieren.“ Noch entschiedener äußert sich der Würzburger Germanist Fotis Jannidis: „Irgendwann ist es so weit: Dann arbeiten alle geisteswissenschaftlichen Disziplinen mit digitalen Ressourcen und Methoden.“
Ob man bis dahin mehr über Rotkäppchen weiß? Die Brüder Grimm hatten noch vermutet, dass das Märchen ursprünglich aus Indien stammte und sich von dort in alle Welt verbreitete. Doch die Wirklich-keit sieht offenbar anders aus, wie eine unlängst erschienene britische Studie darlegt. „Sie ist ein Glanzstück der Digital Humanities“, urteilt der Göttinger Märchenforscher Gerhard Lauer, „eine wirklich richtungs-weisende Untersuchung.“ Darin überträgt der Anthropologe Jamshid Tehrani computergestützte Rechenmethoden aus der Phylo genetik auf die Märchenforschung. Gegenstand seiner Analyse sind 58 aus Europa, Afrika und Asien stammende Varianten des Rotkäppchen-Stoffs. Fazit der Studie: Die meisten europäischen Varianten gehören zu einer bestimmten Typklasse, die meisten afrikanischen zu einer anderen,
1 320 ExEMPLARIScHE wERKE dEUtScH-
SPRAcHIGER LItERAtUR StELLt dAS dEUtScHE tExtARcHIV ZUM
dOwNLOAd ZUR VERFÜGUNG.
EUROPA / ASIENA
FR
IKA
OStASIEN
afrikanische Untergruppe
mehrere Opfer, wolf
tiger
ein Opfer, wolf
daten aus unterschiedlichen
Quellen· texte/Artefakte
digitalisierung· Scanner/Fotografie
· texterkennung
analyse/anreicherung· data-Mining
· Metadaten/Schlagworte
· Annotationen/Kommentare
archivierung/bereitstellung· Server
· datenzentren
· Bibliotheken/Archive
nutzung· wissenschaft
· Allgemeine öffentlichkeit
scHwerPunkt
23Humboldt kosmos 102 /2014
und die ostasiatischen Rotkäppchen-Geschichten sind wohl eine Mischung aus beiden. Statt eines Ursprungs gibt es also mehrere Ursprünge – ein schöner Stammbaum sieht anders aus. Ist es also über-haupt noch sinnvoll, an dem alten Herkunft skonzept festzuhalten?
Tatsächlich haben die Entdeckungen im Wurzelwerk des Märchens viel gemein mit Erkenntnissen der modernen Evolutionsbiologie. Von der Idee eines geradlinigen Stammbaums ist man dort schon längst abgekommen. Seit grauer Vorzeit gibt es viele Verzweigungen, und deshalb sprechen Paläo anthropologen heute von einem „Stammbusch“. Ähnlich komplex ist off enbar die kulturelle Entwicklung verlaufen. Und doch fi nden Menschen immer wieder ähnliche Antworten auf uralte Fragen. Zum Beispiel in der Geschichte von Rotkäppchen.
familie rotkäPPcHen Die Grafi k zeigt in stark vereinfachter
Form ein Ergebnis neuer Märchen-forschung mit statistischen Methoden,
wie sie sonst zur Bestimmung von verwandtschaftsbeziehungen in der
Biologie angewandt werden. Das Rotkäppchen-Motiv kommt demnach
in zwei deutlich unterscheidbaren varianten vor: Einmal steht nur ein
Opfer (ein Mädchen) im Mittelpunkt, in der anderen geht es um mehrere Opfer,
meist Kinder, die von einem Wolf attackiert werden. In Ostasien ist das angreifende Tier in der
Regel ein Tiger.
Literatur: tehrani JJ (2013),
PLoS ONE, doi:10.1371/
journal.pone.0078871
EU ROPA
dAS BUNdESFORScHUNG S MINIStERIUM FöRdERt dIE E-HUMANItIES VON 2013 BIS 2017 MIt
19,5
MILLIONEN EURO.
In Europa ist eine digitale Infrastruktur für die Kultur-
wissenschaften im Aufbau. Sie soll Kulturgüter
und Forschungsdaten langfristig verfügbar machen.
wir stellen die beiden größten Programme vor:
dariaH, digital Research Infrastructure for the Arts
and Humanities, bietet Geisteswissenschaftlern
digitale Methoden und werkzeuge. das dARIAH-
Konsortium besteht aus 15 Ländern. Im deutschen
teilprojekt dARIAH-dE engagieren sich 20 Univer si-
täten, Rechenzentren und Bibliotheken. Es wird vom
Bundesforschungsministerium bis 2016 mit knapp
elf Millionen Euro gefördert. www.dariaH.eu
clarin, common Language Resources and tech-
nology Infrastructure, konzentriert sich auf Sprach-
daten für die geistes- und sozialwissenschaftliche
Forschung. Auch cLARIN geht gerade in die zweite
Förderphase bis 2016. der deutsche Projekt verbund
cLARIN-d wird vom Bundesforschungsministerium
gefördert und von der Universität tübingen koor-
diniert. www.clarin.eu
PROJEKtE
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Professor dr. JoHn nerbonneUniversität Groningen, Niederlande
digitale Methoden haben praktisch allen Fächern
etwas zu bieten, sagt der computerlinguist und
Humboldt-Forschungspreisträger John Nerbonne.
