geschichte der lateinischen sprache () || kap. iv. das klassische latein

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Kapitel IY. Das klassische Latein 1. Die Entwicklung der Literatursprache* a) Die Prosa 133. In der klassischen Schriftsprache setzt sich die Linie fort, die mit dem Auftreten der römischen Litera- tur überhaupt begonnen hat: Der Sprachstil wird auf der einen Seite unter dem immer stärker werdenden Ein- fluß des Griechischen theoretisch und praktisch immer schärfer in feste grammatisch-stilistisch-metrische For- men eingespannt: „Der Klassizismus der römischen Li- teratur ist das Produkt ihrer innigen Verbindung mit der hellenischen. 1 ' 1 Damit entfernt sich die Hochsprache zugleich immer weiter von der Volkssprache. Auf der anderen Seite haftet der klassischen Sprache, deren eigentliche Vertreter M. Tullius Cicero (106—43 v. Chr.) und C. Iulius Caesar (100—44 v.Chr.) sind, ein ausge- sprochener Purismus an, der sich insbesondere in der Auswahl der Wörter betätigt. Nicht mit Unrecht hat man daher in alter 2 und neuer Zeit die Bestrebungen dieser klassischen Schriftsteller verglichen mit denen der Atti- zisten, die sich die Wiederherstellung der attischen Sprache in ihrer alten Reinheit zur Aufgabe gesetzt hatten, und an ihre Pedanterie erinnert das oft zitierte geflügelte Wort des großen Caesar, daß man ein neues und ungewöhnliches Wort wie eine Klippe meiden müsse 3 . •Literatur: E. Norden, Die antike Kunstprosa I, 5. Aufl. (Darmstadt 1958) S. 156—239; M. Haffter, Untersuchungen zur altlateinischen Dich- tersprache (Berlin 1934); W. Kroll, Glotta 22 (1934) S. 1—27; G. Devoto, Storia della Lingua di Roma (Bologna 1940) S. 105—144; M. Leumann, Die lateinische Dichtersprache, Museum Helveticum 4,(1947) S. 116—139 (= Kleine Schriften, Zürich 1959, S. 131—156); .T. Marouzeau, Quelques aspects de la formation du latin litteraire (Paris 1949); Traits de stylistique latine, 4. Aufl. (Paris 1962); V. Pisani, Storia della lingua latina (Torino 1962) Cap. VI, VII; Leumann-Hofmann-Szantyr, Lateinische Gram- matik II (München 1965) Stilistik. 1 Norden, Kunstprosa I S. 181. 2 Quintilian VI 3, 107. 3 Nach Gellius, Xoctes Atticae I 10, 4 ut Ictmquam scopulum sie fugias inauditum aut insolens verbum. Brought to you by | New York University Bobst Lib Authenticated Download Date | 12/8/14 1:26

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Page 1: Geschichte der lateinischen Sprache () || Kap. IV. Das klassische Latein

Kapitel IY. Das klassische Latein

1. Die Entwicklung der Literatursprache*

a) Die Prosa

133. In der klassischen Schriftsprache setzt sich die Linie fort, die mit dem Auftreten der römischen Litera-tur überhaupt begonnen ha t : Der Sprachstil wird auf der einen Seite unter dem immer stärker werdenden Ein-fluß des Griechischen theoretisch und praktisch immer schärfer in feste grammatisch-stilistisch-metrische For-men eingespannt: „Der Klassizismus der römischen Li-teratur ist das Produkt ihrer innigen Verbindung mit der hellenischen.1'1 Damit entfernt sich die Hochsprache zugleich immer weiter von der Volkssprache. Auf der anderen Seite haftet der klassischen Sprache, deren eigentliche Vertreter M. Tullius C i c e r o (106—43 v. Chr.) und C. Iulius C a e s a r (100—44 v.Chr.) sind, ein ausge-sprochener Purismus an, der sich insbesondere in der Auswahl der Wörter betätigt. Nicht mit Unrecht hat man daher in alter2 und neuer Zeit die Bestrebungen dieser klassischen Schriftsteller verglichen mit denen der Atti-zisten, die sich die Wiederherstellung der attischen Sprache in ihrer alten Reinheit zur Aufgabe gesetzt hatten, und an ihre Pedanterie erinnert das oft zitierte geflügelte Wort des großen Caesar, daß man ein neues und ungewöhnliches Wort wie eine Klippe meiden müsse3.

