einführung in das dzogchen

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  • 8/8/2019 Einfhrung in das Dzogchen

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    Einfhrung in das Dzogchen

    Dies ist die Druckversion von: http: / / www.berzinarchives.com / web / de / archives /

    advanced / dzogchen / basic_points / introduction_dzogchen.html

    Alexander Berzin

    September 1995, berarbeitet Mai 2002bersetzung ins Deutsche: Karin Behrendt und Wulf Niepold

    [Informationen zum Hintergrund siehe: Einfhrender Vergleich der fnf tibetischenTraditionen des Buddhismus und Bn {1} {4}.]

    Die Notwendigkeit des Dzogchen

    Dzogchen (tib. rdzogs-chen, die groe Vollkommenheit) ist ein fortgeschrittenes System derMahayana-Praxis, das zur Erleuchtung fhrt. Es ist in erster Linie in der Nyingma- und

    Bn-Tradition zu finden, erscheint als ergnzende Praxis aber auch in einigenKagy-Traditionen wie der Drugpa-, Drigung- und Karma-Kagy-Tradition. Lasst uns hierber Dzogchen sprechen, wie es in der Nyingma-Schule dargestellt wird.

    [Siehe: Kurze Geschichte des Dzogchen {2} {3}.]

    Um Erleuchtung zu erlangen, mssen wir zwei Arten von geistigen Schleiern endgltigbeseitigen: Die Schleier durch strende Emotionen und Einstellungen, die uns an derBefreiung (tib. nyon-sgrib) hindern, sowie die Schleier hinsichtlich allem, was manwahrnehmen kann, welche Allwissenheit (tib. shes-sgrib) verhindern. Diese Schleier bringen

    uns zum einen das Leid der sich unkontrollierbar wiederholenden Existenz (Skt. samsara) undmachen uns zum anderen unfhig, anderen auf bestmgliche Weise zu helfen. Sie sind jedochflchtig (tib. glo-bur) und verdecken lediglich die essentielle Natur (tib. ngo-bo) des Geistesund schrnken seine Funktion ein. In seiner Essenz ist der Geist (die geistige Aktivitt) vonNatur aus rein von allen flchtigen Makeln. Dies ist ein wichtiger Aspekt seiner Buddhanatur.

    Im Allgemeinen erfordert die Beseitigung beider Arten von Schleiern Bodhichitta (tib.byang-sems) nicht-konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit(tib. stong-nyid, Skt. shunyata) -das natrliche Nicht-Vorhandensein von flchtigen Makeln im Geist sowie von unhaltbarenExistenzweisen des Geistes (zum Beispiel von inhrenten Makeln befleckt zu sein).

    Bodhichitta bedeutet Geist und Herz, die auf Erleuchtung ausgerichtet sind, mit der Absicht,sie zu erlangen und dadurch allen Wesen auf bestmgliche Weise helfen zu knnen. DasBeseitigen der Schleier erfordert auch eine fr diese Beseitigung geeignete sehr hohe geistigeEbene (oder Stufe geistiger Aktivitt). Dzogchen-Praxis bringt uns auf diese Ebene.

    Sem und Rigpa

    Geistige Aktivitt findet auf zwei Ebenen statt, zum einen mit eingeschrnktem Gewahrsein(tib. sems) und zum anderen mit reinem Gewahrsein (tib. rig-pa). Da viele westliche Schlerbereits mit den tibetischen Begriffen vertraut sind, lasst sie uns benutzen, um die Diskussion

    zu erleichtern.

    Sem ist geistige Aktivitt, die durch flchtige Makel eingeschrnkt ist.

    Einfhrung in das Dzogchen 1

    http://www.berzinarchives.com/web/de/archives/advanced/dzogchen/basic_points/introduction_dzogchen.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/study/comparison_buddhist_traditions/tibetan_traditions/intro_compar_5_traditions_buddhism_bon.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/study/comparison_buddhist_traditions/tibetan_traditions/intro_compar_5_traditions_buddhism_bon.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/advanced/dzogchen/basic_points/brief_history_dzogchen.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/advanced/dzogchen/basic_points/brief_history_dzogchen.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/study/comparison_buddhist_traditions/tibetan_traditions/intro_compar_5_traditions_buddhism_bon.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/study/comparison_buddhist_traditions/tibetan_traditions/intro_compar_5_traditions_buddhism_bon.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/study/comparison_buddhist_traditions/tibetan_traditions/intro_compar_5_traditions_buddhism_bon.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/study/comparison_buddhist_traditions/tibetan_traditions/intro_compar_5_traditions_buddhism_bon.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/study/comparison_buddhist_traditions/tibetan_traditions/intro_compar_5_traditions_buddhism_bon.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/study/comparison_buddhist_traditions/tibetan_traditions/intro_compar_5_traditions_buddhism_bon.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/advanced/dzogchen/basic_points/introduction_dzogchen.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/advanced/dzogchen/basic_points/introduction_dzogchen.html
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    Rigpa ist geistige Aktivitt, die von allen flchtigen Makeln der Verschleierung freiist.

    Sem kann auf Konzepten beruhen oder nicht-konzeptuell sein und ist immer von Makelnbehaftet. Rigpa hingegen ist ausschlielich frei von Konzepten - und zwar auf reinere Weiseals nicht-konzeptuelles Sem - und ist nie von einer der beiden Arten von Schleiern befleckt.

    Da geistige Aktivitt, sei sie eingeschrnkt oder rein, von Natur aus frei mit flchtigen Makelnist, ist Rigpa der natrliche Zustand von Sem. Daher kann Rigpa, das in seiner essentiellenNatur frei von allen Makeln ist, als die Basis jedes Moments unserer Wahrnehmung erkanntwerden.

    Dzogchen ist also eine Methode der Praxis, die auf Bodhichitta und nicht-konzeptuellerWahrnehmung der Leerheit beruht und uns befhigt, Rigpa zu erkennen und fr immer aufdessen Ebene geistiger Aktivitt, frei von allen Schleiern, zu verbleiben. Rigpas ,groeVollstndigkeit' (dzogchen) aller zur Erleuchtung fhrenden Qualitten zum Wohl anderer trittauf diese Weisevollstndig in Funktion.

    Entsprechungen in Nicht-Dzogchen-Systemen

    Die Nicht-Dzogchen-Systeme der Gelug, Sakya und Kagy unterscheiden drei Ebenen desGeistes oder der geistigen Aktivitt:

    Grobe geistige Aktivitt ist Sinneswahrnehmung, die immer frei von Konzepten ist.1.Subtile geistige Aktivitt beinhaltet konzeptuelle wie nicht-konzeptuellegeistigeWahrnehmung.

    2.

    Die subtilste geistige Aktivitt, die ihnen allen zugrunde liegt, ist klares Licht (tib.

    'od-gsal), das ausschlielich nicht-konzeptuell ist; es ist jedoch subtiler als grobe odersubtile konzeptfreie Aktivitt.

    3.

    Sutra und die unteren Tantra-Klassen benutzen subtile geistige Aktivitt zur Wahrnehmungder Leerheit. Nur das Anuttarayoga-Tantra, die hchste Klasse des Tantra, gelangt zu derAktivitt des Geists des klaren Lichts und setzt diese dafr ein.

    In gleicher Weise benutzen Sutra und die unteren Tantra-Klassen im Nyingma-System Semfr die Erkenntnis der Leerheit. Nur Dzogchen hat Zugang zu Rigpa und setzt dieses fr dieWahrnehmung der Leerheit ein.

    Die Nicht-Dzogchen-Systeme erklren, dass sich der subtilste Geist des klaren Lichts imMoment des Todes manifestiert. Ein Faksimile dessen manifestiert sich fr einen Momentbeim Orgasmus, Einschlafen, in Ohnmacht Fallen, Niesen und Ghnen. Zu diesen Zeitpunktenhren die grberen Energiewinde (tib. rlung, Skt. prana), die die grobe und subtile geistigeAktivitt untersttzen, zeitweilig auf (sie lsen sich auf), wodurch sie diese beiden Ebenengeistiger Aktivitt vorbergehend unterbrechen und es der Ebene des klaren Lichtsermglichen, zum Einsatz zu kommen.

