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Seit vielen Jahren bereisen Markus und Annette Stenger den Mittelmeerraum und studieren antike Architektur im Original. Die dabei entstandenen Fotos, Skizzen und Texte werden mitunter zu Publikationen aufbereitet werden.

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Im Rücken die Steilküste des europäischen Festlands. Davor die

Wellen des Marmarameeres. Bewegt, rau und vor dem scharfen

Nordostwind fliehend. Dort, wo die Wellen an Land treffen, an flachen,

schmalen, sichelförmig hingeworfenen Kiessandstränden, wölben sie

sich mit letzter Kraft und sehen absterbend die Geburt von Architektur.

Spinnenbeine, schmale Planken, die einander stabilisierend ausgelegt

sind und hoch über dem Wasser ins Nichts führen. Ein Weg, vom

Sand her ansteigend. Darauf, daran, ein Verschlag, ein nahezu

idealer Würfel. Der Archetypus einer Behausung: Fenster, Tür, flach

geneigtes Dach aus Holz, ohne Fundament, unverwachsen, fast wie

in Bewegung, selbst wandernd. Die Wellen verstärken diese Illusion.

Ein Ort ist entstanden, an dem die Zeit stehenbleibt. Ein elementarer

Ort. Berge, Wasser, Haus. Und etwas Sehnsüchtiges in allem.

Markus Stenger

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Am Nordufer des Marmarameers, zwischen Dardanellen und der großen Stadt am

Bosporus, in der Gegend des türkischen Ortes Gaziköy, wirkt es, als seien Land

und Meer kunstvoll verklammert.

Eigenartige Holzkonstruktionen legen sich dort in regelmäßigen Abständen zu-

einander auf die Nahtstelle zweier Lebensräume. Fragil, fast temporär wirken sie.

Ihr Sinn erschließt sich für den Fremden nicht sofort.

Die verwendeten Materialien sind einfach, die Bauteile grob bearbeitet, nur we-

nige Werkzeuge zur Errichtung nötig. Dürre Pfosten, im Meeresboden so gut es

geht verankert, ragen weit aus dem Wasser, tragen hintereinandergelegte Planken,

Bohlen, die sich nur wenig überlappen. Ein fußbreiter Steg, der auf dem Kiesufer

aufliegt und ansteigend über das Wasser führt. Auf dem schwankenden Pfad be-

findet sich eine einfache hölzerne Schutzhütte. Eine Kiste, die über dem Wasser

zu schweben scheint. Mehrere Dutzend dieser feingliedrigen Stege passiert man

entlang der Küstenstraße Mürefte–Barbaros Yolu, bevor diese vom Meer wegführt

und sich die Hügel hinaufwindet.

Die Suche nach dem Zweck dieser Bauten ist eine langsame Annäherung: Dass

es sich nicht um Bootsstege handeln kann, erschließt sich aus der großen Dis-

tanz zum Wasser, ihrem Abstand zueinander, der fehlenden Stabilität – und dem

Fehlen von Booten. Für den Angler scheinen sie auf den ersten Blick geeignet

und doch sind wichtige Vorkehrungen etwa zur Befestigung der Rute schlichtweg

nicht vorhanden. Zudem ist der Steg zu schmal und für stundenlanges Aushar-

ren nicht geeignet. Das Luftbild schließlich gibt Aufschluss. Wirken die Stege auf

Augenhöhe durch ihr Ansteigen und die schrägen Pflöcke zerbrechlich, schief und

ohne Plan, offenbart sich von oben eine klare Geometrie. Schnurgerade führen

sie vom Ufer weg, um im letzten Drittel etwa 45 Grad entgegen der Strömungs-

richtung nach Norden abzuknicken. Die kleine Holzkiste markiert das Ende des

ersten Wegdrittels. Von hier aus führt meist ein weiterer kleiner Steg 90 Grad nach

Norden. Wie eine offene Hand spannt sich die Konstruktion somit auf. Darin wird

das in der Hütte gelagerte Netz eingehängt.

Epoche für ‘Zeit-abschnitt‘, Mlat.

epocha, griech. epoché (εποχή), fester Zeit-

punkt, nach dem die Zeit berechnet wird‘,

eigentlich ‘An-, Zu-rückhalten, Hemmung, Unterbrechung, Halte-,

Fixpunkt‘, zu griech. epéchein ‘auf etwas

zuhalten, innehalten, verweilen‘, wird im

18.Jh. ins Deutsche entlehnt (...). Das

Substantiv Epoche bezeichnet jedoch im Dt. wie im modernen Frz. (im Unterschied

zu Griech. und Mlat.) den ‘Zeitraum bedeu-

tender historischer Ereignisse‘. (...)

- Wolfgang Pfeifer (Hg.): Etymologisches Wörterbuch des Deut-schen. München: dtv,

2003, S. 291

- Abb. 1, 2

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- Hans-Günter Buch-holz, Gerhard Jöhrens, Irmgard Maull: Jagd und Fischfang. Band II, Lieferung J, in: Archaeologia Home-rica, Göttingen: Van-denhoeck & Ruprecht, 1973, S. J 175

Die an dieser Stelle von Nord nach Süd laufende salzarme Oberflächenströmung

des Marmarameers führt die Küstenfische unweigerlich in das Netz, das nur von

Zeit zu Zeit am Nordende über ein durch Schlaufen laufendes Seil in die Höhe

gezogen werden muss. Der Steg dient zum Erreichen der Befestigungspunkte, zur

Wartung und zum Einholen des Fangs.