Zu den wenigen Ausnahmen zählen seiner Ansicht
nach teil gebiete der Bildanalyse aufgrund allzu
großer technischer Probleme. In den Rechtswissen-
schaften hingegen werde es noch zu einem regel-
rechten Digital Humanities-Boom kommen, prog-
nostiziert der Sprachforscher amerikanisch-irischer
Abstammung. Er arbeitet seit Jahrzehnten mit
computergestützten Methoden und wie kaum ein
anderer kennt er deren chancen und Grenzen.
„Geisteswissenschaftler müssen keine Angst haben,
von der technik überrollt zu werden“, sagt Nerbonne.
„Sie kennen die relevanten Forschungsfragen und
erst sie geben den Digital Humanities Sinn.“
www.let.ruG.nl/nerbonne www.GabmaP.nl
24 Humboldt kosmos 102 /2014
deutscHland im blick
Professor dr. anGelo bolaffi lehrte bis zu seiner Emeritierung politische
Philosophie an der Universität La Sapienza
in Rom, Italien. Seit den 1970er-Jahren
kommt er regel mäßig für Forschungsauf-
enthalte nach deutschland und war von
2007 bis 2011 direktor des Italienischen
Kulturinstituts in Berlin. Bolaffi machte sich
als Herausgeber und Übersetzer deutsch-
sprachiger Philosophen, Soziologen und
Politologen wie Adorno, Marcuse oder
Habermas einen Namen. In seinen eigenen Publi ka-
tionen befasst er sich immer wieder mit der Rolle
deutsch lands. In seinem aktuellen Buch „deutsches
Herz: das Modell deutschland und die europäische
Krise“ widmet er die danksagung der Alexander von
Humboldt-Stiftung, als deren Stipendiat er mehrfach
an Berlins Universitäten forschte.
Fo
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aure
nt
Bu
rst
wir mÜssen reden
kosmos: Herr Bolaffi, Sie sind in Italien nicht nur einer der größten Kenner, sondern auch der womöglich größte Liebhaber Deutschlands. War das schon immer so?
anGelo bolaffi: Ich komme aus einer halbjüdischen und antifaschistischen Familie. Als ich in den 1970er-Jahren zum ersten Mal nach Deutschland kam, war mein Deutsch-landbild selbstverständlich nicht das beste. Die Bundesrepublik war für mich damals immer noch ein Staat im Schatten des Dritten Rei-ches. Ich hätte nicht gesagt, alle Deutschen sind Nazis, aber für Spießer hielt ich sie schon.
Und heute loben Sie das süße Leben in Deutschland.
Es hat sich viel verändert. Die Behörden, die Polizei sind freundlicher und hilfsberei-ter. Und Berlin ist im Vergleich zu Städten wie Paris, Rom, London oder Madrid zwar nicht besonders schön, aber dort zählt heute die Lebensqualität, nicht Reichtum, Eleganz oder Arriviertheit.
Inwiefern?Man lebt die Idee, dass Menschen nicht
alles haben müssen, um glücklich zu sein. Berlin ist eine Stadt, in der man heute wieder Zeit für sich und die Dinge hat. Das Leben ist easy going. Und wenn man durch Kreuzberg oder Berlin-Mitte mit all den Läden und Res-taurants geht, hat man das Flair des Südens gleich noch dazu.
Berlins Image als hippe Metropole ist unbe-stritten, Vorbehalte gegenüber Deutschland gibt es dennoch nach wie vor – man denke
Einst hielt er die Deutschen für Spießer, heute rühmt der italienische Philosoph Angelo Bolaffi das Berliner Dolce Vita und lobt Deutschland für seine Rolle in Europa. Ein Gespräch über das Ansehen der Deutschen bei ihren Nachbarn, das Versagen der europäischen Intellektuellen und Vorurteile, die aus Sprachlosigkeit entstehen.
Interview teresa Havlicek
nur an Karikaturen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Hitlerbärtchen in italie-nischen Zeitungen.
