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Schweinfurter Grun - das brillante Gift

Holger Andreas

Der lange Weg zum Verbot einer gesundheitsgefahrdenden Substanz

Der erfolgreiche Beginn

s eine ,,ungemein schone, griine Farbe" At ezeichnete 1822 Henri Braconnot [l], Professor fur Naturwissenschaften in Nancy, das neue Pigment, das er von einer dortigen Papiertapeten-Fabrik zur AnaIyse erhalten hatte. Er schreibt, dai3 ein Farbenfabrikant zu Schweinfurt das Geheimnis besage, dieselbe zu fertigen und sie nach allen Hauptstadten Europas versende. Zur gleichen Zeit unter- suchte auch Justus Liebig diese neue griine Farbe. Beide kamen zum Ergebnis, da8 es sich bei ihr um ,,eine Verbindung des Kup- fen') mit Essig- und Arseniksaure" (= Arse- nige Saure) handelt.

Die erste arsenhaltige Kupferfarbe, basisches Kupferarsenit, wurde von Carl Wilhelm Scheele 1778 beschrieben [2]; sie wird nach ihrem Erfinder Scheelsches Grun (oder auch Scheeles Grun) genannt. Scheele empfahl ihre Verwendung als 01- und Wasserfarbe und fand, ,,da8 diese Farbe auch noch den Vortheil hat, dai3 sie, wenn Stubenwande, Bettstellen usw. damit angestrichen werden, auf eine ganz vorzugliche Art die Wanzen oder Wand- lause abhalt. Sie wird jetzt von Fabrikanten verfertigt und unter dem Namen Schwedisch Griin verkauft".

1805 brachte Ignaz von Mitis eine arsenhalti- ge Kupferfarbe unter dem Namen Mitis Griin auf den Markt, deren Zusammensetzung an- geblich der des spateren Schweinfurter Griins entsprach. Dieses Pigment wurde ab 1814 in groi3eren Mengen von dem Schweinfurter

"Kupfer(I1)-acetatarsenit, Cu(CH3C00)2 . 3 Cu(AsO2)2.

'i'FBleiweii3 ist basisches Bleicarbonat, 2 PbC0-j. Pb(OH)2.

Farbensortiment der Firma Sattler. In der Mitte unten ist Schweinfurter Griin gezeigt. (Abbildung: Stadtische Sarnmlungen, Schweinfurt)

Fabrikanten Wilhelm Sattler produziert, nachdem er zusammen mit dem Apotheker RUG ein eigenes Herstellverfahren entwickelt hatte.

Wilhelm Sattler [3-5] war ein uberaus erfolg- reicher friihindustrieller Unternehmer in Schweinfurt, der es nicht nur zu einem groi3en Vermogen brachte, sondern der dar- iiber hinaus ein hochangesehener Burger sei- ner Stadt und ein bedeutender Kommunalpo- litiker war, ,,dem junge Leute nacheifern soll- ten", wie Franz Otto in seinem Buch: ,,Manner eigener Kraft - Vorbilder von Hochsinn, Thatkraft und Selbsthilfe fur Ju-

Chemie in unserer Zeit 130. Jahug. 1996/ N,: 1 0 V C H Verkzgsgesellschaft mbH, 69469 Weinheim, 1996 0009-2851/96/0102-0023 $ 5.00 + ,2510

gend und Volk" empfiehlt. Wilhelm Sattler wurde 1784 in Kassel als Sohn eines Kauf- manns geboren, absolvierte eine kaufmanni- sche Lehre und wurde Geschaftsfuhrer einer Bleiweiflfabrik'"" in Niederwerrn bei Schweinfurt. Hier bot sich ihm die Gelegen- heit, die technischen Probleme der Farbenbe- reitung kennenzulernen, und mit dem dabei erworbenen Sachverstand konnte er entschei- dende Verbesserungen beim Mahlen von Blei- weii3 einfuhren. Erfolg und Erfahrungen wer- den in ihm den Wunsch zur Selbstandigkeit gefordert haben, und so griindete er 1808 mit einem bescheidenen, geborgten Startkapital von 3000 Gulden in Schweinfurt eine eigene

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Schweinfurter Grun in Substanz. (Photo: Deutsches Museum, Miinchen) Sammlungen, Schweinfurt)

Firmenschild der ,,Farben & Bleiweiss-Fabrik Wilhelm Sattler". (Abbildung: Stadtische

Firma. Zum Produktionsprogramm des Un- ternehmens gehiirten aufler einigen Farben auch Starkezucker, Rum, Arrak, Likore und Weinsteinsaure. Die seit 1808 bestehende Kontinentalsperre, die die Einfuhr sogenann- ter Kolonialwaren verhinderte, veranlaflte Sattler 1810 zur Entwicklung eines aus Kar- toffelmehl hergestellten Sagos als Ersatz fur den aus Palmmark gewonnenen Sago und ver- schaffte ihm einen augenblicklichen, enormen kaufmannischen Erfolg. Noch vie1 grofler aber war sein Erfolg mit ,,der ungemein scho- nen, griinen Farbe", die er dank der che- mischen Kenntnisse und zahllosen Versuche seines Freundes Rufl ab 1814 herstellen und unter dem von ihm gewahlten Namen Schweinfurter Griin vermarktcn konnte. Sattler war an chemischen Fragen sehr inter- essiert; vielleicht haben Scheeles Arbeiten uber arsenhaltige Kupferpigmente Wilhelm Sattler zu seinen Versuchen angeregt.

Jedenfalls schreibt Johann Carl Leuchs [6] 1825 uber Schweinfurter Griin:

Das Schweinfurter Griin wurde urn die Mittc des Jahres 1S14 von den Herren F. W. RuR und Wilh. Sattler in Schweinfurt erfunden und 1816 in Han- del gebracht. Es ist dcm Mitis-Griin ahnlich, aber

dunkler und reiner. In der damals erschienenen An- zeige sagen die Erfinder, daR es an Feuer und Dun- kelheit alle anderen griinen Farben iibertreffe, we- der so blau und blaR wie das Bremer und Braun- schweiger Griin noch so gelb wie das Mineralgriin sei, einen hohen Grad von Warme vertrage, bei ei- ner Hitze, wo Bremer-, Braunschweiger- und Neu- grun braun werden, noch seine Farbe behalte und daher in Feuer und in Lack halte, als Wasser- und Olfarbe, sowie auf Kalk haltbar sei, mit 01 allein, sowie auch mit BleiweiR angewandt werden konne und weder an der Luft noch durch schweflige Aus- diinstungen braun werde. Es fand auch sehr bedeu- tenden Absatz und gehort offenbar zu den schon- sten griinen Farben, die wir haben. Nur mu8 es we- gen seines Arsenikgehaltes mit Vorsicht angewandt werden.

