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MEDITATION wirkt bis in die TerrenAlte Weisheit und moderne Wissenschaft
{mNeueste Ergebnisse aus der Neurowissenschaft belegen: Meditation
wirkt positiv auf unser Gehirn und damit auf unseren Körper und
unser Befinden ein. lm angeregten Gespräch mit Marietta Schürhotz
und Michaela Doepke zeigte der Naturwissenschaftler und tangjährig
Meditierende Heinz Hitbrecht auf, wie die Lehre des Buddhismus
und die Wissenschaft sich heute gegenseitig bereichern.
Buddhismus aktuellz Seit wann beschaf
tigen Sie sich mit dem Thema Meditation
und Gehirnforschung und wie kamen Sie
dazu?
Heinz Hilbrecht: Das Meditieren habe
ich ry77 von einem alten chinesischen
Arzt gelernt. Im chinesischen Denken
ergänzen sich buddhistische und daois-
tische Tiaditionen.I(urz vor seinem Tod
vermittelte dieser alte Lehrer mir den
I(ontakt zu buddhistischen Mönchen,
die seither meine Freunde sind, von de-
nen ich lernen darf und betreut werde.
Von meinem alten Lehrer stammt der
Auftrag, mir einige lahrzehnte Zeir zu
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rehmen und die Erfahrungen aus der
\leditation in die Sprache der Naturwis-senschaft zu übersetzen. Er war über-
zeugI, dass der Westen die meditieren-den Traditionen mit wis senschaftlichemDenken bereichern kann. Dazu gehörtatrch die Gehirnforschung, die ich seit
ehva zehn fahren aufarbeite.
Was passiert denn in unserenr. Gehirn,'.venn wir meditieren? Verandert es sich
:tnd hölt diese Veranderung auch über die
Übung der Meditation hinaus an?
\lachen Sie sich einmal klar: Unser Ge-
hirn hat die Speicherfähigkeit des ge-
samten Internets. Wenn Sie dieses gren-
zenlose Organ sich selbst überlassen, a1-
so meditieren, organisiert es sich
perfekt. Es verändert sich von der ersten
Stunde an. Dazu gehören das Abschal-
ten von Angst und die Einbeziehunggroßer Teile des Gehirns in Denkprozes-
se. Es wachsen neue Nervenzellen, das
Denken wird schneller. Der Fortschrittdes Meditierenden, wie der Buddha ihnbeschrieben hat, geht auf Veränderun-gen im Gehirn zurück. Das beschreibe
rch ausführlich in meinem Buch. Me-
ditation verändert sogar die Aktivierungunserer Gene, wirkt also in die Ebene
der Ze1len hinein. Das alles nehmen wirmit in den Alltag.
,,Unser Gehirn hat die
Speicherfähigkeit des
gesamten lnternets."
on der Außenwelt. Hier entstehen Er-
wartungen und der größte Teil dessen,
was wir als ,,Realität" erleben. In der un-tersten Ebene des Denkens sehen wirdie Welt in großen Zusammenhängen,
mit unserer kompletten Lebenserfah-
rung. Hier steckt hinter jedem einzel-
nen Wort die Information fur einen
abendfullenden Spielfilm. Psychologen
nennen diese Speicherkomplexe,,Erl-
gramme". Diese ,,große Leere" ist miraußerhalb der Übungen bisher nurschwach bewusst.
Wie lasst sich erklaren, dass Menschen,
die meditierend eigentl.ich weniger Zeit
auf die Erledigung von ,,au$eren" Aufga-
ben nchten, doch in der verbleibenden
Zeit konzentrierter und ffiktiver sind?
Welche Veränderungen haben Sie über Welche Beobachtungen aus der Gehimfor-
lr)ngere Praxisjahre hinweg beobachtet? Ein meditierendes Gehirn ist nicht mehr schung können einen d.irekten Nutzen von
länger im ,,Alarmzustand", in dem es Meditation f)r die Stärkung des Immun-lch erlebe vor allem immer tiefere Teile praktisch immer aus Erwartungen her- systems sowie fur d.ie Verbesserung der
meines Unbewussten im Alltag be- aus schematisch handelt. Es gibt keine Konzentration und Geistesruhe belegen?