•Literatur: E. N o r d e n , Die antike Kunstprosa I, 5. Aufl. (Darmstadt 1958) S. 156—239; M. H a f f t e r , Untersuchungen zur altlateinischen Dich-tersprache (Berlin 1934); W. K r o l l , Glotta 22 (1934) S. 1—27; G. D e v o t o , Storia della Lingua di Roma (Bologna 1940) S. 105—144; M. L e u m a n n , Die lateinische Dichtersprache, Museum Helveticum 4,(1947) S. 116—139 ( = Kleine Schriften, Zürich 1959, S. 131—156); .T. M a r o u z e a u , Quelques aspects de la formation du latin litteraire (Paris 1949); Traits de stylistique latine, 4. Aufl. (Paris 1962); V. P i s a n i , Storia della lingua latina (Torino 1962) Cap. VI, VII; L e u m a n n - H o f m a n n - S z a n t y r , Lateinische Gram-matik II (München 1965) Stilistik.

1 N o r d e n , Kunstprosa I S. 181. 2 Q u i n t i l i a n VI 3, 107. 3 Nach G e l l i u s , Xoctes Atticae I 10, 4 ut Ictmquam scopulum sie fugias

inauditum aut insolens verbum.

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Page 2: Geschichte der lateinischen Sprache () || Kap. IV. Das klassische Latein

94 IV. Das klassische Latein

Peinlich abgezirkeltes Ebenmaß in Wortfügung und Satzbau (concinnitäs) und kunstmäßig gegliederter Rhythmus, besonders in den Satzschlußformeln, sind neben der gewissenhaften Wahl der Wörter die zwei her-vorstechenden Eigenschaften des ciceronianischen La-tein, des Gipfelpunkts der lateinischen Kunstprosa.

134. Dieses Ideal griff auch auf die Umgangssprache4

der gebildeten Stadtrömer über; in dieser dürfen wir wohl die von verschiedenen Schriftstellern gerühmte ur-bänitäs erkennen, von der Quintilian5 sagt, man bezeich-ne damit die Redeweise, die in der Wahl der Wörter, im Ton und im Sprachgebrauch den eigentümlichen Ge-schmack der Hauptstadt und die aus der Unterhaltung der Gebildeten (doctörum) entnommene, insgeheim wal-tende Schulung bevorzuge, und ihr Gegensatz sei die rüsticitäs. Latlnitäs dagegen ist nach der etwas weither-zigen Definition Varros6 incorrupte loquendi observatio secundum, Romanam linguam „die Beobachtung richtiger Sprechweise nach der Sprache von Rom", oder nach der Schrif t ad Herennium1: quae sermonem purum conservat, ab omni vitio remotum „die die Sprache rein erhält, frei von jeglichem Fehler", wobei unter vitium sowohl So-l o e z i s m e n (syntaktisch fehlerhafte Verbindungen von Wörtern) als auch B a r b a r i s m e n ( z . B . peres statt pedes) verstanden werden.

135. Aber nicht alle Prosaiker dieser Periode richten sich nach den puristischen Idealen. Der Geschichtsschrei-ber C. S a l l u s t i u s Crispus (86—34 v. Chr.) sieht sein Vorbild in der Vergangenheit, in Cato (s. § 98), den er in den His tor ien Romani generis disertissimus" nann te , u n d in absichtlicher Zerstörung der concinnitäs (§ 133). T. L i v i u s (59 v. Chr. bis 17 n. Chr.) leitet im Stil seines

4 J. B. H o f m a n n , Lateinische Umgangssprache. 3. Aufl. Heidelberg 1951.

' Instit. orat. VI 3, 17; vgl. ebendort 107. • Varro , De lingua Latina edd. G. G o e t z e t Fr. S c h o e l l (Leipzig 1910)

S. 229 Zeile 15; F u n a i o l i . Grammaticae Romanae fragmenta 1 S. 289. ' IV § 17. 8 Sallust fragm. I 4 Maurenbrecher.