Wegen seiner Leuchtkraft sowie seines bei Ta- ges- und Kunstlicht gleichbleibenden Tons und seiner gleichermafien ausgepragten Bril- lanz wurde Schweinfurter Grun besonders gern fur Theaterdekorationen und zum Aus- schmucken von Festraumen und Ballsalen verwandt. Innerhalb kurzer Zeit wurde es zu einer Modefarbe, die sich nicht nur als Maler- und Anstrichfarbe, sondern vor allem auch als Tapetenfarbe ausgesprochener Beliebtheit erfreute. Aber auch alle moglichen anderen Dinge wurden mit Schweinfurter Grun ge- farbt: Ballkleider, kunstliche Blumen, Teppi-

che und Vorhange, Kerzen, ja sogar Konditor- waren und Bonbons. Weit uber die deutschen Lander hinaus gelangte dieses Grun zu Welt- ruhm und wurde eine der beliebtesten Farben der ersten Halite des 19. Jahrhunderts. Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich in Europa die Tapetenindustrie entwickelt. War es zunachst nur der Adel, der sich diese neuen Wandde- korationen leisten konnte, so fanden Tapeten doch rasch Einzug in die Wohn- und Repra- sentationsraume sowie in die Schlaf- und Ar- beitszimmer des aufstrebenden Burgertums. 1822 erwarb Wilhelm Sattler das wenige Kilo- meter von Schweinfurt entfernte, halb verfal- lene Schlofl Mainberg vom Staat und erhielt innerhalb kurzester Zeit die Genehmigung, dort eine Tapetenfabrikation zu betreiben. Mit Schweinfurter Griin gefarbte Tapeten gehorten wohl zu den groflten Verkaufser- folgen.

Das Verfahren zur Herstellung dieses beson- deren Pigments hielt Sattler verstandlicher- weise geheim. Die eingangs erwahnte Notiz aus dem Jahre 1822 [l] enthalt zwar schon eine brauchbare Vorschrift, doch findet sich eine detaillierte Beschreibung erst 1836 im gleichen Journal [7].

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Wohnzimmer der Prinzessin Mathilde, Miinchen 1834. Die Farbe der Tapeten 1ai3t auf Schweinfurter Griin schliei3en. (Abbildung: Deutsches Museum, Miinchen)

Ausschnitt aus der Panoramatapete ,,Fran- zosische Garten" der Manufaktur Zuber, Rixheim, Herstellungsjahr 1822. (Abbil- dung: Deutsches Tapetenmuseum, Kassel)

Links: Tapete aus der Manufaktur Wilhelm Sattler, Mainberg, 1840/50. (Abbildung: Deutsches Tapetenmuseum, Kassel)

Rechts: Tapete von Moeglin & Zimmer- mann, Rixheim, Herstellungsjahr 1827. (Abbildung: Tapetenmuseum Rixheim)

Danach benotigt man drei Kessel: einen zum Auflosen von 100 Pfund Arsenik (wobei der Arbeiter sich den Mund vor dem Staub ver- bindet) in 1500 Pfd. Wasser, einen zweiten zum Auflosen von 70 Pfd. Griinspan in 300 Pfd. Wasser. Beide Losungen werden zum Kochen gebracht und dann gleichzeitig unter Riihren in einen dritten Fallungskessel laufen gelassen. Dabei mui3 man etwas von der Arseniklosung zuriickbehalten. Es bildet sich zunachst ein voluminoser Niederschlag von schmutziger, gelbgriiner Farbe. Ohne zu riihren lafit man diese Fallung ruhig stehen und gibt nach 2-3 Stunden den Rest der Arseniklosung dazu. (Das ist wahrscheinlich

entscheidend. Anm. d. Ve$) Der Nieder- schlag zieht sich zusammen, und damit ein- hergehend steigt auch die Intensitat und der Glanz der Farbe.

Auch die Herstellung aus Kupfervitriol statt aus Griinspan wird beschrieben.

Erste Wolken am Himmel des geschaftlichen Erfolgs

Owohl die Giftwirkung des Arseniks (Arsen- trioxid) seit dem Altertum bekannt war, tat dies der breiten Anwendung des damit herge- stellten Pigmentes zunachst keinen Abbruch.

Mit Ausnahme des Zusatzes bei Siifiigkeiten und Konditorwaren bestanden keine Beden- ken, da man die Farbe ja nicht zu sich nahm und eine andere Vergiftungsweise zu der da- maligen Zeit nicht in Betracht gezogen wer- den konnte. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entsprach der Kenntnisstand iiber Arsenver- giftungen wohl dem, was Samuel Hahne- mann 1786 dariiber veroffentlicht hatte [SJ. Die Giftwirkung erfolge nicht nur durch die Aufnahme durch den Mund, schrieb er, son- dern auch durch die Haut, ebenso durch Ein- atmen des Rauchs und Staubs bei der Verhiit- tung arsenhaltiger Erze. Eine derartige Expo- sition war aber nur bei der Herstellung, nicht

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dagegen bei den Anwendungen als Anstrich- und Tapetenfarbe anzunehmen.

Die erste Warnung vor Gesundheitsschaden durch griine Tapeten spricht Leopold Grne- lin, von 1814 bis 1851 Professor fur Medizin und Chemie in Heidelberg, 1839 in der Karls- ruher Zeitung aus [9]:

In neuerer Zeit wird fur gi-iine Tapeten und Zini- meranstriche gewohnlich ein Farbmaterial ange- wandt, welches unter dem Namen des Schweinfur- ter Griins, Wiener Griins usw. vorkommt, und al- lerdings durch die Lebhaftigkcit seiner Farbe besticht, aber wegen seines bedeutenden Arsenik- gehaltes der Gesundheit Gefahr droht. Nur in ganz trockenen Zimmern ist nichts zu befurchten, na- mentlich in solchen, die gegen Sudcn und nicht zu ebener Erde liegen und welche regelmagig geheizt und geliiftet werden. In Zimmern dagegen, die zu ebener Erde oder gegen Norden liegen, und in sol- chen, die nicht geheizt werden, in welche aber der warme Dunst des Nebenzimmers dringt, veranlaRt die sich an die Wande setzende Feuchtigkeit einen langsamen Zersetzungsprozeg von Papier und Kleister, in welchen die griine Farbe mit hincinge- zogen wird. Das Resultat hiervon ist die Entwick- lung eines widrigen, mauseartigen Gemchs, dcn man vorziiglich beim Eintreten in das einige Zeit nicht geliiftete Zimmer bemerkt. Es ist nicht zu be- zweifeln, dai3 dieser Geruch von einer Spur Arsenik herriihrt, welche sich in einer besonderen Verbin- dung (vielleicht als Alkorsin") verfluchtigt. Kurzes Einatmen einer solchen Luft ist gefahrlos; aber tag- liches anhaltendes Verweilen in solchen Raumen kann Schaden bringen; Kopfweh und unbestimmtes Ubelbefinden wurden bereits als Folge hiervon be- obachtet; aber bei noch linger fortgesetzter Einwir- kung dieser giftigen Atniosphare mochte endlich selbst eine chronische Arsenvergiftung eintreten. Zimmer, welche wiewohi mit derselben Farbe ver- sehen, aus den oben angefiihrten Grunden diesen iibeln Gemch nicht entwickeln, kann man unbe- sorgt bewohnen. Dieser Geruch kann sich auch aus Tapeten entwickeln, wenn sie nur hier und da gliine Stellen haben. Bei manchen Tapeten kommt dcr Geruch erst einige Jahre nach ihrem Aufkleben zum Vorschein; daR er sich rnit der Zeit wieder ver- lieren werde, ist nicht zu hoffen. Er wird, je nach der Feuchtigkeit der Wande und der Tcmperatur bald zu- bald abnehmen, aber wahrscheinlich erst dann aufhoren, wenn alle griine Farbe zerstort ist. Um diesen ubeln Geruch und die Vergiftungsgefahr zu beseitigen, ist es nothig? die Tapete auf das sorg- faltigste abzureigen. Das Uberkleben derselben mit einer anderen wiirde durchaus nichts helfen. Dieses sind die Erfahrungen, welche ich seit einigen Jah- ren, und vorziiglich in diesem Herbste vielfache Gelegeiiheit harte, in hiesiger Stadt zu machen, und zu deren Veroffentlichung ich mich verpflichtet

