c. eigene untersuchungen.: spinale progressive muskelatrophie

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C. Eigene Untersuchungen. Spinale progressive Muskelatrophie. (Fall 1 bis 4.) Fall 1. 9 52 Jahre alt, Nervenklinik des Serafimerlazaretts, Nr. 179/1930. Im Winter 1922 Encephalitis lethargica acuta (?). Seitdem miide und kraftlos. Im September 1929 zunehmende Parese der Bauch- und Riickenmuskulatur, im Winter 1929-30 kam auch Parese der Arme, besonders der Schulterpartien hinzu sowie der Hals- und Nackenmusku- latur. Status am 9. 10. 1930: Leicht subfebrile Temp. Miissige Amimik. Salbengesicht. Paralyse der Schultermuskulatur, Parese der distaleren Teile der Arme. Kann den Kopf nicht im Gleichgewicht und den Rumpf nicht Aufrecht halten. Bauchmuskelparese. Der Parese entsprechende Muskelatrophie. Degenerationsreaktion. Beinmuskulatur 0. B. Iteflexe: Radiusrefl. beiderseitig neg., Patellar- und Achillessehnenrefl. beider- seitig pos., Babinski neg. Lpt: Druck 185 mm, Weichbrodt pos., im ubr. normaler Befund. 3. 11. 1930: Die Paresen haben zugenommen. 9. 11. 1930: Akute Bron- chitis mit Herzschwache. Harn: Alb. f. Rest - N 46. Temperatursteige- rung. Tod. Klinische und pathologiseh-anatomische Diagnose: Atrophia musculorum progressiva (post. enceph. epidem.?) + Bronchitis diffusa mucopurulenta. Gehirn- und Ruckenmark (makroskopisch): Hirnhaute und Gefkse 0. B. Auf dem Querschnitt durch das Riickenmark sind die Vorderhorner iind Vorderstrange deutlich schmaler als normal. Mikroskopischer Befund: a. Zentralnervensystem. Nisslfkbung von Schnitten aus dem C4, C7, Th4 (Serie) und dem L5 sowie aus Oblongata, Briicke, Zwischenhirn, den vorderen und den hin- teren Teilen der Stammganglien einschliesslich des Hypothalamus, sowie aus der motorischen Rindenregion beider Seiten. Ausserdem kamen Spiel- meyer-, Holzer und Fettfabung, sowie Agduhrsche Silberfarbung usw. zur Ausfuhrung. Das Nisslbild zeigt beiderseits leichte Schrumpfung des Vorderkorns und Vorderstranges. Die motorischen Zellen weisen ausgesprochene

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Page 1: C. Eigene Untersuchungen.: Spinale progressive Muskelatrophie

C. E i g e n e U n t e r s u c h u n g e n .

Spinale progressive Muskelatrophie. (Fall 1 bis 4.)

Fall 1. 9 52 Jahre alt, Nervenklinik des Serafimerlazaretts, Nr. 179/1930. Im Winter 1922 Encephalitis lethargica acuta (?). Seitdem miide und kraftlos. Im September 1929 zunehmende Parese der Bauch- und Riickenmuskulatur, im Winter 1929-30 kam auch Parese der Arme, besonders der Schulterpartien hinzu sowie der Hals- und Nackenmusku- latur.

Status am 9. 10. 1930: Leicht subfebrile Temp. Miissige Amimik. Salbengesicht. Paralyse der Schultermuskulatur, Parese der distaleren Teile der Arme. Kann den Kopf nicht im Gleichgewicht und den Rumpf nicht Aufrecht halten. Bauchmuskelparese. Der Parese entsprechende Muskelatrophie. Degenerationsreaktion. Beinmuskulatur 0. B. Iteflexe: Radiusrefl. beiderseitig neg., Patellar- und Achillessehnenrefl. beider- seitig pos., Babinski neg. Lpt: Druck 185 mm, Weichbrodt pos., im ubr. normaler Befund.

