hermann minkowski briefe an david hilbert || Über friedrich althoff

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D her Friedrich Althoff Von HANS ZASSENHAUS FRIEDRICH ALTHOFF wurde am 19. Februar 1839 in Dinslaken bei Wesel als Sohn des Domanenrates FRIEDRICH THEODOR ALTHOFF und seiner Frau JULIE, geb. BUGGENHAGEN, geboren. Er verbrachte die ersten zwolf Lebensjahre in der dorflichen Umgebung seines Heimatortes. Von dem Lehrer der Dorfschule privat vorbereitet, wurde er im Herbst 1851 in die Tertia des Gymnasiums Wesel auf- genommen und best and dort nach 5jahriger Schulzeit die Reifeprufung. Er stu- dierte die Rechtswissenschaften in Bonn und vorubergehend auch in Berlin. Nach Ablegung des ersten juristischen Examens im November 1861 in Ehren- breitstein bereitete er sich zunachst auf die Laufbahn eines Rechtsanwaltes vor. Am Kriege 1870-71 nahm er als Delegierter des Johanniterordens teil. Auf den Schlachtfeldern bei Metz widmete er sich der Pflege der Verwundeten. Dort be- gegnete ihm zum ersten Male FELIX KLEIN, der im gleichen Dienste tatig war, und hatte mit ihm eine langere angeregte Unterhaltung. Nach dem Kriege fuhrte er zusammen mit dem badischen Staatsmann Freiherr v. ROGGENBACH den Auf- bau der Universitat StraBburg durch, wo er 1872-1882 auch Professor fur Zivil- recht war. Seine wissenschaftliche Hauptleistung war die Sammlung der in ElsaB- Lothringen geltenden Gesetze, die er zusammen mit einer Gruppe von juristischen Mitarbeitern in drei Banden 1880 und 1881 herausgab. Seit 1882 Vortragender Rat im preuBischen Kultusministerium fuhrte er hier bis 1907 die Hochschulabteilung und seit 1897 als Ministerialdirektor auch die Abteilung fur die hoheren Schulen. Er wurde in Deutschland und spater auch in der ganzen Welt bekannt durch eigene staatliche Initiative bei der Berufung der Hochschullehrer, Forderung neuer Wissenschaftsrichtungen und Anstalten, wobei er es verstand, auch die Wirtschaft finanziell heranzuziehen, angeregt durch das Studium der franzosischen und amerikanischen Verhaltnisse. Er hatte das Recht des Vortrages beim Kaiser. 22 L. Rüdenberg et al. (eds.), Hermann Minkowski Briefe an David Hilbert © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1973

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Page 1: Hermann Minkowski Briefe an David Hilbert || Über Friedrich Althoff

D her Friedrich Althoff Von HANS ZASSENHAUS

FRIEDRICH ALTHOFF wurde am 19. Februar 1839 in Dinslaken bei Wesel als Sohn des Domanenrates FRIEDRICH THEODOR ALTHOFF und seiner Frau JULIE, geb. BUGGENHAGEN, geboren. Er verbrachte die ersten zwolf Lebensjahre in der dorflichen Umgebung seines Heimatortes. Von dem Lehrer der Dorfschule privat vorbereitet, wurde er im Herbst 1851 in die Tertia des Gymnasiums Wesel auf­genommen und best and dort nach 5jahriger Schulzeit die Reifeprufung. Er stu­dierte die Rechtswissenschaften in Bonn und vorubergehend auch in Berlin. Nach Ablegung des ersten juristischen Examens im November 1861 in Ehren­breitstein bereitete er sich zunachst auf die Laufbahn eines Rechtsanwaltes vor. Am Kriege 1870-71 nahm er als Delegierter des Johanniterordens teil. Auf den Schlachtfeldern bei Metz widmete er sich der Pflege der Verwundeten. Dort be­gegnete ihm zum ersten Male FELIX KLEIN, der im gleichen Dienste tatig war, und hatte mit ihm eine langere angeregte Unterhaltung. Nach dem Kriege fuhrte er zusammen mit dem badischen Staatsmann Freiherr v. ROGGENBACH den Auf­bau der Universitat StraBburg durch, wo er 1872-1882 auch Professor fur Zivil­recht war. Seine wissenschaftliche Hauptleistung war die Sammlung der in ElsaB­Lothringen geltenden Gesetze, die er zusammen mit einer Gruppe von juristischen Mitarbeitern in drei Banden 1880 und 1881 herausgab.

