brasilien - der weltmeister in sozialer ungleichheit

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Mediendienst 5 10. April 2014 Ungelöste Bodenfrage, ineffizientes Bildungssystem, abgehängte Regionen Brasilien - der Weltmeister in sozialer Ungleichheit Esther Belliger Der Mediendienst der Caritas Schweiz ist ein Angebot mit Hintergrundtexten zur freien Verwendung. Für Rückfragen stehen die Autorinnen und Autoren gerne zur Verfügung.

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Mediendienst 5/2014 Ungelöste Bodenfrage, ineffizientes Bildungssystem, abgehängte Regionen Brasilien - der Weltmeister in sozialer Ungleichheit (Esther Belliger) http://www.caritas.ch/de/was-wir-sagen/mediendienst

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Mediendienst 5 10. April 2014

Ungelöste Bodenfrage, ineffizientes Bildungssystem, abgehängte Regionen

Brasilien - der Weltmeister in sozialer Ungleichheit Esther Belliger

Der Mediendienst der Caritas Schweiz ist ein Angebot mit Hintergrundtexten zur freien Verwendung.

Für Rückfragen stehen die Autorinnen und Autoren gerne zur Verfügung.

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Caritas Schweiz, Mediendienst 5, 10. April 2014

Ungelöste Bodenfrage, ineffizientes Bildungssystem, abgehängte Regionen

Brasilien - der Weltmeister in sozialer Ungleichheit

Mit den bevorstehenden Fussballweltmeisterschaften möchte Brasilien sein Bild in der Welt als

aufstrebende Wirtschaftsmacht stärken. Ein genauerer Blick auf das Land zeigt aber, dass die-

ses Bild nur ein Teil der Realität ist. Die sozialen Ungleichheiten im Land sind gravierend und

offensichtlich.

Wenn Brasilien als Schwellenland bezeichnet wird, basiert diese Einordnung auf landesweiten Durch-

schnittswerten volkswirtschaftlicher Daten. Dabei gehen allerdings die enormen regionalen Unter-

schiede innerhalb des Landes vergessen. Während gewisse Regionen im Südosten und Süden Brasi-

liens durchaus eine gute Position in einem europäischen Entwicklungsranking einnehmen könnten,

weisen grosse Gebiete im Norden und Nordosten trotz aller Regionalplanung immer noch typische

Merkmale von Armutsgebieten in Entwicklungsländern auf. So gesehen kaschiert der Begriff

„Schwellenland“ die eigentliche Realität Brasiliens.

Boomender Agrarbereich, aber keine Landreform in Sicht

Das Wirtschaftswachstum hat in den letzten Jahren zur Stabilisierung der finanziellen Situation des

Landes beigetragen. Unter Berücksichtigung der sozialen Ungleichheit fällt die Beurteilung jedoch

weniger günstig aus. Der Boom im Agrarbereich, der das Wachstum antreibt, kann die Situation der

Armen nur dann verbessern, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Derzeit sind grosse Agrarflä-

chen in den Händen einiger weniger Grossgrundbesitzer, was zu einer weiteren Verschärfung der Ein-

kommensunterschiede führt. Doch aufgrund der starken Lobby und aus Angst vor sinkenden Agrarex-

porten setzt die Regierung keine nachhaltigen Landreformen durch. Die Industrie konnte unterdessen

nicht genügend Arbeitsplätze schaffen, die für den Abbau der hohen Arbeitslosigkeit notwendig wäre.

abzubauen und die Fertigungsbetriebe stehen unter einem verschärften Konkurrenzdruck aus Asien,

vor allem aus China.

Ineffizientes Bildungssystem behindert Wirtschaftswachstum

Brasilien ist im internationalen Vergleich kein Wirtschaftsstandort mit ausgeprägten komparativen

Vorteilen und nimmt in Ranglisten der internationalen Wettbewerbsfähigkeit nur hintere Plätze ein,

Tendenz sinkend. Wie Daten des World Economic Forums zeigen, liegt Brasilien liegt nahezu gleich

mit Kasachstan und Rumänien.

Vor allem das schwache Bildungssystem schwächt die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Lan-

des. Laut PISA-Studie 2012 liegt Brasilien im Bildungsbereich weit unter dem OECD-Durchschnitt.

Trotz beachtlicher Erfolge in den letzten Jahren besuchten 2011 rund 600 000 Kinder keine Schule

und die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler erreichte nicht den auf dem Lehrplan vorgesehenen

Leistungsstand. Nur 28 Prozent der Kinder schafften den Abschluss der achtjährigen Grundschule im

vorgesehen Alter, 32 Prozent brachen die Grundschule vorzeitig ab.

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Caritas Schweiz, Mediendienst 5, 10. April 2014

Brasilien ist ein Beispiel dafür, wie stark ein ineffizientes Bildungssystem den Wachstumsprozess

eines Landes behindert und einen Grossteil der Bevölkerung vom Wirtschaftswachstum ausschliesst.

Nur etwa ein Drittel der Bevölkerung nimmt am Wirtschaftskreislauf teil, der grösste Teil ist in der

Schattenwirtschaft tätig oder lebt am Rande des Existenzminimums in extremer Armut. Nach wie vor

sind rund 13 Millionen Menschen extrem arm und verfügen über weniger als einen Dollar pro Tag.

Die Rate bei Kindern bis 11 Jahren liegt gemäss Angaben des Uno-Kinderhilfswerks Unicef bei 48

Prozent, bei Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren bei 38 Prozent.

Der Nordosten - das Armenhaus Brasiliens

Die strukturellen Probleme Brasiliens sind im Norden und Nordosten besonders sichtbar. Der Anteil

der Menschen, die in absoluter Armut leben, ist fast doppelt so hoch wie im übrigen Land. Eine rück-

ständige Landwirtschaft, die ungleiche Verteilung des Einkommens und ein wenig differenzierter In-

dustriesektor sowie lange Dürreperioden und wenige Naturressourcen haben ihren Anteil daran. 61

Prozent der Gemeinden im Nordosten sind laut UNDP (United Nations Development Programme)

unterentwickelt. Während der Human Development Index HDI für das gesamte Land im Jahr 2012

durchschnittlich bei 0,727 gemessen wurde, lag er für die Gemeinden des Nordostens zwischen 0,500

und 0,599 und ist somit vergleichbar mit Ländern wie Angola, Bangladesch oder der Republik Kongo.

Im Jahr 2011 waren 18,7 Prozent der Bewohner der „Região Nordeste“ Analphabeten und 22 Prozent

erhielten staatliche Unterstützung. 87 Prozent der Bevölkerung sind nicht ans Abwassersystem und 15

Prozent keiner Stromversorgung angeschlossen. 350 000 Kinder und Jugendliche gehen nicht zur

Schule und jedes sechste Kind arbeitet.

Diese Fakten zeigen deutlich auf, wie gross die Ungleichheiten in Brasilien sind und dass ein

Grossteil der Bevölkerung von der wirtschaftlichen Entwicklung ausgeschlossen bleibt. Der UN-

Koordinator für Brasilien bezeichnet das Land daher auch als „Weltmeister in sozialer Ungleichheit“.

Esther Belliger, Programmverantwortliche Brasilien, Caritas Schweiz, E-Mail [email protected],

Tel. 041 419 24 41.

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