wusst. Darauf hat schon Karl Friedrich Schrecksekunde mehr, die Reakionszeit
Graf Dürckheim (1896 bis 1988) hinge- verkürzt sich praktisch aufNull. Gefiihle Vieles dayon ist schon nach wenigen
wiesen. Unser Denken in Worten ist entstehen im ,,Hier und Jetzt". Mindes- Wochen auf die Dämpfung der Stressre-
nicht unser eigentliches Denken. Es ist tens zwei Drittel der Engramme beste- aktion zurückzuliihren. Stress ist ein
nur eine hauchdünne Ebene, die Vorbe- hen aus erwarteten Gefühlen. Wenn Sie Alarmzustand. Unnötiges wird abge-
reitung von Kommunikation mit wrs diesen Ballast einfach abschneiden, kön- schaltet. Dann stehen dem Virus alle
selbst und mit anderen Menschen. Dar- nen Sie die zo Millionen Rechenopera- füren oflen. Stress entsteht vor allem
unter liegen mindestens zwei weitere tionen pro Sekunde, die unser Gehirn durch unsichere Beziehungen zu ande-
Ebenen des Denkens. Die mittlere ist leistet, auf das Problem konzentrieren. ren Menschen. Meditation lässt aber
das ,,intuitive Denken", der Bereich des Außerdem haben Meditierende einen schon nach Wochen Teile des Gehims
,,lch". Dort betreiben wir eine Simulati- drastisch erhöhten Dopamin-Spiegel im wachsen oder akiverwerden, die wir für
Gehirn. Das schafft die positive Grund-
stimmung, mit der Menschen bewuss-
ter denken können.
Je mehr wir in der modernen WeLt aufäuJSere Reize ausgeichtet und Überrei-
zungen ausgeliefefi sind, desto haufiger
scheinen bestimmte Krankheiten zw wer-
den, zum Beispiel Butn-out. Kann die Ge-
hirnfor s chung n achw eis en, d cL s s M e dit ati -
on eine innere Ordnung schafi?
Im vergangenen f ahr wurden z\\ ei Ar-
beiten publiziert, die bei langjährig Me-
ditierenden ein sehr geordnetes und
stark beruhigtes Netzwerk im Gehirnnachweisen, das Menschen in völliger
Ruhe aktivieren. Das war eine Sensati-
oh, denn dieses ,,Neutrai Mode Net-
work" ist bei psychischen Störungen
übermäßig aktiv oder im Ungleich-
gewicht. Ganz allgemein strebt das
I(örper-Geist-System einen geordneten
Zusland äfl, die Homöostase. Dann
funktioniert alles gut aufeinander abge-
stimmt. Meditation fuhrt in diesen Zu-
stand und verbreitert die Widerstands-fähigkeit gegen Störungen (Resiiienz).
Das heißt, wir können körperlich undgeistig in einer großen Breite und feingeregelt auf äußerliche Reize reagieren.
Das mindert Reibungsverluste, also
auch Krankheit.
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flruTffiffi-Wütr"W aktuell
,,Meditierende haben
einen drastisch erhöhten
Dopamin-SpiegeI im
Geh irn."
die Sensibilitat mit anderen Menschen
brauchen. Außerdem verändert sich die
Amygdala, unser ,,Angst- und Schreck-
zenlrttm" im Gehirn. Wir reagieren ru-
higer. I(onzentration und Wachheit er-
zergen wir biochemisch, mit den Bo-
tenstoffen Dopamin und Noradrenalin.
Davon produzieren Meditierende un-
glaubliche Mengen.
Wie funktioniert unser Gehim in Bezug
auf den ganzen Körper? Passiert etwas
m.it den anderen Organen, wenn wir me-
ditieren? Ist Meditation eine Aktivitöt,die genauso real und wirkungsvoll wie
zum Beispiel Sport ist?
Auch die moderne Medizin trennt nichtmehr zwischen Geist und Körper. Ein
Beispiel:Wenn uns ,,etwas auf der Leber
liegt" (tatsächlich auf der Bauchspei-
cheldrüse), dann haben wir depressive
Gefühle. Verändere ich meine Gefühle
- das kann ich als Meditierender -, wir-ke ich regulierend ins Organ hinein.Deshalb finden Sie Meditationspro-
gramme in psychosomatischen Klini-ken. Dort sind messbare WirkungenPflicht. Es ist zum Beispiel messbar,
dass Meditation das Immunsystem bes-
ser stärkt als Entspannungstechniken.
