leopold horner (1911–2005): nestor der präparativen organischen chemie

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Leopold Horner (1911–2005): Nestor der prȨparativen organischen Chemie Im hohen Alter von 94 Jahren, aber dennoch unerwartet und mitten aus dem tȨtigen Leben voller Engagement fɒr die Wissenschaft, verstarb am 5. Oktober 2005 Leopold Horner, Professor emeritus am Institut fɒr Or- ganische Chemie der Johannes Gu- tenberg-Universi- tȨt Mainz, in seinem Haus in Mainz-Bretzen- heim. Noch in der vorangegangenen Woche hatte er polnische GȨste durch das Institut gefɒhrt und nach den Se- minar- und Vortragsprogrammen fɒr das kommende Wintersemester gefragt. Leopold Horner wurde am 24. August 1911 in Kehl am Rhein geboren. Schon im Elternhaus kam er mit der Chemie in Berɒhrung, da seine Eltern eine FȨrberei betrieben. In seiner Kindheit und Jugend musste er harte Zeiten durchstehen. Sein Vater kam schwerkrank aus dem Ersten Weltkrieg zurɒck und verstarb schon 1919. Die Mutter, die allein die Kinder und den Betrieb durch die schweren Nach- kriegszeiten und die Inflation bringen musste, verschied fɒnf Jahre spȨter und ließ Leopold Horner und seine Schwester als Waisen zurɒck. Zum Glɒck nahmen sich Onkel und Tante der Kinder und des FȨrbereibetriebes an. In familiȨrem Zusammenhalt und durch Sparsamkeit schufen sie die MɆglich- keit, dass der junge Leopold Horner, dessen Talente sie frɒh erkannten, die Oberrealschule besuchen und 1931 in Heidelberg mit dem Chemiestudium beginnen konnte. Nach dem ersten Verbandsexamen, das dem heutigen Vordiplom entsprach, wechselte er an die UniversitȨt Mɒnchen, wo er 1935 das zweite Verbandsexamen ablegte. Besonders prȨgend fɒr seine Interessen und seinen weiteren Weg als junger Wissenschaftler waren die Jahre seiner Doktorarbeit bei Geheimrat Heinrich Wieland, NobelpreistrȨger 1927, der ihm die Faszination der Naturstoffche- mie nahebrachte. Er wurde 1937 mit einer Arbeit ɒber Vomicin, einen Ver- wandten des Strychnins, promoviert und von Heinrich Wieland zum Vorlesungs- assistenten bestellt. Als solcher war er als Habilitand mit der Vorbereitung und Durchfɒhrung der Experimente sowohl in der organischen als auch in der an- organischen Chemie betraut, was viel- leicht das ausgesprochen breit angelegte wissenschaftliche Interesse erklȨrt, das fɒr Leopold Horner in seiner Laufbahn bis hin in die jɒngste Zeit als Emeritus immer charakteristisch war. Nach der Habilitation in Mɒnchen ɒber Oxindole ging Leopold Horner 1942 an das Forschungsinstitut fɒr Kunststoffe in Frankfurt/Main, wo er seine Frau Gerda kennen lernte. Die Wohnung des jungen Paares und spȨter der jungen Familie mit den drei Kin- dern, Christoph, Michael und Irene, war in den Ȩußersten Notzeiten unmittelbar vor und nach dem Kriegsende hȨufiger Anlaufpunkt fɒr viele Freunde und Kollegen, die um ihr Ƞberleben kȨmpften. Ein offenes Haus und sofor- tige Hilfeleistungen fɒr Freunde und in Not Geratene haben Leopold Horner und seine Familie stets ausgezeichnet. In Frankfurt war er als junger Pri- vatdozent intensiv am Wiederaufbau der zerstɆrten chemischen Institute der UniversitȨt beteiligt. Seine Forschung