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lb . Die Poesie 95

geschichtlichen Riesenwerks schon in die 'silberne' Lati-nität (§ 143) hinüber. Abseits von der anspruchsvollen hohen Literatur steht die Schrift des V i t r u v i u s Pollio De architectürä (geschrieben um 25 v. Chr.); als Fach-schrift befleißigt sie sich eines einfachen und schlichten Stils und nähert sich damit der Volkssprache9. Von der Schrift V a r r o s De linguä Latinä (§ 9) sagt Ed. N o r d e n , „daß dies größte Werk über die lateinische Sprache in dem schlechtesten lateinischen Stil geschrieben ist, den irgendein Prosawerk zeigt" (Kunstprosa I 195).

b) Die Poesie

136. Mit Cicero und Caesar dürfen die D i c h t e r dieser Zeit nicht auf eine Linie gestellt werden. Ist ja doch die strenge Scheidung der prosaischen und poetischen Aus-drucks- und Redeweise eine hervorragende Eigentüm-lichkeit dieses Zeitalters der 'goldenen' Latinität. Aber in der Bemühung um die Hebung der Sprache aus dem Zustand volkstümlicher Unbekümmertheit gehen die Dichter mit den Prosaikern Hand in Hand. So schon Terenz und Ennius (§131) und noch T. L u c r e t i u s Carus (etwa 98—55 v. Chr.), ein großer Dichter, der aber ein Opfer seines spröden naturphilosophisch-materialisti-schen Stoffs wurde10, seufzt wiederholt über die patrii sermonis egestas (1832; I I I 260). Aber sie ebneten V e r g i l den Weg. P. Vergilius Maro (70—19 v. Chr.) war für die nationalen Grammatiker der Höhepunkt poetischen Schaffens, und er hat in der Tat eine poetische Sprache geschaffen, die für die lateinische Dichtkunst der ganzen Folgezeit maßgebend geworden ist. Er ist der auf den Schultern des Ennius stehende Schöpfer einer einheit-lichen Dichtersprache geworden, die auch für die pro-

9 Dieser gehört auch der genitivus comparationis an; '/,. B. superiora inferiorum fieri contractiora V I, 3 (S. 96, 19 Krohn). Fr. Marx , Neue Jahrb. f. d. klass. Alt. 23 (1909) S. 447.

10 De rerum nätürä = Περί φύσεως „Über das Werden und Wesen der Welt".

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Page 4: Geschichte der lateinischen Sprache () || Kap. IV. Das klassische Latein

96 IV. Das klassische Latein

saische Sprache der folgenden Periode wesentliche Be-deutung erlangt ha t . „Hier (in den Georgica und in der Äneis) verschmilzt alles zu schöner Einheit , der lateini-sche Sprachstoff mi t den ihm innewohnenden Eigen-schaften der K r a f t und des Vollklangs, die griechische Kuns t in der Behandlung des sprachlichen Materials, die al tvaterische Einfachhei t und die moderne Gewandthei t im stilistischen Aufbau . Eine außerordentl ich geschickte Mischung von Alter tümlichem, kühnen Neuerungen und Gräzismen — das ist Vergils Sprache1 1 ."

137. Der hohen Kunstsprache des Epos gewissermaßen gegenüber s teht die römische Satire, die in Horaz einen ihrer Höhepunkte erreichte. Wie in den Dialogen der plautinischen Komödie finden sich hier Wörter , Formen und Konstrukt ionen, die Rückschlüsse auf die gesproche-ne Sprache und dami t zugleich auf die Sprachentwick-lung vom ältesten Latein bis zum Romanischen erlau-ben. Der lässige Ton, der auch derbe Kraf tausdrücke nicht scheut, wird s ichtbar ζ. B. im Dialog von sat . I 9, wo sich Horaz der Zudringlichkeit eines eitlen Menschen von niedriger Gesinnung zu erwehren hat , der durch den Dichter bei Maecenas empfohlen werden möchte. Auf Rechnung des leichten, an volkstümliche Redeweise an-klingenden Tons ist in dieser Satire die Verwendung des derben Ausdrucks vin tu curtis Judaeis oppedere ? und der Gebrauch des Deminutive auricula f ü r auris zu setzen (vgl. auch Catull 25, 2 imula oricilla); auch in der Rhetor ik ad C. Herennium12 erscheint unter den Belegen fü r das genus tenue oder attenuatum neben ecce tibi iste de traverso, id aetatis, dicere coepit auch oriculas, und be-kannt l ich ha t in diesem wie in andern Fällen das Roma-nische nur das Deminut ivum bewahrt (ital. orecchio, franz. oreille), das wegen seiner größern Lautfül le das un-ansehnlichere Grundwort verdrängt hat .