    Um eine stabile Kontrolle ber die Aktivitt des Geists des klaren Lichts zu erlangen, mssenwir diese Ebene jedoch in der Meditation erreichen. Dies gelingt uns mithilfe der Praktikender Vollstndigkeitsstufe (tib. rdzogs-rim) gelingen, in denen wir mit dem subtilenEnergiesystem arbeiten, um die Energiewinde aufzulsen. Als eine Ursache fr den Erfolg aufder Vollstndigkeitsstufe stellen wir uns den Auflsungsprozess auf der Erzeugungsstufe (tib.

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    Sem und Rigpa 2

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    bskyed-rim) vor, die den Stufen von Tod, Bardo und Wiedergeburt nachgebildet ist.

    Mit den Dzogchen-Methoden erkennen wir die subtilste geistige Aktivitt - in diesem FallRigpa - und haben Zugang zu ihr ohne die Energiewinde dafr auflsen zu mssen. Doch wieerkennen wir Rigpa?

    Definition des GeistesMit Geistist im Buddhismus geistige Aktivitt gemeint, nicht ein 'Etwas', mittels dessen dieseAktivitt geschieht, oder ein 'Werkzeug', dass ein 'Ich' benutzt, um diese Aktivittauszufhren. Die Definition des Geistes beschreibt die Aktivitt unter zwei Gesichtspunkten.Daher sind die beiden Aspekte, die beschrieben werden, Funktionen, die simultan ablaufen,nicht nacheinander:

    die geistige Aktivitt des Produzierens oder Hervorbringens (tib. 'char-ba) kognitiverErscheinungen (tib. snang-ba),

    1.

    die geistige Aktivitt sich mit kognitiven Erscheinungen wahrnehmend zu befassen(tib. 'jug-pa).

    2.

    Ersteres wird gewhnlich als Klarheit(tib. gsal) bersetzt, Letzteres als Gewahrsein (tib. rig).

    Der Begriffkognitive Erscheinungen bezieht sich nicht auf Dinge, die 'da drauen' erscheinenund die wir bemerken und wahrnehmen oder auch nicht. Es bezeichnet, wie Dinge ,dem Geist'erscheinen, wenn wir sie wahrnehmen. Auf gewisse Weise ist es wie ein geistigesHologramm. Bei nicht-konzeptueller Sinneswahrnehmung z.B. beim Sehen, erscheinenfarbige Formen, die lediglich geistige Reprsentationen (tib. snang-ba, geistiger Anschein)oder geistige Ableitungen (tib. gzugs-brnyan, geistige Widerspiegelung) von farbigen Formen

    sind. Bei konzeptueller Wahrnehmung erscheint eine geistige Reprsentation der Farben undFormen als ein Objekt, zum Beispiel als Hand. Eine Abfolge von geistigen Reprsentationeneiner Hand, die jede Sekunde einen Zentimeter weiter rechts abgebildet wird, erscheint alsBewegung. Mit anderen Worten, kognitive Erscheinungen existieren nur im Rahmen geistigerAktivitt. Sie mssen nicht klar oder deutlich sein.

    Darber hinaus bezieht sich der Begriffkognitive Erscheinungen nicht nur auf die Bilder, die'im Geist' erscheinen, wenn wir sichtbare Objekte mit unseren Augen wahrnehmen. Erbezeichnet auch kognitive Erscheinungen oder kognitives Entstehen (tib. shar-ba) vonKlngen, Gerchen, Geschmcken, krperlichen Empfindungen, Gedanken, Emotionen und

    so weiter. Zu guter Letzt ist es geistige Aktivitt, die eine Abfolge von erklingendenKonsonanten und Vokalen als Worte und Stze erscheinen lsst.

    Hier ist zu beachten, dass Redewendungen wie ,Dinge erscheinen dem Geist' oder 'im Geist'Ausdrucksweisen sind, die nur in der englischen (und deutschen) Sprache verwendet werdenund ein dualistisches Konzept wiedergeben, das vllig anders ist als das buddhistische Modelldes Geistes.

    Sich wahrnehmendmit kognitiven Erscheinungen befassen kann man auf unterschiedlicheArt, sei es, indem man s ie hrt, sieht oder fhlt, und es muss nicht bewusst oder mitVerstndnis geschehen. Es schliet auch ein, dass man etwas ignorieren oder darber verwirrtsein kann.

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    Entsprechungen in Nicht-Dzogchen-Systemen 3

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    Die Definition des Geistes fgt auch das Wort ausschlielich (tib. tsam) hinzu, was daraufhinweist, dass die geistige Aktivitt ohne ein konkretes 'Ich' geschieht, das sie in Gang setzt.Es impliziert auch, dass flchtige Makel nicht das bestimmende Charakteristikum dieserAktivitt sind. Die oberflchliche (tib. kun-rdzob, konventionelle) Natur der geistigenAktivitt bringt kognitive Erscheinungen lediglich hervor und befasst sich mit ihnen, ihretiefste (tib. don-dam, letztendliche) Natur ist ihre Leerheit.

    Zudem ist geistige Aktivitt individuell und subjektiv. Meine Wahrnehmung eines Bildes undmein Gefhl von Glck ist nicht das deine. Darber hinaus geht der Buddhismus nicht davonaus, dass es einen universellen Geist gibt, an dem wir alle teilhaben und der uns allenzugnglich ist oder mit dem unsere geistigen Kontinua (Geistesstrme) verschmelzen, wennwir Befreiung oder Erleuchtung erlangen. Selbst wenn sie Erleuchtung erlangen, behalten diegeistigen Kontinua der Buddhas ihre jeweilige Individualitt.

    Die Unterschiede zwischen Mahamudra und Dzogchen

    Ob es sich um die grobe oder subtile Ebene oder die subtilste Ebene des klaren Lichts handelt- die Natur der geistigen Aktivitt bleibt dieselbe. Die Praxis der Mahamudra (tib.

    phyag-chen, groes Siegel), die in den Kagy-, Sakya- und Gelug-/Kagy-Traditionen zufinden ist, konzentriert sich auf diese Natur. In den Kagy- und Gelug-/Kagy-Traditionengibt es sowohl Sutra- als auch Anuttarayoga-Tantra-Ebenen der Praxis, in der Sakya-Traditionhingegen nur die des Anuttarayoga-Tantra. Mit anderen Worten, Sakya-Mahamudrakonzentriert sich nur auf die Natur der Aktivitt des Geists des klaren Lichts, whrend dieanderen beiden Traditionen sich auch mit den anderen Ebenen geistiger Aktivitt befassen.

    Rigpa besitzt die gleiche Natur wie die drei Ebenen geistiger Aktivitt, von denen dienicht-Dzogchen-Schulen sprechen. Dzogchen-Praxis wird jedoch ausschlielich auf der

    hchsten Stufe des Tantra ausgefhrt und befasst sich nur mit der subtilsten Ebene geistigerAktivitt. Auerdem konzentriert sich das Dzogchen nicht nur auf die konventionelle undtiefste Natur des Rigpa, sondern auch auf seine vielfltigen Aspekte und Facetten.

    Die Unterschiede zwischen Rigpa und klarem Licht

    Zudem ist Rigpa dem klaren Licht nicht genau gleichzusetzen. Es ist eher ein Teilaspekt desklaren Lichts.

    Unterschiedliche Abstufungen von Unbeflecktheit

    Die geistige Ebene des klaren Lichts ist von Natur aus frei von grberen Ebenengeistiger Aktivitt, auf denen es zu konzeptueller Wahrnehmung und den flchtigenMakeln strender Emotionen und Einstellungen kommt. Vor der Erleuchtung ist dieAktivitt des Geists des klaren Lichts jedoch nicht frei von den Gewohnheiten desGreifens nach einer wahren Existenz, die ihm zugeschrieben oder als Bezeichnung ihmangeheftet wird. Wenn sich das klare Licht manifestiert, fhren diese Gewohnheiten

    jedoch nicht dazu, dass die Aktivitt des klaren Lichts abweichende (duale)Erscheinungen von wahrer Existenz (tib. gnyis-snang) hervorruft, noch hindern sie esan der gleichzeitigen Wahrnehmung der beiden Wahrheiten (Erscheinung und

    Leerheit), was der Fall ist, wenn grbere Ebenen des Geistes aktiv sind.