Daran hängt viel, denn das Immun-system wehrt nicht nur Viren und Bak-
terien ab. Die Veränderung der Stressre-
aktion und die Vergrößerung der Resi-
lienz, der Reaktionsbreite bei Belastun-
gen, verändern den Körper grund-
legend. Zum Beispiel wechseln die Her-
zen von Meditierenden ständig ihrenRhythmus. Mit der größeren Resilienz
kann der Körper nämlich sehr fein ge-
steuert werden und sich schon bei klei-
nen Veränderungen immer optimal an-
passen.
Welche Rolle spielen Werte oder Ethikfürdas meditierende G ehirn?
Dieser Punkt ist ganz entscheidend. Me-
ditation schaltet die Stressreaktion ab.
Deren wichtigste Funktion ist aber, uns
bei gestörten Beziehungen zu anderen
Menschen zu Lösung en zutreiben. Die-
ses Signal verlieren wir. Deshalb vermit-
teln meditierende Traditionen häufig
drei Teile: Meditation in Ruhe, in Bewe-
gung und mit einer Philosophie. Zen
hat die Wegkünste, Vipassana das Yoga,
daoistische Meditation das Qigong undKampfkünste. Im Gehirn benutzen wirnämlich fur die Steuerung unserer eige-
nen Bewegungen die gleichen Nerven-
zellen, mit denen wir die gleichen Be-
wegungen anderer Menschen nachvoll-
ziehen und verstehen. Auch diese
,,spiegelneuronen" trainieren wir, ver-
bessern unser Körpergefuhl und neh-
men andere Menschen genauer wahr.
Spiegelneurone funktionieren aber so,
dass wir von uns auf andere Menschen
schließen. Wenn jemand sich ständig
von bösen oder minderwertigen Men-
schen umgeben sieht, dann liegt der
Fehler meist in seinem eigenen Gehirn.
Wir spiegeln uns wirklich in anderen
Menschen. Übersteigerte Selbstliebe
(Narzissmus) oder Ichaufblähung sind
typische,,sportunftlle" bei Meditieren-
den. A1s ,,Leitplanke" gegen solche Ent-
gleisungen brauchen wir die Philoso-
phie: Selbstbetrachtung, ein starkes
Wertesystem, den achtfachen Pfad undWertschät zrng fur andere Menschen.
Kann rrl.an, wenn mehrere Menschen zu-
san'LrrLen meditieren, von einem sich aus-
breitenden Feld sprechen? Und gibt es
Ihrer Meinung nach Wirkungen dieses
Feldes auf andere Menschen? Lassen sich
morphogenetische Felder von der Gehirn-
fors chung aus erkl. ar en?
Wenn Sie über große Entfernungen
,,Vorahnungen" fi;Lt andere Menschen
haben, wenn Ideen an verschiedenen
Orten entstehen, dann stammt das aus
dem intuitiven Denken. Dort simuiie-
ren wir die Welt, machen Vorhersagen
mit einer Leistung, die jeden Supercom-
puter in den Schatten ste11t. Wie gesagt,
unser Gehirn hat die Speicherf,ähigkeit
Die moderne Gehinrnforschung zeigt, dass die Veränderungen bei Meditierenden kein Mythos sind,
sondern messbare biologische Ursachen haben.
221ak:t:uettt 3 tl2
INTERVIEW aktuell
Zur Weisheit geborenErkenntn isse aus der Gehirnforschung
f in. der spannendsten Erkenntnisse der HirnforschungList die Entwicktung des erwachsenen Gehirns. Dasjunge erwachsene Gehirn ist für schne[[e Entscheidungennach klaren Regeln optimiert. Es arbeitet mit kteinenGebieten im Gehirn und aktiviert dabei nur die tinke oderrechte Hirnhätfte. Junge Erwachsene haben deshalb häufigSchwierigkeiten mit Unsicherheit oder wenn klare Regelnfür ihr,,formales Denken" fehlen. Sie reagieren aberschnel[ auf geänderte Bedingungen, weil nur kteine Teitedes Gehirns dafür verändert werden müssen.
