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Experimentelle Studie der Versagensmechanismen in AISi-Gußlegierungen\' ,
N. Lippmann *'**, P. Gumbsch * und S. Schmauder **
Einleitung
D<l:smechanische Verhaften von untereutektischen AlSi-Gu~legierungen wird von derdurch die Legierungszusammensetzung und Wärmebehandlung bestimmtim Ausbildungder Mikrostruktur beeinflußt. Die im Eutektikum vorhandenen lamellaren Si-Partikel
könn~n durch das Zulegieren von Antimon (Sb) gefeint werden. Die somit erzielte globulare Struktur des Si-Eutektikums führt zu einer wesentlichen Veränderung' des Bruchverhaltens [1]. Die Bruchdehnung'im Zugversuch erhöht sich von etwa 1 % beim lamellarenSi-Eutektikum auf über 10 % in der Sb-gefeinten Struktur.Im Hinblick auf eine Optimierung der mechanischen Eigenschaften ist es das Ziel, diemikroskopischen Vorgänge zu verst~hen, die zu dem unterschiedlichen makroskopischenBruchverhalten führen. Durch in-sitUeVersuche im Rasterelektronenmikroskop erfolgtedie experimentelle Untersuchung des' Schädigungsablaufes 'an flachen Zugproben. DieErgebnisse zeigen, daß sich insbesondere quer zur Zugachse liegende Ausscheidungennegativ auf das makroskopische Bruchverhalten auswirken.
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Experimentelle Vorgehensweise
In-situ- Versuche im Rasterelektronenmikroskop (REM) stellen eine einfache Möglichkeitdar, das lokale Schädigungsverhalten von Werkstoffen zu untersuchen. Der Versuchsaufbau einer in-situ-Zugvorrichtung ist schematisch in Bild 1 dargestellt.Um die einzelnen Phasen der Anrißentstehungdetailliert beobachten zu können, istein,~Konzentration der Spannungsmaxima auf einen kleinen Bereich im Gefüge notwendig.Durch die Verwendung gekerbter Proben (Bild 1) mit einer elastischen Formzahl VonO'.K= 6 wird eine Sp,annungskonzentration im Bereich des schmalen Ligamentes erzeugt,der den Beobachtungsausschnittbildet. Die Belastung der Proben erfolgt quasi-statischmit einer Querhauptgeschwindigkeitvon 0,1 p.m/s.Bis zum Auftreten:der ersten Schädigung wurde nach Lastinkrementen von 10 bis 20 Nder Versuch jeweils,'unterbrochen und der Bereich zwischen den Kerben sehr genau im:tersucht. Der größte auftretende Riß im Untersuchungsausschnitt wurde dann währenddes Belastungsvorganges weiter verfolgt.Die Untersuchung der Versagensmechnismen erfolgte für zwei untereutektische Legierungen des Typs GK-AlSi7MgO,3 mit lamellarer und Sb-gefeinter Struktur des SiEutektikums (Bild 2), die nach dem Vergießen bei einer Temperatur von 540°Clösungsgeglüht und bei 170°C warmausgelagert wurden. Die Versuchsserieumfaßte insgesamt 12 in-situ-Proben.
·Max-Planck-Institut für Metallforschung, Institut für Werkstoffwissenschaft, SeestraBe 92, 70174
Stuttgart··Universität Stuttgart, Staatliche Materialprüfungsanstalt (MPA), Pfaffenwaldring 32, 70569
Stuttgart
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Probengeometrie und Versuchsaufbau der REM in-situ-Zugversuche
(schematisch).
Bild 1:
Untersuchung des Schädigungsverhaltens mit REM in-situ-Zugversuchen
Die unterschiedliche Gefügestruktur der ungefeinten und Sb-gefeint.en Legierung hat ein
völlig voneinander abweichendes Bruchverhalten zur Folge. Während sich der ungefeinteWerkstoff makroskopisch nahezu linear-elastisch verhält, zeigt der Sb-gefeinte Werkstoffein elastisch-plastisches Verhalten (Bild 3).
Aus den gemessenen Kraft- Verschiebungs kurven wurden für den Probenquerschnittzwischen den Kerben Nennspannungs(aN)-Dehnungskurven berechnet. Die ermittelteZugfestigkeit der Sb-gefeinten Legierung liegt demnach höchstens 20 % über der derungefeinten Legierung.
(a)
Bild 2:
(b)
AlSi7Mg, (a) lamellare Struktur des Si-Eutektikums, (b) Sb-gefein1;e, glcibulare Struktur des Si-Eutektikums.