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    Definition des Geistes 4

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    Rigpa auf der anderen Seite ist sogar von den Gewohnheiten, nach einer wahrenExistenz zu greifen, frei. Es ist der vllig makellose natrliche Zustand des Geistes.

    Unterschied in Hinsicht auf Erkennbarkeit

    Aktivitt des Geists des klaren Lichts und Rigpa sind sich hnlich in dem Sinne, dass beibeiden, wenn sie in Aktion treten, die grberen Ebenen der geistigen Aktivitt nicht mit inAktion sind..

    Um Zugang zum Geist des klaren Lichts zu haben und ihn erkennen zu knnen, ist eserforderlich, die grberen Ebenen der geistigen Aktivitt aktiv zu unterbrechen, indemman die Energiewinde auflst, die diese Ebenen tragen.

    Rigpa kann ohne die Methode des aktiven Unterbrechens der grberen Ebenen dergeistigen Aktivitt und der Energiewinde erkannt werden. Sobald es erkannt underreicht ist, kommen die grberen Ebenen jedoch automatisch zum Erliegen.

    Unterschied in Hinsicht auf reflexives tiefes Gewahrsein

    Die nicht-Dzogchen-Systeme, insbesondere die Gelug-Tradition, unterscheidenobjekthaftes klares Licht (tib. yul) von wahrnehmendem klarem Licht (tib. yul-can,Subjekt). Objekthaftes klares Licht ist die tatschliche leere Natur (tib. chos-nyid) desklaren Lichts, whrend wahrnehmendes klares Licht die geistige Aktivitt des klarenLichts selbst ist, ein Phnomen, das objekthaftes klares Licht als seine Natur hat (tib.chos-can).

    Die geistige Aktivitt des klaren Lichts ist sich nicht unbedingt ihrer eigenen leeren Natur

    bewusst; dies gilt zum Beispiel fr den Geist des klaren Lichts, der im Moment einesgewhnlichen Todes erlebt wird. Selbst wenn der Gelug-Meister des fnfzehntenJahrhunderts, Kedrub Norzang-Gyatso (tib. mKhas-grub Nor-bzang rgya-mtsho), erklrt, dassdie Aktivitt des Geists des klaren Lichts auf natrliche Weise eine kognitive Erscheinungentstehen lsst, die jener in der nicht-konzeptuellen Wahrnehmung der Leerheit hnelt, gehtdamit dennoch nicht automatisch ein Verstndnis der Leerheit einher, so zum Beispiel imgewhnlichen Tod. Und selbst wenn reflexives tiefes Gewahrsein (tib. rang-rig ye-shes)seiner eigenen leeren Natur als eine natrliche Qualitt des klaren Lichts dargestellt wird, wiein den Sakya- und Kagy-Systemen, ist es dennoch nicht immer funktionsfhig - auch hierwieder wie im Falle eines gewhnlichen Todes. Daher zielt Anuttarayoga-Praxis darauf ab,

    kognitives klares Licht in der Meditation zu erlangen, das sich vollstndig seiner eigenenNatur, nmlich objekthaftes klares Licht zu sein, bewusst ist.

    Rigpa hingegen ist sich von sich aus seiner eigenen leeren Natur bewusst. Wenn wirZugang zu Rigpa haben, ist es sich automatisch vollstndig seiner eigenen Naturbewusst. Wie man im Dzogchen sagt, kennt es sein eigenes Angesicht (tib. rang-ngoshes-pa).

    Strahlendes und essentielles Rigpa

    Auf dem Pfad versuchen wir, zwei Arten von Rigpa zu erkennen: erstens das strahlende Rigpa(tib. rtsal-gyi rig-pa) und dann das essentielle Rigpa (tib. ngo-bo'i rig-pa), das ihm zugrundeliegt.

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    Unterschiedliche Abstufungen von Unbeflecktheit 5

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    Strahlendes Rigpa ist der Aspekt des Rigpa, der aktiv kognitive Erscheinungenentstehen lsst.

    1.

    Essentielles Rigpa ist der wahrnehmende offene Raum (tib. klong) oder diewahrnehmende Sphre (tib. dbyings), die kognitiven Erscheinungen zugrunde liegt undes ermglicht, diese aktiv zu produzieren und aktiv wahrzunehmen.

    2.

    Beides ist Rigpa, das heit, beides sind geistige Aktivitten: das natrlich reine, unbefleckte

    Gewahrsein von etwas.

    Die Beziehung zwischen kognitiven Erscheinungenund Rigpa

    Kognitive Erscheinungen sind das Spiel (tib. rol-pa, Entfaltung) des essentiellen Rigpa.Werden sie mit Sem wahrgenommen, scheinen sie auf eine andere Weise zu existieren, unddaher sind Erscheinungen trgerisch.

    Erscheinungen als Spiel einer Art von geistiger Aktivitt bedeutet hier nicht:

    dass Erscheinungen aufgrund des Karma entstehen, das vom Geist angesammeltwurde, oder dass sie lediglich als das existieren, was von Geist mit einer Bezeichnungversehen werden kann, wie die Gelug-Tradition den Ausdruck Spiel des Geistesbenutzt,

    dass alle Phnomene nur im Geist existieren, wie in der extremen Sichtweise desSolipsismus,

    dass die kognitive Erscheinung eines Tisches und das visuelle Bewusstsein dessenderselben ursprnglichen Quelle (tib. rdzas) entspringen - das heit, aus demselbenkarmischen Vermchtnis (tib. sa-bon, Same) - trotz der Tatsache, dass der Tischimmer noch aus Atomen besteht und wahre, nicht zugeschriebene Existenz besitzt (derTisch besteht nicht nur in der Imagination), wie im Chittamatra erklrt wird.

    Es bedeutet vielmehr, dass die kognitive Erscheinung des Tisches etwas ist, das Rigpa alsseine funktionelle Natur (tib. rang-bzhin) entstehen lsst. Mit anderen Worten, Rigpa bringtspontan (tib. lhun-grub) kognitive Erscheinungen hervor, und in diesem Sinne sind kognitiveErscheinungen ein Spiel des Geistes.

    Anders als in der Chittamatra-Erklrung hat der Tisch gem dem Dzogchen jedoch seineeigene ursprngliche Quelle - zum Beispiel das Holz und die Atome, aus denen er besteht.

    Darber hinaus fehlt dem Tisch jegliche wahre, nicht zugeschriebene Existenz (tib. bden-parma-grub-pa). Er existiert insofern als Tisch, als er gltig im Geist als Tisch bezeichnet werdenkann. Letztendlich entzieht sich seine Daseinsweise jedoch allen Worten und Konzepten, wiees im nicht-Gelug-Madhyamaka erklrt wird.

    Die Dzogchen-Darstellung der Erscheinungen als das Spiel des Geistes bedient sich hufig derChittamatra-Terminologie, wie zum Beispiel Alaya (tib. kun-gzhi, Basis fr alles) und 'achtArten von Bewusstsein'. Dzogchen erklrt deren Existenz jedoch nicht auf dieselbe Weise wiedas Chittamatra-System. Die Benutzung dieser Terminologie lsst sich auf die Tatsachezurckfhren, dass Shantarakshita und Kamalashila - zwei indische Meister der

    buddhistischen Logik, die zu den ersten gehrten, die in Tibet lehrten und die philosophischeSutra-Grundlage fr die Nyingma-Tradition legten - eine Form des Madhyamaka lehrten, dieC h i t t a m a t r a - B e g r i f f e b e n u t z t . D i e G e l u g - T r a d i t i o n n e n n t d i e s e F o r m d i e

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    Strahlendes und essentielles Rigpa 6

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    ,Yogachara-Svatantrika-Madhyamaka-Schule'.