Seit 1882 Vortragender Rat im preuBischen Kultusministerium fuhrte er hier bis 1907 die Hochschulabteilung und seit 1897 als Ministerialdirektor auch die Abteilung fur die hoheren Schulen. Er wurde in Deutschland und spater auch in der ganzen Welt bekannt durch eigene staatliche Initiative bei der Berufung der Hochschullehrer, Forderung neuer Wissenschaftsrichtungen und Anstalten, wobei er es verstand, auch die Wirtschaft finanziell heranzuziehen, angeregt durch das Studium der franzosischen und amerikanischen Verhaltnisse. Er hatte das Recht des Vortrages beim Kaiser.

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L. Rüdenberg et al. (eds.), Hermann Minkowski Briefe an David Hilbert© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1973

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Nach seinem nicht nur aus gesundheitlichen Griinden erfolgten Riicktritt im August 1907 wurde sein Dienstbereich von dem neuen Minister (HOLL) auf vier Dezernenten verteilt. ALTHOFF starb am 20. Oktober 1908, nachdem er seine ungewohnliche Arbeitskraft im Dienste des Vaterlandes hingegeben hatte.

Seine Frau MARIE, geb. INGENOHL (aus Neuwied), hat ihn um 17 Jahre iiber­lebt und gab mehrere Erinnerungsbiicher an ALTHOFF heraus.

Den Schliissel zu den Erfolgen seiner in der PreuBischen Hochschulverwal­tung durchgefiihrten Aufbauarbeit kann man nach seinem Biographen ARNOLD SACHSE in den in der StraBburger Zeit gemachten Erfahrungen suchen, deren Resultat in einem Briefe seines Mitstreiters VON ROGGENBACH an ihn (17. Novem­ber 1882), anlaBlich der Berufung nach Berlin, zusammengefaBt ist.

Aus diesem Briefe mogen hier die folgenden Stellen zitiert werden:

»Ein Grundaxiom des deutschen Universitatswesens ist, dass jede Besserung desselben nur von Preussen ausgehen kann. Das Schwergewicht, das die preus­sischen Einrichtungen im ganzen offentlichen Leben Deutschlands ausiiben, ist so gross, dass jeder Versuch von einer Einzeluniversitat, auch nur eine leise A.nde­rung des Bestehenden ausfiihren zu wollen, sofort auf den Interessenwiderstand von Dozenten und Horern stosst und an den bestehenden Ordnungen in Preussen berechtigte Hemmung erfahrt. Strassburg ist davon ein trauriges Beispiel. 1m 19. Jahrhundert sollte es unmoglich gewesen sein, eine der Vernunft und Zweck­massigkeit im Ganzen und in seinen Teilen so vielfach entbehrende Einrichtung nochmals zu vervielfaltigen. Schlimmer war es, gar keine Wahl gehabt zu haben, als eine solche Missschopfung verbrechen zu miissen, wei! eben Elsass-Lothringen eine deutsche Universitat bekommen musste und eine deutsche Universitat eben nicht anders sein kann als ein Nachdruck aller iibrigen, will sie Dozenten finden und Studenten nicht entbehren. Was oft unmoglich war, ist in Preussen jederzeit ausfiihrbar mit Einsicht, Umsicht, Liebe zur Bildung deutscher Jugend und Liebe zur Pflege unzerstorbarer Wissenschaft und Geistesarbeit. Weil ich weiss, dass Sie diese Eigenschaften in hohem Masse besitzen, daher meine Befriedigung iiber ihre Ernennung."

"Ware der Junge (Student) auf dem Gymnasium zur Freiheit und Freude an eigener Arbeit entwickelt, trafe er dann einen systematisch und folgerichtig durch­gefiihrten Lehrplan an, statt eigenem Gutdiinken und dem Zufalle des Rates von Kommilitonen oder der Modevorlesung der jeweiligen Universitat anheimzufal-

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len, kein Zweifel, er wiirde nicht halb verdummt und mit Gansehaut nach drei bis vier Jahren an die Examenstiir stolpern.