3. 11. 1930: Die Paresen haben zugenommen. 9. 11. 1930: Akute Bron- chitis mit Herzschwache. Harn: Alb. f. Rest - N 46. Temperatursteige- rung. Tod.

Klinische und pathologiseh-anatomische Diagnose: Atrophia musculorum progressiva (post. enceph. epidem.?) + Bronchitis diffusa mucopurulenta.

Gehirn- und Ruckenmark (makroskopisch): Hirnhaute und Gefkse 0. B. Auf dem Querschnitt durch das Riickenmark sind die Vorderhorner iind Vorderstrange deutlich schmaler als normal.

Mikroskopischer Befund: a . Zentralnervensystem. Nisslfkbung von Schnitten aus dem C4, C7, Th4 (Serie) und dem L5

sowie aus Oblongata, Briicke, Zwischenhirn, den vorderen und den hin- teren Teilen der Stammganglien einschliesslich des Hypothalamus, sowie aus der motorischen Rindenregion beider Seiten. Ausserdem kamen Spiel- meyer-, Holzer und Fettfabung, sowie Agduhrsche Silberfarbung usw. zur Ausfuhrung.

Das Nisslbild zeigt beiderseits leichte Schrumpfung des Vorderkorns und Vorderstranges. Die motorischen Zellen weisen ausgesprochene

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Pigmentatrophie mit Verminderung der Anzahl der Zellen auf (im Lenden- teil noch am wenigsten). Die Seitenhorner sind vollkommen intakt (Abb. 2.). Die Clarkesche Saule beiderseitig ziemlich arm an Zellen. Die Inter- mediiirzellen im Halsteil auffallend dunkel, erinnern am meisten an das Bild einer massigen Pigmentatrophie, jedoch ohne deutliche Reduktion ihrer Anzahl.

Markscheiden- und Fettpraparate zeigen normalen Fasergehalt der grauen und der weissen Substanz. Im Vorderstrang vereinzelte Fett- kornchenzellen. Lange Bahnen, auch in der Oblongata, 0. B. An Nissl- schnitten zeigen Nucl. n. VII und XII, der sensible Vaguskern, der Okulo- motoriuskern, Substantia nigra und Nucl. Deiter (?) keine Veranderungen. Ebenso die vordere Zentralwindung beiderseitig. Auch im extra- pyramidalen System (auch im Hypothalamus) waren keine Veran- derungen zu sehen. Nirgends entzundliche Veranderungen der GefLse oder Hirnhaute.

b. Muskulatuis: (Teile aus Interosseus man. sin., Biceps brachii, Deltoideus, Glutaeus

maximus, Rectus abd., Pect. major, Erector trunci und aus einem Nacken- muskel).

Die untersuchten Muskeln sind samtlich pathologisch verandert. Am starksten verandert scheinen der M. interosseus und der Nacken- muskel zu sein, die kleinsten Veriinderungen sind im Bizeps zu finden.

In samtlichen Muskeln fand man sowohl Fasern von normalem Dia- meter, als auch mehr oder weniger atrophische Fasern. Auch leicht hyper- trophische Fasern waren vorhanden.

Z. B. im M. biceps bilden die atrophischen Fasern auf dem Querschnitt charakteristische ))Felden, die von den normalen Fasern umgeben sind. In weiter vorgeschrittenen Stadien kann man, z B. im M. interosseus, statt dessen Felder von normalen Fasern sehen, die von lauter atrophischen umgeben sind. Jedes solche Feld besteht meistens aus 10-20 Muskel- fasern manchmal aus etwas mehr oder weniger. Gewohnlich oinfiltrierenu diese Felder normaler oder atrophischer Fasern die umgebenden Muskel- faserbiindel. Manchmal findet man jedoch scharf begrenzte Biindel dieser Art. Diese letzteren sind sehr oft in den vorspringenden ))Zipfeln* yon Muskelfaserbundeln zweiter bis vierter Ordnung gelegen. 1