    [Siehe: Kurze Geschichte des Dzogchen {2} {3}. Siehe auch: Einfhrung in die Geschichteder fnf tibetischen Traditionen des Buddhismus und Bn {1} {4}.]

    Leerheits-Meditation

    Die leere Natur des Rigpa ist seine essentielle Natur (tib. ngo-bo) und wird seineursprngliche Reinheit(tib. ka-dag) genannt.

    Verschiedene tibetische Traditionen des Dzogchen und Meister innerhalb dieser Traditionenhaben die ursprngliche Reinheit des Rigpa als Selbst-Leerheit (tib. rang-stong),Anderes-Leerheit (tib. gzhan-stong) oder beides erklrt.

    Longchenpa (tib. Klong-chen Rab-'byams-pa Dri-med 'od-zer) bezieht sichbeispielsweise nicht auf Anderes-Lehrheit.

    Fr die Position von Mipam (tib. 'Ju Mi-pham 'Jam-dbyangs rnam-rgyal rgya-mtsho),gibt es zwei Interpretationen, welche von zwei Flgeln seiner Schler stammen. Botrul(tib. Bod-sprul) and Kenpo Zhenga (mKhan-po gZhan-dga') stellen es so dar, dassMipam Selbst-Leerheit postuliert, whrend Zhechen Gyeltsab (tib. Zhe-chenrGyal-tshab Pad-ma rnam-rgyal) und Katog Situ (tib. Kah-thog Si-tu) es so darstellen,dass er Anderes-Leerheit postuliert. Die erste Gruppe befindet sich hauptschlich imDzogchen-Kloster (tib. rDzogs-chen dGon-pa), whrend die zweite sich hauptschlichim Zhechen Kloster (tib. Zhe-chen dGon-pa) befindet. Dies bedeutet jedoch nichtautomatisch, dass alle Meister in jedem dieser beiden Kloster die jeweiligeInterpretation teilt und die korrespondierende Sicht postuliert.

    berdies definierten sie Selbst- und Anderes-Leerheit auf unterschiedliche Weise. Wir wollenuns hier an die Definitionen der Nyingmas halten, die am meisten akzeptiert werden.

    Selbst-Leerheitist die Abwesenheit einer unhaltbaren Daseinsweise, wie ein Dasein als wahre,nicht zugeschriebene Existenz und darber hinaus einer Existenz, die dem entspricht, wasWorte und Konzepte implizieren.

    Anderes-Leerheit ist das Nicht-Vorhandensein aller grberen Ebenen geistiger Aktivitt undbefleckter Makel in Rigpa.

    Die Darstellung der ursprnglichen Reinheit als Selbst-Leerheit entspricht daher grob gesehender Darstellung des objekthaften klaren Lichts der Nicht-Dzogchen-Systeme. Die Darstellungder Anderes-Leerheit entspricht in groben Zgen dem wahrnehmenden klaren Licht. Ganzgleich, wie sie prsentiert wird und welche Terminologie benutzt wird, ist ursprnglicheReinheit sowohl selbst-leer als auch ander-leer..

    Meditation ber die ursprngliche Reinheit des Rigpa, ob sie nun als Anderes-Leerheitprsentiert wird oder nicht, bedarf einer direkten Ausrichtung auf Rigpa als einenwahrnehmenden Zustand, der leer von allen grberen Ebenen und allen flchtigen Makeln ist.Es ist sich von sich aus seiner eigenen ursprnglichen Reinheit bewusst.

    Aus diesem Grund erfordert Leerheits-Meditation im Dzogchen keine analytische Meditationber Selbst-Leerheit. Das gleiche gilt fr Nicht-Dzogchen-Meditation des klaren Lichts alsObjekt, fr die wir uns lediglich unser zuvor durch analytische Meditation gewonnenes

    Einfhrung in das Dzogchen

    Die Beziehung zwischen kognitiven Erscheinungenund Rigpa 7

    http://www.berzinarchives.com/web/de/archives/study/comparison_buddhist_traditions/tibetan_traditions/intro_compar_5_traditions_buddhism_bon.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/study/comparison_buddhist_traditions/tibetan_traditions/intro_compar_5_traditions_buddhism_bon.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/study/comparison_buddhist_traditions/tibetan_traditions/intro_compar_5_traditions_buddhism_bon.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/study/comparison_buddhist_traditions/tibetan_traditions/intro_compar_5_traditions_buddhism_bon.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/study/comparison_buddhist_traditions/tibetan_traditions/intro_compar_5_traditions_buddhism_bon.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/study/comparison_buddhist_traditions/tibetan_traditions/intro_compar_5_traditions_buddhism_bon.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/advanced/dzogchen/basic_points/brief_history_dzogchen.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/advanced/dzogchen/basic_points/brief_history_dzogchen.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/advanced/dzogchen/basic_points/brief_history_dzogchen.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/advanced/dzogchen/basic_points/brief_history_dzogchen.html
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    Verstndnis vor Augen fhren.

    Dzogchen-Meditation bedarf jedoch nicht einmal einer direkten Ausrichtung auf RigpasSelbst-Leerheit. Obgleich die Analyse der Selbst-Leerheit zum Training gehrt, das dieVoraussetzung ist, bevor man sich an der Dzogchen-Praxis versucht, wird die Selbst-Leerheitzum Zeitpunkt der Rigpa-Meditation nur indirekt verstanden. Wir konzentrieren uns indirektauf Selbst-Leerheit, wenn wir uns auf kognitive Erscheinungen als natrliches Spiel des Rigpa

    konzentrieren. Sind sie das natrliche Spiel des Rigpa, knnen sie nicht in der Weiseexistieren, wie Worte und Konzepte es implizieren. Worte und Konzepte unterstellen, dassDinge wahrhaft und unabhngig existieren, in festgelegten, konkreten Schubladen als 'dies'und 'das', aber diese Daseinsweise ist unhaltbar. So etwas gibt es nicht.

    Ripga ist vollkommen, mit allen guten Eigenschaften

    Grundlegendes Rigpa (tib. gzhi'i rig-pa) ist die Arbeitsgrundlage des reinen Gewahrseins. Esist unbehindert und alles durchdringend (tib. zang-thal) in dem Sinne, dass es alles Semungehindert durchdringt, so wie Sesamsamen von l durchzogen sind, auch wenn wir diesnicht erkennen. So ist Rigpa ein Aspekt der Buddhanatur, und gem dem Dzogchen ist esvollkommen und besitzt smtliche guten Eigenschaften (tib. yon-tan, Buddhaqualitten), unteranderer Allwissenheit und alles umfassendes Mitgefhl. Rigpa ist vergleichbar mit der Sonne,and genau wie die Sonne nicht getrennt von ihren Eigenschaften wie ihrer Helligkeit undWrme existiert, existiert Rigpa nicht getrennt von seinen Buddhaqualitten.

    Wenn wir in der Meditation Zugang zum essentiellen Rigpa bekommen und es in Funktiontritt, mssen wir ihm keine Buddhaqualitten hinzufgen. Wir mssen nicht zustzlich einenGeist voll allwissendem Gewahrsein oder alles umfassendem Mitgefhl verwirklichen. DieseEigenschaften sind natrlich und spontan (tib. lhun-grub) vorhanden.

    Vergleich mit den Gelug-, Sakya- undSamkhya-Sichtweisen

    In den Gelug- und Sakya-Erklrungen der Buddhanatur wird vertreten, dass dieBuddhaqualitten zum jetzigen Zeitpunkt lediglich als Potential (tib. nus-pa) der geistigenAktivitt des klaren Lichts existieren. Sie sind wie Saatkrner, die sich von der Erdeunterscheiden, in der sie zu finden sind. Wir mssen uns um sie kmmern, damit sie wachsen.