Ich glaube, dass in Europa viele die Wie-der vereinigung immer noch nicht verdaut haben. Die Reaktionen in Italien oder Frank-reich sind verschieden, das Trauma ist das-selbe. In den 1990er-Jahren war alles noch abstrakter. Man war mit Deutschland nicht so existenziell verbunden wie heute in Zeiten der Eurokrise.
Abgesehen von der existenziellen Verbun-denheit ist man sich aber nicht wirklich nähergekommen, oder?
Wir sind komischerweise Europäer ge wor den und haben uns gleichzeitig auseinander ge-lebt. Die intellektuelle Debatte ist verstummt, nicht nur zwischen Deutschland und Italien, sondern zwischen den Ländern Europas ins-gesamt. Diese Sprachlosigkeit unter Intellek-tuellen ist aus meiner Sicht auch ein Grund für die heutige Krise Europas.
Was meinen Sie konkret?In den 1970er-Jahren interessierte man
sich beispielsweise in Italien für die Frank-furter Schule, in Deutschland für Italiens Arbeiterbewegung, man übersetzte, publi-zierte und las die Texte der anderen. Heute
25Humboldt kosmos 102 /2014
Quelle: Eurobarometer 80
weiß man viel weniger voneinander. Man schaut Richtung USA, nach Lateinamerika – oder beschäftigt sich komplett mit sich selbst. Hinzukommt die Wahrnehmung der wirt-schaftlichen Rolle Deutschlands, das Gefühl, die Misere des eigenen Landes liege an der deutschen Sparpolitik.
Und das Ganze gipfelt in einer Europawahl, bei der die EU-Gegner ein Viertel der Par-lamentssitze bekommen?
Ja, wobei ich darüber gar nicht so erschro-cken bin. Ich glaube, die Europäer haben zum ersten Mal wahrgenommen, dass sie zusammengehören – wenn auch im negativen Sinne. Jahrzehntelang hat man nebeneinan-derher gelebt, aber jetzt hat man den anderen bemerkt, streitet sich, hasst sich zum Teil sogar. Die Gefühlslagen in Europa ähneln denen in einem Wohnhaus: Die da oben machen die Treppe schmutzig, die da unten haben die Miete nicht bezahlt, und wir in der Mitte müssen für alles aufkommen. Darüber wird jetzt gestritten und das wird hart. Aber wenn es hart wird, wird es interessant. Und Streit verbindet, wie die Konfliktsoziologen sagen.
Funktioniert ein solches Streiten denn ohne intellektuelle Debatte?
Nein, die braucht es unbedingt! Im Fall Europa muss man leider wirklich feststellen, dass die Intellektuellen viel weniger als die Politiker geleistet haben. Die haben nach vorne ge schaut, von Konrad Adenauer, Helmut Schmidt, François Mitterrand bis hin zu Helmut Kohl und Angela Merkel. Die Intel-
lektuellen dagegen sind sehr vorsichtig und beklagen lieber das Bürokratie-Monster in Brüssel oder die Abstraktheit Europas. Das reicht nicht. Wir brauchen mehr Mut, mehr Debatte, mehr Diskussion.
Woran hakt es, dass Debatte und Diskussion nicht wieder aufkommen?
Die Probleme fangen schon beim Medium an: Wollen wir alle ein broken English mitein-ander sprechen? Ich bin davon überzeugt, dass wir uns überhaupt nicht mehr verste-hen, wenn wir immer nur ein bisschen Eng-lisch miteinander sprechen. Die kulturellen Eigenheiten lassen sich über die jeweilige eigene Sprache einfach am besten vermitteln.
Also weg vom Englischen in Europa?Nein, selbstverständlich brauchen wir das
Englische als eine funktionale Sprache. Wenn wir uns mit einem Land näher beschäftigen, reicht das aber nicht aus. Meine These ist, dass man die jeweilige Sprache adoptieren muss, um ein Land erfassen zu können. Neh-men Sie mich: Ich spreche Italienisch und genug Englisch, um mich etwa unter Wissen-schaftlern zu verständigen. Daneben spreche ich zusätzlich noch Deutsch, weil ich weiß, dass ich dieses Land ansonsten nie wirklich verstehen würde.
Die Forderung nach Mehrsprachigkeit hatman schon länger nicht mehr gehört …
Mag sein. Aber die Situation ist doch paradox: Über die gemeinsame Währung sprechen wir in Europa, über eine gemein-same Sprache aber nicht. Dabei glaube ich,
dass ein guter Teil der aktuellen Krise auch kommunikationsbedingt ist.
Inwiefern?Nehmen Sie nur mal Angela Merkel und
die viel kritisierte Austeritätspolitik. Ich habe dieses Wort noch nie aus dem Mund der deutschen Kanzlerin gehört, trotzdem wird in Europa ständig darüber berichtet.