konzentrierte sich auf Mechanismen der PolymerisationsauslɆsung durch Ein- elektronenɒbertragung von Aminen und spȨter durch Zweielektronenɒber- tragung von Phosphinen. Die Ergebnis- se dieser Arbeiten trugen ihm 1953 die Berufung an die UniversitȨt Mainz ein, zunȨchst auf ein Extraordinariat und 1962 auf das II. Ordinariat fɒr Organi- sche Chemie. Sie waren auch Aus- gangspunkt fɒr das durch fachliche Breite, kɒhne Interpretationen und Entwɒrfe sowie interdisziplinȨre An- lage gekennzeichnete wissenschaftliche Werk von Leopold Horner. In Mainz hat er umfassende Studien der Chemie der ortho-Chinone durch- gefɒhrt, die Modellreaktionen zur Mel- amin- und Purpurogallin-Bildung ein- schlossen. [1] Die Photochemie der Di- azoverbindungen [2] und [2 s + 2 a ]-Cyclo- additionen zu b-Lactamen [3] wurden ebenso untersucht wie spȨter elektro- chemische und katalytische Wasser- stoffɒbertragungen unterschiedlicher Art. Auch in der Erforschung von Vor- gȨngen an GrenzflȨchen, im Prozess der Korrosionen und Reaktion an Silicat- OberflȨchen, [4] war Leopold Horner seiner Zeit voraus. Im Mittelpunkt seines Werkes stand aber die phosphor- organische Chemie. Das Prinzip der Kondensations- und Substitutionsreak- tionen mit tertiȨren Phosphinen und weichen Elektrophilen, heute in Form von Appel-, Mukaiyama- und Mitsuno- bu-Reaktionen bekannt, beschrieben Horner und Mitarbeiter schon 1959 an den Triphenylphosphindihalogeniden. [5] Die elektrochemische Spaltung von quartȨren Phosphoniumsalzen [6] ermɆg- lichte die unerwartete Entdeckung, dass tertiȨre Phosphine mit drei verschiede- nen Substituenten chiral sind. [7] Auf diese Erkenntnis grɒndet sich die Pio- nierarbeit von Leopold Horner in der enantioselektiven Katalyse, speziell in der enantioselektiven Homogenhydrie- rung, [8] publiziert unabhȨngig und im gleichen Jahr wie die mit dem Nobel- preis gewɒrdigte Arbeit von W. S. Knowles, die ebenfalls auf den von Horner entdeckten chiralen Phosphinen aufbaut. Fɒr das prȨparative Methodenarse- nal der Chemie vielleicht noch bedeu- tender ist die zeitlich vorangegangene Meisterleistung von Leopold Horner, die Entwicklung der PO-aktivierten Olefinierung. [9] In der zweiten dieser Arbeiten dienten neben Phosphonoxi- den auch PhosphonsȨureester als CH- acide Olefinierungsreagentien, publi- ziert zwei bzw. drei Jahre bevor Emmons et al. 1961 ɒber ihre ersten Experimente dieser Art berichteten. Die Horner-Reaktion kann man, ohne vermessen zu sein, als ein unverzicht- bares Werkzeug in der anspruchsvollen prȨparativen Chemie, besonders auch in der Totalsynthese von Natur- und Wirkstoffen bezeichnen. Fɒr sein außerordentliches wissen- schaftliches Werk hat Leopold Horner zahlreiche Ehrungen erfahren. Er wurde Ehrendoktor der UniversitȨt Karlsruhe, erhielt die Hanus ˇ-Medaille der Tsche- choslowakischen Chemischen Gesell- schaft, wurde Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldi- na zu Halle und erhielt deren Cotheni- us-Medaille in Gold. Als große Wɒrdi- gung empfand er die Auszeichnung mit der Liebig-Denkmɒnze der GDCh, und Nachruf 7838 # 2005 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2005, 117, 7838 – 7839