    Obgleich die Philosophie der indischen nicht-buddhistischen Samkhya-Schule nicht vonBuddhanatur oder Buddhaqualitten spricht, wre eine dem Samkhya-Stil entsprechendeDarstellung dieses Punktes, dass Allwissenheit letztlich in der Aktivitt des Geists des klarenLichts als bereits operierend zu finden sei. Sie ist lediglich zurzeit nicht manifest.

    Dzogchen vertritt keine der beiden Positionen. Wir knnen nicht sagen, dass Rigpa in seinemjetzigen verhllten Zustand als ein allwissendes Gewahrsein operiert. Zurzeit ist Rigpa vonflchtigen Makeln verhllt und fliet einher mit einem automatisch entstehenden (tib.lhan-skyes) Faktor der Betubtheit (tib. rmongs-cha, Benommenheit, Verwirrtheit). Aufgrunddieser Fassungslosigkeit kann Rigpa sein eigenes Angesicht nicht erkennen und ist folglichnicht funktionsfhig. Es fungiert stattdessen als ein Alaya fr Gewohnheiten (tib.bag-chags-kyi kun-gzhi) - ein grundlegendes Gewahrsein fr die Gewohnheiten, nach wahrerExistenz, Karma und Erinnerungen zu greifen.

    Einfhrung in das Dzogchen

    Leerheits-Meditation 8

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    Dzogchen betont daher die Wichtigkeit der vorbereitenden Praktiken (tib. sngon-'gro ,,ngndro') und der Strkung der zwei erleuchtungsbildenden Netzwerke - der positiven Kraftund des tiefen Gewahrseins (Ansammlung von Verdienst und Weisheit) - im gleichen Maewie die Gelug-, Sakya- und nicht-Dzogchen Kagy-Traditionen. Der Sinn dessen ist jedochnicht, gute Eigenschaften aufzubauen oder Potentiale dieser Eigenschaften zutage zu bringen,sondern der, Schleier zu beseitigen, die Rigpa daran hindern, sein eigenes Angesicht zuerkennen. Das 'Angesicht' Rigpas wird als Samantabhadra (tib. Kun-tu bzang-po) beschrieben,

    wrtlich 'all-vorzglich'. Solch ein Erkennen wird nicht von allein geschehen, ohne jedeUrsache.

    Was bedeutet "Dauerhaftigkeit von Rigpa"?

    Wenn in den Dzogchen-Texten geltend gemacht wird, dass Rigpa ein unbeeinflusstes (tib.'dus-ma-byed, nicht von Bedingungen abhngiges, nicht angesammeltes), dauerhaftes (tib.rtag-pa) Phnomen ist, mssen wir die Bedeutung dessen aufs Genaueste verstehen.Unbeeinflusstbedeutet hier, dass es nicht jeden Moment neu erschaffen wird und nichtorganisch aus etwas wchst, wie ein Keim aus einem Samenkorn. Daher ist es nicht knstlich(tib. bcos-med), das heit, es ist nicht unter dem Einfluss von Ursachen und Bedingungen alsetwas Vorbergehendes und Neues zusammengefgt oder hergestellt worden. Darber hinaushngen seine guten Eigenschaften nicht von Ursachen und Bedingungen ab. Es ist dauerhaft,nicht in dem Sinne, dass es statisch wre und keine Funktion ausbte, sondern in dem Sinne,dass es fr immer andauert, genau wie seine Qualitten.

    In jedem Moment lsst Rigpa jedoch spontan verschiedene Objekte entstehen und ist sichdieser gewahr. In diesem Sinne ist es frisch und klar (tib. so-ma). Auch wenn Rigpas Natursich nie ndert, ndern sich doch diese Aspekte. Mit diesem Merkmal im Blick wrde dieGelug-Tradition Rigpa als nicht-statisch (tib. mi-rtag-pa, vergnglich) bezeichnen. Dies ist

    jedoch kein Widerspruch, da Dzogchen und Gelug die Begriffe dauerhaftund Vergnglichkeitunterschiedlich definieren und anwenden.

    Jene, die schrittweise Fortschritte machen, und jene,bei denen alles auf der Stelle geschieht

    Es gibt zwei Arten von Dzogchen-Praktizierenden: jene, die schrittweise Fortschritte machen(tib. lam-rim-pa) und jene, bei denen alles auf der Stelle geschieht (tib. cig-car-ba). DieserUnterschied betrifft die Art und Weise, wie Praktizierende zur Erleuchtung voranschreiten,

    wenn sie essentielles Rigpa einmal erkannt haben. Mit anderen Worten, es bezieht sich aufjene, die Aryas (tib. 'phags-pa, hoch verwirklichte Wesen) geworden sind und die den Pfaddes Sehens (tib. mthong-lam) und das wahre Beenden der Schleier, die die Befreiungverhindern, erreicht haben.

    Jene, die schrittweise Fortschritte machen, durchlaufen die zehn geistigen Ebenen (tib. sa, Skt.bhumi) eines Bodhisattva eine nach der anderen, wobei sie allmhlich die Schleier beseitigen,die die Allwissenheit verhindern

    Jene, bei denen alles auf der Stelle geschieht, erreichen mit dem ersten Erkennen desessentiellen Rigpa auf der Stelle ein wahres Aufhren beider Arten von Schleiern. Auf dieseWeise werden sie gleichzeitig Aryas und Buddhas.

    Einfhrung in das Dzogchen

    Vergleich mit den Gelug-, Sakya- undSamkhya-Sichtweisen 9

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    Obgleich Dzogchen-Texte gewhnlich ausfhrlicher ber die zweite Variante sprechen, flltnur ein winziger Bruchteil von Praktizierenden in diese Kategorie. Deren Beseitigung beiderArten von Schleiern beim ersten Erkennen des essentiellen Rigpa ist dem enormen Ausma anpositiver Kraft (Verdienst) zuzuschreiben, das sie mithilfe von Bodhichitta undDzogchen-Praxis in vorangegangenen Leben aufgebaut haben. Diese positive Kraft kannihnen auch dazu verhelfen, dass sie die Stufen vor dem Pfad des Sehens schneller als diemeisten durchlaufen. Trotzdem behauptet niemand, dass man Erleuchtung erlangen knnte,

    ohne umfassende Netzwerke positiver Kraft und tiefen Gewahrseins durch intensive Praxisder vorbereitenden bungen, der Meditation und des Bodhisattva-Verhaltens aufgebaut zuhaben - selbst wenn ein Groteil dessen in vergangenen Leben stattgefunden hat.

    Wenn Dzogchen-Texte also das Erkennen des Rigpa als das eine, das alles zugunstenvollstndiger Befreiung abschneidet (tib. chig-chod kun-grol, das Allheilmittel frvollstndige Befreiung) bezeichnen, mssen wir das auf richtige Weise verstehen. Fr jene,bei denen alles auf der Stelle geschieht, is t das erste Erkennen des essentiellen Rigpaausreichend, um smtliche Schleier zu durchschneiden und somit vollstndige Erleuchtung zuerlangen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Erkennen von Rigpa fr sich genommen

    ausreicht, um Erleuchtung zu erlangen, ohne dass Vorbereitungen vonnten wren, wieBodhichitta oder das Strken der beiden die Erleuchtung untersttzenden Netzwerke, alsUrsache fr das Erlangen dieser Verwirklichung.

    Der Unterschied zur schrittweisen und pltzlichenErleuchtung, wie sie im chinesischen Buddhismusverstanden wird

    Mehrere Traditionen des chinesischen Buddhismus unterscheiden zwischen schrittweise

    erlangter und pltzlicher Erleuchtung. Diese beiden stimmen nicht mit der im Dzogchengetroffenen Unterscheidung der Praxisweisen fr jene, die schrittweise voranschreiten, und

    jene, fr die alles auf der Stelle geschieht, berein.

    Schrittweise erlangte Erleuchtung (tib. tsen-min) erfordert, dass man in abgestuftenSchritten mit samsarischer geistiger Aktivitt daran arbeitet, Befreiung aus Samsara zuerlangen.