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0.1 0.2 0.3Gesamtdehnung in %
(a)
400
0.1.. 0.2 0.3 0.4 0.5Gesamtdehnung in %
(b)
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Bild 3: Nennspannungs- Dehnungskurven AlSi7Mg: (a) lamellares und (b) Sbgefeintes Si-Eutektikum.
Die Prozesse der Anrißbildung sind bei beiden Gefügezuständen ähnlich. Der erste Anrißdurch den spröden Bruch von Si-Partikeln wurde jeweils bei einer Nennspannung von200 bis 250 MPa registriert (Bilder 4 und 5)..
Bild 4: Anrißbildung durch den Bruch eines Si-Partikels bei (!N= 214 MPa (lamellares ,Si-'Eutektikum) .
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Der erste Anriß wurde in beiden untersuchten Legierungen manchmal im Zentrum derProben, zum Teil aber auch'im Kerbgrund gefunden. Durch den im Vergleich zum Ligamentsehr großen Kerbradius wirkt der äußere Kerb sehr mild im Verhältnis zu denlokalen Spannungskonzentrationen aufgrund des heterogenen Gefüges.
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Bild 5: Anrißbildung durch den Bruch von Si-Partikeln 'bei (JN= 245 MPa (Sbgefeintes Si-Eutektikum).
Risse entstehen bei etwa g;1eicherBelastung jedoch nicht nur an Partikeln mit derlängsten Achse parallel zur maximalen Normalspannung, wo dies aufgrund der Spanenungsverteilung zu erwarten wäre, sondern auch an Partikeln mit der längsten Achsesenkrecht zur maximalen Normalspannung. Die Rißorientierung beim Bruch der Partikel wird demnach sowoWdurch die Normalspannungsrichtung als auch durch die Eigenschaftsanisotropie der Si-Kristalle niit nur wenigen Spaltebene:q bestimmt. Die Risse insenkrecht zur Normalspannungsrichtung orientierten lq,mellaren Partikeln sind bereitsdirekt nach ihrer Entstehung vergleichsweise lang und damit besonde:rskritisch.Risse, die durch den Bruch der stark eingeformten Si-Partikel im Sb-gefeinten Werkstoffgebildet werden, sind immer wesentlichkürzer'als die durch den Bruch von lamellaren'Partikeln entstehenden Risse.
Die, teilweise vorhandenen, lq,mellar ausgebildeten ,AlFeSi-Phasen zeigen ebenfalls einanisotropes Bruchverhalten. Aufgrundihrer Größe sind auch diese Partikel in der Phase,der Anrißentstehung kritisch (Bild 6);Das lamellare Gefüge versagt aufgrund der durch die langen Risse in Si-Partikelnerzeugten hohen Spannungsintensität an der Rißspitze praktisch unmittelbar nach demAuftreten der et~ten Risse. Der makroskopischen Plastifizierung des globulitischenGefüges geht zwar ebenfalls der BruSh von Si-Partikeln voraus, die an der Rißspitzedieser kurzen Risse auftretende Spannungskonzentration ist aber offenbar so schwach,daß sie durch eine lokale Plastifizierung der Matrix abgebaut' werden kann.Die makroskopische Plastifizierung im,globulitischen'Gefüge wird mikroskopisch sowoWdurch Brüche von Si-Partikeln, die eine Veränderung der Steifigkeit bewirken, als auchdurch die lokale Plastifizierung der Matrix hervorgerufen. Bei weiterer Belastung wirdim Bereich zwischen den Kerben eine durchgreifende Plastifizierung mit ausgeprägtenGleitbändern im 45°-Winkel zur Richtung der maximalen Normalspannung sichtbar(Bild 7).In den in-situ- Untersuchungen im REM kann nur die Probenoberfläche betrachtet wer
den und somit wird das Bruchverhalten etwa dem ebenen Spannungszustand (ESZ)
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Bild 6: Bildung eines Risses durch den Bruch einer AlFeSi-Phase (ON= 251 MPa).
entsprechend untersucht. Um die Schädigungsmechanismen im Probenvolumen, d.h.bei ebenem Dehnungszustand (EDZ) nachvollziehen zu können, wurden die gebrochenenProben bis auf die Hälfte der Dicke abgetragen. Bei lichtmikroskopischen Untersuchimgen konnten dabei große Mengen gebrochener Si-Partikel an den Bruchflächen gefundenwerden, so daß auch für den EDZ die dominierende Rolle der Si-Partikel im Bruchverhalten bestätigt werden kann.