Dies Resultat kann erreicht werden, wenn mit eiserner Hand dem Kasten­egoismus des kliquenartig verbundenen Dozententums in der Forderung entge­gengetreten wird, dass es ihrem freien Ermessen iiberlassen bleiben miisste, was sie lesen wollen, ohne Riicksicht auf die Bediirfnisse des Studienganges ihrer Ho­rer, und wenn gleichzeitig dem Verlangen, dass an allen Universitaten aIle Dis­ziplinen, urn der Frequenz der Universitat willen, vertreten sein miissten, nicht willfahrt wird. 1m Gegenteil - gewisse Facher sollten nur an einer oder zwei deutschen Universitaten und dann hervorragend vorgetragen werden. Es ist und bleibt ein Unsinn, zwanzigmal und mehr romanische Philologie zu lesen vor zwei bis drei Zuhorern, und es ist eine Heranziichtung eines wissenschaftlichen Proletariats, solche Facher zu iibersetzen. Nicht minder ist es eine Riicksichtslosig­keit der ruhmsiichtigen Dozentenschaft gegeniiber den Studenten, auf jede kleine Nuancierung hin von einer neuen Wissenschaft zu sprechen und gar daraufhin neue Lehrstiihle zu griinden, noch dazu an mehreren Universitaten, ohne Riick­sicht darauf, dass eine solche neue Wissenschaft nach dem ersten Erfinder sofort als selbststandige Disziplin zu existieren, das Recht verliert. Ich exemplifiziere. Was sollen wir mit chemischer, mikroskopischer, physikalischer Physiologie ma­chen, wenn der junge Mediziner gerade nur Zeit hat, in seinem Quadriennium eine Physiologie zu horen, und wenn er bei Wahl einer der drei Spielarten not­wen dig in den anderen Ignorant fiirs Leben bleibt. Die berechtigte Freiheit des akademischen Lehrers kann vollkommen unberiihrt bleiben, und diesem wilden Unfug der aus einer Art Autoreneitelkeit kiinstlich zersplitterten Wissenschaften kann gesteuert werden. "

ALTHOFFS ungewohnlich erfolgreiche, zielstrebige, aber stets im Zusammen­wirken mit den lokalen Kraften vorgehende Berufungspolitik war auf die staat­liche ErschlieBung und Forderung aller jungen Talente in den Wissenschaften und ihren Anwendungen und auf die Griindung und den Ausbau der Geisteswerk­statten, die diesen Talenten Raum zur Entfaltung geben konnten, gerichtet.

In den MINKOwsKI-Briefen kann der Leser die durch das "Individualsystem ALTHOFF" eingetretene Belebung und Bewegung der Talente im Fachbereich der Mathematik an den deutschen Hochschulen verfolgen. Spater wird er gewahr, daB ALTHOFF im Zusammenwirken mit FELIX KLEIN und DAVID HILBERT ganz bewuBt auf Schwerpunktbildung in der Mathematik in Gottingen hinarbeitet,

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ganz im Sinne des zweiten ROGGENBACHschen Zitates. Daruber schreibt FELIX KLEIN:

"AIle grossen Fortschritte, welche die preussischen Universiditen in den 25 Jahren seiner Tatigkeit im Kultusministerium gemacht haben, gehen auf ihn zu­ruck, oder hangen zum mindesten eng mit ihm zusammen. Vor allem aber ist ihm Gottingen zu Dank verpflichtet, da die mit 1892 einsetzende grosse Ent­wicklung der mathematischen und physikalischen Einrichtungen in erster Linie von ihm herbeigefuhrt worden ist. "

Weiter fuhrt SACHSE aus (5. 277): "Da es weder notig noch moglich ist, aIle Universitaten auf allen Gebieten