Wie erklären Sie sich das?Deutsch ist die verbreitetste Muttersprache
in Europa. Für viele Menschen außerhalb Deutschlands, Österreichs und der Schweiz ist die Sprache dennoch ein schwarzes Loch. Auch viele der internationalen Journalisten, die über Deutschland berichten, können selbst kein Deutsch und verstehen die deut-schen Politiker nicht unmittelbar. Sie recher-chieren auf Englisch und greifen die Analy-sen englischsprachiger Zeitungen auf, die häufig äußerst kritisch berichten. Deutsche Zeitungen werden da gegen viel zu wenig wahrgenommen. Das ist katastrophal: Wür-den die Journalisten die Sprache des Landes verstehen, über das sie schreiben, wäre allen geholfen. Dann könnten die Menschen lesen, was tatsächlich gesagt wird – und ein Teil der Vorurteile würde gar nicht erst auf-kommen.
Bei all Ihrer Fürsprache für Deutschland: Haben Sie eigentlich mal darüber nachge-dacht, ganz hierzubleiben?
Nicht wirklich. Mir hat das Hin- und Her-wechseln immer gut gefallen. Ich verstehe mich eher als Übersetzer.
Luxemburger zeigen die größte Offenheit für ihre europäischen Nachbarn, bei Italienern und Bul-garen ist sie am gerings-ten ausgeprägt. Das geht aus einer 2013 durch-geführten Befragung von mehr als 32 000 Euro-päern im Auftrag der EU-Kommission hervor. Als Zeichen für Offenheit galten etwa Besuche in anderen Mitgliedsstaaten oder die Lektüre eines Buchs in einer Fremd-sprache.
kaum interesse an den nacHbarn
Angaben in %HochDurchschnittlichNiedrig
3
17
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Luxem
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Malta
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Schweden
Estland
Lettland
Finnland
Slowenien
Belgien
Slowakei
Litauen
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Deutschland
Österre
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8
Großbrit
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Spanien
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Frankre
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Tschechien
Polen
Rumänien
Griechenland
Portugal
Ungarn
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Bulgarie
n
45 44 42 41
31 30 29 28 27 2623 22
17 16 14 13 1310 10 10 10 9 8 7 6 6
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dIE MAUER RAGt zehn Meter hoch und erstreckt sich kilometer-weit entlang der Küste. Doch dann kommt die Welle und zehn Meter schrumpfen auf Spielzeuggröße. Schmutzig wälzen sich die Wasser-massen über den Schutzwall und schlagen auf der anderen Seite nie-der. Sie reißen alles mit, Ampelmasten, Autos, ganze Schiffe. Seth Stein stoppt das Video und lässt die Wucht der Bilder wirken. Als der ver-heerende Tsunami 2011 die Ostküste Japans traf und den Reaktor-unfall von Fukushima auslöste, hatte niemand eine Katastrophe diesen Ausmaßes kommen sehen. Das Erdbeben, das dem Tsunami voraus-ging, war 20-mal stärker, als die Seismologen erwartet hatten, die Flut-welle höher als jede Prognose. Seth Stein ist Erdbebenforscher an der Northwestern University in Evanston, USA. Am MIT und Caltech aus-gebildet, ist der Humboldt-Forschungspreisträger einer der führenden Köpfe seiner Disziplin. Seit mehr als 30 Jahren erforscht Stein die Ursa-chen und Folgen von Erdbeben. Seine Erfahrungen machen ihn bescheiden: „Wir überschätzen, was wir wissen, und wir unterschät-zen, was wir nicht wissen.“ Erdbebenforscher wie Stein dokumen tieren jedes Beben, das sie mit ihren Instrumenten aufzeichnen. Da es die dafür notwendigen Geräte erst seit rund 100 Jahren gibt, zeigen die Bebenkarten der Seismologen gemessen an geologischen Maßstäben nur einen winzigen Ausschnitt. Die meist komplexen räumlichen und zeitlichen Muster der Beben lassen sich so oft gar nicht erkennen. Von der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen, kann deshalb trü-gerisch sein, meint Stein. „Unsere Prognosen der Verhaltensweise von Erdbeben gleichen dem klassischen Rummelplatzspiel
Text GeorG scHoll
Wann kommt der nächste Tsunami oder das ganz große Beben? Die Bewohner der japanischen Küste oder von Städten wie Los Angeles wissen es nicht und leben mit dem Risiko. Der Seismologe Seth Stein entwickelt Strategien für den Umgang mit unkalku lierbaren Gefahren.