    Pltzliche Erleuchtung (tib. ston-mun) entspringt der Sicht, dass man unmglichBefreiung aus Samsara erlangen kann, indem man samsarische geist ige Aktivitt

    benutzt. Hier wird davon ausgegangen, dass man diese Ebene vllig aufgeben und ,inaller Pltzlichkeit' daraus hervorbrechen muss.

    Verschiedene Schulen des Chan in China (jap. Zen) vertreten, dass Erleuchtung pltzlichgeschieht. Unter den Methoden fr das pltzliche Ausbrechen aus samsarischer geistigerAktivitt befindet sich die Arbeit mit Paradoxen (jap. koan), um alle konzeptuellen Gedankenzu unterbrechen, bloes Sitzen (jap. zazen) oder das einfache Unterbinden aller Gedanken.Dzogchen bedient sich keiner dieser Methoden.

    Dzogchen geht in seinen Erklrungen vom Standpunkt

    des Resultats aus

    Einfhrung in das Dzogchen

    Jene, die schrittweise Fortschritte machen, und jene,bei denen alles auf der Stelle geschieht10

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    Gem dem Rime- (nicht sektiererischen) Meister Jamyang-Kyentse-Wangpo (tib.'Jam-dbyangs mkhyen-brtse dbang-po), lassen sich die vier Traditionen des tibetischenBuddhismus anhand des Blickwinkels unterscheiden, aus dem sie erklren: Basis, Pfad oderResultat.

    Die Gelug-Traditionen erklren vom Standpunkt der Basis aus - mit anderen Worten:aus dem Blickwinkel gewhnlicher Praktizierender. Diese Menschen sind zum

    Beispiel nur in der Lage, Erscheinung und Leerheit als getrennt wahrzunehmen,obgleich die beiden untrennbar sind. Daher erklrt die Gelug-Tradition Erscheinungenund Leerheit als die zwei Wahrheiten, und aus diesem Grund ist die tiefste Wahrheitnur die Selbst-Leerheit. Daraus folgt, dass die Gelug-Tradition den Svabhavakaya (tib.ngo-bo-nyid sku, Krper der Selbst-Natur) eines Buddha als die Leerheit desallwissenden Gewahrseins eines Buddha darstellt.

    1.

    Die Sakya-Tradition erklrt vom Standpunkt des Pfades. Obgleich man nicht sagenkann, dass die Aktivitt des Geistes des klaren Lichts auf der Ebene der Basis, wiezum Beispiel im Moment des Todes, mit Glckseligkeit verbunden sei, ist dies aufdem Pfad des Anuttarayoga-Tantra doch der Fall. Von diesem Standpunkt aus

    betrachtet vertreten die Sakyas, dass das Gewahrsein des klaren Lichts natrlich mitGlckseligkeit verbunden sei.

    2.

    Die Nyingma- und die Kagy-Tradition geben ihre Erklrungen vom resultierendenStandpunkt eines Buddha aus. Buddhas nehmen Erscheinungen und Leerheit zumBeispiel nicht-konzeptuell gleichzeitig wahr. Daher erklren die Nyingma- undKagy-Traditionen - und somit auch das Dzogchen - die tiefste Wahrheit alsuntrennbare Leerheit und Erscheinung und stellen demzufolge den Svabhavakaya alsdie Untrennbarkeit der anderen drei Buddhakrper dar.

    3.

    Wenn in Dzogchen-Texte daher vom natrlichen Zustand jenseits von Karma die Rede ist,

    jenseits der Kategorien von konstruktiv und destruktiv, sprechen sie vom resultierendenZustand eines Buddha aus. Diese Darstellung ist fr Praktizierende auf vorangehenden Stufen,die noch unter dem Einfluss strender Emotionen und Einstellungen stehen, kein Freibriefdafr, destruktive Handlungen zu begehen. Solche Menschen sind noch dabei, Karmaaufzubauen und erleben noch immer seine leidvollen Resultate.

    Durchbruch und Vorwrtssprung

    Die Dzogchen-Literatur enthlt ausfhrliche Diskussionen ber die Praxisstufen des sogenannten Durchbruchs (tib. khregs-chod, ,tekch') und des Vorwrtssprungs (tib. thod-rgal,

    'tgel'). Diese sind uerst fortgeschrittene Praktiken, die den letzten Stufen der vollendetenStufe des Anuttarayoga-Tantra entsprechen.

    Auf der Stufe des Durchbruchs haben wir, sobald wir von unseren Meistern zum Erkennenvon Rigpa gefhrt wurden, Zugang zu essentiellem Rigpa und knnen auf diese Weise

    jegliches Sem beenden, da sich die subtilen Energiewinde automatisch auflsen. Mit anderenWorten, wir sind in der Lage, alle grberen Ebene geistiger Aktivitt zum Erliegen zu bringen- die Ebenen, auf denen die flchtigen Makel strender Emotionen und Einstellungen sowiekonzeptuelle Wahrnehmung auftreten. Damit erlangen wir den Pfad des Sehens und werdenAryas. Wenn wir keine Praktizierenden sind, fr die alles auf der Stelle geschieht, sind wirnoch nicht in der Lage, fr immer auf dieser Ebene des essentiellen Rigpa zu bleiben. Nachder Meditation kehren wir zu Sem zurck.

    Einfhrung in das Dzogchen

    Dzogchen geht in seinen Erklrungen vom Standpunktdes Resultats aus 11

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    Auf der Stufe des Vorwrtssprungs gewinnen wir zunehmende Vertrautheit mit demessentiellen Rigpa. Momente von Sem sind die unmittelbar vorausgehende Bedingung (tib.de-ma-thag rkyen) dafr, das unsere Erfahrung aus den fnf Sammelfaktoren (tib. phung-po,Skt. skandha) besteht. Je hufiger und lnger wir beim essentiellen Rigpa verweilen knnen,desto mehr schwchen wir die Kraft einer unmittelbar vorausgehenden Bedingung fr dasErleben der fnf Aggregate.

    [Siehe: Der grundlegende Aufbau der fnf Sammelfaktoren der Erfahrung {5}.]

    Ohne eine starke unmittelbar vorausgehende Bedingung verblassen unsere Aggregate,einschlielich unseres gewhnlichen Krpers, und wir erheben uns in der Form einesRegenbogenkrpers (tib. 'ja'-lus). Dies geschieht, weil es eine der natrlichen Qualitten desRigpa ist, spontan das Erscheinen von fnffarbigem Regenbogenlicht hervorzurufen.

    Der Regenbogenkrper ist die herbeifhrende Ursache(tib. nyer-len rgyu), die sich in denRupakaya (tib. gzugs-sku, Formkrper) eines Buddha verwandelt. Die dem Rupakayaentsprechende Ursache im allgemeinen Anuttarayoga-Tantra (auer dem Kalachakra) ist

    entweder ein Illusionskrper (tib. sgyu-lus) im Vatertantra oder ein Lichtkrper (tib. 'od-lus)im Muttertantra. Die Entsprechung im Kalachakra ist eine leere Form (tib. stong-gzugs).Obgle ich Dzogchen manchmal d ie Begr i f fe L ich tkrper und lee re Form frRegenbogenkrper benutzt und allgemeines Anuttarayoga manchmal von Regenbogenkrperstatt Lichtkrper spricht, bleiben die Krpertypen, die erreicht werden, sowie die Methoden,um sie zu erreichen, im allgemeinen Anuttarayoga, Kalachakra und Dzogchen unterschiedlich.

    Die Notwendigkeit, Mahayoga und Anuyoga vor demDzogchen zu praktizieren

    Es ist unmglich, die Stufen des Durchbruchs und des Vorwrtssprungs zu erreichen, ohnezuvor Mahayoga und Anuyoga praktiziert zu haben - wenn nicht in diesem Leben, dann invorangegangenen. Aus diesem Grund erscheint Atiyoga, ein Synonym fr Dzogchen,gewhnlich in der Form von Maha-Atiyoga, das heit als eine Vereinigung von Mahayogaund Dzogchen.