Ein Muskelfaserbiindel erster Ordnung scheint fast regelmassig ,etappen- weise, zu atrophiieren, derart dass zuerst eine Anzahl Muskelfasern, die gewohnlich iiber den ganzen Querschnitt des Muslielfaserbiindels oder iiber einen Teil desselben diffus verstreut sind, gleichzeitig und gleich

Bemerkung: Die meisten Muskeln des menschlichen Korpers werden, wie bekannt, durch das Bindegewebe des Perimysiums in Muskelfaserbhdel zerteilt. Die kleinsten Faserbihdel werden als erster Ordnung bezeichnet, mehrere solche Gruppen fagen sich zu Btindeln zweiter Ordnung zusammen usw.

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Abb. 2. Fall 1. Spinale progressive Muskelatrophie, oberes Brustmark (Th 4). Scitenhorn- (S.) sowie Intermediarzellen (I.) gut erhalten. Vorderhorn- zellen (VH.) hier sparlich (und degeneriert), besonders rechts im Bilde.

Nisslfarbung.

A.

Abb. 3. Fall 1. Progressive spinale Muskelatrophie. M. Biceps brachii. Fbbung: Haggqvists Ferrichloridhamatoxylin. Vergr. 75-fach.

Massig avanzierte Veranderungen. Jedes primPre MuskelfaserbnndeI ist von teils normalgrossen, teils stark atrophischen Muskelfasern zusammen- gesetzt. Im Muskelfaserbnndel oben rechts beobachtet man einen typischen

VZipfelo von atrophischen Muskelfasern. (A,).

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stark atrophieren, worauf eventuell eine neue, in derselben Weise angeord- nete Gruppe von Fasern atrophiert usw. Bei etwae vorgeschrittener Atrophie kann man deshalb innerhalb eines Faserbundels erster Ordnung 2-4 ,Generationeno yon Muskelfasern in verschiedenen Stadien von Atrophie sehen. Dieser Umstand muss rnit der Innervation zusammen- hiingen (siehe dariiber unten S. 94).

Die hypertrophischen Fasern sind von zwei Sorten. Erstens gibt es hypertrophische Fasern, die in Felder angeordnet sind, welche den oben- genannten Feldern von atrophischen und normalen Fasern entsprechen, und zweitens kommen isolierte hypertrophische Fasern vor. Aus Griinden, die unten naher entwickelt werden sollen, halten wir es fur wahrschein- lich, dass es sich bei ersteren um Arbeitshypertrophie handelt. Ihr Durch- messer (65-75 P) ubertrifft nur unbedeutend denjenigen der normalen Fasern.

Die isoliert auftretenden hypertrophischen Fasern erreichen eine Grosse von 90 P. Sie stimmen vollstandig mit den bei Dystrophia muscu- lorum progressiva vorkommenden hypertrophischen Fasern uberein. Diese letzteren werden jedoch oft kolossal vie1 grosser. Diese hypertrophischen Fasern stehen nach K. Kur6 rnit Storungen des autonomen Nervensystems im Zusammenhang. Sie gehoren nicht zum typischen Bilde der spinalen progressiven Muskelatrophie.

Muskelfasern, die in Langsspaltung begriffen sind, werden in grosser Anzahl gefunden. Die Spaltung geschieht durch Einwachsen des Sarko- lemms in die Muskelfaser. An der Teilungsstelle treten Reihen von Ker- nen auf.

Im iibrigen scheint kaum eine absolute Kernzunahme in den Muskel- fasern vorzuliegen. In den atrophischen Fasern ist eine relative Zunahme der randstiindigen Kerne vorhanden.

Durch die Spaltung in der Langsrichtung wird das oben beschriebene Bild der nfelderformigenr Atrophie gestort. Die durch die Spaltung ent- standenen dunnen Faserh kommen namlich hier und da zu zweien und dreien zusammen zu liegen.