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Tsunami-Katastrophe in Japan, 11. März 2011: Ausgelöst durch ein Erdbeben der Stärke 9,0 donnern gigantische Wellen über die Küsten straße der Stadt Miyako im Nordosten des Landes.
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Die meisten Beben ereignen sich an den Grenzen der großen Erdplatten. Wie die Grafik zeigt, liegen die beson-ders aktiven seismischen Zonen um die pazifische, philippi ni sche, indische und australische Platte.
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Die Atombombe von Hiroshima hatte nicht mehr Explosionskraft als ein mit-telstarkes Erdbeben, wie diese Grafik zeigt. Sie vergleicht die bei Erdstößen und anderen Katastrophen freigesetzte Energie, indem sie die Werte auf der
Richterskala auf das sogenannte TNT-äquivalent bezieht. Dabei handelt es sich um eine Maßeinheit für die bei einer Explosion bestimmter Mengen des Sprengstoffs TNT freiwerdende Energie.
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treten fernab der kollisionsträchtigen Ränder auch inmitten der Platten auf. Sie sind besonders schwierig zu prognostizieren und geben Stein und seinen Kollegen eine harte Nuss zu knacken.
Bis die geologischen Hintergründe jedoch besser verstanden sind, werden die Bewohner der betroffenen Regionen noch lange in Unge-wissheit leben müssen. Stein beschäftigt sich deshalb auch damit, wie die Gesellschaft mit Risiken umgeht und wie wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Überlegungen helfen könnten, kluge Entscheidungen zu treffen. Es geht um viel Geld, denn Naturkatastrophen kommen die Menschen immer teurer zu stehen. Kosteten die Folgen von Überschwemmungen, Stürmen, Feuersbrünsten, Dürren, Vulkanausbrüchen oder Erdbeben im Jahr 1980 weltweit noch etwa 75 Milliarden Dollar, so waren es 2012 nach Steins Berechnungen bereits über 400 Milliarden. Es lohnt sich also, in die Vermeidung und Minderung von Risiken zu investieren. Doch was ist hierbei ein vernünftiges Maß? Und wie viel Risiko wollen wir eingehen?
feHlalarm: statt lava Gab es scHneeDass falsche Prognosen kosten, auch wenn die Katastrophe ausbleibt, zeigt das Beispiel von Mammoth Lakes, einem Wintersport ort in der kalifornischen Sierra Nevada. Der Ort liegt an einem Vulkan, an dessen Hängen sich trefflich Ski fahren ließ, bis 1982 die staatlichen Geologen vor einem Ausbruch des Vulkans warnten. Doch die Katastrophe blieb aus. Ebenso wie fortan die Touristen, obwohl es statt Lava weiterhin herrlichen Pulverschnee gab. Die Preise für Häuser fielen, Geschäfte schlossen, Einwohner zogen weg. Es dauerte ein Jahrzehnt, bis sich die Wirtschaft erholte und die Skifahrer zurückkehrten.
Whac-A-Mole, bei dem man mit einem Hammer versucht, einen Plas-tikmaulwurf zu erwischen, wenn er den Kopf aus seinem Loch steckt. Man denkt, er kommt aus einem bestimmten Loch, doch dann springt er ganz woanders nach oben.“
Was ist dann die Botschaft der Forscher für die Einwohner von Städten wie Istanbul, Tokio, Teheran, Mexiko-Stadt oder Los Angeles, die alle im Schatten des drohenden Big One leben, des nächsten großen Bebens? „Wir können ihnen sagen, dass sie in einer gefährdeten Region leben. Mehr nicht. Die Erde ist viel zu chaotisch und unser Wissen nicht ausreichend, als dass wir das Risiko von Naturkatastrophen mit Modellen verlässlich vorhersagen könnten“, so Stein. Für ihn als Wissen-schaftler geht es deshalb in erster Linie darum, die Prozesse besser zu verstehen und die Prognosen verlässlicher zu machen. „Die Kontinental-platten bewegen sich sehr langsam, etwa in der Geschwindigkeit, mit der unsere Fingernägel wachsen. Wie sie dabei über lange Zeiträume Druck aufbauen und wann sich dieser plötzlich in einem Beben ent-lädt, müssen wir noch besser verstehen“, sagt Stein. Die meisten Beben entstehen dort, wo die Platten sich reiben und anein anderstoßen, was als plausible Erklärung für häufige Beben gilt. Doch manche Beben
Otsuchi, Japan, 14. März 2011: Die Flutwelle, die drei Tage zuvor durch die Kleinstadt im Nordosten des Landes bran-dete, hat große verwüstungen hinterlassen.