'jGemeint ist wohl Alkarsin; siehe nachste Spalte.

""Van L. C. Cadet 1760 durch Destillation von Arsenik mit Kaliumacetat erhalten, im wesentlichen Kakodyloxid (CH3)2As-O- As(CH3)2 enthaltend.

fuhle. Es drangt sich die Frage auf, ob nicht dieses Farbmaterial fur Tapeten und Anstrich, auger in Oel, ganz verboten werden sollte? (Heidelberg, im Nov. 1S39)

Es uberrascht, dai3 Gmelin diese Mitteilung nicht wie iiblich in einer Fachzeitschrift ver- offentlich hat. Vielleicht wollte er mit seiner Warnung ein breiteres Publikum erreichen, vielleicht erschien ihm seine Vermutung auch als zu wenig wissenschaftlich begrundet. Zweifellos wird er die Veroffentlichungen von R. Bunsen in Liebigs Anndlen der Phar- mazie ttnd Chemie 1837 und 1839 gekannt haben, in denen iiber das Alkarsin, eine orga- nische Arsenverbindung, die Bunsen aus der Cadetschen FlussigkeiP isoliert hatte, be- richtet wird. Aber wie sollte eine derartige Verbindung aus der griinen Tapete enstehen? Diese Frage konnte endgultig erst fast 100 Jahre spater beantwortet werden. Gme- lins Vermutung konnte zu dieser Zeit nicht bewiesen werden. Aber sie war mit der Aus- loser fur eine lange, zum Teil sehr heftig ge- fiihrte Diskussion iiber die Gefahrlichkeit des Schweinfurter Griins.

Im folgenden Jahrzehnt hauften sich dann die Meldungen iiber Gesundheitsschaden durch Schweinfurter Griin, wobei man unterschei- den mu13 zwischen den gewerblichen Krank- heiten bei der Herstellung der arsenhaltigen Farben und Tapeten und den gesundheitli- chen Beeintrachtigungen beim Gebrauch der damit gefarbten Gegenstande.

Uber Vergiftungen durch Schweinfurter Griin bei der Tapetenherstellung wird 1845 in Dinglers Journal [lo] berichtet:

Dieses Farbmaterial . . . wird in Tapetenfabriken in der Art angewandt, dai3 man einen griinen Grund aufdruckt und das bedruckte Papier durch Losma- chen des arsenikalischen Staubes mittels einer Bur- ste satiniert. Diese Behandlung, sowie das Durch- schlagen dieser Farbe durch feine Siebe in den Far- benfabriken, ziehen sehr nachteilige Wirkungen und Krankheiten nach sich, die sich zuerst auger- lich durch Oedeme (Wassergeschwulste) und Rei- zung der Schleimhaute etc. offenbaren, spater aber auch innerlich als Kolik, heftige Kopfschmerzen, ganzliche Erschlaffung auftreten.. . Uberhaupt soll- te die Verarbeitung des Schweinfurter Griin in Ta- petenfabriken hochst sorgfaltig uberwacht werden, sowohl um Verbrechen zu erschweren, als der Sorglosigkeit und Nachlassigkeit entgegen zu tre- ten.

Kennzeichnend fur die gewerbehygienischen Mafinahmen der darnaligen Zeit sind die Vor- schlage von A. Chevallier [ll], Professor fur Pharmazeutische Chemie in Paris. Er emp-

fiehlt, wahrend der Arbeit ein feuchtes Tuch vor dem Gesicht sowie enganliegende Bein- kleider zu tragen. Vor dem Essen seien die Hande zu waschen und die Arbeitszeit fur das Satinieren zu begrenzen.

Chevalliers Frage an Fabrikanten, ob man nicht ganz auf das Schweinfurter Griin ver- zichten konne, wurde entschieden verneint.

Die geschilderten gewerbetoxikologischen Probleme waren nicht neu - entsprechende Intoxikationen waren bei Arbeitern in Hut- tenbetrieben seit langer Zeit bekannt -, neu war aber die zuerst von L. Grnelin vermutete Gesundheitsbeeintrachtigung durch gasfor- mige Arsenverbindungen, die aus den rnit ar- senhaltigen Piginenten hergestellten Tapeten stammen sollten. Der knoblauchartige Ge- ruch in griin tapezierten Zimrnern war zwar ein deutliches Indiz fur die Anwesenheit von Arsenwasserstoff (oder anderen gasformigen Arsenverbindungen), dessen etwaige Bildung war aber zunachst nicht zu erklaren. Die irn Vergleich zu Arsenik vielfach hohere Giftig- keit des Arsenwasserstoffs war aber seit dern qualvollen Tod des Chemikers Adolf Ferdi- nand Gehlen im Jahre 1814 bekannt [12], der bei seinen Versuchen mit Arsenwasserstoff seine eigene Nase als Sensor benutzte! Es blieb ein Ratsel, wie eine vergleichsweise so geringe Menge Arsen in der Zimmerluft uberhaupt eine derartige Giftwirkung entfal- ten konnte. Deswegen wurden die gesund- heitlichen Beeintrachtigungen durch gasfor- mige Arsenverbindungen aus Tapeten in den vierziger und funfziger Jahren des 19. Jahr- hunderts sehr kontrovers diskutiert.