11 S k u t s c h . Die la t . Sprache, 3. Aufl., S. 542. » IV § 11. 14.

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2. Die G r a m m a t i k 97

2. Die Entwicklung der Grammatik

138. Von der grammatischen Tätigkeit V a r r o s war schon in § 9 die Rede. Die grammatische Schrift C a e s a r s De analogiä (vgl. § 9) ist uns leider nicht erhalten. Für die Geschichte der lateinischen Sprache von hervorra-gender Wichtigkeit war die lexikographische Tätigkeit des M . V e r r i u s F l a c c u s , des berühmtesten Lehrers der augusteischen Zeit. Von seinen auf Grammatik, Reli-gionswesen und Geschichte bezüglichen Werken hat sich nur ein Teil eines Auszugs der Schrift De verbörum signi-ficätü erhalten, den ein späterer Grammatiker Sextus Pompeius Fe st us , dessen Lebenszeit nicht mit Sicher-heit zu bestimmen ist, veranstaltet hat. Vom übrigen Teil dieses Auszugs besitzen wir nur einen weitern Aus-zug des Langobarden P a u l u s D i a c o n u s , der im 8. Jahrhundert lebte und die Geschichte der Langobarden schrieb. Das lexikalisch angelegte Werk hat unter an-derm auch zahlreiche auf älteres Sprachgut bezügliche Artikel, denen wir einen nicht unbedeutenden Teil unseres Wissens vom alten Latein verdanken, wenn auch die Überlieferung der Auszüge infolge mannigfacher ungün-stiger Umstände zum Teil ziemlich trostlos ist, so daß eine sichere Herstellung des Textes häufig nicht möglich ist. Wes Geistes Kind der Epitomator Pompeius Festus war, erhellt aus seinen eigenen Worten: cuius (sc. Verrii) opinionem neque in hoc neque in aliis compluribus refutare minime necesse est, cum propositum habeam ex tantu libro-rum eins numero intermortua iarn et sepulta verba atque ipso saepe confitente nullius usus aut auctoritatis praeterire et reliqua quam brevissime redigere in libros admodum paucos (S. 218,1 O. Müller = S. 242,28 Lindsay). Glück-licherweise ist trotz diesem Programm gar manches alter-tümliche, damals schon ausgestorbene Wort stehenge-blieben.

7 Stolz-Debrumier, Geschichte

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98 IV. Das klassische Latein

3. Proben aus Inschriften

139. Wie sich in der klassischen Periode das gleiche Streben nach Festigung der Sprache ausprägt, das sollen einige Proben aus Inschriften zeigen. An erster Stelle legen wir den Anfang und einen späteren Absatz des uns erhaltenen Stücks der sogenannten Lex Iulia municipa-lis vom J . 45 v. Chr. vor (CILI2, 2, Nr. 593; Dessau Nr. 6085):

Quem h. 1.1S ad cos.14 profiterei oportebit, sei is, quom eum profiterei oportebit, Romae non erit, tum quei eius negotia curabit, is eadem omnia, quae eum, quoius negotia curabit, sei Romae esset, h. l.lb profiterei oportebit16, item isdemque diebus ad cos.11 profitemino (Zeile 1—3).

In wörtlicher Übersetzung: „Wer nach diesem Gesetz verpflichtet ist, beim Kon-

sul Angaben zu machen, wenn er, wann er die Angaben wird machen müssen, nicht in Rom sein wird, dann soll, wer seine Geschäfte führen wird, dieser alles das gleiche, was der, dessen Geschäfte er führen wird, wenn er in Rom wäre, nach diesem Gesetz angeben müßte, ebenso und an denselben Tagen vor dem Konsul angeben."

Quae via inter aedem sacram et aedificium locum ve pu-blicum et inter aedificium privatum est erit, eius viae partem dimidiam is aed.is, quoi ea pars urbis ob venerit, inqua parte ea aedis sacra erit seive aedificium publicum seive locus publicus, tuemdam19 locato. (Zeile 29—31; Wortab-trennung nach der Inschrift.)