gleichmassig auszustatten, so empfiehlt es sich, einzelne Universitaten zu Mittel­punkten bestimmter Forschungsgebiete zu machen. Fur das Gebiet der Mathe­matilt und Physik erwies sich Gottingen, wo FELIX KLEIN seit 1892 lehrte und wirkte, als der geeignetste Ort, die Stadt, in der die Tradition von GAUSS und WEBER noch lebendig war. Der Idee KLEINS entsprechend, sollte hier ein enges Band zwischen der Mathematik und ihren Anwendungen in Physik, Technik und anderen Zweigen, zwischen der Wissenschaft und ihren Vertretern und den Krei­sen der Industrie und des Wirtschaftslebens uberhaupt geknupft werden, und wo die Aufgaben rascher wuchsen als die staatliche Leistungsfahigkeit mitkom­men konnte, sollten nach dem Beispiel anderer Lander, namentlich Amerikas, gemeindliche und private Kreise veranlasst werden, die Mittel zur Forderung zu gewahren, die nicht immer sofort sichtbar, schliesslich doch wieder ihrem Nutzen dienten. Zunachst wurde die Reorganisation der Gottinger Gesellschaft der Wis­senschaften durchgefuhrt, die KLEIN im Auftrage ALTHOFFS schon seit 1888 vor­bereitet hatte. Dann folgte der systematische Ausbau der mathematischen und physikalischen Einrichtungen der Universitat. 1906 wurden die neuen physika­lischen Institute eroffnet. 1898 wurde die Gottinger Vereinigung zur Forderung der angewandten Physik und Mathematik, an der der Grossindustrielle BOTTIN­GER in Elberfeld und der Physiker LINDE in Munchen in hervorragender Weise beteiligt waren, gegrundet. Dem Zusammenwirken dieser privaten Vereinigung mit der durch ALTHOFF vertretenen preussischen Unterrichtsverwaltung verdankt Gottingen den Ausbau seiner mathematischen und physikalischen Einrichtungen. Es wurde namlich das Prinzip verfolgt, dass die Vereinigung die Gebaude und die ausseren Einrichtungen aus ihren Mitteln beschaffte unter der Voraussetzung, class der Staat fur das entsprechende Fach eine ordentliche Professur einrichtete.

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So sind das Institut fiir angewandte Mathematik, das Institut fiir angewandte Mechanik, das spater auch seine Tatigkeit auf Hydrodynamik und Aerodynamik ausdehnte, das Institut fiir angewandte Elektrizitat und das Institut fiir Geo­physik entstanden, und die entsprechenden Professuren bewilligt worden. Aus fiinf ordendichen Professuren fiir Mathematik und Physik wurden im Laufe der Jahre zehn."

1m Zusammenhang mit MINKOWSKIS Berufung nach Gottingen moge der Leser die interessante Darstellung bei CONSTANCE REID, S. 89-90, zur Kenntnis neh­men, die in der englischen Fassung des folgenden Passus' in HILBERTS Gedenk­rede auf MINKOWSKI gipfelt:

»Da war es wiederum ALTHOFF, der MINKOWSKI auf den fiir seine Wirksam­keit angemessensten Boden verpflanzte; mit einer Kiihnheit, wie sie vielleicht in der Geschichte der Verwaltung der Preussischen Universitaten beispiellos dasteht, schuf ALTHOFF aus nichts hier in Gottingen eine neue ordendiche Professur, und dieser Tat ALTHOFFS danken wir es, daB seit Herbst 1902 MINKOWSKI der unsrige gewesen ist."

ALTHOFFS Leistung war einmalig, sein System zerfiel bereits unter den Han­den des Ministers, der den Abgang ALTHOFFS als Bedingung seines Kommens nach Berlin gestellt haben solI. Durch eine voreilige schrifdiche Zusage sich ge­bunden fiihlend, vollzog er die Ernennung des Nationalokonomen Professor BERNHARD nach Berlin, urn ihn fiir PreuBen zu erhalten, ohne die Fakultat iiber­haupt zu befragen. Die Remonstration der Ordinarien (SCHMOLLER, WAGNER und SERING) fiihrte zum ,Falle BERNHARD'. Nachdem der Minister das Vermitt­lungsangebot ALTHOFFS abgelehnt hatte, konnte dank des Entgegenkommens SCHMOLLERS und taktvollen Verhaltens BERNHARDS ein Ausweg gefunden werden.

Der Fall BERNHARD trug zur Entstehung der Hochschullehrerbewegung bei. ALTHOFF, bereits im Ruhestande, sagte zu LUJo BRENTANO: »Wenn ich noch im Amte ware, wiirde ich sofort Mitglied des Hochschullehrertages werden."

Ohne Zweifel wiirde ALTHOFF, wenn er heute leben wiirde, auch unter den geanderten gesellschafdichen Bedingungen von Bundesdeutschland Mittel und Wege gefunden haben, seine iiberlegene Einsicht, Aufbaufreudigkeit und selbst­lose Giite zum Segen des Ganzen wirksam werden zu lassen.

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