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30 Humboldt kosmos 102 /2014
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fehlt für etwas anderes“, sagt Stein. „Könnten mehr Menschenleben dadurch gerettet werden, wenn zumindest ein Teil des Geldes in Perso-nal oder medizinische Geräte investiert würde? Das Beispiel zeigt, wir brauchen eine nüchterne und transparente Analyse von Kosten und Nutzen, gerade wenn es um öffentliche Güter geht.“
wenn der Job wicHtiGer ist als die GefaHrStein hat ein mathematisches Modell entwickelt, das die Kosten für die Vorsorge mit den erwarteten Verlusten und mit der Wahrscheinlich keit verrechnet, mit der ein bestimmtes Risiko eintritt. Herauskommt eine Kurve, an deren tiefstem Punkt das optimale Verhältnis zwischen Vor-sorge und Risikofreudigkeit liegt. Sich mit noch mehr Aufwand gegen ein Risiko zu wappnen, wäre unvernünftig und Ressourcen würden besser anders investiert.
Das Modell ermöglicht einen systematischen Blick auf das Für und Wider im Umgang mit Risiken. Doch die Abwägung bleibt subjektiv, wie Stein weiß, gerade wenn Risiken aus der zeitlichen Perspektive eines Menschenlebens betrachtet werden: „Für die Bewohner eines Ortes, der wirtschaftlich von einem maroden Kernkraftwerk abhängig ist, kann beispielsweise das kurzfristige Risiko eines Jobverlusts bei einer Schließung des Werks schwerer wiegen als das eines möglichen nuklearen Unfalls oder langfristiger Probleme mit radioaktivem Abfall in einigen Jahrzehnten.“ Wichtig sei, so Stein, überhaupt Risiko-abwägungen zu treffen und Entscheidungen gründliche Kosten-Nutzen-Berechnungen voranzustellen. „Hierzu müssen wissenschaftliche, öko-nomische und politische Analysen besser integriert werden“, so Stein, der seinen Studenten zur Verdeutlichung immer eine Gedankenauf-gabe stellt: Wenn für ein Busticket 2 Euro zu zahlen sind und Schwarz-fahren 40 Euro Strafe kostet, ab wann ist es sinnvoll, eine Fahrkarte zu kaufen? Die Studenten überlegen dann eine ganze Weile, bis sich schließlich einer traut zu fragen: Wie oft kommt denn überhaupt ein Schaffner und kontrolliert? Und genau dies ist für Stein der Punkt. Die Studenten müssen diese Entscheidung anhand ihrer eigenen, einge-schränkten Erfahrung treffen. Bei Naturgefahren, sagt Stein, ist es nicht anders: „Wir müssen mit Unsicherheiten leben und anhand von sehr begrenzten Informationen die bestmöglichen Entscheidungen treffen.“
Hätten die Wissenschaftler auf ihre Warnung verzichten sollen? Wie groß wäre der Schaden gewesen, wenn ein Vulkanausbruch die Menschen unvorbereitet getroffen hätte? Welchen ethischen und ökonomischen Wert haben menschliche Verluste? Kostet es im Falle Japans mehr, eine neue, nochmals höhere Flutmauer zu bauen oder eine Küstenstadt umzusiedeln?
Unmittelbar nach einer Katastrophe ist oft nicht der Moment, derlei Fragen abgewogen zu diskutieren. Es schlägt die Stunde der politischen Tatkraft und der Ankündigung von Konsequenzen. Solche im Lichte von Katastrophen getroffenen Maßnahmen stehen nicht immer in einem gesunden Verhältnis zu ihrer Wirkung, wie das Beispiel kalifor-nischer Krankenhäuser zeigt, die erdbebensicherer gemacht werden sollen. Der Beschluss hierzu wurde nach einem Erdbeben im San Fer-nando Valley 1971 gefasst, bei dem einige Krankenhäuser einstürzten und über 50 Personen starben. Die kalifornische Regierung ordnete daraufhin an, die Krankenhäuser mit Stahlskeletten zu ummanteln und so stabiler zu machen. Bis heute wurden die Arbeiten noch nicht beendet, die Kosten steigen immer weiter. Vor 2030 wird nicht mit dem Abschluss der Umbauten gerechnet. „Was wir für das eine ausgeben,
Als Humboldt-Forschungspreis-
träger kooperiert Professor dr. setH stein zurzeit mit
Kollegen in Göttingen und
München und sucht nach Mustern
in den historischen Aufzeichnun-
gen ver gangener Erdbeben in
Europa. In dem ge meinsam mit
seinem Vater Jerome verfassten,
jüngst erschienenen Buch „Playing against
Nature“ beschreibt er seine Forschung für
ein breites Publikum.
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Das veterans Affairs Medical Center in San Diego wurde nachträglich mit einer 60 Millionen Dollar teuren Stahlkonstruktion ausgerüstet. Sie soll das Gebäude im Fall eines Erdbebens schützen.