„Welcher Weg zwischen einem Tempel und einem öffentlichen Gebäude oder Platz und zwischen einem Privathaus ist, sein wird, von diesem Weg soll die Hälfte

13 Jiac lege. 14 consulem. 16 kac lege. Je Zu verbessern in oporteret. 17 consulem. le = aedilis (Polizeibeamter). " = tuendam. So wird auf der Inschrif t auch damdum damdam quamtus

geschrieben.

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3. Proben aus Inschr i f ten 99

derjenige Aedil, dem dieser Teil der Stadt zugefallen sein wird, in welchem Teil dieser Tempel sein wird oder das öffentliche Gebäude oder der öffentliche Platz, zum Un-terhalten verdingen.'4

140. Die Sprache dieser beiden Stücke ist zwar noch im al thergebrachten, umständlichen Gesetzesstil der Römer befangen, unterscheidet sich aber rein grammatisch nur in ganz wenigen Punk ten von der Sprache der klassischen Prosa : Die Schreibungen profiterei sei quei f ü r profiterl si qui haben nur graphische Bedeutung; quoius quoi sind die da-mals auch in der Li te ra tur noch üblichen Formen, erst seit Beginn unsrer Zeitrechnung t re ten da fü r cuius cui ein. Die 3. Sing. Imp . auf -minö (profiteminö) ist inschriftl ich und handschrif t l ich bezeugt, so auch in äl teren Inschr i f ten an-testamino,fruimino. Beachtenswert ist in dieser Lex noch die veral te te Schreibweise foidere fü r foedere. Dialektisch beein-flußt sind die Formen sinatus, cinsum f ü r senätus, censum.

141. Aus dem Jahre 17 v. Chr. besitzen wir ein in-schriftliches Protokoll20 über die in diesem Jahr auf Ge-heiß des Augustus begangene fünfte Jahrhundertfeier, zu der Horaz21 das uns noch erhaltene Festgedicht ver-faßt hat.

I n dem leider nur lückenhaft erhaltenen Text fä l l t , abge-sehen von den in al ten formelhaf ten Wendungen vorkom-menden Formen siet, loedi für sit, lüdi, nur die gelegentliche Schreibung -eis im Dat iv-Ablat iv des Plurals fü r das ge-wöhnliche -ls auf ; von andern kleineren Abweichungen von der gewöhnlichen, auch durch die Schriftsteller dieser Zeit uns überlieferten Schreibweise kann an dieser Stelle abge-sehen werden.

142. Endlich sei noch auf den Tatenberieht des Kai-sers Augustus (Res gestae Divi Augusti), das söge nannte Monumentum Ancyranum22 hingewiesen; ,,das Erschei-

" CIL VI Nr. 32323: D e s s a u Nr. 5050. 31 Z. 149 steht ausdrücklich: Carmen composuit Q. Horatius Flaccus von

dem Gesang, den ein aus Knaben und Mädchen gemischter Chor auf dem Kapi to l vortrug.

" S. jetzt die Ausgaben von H. V o l k m a n n , Berlin 1957 (Kleine Texte hrsgeg. von H. Lietzmann Xr. 29/30); J. Gag(5 (Paris 1935, 2. Aufl. 1950); S. R i c c o b o n o . X. F e s t a u. aa. (Rom 1946); II. V o l k m a n n , Bursians Jahresb. 276 (1942, kritische Ausgabe) und 279 (1942, S. 1—94; Biblio-g r a p h i e f ü r 1914—1941).

7 *

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100 IV. Das klassische Latein

nen des Tatenberichts in einem solchen Zusammenhan-ge" — nämlich mit eingehenden Bestimmungen für eine feierliche Bestattung, einem bürgerlichen Testament, einem geschäftlichen Rechenschaftsbericht über den Be-stand der Kassen und Truppen — „sagt uns direkt, daß es mit zu den letzten Willensäußerungen des Herrschers gehörte, die Züge seines Bildes festzulegen, wie sie im Andenken der Nachwelt lebendig bleiben sollten"23. Aus diesem wichtigen Denkmal, das gerade in den Abschluß dieser Periode der sogenannten goldenen Latinität fällt, seien ein paar Proben gegeben; dabei ist die Wiedergabe der Apices (' zur Bezeichnung der Länge der Vokale) so-wie die ausdrückliche Kenntlichmachung von selbstver-ständlichen Ergänzungen einzelner Buchstaben und Sil-ben unterlassen. Der Anfang (nach dem Titelsatz) lautet:

Annos undeviginti natus exercitum privato consilio et privata impensa comparavi, per quem rem publicam do-minatione factionis oppressam in libertatem vindicavi.