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Page 1: Leopold Horner (1911–2005): Nestor der präparativen organischen Chemie

Leopold Horner (1911–2005):Nestor der pr�parativenorganischen Chemie

Im hohen Alter von 94 Jahren, aberdennoch unerwartet und mitten aus demt�tigen Leben voller Engagement f�r

die Wissenschaft,verstarb am 5.Oktober 2005Leopold Horner,Professor emeritusam Institut f�r Or-ganische Chemieder Johannes Gu-tenberg-Universi-t�t Mainz, inseinem Haus inMainz-Bretzen-

heim. Noch in der vorangegangenenWoche hatte er polnische G�ste durchdas Institut gef�hrt und nach den Se-minar- und Vortragsprogrammen f�r daskommende Wintersemester gefragt.

Leopold Horner wurde am 24.August 1911 in Kehl am Rhein geboren.Schon im Elternhaus kam er mit derChemie in Ber�hrung, da seine Elterneine F�rberei betrieben. In seinerKindheit und Jugend musste er harteZeiten durchstehen. Sein Vater kamschwerkrank aus dem Ersten Weltkriegzur�ck und verstarb schon 1919. DieMutter, die allein die Kinder und denBetrieb durch die schweren Nach-kriegszeiten und die Inflation bringenmusste, verschied f�nf Jahre sp�ter undließ Leopold Horner und seineSchwester als Waisen zur�ck. ZumGl�ck nahmen sich Onkel und Tante derKinder und des F�rbereibetriebes an. Infamili�rem Zusammenhalt und durchSparsamkeit schufen sie die M:glich-keit, dass der junge Leopold Horner,dessen Talente sie fr�h erkannten, dieOberrealschule besuchen und 1931 inHeidelberg mit dem Chemiestudiumbeginnen konnte. Nach dem erstenVerbandsexamen, das dem heutigenVordiplom entsprach, wechselte er andie Universit�t M�nchen, wo er 1935das zweite Verbandsexamen ablegte.Besonders pr�gend f�r seine Interessenund seinen weiteren Weg als jungerWissenschaftler waren die Jahre seinerDoktorarbeit bei Geheimrat HeinrichWieland, Nobelpreistr�ger 1927, derihm die Faszination der Naturstoffche-

mie nahebrachte. Er wurde 1937 miteiner Arbeit �ber Vomicin, einen Ver-wandten des Strychnins, promoviert undvon Heinrich Wieland zum Vorlesungs-assistenten bestellt. Als solcher war erals Habilitand mit der Vorbereitung undDurchf�hrung der Experimente sowohlin der organischen als auch in der an-organischen Chemie betraut, was viel-leicht das ausgesprochen breit angelegtewissenschaftliche Interesse erkl�rt, dasf�r Leopold Horner in seiner Laufbahnbis hin in die j�ngste Zeit als Emeritusimmer charakteristisch war.

Nach der Habilitation in M�nchen�ber Oxindole ging Leopold Horner1942 an das Forschungsinstitut f�rKunststoffe in Frankfurt/Main, wo erseine Frau Gerda kennen lernte. DieWohnung des jungen Paares und sp�terder jungen Familie mit den drei Kin-dern, Christoph, Michael und Irene, warin den �ußersten Notzeiten unmittelbarvor und nach dem Kriegsende h�ufigerAnlaufpunkt f�r viele Freunde undKollegen, die um ihr Aberlebenk�mpften. Ein offenes Haus und sofor-tige Hilfeleistungen f�r Freunde und inNot Geratene haben Leopold Hornerund seine Familie stets ausgezeichnet.

In Frankfurt war er als junger Pri-vatdozent intensiv am Wiederaufbauder zerst:rten chemischen Institute derUniversit�t beteiligt. Seine Forschungkonzentrierte sich auf Mechanismen derPolymerisationsausl:sung durch Ein-elektronen�bertragung von Aminenund sp�ter durch Zweielektronen�ber-tragung von Phosphinen. Die Ergebnis-se dieser Arbeiten trugen ihm 1953 dieBerufung an die Universit�t Mainz ein,zun�chst auf ein Extraordinariat und1962 auf das II. Ordinariat f�r Organi-sche Chemie. Sie waren auch Aus-gangspunkt f�r das durch fachlicheBreite, k�hne Interpretationen undEntw�rfe sowie interdisziplin�re An-lage gekennzeichnete wissenschaftlicheWerk von Leopold Horner.

In Mainz hat er umfassende Studiender Chemie der ortho-Chinone durch-gef�hrt, die Modellreaktionen zur Mel-amin- und Purpurogallin-Bildung ein-schlossen.[1] Die Photochemie der Di-azoverbindungen[2] und [2s + 2a]-Cyclo-additionen zu b-Lactamen[3] wurdenebenso untersucht wie sp�ter elektro-chemische und katalytische Wasser-stoff�bertragungen unterschiedlicher

Art. Auch in der Erforschung von Vor-g�ngen an Grenzfl�chen, im Prozess derKorrosionen und Reaktion an Silicat-Oberfl�chen,[4] war Leopold Hornerseiner Zeit voraus. Im Mittelpunktseines Werkes stand aber die phosphor-organische Chemie. Das Prinzip derKondensations- und Substitutionsreak-tionen mit terti�ren Phosphinen undweichen Elektrophilen, heute in Formvon Appel-, Mukaiyama- und Mitsuno-bu-Reaktionen bekannt, beschriebenHorner und Mitarbeiter schon 1959 anden Triphenylphosphindihalogeniden.[5]