So wird von Stockert [13] 1843 ,,uber die im Handel vorkornrnenden in der Technik ange- wandten Farbesorten und ihre Unterschei- dung, mit Rucksicht auf Giftfarben" ausge- fuhrt, dafl ,,bei dem Anstreichen, Ausmalen oder Austapezieren der Zimmer durchaus keine Farben angewandt werden sollten, aus welchen sich durch Zersetzung schadliche Luftarten entwickeln konnen, also keine Ar- senikfarben, am allerwenigsten in feuchten Lokalen.. . Dafl auch das Schweinfurter Griin unter Bedingungen, die noch nicht genau er- mittelt sind, der Luft schadliche Eigenschaf- ten rnittheilen konne, sprechen mehrfache Be- obachtungen" .

L. Elsner [14], Professor am koniglich preui3ischen Gewerbeinstitut, empfiehlt 1845 eine Reihe von arsenikfreien Kupferfarben als Ersatz fur das Schweinfurter Griin. Dabei

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weist er auch auf zwei Krankheitsfalle durch arsenhaltige Farben hin:

Zwei Personen in zwei verschiedenen Familien am hiesigen Ort, die friiher sich stets wohlbefunden hatten, krankelten fortwahrend, seitdem sie in Stuben schliefen, welche griin angestrichen waren und ... feucht, dunkel und nicht luftig genug waren. Die chemische Untersuchung des abge- schabten Putzes ergab eine in demselben nicht ge- ringe Menge Arsenik.. . In der Stube liei3 sich deut- lich ein eigenthiimlicher, zwar schwacher aber widerlicher knoblauchartiger Geruch wahrneh- men ... Es ist mehr als wahrscheinlich, dai3 dieser Geruch von dem bekannten, sehr giftige Eigen- schaften besitzenden Arsenik-Wasserstoffgase her- zuleiten ist.

Aber es gab auch Stimmen, die diese Berichte fur iibertrieben hielten. So schreibt A. Berin- ger [15]:

Es machte zwar schon vor 10 bis 12 Jahren Leopold Gmelin offentlich darauf aufmerksam, dai3 sich beim Feuchtwerden der rnit Schweinfurtergriin be- druckten Tapeten Arsenikwasserstoffgas entbinde, allein obwohl auch franzosische Chemiker die Gif- tigkeit derselben hervorhoben, und in Folge dieser von mehreren Seiten Preise fur die Entdeckung ar- senikfreier Griin ausgesetzt wurden, so nahm man doch immer noch zu den Giftfarben seine Zuflucht, aus dem einfachen Grunde, weil es Niemandem ge- lang, ein Grasgriin ohne Arsenik herzustellen. Erst in neuester Zeit sol1 sich die preui3ische Regierung, wie es scheint, durch die Arbeiten des Prof. Elsner in Berlin veranlagt, bewogen gefunden haben, den Eingang und die Fabrikation von mit arsenikhal- tigem Griin bedruckten Tapeten in der ganzen Monarchie zu verbieten, ungeachtet, wie schon er- wahnt, ein Surrogat dafur nicht existiert. Ich weii3 nicht, ob der Menschheit durch ein solches Verbot ein wirklicher Dienst geleistet wiirde, die Kunst und der Geschmack werden jedenfalls nicht da- durch gefordert.

Immerhin tritt er dafiir ein, die Anwendung von Giftfarbeii zu beschranken, ,,dafl man z. B. den Zuckerbackern es zur Pflicht ma- che, kein Schweinfurter-Griin, Bleiweii3 etc. auf Backwerk zu bringen; allein bemalte Pa- piere zu verbieten, die auf die Wand geklebt werden, ist meiner Ansicht zu weit gegangen".

Auf der 29. Versammlung deutscher Natur- forscher und Arzte in Wiesbaden halt L. Krahmer, Mediziner in Halle, einen Vortrag ,,Ein Wort gegen die Furcht vor den arsenik- haltigen griinen Malerfarben", der in er- weiterter Form 1852 veroffentlicht wird [16]. Er hatte mehrere Versuche mit arsenhaltigen Pigmenten, gemischt mit Leimlosung und Kalk (um die Bedingungen der aufgeklebten Tapete nachzustellen) durchgefuhrt und keine Bildung von fliichtigen Arsenverbindungen festgestellt, wobei er auch den Nachweis von

Arsenspuren, wie ihn James Marsh 1836 be- schrieben hatte [I 71, heranzog. Deshalb halt er die Befiirchtungen wegen der gasformigen Arsenverbindungen fur nicht gerechtfertigt und sagt:

Ich leugne, dai3 die Staatsverwaltung eine Verpflich- tung hat, die Benutzung der griinen, arsenikhalti- gen Farben zu Wandmalereien und zur Tapeten- fabrication zu erschweren, weil der Nachtheil, den die Farben in dieser Form fur die Gesundheit der Staatsbiirger haben konnen, nur ein ganz zufalliger ist, und von der schlechten Arbeit des Malers oder Fabrikanten [er bezieht sich hierbei auf das Abstau- ben von Farbe - Anm. d. Verf.], oder von einem ganz ungewohnlichen Verhalten der Zimmerbe- wohner abhangt. Es ist mir nicht glaublich, da8 das offentliche Leben jemals so gernatkegelt werden kann, um es jedem Einzelnen unmoglich zu ma- chen, durch Sorglosigkeit oder Dummheit Schaden zu stiften oder zu erleiden.

Bunsens Untersuchungen iiber das Alkarsin und das Kakodyl, so meint er, ,,figurierten fortan in der Aetiologie der Arzte, um sich den in griinen Zimmern Schlafenden wie ein Alp auf die geangstigte Brust zu legen".

Aber nicht nur die Mitteilung von Professor Elsner, auch der 1847 verfake Bericht des Merseburger Sanitatsrates von Basedow [I 81 an das preuflische Kultusministerium, das auch fur medizinische Belange zustandig war, schreckte die Behorde auf. Nicht weniger als 28 Falle von Erkrankungen durch arsenhalti- ge Tapeten fiihrte von Basedow an. Alle wie- sen ahnliche Symptome auf: Anfanglichen Kopfschmerzen und Benommenheit folgten allgemeines Unwohlsein, blasses Aussehen, haufig Riickenschmerzen, die sich auf Arme und Beine erstrecken konnten und ein hart- nackiger, trockener Husten. Kamen die Pati- enten in eine andere Umgebung oder wurden die griinen Tapeten oder der Anstrich restlos entfernt, besserte sich auch ihr Gesundheits- zustand bis zur volligen Genesung.