    Mahayoga

    Die Mahayoga-Praxis betont das quivalent der Anuttarayoga-Erzeugungsstufe, in der wirmit der Vorstellungskraft arbeiten - in anderen Worten, mit Konzepten. Obgleich Rigpa berWorte und Konzepte hinausgeht, sttzen wir uns dennoch auf eine Vorstellung von Rigpa undbenutzen sie als ein Faksimile, das Rigpa in der Meditation vertritt, solange wir nicht wirklichin der Lage sind, Rigpa zu erreichen.

    Wir visualisieren uns selbst als eine Buddhafigur (yidam, Gottheit) wie zum BeispielVajrasattva. Dies fungiert als eine Ursache dafr, dass das fnffarbige Regenbogenlicht, daseine natrliche Qualitt des Rigpa ist, in der Form eines Regenbogen-Vajrasattva erscheintund letztlich als das Netzwerk der zur Erleuchtung fhrenden Formen oder des Rupakayaeines Buddha. Obgleich es die Natur von Rigpa ist, spontan Erscheinungen aus fnffarbigemRegenbogenlicht hervorzubringen, ist es ohne vorangegangene Ursache als Vorbild jedoch

    unwahrscheinlich, dass es die Erscheinung eines Rupakaya hervorbringt.

    Einfhrung in das Dzogchen

    Durchbruch und Vorwrtssprung 12

    http://www.berzinarchives.com/web/de/archives/sutra/level2_lamrim/intermediate_scope/basic_sch_5_aggregates.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/sutra/level2_lamrim/intermediate_scope/basic_sch_5_aggregates.html
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    Darber hinaus visualisieren wir uns als ein Paar in Vereinigung und erfahren gleichzeitigaufsteigendes glckseliges Gewahrsein (tib. lhan-skyes bde-ba chen-po) - glckseligesGewahrsein, das gleichzeitig mit jedem Moment von Rigpa aufsteigt. Dies fungiert als eineUrsache fr die Beseitigung der Schleier, die verhindern, dass Rigpas natrliche Qualitt derGlckseligkeit spontan zum Vorschein kommt.

    Anuyoga

    Anuyoga-Praxis betont das quivalent der Vollstndigkeitsstufen-Praxis des allgemeinenAnuttarayoga-Tantra vor dem Erreichen des tatschlichen Gewahrseins des klaren Lichts unddes Pfads des Sehens. Als solches beinhaltet es die Arbeit mit dem subtilen Energiesystemund dessen Energiewinden, Energiekanlen und Energietropfen (tib. rtsa-rlung-thig-le).Solche Praxis 'schmiert' gewissermaen das subtile Energiesystem, so dass sich dieEnergiewinde zum Zeitpunkt des Durchbruchs leichter automatisch auflsen.

    [Fr nhere Einzelheiten siehe: Die wichtigsten Facetten des Dzogchen {6}.]

    Grundlegende Vorgehensweise in derDzogchen-Meditation

    Momente konzeptuellen Denkens (tib. rnam-rtog), insbesondere Momente des in Sprachegefassten Denkens entstehen, verweilen und vergehen gleichzeitig, so wie beim Schreiben aufWasser. Es bedarf keiner Bemhung, sie aufzulsen, was mit dem Begriffautomatische

    Befreiung (tib. rang-grol, Selbst-Befreiung) gemeint ist. Gedanken befreien sich automatischselbst, in dem Sinne, dass sie sich mit ihrem Entstehen gleichzeitig wieder auflsen.Verweilen wir in diesem Zustand des gleichzeitigen Entstehens, Verweilens und Vergehens,

    verweilen wir im ,natrlichen Zustand des Geistes'. Er wird manchmal beschrieben als derRaum zwischen Millisekunden von Gedanken oder als der offene Raum, der den Gedankenzugrunde liegt.

    Wenn die Texte beschreiben, dass diese Ebene der geistigen Aktivitt keine Unterscheidungzwischen 'diesem' und 'jenem' trifft, ist gemeint, dass kein wahrhaftig existierendes 'dieses'oder 'jenes' unterschieden wird. Es bedeutet nicht, dass es dieser Ebene geistiger Aktivitt anUnterscheidungsvermgen (tib. 'du-shes, Erkennen) hinsichtlich dessen mangelt, was dieDinge sind. Es fehlt ihr nur die konzeptuelle Wahrnehmung, die Dinge aktiv anhand einesmentalen Konstrukts mit einem Namen versieht wie zum Beispiel 'Tisch'. Es kann nicht sein,dass Rigpa nichts erkennt. Schlielich ist Rigpa, wenn es voll funktionsfhig ist, dasallwissende Gewahrsein eines Buddha.

    Diese Darstellung des Dzogchen ist kein Widerspruch zur Behauptung der Gelug-Prasangika,dass Dinge konventionell als 'dieses' oder 'jenes' nur insofern existieren, als sie gltig als'dieses' oder 'jenes' benannt werden knnen. Nichts existiert inhrent in etwas, und macht esdadurch zu einem 'diesen' oder 'jenen' aus eigener Kraft. Dennoch kann ein Objekt anhandeiner gltigen Wahrnehmung seiner oberflchlichen (konventionellen) Wahrheit korrekt alsein 'Tisch' bezeichnet werden. Zudem ist dieses Objekt in der Lage, die Funktion einesTisches (tib. don-byed nus-pa) zu erfllen.

    Einfhrung in das Dzogchen

    Mahayoga 13

    http://www.berzinarchives.com/web/de/archives/advanced/dzogchen/basic_points/major_facets_dzogchen.htmlhttp://www.berzinarchives.com/web/de/archives/advanced/dzogchen/basic_points/major_facets_dzogchen.html
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    Unterschiede zwischen Dzogchen-, Vipassana- undMahamudra-Meditations-Methoden hinsichtlichkonzeptueller Gedanken

    Vipassana

    Im Bereich des Theravada-Buddhismus bedeutet Vipassana- Meditation (tib. lhag-mthong,Skt. vipashyana), das Entstehen und Vergehen von Momenten des konzeptuellen Denkensfestzustellen und zu beobachten, jedoch nicht durch die 'Augen' eines unabhngigexistierenden 'Ichs' als dem Beobachter. Anhand dieses Vorgehens erkennen wir dieVergnglichkeit oder die flchtige Natur konzeptueller Gedanken sowie geistiger Aktivitt imAllgemeinen. Wir erkennen auch, dass geistige Aktivitt auftritt, ohne dass ein unabhngigerHandelnder namens 'Ich' sie beobachtet oder geschehen lsst.

    Im Gegensatz dazu konzentriert sich die Dzogchen-Meditation auf das gleichzeitigeEntstehen, Verweilen und Vergehen der Momente konzeptuellen Denkens - es stellt sie nichtnur fest und beobachtet sie. Dies erlaubt uns, zuerst das strahlenden Rigpa zu erkennen - denAspekt von Rigpa, der spontan das Auftreten von gleichzeitig entstehenden, verweilenden undvergehenden Gedanken hervorbringt. Als nchstes gestattet es uns, essentielles Rigpa zuerkennen - den Aspekt von Rigpa, der den wahrnehmenden Raum ausmacht, der jedemMoment geistiger Aktivitt zugrunde liegt und der das spontane Auftreten gleichzeitigentstehender, verweilender und vergehender Gedanken ermglicht.

    Darber hinaus befasst sich Vipassana nur mit den grberen Ebenen geistiger Aktivitt,wohingegen Dzogchen Zugang zur subtilsten Ebene, Rigpa, hat.

    Mahamudra

    Eine der wichtigsten Methoden der Mahamudra-Meditation in der Karma-Kagy-Traditionbesteht darin, Momente des konzeptuellen Denkens als Dharmakaya (tib. chos-sku) zubetrachten - das Netzwerk des allwissenden Gewahrseins eines Buddha, das alles umfasst.Wenn der Dharmakaya mit dem Ozean verglichen wird, dann sind Momente konzeptuellenDenkens wie Wellen. Ob der Ozean ruhig oder von Wellen aufgewhlt ist - die Wellen sindtrotzdem nur Wasser. Ohne bewusst zu versuchen, die Wellen zu besnftigen, konzentrierenwir uns daher auf den Ozean, in dessen Tiefe die Ruhe nie gestrt ist, wie hoch die Wellen aufseiner Oberflche auch sein mgen. In der Folge beruhigt sich der konzeptuelle Prozess von

    selbst .