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Nordsumatra, Indonesien, Januar 2014: Aschewolken und Donnergrollen aus dem vulkan Sinabung. Wer wagt sich da noch in die Kirche?
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32 Humboldt kosmos 102 /2014
ANGELA MERKEL tRIFFt KÜNFtIGE BUNdES-KANZLER- StIPENdIAtINNEN IN BRASILIEN
Kaum für das Bundeskanzler-Stipendium ausgewählt, lernten die Bra-silianerinnen Suzana de Souza Lima Velasco und Juliana Guarany da Cunha Santos die Schirmherrin des Programms persönlich kennen: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Auf ihrer Reise zum WM-Auftakt-spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft traf Merkel die ange-henden Stipendiatinnen in der Residenz des deutschen Botschafters in Brasília. Auch der ehemalige brasilianische Vertrauenswissenschaft-ler Draiton Gonzaga de Souza nahm teil.
De Souza Lima Velasco und Guarany da Cunha Santos gehören zu den ersten brasilianischen Nachwuchsführungskräften überhaupt, die von der Alexander von Humboldt-Stiftung für das Bundeskanzler-Sti-pendium ausgewählt wurden. In diesem Jahr werden in dem Programm neben amerikanischen, russischen und chinesischen erstmals auch indische und brasilianische Führungstalente gefördert.
Auch sonst setzt die Humboldt-Stiftung auf Brasilien: Gerade erst haben ihr Präsident Helmut Schwarz und der Präsident der brasilia-ni schen Wissenschaftsförderorganisation Coordenação de Aperfeiçoa-mento de Pessoal de Nível Superior (Capes), Jorge Almeida Guimarães, ihre Kooperation verlängert. Das Capes-Humboldt-Forschungsstipen-dium soll auch über 2014 hinaus brasilianische Wissenschaftler nach Deutschland holen. Bereits jetzt hat sich die Zahl der Stipendien-Bewer-bungen aus Brasilien durch die 2012 gestartete Initiative im Vergleich zu den Vorjahren fast verdreifacht.
Ebenfalls fortgesetzt werden die Brasilianisch-Deutschen Frontiers of Science and Technology-Symposien. Noch bis 2018 sollen jährlich 25 deutsche und 25 brasilianische Wissenschaftler zu den internatio-nalen Symposien reisen können, die abwechselnd in Deutschland und Brasilien stattfinden.
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Im Gespräch mit Angela Merkel: Juliana Guarany da Cunha Santos (links) und Suzana de Souza Lima velasco (rechts), die erst vor Kurzem für das Bundes kanzler-Stipendium ausgewählt wurden
33Humboldt kosmos 102 /2014
Humboldt Life, das eigene Online-Netzwerk der Alexander von Humboldt-Stiftung, ist ge startet. Rund 36 000 ausländische und deutsche For-scherinnen und Forscher der Humboldt-Familie sind eingeladen, sich an dem sozialen Netzwerk zu beteiligen.
Humboldt Life ist nicht nur eine interaktive Plattform für den persönlichen Austausch. Es ist eigens auf die Bedürfnisse einer digital ver-netzten Wissenschaftswelt zugeschnitten: Die Mitglieder können eigene Profile anlegen und sich selbst mit ihrem akademischen Werde-gang samt For schungs schwerpunkten präsen-tieren. Neue Publikationen lassen sich in dem Netzwerk mit wenig Aufwand hochladen, aktuelle Forschungsthemen können in Grup-pen diskutiert werden. Auch die Humboldt-Stiftung ist mit eigenen Profilen bei Humboldt Life dabei.
Das stiftungseigene Netzwerk schafft die Möglichkeit, Fachkollegen mit spannenden Forschungsvorhaben innerhalb der Humboldt-
Familie zu entdecken. Im besten Falle finden sich über Humboldt Life künftig sogar Wissen-schaftler zu gemeinsamen Projekten zusammen. Schon in den ersten Wochen nach dem Start
Ende Mai folgten Tausende Wissenschaftler der Einladung zu Humboldt Life. Seitdem wächst das exklusive Stiftungs netzwerk stetig weiter.
HUMBOLdt-NEtZwERK VIRtUELL
Mehr als 570 Humboldtianerinnen und Humboldtianer aus über 70 Län-dern und ihre Familien hat Bundespräsident Joachim Gauck Anfang Juni im Garten von Schloss Bellevue in Berlin begrüßt. Der Empfang war Auftakt der diesjährigen Jahrestagung, zu der die Alexander von Humboldt-Stiftung ihre Preisträger und Stipendiaten lädt, die aktuell in Deutschland forschen.