Die ersten Reaktionen der staatlichen Behorden

Die Behorden reagierten nach den ersten Meldungen iiber Erkrankungen erstaunlich schnell. 1838 hatte bereits die preuflische Re- gierung durch Dekret vom 18. Juni die An- wendungen giftiger Substanzen zum Tapeten- farben verboten. Dieses Dekret wurde jedoch ein Jahr spater zuriickgenommen, ,,da das Verbot als den Landesprodukten nachtheilig erkannt worden war, indem der Verbrauch der letzteren durch den Eingang aus dem Auslande bezogener gemalter Tapeten - ein

Eingang, der sehr betrachtlich - um Vieles iiberschritten worden war [19]". 1848 wurde dann vom preuflischen Ministerium des Inneren - offenbar wegen der Eingaben von Elsner und von Basedow - erneut ein Verbot fur die Vexwendung arsenhaltiger griiner Kupferfarben erlassen. Dieses Verbot umfaflte zunachst nur Tapeten und Zimmeranstriche und wurde 1850 auch auf Rollos und Vor- hange ausgedehnt. 1852 wurde auch der Handel mit Gegenstanden verboten, die mit Schweinfurter Griin gefarbt waren.

Die Regierung von Unterfranken und Aschaffenburg erliei3 im Intelligenzblatt der Stadt Schweinfurt vom 21. April 1839 eine Warnung vor Gesundheitsschaden durch Schweinfurter Griin enthaltenden Tapeten und Anstrichen.

1845 wurden die Behorden in Bayern durch eine Ministerialverordnung angewiesen [20],

das Publikum vor dem Gebrauche arsenhaltiger Ta- peten und Anstriche zu warnen und wegen Verfer- tigung und Verbreitung solcher Tapeten in jeder zulassigen Weise gehorig einzuschreiten. Dieses Verbot des Gebrauches von Schweinfurtergriin zu Tapeten und zum Anstreichen, sowie auch das Ver- bot des Absatzes und Gebrauches fraglicher Tape- ten wurde aber wieder durch Ministerial-Ent- schliei3ung vom 23. Januar 1848 in Gemagheit aller- hochster Bestimmung Sr. Majestat des Konigs aus industriellen Riicksichten und insbesondere in Er- wagung, dai3 dieser Magregel ohne Ausdehnung auf das ganze Gebiet des Zollvereins der ge- wiinschte Erfolg nicht zugesichert zu werden ver- mag, modificirt, und die Anwendung des Schwein- furtergruns in sofern gestattet, als die damit ange- strichenen Tapeten gehorig geglattet sind und die fur die Wande beniitzte Farbe durch ein gutes Bin- demittel befestigt ist. Vor dem Gebrauch arsenhalti- ger Farben zum Farben von Zucker- und Kinder- spielwaren wurde zum oftereii mit Strafandrohung gewarnt.

Man kann aus den Bedingungen fur den ein- geschrankten Gebrauch bei Tapeten und An- strichen erkennen, dai3 nur die Aufnahme des arsenhaltigen Staubes als mogliche Vergif- tungsquelle angesehen wurde. Die Gefahr durch gasformige Arsenverbindungen wurde von den Behorden in dieser Zeit noch nicht in Betracht gezogen.

Diskussion zwischen Gegnern und Befurwortern des Schweinfurter Gruns In den Jahren ab 1850 mehrten sich dann die Diskussionen iiber die wirkliche Bedrohung, die von arsenhaltigen Tapeten und Anstrichen ausgehen konnte. Arzte argumentierten mit

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medizinischen Befunden, fuhrten Krankenge- schichten ihrer Patienten an, wahrend Chemi- ker die Unmoglichkeit einer derartigen Gift- quelle nachzuweisen suchten. Besonders auf- schlui3reich sind die Argumente von Carl Sattler, dem Sohn des Fabrikanten Wilhelm Sattler, der 1855 im Selbstverlag eine Verteidi- gungsschrift fur das Schweinfurter Griin her- ausgab. Das Biichlein tragt den Titel: ,,Das Schweinfurter Griin - Erortemng der Frage: 1st der angemessene und gewohnliche Ge- brauch des genannten Griins der Gesundheit abtraglich?" [21]. Im Vorwort bezeichnete er seinen Vater als Erfinder dieses Griins, uber das ,,in neuerer Zeit wieder allerlei Meinun- gen aufgetaucht und in Umlauf gesetzt wor- den, die zum Theil nur um so deutlicher den Zweck der Verdachtigung an der Stirn tragen, je mehr sie eine vollige Unkenntnis der Com- position dieser Farbe voraussetzen lassen". Nach seiner Meinung hatten Arzte und ein- zelne Regierungen die Gesundheitsgefahr- dung zu einem Dogma erhoben. Seine Argu- mentation war eine rein chemische und manchmal nicht ganz frei von ironischer Ubertreibung. Zunachst wies er darauf hin, dai3 freie arsenige Saure im Schweinfurter Grun nicht vorhanden sei, da sich nur bei vollkommener Neutralisation die wirklich schone Farbe erzielen lasse und ein etwaiger Uberschui3 an arseniger Saure als Alkalime- tallsalz mit Wasser wahrend der Fertigung leicht auswaschbar sei. Allerdings sah er auch die Gefahren, die eine Aufnahme des Pig- ments in den Korper mit sich bringt und be- furwortete ein Verbot des Gruns als Lebens- mittelfarbe. Bei gefarbten Tapeten hafte die Farbe so fest auf dem Papier, dai3 sich kein Staub bilden konne. Ware dies der Fall, so konnten Tapeten nicht gerollt werden und waren nicht verkaufsfahig. Die Vorstellung, dai3 der Zugwind staubformige Partikel von der Tapete abtrage und in die Zimmerluft fuhre, verwies er in das Reich der Phantasie. Danach ging er auf die gesundheitsschadli- chen Ausdunstungen ein, die man den griinen Tapeten nachsagte. Zunachst wies er darauf hin, da13 arsenige Saure bei Raumtemperatur nicht sublimieren konne. Auch die Bildung von Arsenwasserstoff hielt er fur unmoglich, da nur in Gegenwart eines Metalls, das sich in Saure lost, mit Wasserstoff in statu nascendi die Bildung von Arsenwasserstoff moglich ware - oder aber aus Arseniden, d. h. Verbin- dungen des Arsens mit Zink, Zinn oder Eisen in feuchter Luft. Dieses alles kann man sich bei den Tapeten nicht vorstellen. Und damit hatte Carl Sattler vollig recht, Arsenwasser- stoff konnte wirklich nicht entstehen!

, 31, U p r i l

Titelseite des ,,Intelligenzblatts der Stadt Schweinfurt" vom 21. April 1839.

Als weiteres Indiz fur die Giftwirkung galt die Beobachtung, dai3 sich Krankheitsfalle haufig dann zeigten, wenn die Zimmer feucht waren. Sattler schlofl auch unter diesen Urn- standen die Wasserstoffbildung und damit auch die Arsenwasserstoffentwicklung aus.