Zusammenfassung und Schlußfolgerungen
Das Schädigungsverhalten von zwei AlSi-Gußlegierungen mit ungefeintem und Sbgefeintem Si-Eutektikum wurde mittels in-situ-Zugversuchen im REM untersucht. DasVersagen im Mikrobereich durch den Bruch der Si-Teilchen tritt weit unterhalb derBruchdehnung der Probe auf. Aufgrund der Eigenschaftsanisotropie der Si-Partikelbrechen nicht nur die spannungsmechanisch bevorzugten, längs zur Belastungsrichtung liegenden Teilchen, sondern auch Teilchen mit der längsten Achse quer zur Be-.lastungsrichtung. Dabei wirken sich insbesondere die in der ungefeinten Legierung vorliegenden, lamellaren Teilchen negativ auf das Bruchverhalten aus, da dei Bruch vonsenkrecht zu'r Belastungsrichtung liegenden Teilchen sehr große, kritische Risse hervorrufen kann ..
Das makroskopisch unterschiedliche Bruchverhalten der untersuchten Legierungenist somit auf Bruchprozesse im Mikrobereich zurückzuführen. Zur Optimierungdes Bruchverhaltens ist eine Gefügefeinung notwendig .. Zur Ausschöpfung der hohen Bruchdehnung sollte in der Sb-gefeinten AlSi7Mg-Gußlegierung insbesondere dasAuftreten von lamellaren AlFeSi-Phasen vermieden werden, da diese großen Partikel dasBruchverhalten ebenfalls negativ beeinflussen.Basierend auf den Ergebnissen der in-situ-Untersuchungen erfolgte die numerische Modellierung des Schädigungsverhaltens mit der Methode der Finiten Elemente [2]. Ein
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Bild 7: Schädigung von Si-Partikeln und Plastifizierung im Kerbgrund (erN= 314MPa).
Vergleich von Rechnung und Experiment bezüglich der Gesamtdehnungbeiril erstenAnriß von Si-Partikeln zeigte eine sehr gute Übereinstimmung. Der Ort des ersten Anrisses hingegen konnte noch nicht exakt wiedergegeben werden.
Danksagung
Die Arbeit ist Teil des COST-512-Programms und wird vom BMBF gefördert (VertragNr. 03K 8004). Die Autoren bedanken sich bei den Industriepartnern Robert Bosch
GmbH, Fonderies Waeles und Lasso Ingenieurgesellschaft für die Unterstützung.
Literatur
1. Reif, W.; Subramanyam, P. & Schneider, W. Untersuchungen zur Feinungswirkungund zum Feinungsmechanismus von Antimon am Beispiel der Legierung G-AlSi7Mg,Gießereiforschung, 1993,1,9-18 and 65-72.
2. Lippmann, N.; Schmauder, S. & Gumbsch, P. Numerical and experimental study ofthe failure mechanisms in· AlSi-cast alloys, 4th International Conference "Localised
Damage '96", Fukuoka (Japan), accepted.
Symposium 8
Simulation, ModeUierung, ..Informationssysteme
Herausgeber:J. Hirsch
DGM - INFORMATIONSGESELLSCHAFT-YERLAG
ISBN 3-88355-236-4
Die Werkstoffwoche, Kongreß und Ausstellung, ist einGemeinschaftsprojekt von:
Deutsche Gesellschaft für Materialkunde (DGM);Deutsche Keramische Gesellschaft (DKG);VDI-Gesellschaft Werkstoff technik (VDI-W);Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung
. und Technologie (BMBF).
Das Kongreßprogramm 1996 war in 9 Symposien unterteilt. Diefachliche Betreuung erfolgte durch den Programmausschuß unter der Leitungvon H. Thomann und R.F. Singer. Für die einzelnen Symposien warenzuständig: ..
Symposium 1:H. Thomann, Siemens AG, MünchenSymposium 2:U. Koch, Daimler-Benz AG, MünchenSymposium 3: ..H. Grünling, ABB-Kraftwerke AG, MannheimSymposium 4:J. Breme; Universität des Saarkmdes, Saarbrücken
Symposium 5:A. de Paoli, Robert Bosch GmbH, StuttgartSymposium 6:G. Ziegler, Universität Bayreuth; H. Cherdron, Wiesbaden;W. Hermel, Fraunhofer-Institut für Keramische TechnologienundSinterwerkstoffe, Dresden; J. Hirsch, VAW aluminium AG, Bonn;H. Kolaska, Fachverband Pulvermetallurgie, HagenSymposium 7:F. Aldinger, MPI für Metallforschung, Stuttgart; H. Mughrabi, UniversitätEriangewNürnberg .Symposium 8:J. Hirsch, VAW aluminium AG, Bonn
. Symposium 9: .H. Schmidt, INM Saarbrücken; R.F. Singer, Universität Erlangen-Nürnberg
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