ln der Lebensmitte, zwischen 40 und 5o Jahren, verändertsich das Gehirn. Bei Denkprozessen werden nun größere
-nd mehrAreale aktiviert. Beide Hirnhätften arbeiten
ies gesamten Internets und leistet zo\fillionen Rechenoperationen pro Se-
r.-rnde. Wenn das keine ,,Wunder" pro-i-uiert, was dannl Wir wissen außer-
'em, dass unser Gehirn erst in einer::äten Phase zwischen Ich und Du un-:=:scheidet. Beim Zuhören synchroni-neren wir die Aktivierungsmuster unse-:- Gehirns mit denen des Sprechers;-od nennen das ,yerstehen". Bewegun-.:tr anderer Menschen nehmen wir mit:er.elben Hirnzellen wahr, mit denenii;: unseren eigenen Körper steuern.lehalb strahlen friedliche MenschenI-eden auf andere Menschen aus. Des-:;-: spüre ich etwas in einer meditie-:::cien Gruppe, weil Menschen sichrt:chronisieren, bis zum gemeinsa-::F-a Herzschlag. Tätsächlich denken\ü=-:schen nicht einmal allein mitr:em eigenen Gehirn. Wir sind zr,;{er-e-:em Denken" {ilhig. Wir haben unser-,ra-ütliches Denken ins Unbewussteaugeschoben, zugunsten von Kommu-rn,c;:ion, Kooperation und Gemein-i::.i:'i- Spekulationen über morphoge-
gleichzeitig. Diese optimierten Gehirne [eisten mehr undschrumpfen deshalb in einigen Bereichen. Sotche Gehirnehaben ihre Stärke bei Entscheidungen mit unsicheren Fak-
toren oder wenn Vorteile mit Nachteilen abgewogen werdenmüssen. Sie berücksichtigen Gefühle oder soziate Bezie-hungen stärker als junge erwachsene Gehirne. Es entstehtein ,,postformales Denken", die Mögtichkeit für Weisheit.Auch sehr alte Gehirne verfügen über Stammzellen für neueNervenzellen und können sich weiter verändern.
Meditation erzeugt auch beijungen Erwachsenen im Laufvon Jahren ein ,,altes" Gehirn. Nach mindestens zehn Jahrentäglicher und intensiver Praxis gehen meditierende Gehirnein einen Zustand mit geringer Aktivität über, sind aberaußergewöhnlich leistungsfähig. Dieser Zustand ist bishernur von Meditierenden bekannt.
Zum Weiterlesen: Gene D. Cohen: Geistige Fitness im Alter:So bleiben Sie vital und kreativ, Deutscher Taschenbuch Verlag zoog
netische Felder sind überflüssig, weilMenschen von Natur aus ein Feld sind.Individualitat ist wirklich eine Illusion.Auch dabei steht die Wissenschaft mitwehenden Fahnen hinter der Lehre des
Buddha.
Dr. Heinz Hilbrecht und Marietta Schürholzwährend des Interviews in München
Dr. Heinz Hilbrecht wurde r958 geboren, istpromovierter Naturwissenschaft [er und seitzooo freier Journalist und Redakteur für Zei-
tungen am Hochrhein. Sein Buch ,,Meditationund Gehirn" erschien zoto.Er meditiert seit
ry77 in daoistischer Methode und folgt Bud-
dhas Lehre in der Theravada-Tradition.
Weitere lnfos: www.facebook.com undwww.fu h rman n -h i lbrecht.de
Weiterführende Literatur:Heinz Hilbrecht: Meditation und Gehirn -Alte Weisheit und moderne WissenschaftSchattauer Verlag
Rick Hanson und Richard Mendius:Das Gehirn eines Buddha. Die angewandteNeurowissenschaft von Glück, Liebe undWeisheit, ArborVerlag
Joachim Bauer: Warum ich fühle, was Du
fühlst. lntuitive Kommunikation und das
Geheimnis der SpiegelneuroneHeyne Verlag
Joachim Bauer: Prinzip Menschlichkeit:Warum wir von Natur aus kooperierenHeyne Verlag
Johann Caspar Rüegg: Mind & Body
Wie unser Gehirn die Gesundheit beeinflusstSchattauer Verlag
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