Besonders um 1860 mehren sich Meldungen von Arzten uber Erkrankungen von Men- schen, deren Arbeits- oder Schlafzimmer mit arsenhaltigen Tapeten versehen waren. So be- richtet F. Muller [22], Oberarzt am Augsbur- ger Krankenhaus, von der Erkrankung der neun von insgesamt 17 Zoglingen der dorti- gen Taubstummenanstalt. Der Vorfall hatte sich bereits 1855 abgespielt. Nachdem die Zoglinge nach den Herbstferien ,,frisch und munter, gesund und lebenskraftig" zuriickge- kehrt waren, stellten sich im November bei der Halfte auffallende Veranderungen ein. ,,Sie wurden bleich, die Ei3lust war gemin- dert, groi3e Abmagerung folgte, die Pulse wurden klein und schwach, bei mehreren Zoglingen stellte sich Brechreiz, dann Kolik und Durchfall ein. Bei drei Patienten traten Schwindel, Kopfleiden und ein derartiges An-

schwellen des Korpers auf, so dai3 bei ihnen der Tod zu befurchten war. Die Ursache die- ser Erkrankungen vermutete man in der grii- nen Farbe, mit der alle Zimmer, Schlaf-, Schul- und Speisezimmer, gestrichen waren. Nachdem der Anstrich durch eine arsenfreie Farbe ersetzt worden war, erholten sich die Schiiler.

Diese und ahnliche Beobachtungen von ande- ren Arzten veranlaaten Muller zu der Fest- stellung:

Unter solchen Umstanden diirfte die Sorge fur das Wohl der Bevolkerung einer Hohen Staatsregie- rung die Pflicht auferlegen, das Publikum vor dem ferneren Bewohnen bereits mit arsenhaltiger Wand- bekleidung versehener Zimmer zu warnen, den Verkauf und die Anfertigung solcher Tapeten, so wie die Beniitzung und den Verkauf von derlei Far- ben zur Zimmermalerej zu verbieten und den Behorden die genaue Uberwachung dieser Vor- schriftm zur Pflicht zu machen.

Er wies auch noch besonders auf den Unfug hin, Baumwolle fur Ballkleider ausgerechnet mit diesem schlecht an der Faser haftenden Pigment zu farben.

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1860 erschien dann die sehr ausfiihrliche Ar- beit von A. Chevallier: ,,Untersuchungen iiber die Gefahren, welche das Schweinfurter Griin etc. verursachen". In diesem Buch wer- den alle medizinischen Befunde der vergange- nen Jahre zusammengefaflt und auf die viel- faltigen Anwendungen des Schweinfurter Griins hingewiesen [19].

Im ,,Handbuch der Sanitatspolizei" von L. Pappenheim [23] aus dem Jahr 1868 werden sowohl die Gefahren durch arsenhaltigen Staub als auch durch gasformige Arsenver- bindungen beschrieben, die von ,,Arsentape- ten" ausgehen konnen:

Ebenso mui3 man es als eine chemisch notwendige Erscheinung ansehen, dai3 unter Umstanden Arsentapeten zur Bildung fliichtiger Arsenverbin- dungen gelangen konnen. Es braucht dies gar nicht ausschliefllich der (fldchtige) Arsenwasserstoff zu sein; ist doch eine ganze Reihe anderer sehr fliichti- ger Verbindungen des Arsens rnit organ,+hen Stof- fen bekannt, wie die mit Methyl und Athyl. . . . Es ist sehr wohl denkbar, dafl die Bildung fliichtiger Arsenverbindungen an feuchten Stellen eines die game Nacht iiber abgeschlossenen Schlafzimmers sehr bedeutende Folgen haben kann.

Hier wird erneut, wie bereits in den ersten Vermutungen L. Gmelins, als Ursache der chronischen Arsenvergiftung die Bildung von Alkylarsinen in Betracht gezogen. H. Fleck [24], Professor und Vorsteher der ,,chemischen Centralstelle fur offentliche Gesundheitspflege" in Dresden, hatte die Versuche von Krahmer 1872 wiederholt, da- bei aber ein vollig anderes Ergebnis erhalten: Es bildeten sich gasformige Arsenverbin- dungen! Allerdings nahm er statt Leim (auf Eiweifibasis) Tapetenkleister aus Kartoffel- starke. Unter Glasglocken liefi er jeweils eine Mischung von Schweinfurter Griin und Kleister aus Kartoffelstarke, eine Mischung von Schweinfurter Griin mit Gelatine, einen wafirigen Brei aus Schweinfurter Grun und einen wagrigen Brei aus Arsenik drei Wochen lang stehen. Danach hatte sich eine uppige Schimmelschicht auf der ersten Mischung, nicht dagegen unter den anderen drei Glocken gebildet. Nur unter den ersten beiden Glocken konnte er auch in der Luft Arsen nachweisen. Er wiederholte deshalb den Versuch mit einer Mischung aus Arsenik und Kleister aus Kartoffelstarke und erhielt nach kurzer Zeit eine sehr starke Bildung von Schimmelpilzen und einer fliichtigen Arsenverbindung. Am Rande der Schimmel- kolonie sah er metallisches Arsen! Seine Schluff folgerung lautete: ,,Es hat also eine Reduktion der arsenigen Saure in dem Vege-

tationsprozei3 der Schimmelpilze stattgefun- den. Die Luft dariiber enthalt Arsenwasser- stoff oder eine demselben chemisch ahnliche Verbindung".

Eine umfangreiche Arbeit erschien dann 1875 von N. F. Hamberg [25] mit einem guten Uberblick der Literatur zu diesem Thema und den behordlichen Auswirkungen in Schweden. Durch die Arbeiten von Fleck und Krahmer angeregt, fiihrte auch Hamberg Ver- suche durch. Im Gegensatz zu Fleck und Krahmer stellte er keine In-vitro-Versuche an, sondern untersuchte Zimmer mit arsenhalti- gen Tapeten direkt, indem er grofiere Mengen an Zimmerluft durch ein Rohrensystem rnit Absorptionseinrichtungen leitete. Nach vier Wochen konnte er eindeutig Arsen und damit die Bildung einer gasformigen Arsenverbin- dung nachweisen.

Die Zusammensetzung der gasformigen Arsenverbindung war jedoch immer noch unbekannt. Anfang der 90er Jahre unter- suchte B. Gosio [26] die zuvor erwahnten Schimmelpilze auf Kulturen aus Kartoffel- brei und Arsenik naher. Er stellte fest, dafi es nicht nur viele Schimmelpilze gibt, die das arsenhaltige Substrat tolerieren, sondern dafi es von anderen sogar in ihren Stoffwechsel miteinbezogen wird; dabei bilden sich gas- formige Arsenverbindungen. Diese konnen schon in kleinsten Mengen anhand ihres typischen, lauchartigen Geruchs erkannt werden. Ein Pilz, den Gosio Penicillium brevicaule'F nannte, war besonders aktiv in der Umwandlung fester in gasformige Arsen- verbindungen. Gosio erkannte die aufier- ordentlich hohe Giftigkeit dieser gas- formigen Arsenverbindung. Er empfahl, diesen Pilz zum Nachweis von Arsen- spuren einzusetzen. D a m wurde die zu untersuchende Probe auf eine Kartoffel- scheibe aufgetragen und mit dem Schimmel- pilz geimpft. Bei Anwesenheit von Arsen gibt sich dieses durch den lauchartigen Geruch zu erkennen. Diese Methode sollte empfindlicher sein als die chemischen Methoden der damaligen Zeit (z. B. die Marshsche Arsenprobe).