2. 46; 3, 1 ff.: Filios meos, quos iuvenes mihi eripuit for-tuna, Gaium et Lucium Caesares, honoris mei caussa21

senatus populusque Romanus annum quintum et decimum agentis25 consules designavit, ut eum magistratum inirent post quinquennium. Et ex eo die, quo deducti sunt in forum, ut Interessent consiliis publicis decrevit senatus. Equites autem Romani unwersi principem iuventutis utrumque eorum parmis et hastis argenteis donaturn appellaverunt.

4, 12fF.: Forum Iulium et basilicam, quae fuit inter ae-dem Castoris et aedem Saturni, coepta profligataque opera a patre meo perfeci et eandem basilicam consumptam incen-dio ampliato eius solo sub titulo nominis filiorum meorum incohavi et, si vivus non perfecissem, perfici ab heredibus meis iussi.

" G. Misch, Geschichte der Autobiographie 11, 3. Aufl. (Frankfurt/M. 1949) S. 285. Die Res gestae des Augustus werden dort S. 284—298 einer eingehenden Würdigung unterzogen.

! · Die Schreibung mit ss ist die ursprüngliche, hier erhaltene Lautung (s. S to lz -Leumann, Lat. Gramm., 5. Aufl. S. 142).

" Akk. Plur., gebildet nach dem Muster der i-Stämme, vgl. agenti-um; gewöhnlich ögentes.

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Page 9: Geschichte der lateinischen Sprache () || Kap. IV. Das klassische Latein

1. Die sprachl.-stil. Strömungen in der Literatur 101

5, 14ff.: Classis mea per Oceanum28 ab ostio Rheni ad solis orientis regionem usque ad fines CimbrorumF naviga-vit, quo neque terra neque mari quisquam Romanus ante id tempus adit2S, Cimbrique et Chary des et Semnones et eius-dem traetus alii Germanorum populi per legates amicitiam meam et populi Romani petierunt2*.

Ein Blick auf diese Proben der umfangreichen In-schrift erweist, abgesehen von dem bescheidenen Zurück-treten des kunstmäßigen Periodenbaus, der der Litera-tursprache in so hervorragendem Maß eigen ist, in der Einfachheit der monumentalen Diktion aber keinen Platz finden konnte, im übrigen die völlige Übereinstim-mung ihrer Sprache und Ausdrucksweise mit derjenigen der Schriftsteller jener Epoche.

Kapitel V. Das nachklassische Latein

1. Die sprachlich-stilistischen Strömungen in der Literatur

143. Das l i t e r a r i s c h e Latein dieser Periode ist noch viel mehr als das der klassischen Zeit von rhetorisch-stilistischen Motiven bestimmt; wir können uns daher hier begnügen mit dem Hinweis auf die leitenden Ge-sichtspunkte, auf die stilistischen Eigentümlichkeiten und Besonderheiten, die ja so recht die Individualität der Sprache einer Persönlichkeit, einer Zeitströmung, einer Literaturperiode oder -gattung ausmachen. Gerade der Individualismus ist es, der besonders das Schrift -stellertum der nachklassischen Periode der römischen Literatur charakterisiert. Man könnte es auch Haschen nach Originalität nennen, wie es insbesondere bei P. Cor-

8e Hier ist ergänzt Cla[ssis mea per Oceanum], nach dem griechischen Paralleltext mit Sicherheit.

87 Ergänzt ist filnes Cimbroru\m. = adiit (Perfekt), daher steht auf der Inschrift adit (mit dem Apex).

•· Auf diesen Eroberungszug ist angespielt in des Tacitus Germania c. 1: 'nuper cognitis quibusdam gentibus ac regibus, quos bellum aperuit'

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