Es sind keine degenerierten Muskelfasern zu finden. Was die interstitiellen Veriinderungen betrifft, ist allgemeine leichte

Bindegewebszunahme in samtlichen Muskeln zu erwiihnen. Keine Kern- zunahme, ausser im M. interosseus. In diesem Muskel sind in der N&he seines ubergangs in die Sehne entzundliche Veriinderungen mit starker Rundzelleninfiltration sowie Zerfall und partielle Verkalkung der Muskelfasern vorbanden. In den benachbarten Muskelfasern tritt besonders in der Nahe der Pole der Kerne ein gelbbraunes Pig- ment auf.

Hier und da ist in den starker atrophisch veranderten Muskeln eine leichte Fettinfiltration vorhanden. Die gefundenen Muskelspindeln er- scheinen sowohl auf dem Querschnitt, als auch auf dem Langsschnitt intakt.

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Fall 2, $2, 55 Jahrc alt, Med. Abt. I1 des Krankenhauses Sabbatsberg, Nr. 814/1926.

Im Januar 1924 Fieberkrankheit mit nachfolgenden periodischen Bein- schmerzen. Seit Neujahr 1926 auch Schwache des linken Reines, der Schultern und des Rumpfes. Kein Fieber.

Siatw am 10. 6. 1926: Starke Atrophie der Schultermuskulatur (be- sonders der Mm. supra- und infraspinati) sowie der Glutaalmuskulatur. Parese der Arme und Beine. Humpelnder, watschelnder Gang. Patellar- reflexe gesteigert. Keine spastischen Symptome. Lpt 0. B.

13. 7. 1926: Die Paresen haben zugenommen. Patellarreflexe normal. Sensibilitat 0. B.

3. 8. 1926: Hin und wieder Krampf (1 ) im linken Arm und linken Bein. 11. 8. 1926: Tod. (In der letzten Woche Temperaturen von bis 38O,

in den letzten 24 Stunden 4 lC. )

Klinische und pathologisch-anatomische Diagnose: Atrophia muscu- lorum progressiva + Cardioarteriosclerosis -+ Bronchitis acuta +Atrophia fusca cordis.

Gehirn und Ruckenmark makroskopisch 0. B.

Mikroskopische Untersuchung:

A. Zentralneroensystem: Riickenmarkpraparate aus dem C5, C6, dem oberen und unteren Brust-

mark sowie dem Kreuzmark wurden nach Nissl, van Gieson. Spielmeyer, sowie mit Fett- und Hamatoxylineosinfarbung gefarbt.

Die Zellfarbungen zeigen mksige Lipoiddegeneration in den Zellen der Vorderhorner (besonders in ihrem medialen Teil), die im Halsmark am deutlichsten ist, und die von mLsiger Gliakernzunahme begleitet ist. Die Seitenhornzellen sehr spklich vorhanden, die Intermedikzellen im Hals- Brust- und Kreuzmark sparlich vorhanden und uncharakteristisch verandert. Clarkesche Saulen 0. B.

Markscheiden in der weissen und grauen Substanz 0. B. Keine Fett- degeneration. In der Oblongata und der motorischen Rindenregion normale Befunde.

B. Muskulatur: (Teile der Mm. serratus ant., pect. major und trapezius):

In den Mm. pect. major und trapezius sind die Veranderungen sehr unbedeutend, im M. serratus sind sie etwas weiter vorgeschritten. In den beiden erstgenannten Muskeln findet man hier und da ein Feld von 10-20 atrophischen Fasern, im M. serratus zahlreiche, teilweise rnit ei- nander verschmelzende Felder dieser Art. Wie bei Fall 1 sind die zu die- sen Feldern gehorenden Fasern gewohnlich rnit den normalen Fasern ver- mischt. Nur ausnahmsweise bilden atrophische Fasern scharf begrenzte Felder. Innerhalb jeden Feldes befinden sich die Fasern ungefahr in ein

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Quergestreifte Fibrillen.