Küstenfischerei, mit den einfachsten und primitivsten konstruktiven Methoden um-

gesetzt. Stab, Planke und Kiste oder geometrisch ausgedrückt: Punkt, Linie und

Volumen mit einem Fischernetz als Fläche. In der Mitte dieser Kiste, der schützen-

den Hütte, verborgen wie die Spinne im Netz, wartet der Fischer.

Der Ursprung dieser Konstruktionen liegt weit zurück. In byzantinischer Zeit, im

9. Jahrhundert, war es nötig geworden, erste Gesetze zu ihrer Errichtung und

Nutzung zu erlassen. Offenbar hatte es Streitigkeiten gegeben. Einfache Beob-

achtungsposten für Fischer wurden damals im Bereich der Küsten in gesetzlich

festgelegtem Abstand von 356 Klaftern – das entspricht etwa 640 Metern – auf-

gestellt. Der in dem hölzernen Hüttchen sitzende Wächter hatte sicherzustellen,

dass die Fischer, die den einzelnen Abschnitten zugeordnet waren, mit ihren

Booten die unsichtbaren Grenzen nicht überschritten oder gar den Bereich des

Nachbarn abfischten. Diese Beobachtungsposten, gebaute Markierungen von

Raumabschnitten, wurden als epoché, griechisch εποχή, bezeichnet, ein Begriff,

der heute in dem Substantiv Epoche zur Beschreibung eines definierten Zeitab-

schnitts geläufig ist.

Analogien drängen sich auf, Erinnerungen an fast baugleiche Schutzhütten: der

Hochstand des Jägers, im Volksmund auch despektierlich Totmacherkiste genannt,

weit entfernt, in anderen Regionen Europas. Auch dort sind die teils offenen, teils

geschlossenen jagdlichen Ansitzeinrichtungen auf dürren Pfählen an der Grenze

zweier Lebensräume errichtet. Zwischen dem dichten Wald und der offenen Lich-

tung oder Wiese.

Menschengemachtes hier wie dort an der Schwelle zweier Naturräume. Eine

Manifestation der Vereinnahmung des gemeinsam mit den Tieren genutzten

- Erich Trapp: Die gesetzlichen Bestim-mungen über die Er-richtung einer εποχή. in: Byzantinische Forschungen. Interna-tionale Zeitschrift für Byzantinistik, Bd. 1, Amsterdam: Verlag Adolf M. Hakkert, 1966, S. 329

- Abb. 3, 4

- Abb. 5, 6, 7

- Gerold Wandel: Reviereinrichtungen selbst bauen. Für Hege, Jagd und Natur-schutz. München: BLB Verlag, 2015, S. 188

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- Abb. 1, 2Am Übergang von

Land zu Meer: epoché für die Küstenfischerei

- Abb. 3, 4 Jägerhochsitz an der Grenze von Wald und

Wiese

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Lebensraums. Auch wenn der Eingriff klein und punktuell bleibt, er realisiert sich

kraftvoll als gebauter Unterschied zwischen Zivilisation und Natur, zwischen

Mensch und Tier.

Originäres Prinzip der Architektur ist der Schutz vor äußeren Einflüssen. Die Hütte

für den Jäger und Fischer ist ein Konzentrat dieses architektonischen Prinzips. Sie

schützt vor der Witterung und bewahrt den Jäger davor, von der Beute erkannt

zu werden. Die Architektur der jagdlichen Schutzhütte steht am Beginn der Zivili-

sation. Sie war das Resultat, womöglich sogar der Anlass des Sesshaftwerdens.

Aus der nomadischen Begleitung der wandernden Tierherde wurde die ortsstäm-

mige Jagd, anstelle der Jagd auf Fischschwärme in Booten wurde Küstenfischerei

betrieben.

So wie der Jäger die stets gleichen Wildwege beobachtet und bejagt hatte, ver-

traute der Fischer auf die stetige Strömung, die ihm die Küstenfische ins Netz

führte. Die schützende Funktion der Fischerhütte und des Hochsitzes festigt, ja

ermöglicht erst die regelmäßige Wiederkehr. Jäger und Fischer markieren den Ort

dieser Wiederkehr erst dadurch, dass sie ihn bauen.

- Klaus Maylein: Die Jagd – Bedeutung und Ziele. Von den Treib-jagden der Steinzeit bis ins 21.Jahrhundert. Marburg: Tectum – Verlag, 2010, S. 285 ff.

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- Abb. 5, 6, 7 Jägerhochsitz im ober-bayerischen Feuerreit

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IMPRESSUM 20 EUR (D)

Fotografien S. 01 – 26: Annette Stenger Fotografien S. 32 – 33: Julia BrandesTexte, Skizzen: Markus StengerKonzept: Julia Brandes, Svenja Dahm, Markus StengerGestaltung, Karte: Julia BrandesLektorat: Karoline Mueller–Stahl S2LAB Denkraum für Architektur Schulstraße 35 80634 Münchenwww.s2lab.de

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Alle Rechte vorbehalten. Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autoren un-zulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

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M a r m a r a m e e r

Istanbul

Gaziköy

S c h w a r z e s M e e r

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