    In der Gelug/Kagy-Tradition des Mahamudra betrachten wir Momente konzeptuellenDenkens als flchtige Wolken, die vorbergehend den Himmel verdecken. Sie entstehen undvergehen im Himmel, doch sie gehren nicht zur Natur des Himmels.

    Sowohl Mahamudra als auch Dzogchen befassen sich mit der subtilsten Ebene geistigerAktivitt; Mahamudra erreicht sie, indem es die Energiewinde und grberen Ebenen geistigerAktivitt auflst, wohingegen Dzogchen sie dadurch erreicht, dass es sie innerhalb dergrberen Ebenen, nmlich in Sem, erkennt.

    Einfhrung in das Dzogchen

    Unterschiede zwischen Dzogchen-, Vipassana- und Mahamudra-Meditations-Methoden hinsichtlich konzept14

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    Unterschiede zwischen Dzogchen und Chan (Zen)

    Chan (jap. zen) ist eine ausschlieliche Sutra-Praxis, wohingegen Dzogchenausschlielich im Tantra vorkommt, insbesondere in der hchsten Tantra-Klasse.Dzogchen arbeitet daher mit der subtilsten Ebene geistiger Aktivitt; Chan hingegenmit grberen Ebenen.

    Obgleich Chan nicht explizit lehrt, dass alle guten Eigenschaften im Geist vollstndigvorhanden sind, impliziert es diesen Punkt dennoch, speziell in Bezug auf Mitgefhl.Chan betont nur minimal die Herausbildung des Mitgefhls als eine Methode, dieSchleier zu beseitigen, die das angeborene Mitgefhl daran hindern, hervorzuscheinen.Wenn wir den natrlichen Zustand erreichen, ist Mitgefhl automatisch einBestrandtteil dieses Zustands. Dzogchen hingegen lehrt nicht nur ausfhrlich, dass alleguten Eigenschaften, nicht nur Mitgefhl, in Rigpa vollstndig vorhanden sind,sondern fordert umfassende Sutra- und -Tantrameditationen, um Mitgefhlherauszubilden.

    Die Chan-Praxis fordert nicht vorab die gewhnlichen und auergewhnlichen vorbereitendenbungen des Sutra-Studiums und der Sutra-Medita t ion sowie hundert tausendWiederholungen verschiedener Praktiken, whrend die Dzogchen-Praxis diese beiden Artenvon vorbereitenden bungen voraussetzt.

    Fr Chan-Praxis ist es nicht notwendig, zuvor eine Ermchtigung (Initiation) zuerhalten; im Dzogchen ist dies hingegen eine Voraussetzung.

    Obgleich die Erleuchtung die subtilste Ebene geistiger Aktivitt voraussetzt, erklrtChan diese Ebene nicht und prsentiert auch keine expliziten Methoden, um diese zuerreichen. Es diskutiert nicht einmal das subtile Energiesystem. Dennoch fhrt dieAusrichtung auf den Bereich unterhalb des Nabels (jap. hara) in verschiedenen

    Chan-Praktiken zweifellos dazu, dass die Energiewinde in den Zentralkanal eintretenund sich in ihn auflsen, wodurch diese subtilste Ebene zugnglich wird. Im Dzogchengelangt man zum Rigpa, indem man vom spirituellen Meister angeleitet wird, es zuerkennen, nachdem man das subtile Energiesystem mit vorangegangnerAnuyoga-Praxis 'geschmiert' hat.

    Die im Chan, speziell in der Rinzai-Tradit ion, angewandte Methode, um denkonzeptuellen Prozess zu unterbrechen, ist 'tiefgehender Zweifel' - das Bezweifelnaller konzeptuellen Behauptungen - und koan-Praxis, die oft aus Paradoxen besteht.Dzogchen unterbricht den konzeptuellen Prozess, indem es sich auf das gleichzeitigeEntstehen und Vergehen der Gedanken konzentriert.

    Im Chan, speziell in der Soto-Tradition, is t die Ursache fr das Erlangen einesRupakaya das Sitzen in der perfekten Haltung eines Buddha. Im Dzogchen sind dieUrsachen Rigpas Natur des spontanen Hervorbringens von Erscheinungen, Rigpasinneres Merkmal des Scheinens in fnffarbigem Regenbogenlicht und vorangegangeneMahayoga-Praktiken, in denen wir uns als Buddhafiguren visualisieren. Chanbeinhaltet keine Diskussion oder Prsentation von Buddhafiguren.

    Abschlieende Bemerkungen

    Dzogchen ist eine hchst fortgeschrittene und schwierige Praxis. Wenn sie als mhelos (tib.

    'bad-med) beschrieben wird, bedeutet das nicht, dass wir als Anfnger nichts tun mssen,sondern einfach dasitzen und uns entspannen knnen, und dann wrde alles auf der Stellepassieren. Mhelosigkeitbezieht sich auf die Tatsache, dass Gedanken automatisch

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    gleichzeitig mit ihrem Entstehen vergehen: Wir mssen uns nicht darum bemhen, sieverschwinden zu lassen. Dennoch mssen wir diese Tatsache erkennen und uns ihrer bewusstsein. Mhelosigkeit bezieht sich auch darauf, dass sich die Energiewinde aufgrund unsererfrheren Mahayoga- und Anuyoga-Praxis mhelos auflsen werden, wenn wir essentiellesRigpa erkennen, und wir mhelos als Regenbogenkrper im Aspekt einer Buddhafigurerscheinen werden.

    Auch wenn die Dzogchen-Literatur in erster Linie ber den Standpunkt der Ergebnisstufe undber jene, fr die alles auf der Stelle geschieht, spricht, mssen wir demzufolge die Ursachenfr den Erfolg sammeln, bevor wir Dzogchen erfolgreich praktizieren knnen. Mit anderenWorten, es i st unabdingbar, die gewhnlichen und auergewhnlichen vorbereitendenbungen zu praktizieren, Ermchtigungen zu empfangen, die angemessenen Gelbde zuhalten, und ein gewisses Ma an Mahayoga- und Anuyoga-Meditation zu praktizieren.

    Im Augenblick knnen wir jedoch ein Faksimile der Dzogchen-Meditation praktizieren, umuns mit der Methode vertraut zu machen. Sich auf das gleichzeitige Entstehen, Verbleiben undVergehen der Gedanken zu konzentrieren, so gut es uns mglich ist, ist hilfreich, um

    Befrchtungen, Sorgen, Wut und so weiter zu berwinden. Wir sollten uns jedoch nichtsvormachen und denken, dies sei die tatschliche, tiefere Ebene der Dzogchen-Meditation. Wirsollten nicht den Fehler machen zu denken, dass alles bereits vollkommen ist und es dahernicht notwendig sei, destruktive Muster in unserer Einstellung oder unserem Verhalten zundern.

    Links

    {1} http: / / www.berzinarchives.com / web / de / archives / study /comparison_buddhist_traditions / tibetan_traditions /

    intro_compar_5_traditions_buddhism_bon.html{2} http: / / www.berzinarchives.com / web / de / archives / advanced / dzogchen /basic_points / brief_history_dzogchen.html{3} http: / / www.berzinarchives.com / web / de / archives / advanced / dzogchen /basic_points / brief_history_dzogchen.html{4} http: / / www.berzinarchives.com / web / de / archives / study /comparison_buddhist_traditions / tibetan_traditions /intro_compar_5_traditions_buddhism_bon.html{5} http: / / www.berzinarchives.com / web / de / archives / sutra / level2_lamrim /intermediate_scope / basic_sch_5_aggregates.html

    {6} http: / / www.berzinarchives.com / web / de / archives / advanced / dzogchen /basic_points / major_facets_dzogchen.html

    Einfhrung in das Dzogchen

    Abschlieende Bemerkungen 16