Abb. 4 . Fall 2. (Spinale pogressive Muskelatrophie). M. serratus ant. Farbung: Haggqvists Ferrichloridhlmatoxylin. Vergr. 800-fach.

Zwischen den beiden normalen, schon quergestreiften Muskelfasern eiiie Iangsgeschnittene, durch daterale Knospungu neugebildete Faser. Zentral in dieser liegen zahlreiche Kerne. In der Peripherie beobachtet man eine geringe Anzahl deutlich quergestreifter Fibrillen. Die anisotropen und isotro- pen Segmente in diesen Fibrillen sind kleiner als in den normalen Fasern.

Neugebildete Muskelfaser

Abb. 5. Fall 2. (Spinale progressive Muskelatrophie). M. serratus ant. FLbung: Weigerts Hhatoxyl in- v. Gieson. Vergr. 700-fach.

Querschnitt einer durch rlaterale Knospungr neugebildeten Muskelfaser nebst einigen gewohnlichen Fasern. Im Zentrum der Faser einen grossen Kern

mit typischem Kernkorperchen.

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und demselben Stadium von Atrophie. Es sind keine hypertrophischen Fasern zu finden. Keine Kernzunahme in den Muskelfasern. Bei den ziem- lich reichlich vorhandenen Langsspaltungen treten jedoch hier und da zentral in den Muskelfasern eine Anzahl Kerne auf.

Vakuolk und hyalin degenerierte Fasern kommen vor, wenn auch ausserst sp3lich.

In samtlichen untersuchten Muskeln findet man hier und da kurze, schmale Muskelfasern mit zahlreichen grossen Kernen, die oft in amito- tischer Teilung begriffen sind. Diese Kerne, die mit grossen NuMeolen versehen sind, liegen mitten in den Muskelfasern. In der Peripherie der Fasern haben sich quergestreifte Fibrillen differenziert. Ihre Querstreifung ist sehr fein. Die Hohe der Muskelfgcher erreicht kaum die Halfte der- jenigen in normalen Muskelfasern. Diese Muskelfasern diirften durch sog. ))laterale Knospungo aus gewohnlichen Muskelfasern entstehen. Nicht so ganz selten kann man die Abzweigungsstelle sehen. Einige unter ihnen scheinen jedoch frei im Bindegewebe zu liegen. Wahrscheinlich sind sie durch laterale Knospung entstanden und spater abgeschniirt worden.

Bei Fettfarbung (Scharlach) an Gefrierschnitten findet man auf dem Querschnitt fettdegeneri~rte Fasern, sowohl in kleinen Gruppen, als auch vereinzelt liegend. Keine Anordnung in Felder wie bei den atrophischen Fasern. Zwischen Atrophie und Fettdegeneration scheint kein Zusammen- hang zu hestehen. Auf dem Langsschnitt kann man festst,ellen, dass die Fetttropfchen wie bei Fall 5 in der Hohe der anisotropen Segmente lie- gen. Die Fettropfchen sind in diesem Falle von etwas geringerer Grosse. Die fettdegeneriert,en Fasern sind ausserdem diffss schwach rotgelb ge- farbt.

Die atrophischen Fasern scheinen nicht fettdegeneriert zu sein. Im Interstitiurn sind hier und da kleine Rundzellenhaufen zu sehen,

oft perivaskular gelegen.. Samtliche Muskeln sind auffallend blutreich. Massige diffuse Bindegewebsvermehrung.

Die Muskekrpindeln scheinen int,akt zu sein und sind in samtlichen untersuchten Muskeln in reichlicher Menge zu finden.

In der Herzmuskulatur waren keine Veranderungen vorhandeu.