"Heutige Bezeichnung: Scopulariopsis brevi- caulis

:F'FSo z. B. als Parker Griin, Bremer Griin, Braunschweiger Griin, Papageiengriin, Kai- sergriin, Mitis Griin, Casseler Griin etc.

Sein Assistent Biginelli setzte die Untersu- chungen fort und glaubte, als fluchtige Arsen- verbindung Diethylarsin nachgewiesen zu haben. Aber erst einer Arbeitsgruppe an der University of Leeds gelang 1933 die Struktur- aufklarung. F. Challenger, C. Higginbottom und L. Ellis [27] identifizierten das geheim- nisvolle Gas als Trimethylarsin!

Das langsame Ende des Schweinfurter Gruns

Von seiten der preufiischen und bayerischen Regierung wurde, wie erwahnt, bereits sehr friih versucht, auf die Gefahren durch arsen- haltige Farben aufmerksam zu machen und ihre Verwendung einzuschranken. Die Erfol- ge waren wohl nicht sehr durchgreifend ge- wesen. Dies ist vielleicht auf die fehlende wis- senschaftliche Erkenntnis der Zusammen- hange zuriickzufiihren. Hinzu kam, dai3 Schweinfurter Griin unter zahlreichen (Deck)bezeichnungen und auch mit anderen Pigmenten zu anderen Farbtonen abgemischt auf den Markt kam'F'F, und nicht ohne weite- res als arsenhaltiges Pigment fur den Konsu- menten erkennbar war [28].

Nach der Reichsgriindung wird das Problem erneut vom kaiserlichen Gesundheitsamt auf- gegriffen. Aufgrund der inzwischen immer zahlreicheren Erkrankungen wird am 14. 5. 1879 ein Gesetz verabschiedet [29], das u. a. vorsieht: ,,Mit Gefangnis . .. wird bestraft, wer vorsatzlich . . . Tapeten . . . derart herstellt, dafi der bestimmungsgemafle Gebrauch . . . die Gesundheit zu beschadigen geeignet ist, ingleich wer wissentlich solche Gegenstande verkauft, feilhalt oder sonst in Verkehr bringt".

Eine umfangreiche Zusammenstellung aller durch arsenhaltige Gebrauchsgegenstande hervorgerufenen Erkrankungen zwischen 1860 und 1880 wird dann vom kaiserlichen Gesundheitsamt 1887 veroffentlicht [30]. Es werden 39 Krankheitsfalle durch Tapeten, sechs durch Teppiche und Mobelstoffe und 13 durch Kleiderstoffe aufgefiihrt. Dieser Be- richt bildet die Grundlage fur eine Neufas- sung des Verbotes. Dies erfolgt dann durch das Gesetz vom 5. Juli 1887 [31] (dem das von 1882 vorausging), betreffend die Verwendung gesundheitsschadlicher Farben. Der 5 7 be- trifft Tapeten, Mobelstoffe, Teppiche, Vor- hange, Masken, Kerzen und kiinstliche Blu- men, Blatter und Friichte, fur die Farben, die Arsen enthalten, nicht verwendet werden durfen. Allerdings wird in S 10 das Verbot ab-

Chemie in unserer Zeit / 30. Jahrg. 1996 / Nv. 1

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30 Schweinfurter Griin

geschwacht: ,Auf die Verwendung von Far- ben, welche die im § 1 bezeichneten Stoffe (u. a. Arsen) nicht als constituirende Bestand- teile, sondern nur als Verunreinigungen, und zwar hochstens in einer Menge enthalten, welche sich bei den in der Technik gebrauch- lichen Darstellungsverfahren nicht verrneiden l i t , finden die Bestimmungen der § 2-9 nicht Anwendung". Diese Einschr5nkung erfolgte wohl in Hinblick auf die Anilinfarben, besonders auf das Fuchsin, bei dessen Herstellung anfangs bedeutende Mengen an Arsensaure eingesetzt wurden.

Nach diesem Gesetz diirfte der Absatz an Schweinfurter Griin fiir Tapeten und Anstri- che wohl zuriickgegangen sein. Aber die Zahl der Krankheitsfalle stieg weiter, zu viele Woh- nungen waren mit Schweinfurter Griin gestri- chen worden, zu viele arsenhaltige Tapeten klebten an den Whden. Anfang des 20. Jahr- hunderts wird immer noch iiber Erkrankun- gen berichtet [32-341.

Die G h i r k u n g des Schweinfurter Griins erschlo8 neue Anwendungsgebiete. So wurde es zur Bekampfung des Coloradokders beim Kartoffelanbau und im Weinbau als Spritz- mittel eingesetzt. Schiffsfarben wurde Schweinfurter Griin zur Verhinderung des Bewuchses von Schiffsriimpfen mit See- pocken, Algen und anderen maritimen Orga- &men zugeseat (,Antifoulingfarben") [35,36]. Auch zum Konservieren von Holz im Au- Benbereich [37l wurde es verwendet, sogar noch in der ersten Hdfte dieses Jahrhunderts. Heute ist es vom Markt verschwunden.

Resumee

Die Geschichte des Schweinfurter Griins hat gezeigt, wie lange es dauerte, bis man die bio- chemischen Ursachen zunachst nicht erklir- barer Krankheiten erkannte. Man mu8 dabei bedenken, dai3 die organischen Arsenverbin- dungen erheblich giftiger sind als Arsenik (Arsentrioxid) und deshalb schon in wesent- lich geringerer Konzentration wirksam sind. So konnten Erkrankungen in Wohnraumen auftreten, auch wenn mit den damaligen ana- lytischen Mitteln Arsen in der Zimerluft nicht immer nachgewiesen werden konnte. Auch Lei3 sich die Bildung gasformiger Arsenverbindungen in der Mitte des 19. Jahr- hunderts chemisch nicht erkliren und daher ein Zusammenhang hischen den mit arsen- haltigen Farben gestrichenen oder tapezierten Wohnraumen und den Erkrankungen nicht herleiten, obwohl die medizinischen Befunde

eindeutig dafiir sprachen. Immerhin hat es 50 Jahre gedauert, bis man von den ersten Befunden zum endgiiltigen Verbot arsenhalti- ger Pigmente fiir Tapeten und Innenanstriche gelangte.