Gauck hob in seiner Ansprache das „legendäre Humboldt-Gefühl“ hervor, den Eindruck, man treffe eine „große internationale Familie“. Den Gastwissenschaftlern dankte er ausdrücklich für ihren For-schungsaufenthalt: „Das ist ein großer Vertrauensbeweis, ein großes Kompliment für unser Land“, sagte Gauck. Er legte den Wissenschaft-lern nahe, auch über ihren Gastaufenthalt hinaus in Deutschland zu bleiben: „Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass wir hoch qua-lifizierte Akademiker, vor allem aber Ingenieure und Naturwissen-schaftler, ermutigen, bei uns zu bleiben.“
Neben dem Empfang im Garten von Schloss Bellevue gab es eine Fest-veranstaltung mit Vorträgen von Stiftungspräsident Helmut Schwarz, Generalsekretär Enno Aufderheide und dem Chemie-Nobelpreisträger Roald Hoffmann. Zudem wurden Humboldtianer mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet. So überreichte Bundespräsident Gauck dem japanischen Biophysiker Motomu Tanaka den Philipp Franz von Siebold-Preis für besondere Verdienste um den deutsch-japanischen Austausch. Der mit bis zu 25 000 Euro dotierte Humboldt-Alumni-Preis wurde für drei Initiativen von Humboldtianern verliehen, die die akademi-schen und kulturellen Verbindungen zwischen Deutschland und ihren Heimatländern fördern sowie die Zusammenarbeit von Humboldt-Alumni in ihren Ländern und Regionen stärken sollen. In diesem Jahr zeichnete die Humboldt-Stiftung Projekte von Katarzyna Marciniak aus Polen, Emanuel C. Mora aus Kuba und Daniel Ategwa Nkemleke aus Kamerun aus.
Bundespräsident Joachim Gauck und Stiftungspräsident Helmut Schwarz im Kreis der Humboldt-Familie bei der Jahrestagung im Garten von Schloss Bellevue in Berlin
BUNdES-PRäSIdENt LOBt dAS „LEGENdäRE HUMBOLdt-GEFÜHL“
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34 Humboldt kosmos 102 /2014
Ich lebe das soziale Netz, beruflich und privat. Bei der Humboldt- Stiftung habe ich in den vergangenen drei Jahren die Entstehung von Humboldt Life koordiniert, vom Feinkonzept für das soziale Netzwerk eigens für Humboldtianer bis zum Start. Die Idee dahinter: Humboldt Life soll alles bieten, was soziale Netzwerke für Wissenschaftler im Internet leisten können. Zusätzlich ist Humboldt Life auf genau das zugeschnitten, was Humboldtianer brauchen: die Möglichkeit etwa, sich vor, während und nach Aufenthalten in Deutschland direkt mit der Stiftung zu vernetzen. Und natürlich Möglichkeiten, sich unter-einander kurzzuschließen, Publikationen bei Humboldt Life hochzu-laden und über das Netzwerk gezielt Kooperationspartner zu suchen. Ähnliche Internetprojekte habe ich schon vor meiner Zeit bei der Humboldt-Stiftung aufgebaut und koordiniert. Zuletzt hatte ich ein deutschsprachiges, vom Bundesfamilienministerium gefördertes sozia les Netzwerk für Jugendliche mitentwickelt und betreut.
Und auch privat kann ich nicht abstinent sein – das soziale Netz ist für mich letztlich eine Berufung, nicht nur ein Job. Schon seit das World Wide Web an deutschen Hochschulen populär wurde, bin ich online aktiv. Mitte der 1990er-Jahre habe ich neben meinem Biologie-, Kommunikationswissenschafts- und Publizistik-Studium in Göttingen ein studentisches Online-Magazin mit aufgebaut, damals das zweite dieser Art in ganz Deutschland. Im Internet bin ich seitdem hängen geblieben. Ich nutze es, um mich beruflich sowie mit Freunden und Bekannten zu vernetzen, betreibe ein Musiklabel im Netz und mache Videokunst.
Und auch bei Humboldt Life bin ich gemeinsam mit rund 20 Mit-arbeiterinnen und Mitarbeitern der Humboldt-Stiftung weiter dabei: Als Community Manager stecke ich hinter dem Kontakt zum Support der Stiftung.
Aufgezeichnet von teresa Havlicek
ins netz berufenWer macht eigentlich was in der Stiftung und sorgt hinter den Kulissen dafür, dass alles läuft?
Auf dieser Seite stellen wir Kolleginnen und Kollegen vor, ihre Aufgaben, ihre Erfahrungen und was sie tun, wenn sie gerade nicht arbeiten. diesmal: marco medkour.
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