Fall 3, 8 , 40 Jahre alt (Deutsche Forschungsanstalt f. Psych.. Mun- chen, Nr. 1843.). Vor 2 y2 Jahren fortschreitende schlaffe Parese der linken Hand und des linken Armes, spater auch des rechten Armes. Keine Schmerzen. Sensibilitat und Gehirnnerven 0. B. Atrophie der Muskeln der Hande und Schultern (Scapulae alatae). Fibrilliire Zuckungen. Pa- tellar-, Radius- und Achillessehnenrefl. 0. B. Babinski neg. Lpt. neg. Spater Atrophie der Oberschenkel und der Mm. peronei, abgeschwachte Patellarreflexe, elektrische Degenerationsreaktion, Parese der Nacken- muskulatur. Tod am 10. 10. 1915.

K t i n . und patho1.-ariatom. Diagnose: Atrophia muscul. progress. spinalis.

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Mikroskopische Untersuchung: Es lagen nur Nisslpraparate aus dem L G L 5 und aus drei verschiedenon

Thorakalsegmenten zur Untersuchung vor. In den Vorderhornern war iiberall bedeutender Ganglienzellenausfall vorhanden, von ziemlich be- deutender Gliakernzunahme begleitet. Noch vorhandene Nervenzellen

Abb. 6. Fall 3. Spinale progressive Muskelatrophie, oheres Brustmark. Starker Auslall von Vorderhornzellen (VH.). Gangllienzellen in Seitenhorn (S), Clarke-

scher SBule (C) und Intermeditirsubstanz (I) erhalten. Nisslfirbwig.

geschrumpft oder verhaltnismassig normal, nicht lipoiderfiillt. Seitenhor- ner vollig normal, im Lendenschnitt waren sic jedoch nur auf der einen Seite sicher zu erkennen. Clarkesche Saule 0. B. Intermediarzellen, we- nigstens im Lendenmark, ohne sichere pathologische Veranderungen. Massige, diffuse Zellenzunahme in den Seitenstrangen, ebenso auch in den vorderen Wurzeln.

Pathologisch-anatomische Diagnose: Spinale progressive Muskelatrophie.

Fall4, 'i ,15 Jahre alt,NervenklinikdesSerafimerlazaretts. Nr. 100/1925. Hereditar nichts von Interesse. Sieben gesunde Geschwister im Alter

yon 1-24 Jahren.

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Im Jahre 1921 begannen Schwierigkeiten die Finger bei der Arbeit, z. B. beim Stricken, zu bewegen (Parese). Allmahlich griff die Schwache auf die Vorderarme uber, und auch die Bewegungen der Sprunggelenke wurden angegriffen. Beim Gehen hingen die Fiisse herab, und sie musste die Kniee abnorm hoch heben (Steppergang).

Starus am 4. 4. 1925: Beiderseitig Klauenhand und Parese der Finger. Auch beiderseitige Parese der Handgelenke, dabei ist die Dorsalflexion am stkksten angegriffen. Doppelseitige Peronausparese (Spitzfuss), Plantarflexion im Fussgelenk 0. B. Aktive Bewegungen in den Ellen- bogen-, Schulter-, Knie- und Hiiftgelenken 0. B. Die elektrische Reaktion der angegriffenen Muskeln herabgesetzt. Reflexe: Radius-Trizeps-, Pa- tellar- und Achillessehnenreflexe fehlen beiderseitig.

Klinische Diagnose: Atrophia musculorum progressiva spinalis.

Mikroskopische Untersuchung: Muskulatur (Probeexzision aus der Wadenmuskulatur rechts): Leider waren keine Querschnittsbilder vorhanden, weshalb die Grup-

pierung der Muskelfasern mit verschieden grossem Diameter nicht auf dem Querschnitt studiert werden konnte. Aus den schonen Langsschnitten geht jedoch folgendes hervor:

Hypertrophische Fasern fehlen, dagegen qind zwischen den Fasern von normalem Diameter Biindel von atrophischen Fasern vorhanden. Die Anzahl der Fasern in solch einem Biindel lasst sich auf dein Langs- schnitt natiirlich nur schatzungsweise bestimmen. Gewohnlich scheinen 20-30 Fasern zu jedem Biindel zu gehoren. Die Querstreifung ist auch in den atrophischen Fasern gut erhalten. Nirgends sichere L5ngsspaltung zu sehen. In den normalbreiten Fasern scheint die Anzahl der randstandigen Kerne etwas vermehrt zu sein. Die Kerne der atrophischen Fasern an Zahl relativ und wahrscheinlich auch absolut vermehrt.