Und wenn Theodor Fontane 1894 in ,Meine Kinderjahre" schreibt, dai3 in der von seinem Vater 1827 erworbenen Adlerapotheke in Swinemiinde die Gehilfenstube mit Schwein- furter Griin gestrichen war und ,wegen der gesundheitswidrigen Wirkung dieser Farbe" in einer der obersten Fensterscheiben eine sich drehende blecherne Rose fiir frische Luft zu- sorgen hatte, so geschah dies hochstens wegen . des knoblauchartigen Geruchs, aber nicht wegen der damals noch unbekannten Gesundheitsgefahr.

In der ,,Gartenlaube" (Nr. 41, 1877) wird vor arsenhaltigen Tapeten gewarnt, die nicht h e r nur das bekannte Grun auf- weisen mussen. In der ,,Gartenlaube" (Nr. 35, 1877) wird vor Gefahren bei der An- wendung von Schweinfurter Griin bei der Bekampfung des Coloradokafers gewarnt.

Chmie in umerer Zed / 30. Jahrg. 1996 / NK 1

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Schwein fur ter Griin 31

Literatur [18] K. A. von Basedow, Fernere Beobach- tungen iiber die gesundheitsnachtheiligen Ausdiinstungen der Zimmerfarben aus arse- niksaurem Kupferoxid, zitiert in Wochenschr. fur die gesammte Heilkunde, 1848, 27, 417-462.

[33] ,,Uber Arsenintoxikationen": L. Kutt- ner, Berliner klin. Wochenschr. 1918, 31, 734-737. [l] H. Braconnot, Dinglers Polytech. J. 1822,

9,451453. [34] ,,Uber chronische Arsenvergiftung in Wohnungen": F. Lennmalm, Prager rned. Wochenschr. 1912, 37, 507-510, 518-522, 529-532.

[2] C. W. Scheele, Zubereitung einer neuen griinen Farbe in Samtliche physische und che- mische Werke, Teil XI1 (Hrsg.: S. F. Hermb- sddt), Berlin, 1793; auch: L. von Crell, Chem. Archiv Bd. II, 1785, S. 381 ff.

[19] A. Chevallier, Untersuchungen iiber die Gefahren welche das Schweinfurter Griin . . . verursachen, Verlag B. F. Voigt, Weimar, 1860, S. 66.

[35] M. Ragg, Schiffsbodenfarben und Schiffs-Anstrichmittel, W. Pansegrau Verlag, Berlin 1954, S. 222. [3] F. J. Bauer, Wilhelm Sattler, zitiert in 2.

bayer. Landesgeschichte 1988,51, 829-899. [20] L. A. Buchner, Neues Rep. f. Pharm., 1860,9, 433. [36] G. Hacker und H. J. Engelke, Schiffrbo-

den-Farben, Moser Verlag, Garmisch-Parten- kirchen, 1960, S. 33, Lit. [loo].

[4] E. Sattler, Wilhelm Sattler, zitiert in Lebenslaufe am Franken Bd. I (Hrsg.: A. Chroust) Kabitzsch und Monnicb Verlag, Wurzburg, 1919.

[21] Carl Sattler, Das Schweinfgrter Griin, im Selbstverlag, Schweinfurt, 1855.

[37] ,,Herstellung und Bewertung von Schweinfurtergriin": A. Thurmer, Der Farben-Chemiker 1930,1, 114.

[22] F. Miiller, Wiener rned. Wochenschr. 1860, 10, 277-282, 292-295, 308-311, 324-326.

[5] L. Storch, Industrie und Romantik im schonsten Verein, zitiert in Die Gartenlaube 1859,37, 524.

[23] L. Pappenheim, Handbuch der Sanitats- polizei, Verlag August Hirschwald, Berlin, 1868.

[6] J. C. Leuchs, Vollstandige Fararben- und Farbekunde, Niirnberg, 1825.

[7] Dinglers Polytech. 1. 1836,59, 453. [24] H. Fleck, Z. Biol. 1872,8, 444-456.

[8] S. Hahnemann, Uber die Arsenikwergif- tung, Leipzig, 1785. [25] N. F. Hamberg, Chemische Untersu-

chungen der Luft in Wohnzimmern mit arse- nikhaltigen Tapeten, zitiert in Arch. Pharm. 1875, 54,233-254. [9] Beilage zur Karlsruher Zeitung 1839,326

(vom24.Nov.).

[26] B. Gosio, Arch. Ital. Biol. 1893, 18, 253-265,298-305. [lo] Dinglers Polytech. J. 1845,97, 74.

Dr. H. Andreas wurde am 20. 10. 1929 in Hamburg geboren. Nach dem Chemiestu- dium an der Univer- sitat Hamburg pro- movierte er 1959 im Institut fur Technische Chemie (bei E. Jant-

Zen), Wahlnebenfach: Geschichte der Natur- wissenschaften (bei H. Schimank). Danach Eintritt in die Deutsche Advance Produktion GmbH, LauterdOdenwald, und ab 1971 Forschungsleiter und Mitglied der Geschafts- leitung der Ciba-Geigy Marienberg GmbH, Lautertal/Odenwald. Ab 1991 Studien zur Chemiegeschichte.

[ll] A. Chevallier, Dinglers Polytech. J. 1847, 103, 235. [27] F. Challenger, C. Higginbottom und L.

Ellis,-/. Chem. SOC. 1933,95.

[12] M. P. Orfila, Handbuch der medizini- schen Chemie (iibersetzt von F. Tromms- dorff), Erfurt, 1819.

[28] ,,Die Herstellung und Verarbeitung von Schweinfurter Griin": R. Schaaff und J. Rie- derer, Berliner Beztrage zur Archaometrie, 1992,11, 197-205. [13] A. S. Stockert, Dinglers Polytech. J.

1843,90, 280. [29] Reichsgesetzblatt Nr. 14 vom 14. 5. 1879. [14] L. Elsner, Dinglers Polytech. J. 1845, 97,

442. [30] Arbeiten aus dem kaiserlichen Gesund- heitsamt, Bd. 11, 1887, S. 268-280. [I51 A. Beringer, Dinglers Polytech. J. 1848,

108, 143-151. [31] Reichsgesetzblatt Nr. 23 vom 5. Juli 1887. [16] L. Krahmer, Dtsch. Klinik 1852, 43,

481-484. Korrespondenzadresse: [32] ,,Uber Vergiftungen durch arsenhaltige Tapeten": L. Kuttner, Berliner klin. Wochen- schr. 1912,49, 1536.

[17] J. Marsh, Edinburgh New Philosophical Journal, Okt. 1836, S. 229.

Dr. H. Andreas, Mierendorffstrafie 5, 64625 Bensheim.

Chemie in unserer Zeit / 30. Jabrg. 1996 / M 1


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