Die elektrochemische Spaltung vonquart�ren Phosphoniumsalzen[6] erm:g-lichte die unerwartete Entdeckung, dassterti�re Phosphine mit drei verschiede-nen Substituenten chiral sind.[7] Aufdiese Erkenntnis gr�ndet sich die Pio-nierarbeit von Leopold Horner in derenantioselektiven Katalyse, speziell inder enantioselektiven Homogenhydrie-rung,[8] publiziert unabh�ngig und imgleichen Jahr wie die mit dem Nobel-preis gew�rdigte Arbeit von W. S.Knowles, die ebenfalls auf den vonHorner entdeckten chiralen Phosphinenaufbaut.

F�r das pr�parative Methodenarse-nal der Chemie vielleicht noch bedeu-tender ist die zeitlich vorangegangeneMeisterleistung von Leopold Horner,die Entwicklung der PO-aktiviertenOlefinierung.[9] In der zweiten dieserArbeiten dienten neben Phosphonoxi-den auch Phosphons�ureester als CH-acide Olefinierungsreagentien, publi-ziert zwei bzw. drei Jahre bevorEmmons et al. 1961 �ber ihre erstenExperimente dieser Art berichteten.Die Horner-Reaktion kann man, ohnevermessen zu sein, als ein unverzicht-bares Werkzeug in der anspruchsvollenpr�parativen Chemie, besonders auch inder Totalsynthese von Natur- undWirkstoffen bezeichnen.

F�r sein außerordentliches wissen-schaftliches Werk hat Leopold Hornerzahlreiche Ehrungen erfahren. Er wurdeEhrendoktor der Universit�t Karlsruhe,erhielt die Hanus-Medaille der Tsche-choslowakischen Chemischen Gesell-schaft, wurde Mitglied der DeutschenAkademie der Naturforscher Leopoldi-na zu Halle und erhielt deren Cotheni-us-Medaille in Gold. Als große W�rdi-gung empfand er die Auszeichnung mitder Liebig-Denkm�nze der GDCh, und

Nachruf

7838 � 2005 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2005, 117, 7838 – 7839

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eine besondere Ehrung bedeutete ihmdie Verleihung der Ehrenmitgliedschaftder Gesellschaft Deutscher Chemikerw�hrend der Chemiedozententagung2005.

Er hat seiner Universit�t und denchemischen Organisationen selbstlos inmehreren hohen Funktionen gedient.Besonders verbunden ist er aber immerseinen Kollegen, Studenten und Sch�-lern geblieben, unkompliziert und ohnerigide Konventionen hat er mit jugend-licher Neugier und Wachsamkeit denBerichten �ber ihre Fortschritte auf Ta-gungen, in Seminaren und Kolloquiengelauscht. Seine Leistungen setzen ihm

ein bleibendes Denkmal. In seinemMut, seinem Kampfgeist und seinerWarmherzigkeit wird er uns immer einVorbild bleiben.

Horst KunzUniversit%t MainzFax: (+49)6131-392-4786

[1] L. Horner, W. D�rckheimer, Z. Natur-forsch. B 1959, 14b, 744.

[2] L. Horner, E. Spietschka, Chem. Ber.1955, 88, 934.

[3] W. Kirmse, L. Horner, Chem. Ber. 1956,89, 2759.

[4] L. Horner, H. Ziegler, Liebigs Ann.Chem. 1976, 628.

[5] L. Horner, H. Oedinger, H. Hoffmann,Liebigs Ann. Chem. 1959, 626, 26.

[6] L. Horner, A. Mentrup, Liebigs Ann.Chem. 1961, 646, 65.

[7] L. Horner, H. Winkler, A. Rapp, A.Mentrup, H. Hoffmann, P. Beck, Tetra-hedron Lett. 1961, 2, 161.

[8] L. Horner, H. Siegel, H. B�the, Angew.Chem. 1968, 80, 1034; Angew. Chem. Int.Ed. Engl. 1968, 7, 942.

[9] a) L. Horner, H. Hoffmann, H. G.Wippel, Chem. Ber. 1958, 91, 61; b) L.Horner, H. Hoffmann, H. G. Wippel, G.Klahre, 1959, 92, 2499.

DOI: 10.1002/ange.200503637

AngewandteChemie

7839Angew. Chem. 2005, 117, 7838 – 7839 � 2005 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.angewandte.de