Keine degenerierten Fasern zu sehen. Unbedeutende interstitielle Fettinfiltration.

Besprechung der Befunde.

Eine Zusammenstellung dieser vier Falle zeigt, dass die drei Sektionsfalle (Fall 1-3) klinisch fur die Krankheit nicht vollkom- men typisch waren. Fall 1 zeigte dagegen wahrend des Lebens das klassische Bild einer Dystrophie, von der man vermuten konnte, dass sie auf enzephalitischer Basis stand, eine Annahme, die die Sektion nicht bestatigen konnte, und Fall 4 hatte die Diagnose neurotische Muskelatrophie. Die Krankheit des letztgenannten Patienten kann auch jetzt nicht sicher klassifiziert werden, da keine Riickenmarkuntersuchung vorgenommen wurde. Das Erkranken in friihem Alter (11 Jahre) spricht hier fur neurotische, der Muskel-

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befund fur spinale Atrophie. Wegen dieses letzteren Befundes haben wir den Fall hier eingereiht.

Bei samtlichen drei Sektionsfallen waren in den motorischen Vorderhornzellen Anzeichen von Lipoiddegeneration vorhanden, die zu Zellenausfall und sekundarer Gliazunahme gefiihrt hatte. Das sind ja auch wohlbekannte Befunde. Es ist auffallend, wie wenig bei dieser Krankheit von der Teilnahme des gliosen Gewebes an der Ganglienzellendegeneration selbst und an der Fortschaffung der Zerfallsprodukte niikroskopisch zu sehen ist. Nur selten beob- achtet man einige wenige mit Lipoidkornchen beladene Gliazelleii in unmittelbarer Nahe einer ganzlich zerfallenen, fruher pigment- reichen Zelle. Die Erklarung diirfte wohl darin zu suchen sein, dass der ausserordentlich langsam von der einen Zelle auf die an- dere fortschreitende Prozess es der lokalen Glia ermoglicht, den Transport der Zerfallsprodukte selber zu besorgen. Hier handelt es sich also urn typischen fixen Abbau.

Modernen Ansichten (S. T. Bok) nach, sollen die kleinen Muskeln der Hande ihre motorischen Ganglienzellen im lateralen Teil des Vorderhorns haben, wahrend die Neuriten ails dem medialen Teil zu weiter zentralwarts gelegenen Muskeln verlaufen sollen. In Obereinstimmung mit dieser Regel haben wir bei den Fallen von amyotrophischer Lateralsklerose mit peripherisch beginnenden Muskelatrophien in den lateral gelegenen Zellen des Vorderhorns den starksten Zellenausfall gefunden. Bei Fall 2 dagegen war die starkste Zellendegeneration in der medialen Halfte des Horns zu finden, in ~~bereinstimmung mit den klinischen Symptomen: Atrophie der Schultermuskulatur. Bei Fall 1 , wo die Verbreitung der Paresen rein dystrophischen Typus zeigte, waren die Ver- haltnisse ahnlich, aber nicht so ausgesprochen. Es sol1 hier nur erwahnt werden, dass die Zellenschadigung in samtlichen Sektions- fallen wie gewohnlich im Halsmark am starksten war.

Was die spinalen, vegetativen Zentren anbelangt, konnten viir bei keinem der Falle in den Zellen des Seitenhorns pathologische Veranderungen beobachten. Dasselbe gilt fur die sog. Intermediar- zellen. Hierbei muss man betreffs Fall 2 gewisse Reservation ein- legen, da die Praparate hier aus technischen Griinden nicht die wunschenswerten exakten Schlussfolgerungen zuliessen.